Children of the Sea von Votani (OS-Sammlung | Marco/Ace) ================================================================================ Kapitel 17: Marco's Den Den Mushi. ---------------------------------- Es war vielleicht ein Fehler, das wusste Marco, konnte sich aber trotzdem nicht dazu bringen, die kleine Teleschnecke auf seinem Schreibtisch aus ihrem Schlaf zu reißen. Im Gegensatz zu den regulären Teleschnecken, die sie an Bord der Moby Dick benutzten und die alle in einem Raum nahe der Navigatorenzentrale hausten, war diese eine Nummer kleiner. Aber sie unterschied sich nicht nur von der Größe von ihren Kameraden, sondern auch von ihrem Aussehen. Marco löste die Arme aus der Verschränkung und lehnte sich weiter auf seinem Stuhl nach vorn, um den kleinen Cowboyhut auf dem Kopf der Schnecke wieder gerade zu rücken, ehe dieser seitlich davon rutschen und auf den Tisch fallen konnte. Der Hut besaß dieselbe Farbe wie der von Ace – ein helles Orange, das an Aces Teufelskraft und auch an seine Persönlichkeit erinnerte, abgerundet mit den bläulichen Emojis, den roten Perlen und dem schmalen Bändchen mit der Bullenmedaille am unteren Ende. Zudem trug die Teleschnecke auch eine rote Halskette und eine kleine Tätowierung, welche ebenfalls an die von Ace erinnerte. Die Ähnlichkeit war kein Wunder, denn immerhin war die Teleschnecke ein Geschenk von Ace gewesen. Damals, als Ace sie ihm stolz präsentiert und verkündet hatte, dass er die Accessoires eigenhändig gebastelt hatte, waren die Zeiten noch unbeschwert gewesen. Zu dem Zeitpunkt war Teach noch ein Teil ihrer Mannschaft und Thatch noch am Leben gewesen. Da hatte es auch noch keinen Grund gegeben, um Unterhaltungen mit Ace über eine Teleschnecke zu führen, da er die meisten Nächte in Marcos Armen im Bett verbracht hatte. Es kam Marco beinahe so vor, als hätte Ace instinktiv gewusst, dass sich die Zeiten irgendwann ändern würden. Selbst nach Monaten konnte er sich noch an Aces Stimme an dem Tag, an dem Ace ihm dieses eigenartige Geschenk gemacht hatte, erinnern. Seine Stimme war leise gewesen, bedeutungsschwer, aber auch voller Humor, als er Marcos gehobene Augenbraue gesehen hatte, bis Ace rau aufgelacht hatte. „Damit du nie einsam bist“, hatte Ace mit erröteten Wangen und breitem Grinsen verkündet. „Wir können dann auch reden, wenn wir nicht beide an Bord sind. Und sie erinnert dich immer an mich.“ Marco wusste, dass er Ace einfach kontaktieren könnte, dass Ace sich sogar darüber freuen würde, aber bisher hatte er es einfach nicht übers Herz gebracht. Das würde bedeuten, dass Marco sich mit Aces überstürztem Aufbruch auseinandersetzen musste und wie gefährlich dieser war. Es würde auch bedeuten, dass sich Marco mit seiner eigenen Hilflosigkeit auseinandersetzen musste. Die kleine Teleschnecke schreckte aus dem Schlaf. Kugelrunde Augen öffneten sich, ehe sie zu klingeln begann. Für einige Sekunden starrte Marco sie lediglich an, ehe er abnahm und in das kleine Mikrophone sprach: „Hallo?“ „Marco? Hey, Marco!“, erklang Aces Stimme sogleich. Die hohe Tonlage verriet, dass er getrunken hatte, und die wirren Nebengeräusche, dass er sich gerade in irgendeiner Taverne befand. „Ich wollte dich schon viel früher anrufen, aber ich hatte nie Ruhe. Musste erst mal eine Unterkunft für die Nacht suchen. Du würdest nicht glauben, wie teuer ein verdammtes Zimmer hier ist. Die ziehen einem echt das Geld aus der Tasche.“ Während Ace sprach, passte die Teleschnecke sich ihrem Sprecher an. Das Gesicht nahm etwas Legeres an und ein faules Grinsen hing an ihrem Mundwinkel. Als Marco sie anstarrte, bemerkte er zum ersten Mal, dass sie ganz kleine, zarte Sommersprossen hatte. Sie sahen nicht einmal aufgemalt auf. Wo hatte Ace diese Teleschnecke nur her? „Wo bist du gerade, yoi?“, fragte Marco und lehnte sich in seinem Stuhl zurück, die Sprechmuschel dicht an seinen Mund haltend. Das Grinsen auf den Lippen der Teleschnecke wurde eine Spur breiter. „Irgendwo in Alabasta. Bin hier, um meinen Bruder zu treffen.“ „Heißt das, dass du nicht mehr hinter Teach her bist?“, erkundigte sich Marco, konnte sich die Antwort darauf aber bereits denken. Die Teleschnecke schnaufte abwertend mit Aces Stimme. „Niemals. Teach wird seine gerechte Strafe schon noch bekommen, keine Sorge.“ „Ich denke immer noch nicht, dass das eine gute Idee ist, yoi.“ Nicht, dass Ace in dieser Hinsicht auf ihn hören würde. Das hatte er auch nicht, als Marco und die anderen ihn davon hatten abhalten wollen, die Moby Dick zu verlassen und Teach überhaupt erst hinterher zu jagen. „Vermisst du mich so sehr, Marco?“, spöttelte Ace und der Ausdruck der Teleschnecke nahm etwas Schelmisches an. Marco rollte mit den Augen, denn Aces Versuch, vom Thema abzulenken, war furchtbar offensichtlich. „Ich glaube, du vermisst mich mindestens genauso sehr. Ansonsten hättest du nicht angerufen“, gab er nach, denn er hatte Ace noch nie etwas abschlagen können und wollte das bisschen kostbare Zeit, die sie miteinander hatten, nicht mit Diskussionen beenden, die dafür sorgen würden, dass sie mit Wut im Bauch ins Bett gingen. Dafür war dieser Anruf zu unerwartet gewesen, zu erwünscht gewesen. Marco hatte angenommen, dass er nicht mit Ace sprechen konnte, ohne dass die Trauer und der Zorn über Thatchs Tod und Aces Aufbruch in ihm aufkommen würde, aber er hatte die Wirkung von Aces Lachen, das nun hell und lebendig aus dem Mund der Teleschnecke schallte, unterschätzt. Ebenso das Wissen, dass es Ace gut ging. Nur die Hoffnung, dass Ace doch noch zur Vernunft kommen und auf das Schiff zurückkehren würde, blieben naiv. Marco schmunzelte und schloss die Augen, als er sich Aces vom Alkohol errötetes Gesicht mit dem breiten Grinsen vorstellte. „Ich habe darüber nachgedacht, dich zu begleiten, yoi. Wenn du ein paar Tage in Alabasta verbringst, könnte ich zu dir stoßen.“ Vielleicht könnte er Ace dann umstimmen oder ihn wenigstens vor Dummheiten bewahren. Die Teleschnecke schnaufte. „Du wirst auf dem Schiff gebraucht“, sagte Ace. „Jetzt mehr denn je.“ Ace erläuterte nicht, was er mit seinen Worten meinte, aber das brauchte er auch nicht. Immerhin kannte Marco diese Gründe längst. Sie waren es, die ihn bisher von dieser vorschnellen Entscheidung abgehalten hatten. Im Gegensatz zu Ace trug er um einiges mehr Verantwortung als Vize-Kapitän der Whitebeard-Piraten, gerade jetzt, da sich Whitebeards Gesundheit zunehmend verschlechterte und die Moral nach Thatchs Tod gesunken war. Zu sehr in seinen Gedanken versunken, die nicht zum ersten Mal einen unerwarteten Konflikt zwischen seinem Verstand und seinem Herzen auslösten, bemerkte Marco erst zu spät, dass das Stimmengewirr auf Aces Seite zunahm. Rufe hallten bis zu Marcos Seite hindurch. „Hey, Marco“, presste Ace hervor. „Ich muss gehen. Jemand gibt eine Runde aus. Ich rufe dich in den nächsten Tagen wieder an.“ Die Worte gingen fast gänzlich in der Kakophonie unter, die aus aufgeregten Stimmen und Rufen und Klirren bestand. Marco musste sich nach vorn lehnen, um Ace zu verstehen. „Ace—“ „Ich bin schneller wieder da, als dir lieb ist“, unterbrach Ace ihn, ehe der kecke Ausdruck von dem Gesicht der Teleschnecke fiel und passive, verschlafene Züge hinterließ. Abrupte Stille herrschte in dem Zimmer, in dem bis vor kurzem noch das Leben getobt hatte, wenn Ace mal wieder hineinspaziert war, als ob es seine Kajüte sei, gefolgt von Thatch, der sowieso noch nie das Konzept der Privatsphäre verstanden hatte. Marco blinzelte, ließ dann jedoch die Sprechmuschel sinken, ehe er sie wieder zurücklegte. Stumm sah er zu, wie die Teleschnecke gähnte, bevor ihr die Augen zufielen und sie wieder einschlief, Marco daran erinnernd, wie spät es doch eigentlich war und dass er nicht die gesamte Nacht noch an seinem Schreibtisch sitzen und über Seekarten brüten konnte. „Gute Nacht“, murmelte Marco. Er rieb sich die Nasenwurzel und stand auf, wobei er nicht ganz sicher war, ob er Ace oder nicht doch der kleinen Teleschnecke eine angenehme Nacht wünschte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)