Die schwarze Witwe von SecretOfHistory (~von Frozen_Fairy) ================================================================================ Die schwarze Witwe ------------------ 1348 kam die Pest nach Norwegen. England hatte sie mitgebracht. Doch das wollte Norwegen nicht einsehen. Lukas Bondevik sah die Ursache immer darin, dass er eine Union mit Berwald zwangsweise führen musste. Sicherlich ging es ihm deswegen und aufgrund der andauernden Trennung zu Matthias so miserabel. Anders konnte es gewiss nicht sein. ~ Lukas lag im Bett und sein Gesicht war blass. Trotzdem glühte etwas unter seiner Haut und ihm war furchtbar schlecht. Natürlich redete er nur ein, sich unpässlich wegen der Union mit Berwald zu fühlen. Oder dass ihm die Distanz zu Matthias so zusetzte. Schweden hatte ihm verboten, ihn zu sehen. Doch nun war er am Ende. Die Menschen in seinem Land begannen reihenweise zu sterben. Dabei dachte er doch immer, dass er so stark sein würde. Doch nun konnte er nicht mehr. Die südlicheren Länder in Europa waren von je her schwach, da wunderte es ihn nicht mal, wenn dort so etwas passierte. Aber er – er war mal Wikinger gewesen… Und das hier war nur der Endpunkt an seiner sich seit etwas mehr als hundert Jahren dauerhaft verschlimmernden Situation… „VERDAMMTE SCHEIßE!“, schrie Lukas, sprang vom Bett auf und warf einen Kerzenleuchter gegen die Wand. Mehrere besorgte Bedienstete eilten zu ihm, um ihn zu stützen. Doch er schubste sie weg. „Berwald. Ich will mit ihm sprechen!“, forderte er und konnte beobachten, wie einer der Bediensteten verschwand. Im nächsten Moment wurde Lukas aber erneut von einem Schwächeanfall ergriffen. Er taumelte und sank zurück aufs Bett. ~ Als Berwald vor seinem Bett stand, hatte sich Lukas‘ Zustand bereits deutlich verschlechtert. Seine Züge waren bereits mehr vom Fieber gezeichnet und an seinem Hals befand sich eine rote Stelle. Schweden traute sich nicht, näher an das Bett heranzugehen. Er hatte seine Gründe, um auf Abstand zu gehen. Leider hatte er sich dafür verantwortlich gefühlt, mit Lukas zu sprechen. „Ich will Matthias sehen!“, verlangte Norwegen ohne Umschweife und blickte seinen Unionspartner direkt an. Doch dieser wich seinem Blick aus. Mythen besagten, man könnte sich auch durch Blickkontakt anstecken. Auch wenn das vielleicht reiner Unsinn war, man wusste schließlich nie. Berwald atmete tief durch. Eigentlich hatte er es strikt verbieten wollen. Aber nun war die Lage anders. Norwegen war krank. Und es war ihnen allen bekannt, wie tödlich diese Seuche bereits wütete und wie schlecht es vielen Ländern Europas ging. Also nickte er notgedrungen. „Versprich es mir!“, sagte Lukas und streckte ihm die Hand hin. Berwald nahm sie nicht. Er trat nur weiter zurück in den Schatten und ließ den Kranken allein. ~ Lukas spürte, wie kaum noch jemand zu ihm ins Zimmer trat. Er fühlte sich allein und verlassen. Ein Blick in den Spiegel erklärte ihm, warum. An seinem Hals hatte sich ein dickes rotes Geschwulst gebildet und unter der Haut im Gesicht zogen sich schwarze Verdunklungen entlang. Erschrocken verbarg er sein Gesicht hinter seinen Händen. Er war ein Monster geworden. Wütend ergriff er seine Kreuzspange und schleuderte sie auf den Boden. Seinen Glauben an Gott hatte er schon lange verloren. Plötzlich klopfte es an der Tür, was ihn zusammen zucken ließ. Erschrocken lugte er zwischen seinen Fingern hervor und erkannte Matthias, lächelnd trat er auf ihn zu und hob zunächst das Kreuz auf, das achtlos auf dem Boden lag. Lukas schluckte schwer. Er wollte sich ihm so nicht zeigen. „Hej, Lukas. Freut mich, dich wieder zu sehen. Ich hab dich echt vermisst!“, sagte der Däne anscheinend völlig sorgenfrei und gut gelaunt, während er weiter auf Lukas zuging. „Du Idiot!“, warf dieser ihm entgegen und schniefte leise. Die fröhliche Art von Matthias schaffte es, sein Innerstes zu berühren und doch wusste er nicht, was er jetzt tun sollte. Am liebsten würde er weinen, denn so hatte er sich ihr Wiedersehen nicht vorgestellt. „Ganz ruhig, was ist denn? Hast du geweint? Willst du mich nicht sehen? Was ist denn los mit dir?“, redete Matthias weiter auf Lukas ein und versuchte, die Hände von seinem Gesicht zu nehmen. Bis er es sah. Seine Augen weiteten sich und für einen Moment war er geschockt. Schweigen herrschte zwischen ihnen. Doch dann legte er den Arm um Norwegen, als ob es selbstverständlich wäre und begann ihn zu trösten. Vorsichtig steckte er sein Kreuz wieder zurück in die Haare und versprach ihm immer wieder, dass alles gut werden würde. Lukas konnte nicht zugeben, wie sehr er seine Nähe vermisst hatte und gerade jetzt brauchte er sie am nötigsten. Sanft schmiegte er sich an ihn und eine kleine Träne huschte über seine Wange, weil er sich trotz allem so um ihn kümmerte, obwohl er es doch nichtmals verdiente. Leider währte der Moment ihrer Zweisamkeit nur kurz. Denn Berwald trat ein und auf seinem Gesicht lag ein noch finsterer Blick als sonst. „Du-“, setzte Matthias bereits an, doch er wurde unterbrochen. „Wahnsinniger. Willst du dich anstecken?“, war alles, was Schweden sagte und im nächsten Moment wurde Dänemark aus dem Zimmer verwiesen, das von nun an wieder abgeriegelt wurde. ~ Matthias durfte Lukas nicht wieder sehen. Zuvor war ihm das auch verboten gewesen, aber nun war Lukas krank. Und er wusste, dass er nichts für ihn tun konnte. Seine Sorgen um ihn würden niemals verschwinden, und auch, wenn er sich nicht an der Krankheit angesteckt hatte, litt sein Herz unendliche Qualen. So begann er seine Sorgen in Alkohol zu ertränken, um den Schmerz ein wenig zu betäuben. Nochmals hatte er es versucht, aber ihm war jeglicher Zutritt verwehrt worden. So saß er in einem Wirtshaus und gab sich den Rest. Bis auf einmal eine schmale Person im schwarzen Kleid eintrat. Anscheinend eine Witwe. Matthias wollte es oft nicht wahrhaben, was um ihn herum passierte, aber allmählich bekam er die Folgen der Krankheit immer mehr mit. Überrascht zog er jedoch die Augenbraue hoch, als die Person direkt auf ihn zukam. Langsam kamen ihm die Proportionen bekannt vor, bis er Bestätigung in den Gesichtszügen fand. „L-Lukas…“, stammelte er überrascht und sprang vom Stuhl auf. Doch sein Gegenüber schüttelte nur den Kopf. „Nein, ich bin nicht Lukas“, erwiderte die Person und Matthias fragte sich bereits, ob ihn alle Sinne täuschten. „Lukas liegt im Sterben. Ich weiß warum. In dieser Zeit überleben nur Optimisten“, fuhr die schwarzgekleidete Gestalt fort, lächelte unschuldig und legte eine Hand auf Matthias‘ Schulter. Dieser blinzelte irritiert, konnte aber nicht umhin, die Augen von diesem Jemand zu lassen, der Lukas so ähnlich sah. „Wer bist du?“, fragte er immer noch leicht fassungslos. „Ein anderer Teil von Norwegens verdorbener Seele“, erwiderte sein Gegenüber wahrheitsgemäß und lächelte leicht, „Nenn mich Prinsesse oder Fee.“ Seine Hand wanderte Dänemarks Arm entlang, welcher nur verunsichert schaute – denn es waren die Kosenamen, die Lukas immer so vehement abgelehnt hatte. „Ich bin betrunken, oder?“, fragte Matthias nachdem er sich wieder halbwegs gefasst hatte, verstört. Er hatte Angst. Angst vor der Krankheit, Angst, dass sein Lukas sterben würde, Angst vor dieser Person, die so gar nicht wie Lukas war und die vielleicht drohte, ihn zu ersetzen, falls er dahinschwand – Matthias konnte nicht mehr klar denken. „Vielleicht. Das darfst du aber auch in Zeiten, wie diesen“, sagte die dunkle Fee und lächelte liebevoll. „Du darfst alles machen, was du willst. Es ist keine Sünde vor Gott. Immerhin existiert er vielleicht gar nicht und am Ende steht nur der schwarze Tod. Mein Freund und ein lieber Verbündeter sind auch erkrankt. Sie glaubten an das Schlechte und es wird ihnen widerfahren. Ich habe nichts mehr zu verlieren. Und du?“ Matthias nahm noch einen Schluck, dann atmete er tief durch. „Ja. Ja, du hast Recht“, erwiderte er schließlich, doch konnte er Lukas einfach so abschreiben? Vielleicht tat er das gar nicht und vielleicht war die schwarze Fee ja doch Lukas? Ob er es herausfinden sollte? Weiterer Alkohol und der fortdauernde Anblick des so süßen Lächelns nahm ihm jeden Zweifel, als er seine Prinsesse letztendlich auf den Arm nahm und sich mit ihr im Nebenzimmer im Schwindel der Lust verlor. ~ „Du bist wunderschön, Prinsesse“, ein verkatertes Kompliment von Matthias‘ Lippen ließ seine neue Liebschaft kichern. Lukas war vergessen. Die Kranken wurden sich selbst überlassen und die Gesunden verfielen auch einer Krankheit: Paranoia, vermischt mit Gleichgültigkeit und Wahnsinn. Der Tod konnte jeden erreichen und niemand war davor sicher. Also versuchte man so lange man konnte, noch das zu tun, was man schon immer mal wollte. Es gab keine Gesetze mehr und die Moral verfiel. Für einen Moment betrachtete Dänemark verwirrt den Ehering, an der Hand, die er in der seinen hielt. Die Hand wurde ihm plötzlich entzogen - eine kleine Bewegung und der Ring verschwand vom Finger und landete in einem kleinen schwarzen Lederbeutel auf dem Nachttisch. „Was denn? Du weißt doch, dass ich eigentlich eine Union mit Schweden habe?“, hörte er sein Gegenüber sagen und blickte ungläubig. Wer war das und was hatte er mit Lukas gemacht? „Aber du bist-“, setzte er an, kam jedoch nicht weiter, denn ein Finger legte sich sanft auf seine Lippen. „…vielleicht bald verwitwet“, mit diesen Worten wurde er auch schon in einen Kuss gezogen und konnte nicht widerstehen, diesen innig zu erwidern. ~ Bald tauchte Matthias mit der schwarzen Prinsesse unter. Nur wenn man sich möglichst von anderen Menschen fernhielt, konnte man die Krankheit umgehen, so sprachen die Ärzte. Die beiden bereicherten sich nun an dem, was andere zurückgelassen mussten, nachdem sie das Zeitliche gesegnet hatten. Als die Pest ab 1350 schließlich auch in Kopenhagen grassierte, gab es Verwaltungsprobleme aufgrund des Bevölkerungsrückgangs. Außerdem hatte Dänemark sich seiner Verantwortung entzogen. Matthias glaubte, dass er im Nachhinein vielleicht Ärger von seinem König bekommen würde, doch es würde sich ohnehin alles ändern. Nach allem, was er erlebt hatte, versank er nun in eine schwarze Dunkelheit und die dunkle Fee zog ihn immer tiefer mit hinein. ~ Einen Blumenstrauß an die Brust gedrückt lief Lukas‘ dunkles Spiegelbild eines Tages durch die verlassenen Straßen Oslos. Auf irgendeine Weise musste man den Geruch von Tod und Verwesung ja übertünchen. Doch plötzlich wurde es festgehalten und in eine Seitenstraße gezerrt. „Matthias!!“, ein hoffnungsloser Schrei glitt über die schmalen Lippen, doch dieser würde ihn nicht hören, immerhin war er noch zuhause. Das kleine schwarze Herz schlug so schnell vor Angst, nun einen Tod anderer Natur zu erleiden. Doch dann erkannten die großen Augen, wer vor ihnen stand. „Halt die Klappe, er kann dich hier nicht hören“, erklang eine tiefe Stimme und ein leises Lachen folgte, „hast du vergessen, dass wir verheiratet sind?“ „Oh Gott, du bist ja voller Narben! Es tut mir leid, ich dachte-“, die Entschuldigung konnte nicht vollendet werden, denn eine schallende Ohrfeige unterbrach sie. Die vermeintliche Witwe hielt sich die Wange und Tränen traten in ihre Augen, welche den Weg über ihr Gesicht fanden, als der anscheinend wieder kerngesunde Unionspartner das schmale Handgelenk stärker umfasste. „Ich habe die Pest überlebt. So auch andere. Die Krankheit wird vorüber gehen. Du hast dich lange genug auf ihre Kosten amüsiert“, sagte der bereits Todgeglaubte und ließ Norwegens Seelensplitter keine Wahl als ihm zu folgen – zurück in ihre Welt. ~ Währenddessen wartete Dänemark im Haus auf die Rückkehr seiner Prinsesse, aber sie kam nicht wieder. Er konnte es nicht verstehen, zumal die Krankheit überall langsam zurückging. Ebenfalls konnte er nicht einschätzen, was passiert war. Wo war sie hingegangen? War sie denn nur dagewesen, um ihm über den Kummer hinweg zu helfen? Letztendlich blieb ihm nichts anderes übrig, als aus dem schwarzen (Alb)Traum wieder zurück zu kehren und sich der Realität zu stellen. Er musste es lernen, mit der Krankheit zu leben, sie könnte vielleicht wieder kommen. Zum Glück waren die Verluste nicht so schlimm. In Norwegen hatte die Epidemie schlimmer gewütet. Lukas lag immer noch im Bett, erholte sich aber zusehends. Er hatte furchtbar abgenommen. Um wieder gesund zu werden, brauchte er Zeit. Die Einsamkeit hatte sein Herz erkalten lassen. Das was blieb, war im Grunde das gleiche wie zuvor, nur anders. Die Union mit Schweden ertrug er von nun an stoisch. Es gab vielleicht einen Tag, an dem er Matthias wieder sehen würde. Falls einer der beiden das wollte. ~ Ab diesem Zeitpunkt hab es immer wieder weitere Pestepidemien. Glücklicherweise wütete keine so sehr wie der schwarze Tod. Die schwarze Witwe kehrte nie wieder zurück. Stattdessen wurde 1363 eine neue Hochzeit gefeiert. Norwegens Prinz und Dänemarks Königin heirateten und so gingen auch Norwegen und Dänemark eine Union ein. Es war das, was sie sich insgeheim schon lange gewünscht hatten. Keine erzwungene Union wie die mit Schweden, sondern eine Union aus Liebe. Lukas zeigte es nur dezent, aber als Matthias endlich seine Hand hielt, war er mehr als glücklich. Nun war alles gut. Zusammen würden sie sich nicht unterkriegen lassen, so viel war sicher. Auch nicht von der Pest. Als sie mit der Hochzeitsprozession durch die Stadt fuhren, sahen sie eine weitere, ebenfalls mit Blumen geschmückte Kutsche vorbei fahren. Das Lächeln daraus erinnerte Matthias an jemanden – und als sie näher hinsahen, glaubten sie für einen Moment ihre Spiegelbilder darin zu sehen. Ein verliebtes Paar - ihnen wie aus dem Gesicht geschnitten. Doch dann war die Kutsche auch schon verschwunden. Für einen Moment blickten sich die beiden ratlos an – bis Matthias Lukas einfach über die Wange streichelte und ihn in einen sanften Kuss verwickelte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)