Hunter of Darkness von Plotchaser (Schattenspiel) ================================================================================ Kapitel 1: Eins --------------- „Angsthase, Pfeffernase! Morgen kommt der Osterhase!“, der Spruch hallte immer und immer wieder von den Wänden des Rohres vor mir zurück und verfing sich in einem Echo in der Dunkelheit darin. Wobei ich nicht sagen konnte, ob das Gehänsel oder das Gekicher der anderen Kinder, über meine Angst, schlimmer war. Doch noch bevor ich darüber nachdenken konnte, wurde es plötzlich still. Als ich den Blick umwandte – weg von dem dunklen Loch vor mir – erkannte ich, dass der größte Junge dafür gesorgt hatte. Mit einem schiefen Grinsen ging er auf mich zu, wobei sein Blick auf das Loch gerichtet blieb. „Willst du den anderen nicht beweisen, dass du gar kein so großer Angsthase bist, wie sie denken? Du brauchst dafür nur hinein zu klettern. Und wenn du drinnen bist, bleibst du einfach 5 Minuten dort.“ Zögernd richtete nun auch ich wieder den Blick auf das Loch und musterte es eingehend. Eigentlich war es ein großes, altes Rohr. Vielleicht war es mal ein Abwasserrohr oder ein Belüftungsschacht oder so etwas ähnliches gewesen. Jedenfalls führte es in ein altes, leerstehendes Fabrikgelände, das mitten im Wald lag. Der Durchmesser des Rohres war größer, als ich es war. Mit meinen 14 Jahren war ich knapp einen Meter sechzig, wenn ich mich auf die Zehenspitzen stellte. Also, ohne zu mogeln, einen Meter sechsundfünfzig. Und wenn ich mit meiner kleinen Gestalt durch dieses Rohr hindurch kriechen würde, hätte ich noch genug Platz zum Wenden. Doch diese Finsternis, in die es gehüllt war, machte mir Angst. Trotz des hellen Tageslichtes um uns herum, war es in dem Loch stockfinster. „Glaub' mir! Nach diesen 5 Minuten wird dich niemand mehr ärgern!“, raunte der Junge mir zu, was mich misstrauisch den Blick meiner strahlend blauen Augen zu ihm anheben ließ. Auch wenn ich ein Mädchen war, so hatten die anderen Kinder in dieser Kleinstadt nie einen Unterschied gemacht. Ein Mädchen musste hier die selben Mutproben bestehen, die auch ein Junge machen musste, wenn er akzeptiert werden wollte. Und da ich erst seit wenigen Wochen hier wohnte und Freunde finden wollte, hatte ich diese Aufgabe zu bewältigen. „Na, komm' schon, Kris. Trau dich. Wir alle waren schon dort drinnen.“ In seinen Augen konnte ich nichts von einer Lüge erkennen, doch hieß das nicht, dass er die Wahrheit sprach. Trotzdem schluckte ich heftig gegen den Kloß in meiner Kehle an und nickte, ehe ich endlich die Hände auf das Metall legte und mich hoch stemmte, um in die Röhre zu klettern. „Fünf Minuten...?“, vergewisserte ich mich leise, während ich noch ein wenig zögerte. Doch der Junge grinste nur und nickte. „Ja, 5 Minuten. Und wir werden dich dann rufen, damit du zurück kommen kannst.“ Ich atmete noch einmal tief durch, ehe ich endlich den langen Weg entlang kroch.   Schon nach wenigen Metern konnte ich nichts mehr um mich herum erkennen. Tasten war das einzige, das mir den Weg deuten konnte. Nach einigen hundert Metern wurden die Stimmen der anderen bereits undeutlich und leise. Als unter mir die Röhre ein leises Knacken von sich gab. Erschrocken hielt ich inne, doch war das Knacken verstummt. Zitternd strich ich über das Metall, doch konnte ich keinen Riss spüren, weshalb ich mir einredete, dass das Knacken nur Einbildung gewesen sein musste. Also krabbelte ich langsam weiter. Doch keine 2 Meter weiter knackte es erneut und mit einem Mal brach der Boden unter mir weg. Mit einem erschrockenen Aufschrei stürzte ich in die Dunkelheit und kam äußerst unsanft auf.   Da mir der Kopf wie benommen schwirrte, schätzte ich, dass der Fall wohl doch recht tief gewesen sein musste. Aber immerhin tat mir sonst nichts außergewöhnlich weh, weshalb ich es mich wagte, mich auf zu setzen. Dumpf drangen die Stimmen und das Gelächter der anderen Kinder an meine Ohren. Sie gingen davon aus, dass mich eine Ratte erschreckt hätte. Wenn die wüssten... Doch da ich nicht als Angsthase dastehen wollte, biss ich die Zähne zusammen. Ich würde nicht um Hilfe rufen. Ich würde hier ganz alleine heraus kommen und in 5 Minuten würden sie sehen, dass ich kein Angsthase war!   Vorsichtig tastete ich mich zu einer Wand hinüber und stützte mich an dieser ab, während ich aufstand. Es war so finster, dass ich um mich herum rein gar nichts erkennen konnte. Nur die scharfe Kante des Rohrs, aus dem ich herausgefallen war, war durch einen kaum merklichen Lichtschimmer erhellt. Vermutlich spielte die Sonne von draußen mit den brüchigen Rändern des Rohres. Wehmütig verzog ich die Lippen zu einem Lächeln. Wie gerne wäre ich doch jetzt auch dort draußen im Licht der Sonne. Achtsam schob ich einen Fuß vor den anderen, während ich das Loch fixierte. Erst als ich direkt darunter stand, gab ich die Hoffnung auf, es ohne irgendetwas, auf das ich mich stellen konnte, dort hinauf zu schaffen. Also ließ ich seufzend den Blick wieder sinken und blinzelte in die Dunkelheit. Ob es hier wohl etwas nützliches gab? So schnell würde ich nicht aufgeben. Weshalb ich ein paar Schritte von der Wand weg machte, in dem Versuch, die gegenüberliegende Wand zu erreichen. Doch noch bevor ich die andere Seite erreichte, stieß ich mir heftig das Schienbein an etwas, das wohl eine alte Weinkiste war. Zumindest fühlte sie sich unter meinen Fingern danach an, als ich sie – mit schmerzverzerrtem Gesicht und Tränen in den Augen – betastete. Stolz darüber, dass ich nicht erneut aufgeschrien und gleichzeitig etwas gefunden hatte, das mir helfen konnte, nickte ich mir selbst zu. Dann zerrte ich die Kiste unter das Rohr.   Erneut stand ich also unter dem Loch und starrte zu dem diffusen Licht auf, während ich tief durchatmete. Ich würde das schaffen, da war ich mir sicher. Also rückte ich noch einmal die Kiste gerade und stieg langsam darauf. Kaum hatte ich mein Gleichgewicht gefunden, stellte ich mich auf die Zehenspitzen und reckte mich nach oben. Doch kamen meine Fingerspitzen nicht an den Rand heran, was mir erneut die Tränen in die Augen trieb. Verzweifelt ließ ich mich wieder auf die Fersen nieder, ehe ich leicht die Knie beugte und von der Kiste ab sprang. Ich hörte, wie die Holzkiste umkippte. Ich spürte, wie mir der bröselnde Metallrand in die Finger schnitt, als ich ihn zu fassen bekam. Dann hörte ich nur noch ein kratzendes Geräusch, wie von Hundepfoten auf Betonboden. Und spürte einen fürchterlichen Schmerz, der von meinem Genick ausgehend in meinem ganzen Körper explodierte. Ein Schmerz, der mich entsetzlich aufschreien ließ.   Während mein eigener Schrei noch in meinen Ohren verhallte, fand ich mich plötzlich auf einer wunderschönen Wiese wieder. Mein Blick wurde wie magnetisch in die Ferne gezogen. Direkt zu einer strahlenden Brücke. Eine Brücke, zu der ich unbedingt hin wollte. Alles in mir zehrte danach.   Doch kaum dass ich aufgestanden war, um auf die Brücke zu zugehen, und einen Fuß nach vorn gesetzt hatte, riss etwas unsichtbares mich nach hinten und ich war zurück in der Finsternis. Mein Blick fiel nun nicht mehr auf die Brücke, sondern auf meinen eigenen Körper. Oder besser gesagt: meinen leblosen Körper, dessen Kopf unnatürlich zur Seite verdreht war. Erschrocken stolperte ich zurück und schlug mir eine Hand vor den Mund, während ich auf meinen Körper hinab schaute. Doch wurde mein Blick dann auf ein Wesen gezogen, das von schwarzem Nebel umhüllt war. Es hatte einen hundeähnlichen Körper und war mindestens so groß wie eine Deutsche Dogge. Doch besaß es keine Augen. Stattdessen drehten sich die großen Ohren immer wieder in eine andere Richtung und seine Schnauze schwenkte hin und her, als ob es nach etwas schnuppern würde. Geifernd lief das Wesen um meinen Körper herum, wobei es ab und an stehen blieb und wütend nach meinem Körper schnappte und daran zerrte, wenn es nicht den gewünschten Effekt erzielte.   Entsetzt starrte ich das Wesen an, während Tränen mein Gesicht hinunter perlten und meine Knie unter mir nachgaben. Bis mich der anfängliche Schock soweit frei ließ und ich endlich den Mund auf bekam. „Hör... Auf... Lass'... Lass' das...“, meine Stimme war ein kaum vernehmbares Jammern und Schluchzen. Doch das Wesen schien es sehr wohl zu hören, denn es hob den Kopf ruckartig an, wobei die schlaffe Hand meines Körpers aus seinem Maul heraus fiel. Mit weit aufgerissenen Augen starrte ich es an und beobachtete, wie es über meinen Körper hinweg stieg, um auf mich zu zugehen. Und gerade, als es sich schließlich sicher war, wo ich saß und sich auf mich stürzen wollte, traf ein Lichtstrahl auf das Wesen und es war einfach verschwunden.   „Oh Gott...! Kris! Kris, sag' doch was! Scheiße...!“, die Stimme, des Jungen, der nachschauen gekommen war, wo ich so lange blieb, war vor Panik so schrill, dass ich sie nicht zuordnen konnte. Und auch, als er wieder aus der Röhre heraus gekrabbelt war, war das Stimmgewirr undefinierbar, um zu erkennen, wer was sagte. „Scheiße, man! Die Röhre ist eingebrochen! Sie liegt dort unten! Sie liegt einfach nur da...! Sie... Sie...“ - „Oh Gott!“ - „Lebt sie noch?“ - „Was sollen wir machen?“ „Hilfe...! Wir müssen Hilfe holen!“   Während die Stimmen draußen wieder leiser wurden, ertönten genau hinter mir Schritte. Heftig zuckte ich zusammen, darauf gefasst, gebissen zu werden. Doch legte sich stattdessen sanft eine Hand auf meine Schulter. Vorsichtig hob ich den Blick an und schaute in ein mitleidiges Gesicht, das auf meinen reglosen Körper schaute. Seine langen, schwarzen Haare fielen glatt über seine Schultern nach vorn. „Bist du nicht eigentlich noch zu jung, um so zu sterben?“ Verwirrt glitt mein Blick wieder zurück zu meinem Körper. Ich hatte diese Erkenntnis bis jetzt verdrängt... Ich war tot. Wirklich, richtig tot. Dieses Ding hatte mich getötet, nachdem ich den Absturz überlebt hatte. Ich. War. Tot. Schockiert starrte ich auf meinen leblosen Körper, als mir die Schwere der Worte wirklich bewusst wurde und erneut Tränen über mein Gesicht strömten. „Du bist doch gerade erst 14 geworden, richtig?“ Langsam nickte ich mit dem Kopf, was eher mechanisch von mir kam. Doch da er nicht weitersprach, war ich dazu gezwungen, den Blick wieder zu ihm an zu heben. Sein Blick ruhte wissend auf mir, nicht mehr auf meinem Körper, als ob er auf eine Frage warten würde. Und irgendwie überzeugte mich dieser Blick sogar, den Mund auf zu machen. „Was... Was war das... für ein Vieh...?“ „Das war ein Soul Crusher. Ein Wesen der Finsternis.“, kam seine Antwort mit einem bekräftigenden Nicken. „Es... Es hat mich von dort zurück geholt...“ Sanft lag sein Blick einen Moment auf mir. „Ja, das hat es. Es tötet, um die Seelen der Menschen zu verzehren, was ihm Kraft verleiht. Doch dafür muss es die Seelen aus der Zwischenwelt zurück holen.“ „Ich... Ich kann nicht wieder dorthin... zurück... oder...?“ Bevor er antwortete, lag sein Blick lange auf mir. Wobei seine zartblauen Augen irgendwie traurig wirkten. „Nein, das kannst du nicht. Es hat dich von dort zurückgeholt und dir die Möglichkeit genommen, von dort aus, über die Brücke, ins Jenseits zu gehen. Aber...“ Gerade als ich den Blick betrübt abwenden wollte, lockte er meine Aufmerksamkeit wieder an. „Es gibt eine Möglichkeit, wie du wieder in deinen Körper zurück und weiterleben kannst.“ Er hatte den Satz kaum beenden können, da war ich auch schon aufgesprungen und klammerte mich an dem Mann fest. „Wie? Wie kann ich das?“ Erneut wurde sein Blick bedauernder. „Es hat seinen Preis, wenn du zurück gehst. Wenn du dich dazu entscheidest, wirst du zu einem 'Jäger'. Ein sogenannter 'Hunter'. Womit du dazu verpflichtet bist, in unserem Auftrag, Wesen der Finsternis zu jagen und zu vernichten. Jedoch nicht sofort. Erst in ein paar Jahren, wenn du älter bist.“ Während er gesprochen hatte, hatte ich ihn wieder los gelassen und war ein paar Schritte zurück gegangen, um wieder auf meinen Körper hinab zu schauen. „Kann ich... Kann ich andere dadurch retten...?“ „Vielleicht nicht alle, aber viele schon.“ Er ließ mir Zeit, das Für und Wider abzuwägen und drängte mich zu keiner Antwort. Und das war gut so. Denn so konnte ich unvoreingenommen eine Entscheidung über mein künftiges Schicksal treffen. „Ich... Ich tu's... Ich will wieder leben... Ich werde ein 'Hunter' sein... Wenn ich andere davor bewahren kann, dieses Schicksal zu teilen...“ Mit ernstem Blick wandte ich mich wieder zu dem Mann um, damit er den Entschluss in meinen Augen lesen konnte. „Ich werde ein Hunter.“ Langsam nickte der Schwarzhaarige. „Wie du willst. Wir werden uns dann wiedersehen.“ Und kaum hatte er das gesagt, war ich auch schon wieder zurück in meinem Körper. Meinem eiskalten Körper, der von Blut durchtränkt war. Gerade noch rechtzeitig, bevor von draußen die Sirenen von Krankenwagen und Feuerwehr ertönten und die Rettungskräfte mich bergen konnten.   Und so bin ich damals gestorben. Auch wenn ich seither wieder in diesem Körper bin, so ist es doch anders als früher. Seit ich diese – sogenannte – Nahtoderfahrung hatte – was viel mehr ein wirklicher, echter Tod war –, sind meine Sinne geschärft. Wenn ich so darüber nachdenke, hatte ich schon damals, bevor ich zurück in meinen Körper gekommen bin, in dieser totalen Finsternis, etwas sehen können. Was vor meinem Tod unmöglich gewesen war. Das hat sich bis jetzt, die letzten beinahe 3 Jahre über gehalten. Doch ist das nicht das einzige. Ich höre auch besser. Und ich spüre die Gegenwart von Menschen und anderen 'Wesen' in meiner unmittelbaren Umgebung. Wobei ich mich mehr auf diese Wesen konzentrieren kann, seit ich einen kleinen Begleiter bekommen habe. Kapitel 2: Zwei --------------- Eines Tages stand er einfach vor mir. Ich hatte gerade meinen Freigang und spazierte durch einen der Gärten der Anlage, da miaute er mich an. Ich sah gleich, dass das tierähnliche Wesen keine schwarzen Rauchschwaden um sich hatte, wodurch ich wusste, dass es sich nicht um eines dieser gefährlichen Finsternis-Wesen handelte. Doch dachte ich zu erst noch, er würde mir Ärger machen wollen, wie die anderen Zwielicht-Wesen, denen ich bisher begegnet war. Doch als er mich nur abwartend musterte, begriff ich, dass das kleine, katzenartige Wesen mit den zwei Schwänzen mir nichts tun wollte. Nein, ganz im Gegenteil: Es war einsam und suchte jemanden, bei dem es bleiben konnte. Und da ich es sehen und hören konnte, erhoffte es sich vermutlich, dass ich eben diese Person war. Zu seinem Glück stimmte das auch. Denn wie hätte ich so gemein sein können, wenn ich diese Einsamkeit doch selbst kannte? Immerhin war ich zu diesem Zeitpunkt seit einem Jahr nicht mehr 'normal.' Und somit hatten auch die anderen Kinder sich von mir Freak entfernt, nachdem meine Mom mich auch noch in diese Psychiatrie gesteckt hatte. Also rang ich meine Angst nieder und ließ es zu, dass dieses kleine, quirlige Wesen mich für immer in Beschlag nehmen würde. Und auch heute noch war ich froh darüber, dass ich mich für Mishka und gegen unser beider Einsamkeit entschieden hatte.   Mittlerweile waren erneut fast 2 Jahre vergangen. Nur noch wenige Tage trennten mich von meinem 17. Geburtstag, als mir der Mann von damals erschien.   Eigentlich lag ich ja gerade gemütlich auf meiner Couch – so wie jeden Tag nach der Schule, wenn ich dann so etwas wie 'Freizeit' hatte – und streichelte beim Fernsehen Mishkas weiches Fell, als plötzlich das Bild flackerte und der Fernseher aus ging. Just in diesem Moment begann Mishka tief und bedrohlich zu Grollen. Mit fragendem Blick setzte ich mich kerzengerade auf, als der Mann von damals auftauchte. Derjenige, der mir mein Leben zurück gegeben hatte. Mit kritischem Blick musterte ich ihn, womit ich zu überspielen versuchte, dass ich ihm vor Schreck beinahe die Fernbedienung an den Kopf geworfen hätte. Er sah noch immer so aus, wie vor beinahe 3 Jahren. Ich hätte wetten können, dass seine Haare sogar die selbe Länge hatten, wie damals, wenn ich sie nun nachgemessen hätte. Nur eines war anders: Sein Blick. Er war vorsichtig und aufmerksam auf mich geheftet. Ganz so, als ob er sich nicht sicher wäre, wie ich auf ihn reagieren würde. Okay, ich wäre mir an seiner Stelle auch nicht so sicher. Denn, wäre ich schreckhafter gewesen, hätte er wirklich eine Fernbedienung mitten im Gesicht gehabt. Doch dies wollte ich ihm ja verschweigen, weshalb ich ihn abwartend anschaute und Mishka sanft an mich drückte, da er verunsichert war. Seiner Reaktion nach schien er Unheil zu erwarten, als der Schwarzhaarige endlich den Blick auf ihn richtete, während ich herausfordernd mein Kinn nach vorn reckte. Wenn wirklich etwas passieren sollte, musste er mich als Gegner sehen und nicht ihn. Jedoch wanderte sein Blick dann nach einer Weile wieder zurück zu meinen blassblauen Augen. „Du hast dich also mit einem Wesen des Zwielichts angefreundet“, stellte er dann fest, ohne es zu kritisieren oder zu loben. Auch wenn ich nicht wusste, was ich davon halten sollte, so beruhigte es mich doch, dass er endlich mit mir sprach, weshalb ich den Griff um Mishka lockerte. Er schien Mishka nichts anhaben zu wollen, also stand ich auf, während der Kater auf meine Schulter sprang. „Wir haben uns gegenseitig gebraucht“, war das einzige, das ich ihm zur Antwort gab. Mehr wollte ich ihm nicht darüber preis geben, wieso ich Mishka damals gebraucht hatte. Er musste nichts von der Psychiatrie wissen, also verschränkte ich abwehrend die Arme vor der Brust. „Aber, wegen Mishka sind Sie nicht hier, sonst wären Sie schon früher her gekommen. Also? Ist heute der Tag? Soll ich jetzt meinen Teil der Vereinbarung erfüllen?“ Unwillkürlich krallte ich meine Finger in meine Arme. Ich war verunsichert und das hörte man meiner leicht aufgekratzten Stimme auch an. „Ganz ruhig, Kristina. Du brauchst dich von mir nicht angegriffen fühlen und du musst mich auch nicht Siezen“, er lächelte beruhigend auf mich hinab. „Heute ist noch nicht der Tag. Heute ist nur der erste Tag der Vorbereitung. Aus diesem Grund bin ich hier.“ Überrascht hob ich beide Augenbrauen an. „Der erste Tag der Vorbereitung? Was soll das heißen?“ Skeptisch wechselte ich einen Blick mit Mishka, der nur für diese, eine Sekunde unseren Gegenüber aus den Augen ließ. „Du bist kein ausgebildeter Hunter, Kristina. Wenn du nicht einfach von einem Wesen der Finsternis angegriffen werden willst, musst du einiges lernen.“ „Und wann soll ich das tun, so ganz neben dem College?“ Nachdenklich schweifte mein Blick zur Seite. „Genau im Anschluss an dieses.“ Kaum hatte der Schwarzhaarige das gesagt, zuckte ich zusammen und schüttelte heftig mit dem Kopf. „Nein, das geht nicht. Das wird meine Mom niemals erlauben. Seit ich damals eingebrochen bin, meint sie unentwegt auf mich aufpassen zu müssen. Ich darf nicht mal schulische AGs nach dem Unterricht besuchen.“ Mit einer angehobenen Augenbraue lächelte er mich beruhigend an. „Du hast dein eigenes Leben, Kristina. Deine Mutter hat dir da nicht rein zu reden. Versuch ihr den Unterricht als AG zu verkaufen. Du bist gerade erst ans College gewechselt und kannst Zusatzaufgaben gut gebrauchen. Und wenn sie doch abschlagen sollte, dann kann ich ja ein Wörtchen mit ihr reden.“ Verwirrt wanderten meine Augen an seinem Körper nach unten, ehe ich ihm wieder in die Augen schaute. „Wie heißt du eigentlich? Ich kann ja schlecht sagen, dass 'der seltsame Kerl, der mir damals mein Leben zurückgegeben hat und mit dem ich eine geheimnisvolle Vereinbarung getroffen habe' eine AG an meinem College führt.“ Das Lächeln meines Gegenübers wurde zu einem schiefen Grinsen. Er schien die Bezeichnung 'seltsamer Kerl' amüsant zu finden, doch äußerte er sich nicht weiter dazu. „Sag' ihr einfach, dass es eine AG zum Umweltschutz ist. Und mein Name ist Chester Nightfield.“ Interessanter Name für einen Mann, der mit schulterlangen schwarzen Haaren und ebenso schwarzem Mantel in meinem Zimmer stand. Doch versuchte ich über sein mysteriöses Aussehen nicht weiter nach zu denken und nickte seufzend. „Ich werde es versuchen. Aber ich habe keine große Zuversicht.“ „Schon okay. Dann sehen wir uns so in einer Stunde?“ Etwas überrumpelt von dem knappen Zeitplan und der wenigen Vorbereitungszeit auf dieses Gespräch, starrte ich Chester einen Moment lang nur an. Doch schien ihm das Antwort genug zu sein, denn im nächsten Moment war er auch schon spurlos verschwunden. Überrascht zuckte ich nach hinten und blinzelte mehrmals, ehe ich auf den Fleck starrte, an dem er soeben noch gestanden hatte. Es war eine Sache, wenn er aus dem Nichts heraus einfach auftauchte, aber eine ganz andere, wenn er direkt vor meinen Augen verschwand. Kapitel 3: Drei --------------- Seufzend ging ich in meinem Zimmer auf und ab und überlegte mir einen Weg, wie ich meine Mutter vorsichtig darauf ansprechen konnte. Es war ja schön und gut, dass Chester so viel Vertrauen in mich hatte, dass ich das alleine geregelt bekommen würde, nur kannte er meine Mom nicht. Als ich endlich genug Mut gesammelt hatte, seufzte ich erneut und blieb stehen. „Mishka, du bleibst hier oben. Sicher ist sicher...“ Er wusste, wie ich das meinte und gab ein mürrisches Grollen von sich. Warnend blickte ich auf den Kater hinab, der neben der Tür saß und mich bis jetzt beim auf und ab tigern beobachtet hatte. „Du weißt, wie sie ist. Mich wird sie schon nicht umbringen, doch kann ich das Gleiche nicht auch für dich garantieren, da sie dich ja noch nicht einmal sehen kann.“ Bei meinem Glück würde sie etwas werfen und Mishka das Genick brechen. Erneut seufzte ich schwer, als ich mich endlich der Tür zuwandte und mich dem Unvermeidlichen entgegen stellte.   Als ich die Küche betrat, war meine Mom gerade dabei, Gemüse klein zu schneiden. Bei dem Anblick des Messers wurde mir unwillkürlich schlecht, doch biss ich die Zähne zusammen. Augen zu und durch, redete ich mir selbst gut zu, während ich tief durchatmete. Sie wird mir schon nichts tun... Doch war ich mir da nicht so sicher, weshalb ich im Türrahmen stehen blieb. „Mom?“ Sie drehte sich gar nicht erst zu mir um, als sie mich fragte, was ich von ihr wollte. „Ich muss mit dir reden.“ Und mit diesem Satz zog ich den Splint aus der Granate, während ich auf einem hauchdünnen Drahtseil über einem Abgrund zu balancieren versuchte. Zumindest fühlte es sich für mich genau so an, als ihr Griff um das Messer sichtlich fester wurde, sodass ihre Knöchel weiß hervor stachen. „Was willst du, Kristina?“ Noch war ihre Stimme beherrscht ruhig, doch spürte ich es in ihr brodeln. Ich hätte meine Satzstellung besser überdenken sollen. „Ich möchte mit dir reden, das hab' ich doch eben gesagt, Mom“, sagte ich nun etwas kleinlauter und mit eingezogenem Kopf. Immerhin bewegten sie diese Worte dazu, sich endlich zu mir umzudrehen und mich beim Reden anzusehen. „Werd' nicht frech, junge Dame!“ Mit dem Messer deutete sie auf mich und ich zuckte automatisch zusammen, als hätte sie mich damit direkt berührt. Natürlich trennten uns einige Schritte voneinander, die ich in weiser Voraussicht zwischen uns aufrecht hielt. „Ich bin nicht frech, ich wollte nur, dass du mich ansiehst, Mom. Ich möchte gerne etwas wichtiges mit dir besprechen.“ Selbst in meinen eigenen Ohren klang meine Stimme vollkommen verängstigt und kein bisschen stark, so wie ich es gerne gehabt hätte. „Und was willst du denn jetzt so wichtiges besprechen? Ich bin am Kochen, das siehst du doch!“ Wenn ich mich noch kleiner hätte machen können, dann hätte ich es unter ihrem warnenden Blick auch getan. Seit wann war ich auch so hirnverblödet, dass ich mich wagte meine Mom anzusprechen, wenn sie eine potenzielle Waffe in der Hand hielt? Wobei, eigentlich war alles in ihrer Reichweite eine Waffe, sobald ich etwas ansprach, das ihr nicht passte. Und ihr passte so ziemlich gar kein Thema, das ich auch nur zu denken wagte. Dennoch schluckte ich den dicken Kloß in meinem Hals herunter und hob den Kopf wieder etwas weiter an. „Ich wollte dich fragen, jetzt, wo ich am College bin, ob ich eine AG besuchen könnte. Ein Freund hat mir da etwas vorgeschlagen und-...“ Erst, als meine Stimme immer zittriger wurde, unterbrach mich meine Mom, mit einem siegessicheren Ausdruck in den Augen, indem sie einen Schritt auf mich zu trat. „Nein, Kristina. Du gehst nirgendwo hin. Und was für ein Freund soll das überhaupt sein? Du hast keine Freunde, Kristina. Und du wirst keine dieser schäbigen AGs besuchen. Du brauchst so etwas nicht. Du wirst, wie an jedem anderen Tag auch, direkt nach der Schule nach hause kommen.“ Mit dem Messer deutete sie von mir auf den Boden zu ihren Füßen. „Und jetzt geh' wieder in dein Zimmer. Das Gespräch ist beendet, junge Dame.“ Sie wollte sich schon wieder umdrehen, als ich meine Stimme wiederfand. „Nein“, es war kaum mehr als ein Flüstern, jedoch reichte es aus, dass meine Mom augenblicklich stehen blieb und wieder zu mir herum wirbelte. „Was?“ Sie zischte das Wort durch ihre Zähne hindurch und ihre Augen sprühten vor Zorn. „Nein“, sagte ich nun etwas kräftiger. Ich durfte nicht mehr kuschen, wenn ich endlich etwas bewegen wollte. Also straffte ich die Schultern und versuchte dem Messer in ihrer Hand keine weitere Beachtung zu schenken. „Ich werde jetzt nicht in mein Zimmer gehen, weil das Gespräch noch nicht beendet ist.“ Ich hätte nicht gedacht, dass bereits dieser Satz dazu führen würde, dass die Granate aus meiner Hand rutschte und explodieren würde. Denn ich konnte gar nicht so schnell reagieren, wie meine Mom das Messer auf die Anrichte geschleudert hatte und mir eine heftige Ohrfeige gab. Perplex stand ich einen Moment einfach nur da und blinzelte mehrfach, bis ich wirklich realisierte, was soeben geschehen war. „Auf dein Zimmer!“ Schrie sie mich an, während mir Tränen in die Augen traten und ich meine Mom hasserfüllt anstarrte. „Vergiss es“, knurrte ich sie durch zusammengebissene Zähne hindurch an und prompt hatte sie mich am Oberarm gepackt, um mich zur Treppe zu ziehen. „Ich hab' dir was gesagt!“ Blaffte sie mich dabei an, während ich mich gegen sie stemmte. Ich hatte ganz vergessen, dass sie so kräftig war, denn sie zerrte mich stetig weiter, die ersten Stufen hinauf. „Und ich hab' dir auch was gesagt! Lass' mich los!“ Und erneut traf ihre flache Hand mich im Gesicht. Doch hatte ich dieses Mal das Gefühl, dass etwas in mir zerbrach, weshalb ich den Widerstand stolpernd aufgab. Meine Mom hatte mich noch nie zuvor geschlagen. Noch immer hing ich an diesem Gedanken, als mich meine Mom in mein Zimmer stieß und die Tür zu knallte. „Und hier wirst du bleiben, bis du wieder normal bist, junge Dame!“ Ich hörte zeitgleich, wie mit einem Klicken die Tür von außen zugesperrt wurde. „Und wenn ich nicht wieder 'normal' werden will?“ Die ersten Tränen bahnten sich ihren Weg über meine Wangen. Sie sperrte mich tatsächlich wieder ein. Das hatte sie das letzte Mal getan, bevor sie mich in die Psychiatrie gesteckt hatte. „Oh, du wirst wieder normal. Oder möchtest du wieder zu Dr. Finnigan? Er wird schon dafür sorgen, dass du wieder normal wirst, das weißt du doch.“ Die Stimme meiner Mom troff nur so von Selbstüberzeugung und einem Hauch Wahnsinn. „Vergiss es, Mom! Ich geh' nicht mehr zu diesem Psycho-Klempner! Das kannst du nicht machen! Ich bin nicht verrückt!“ Oh, nein, ich wollte bestimmt nie wieder zu 'meinem' Psychiater, der mich liebend gerne in die Anstalt einweisen ließ. Das hatte er die vergangenen beiden Male ja direkt bewiesen, kaum dass ich eine Stunde in seiner Praxis verbracht hatte. „Und wie ich das kann, junge Dame! Du wirst nämlich schon wieder Verhaltensauffällig. Und so lange du unter meinem Dach wohnst, muss ich doch dafür sorgen, dass du dir deine Zukunft nicht verbaust. Glaube mir, du wirst es mir eines Tages noch danken, dass ich so konsequent war!“ „Nein!“ Schrie ich sie durch die verschlossene Tür hindurch an und schlug mit den Händen gegen das massive Holz. Mein Schmerz hatte sich zu Wut gewandelt. „Das kannst du nicht machen! Lass mich raus, Mom! Bitte!“ Doch so schnell wie die Wut gekommen war, war sie auch schon wieder verflogen. An ihre Stelle schob sich Verzweiflung, da ich wusste, dass sie diese Tür nicht öffnen würde und ich somit – mal wieder – ausweglos gefangen war. „Glaubst du wirklich, dass ich hier bleiben werde, wenn ich hier raus komme? Dass ich hier weiter leben will? Dass ich auf ewig darauf verzichten will, ein eigenes Leben zu haben?“ Während ich meinen Kopf erschöpft an die Tür lehnte, lagen meine Handflächen auf dem glatten, dunklen Holz. „Oh, das wirst du, junge Dame. Und nun hör' auf zu schreien, was sollen denn die Nachbarn denken. Außerdem muss ich ein Telefonat mit Dr. Finnigan führen.“ Erneut packte mich verzweifelte Wut und ich ballte die Hände zu Fäusten. „Glaub' mir, wenn ich hier raus komme, bin ich weg! Ich werd' dich vor Gericht bringen und mich Volljährig sprechen lassen! Du weißt genau, dass das mit 17 geht! Und dann bin ich weg! Weg von dir, weg von den Psychiatern, weg von diesem Knast hier!“ Um mir nicht die Hand an der massiven Eichenholztür zu brechen, wandte ich mich um und rammte mit aller Wut meine Faust in die Spiegeltür meines Kleiderschrankes. Klirrend rieselten die Scherben zu Boden, während ich dabei zu sah, wie sich kleine Tropfen Blut über meinen Knöcheln bildeten und sich langsam ihren Weg über meinen Handrücken bahnten. Doch ignorierte ich die kleinen Schnittwunden und drehte mich nun endlich zu Mishka um, der die ganze Zeit schon aufgebracht hinter mir auf und abgelaufen war. Sein Blick war besorgt auf mich gerichtet. Erst, als ich mich achtlos in die Scherben setzte, wagte er sich langsam an mich heran und sprang mir dann in die Arme, um sich überschwänglich und doch sanft zugleich an mich zu schmiegen. Mein Blick wanderte zu meinem Fenster, vor dem ein Gitter prangte. Angeblich hatte meine Mom diese Gitter vor jedem Fenster installieren lassen, weil vor zwei Jahren so viele Einbrüche verübt worden waren. Doch ich wusste es besser: Sie waren nicht dazu da, andere draußen zu halten. Nein, sie waren dazu gedacht, mich hier drinnen zu halten. Kapitel 4: Vier --------------- Noch immer saß ich in den Scherben meines Spiegelschrankes, als Chester aus dem Nichts heraus auftauchte. Es kam mir so vor, als wären bereits Stunden vergangen, doch war es kaum eine halbe Stunde, seit ich in meinem Zimmer eingesperrt worden war. Mit verheultem Gesicht schaute ich zu ihm auf, als Chester vor mir in die Hocke ging. „Oh, Gott... Wie siehst du denn aus, Kristina?“ Sachte legte er eine Hand an meine Wange und streichelte mir mit dem Daumen über diese. „Alles in Ordnung?“ Kaum merklich schüttelte ich zur Antwort den Kopf und erneut flossen die Tränen. „Sie hat mich geschlagen“, wisperte ich, während ich den Blick senkte. „Und eingesperrt... Sie... Sie will mich wieder in die Psychiatrie einweisen lassen...“ Lange, sehr lange, sagte der Schwarzhaarige kein Wort, dann strich er mir eine meiner braunen Strähnen aus dem Gesicht. „Das lasse ich nicht zu, keine Angst. Und du wirst hier gleich herausgeholt. Dafür muss ich nur kurz weg, okay? Ich bin gleich wieder zurück.“ Chester wartete so lange, bis ich ein zaghaftes Nicken zustande brachte, dann war er verschwunden. Während ich auf seine Rückkehr wartete, streichelte ich abwesend über Mishkas Fell. Es dauerte vielleicht eine viertel Stunde, dann war der andere auch schon zurück. Ohne Umschweife kam er auf mich zu, packte mich am Handgelenk und zog mich auf die Beine. Zeitgleich sprang Mishka auf den Boden und zog sich auf die Rückenlehne des Sofas zurück, um uns zu beobachten. Überrascht schaute ich auf, doch lag Chesters Blick ernst auf meiner verletzten Hand. „Komm, Kristina. Solange wir warten, kümmere ich mich um deine Hand.“ Sachte zog er mich in das kleine, angrenzende Bad und wusch mir das Blut von der Hand. Nach einer genauen Inspizierung nickte er zufrieden und fummelte eine Mullbinde aus seiner Manteltasche, um mir anschließend die Hand auf geübte Weise zu verbinden. Dann schaute er mir lächelnd ins Gesicht. „So ist es doch gleich viel besser, oder?“ Danach führte er mich zur Couch und setzte sich mit mir darauf. Eine Weile war es still zwischen uns und ich konnte im Augenwinkel sehen, wie er mich und Mishka genau betrachtete, während ich den Kater streichelte. Es war in diesem Moment schwer für mich, den Mut aufzubringen, um die Frage zu stellen, die mich beschäftigte. Doch schaffte ich es irgendwann. „Worauf genau warten wir?“ Als ich meinen Blick zögerlich zu ihm anhob, erschien erneut ein sanftes Lächeln auf seinen Lippen. „Auf die Polizei. Ich habe dir doch versprochen, dass ich dich gleich hier herausholen werde, oder nicht?“ „Aber“, setzte ich zum Einwand an, doch wurde ich prompt durch ein Kopfschütteln seitens Chester abgewürgt. „Mach dir keine Sorgen. Wir haben Mittel und Wege, dir zu helfen. Und in ein paar Minuten wirst du dich selbst davon überzeugen können, Kristina.“ Erneut schwiegen wir uns an, als mein Gegenüber plötzlich seinen Kopf zur Seite wandte und abwesend in die Ferne schaute. „Fünf Minuten“, gab er noch immer abwesend von sich, ehe er blinzelte und wieder zu mir sah. „In fünf Minuten ist die Polizei da. Ich muss jetzt weg, aber wir sehen uns gleich wieder. Kopf hoch, Kristina.“ Kaum hatte er mir aufbauend zugelächelt, hatte er sich auch schon wieder in Luft aufgelöst.   Tatsächlich vergingen kaum mehr als fünf weitere Minuten, als ein Streifenwagen in unsere Hofeinfahrt einbog. Vorsichtig betrachteten Mishka und ich das stumme Blaulicht, ehe es abgeschaltet wurde und zwei Polizisten, zusammen mit Chester, aus dem Auto stiegen. Als sie klingelten, schlich ich an meine Zimmertür und drückte das Ohr ans Holz, um zu lauschen. Ich konnte regelrecht hören, wie meiner Mom das Herz in die Hose rutschte, als sie die Beamten vor der Tür entdeckte. „Oh... Guten Tag. Was kann ich denn für Sie tun?“ „Wir sind hier, um Ihre Tochter Kristina in unsere Obhut zu nehmen, Frau Piunova.“ Es war kurz still und ich vermutete, dass der Polizist ihr irgendein Schreiben in die Hand drückte, das sie überflog. „Frau Piunova, es liegt gegen Sie der dringende Tatverdacht von häuslicher Gewalt und Freiheitsberaubung vor. Es ist am besten für alle Beteiligten, wenn Sie uns einfach zu ihrer Tochter führen und wir sie in unsere Obhut nehmen können.“ Unwillkürlich hielt ich die Luft an. So etwas würde meine Mom nicht auf sich sitzen lassen. Und genau so, wie von mir erwartet, platzte es dann wütend aus ihr heraus: „Wie können Sie es wagen, mir so etwas zu unterstellen?! Das ist ja die Höhe! Sie ist in der Pubertät, natürlich gibt es da ab und an Streitereien! Aber häusliche Gewalt und Freiheitsberaubung?!“ Der Polizist, der schon die ganze Zeit gesprochen hatte, ließ sich von ihrem Wutausbruch keineswegs beeindrucken. „Es gibt nur zwei Möglichkeiten für Sie, Frau Piunova. Entweder Sie zeigen uns den Weg zu ihrer Tochter oder wir suchen uns selbst den Weg zu ihr. Von Ihrer sogenannten Unschuld können Sie die Geschworenen im Verfahren überzeugen. Wir sind hier nur die ausführende Gewalt, also lassen Sie uns einfach unsere Arbeit machen.“ „So eine bodenlose Frechheit! Sie haben nicht das Recht, in mein Haus einzudringen! Verschwinden Sie gefälligst!“ „Glauben Sie mir, Frau Piunova, wir haben das Recht auf unserer Seite. Da Sie jedoch nicht kooperieren, werden wir nun eigenhändig ihre Tochter holen. Gehen Sie bitte von der Treppe weg. Mein Kollege kann Sie derweil gerne über Ihre Rechte aufklären.“ Hastig zog ich mich von der Tür zurück und blieb unschlüssig im Raum stehen. Die Schritte auf unserer Treppe konnte ich nicht hören, doch wollte ich nicht Gefahr laufen, die Tür an den Kopf zu kriegen. Mit einem mutigen Murren stand Mishka auf meiner Schulter, während seine beiden Schwänze unruhig hin und her peitschten. Kurz darauf wurde auch schon die Tür geöffnet und ich blickte in Chesters Gesicht. Es war mir unbegreiflich, wie er all das so schnell hatte organisieren können. Und doch war ich froh, dass er nun hier war und nicht nur irgendwelche Beamte mich abholen kamen. „Kommt ihr zwei nun mit oder wollt ihr eine extra Einladung?“ Überrascht musterte ich den braunhaarigen Polizisten und dessen freundliches Lächeln, welcher neben Chester stand, ehe ich den Blick verwirrt an Chester wandte. Sein darauf folgendes Nicken bestätigte meine unausgesprochene Frage: Der Mann konnte Mishka sehen. Nach einem weiteren Zögern kam ich der Aufforderung dann nach, wobei ich Mishkas bekräftigendes Schnurren im Ohr hatte. Jedoch blieb ich vor dem obersten Treppenabsatz erneut stehen und schielte unbehaglich nach unten. „Komm, Kristina. Du brauchst nichts mehr zu befürchten“, mit diesen Worten legte Chester mir seine Hand auf die Schulter und ehe ich es mich versah, hatte er mich auch schon in die Auffahrt bugsiert. „Wie kannst du mir so etwas nur antun, Kristina? Wie kannst du nur so undankbar und verlogen sein, dass du mir sogar die Polizei auf den Hals hetzt? Das ist also der Dank für alles? Früher oder später wirst du freiwillig zu mir zurück kommen!“ Auch wenn meine Mom einen riesigen Aufstand machte, so fühlte ich doch Erleichterung und eine neue Stärke in mir aufkeimen. Als Chester die Tür zur Rückbank für mich aufhielt, wandte ich mich noch einmal um und betrachtete meine Mom kühl, die von dem zweiten, blonden Polizisten zurückgehalten wurde. „Nein, das werde ich nicht. Und, Mom, schrei' nicht so 'rum, was sollen denn die Nachbarn denken?“ Wiederholte ich ihre eigenen Worte und setzte mich dann auf die Rückbank des Streifenwagens. Augenblicklich sprang Mishka auf meinen Schoß und schmiegte sich sanft mit seinem Kopf an meine Wange. Die Beamten brauchten noch einen Moment, bis sie meine Mom abgewimmelt hatten, doch fuhren wir dann auch schon los. Die Fahrt dauerte nicht lange, ungefähr 20 Minuten. Dabei fuhren wir knapp die Hälfte der Zeit durch einen Wald, bis wir schließlich vor einer Lichtung anhielten. Vor uns stand, inmitten des Waldes, ein riesiges Gebäude, das von einer hohen Betonmauer eingerahmt wurde, obenauf säumte Stacheldraht die Mauer. Doch ließ mich etwas anderes staunend die Augen aufreißen: über die ganze Fläche spannte sich ein seltsames Schimmern, als ob sich eine Kuppel um das Gebäude herum erhob. Abgelenkt davon dauerte es einen Moment, bis ich Chester durch das Tor folgte, nachdem dieser sich von Ted und Bill verabschiedet hatte, die sich mit dem Streifenwagen wieder in Richtung Stadt davon machten.   Der Gang, den wir in dem Gebäude entlang liefen, war mindestens genau so lang, wie der Vorhof, der sich zwischen Tor und Eingang erstreckt hatte. Doch als wir dann endlich den zentralen Punkt des Hauptgebäudes erreichten, verschlug es mir schier den Atem. Überrascht ließ ich den Blick über die gegenüberliegende Wand gleiten, ehe ich ein Stockwerk nach unten schaute. Wir standen auf einem erhöhten Gang, der rundherum an den Wänden entlang führte und von dem alle paar Meter Türen oder Gänge abgingen. Eine Ebene höher wiederholte sich der Anblick, doch führten von der Ebene mehr vergitterte Gänge und massive Schutztüren ab. Ganz unten erstreckten sich Tisch- und Stuhlreihen, um die vereinzelt Personen und große Wesen saßen und standen. Alles in allem sah es so aus, wie man es von Gefängnisfilmen kannte. „Das ist ein Gefängnis“, hauchte ich fast tonlos, wobei mich Chester musterte. „Genau, das hier war einmal ein Gefängnis. Es bot sich als bester Platz an, da es über viele Jahre leer gestanden hatte.“ „Ich erinnere mich nicht daran, dass es bei uns in der Nähe jemals ein Gefängnis gegeben hat.“ Lächelnd schaute er zu mir hinab. „Das war noch lange vor deiner Zeit. Und, seit dieses Gebäude in unserem Besitz ist, können Menschen es nicht mehr zufällig finden. Nur Hunter oder Eingeweihte können dieses Gebäude sehen. Für die Außenwelt wurde es schon vor über 40 Jahren abgerissen und ist mittlerweile in Vergessenheit geraten“, einen Moment lang ließ auch der Schwarzhaarige seinen Blick wandern. „Und nun komm, gehen wir weiter.“ Auch wenn mein Blick weiterhin an der Architektur hing, so folgte ich ihm doch auf dem Fuße. Jedoch blieb ich nach wenigen Schritten schon wieder stehen, da Mishka plötzlich heftig zu fauchen anfing. Noch bevor ich der Sache auf den Grund gehen konnte, ertönte neben mir ein tiefes, kehliges Knurren und ich legte reflexartig eine Hand auf Mishka, damit dieser nicht von meiner Schulter sprang. Vorsichtig drehte ich mich zu dem hundeartigen Wesen um und musterte kurz die beiden langen Hörner, die auf seinem Schädel prangten, danach den echsenartigen Schwanz. „Ist schon okay, Dew.“ Schlagartig verstummte das Knurren des Wesens und es spitzte die Ohren, trotzdem ließ es Mishka nicht aus den Augen. Und im nächsten Moment kam der Sprecher, ein strohblonder Junge mit Undercut und Engelslocken und haselnussbraunen Augen, um die Ecke und tätschelte dem Wesen den Kopf. „Ah, Hallo, Night.“ Während der Junge – der vielleicht ein oder zwei Jahre älter als ich selbst war – sich an Chester wandte, konnte ich nicht anders, als die kräftige Farbe seiner Augen anzustarren, um deren Iriden je ein goldener Ring lag. „Hallo, Loren. Hallo, Dew. Wie praktisch, dass wir uns hier schon über den Weg laufen, da muss ich nicht erst nach dir suchen.“ Der Blonde schien den versteckten Wink zu verstehen, der mir verborgen blieb, denn nun wandte er sich mir zu und grinste breit, als er mein unverhohlenes Starren bemerkte. „Hey, ich bin Loren und das hier ist Dew. Und ihr beide seid?“ „Äh... Ich bin Kris... Äh, Kristina... Und das... das ist Mishka“, stammelte ich vor mich hin und wusste nicht recht, wie ich reagieren sollte. Immerhin hatte ich ihn angestarrt wie ein Bekloppter. Doch streckte er mir da auch schon seine Hand entgegen. „Freut mich, euch kennen zu lernen.“ Erst nach einem weiteren Augenblick bemerkte ich, dass ich Mishka noch immer festhielt, also ließ ich ihn los und schüttelte rasch Lorens Hand. „Nun sollten wir aber wirklich weiter. Wir haben nicht ewig Zeit“, mischte sich in diesem Moment Chester ein und durchbrach die peinliche Stille. Hastig schlossen wir zu ihm auf, da er bereits losgelaufen war. „Wie viele Tage, Night?“ „Vier.“ „Uh, einen bereits verschwendet, hm?“ Chesters Antwort auf diese Frage bestand in einem einfachen Augenrollen. Unwillkürlich fragte ich mich, wie lange Loren schon ein Hunter war und warum die beiden meinen Geburtstag als Stichtag nahmen und so ein Aufhebens wegen eines verschwendeten Tages machten. „Ist ja schon gut, du brauchst mir gar nicht zu erklären, wieso. Ich hab ja gar nicht gefragt. So etwas würde mir ja niemals in den Sinn kommen.“ Abwehrend hielt der Blonde die Hände in die Höhe und schaute dann wieder über seine Schulter zu mir. „Vier Tage sollten ausreichen. Sie sieht clever aus.“ Chester warf dem anderen einen spöttischen Blick zu und zuckte dann mit den Schultern. „Natürlich. Ich bin mir sicher, dass du das in vier Tagen hinbekommen wirst.“ Fragend ließ ich den Blick zu Loren wandern, der Chester perplex anschaute, während wir eine Treppe nach unten stiegen. „Hey, vergiss es! Du bist für die Spiritualisten zuständig, ich nur für die Animalisten!“ „Ach, ich dachte, die Theorie könntest du?“ Das spöttische Lächeln auf Chesters Lippen wurde breiter. „Theorie und Praxis sind zwei völlig verschiedene Sachen, das weißt du ganz genau, Night!“ „Dann hör auf zu Quasseln und lass mich meine Arbeit machen.“ Grübelnd blieb ich einfach am untersten Treppenabsatz stehen und schaute den beiden nach. „Wovon reden die eigentlich“, flüsterte ich verwirrt, wobei sich Mishka an meine Wange schmuste. Meine Gedanken drehten sich im Kreis. Mir kam es so vor, als müsste ich wissen, wovon die beiden eben gesprochen hatten. Als ob irgendwo in meinem Gehirn so etwas wie verborgenes Wissen existierte, das von einer dicken Staubschicht bedeckt wäre. Mein 17. Geburtstag. Spiritualisten und Animalisten. Irgendetwas hallte zu diesen Stichworten schwach in meinem Kopf wider. Doch je mehr ich mich darauf konzentrierte, um so mehr schien sich mir etwas in den Weg zu stellen. Etwas, das mir höllische Kopfschmerzen bereitete. Und als der Schmerz schlagartig in meinem Kopf explodierte stöhnte ich unter Qualen auf und ging in die Knie. Dann war plötzlich alles schwarz... Kapitel 5: Fünf --------------- Plötzlich stand ich auf einer wunderschönen Wiese. Eine Wiese, die mich an jene erinnerte, welche ich nach meinem Tod betreten hatte. Doch noch während ich mich umsah, verdunkelte sich auf einmal alles um mich herum und ergraute. Panik stieg in mir auf und ich wirbelte herum, meine Augen suchten nach dem Grund, bis ich meine Mom entdeckte: Sie stand still da und starrte mich emotionslos an. „Mom...?“ Vorsichtig machte ich einen Schritt auf sie zu, doch wandelte sich da ihr Aussehen. Ihr Gesicht wurde zu einer monströsen Fratze, die mich blutrünstig angrinste. „Du bist nicht seltsam, Kristina! Du bist nicht anders! Du siehst keine seltsamen Dinge! Du bist normal! Du bist ein Mensch! Ein normaler Mensch! Du musst normal sein! Sei normal! Sei normal! Sei normal!“ Bei den letzten Worten sprang dieses Ding, das keinesfalls meine Mutter war, auf mich zu. Aus Reflex riss ich meine Arme nach oben und wollte dieses Ding von mir stoßen...   Als ich plötzlich auf dem Boden eines weißen Raumes lag. Verwirrt hob ich den Blick an und realisierte, dass ich neben einem Bett lag. Ein Bett, aus dem ich wohl eben herausgefallen war. „Hey, alles in Ordnung?“ Das war Lorens Stimme, die hinter mir – zusammen mit seinen herannahenden Schritten – ertönte. Zitternd holte ich Luft und hievte mich währenddessen an dem Bett empor, um mich darauf zu setzen, während ich mich fragte, ob das eben tatsächlich ein Traum gewesen war. „Ja... Ich hab nur Kopfschmerzen“, murmelte ich als Antwort auf die Frage, als der Blonde vor mir stehen blieb. Stirnrunzelnd betrachtete er mich von oben herab. „Kopfschmerzen...? Was ist denn vorhin passiert?“ Schulterzuckend wandte ich den Blick ab. „Ich weiß es nicht... Ich hatte auf einmal solche Kopfschmerzen und dann... Dann bin ich hier aufgewacht.“ Aus den Augenwinkeln heraus erkannte ich, dass Loren mich noch immer misstrauisch musterte. „Als du aus dem Bett gefallen bist, sah es eher so aus, als wolltest du jemandem die Zähne ausschlagen.“ Seufzend hob ich nun doch wieder den Blick an. „Ich hab nur was blödes geträumt“, brummte ich leise vor mich hin. Ich hatte nicht vor, diesem Fremden von meinem Traum zu erzählen. Doch ertönte da Chesters Stimme aus dem angrenzenden Raum, aus dem Loren selbst eben erst herausgekommen war: „Was hast du geträumt, Kristina?“ Auch wenn ich es eigentlich wirklich nicht erzählen wollte, so hatte ich doch das Gefühl, dass ich bei ihm nicht darum herum kommen würde. Also seufzte ich leise und ließ meinen Blick über den Boden wandern. „Der Traum war seltsam“, murmelte ich leise vor mich hin. Meine Worte schienen Chester aus dem Nebenraum hervorzulocken, denn auf einmal stand er neben Loren und lehnte sich an die Wand, während er mich aufmerksam musterte. Auch wenn er schwieg, so konnte ich die Aufforderung in seinen Augen doch erkennen, also fuhr ich fort. „Ich stand alleine auf einer Wiese. Als sich alles verdunkelte, habe ich meine Mom dort stehen sehen. Zu erst stand sie einfach nur da und hat mich angestarrt, doch als ich sie angesprochen habe“, ich stockte kurz und verzog missmutig das Gesicht. „Da war sie nicht mehr meine Mom. Dieses Ding hat mir gesagt, dass ich normal sein muss, nicht seltsam sein darf... Dann wollte es sich auf mich stürzen. Und als ich mich wehren wollte, bin ich aus dem Bett gefallen...“ In Chesters Augen blitzte so etwas wie eine Ahnung auf. „Was ist genau passiert, bevor du vorhin das Bewusstsein verloren hast, Kristina?“ Nur kurz zog ich die Augenbrauen zusammen. Ich musste es ja sowieso erzählen. „Ich habe versucht, zu verstehen, von was ihr redet. Ich habe noch immer das Gefühl, ich müsste genau wissen, wovon ihr geredet habt, aber als ich vorhin näher darüber nachgedacht habe, bekam ich plötzlich höllische Kopfschmerzen.“ Kritisch zog Chester die Augenbrauen zusammen und warf Loren einen Blick zu, den ich nicht deuten konnte, ehe er mich wieder ansah. „Ich habe so das Gefühl, dass deine Mutter daran Schuld ist, dass du das Bewusstsein verloren hast. Mir scheint so, als hätte sie irgendetwas gemacht, das dein Gedächtnis blockiert. Denn, eigentlich solltest du schon eine Ahnung davon haben, worüber wir gesprochen haben.“ Nun musterten mich also beide misstrauisch. Na, danke auch... Seufzend ließ ich den Blick zu der Tür wandern, durch die Chester gekommen war, da ich hörte, wie eine weitere Tür dahinter geöffnet wurde. Und prompt sah ich ein kleines, weiß-schwarzes Fellknäuel auf mich zu springen. Freudig miauend sprang Mishka auf meinen Schoß und schmiegte sich direkt mit dem Kopf an meine Wange. „Ist ja gut, Mishka“, flüsterte ich ihm zu, während ich die stürmische Liebkosung erwiderte. Nun ja, immerhin begutachtete Loren uns nun eher belustigt als misstrauisch. Jedoch blieben in diesem Moment meine Finger an etwas hängen, was mich Mishkas Hals betrachten ließ, denn dort prangte ein nagelneues, mir unbekanntes, Halsband. „Du hast ja ein Halsband, Mishka“, verdutzt wanderte mein Blick zurück zu Chester, wobei Loren meine unausgesprochene Frage direkt beantwortete. „Er war bei Celestine. Sie hat sich um das Halsband gekümmert.“ „Und... Warum?“ „In erster Linie, weil ein ID-Chip an dem Halsband angebracht ist, mit dem er hier jederzeit problemlos ein und aus gehen kann. Und zum anderen können ihn nun gewöhnliche Menschen sehen.“ Wenn ich Lorens Blick richtig deuten konnte, dann waren meine Gesichtszüge soeben entgleist. „Wie jetzt...?“ Lorens Grinsen wurde breiter. „Mishkas physischer Körper gleicht dem einer gewöhnlichen Katze. Und genau das sehen normale Menschen ab jetzt, solange er das Halsband trägt. In Zukunft wird dich also niemand mehr für verrückt erklären, wenn du dich mit Mishka draußen aufhältst, weil sie ihn ja jetzt sehen können.“ Augenblicklich wurde meine Haltung distanzierter, während ich den Blick senkte. Keinen Moment später schob sich Chester auch schon wieder in mein Blickfeld, indem er vor mir in die Hocke ging. „Du hast mir vorhin erzählt, dass deine Mom dich wieder in die Psychiatrie einweisen lassen wollte. Warum hat sie das zuvor getan?“ Ein Tränenschleier stahl sich in meine Augen, als ich den Schwarzhaarigen direkt anschaute. Rasch schloss ich sie jedoch, ehe sie mich verraten konnten und drückte Mishka leicht an mich. „Wegen den Wesen“, meine Stimme war kaum mehr als ein Hauchen. „Ständig tauchten sie in meiner Nähe auf und stellten irgendetwas an. Sie waren aufdringlich und wenn ich wollte, dass sie gingen, stellten sie das Haus auf den Kopf. Meine Mom dachte, dass ich das alles tun würde. Verhaltensauffällig hat sie es genannt. Anfangs ist mir auch mal herausgerutscht, dass es nicht ich gewesen bin, sondern die Wesen. Irgendwann“, ich seufzte schwer und zuckte mit den Schultern. „Irgendwann hat sie mich zu einem Psychiater geschickt und dieser mich dann in die Psychiatrie.“ Als es um mich herum still blieb, öffnete ich langsam die Augen wieder und starrte auf das schwarz-weiße Fell meines Katers. Ich wollte nicht in die blassblauen Augen von Chester blicken, die meinen eigenen so sehr ähnelten. Doch legte dieser die Hand an meine Wange und brachte mich dadurch doch zum Aufsehen. „Es tut mir Leid, Kristina. Hätte ich das alles früher gewusst, hätte ich dich dort schon viel eher herausgeholt.“ Mit einem zittrigen Lächeln schüttelte ich den Kopf. „Das hast du doch jetzt getan.“ Mishka befreite sich aus meinem Griff und schnurrte laut los, was mich ein wenig beruhigte. Sanft streichelte ich über seinen Kopf und stand dann vorsichtig vom Bett auf. „Erklärt ihr mir dann jetzt, was in den nächsten 4 Tagen passieren soll?“ Kapitel 6: Sechs ---------------- Da ein Teil meines Gehirns sich weiterhin weigerte Informationen über mein eigenes Wesen auszuspucken, schickten die beiden Männer mich mit schwerer Lektüre ins Bett, ohne mir groß etwas zu erklären. Als ich mein zugewiesenes Zimmer betrat, war es früher Abend und die tiefstehende Sonne schien direkt auf mein Bett. Mishka gefiel das besonders gut, denn er legte sich erfreut schnurrend auf das sonnengewärmte Kissen, während ich mich neben ihn setzte und das dicke Buch aufschlug.   Erst mitten in der Nacht schlug ich den Wälzer wieder zu und betrachtete den Rückendeckel stirnrunzelnd. Mir brummte mal wieder der Schädel, doch lag es dieses Mal an greifbaren Informationen. Denn ich wusste nun, dass Hunter oft schon von Geburt an für diesen Job vorherbestimmt waren. Diese Hunter nannte man Animalisten, denn sie hatten ein kräftiges, tierisches Wesen an ihrer Seite, das mit ihnen kämpfte. Diese Licht-Wesen wurden zusammen mit ihnen geboren und von Huntern in den Gilden aufgezogen, bis ihr Partner alt genug wurde, seine Aufgabe als Hunter anzutreten. Alt genug bedeutete das Alter von 17 Jahren. Denn mit 17 Jahren verloren Hunter einen natürlichen Schutz, der sie vor den Finsternis-Wesen verbarg. Oft wurden Animalisten jedoch schon vorher von kleineren Zwielicht-Wesen besucht, da diese die Andersartigkeit des Hunter spüren. Mit 17 Jahren dann bildete sich ein goldener Ring um die Iriden des Hunter, dessen Augen ab diesem Zeitpunkt eine strahlendere, intensivere Farbe als zuvor aufwiesen. Von da an konnte der Animalist mit seinem Partner auf die Jagd gehen. Außerdem war das Altern bei Animalisten stark verlangsamt, wenn sie das 17. Lebensjahr erreichten. Sie verfügten über Elementare-Fähigkeiten. Im Gegensatz dazu stand jedoch der Spiritualist. Spiritualisten wurden als normale Menschen von Finsternis-Wesen getötet. Oft wurden sie von einem anderen Spiritualisten gefunden, der ihre Seele erneut an ihren Körper band und sie somit zum Leben als Hunter verpflichtete. Die meisten aus früherer Zeit hatten es geschafft, von selbst in ihren eigenen Körper zurück zu finden. Heutzutage geschah das eher selten. Oft starben diese Hunter noch vor ihrem 17. Geburtstag. Jedoch wurden diese Menschen nach ihrem Tod immer freiwillig zu Huntern. Nur alterten Spiritualisten ab ihrem 17. Geburtstag äußerlich nicht mehr. Nur jene, die erst nach diesem Alter zum Hunter wurden, blieben äußerlich beim Alter ihres Todestages stehen und sahen somit älter als die Standard-Spiritualisten aus. Hinzu kam, dass ihre Augenfarbe nach ihrem Tod stark verblasste. Außerdem verfügten sie über übernatürliche, meist psychische Kräfte, die sie jedoch selten im Kampf nutzen konnten. Manche von ihnen besaßen ebenfalls Elementare-Fähigkeiten, die jedoch meist von anderen Fähigkeiten noch unterstützt wurden. Ein Wind-Spiritualist hatte zum Beispiel einen ausgeprägten Geruchssinn oder verfügte über eine Art 6. Sinn. Dazu kam dann noch eine dritte Art von Huntern, die gar nicht weiter beschrieben wurde. Es hörte sich nur so an, als wären sie unglaublich selten und trotzdem vielseitig, sodass man keine genaueren Informationen preisgeben wollte oder konnte. Sie schienen jedoch die Fähigkeiten der anderen Haushoch zu übertreffen. Und daneben standen noch unzählige weitere Informationen, die ich mir gar nicht alle hatte behalten können. Meinen Kopfschmerzen nach zu urteilen, waren sie zum Großteil sowieso unwichtiges Beiwerk gewesen. Mit einem lauten Seufzen ließ ich mich in die Kissen fallen und starrte an die Decke. Mishka kuschelte sich sofort an mich. „Mit 17 löst sich der Schutz auf, bis dahin muss ich meine Fähigkeit gefunden haben. Und ich muss mich zu verteidigen lernen. Mishka, das sind nur noch 4 Tage. Wie soll ich das schaffen?“ Laut schnurrend machte mir der Kater Mut und so schlief ich nach einer Weile zu diesem Geräusch ein.   Der nächste Morgen kam früher, als mir lieb war. Als es an meine Tür klopfte, huschte mein Blick verwirrt durch das unbekannte Zimmer, ehe mich die Erinnerung an gestern wieder einholte. Brummend rieb ich mir die Nasenwurzel und setzte mich im Bett auf, während es erneut klopfte. Noch ehe ich die Person hereinbitten konnte, war Mishka an die Türklinke gesprungen und hatte den Störenfried eingelassen. Es war niemand anderes als Loren, der mich zum Frühstück abholen wollte. Hinter ihm wartete das große, hundeartige Wesen, das sein Partner namens Dew war. „Nun komm schon, Schlafmütze“, forderte der Blonde mich auf. Jedoch, erst als Mishka auf meine Schulter gesprungen war, stand ich mürrisch auf und folgte dem Lockenkopf, nachdem ich die übliche Morgenroutine in meinem kleinen Bad bewältigt hatte. Ich war nun mal ein Morgenmuffel und ohne Kaffee unerträglich. Anscheinend hatte Loren das erkannt, denn er schwieg, während wir die Gänge entlang liefen. Auch in der Mensa wartete er, bis ich meine erste Tasse Kaffee intus hatte und mich ans Essen machte. „Du bist kein Frühaufsteher, was?“ Als ich den Blick vom Essen anhob, sah ich sein Grinsen und fragte mich unwillkürlich, ob er dieses auch mal länger als 5 Minuten ablegte. „Nein, ich bin überhaupt kein Aufsteh-Mensch“, gab ich immer noch brummelnd von mir und gähnte herzhaft. Als ich die Augen wieder öffnete, entdeckte ich Chester, der auf uns zu kam. Er sah genau so aus, wie ich mich fühlte: Hundemüde und schlecht gelaunt. Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen, während mein Sitznachbar meinem Blick folgte. „Chester auch nicht“, bestätigte er meine heimliche Vermutung und schwieg dann lieber wieder, während der Andere sein Tablett auf dem Tisch abstellte. Zwei weitere Kaffees später hatte sich mein Gemüt wieder normalisiert und ich lehnte mich zufrieden in meinem Stuhl zurück. Nachdem Loren seinen Blick von mir zu Chester schweifen ließ, grinste er wieder. Der Schwarzhaarige blätterte, mit in Falten gelegter Stirn, durch ein paar Dokumente und nippte nebenbei an seinem Kaffee. „Gut, da ihr beide nun zufriedengestellt und wach seid...“ Während Loren aufstand, stapelte er das Geschirr übereinander auf ein Tablett und räumte ungefragt alles ab. Irgendwie schien es ein stummes Einverständnis zwischen den beiden zu geben, das ich noch nicht ganz erfassen konnte. Denn Chester achtete nicht einmal auf seinen Kumpel, als dieser vom Tisch verschwand. Erst nach einem weiteren Moment seufzte er und zeigte so etwas wie Anteilnahme an den Geschehnissen um sich herum, als er mich schließlich ansah. „Du wirst den Rest der Woche der Schule fern bleiben, Kristina. Es ist besser so.“ Mit einem Mal saß ich kerzengerade auf dem Stuhl. „Was? Wieso?“ Ich war immer gerne zur Schule gegangen. Auch wenn ich dort die Außenseiterin war, so war es doch der einzige Ort, zu dem ich alleine hin durfte. Trotzig blickte ich Chester an. „Aus zwei Gründen. Zum einen wird deine Mutter mit Sicherheit versuchen, dich einzukassieren. Zum anderen scheinen irgendwelche Psychopharmaka dein Gedächtnis zu blockieren, weshalb du nicht auf dein genetisches Gedächtnis zugreifen kannst, das du seit Beginn deines Lebens als Hunter haben solltest. Du wirst vermutlich auch nichts über deine eigenen Stärken und Fähigkeiten wissen. Also musst du in den nächsten Tagen noch mehr lernen, als eigentlich geplant war.“ Seufzend stand ich auf und versuchte meine Mimik selbstsicherer wirken zu lassen. „Dann können wir ja gleich damit anfangen.“ Kapitel 7: Sieben ----------------- Da ich ein Spiritualist war, versuchten wir an diesem Tag direkt herauszufinden, welche Fähigkeit meine Stärke war. Denn, während Animalisten, wie Loren, ihren Körper gepaart mit Elementen und ihren Partnern im Kampf einsetzten, nutzten Spiritualisten, wie Chester und ich, oft ihren Geist zum Kampf. Oder sie gingen dem Kampf lieber aus dem Weg, da ihre herausragende Gabe die Hellsicht oder eine ähnliche Fähigkeit war, die im Kampf wenig brachte. Es gab nur wenige Kampf-spezialisierte Spiritualisten und die meisten hatten Elementare-Fähigkeiten. Also probierten wir so ziemlich alles durch, was den beiden anderen einfiel und was die Bücher hergaben. Um ehrlich zu sein, wusste ich am Abend schon nicht mehr, was wir alles ausprobiert hatten, nur dass wir von Telekinese über Telepathie und Manipulation zu Elementaren-Übungen gekommen waren. Und irgendwie schienen mir letztere zumindest ein wenig zu liegen, doch war auch der kleine, elektrische Funke, den ich hervorgebracht hatte, nicht gerade meine größte Stärke. Hoffte ich zumindest.   Mit einem enttäuschten Seufzen ließ ich mich in der Mensa auf einen Stuhl sinken und stützte das Kinn in die hohle Hand. Ich war erschöpft von den ganzen Übungen und es wurmte mich, dass mir nichts hatte richtig gelingen wollen. „Was schaust du denn so, Kris? Es ist ja nicht deine Schuld, dass wir noch nichts gefunden haben, das ganz zu dir passt.“ Lorens Stimme war ermutigend, als er das Tablett vor mir abstellte und sich zu mir setzte. Chester hatte sich mal wieder grübelnd verzogen. „Ich weiß, ich weiß“, seufzte ich. „Wäre ich die letzten Jahre nicht mit irgendwelchen Tabletten vollgestopft worden, dann hätte ich meine Fähigkeit bereits oder hätte zumindest eine Ahnung, was es sein könnte...“ Niedergeschlagen streichelte ich Mishka, der auf meinem Schoß saß. Da fiel mein Blick erneut auf das Halsband und ich entdeckte eine kleine Metallplatte daran. Darauf stand in kunstvollen Lettern „Mikhail“. Verdutzt blinzelte ich und zog dann die Augenbrauen zusammen. „Mikhail? Wieso steht auf dem Halsband Mikhail?“ Loren beugte sich zu mir hinüber, dann zuckte er jedoch mit den Schultern. „Das musst du schon Celestine fragen. Sie ist dafür zuständig.“ Als ich aufstehen wollte, hielt der Blonde mich davon ab. „Erst isst du etwas, dann kann ich dich zu ihr bringen.“ Mir war klar, dass er Recht hatte, also schaufelte ich das Essen in mich hinein und wartete ungeduldig darauf, dass auch Loren aufgegessen hatte. Und kaum war er fertig, räumte ich die Tabletts eilig weg, wobei ich den belustigten Blick des Blonden ignorierte. Danach folgte ich ihm quer durch den riesigen Gebäudekomplex. Vor einer Tür blieb er schlussendlich stehen und deutete darauf. „Das ist Celestines Reich.“ Unschlüssig blieb ich stehen und betrachtete die fein gearbeiteten Muster auf der Tür. Sie wirkten wie diese magischen Symbole und Bannkreise, die man aus Hexenfilmen kannte. „Was macht diese Celestine eigentlich?“ Unwillkürlich musste ich an Verzauberungen denken, die man auf andere Menschen hetzen konnte. Ich hatte in meinem heimischen Gefängnis eindeutig zu viele Horrorfilme gesehen. Genau das schien auch Lorens Blick zu sagen, als er die Tür öffnete. „Das kannst du sie gleich selbst fragen. Nun geh schon rein.“ Sanft schob mich der Blonde durch die Tür und schloss sie hinter mir von außen wieder. Als ich in dem engen, kurzen Flur dahinter stehen blieb, sprang Mishka von meiner Schulter und ging voraus. Erst, nachdem er den schweren Vorhang am anderen Ende durchquert hatte, folgte ich ihm langsam und mit klopfendem Herzen. Ich weiß nicht, was ich eigentlich erwartet hatte, aber das angrenzende Zimmer wirkte sehr wohnlich und einladend. Die Wände waren in einem warmen Pastellorange gestrichen und die beiden großen Sofas sahen äußerst bequem aus. An den Wänden standen überall Bücherregale, die mit Büchern in unterschiedlichen Sprachen und einigen Notizbüchern überfüllt waren. Die Regale sahen ein wenig unordentlich aus, ebenso wie der Couchtisch, was den ersten gemütlichen Eindruck untermalte. Ich stand noch immer im Durchgang, als eine junge Frau durch die gegenüberliegende Tür trat. „Ah, Kristina Piunova. Zu dir gehört Mishka.“ „Ähm...“ Ich nickte zaghaft, folgte der gedeuteten Einladung zur Couch und kam dann gleich zum Punkt, der an mir nagte. „Wegen Mishka bin ich auch hier. Auf seinem Halsband steht Mikhail, wieso?“ Als Celestine sich mir gegenübersetzte, schaute ich nicht schlecht, als ich ihre Augen sah. Sie waren von kräftigem, fast strahlendem, Ockergelb, doch konnte ich keinen goldenen Ring darin erkennen. „Was bist du...?“ Die Schwarzhaarige lächelte. „Ich bin eine Mediale. Ich bin jemand, der die Fähigkeiten eines Spiritualisten hat, jedoch nicht gestorben ist. Mit dem Unterschied, das meine Fähigkeiten weitaus stärker als die eines gewöhnlichen Spiritualisten sind.“ „Du bist die dritte Art von Hunter, die in dem Buch nicht beschrieben wird.“ Erneut lächelte mich die Frau an, dann schaute sie zu Mishka. „Meine Fähigkeit ist es, in die Seelen anderer zu sehen. Du wolltest wissen, weshalb auf Mishkas Halsband Mikhail steht.“ Es war keine Frage, also schwieg ich abwartend, bis Celestine fortfuhr. „In diesem Zwielichtkörper trägt er den Namen Mishka. Doch ist Mishka nur die Kurzform von Mikhail, was der wahre Name seiner Seele ist.“ Sie deutete mir, dass ich die Papiere vom Tisch nehmen sollte, also tat ich dies und überflog die darauf angegebenen Daten. „Mikhail war ein Licht-Wesen. Ich habe mich ein wenig informiert und herausgefunden, dass du eigentlich seine Partnerin hättest werden sollen.“ Erschrocken riss ich den Kopf hoch. „Ganz recht. Du hättest ein Animalist werden sollen.“ „Aber... Wieso ist er dann ein Zwielicht-Wesen?“ Bedauernd senkte die Schwarzhaarige den Blick. „Wenn der Partner eines Licht-Wesens stirbt, stirbt auch das Wesen. Entweder, weil es vor lauter Trauer vergeht oder sich durch Wut und Rachsucht in den Kampf mit Finsternis-Wesen stürzt. Ein Licht-Wesen kann nicht ohne seinen Partner. Es wird mit ihm geboren und stirbt mit ihm.“ Schock zeigte sich auf meinem Gesicht, als ich begriff. „Aber... Aber wieso... wieso wurde er zu einem Zwielicht-Wesen...?“ „Sein Wille war stark genug. Er wollte nichts anderes, als bei dir zu sein. Und da du nicht auf der anderen Seite auf ihn gewartet hast, ist er als Zwielicht-Wesen zu dir zurück gekommen. Das ist sehr selten.“ Mit Tränen in den Augen schaute ich auf Mishka hinab. „Ich wusste, als ich ihn getroffen habe, dass er zu mir gehört. Als hätte mir zuvor etwas gefehlt.“ Ich hörte das sanftmütige Lächeln in Celestines Stimme, als sie mich ansprach. „Und genau so ist es. Trotz dass du ein Spiritualist bist, verbindet euch beide das gleiche Band, wie es bei Animalisten der Fall ist. Aus diesem Grund habe ich ihm das Halsband mit seiner alten ID gegeben.“ Nach einer Weile nickte ich und hob schließlich den Blick wieder an. „Danke, dass du mir das alles erzählt hast. Ich muss darüber in Ruhe nachdenken.“ Mit diesen Worten stand ich auf und verließ, gefolgt von Mishka, den Raum. Kapitel 8: Acht --------------- Am Mittag des 2. Tages verlangte ich eine Pause von den Übungen. Ich wusste, wie wichtig das Erlernen meiner Fähigkeit war, also suchte ich mir den Weg in einen großen, ehemaligen Zellenblock, der nun als weitläufige Bibliothek genutzt wurde. Als ich nach einem Buch über die Grundlagen der Animalisten fragte, blickte mich der braunhaarige Mann mit den blassen, grünen Augen, überrascht über den Rand seiner Brille hinweg an. „Aber du bist doch ein Spiritualist. Was willst du denn damit?“ Auch wenn er skeptisch war, so suchte er mir nach kurzem Zögern doch das gewünschte Buch bereits heraus. „Nur Neugierde. Ich möchte genauer wissen, was sich an unseren Fähigkeiten so sehr unterscheidet“, log ich ihn glatt an und lächelte überzeugend. Zumindest glaubte ich, dass es überzeugend wirkte, denn der Bibliothekar lächelte zurück und reichte mir das Buch. In Wirklichkeit wollte ich nach der Pause etwas von dem austesten, was in dem Buch stand. Denn alles, was wir bisher versucht hatten, hatte keinen wirklichen Erfolg gebracht. Und Celestines Worte hatten mich nachdenklich gemacht. Außerdem würde es niemandem schaden, wenn ich etwas Ungewöhnliches versuchen würde und ebenso wenig geschah, wie es bisher der Fall war.   Und so betrat ich nach der Pause den Übungsraum von zuvor, nur mit dem Unterschied, dass Mishka dieses Mal bei mir blieb. Für gewöhnlich hatten er und Dew draußen gewartet, da man nie wusste, was alles passieren konnte. Dementsprechend kritisch betrachteten Chester und Loren mich nun. „Kann ich etwas eigenes ausprobieren?“ „Willst du Mishka nicht besser vor die Tür schicken?“ Lorens Blick wurde umso misstrauischer, als ich den Kopf schüttelte. „Nein, ich brauche ihn bei mir.“ „Was hast du vor?“ Wenn ich Lorens alarmierten Blick so sah, wurde mir ganz mulmig zumute, doch schluckte ich die Unsicherheit herunter. Ich hatte Mishkas Zustimmung für diesen Versuch. „Das werdet ihr sehen. Wenn es nicht klappt, dann können wir ja einfach wie gehabt weiter machen.“ Auch wenn Chester mich lange mit einem nicht zu deutenden Blick ansah, so nickte er doch und wies auf die freigeräumte Raummitte. „Ein Versuch. Aber bedenke, dass du Mishka damit gefährdest.“ Ich schluckte schwer, doch ermutigte mich der Kater damit, dass er seinen Kopf an meiner Wange rieb. Also trat ich an den anderen beiden vorbei und stellte mich mittig in den Raum. Mishka sprang von meiner Schulter und setzte sich vor mich, während ich die Arme leicht an meinen Seiten abspreizte und die Augen schloss. Dabei atmete ich tief und ruhig durch, bis ich ein warmes Gefühl in mir ausmachte. Ich konzentrierte mich darauf, denn dieses Gefühl stand für die Verbindung zwischen Mishka und mir, so wie Celestine es angedeutet hatte. Erst, als ich der festen Überzeugung war, dass unsere Herzen im Einklang schlugen, öffnete ich meine Augen wieder und blickte Mishka direkt an. Geduldig saß er vor mir und ich spürte sein tiefgehendes Vertrauen in mich. Also bewegte ich die rechte Hand nach vorne, so als würde ich einen Ball flach nach ihm werfen. Tatsächlich warf ich auch etwas nach ihm, denn ich gab mit dieser Bewegung einen Impuls ab, der Mishka ungesehen aller Augen traf. Augenblicklich zuckte der Kater zusammen und fauchte, was gleich darauf zu einem Brüllen wurde, als sein Körper anwuchs. Fasziniert beobachtete ich, wie Mishka zu dem wurde, was seine Seele noch immer war: Eine große, schwarz-weiße Raubkatze mit zwei Schwänzen, welche gereizt umher peitschten. Ich hörte gar nicht, wie Loren und Chester heraneilten, während Mishka sich am ganzen Körper schüttelte und mit geöffnetem Maul zu mir aufblickte. Zeitgleich führte ich die rechte Hand an mein Herz und lächelte, was sich in Mishkas silbernen Augen spiegelte. Triumphierend brüllte er erneut und schmiegte sich dann um meine Hüfte. „Wie hast du das-WOAH!“ Loren wich erschrocken vor mir zurück, als er mir ins Gesicht blickte. „Was hast du?“ Ich dachte mir, dass er überrascht wäre, wenn es funktionieren würde, doch mit so einer Reaktion hatte ich nicht gerechnet. „Deine... Augen...“ nuschelte der Blonde, außerstande einen ordentlichen Satz zu formulieren. „Was?“ „Deine Augen... Sie sind...“ Ich spürte Mishkas Belustigung über Lorens Sprachlosigkeit in meinem Körper vibrieren und war selbst etwas überfordert. Ich hatte beinahe ein wenig Angst davor, zu erfahren, inwiefern sich meine Augen denn diesmal verändert hatten. Doch da griff Chester einfach nach meinem Oberarm und zog mich an die Spiegelwand heran. „Sieh hin, Kristina“, forderte er mich auf und ich tat es. Und da entdeckte ich es in meinem Spiegelbild: Um die Iriden meiner blassblauen Augen herum zog sich ein goldener Ring. „Wie ist das möglich?“ Hörte ich Loren hinter mir fragen und ich schaute ihn durch den Spiegel an. „Celestine hat mir erzählt, dass ich als Animalist geboren wurde und dass Mishkas Seele die Seele meines Partners Mikhail ist. Ich hatte so ein Gefühl, dass es richtig ist, also musste ich es ausprobieren.“ Mishkas zufriedenes Schnurren vibrierte in meiner Brust wider. „So etwas hat es noch nie zuvor gegeben.“ „Jetzt schon“, in Chesters Augen konnte ich einen stolzen Funken erkennen, ehe er sich abwandte. „Schluss für heute. Wir müssen deinen Trainingsplan neu gestalten.“ Während Chester sich auf den Weg zur Tür machte, starrte Loren mich noch immer an. Langsam wandte ich mich ihm zu. Erst nach einer Weile begann der Blonde dann doch zu grinsen. „Du bist unglaublich, Kris!“ Anerkennend musterte er erst mich und dann Mishka. Doch verfiel er dann wieder ins Grübeln. „Lass uns jemanden treffen“, beschloss er dann und winkte mich zu sich, ehe er gemeinsam mit Dew vorauslief. Mit fragendem Blick folgten wir ihm.   Keine fünf Minuten später betrat Loren, ohne anzuklopfen, einen Raum. Darinnen saß ein breitschultriger Mann mit Glatze. Auf öffentlicher Straße hätte ich ihn für einen dieser rockigen Biker gehalten. Doch als ich in seine sanftmütigen blassbraunen Augen blickte, wusste ich, dass er ein Spiritualist war. „Hallo, kommt rein. Ich bin Lars.“ Seine Stimme war tief aber ebenso sanft, wie seine Augen. Nur kurz sah er etwas überrascht zwischen Mishka und mir hin und her, dann stand er jedoch auf und ging vor meinem Partner in die Hocke. Seine Hände glitten über Mishkas Körper, betasteten seine Muskulatur und umfassten dann seinen Kopf, was ein beruhigendes Schnurren hervorrief. „Du bist ja ein Prachtexemplar. Vielleicht ein wenig untrainiert, aber ansonsten ein gesundes und starkes Licht-Wesen.“ Mein Herz machte einen Sprung bei diesen Worten. Doch wurde sein Blick prüfender, während er Mishkas Kopf mit den Händen untersuchte und dabei ein wenig hin und her wiegte. „Ich kenn' dich doch.“ Gespannt wartete ich auf seine nächsten Worte, während die Erkenntnis in seinen Blick trat. „Du bist doch Mikhail.“ Der Kater öffnete sein Maul leicht und es wirkte fast so, als würde er grinsen. Auch Loren grinste übers ganze Gesicht, als Lars überrascht zu ihm aufschaute. „Unglaublich aber wahr. Er war bis vor 5 Minuten noch ein Zwielicht-Wesen.“ Mishka befreite seinen Kopf aus den Händen und legte seine Stirn an die von Lars. Er schien ihn ebenfalls zu erkennen. „Kris hat etwas Ungewöhnliches versucht, als wir dabei waren, ihre spiritualistische Fähigkeit herauszufinden.“ „Und damit hat sie ihm seinen wahren Körper zurück gegeben“, schlussfolgerte Lars und es schien ihn wirklich zu freuen, denn er streichelte weiterhin über Mishkas Fell und konnte den Blick gar nicht von ihm abwenden. „Das ist kein vorübergehender Zustand, oder?“ fragte ich nun zaghaft, da ich das Gefühl hatte, dieser Mann könnte mir die Antwort darauf geben. „Nein, ist es nicht. Ein Licht-Wesen kann man nicht mehr degradieren.“ Als mich Lars nun endlich anschaute, seufzte ich erleichtert auf. Erhobenen Hauptes stolzierte Mishka durch den Raum und Lars sah dies als Anlass, aus der Hocke aufzustehen. Nun betrachtete er meine Augen intensiv und ich erwartete schon fast, er würde auch meinen Kopf zwischen seine riesigen Pranken nehmen. Doch kratzte er sich mit seiner Hand nur selbst am Kopf. „Ein animalistischer Spiritualist. Kann man das so nennen? Ich hätte nie gedacht, dass ich Mikhail je wiedersehen würde und dann noch mit seiner Partnerin.“ Ich lächelte verlegen und schaute zu dem stolzen Kater. „Er heißt nun Mishka.“ Kurz betrachtete Lars die stolzierende Großkatze, dann nickte er grinsend. „Der selbe und doch nicht der selbe, natürlich.“ Nach einer weiteren Runde Streicheleinheiten verabschiedeten wir uns. Noch bevor wir den Raum verließen erfuhr ich, dass Lars für das Wohlbefinden der Licht-Wesen dieser Gilde zuständig war und dass ich mit Mishka jederzeit zu ihm kommen konnte, wenn etwas mit meinem Partner sein sollte. Kapitel 9: Neun --------------- Am 3. und letzten Tag vor meinem Geburtstag, mussten wir ständig das Training unterbrechen, um Bücher zu wälzen und komplett neue Wege zu gehen. Denn, so wie das Spiritualistentraining nicht funktioniert hatte, so funktionierte auch das Animalistentraining nicht reibungslos bei mir und so mussten wir einen neuen Mittelweg erfinden. Chester schrieb dabei jeden Versuch nieder und strich die Reinfälle gleich wieder heraus, während er neue Ideen einbrachte. Währenddessen brachte mir Loren bei, was er alles wusste und wir tüftelten weiter an dem Feinschliff der bereits gewonnen Erkenntnisse herum. Bis zum Mittagessen hatte ich es geschafft, mit Mishka zusammen als Einheit zu agieren, ohne ihn dabei zu sehen oder zu hören. Trotzdem konnte ich genau sagen, wo er sich befand und was er tat, wenn er dies auch wollte. Umgekehrt schien Mishka das alles instinktiv auf Anhieb hinzubekommen und brauchte keinen Leitfaden dazu. Die Sache mit dem Waffe-herbei-rufen war auch so ein Ding der Unmöglichkeit für mich. Während normale Animalisten sich eine Waffe heraufbeschwören konnten, konnte ich lediglich mit einem schwachen, elektrischen Schlag kontern. Wobei ich damit auch ein kleines, magnetisches Feld knapp über meiner Haut aufbauen konnte, durch das ich quasi mit der Hand eine Klinge abwehren konnte. Und ja, ich hatte mir bei den ersten Versuchen wortwörtlich mehrfach ins Fleisch geschnitten, bis wir einen möglichen Weg für mich gefunden hatten.   Doch zehrte jeder einzelne Versuch an meinen Kräften und so lag ich beim Mittagessen mit dem Kopf auf dem Tisch und stocherte lustlos in meinem Essen herum. Chester war versunken in die Aufzeichnungen und schrieb bereits weitere Vorschläge nieder, was und wie wir es als nächstes probieren sollten. Lorens Blick jedoch haftete an mir. „Kris, du musst etwas essen, du brauchst deine Kräfte.“ Ach, nein, das hatte ich auch schon bemerkt. Der Sarkasmus troff geradezu aus meinen Gedanken heraus. Mürrisch schob ich mir eine volle Gabel in den Mund und kaute übermäßig lange darauf herum. „Du bist ja völlig am Ende.“ Bei diesen Worten schaute nun auch Chester zu mir herüber. „Das ganze Austesten, wie es für sie am einfachsten ist, scheint wohl doch anstrengender zu sein, als normal.“ „Ich bin nicht normal“, murmelte ich direkt, wobei ich die Worte meiner Mutter wiederholte, und nahm den nächsten Bissen. Ich sah, wie die beiden einen kritischen Blick tauschten, dann wandte sich Loren wieder an mich. „Nein, bist du nicht. Du bist etwas Besonderes. Und genau deswegen müssen wir dir alles beibringen, was du nutzen kannst.“ Kauend schielte ich zu dem blonden Lockenkopf neben mir. „Morgen wirst du 17, Kris. Wenn du danach den Schutz dieses Gebäudes verlässt, musst du dich vor allen Eventualitäten schützen können. Die richtige Übung wirst du danach noch erlernen, doch vorerst wärst du nicht schutzlos.“ Natürlich sah ich das ein, also seufzte ich schwer, quälte mich in eine aufrechte Haltung und aß meinen Teller zu mehr als der Hälfte leer. „Wollen wir dann noch etwas üben?“ „Erfinden wir die Wege neu“, stimmte ich brummend zu.   Wieder im Trainingsraum ging es dann weiter. Loren zeigte mir eine Art magische Kampfunterstützung – wie ich es insgeheim nannte – mit der man die Fähigkeiten seines Partners verstärkte. Schnelligkeit, Kraft und Elementar-Angriff waren nur ein paar der Möglichkeiten. Doch gelang mir nichts davon. Stattdessen rüstete ich Mishka mit einem elektrischen Schild aus, der ihn des Öfteren selbst schockte. Etwas, was normalerweise nicht passieren sollte, da eigentlich das Element eines Animalisten seinen eigenen Partner, sowie umgekehrt, nicht verletzen konnte. Als es dem Kater jedoch zu viel wurde, drehte er sich plötzlich um und riss mich mit einem gezielten Sprung von den Füßen. Mit einem erschrockenen Aufquieken landete ich auf dem Rücken und hatte eine unglaublich schwere, missgelaunte und fauchende Großkatze auf mir liegen. Doch schaute ich nicht auf ihn, mein Blick glitt flehend zu Loren, der uns erschrocken anblickte. Als ich einen Finger krümmte, brüllte mir Mishka ins Gesicht, dass mir die Ohren nur so klingelten. „Das soll wohl heißen, dass ich für heute weiteres Trainingsverbot habe“, brummte ich leise und rang mit der Luft, die mir langsam aber sicher aus den Lungen gepresst wurde. Mishka entblößte seine gewaltigen Reißzähne und atmete mir ins Gesicht. „Brüll' mich jetzt nicht wieder an. Wenn du wen anbrüllen willst, dann nimm dir einen von denen.“ Ich deutete mit den Augen in Chesters und Lorens Richtung, was Mishkas Blick von meinem Gesicht fort lockte. Und schon stand er mit gesträubtem Rückenfell über mir und fauchte gereizt in die Richtung der Männer, während ich gierig die Luft einsog und reflexartig nach der Gänze meines Brustkorbs tastete. Kaum, dass ich mich gefangen hatte, trat er beiseite und ließ mich aufstehen, wobei er weiterhin fauchte. Niemand wagte es, ein Wort zu sagen oder sich zu bewegen. „Ist ja gut, Mishka. Wir haben es alle verstanden.“ Ich stand auf wackeligen Beinen da und beobachtete den Kater, wie er sein Fell zögerlich glättete und das Maul schweigend schloss. Nur seine beiden Schwänze peitschten noch hin und her und die Ohren waren weiterhin flach an seinen Kopf gepresst. Ich wusste, dass er eine wörtliche Bestätigung wollte, also hob ich den Blick fragend zu Loren an. „Können wir bitte für heute aufhören?“ Es dauerte einen Augenblick, bis der Angesprochene antwortete. „Nach einer so deutlichen Zurechtweisung, kann ich schlecht nein sagen. Geh und ruh' dich aus, Kris.“ Zufrieden hob Mishka nun endlich das Kinn an und lief direkt an meinem Bein neben mir her, als wir den Raum verließen. Für diese Stütze war ich ihm überaus dankbar. Ich hatte gar nicht gemerkt, wie fertig ich in Wirklichkeit war. Tja, der Kater hatte es sehr wohl bemerkt. Denn in meinem Zimmer angelangt, schaffte ich es gerade noch so auf mein Bett, ehe ich auch schon eingeschlafen war. Kapitel 10: Zehn ---------------- Am Morgen meines Geburtstages frühstückten Loren und ich alleine. Erst nach dem Essen wollten wir uns mit Chester treffen, also machten wir uns nach dem Abräumen direkt auf den Weg. Doch, noch während wir den Essenssaal durchquerten, fiel mein Blick auf einen jungen Mann. Als ich ihn sah, blieb mir augenblicklich die Luft weg und ich blieb wie angewurzelt stehen. „Kris“, kam es zwar fragend von Loren, doch konnte ich ihm nicht antworten. Ich schaffte es ja kaum, Atem zu holen, wie hätte ich da auch nur einen Ton herausbringen sollen? Außerdem konnte ich meinen Blick um nichts in der Welt von diesem Jungen los reißen. Von seinen kupferblonden Haaren, seinen strahlend grünen Augen, seinen niedlichen Sommersprossen. Von all dem, was mir so unendlich vertraut war. Immerhin war er mein bester Freund gewesen, bevor wir vor mehr als 3 Jahren aus meiner Heimatstadt weggezogen waren. Ich merkte vor lauter Starren nicht einmal, dass mir Tränen über die Wangen liefen, bis er direkt vor mir stand und diese aus meinem Gesicht wischte. „Hey, Krissy, du weißt doch, wie wenig ich es mag, wenn du weinst“, er lächelte sanft, als er mich ansprach. Und ich konnte nicht anders, als mich ihm augenblicklich in die Arme zu werfen und das Gesicht an seiner Brust zu verstecken. „Damien“, flüsterte ich fast tonlos seinen Namen, während er die Arme um mich legte und mich sanft aber bestimmt festhielt. „Ich dachte mir, es wäre vielleicht ein schönes Geburtstagsgeschenk, wenn ich dich endlich mal besuchen komme.“ Langsam hob ich den Blick zu ihm an. „Oh, ja, das ist es!“ Und noch bevor ich ihn fragen konnte, wie er überhaupt hier her gekommen war, sah ich die goldenen Ringe um seine Iriden und mir wurde klar, dass er ein Hunter war. Ein Animalist. Während ich ihm noch immer in die Augen starrte, streichelte Damien mir eine Strähne aus dem Gesicht und begutachtete interessiert meine außergewöhnlichen Augen. „Du siehst gut aus, Krissy. Deine Haare sind schön lang geworden.“ Geschmeichelt von seinem Kompliment ließ ich den Blick zur Seite wandern. „Ach, quatsch. Ich seh' aus wie immer, Damien.“ Doch runzelte ich dann die Stirn und schaute ihn wieder ernst an. „Woher weißt du eigentlich, dass ich hier bin?“ „Ich hab's nachgelesen. Schon vor 3 Jahren, um ehrlich zu sein. Sorry, dass ich erst jetzt hier her gekommen bin.“ Erschrocken riss ich die Augen auf und krallte die Finger in sein Shirt. „Vor 3 Jahren“, hauchte ich beinahe tonlos. Vor 3 Jahren war ich gestorben. Kurz vorher, bevor wir hierher gezogen waren, hatte ich Damien das letzte Mal gesehen. Und mit 15 Jahren war er mit Sicherheit noch kein Hunter gewesen. „Genau an dem Tag, als du gestorben bist, hab ich es erfahren. Denn an diesem Tag kam Sammy zu mir.“ Unwillkürlich schüttelte ich langsam meinen Kopf, als er mir meine Gedanken auch noch bestätigte. „Du warst erst 15!“ Erneut streichelte Damien mir eine verirrte Strähne aus dem Gesicht. „Und du 14. Hätte sie mich damals nicht gezwungen, mit ihr zu gehen, wäre ich durchgedreht, als ich spürte, was mit dir passiert ist. Aber so hat sie mich zu der Hunter-Gilde meiner Stadt gebracht und die Leute dort konnten mir versichern, dass es dir wieder gut geht.“ Augenblicklich schossen mir wieder Tränen in die Augen. „Du hast es gespürt...“ „Ja. Du weißt doch, dass ich schon immer wusste, wie es dir geht. Aber, es geht jetzt nicht um damals, es geht um jetzt. Also, Krissy, wie geht es dir? Und wie geht es deiner Mom so?“ Bei dieser Frage schaffte ich es endlich, Damien wieder los zu lassen und trat einen Schritt zurück. Auch wenn er wusste, wie es mir ging, so wusste er doch nichts von meiner Mom. Immerhin hatte sie sämtliche Kontakte nach dem Umzug unterbunden. „Wenn sie Glück hat, kommt sie nun – zur Abwechslung mal – in die Psychiatrie und bekommt endlich geholfen“, sagte ich bitter, während ich seinem Blick auswich und die Arme um meinen Oberkörper legte. „Zur Abwechslung mal?“ Hakte Damien jedoch direkt nach und ich seufzte schwer. „Ja... Wir werden uns wohl das nächste Mal erst vor Gericht wiedersehen...“ Einen Moment lang starrte Damien mich einfach nur streng an. „Sie hat dich vor 4 Tagen verletzt.“ Da dies keine Frage war, hatte ich keine Lust dazu, ihm auch nur irgendeine Antwort zu geben. Und, auch wenn ich erschrocken zusammen zuckte, so war ich doch froh darüber, dass Loren die darauf folgende, unbehagliche Stille mit einem Räuspern durchbrach. Oh man, ich hatte ihn völlig vergessen... „Ich unterbreche euch ja nur äußerst ungern, aber“, er beendete den Satz damit, dass er gehässig grinsend mit dem Kopf in eine Richtung hinter Damien deutete. „Oh... Sag's nicht... Sie tut's schon wieder, oder...?“ Damiens Augen waren leicht verengt, ehe er sich in die gewiesene Richtung umwandte und theatralisch Seufzte. Also drehte auch ich meinen Kopf endlich in die selbe Richtung und hob irritiert eine Augenbraue an. Denn dort tapste ein wolfsartiges Wesen mit belustigtem Blick und leicht aufgefalteten, ledernen Schwingen hinter einem Mädchen her, das sichtlich genervt davon war. Abrupt blieb sie stehen und wirbelte zu dem Tier herum, welches ebenso schnell inne hielt und die Ohren aufmerksam spitzte. „Herr Gott! Verzieh dich endlich, oder ich mach Hackfleisch aus dir, du Flohzirkus!“ Jedoch ignorierte das Wesen die Standpauke gekonnt. Während das Mädchen fluchte und zeterte, setzte es sich einfach auf die Hinterläufe und legte den Kopf leicht schief, als würde es gebannt ihren Worten lauschen. „Argh!!“ Völlig entnervt fuhr die Blondine wieder herum. „Zu wem, zur Hölle, gehört dieses nervtötende Mistvieh?!“ Da sie keine Antwort bekam, suchte sie mit den Augen nach irgendjemanden, den sie als Schuldigen abtun konnte. Und ihr Blick fand Loren, der noch immer neben mir stand und nun undefinierbar grinste. Während das Mädchen auf uns zu stapfte, sprang das Wesen freudig auf und folgte ihr auf dem Fuße, wobei es leicht mit seinen Schwingen flatterte. „Loren“, knurrte die Kurzhaarige ihn zur Begrüßung an. Doch dieser lächelte nur überlegen und deutete mit dem Daumen auf Damien, während er sich abwandte. „Ich hab damit nichts zu tun. Klär das lieber mit dem da.“ Und kaum hatte er das gesagt, hatte er mich auch schon am Arm gepackt und mit sich mit gezogen. „Soll das etwa heißen, dieses Vieh gehört zu dir?!“ War das Letzte, das ich hören konnte, ehe wir die Mensa verließen.   Erst nach einigen Metern befreite ich mich aus Lorens Griff und blieb stehen. Sein Profil spiegelte eine Mischung aus Abneigung und Misstrauen wider, ehe er sich ganz zu mir umwandte und eine Maske der Normalität aufsetzte. Diesen Blick kannte ich gar nicht von ihm, für gewöhnlich grinste er die meiste Zeit des Tages. „Was ist los, Kris? Wir müssen üben. Heute ist Freitag, dein Geburtstag. Willst du etwa das ganze Wochenende hier drinnen sitzen?“ Kopfschüttelnd machte ich einen Schritt auf den Blonden zu, als er sich auch direkt wieder in Bewegung setzte. Und als wir den Trainingsraum betraten, schien er wieder ganz der Alte zu sein. Er grüßte Chester, ging mit ihm den heutigen Trainingsplan durch und machte sich dann gleich daran, mich auf Trab zu halten. Wir besserten mein elektrisches Schutzschild aus, das mit regenerierten Kräften um einiges besser funktionierte. Dann vertieften wir uns in Kampf und Verteidigung auf Kick-Box-Art. Es wäre weit übertrieben, zu sagen, dass ich darin ein Naturtalent wäre. Doch ich machte mich nicht ganz so schlecht, wie ich zu Anfang erwartet hatte.   Erst zum späten Nachmittag beendeten wir das heutige Training und ich war heil froh, dass Loren mich zwar hart dran genommen, mich jedoch nicht völlig ausgepowert hatte. Doch war heute auch das erste Mal, dass keiner der beiden mich aus dem Trainingsraum heraus begleitete, als wir geendet hatten. Sie wollten noch etwas besprechen und erneut sah ich diesen seltsamen Blick in Lorens Augen. Dennoch versuchte ich mich davon nicht aus der Ruhe bringen zu lassen. Immerhin hatten sie mir beide erlaubt, die Gilde zu verlassen und das erfüllte mich mit Vorfreude. Natürlich gab es zum Verlassen die Voraussetzung, dass ich nicht alleine ging. Also suchte ich mir meinen Weg zurück in mein Zimmer, mit einem Umweg über die Gemeinschaftsdusche. Frisch geduscht und umgezogen machte ich mich auf den Weg in die Mensa. Ich wusste, wen ich mitnehmen wollte. Falls er überhaupt noch da sein sollte...   In der Mensa angekommen fiel mir direkt auf, dass die Blicke der Anwesenden verändert waren. Vermutlich lag es daran, dass mich bisher noch niemand – außer Celestine und der Bibliothekar – ohne Begleitung von Chester oder Loren gesehen hatte. Die meisten Blicke waren neugierig, doch versuchte ich darauf nicht zu achten, da mir das viel zu unangenehm war. Außerdem suchte ich nach Damien, der sich momentan nicht in der großen Halle befand. Nachdenklich kaute ich mir auf der Unterlippe herum und dachte nach. Früher schon hatte er sich nicht gerne zu lange in Gebäuden aufgehalten, was bedeutete, dass er vermutlich draußen war. Also wandte ich mich um und lief zielstrebig nach draußen. Mishka folgte mir in gemütlichem Schritt. Während wir nun also um das Gebäude herum und am vorderen Parkplatz vorbei liefen, sahen wir uns auf der breiten Grünfläche um, die sich bis zur Mauer hin erstreckte. Ich nutzte die Zeit, um darüber nachzudenken, was ich alles von Damien erfahren wollte. Immerhin waren es etwas mehr als 3 Jahre, in denen wir uns nicht mehr gesehen hatten. Vor meinem 14. Geburtstag waren wir damals in diese Stadt gezogen. Seufzend ließ ich meinen Blick über das Grün wandern. Gemächlichen Schrittes ging ich meines Weges und hatte bereits mein Ziel auserkoren, nachdem wir um die Ecke des Gebäudes gebogen waren. Denn einige Meter von uns entfernt gab es ein Beet. Von hier aus konnte ich nicht feststellen, ob es sich um Gemüse oder Blumen handelte, doch interessierte es mich auch nicht weiter. Denn der interessante Ort lag daneben. Dort erstreckte sich ein kleiner Baumhain, der Schatten spendete, hinter dem eine Art vergitterter Auslauf lag. Der Hain schien der perfekte Ort zu sein, um sich von dem beengenden Gefühl des großen Gebäudekomplexes abzulenken. Der Ort schien förmlich nach dem Damien zu rufen, den ich von früher kannte. Ob er wohl noch genau so war, wie ich ihn in Erinnerung hatte? Kapitel 11: Elf --------------- Als wir uns dem kleinen Hain näherten schlug Mishkas Stimmung mit einem Mal um. Von ihm ging ein tiefes Grollen aus und er wollte schon nach vorne preschen, als ich aus Reflex nach seinem Halsband griff und darauf vertraute, dass er mich nicht von den Füßen reißen würde. Denn im selben Moment hatte ich die wölfische Gestalt mit den Schwingen erkannt, die aus dem schattigen Nichts aufgetaucht war und auf uns zu gesprungen kam. Mishka hielt zum Glück direkt inne und ich atmete innerlich ein wenig auf, während ich dabei zusah, wie Sammy Kopf und Schwingen hängen ließ und mit einem traurigen Wedeln zu uns hinüber schaute, ganz so, als könnte sie Mishkas Argwohn nicht verstehen. Leicht klopfte ich dem Kater auf die Schulter, um sein Knurren ganz zu ersticken, dann machte ich einen Schritt auf Sammy zu und ließ dabei den Blick durch den Schatten unter den Bäumen streifen. Nichts. Wo war sie denn so plötzlich her gekommen? Und wieso war Damien nicht bei ihr? Doch da bewegte sich plötzlich etwas im Dunkel und langsam schälte sich eine Gestalt aus den Schatten heraus. Irritiert blieb ich erneut stehen und schnaufte dann anerkennend. Damien konnte anscheinend das Licht brechen und dadurch den Schatten kontrollieren. Animalisten konnten sich oft eine Fähigkeit aneignen, die sie schützte, wenn sie in Gefahr waren. Diese Fähigkeit war so etwas wie eine stark abgeschwächte Version der Fähigkeit eines Spiritualisten, hatte einige Manko und diente nicht dazu, das Wesen oder sich selbst im Kampf direkt zu unterstützen. Eine reine Notlösung also. Ja, mein Schild war wohl eine Mischung aus beidem, da ich es ebenfalls an Mishka weitergeben konnte... Mit einem schiefen Lächeln ging ich nun endlich vor Sammy in die Hocke und nahm den großen Wolfskopf zwischen die Hände, was ihr Wedeln verstärkte. „Mishka hat es nicht böse gemeint, ja?“ Mit einem albernen Ausdruck im Gesicht setzte das Wesen sich hin und leckte mir einmal quer über das Gesicht. Von ihrer vorherigen Unsicherheit war nichts mehr zu sehen. „Keine Sorge, Krissy. Es tut Sammy auch mal ganz gut, zurechtgewiesen zu werden. Dein Partner sollte ihr nicht all ihre Dummheiten durchgehen lassen.“ Mit stolzem Blick trat Mishka neben mich und ich musste unwillkürlich wieder grinsen. Seit er keine kleine Katze mehr war, schien er mächtig an Eitelkeit dazu gewonnen zu haben. Während ich wieder aufstand, tätschelte ich dem schwarz-weißen Kater den Schädel. „Damien“, mehr als seinen Namen brachte ich für einen Moment nicht heraus. Auch wenn ich darüber nachgedacht hatte, was ich ihn alles fragen wollte, so war mein Kopf in diesem Augenblick einfach nur wie leer gefegt. Also ließ ich den Blick kurz zu den Bäumen wandern, ehe ich einfach das erstbeste Thema anschnitt. „Schatten.“ Als ich dem Orangehaarigen in die Augen schaute, sah ich Neugierde, also sprach ich weiter. „Du kannst also Licht brechen und somit Schatten manipulieren. Wie genau funktioniert das? Ich habe dich nicht gesehen, aber Mishka scheint dich irgendwie bemerkt zu haben.“ Mit einem sanften Kopfschütteln ließ der Junge den Blick zurück zu den Bäumen wandern und kratzte sich an der Wange. Hatte er gerade für einen Moment enttäuscht gewirkt? Ich war mir nicht sicher. „Eigentlich ist das ganz einfach: Ich nutze die Schatten um mich herum und lege die Schwärze wie eine Decke über mich. Nur bin ich nicht so geübt darin und sobald ich mich auch nur ein klein wenig bewege, kann man mich entdecken. Außerdem kann man Menschen leichter hinters Licht führen als Wesen, deshalb hat Mishka mich direkt bemerkt.“ So etwas ähnliches hatte ich mir schon gedacht, auch wenn ich kaum glauben konnte, dass Damien ungeübt in etwas war – mein perfektes Bild von ihm konnte noch nicht so leicht erschüttert werden. „Und was ist mit dir, Krissy? Bist du fertig für heute oder wieso läufst du hier draußen spazieren?“ Ertappt wich ich dem Blick seiner grünen Augen aus, während ich spürte, wie mein Gesicht leicht rot anlief. „Ja, genau. Loren meinte, ich dürfte raus, wenn ich jemanden mitnehme. Also, ich dachte, vielleicht...“ Damien lachte leise auf und brachte mich endgültig zum Schweigen, ehe er mein Kinn sanft anhob, sodass ich ihn ansehen musste. „Willst du etwa deinen 17. Geburtstag alleine mit mir verbringen? Soll das ein Date werden?“ Er lachte erneut, als mein Gesicht die ungefähre Farbe einer reifen Tomate annahm. Während Damien mein Kinn los ließ, machte er einen Schritt zurück, sodass ich wieder atmen konnte. „Ach, komm, Krissy. Sonst warst du auch nie so verklemmt. Lass uns aus dem Abend noch einen schönen Geburtstag für dich machen, ja? Immerhin haben wir uns lange nicht gesehen, ich weiß, dass dir tausend Fragen durch den Kopf gehen.“ Der machohafte Ausdruck war einem vertrauten Bild gewichen und ich spürte, wie sich mein Herzschlag langsam wieder beruhigte. Was war nur mit mir los? Wieso war ich so nervös in seiner Gegenwart? Nachdem ich tief Luft geholt hatte, straffte ich die Schultern etwas und nickte. „Ehrlich gesagt, ja, ich habe tausend Fragen an dich. Aber“, ich ließ meinen Blick zur hohen Mauer wandern, die das Gelände umzäunte und musterte den Himmel darüber. „Irgendwie will ich auch einfach nur nach draußen und mit dir würde ich mich sicher fühlen.“ Ich konnte Damien nicht ansehen, da ich sonst vermutlich erneut rot angelaufen wäre. Doch fühlte es sich so unglaublich vertraut an, als er den Arm um meine Schultern legte und mich mit sich zog. „Ich weiß. Also komm, lass uns schauen, was wir heute Abend so anstellen können. Und keine Angst, ich passe auf dich auf, so wie früher.“ Seine Stimme war beruhigend und ich griff nach seinem Handgelenk, das über meine Schulter hing, um seinen Arm bei mir zu behalten, während wir auf das Tor zu steuerten. „Was hältst du von Kino? Ich zahle. Und danach Fastfood. Damit können wir es uns irgendwo gemütlich machen und du kannst mir jede einzelne deiner tausend Fragen an den Kopf werfen, bis dir keine mehr einfällt. Na, deal?“ Mit einem leisen Kichern willigte ich ein. Ich war schon eine halbe Ewigkeit nicht mehr im Kino gewesen. Und so konnte ich zumindest für ein paar Stunden das ganze Wirrwarr in meinem Kopf zum Schweigen bringen und ausspannen. Kino klang einfach super. Kapitel 12: Zwölf ----------------- Zum ersten Mal seit 3 Jahren fühlte ich mich wirklich frei von allem. Ich hatte das Gefühl, ein ganz normaler Mensch zu sein, während ich mit Damien im Kino saß – er hatte einen Actionfilm herausgesucht, der nicht mal schlecht war. Auch danach, als wir in einem Fastfood-Restaurant einige Burger zum Mitnehmen kauften, war die Welt eine typische Teenie-Szenerie, wie ich sie aus Film und Fernsehen kannte. So viel Normalität war befremdlich, jedoch fühlte es sich gut an, weshalb ich die ganze Zeit nicht einmal mehr daran dachte, dass ich meinen Kindheitsfreund so viel fragen wollte. Bis wir uns im Dunkeln auf eine Wiese neben ein Gewässer setzten und die Stille der frühen Nacht genossen. Mishkas Kopf ruhte in meinem Schoß, während ich genüsslich in den bisher verbotenen Burger biss. „Und? Wie gefällt dir dein freier Abend bisher?“ Brach Damien mit sanfter Stimme die Stille zwischen uns und ich hatte das Gefühl, dass er mich aus den Augenwinkeln heraus genauestens beobachtete. Während ich weiterhin auf das fließende Wasser vor uns schaute, wischte ich mir mit einer kratzigen Serviette den Mund ab. „Es gefällt mir, danke.“ Mit einem leichten Lächeln auf den Lippen übergab ich Mishka die Reste meines Burgers, die er freudig verschlang. Auch wenn er kein Fressen brauchte, so liebte er es doch, wenn ich mein Essen mit ihm teilte. „Danke, dass du hier bist.“ Als ich den Blick zu Damien schweifen ließ, blickte ich direkt in seine strahlend grünen Augen, die mich musterten. „Krissy, du weißt, dass du dich dafür nicht bedanken musst. Hätte ich schon vorher die Chance gehabt, wäre ich schon früher bei dir gewesen.“ Mit einem milden Lächeln bedachte ich den Orangehaarigen. „Das ist es ja, Damien. Ich weiß nicht, ob es so stimmt. Immerhin haben wir uns die letzten 3 Jahre nicht gesehen. So, wie bei mir alles den Bach runter gegangen ist und ich mich verändert habe, so kann ich nicht glauben, dass du noch genau so wie früher sein sollst. Verstehst du? Und trotzdem bin ich dankbar, dass du heute da bist und mit mir die Zeit hier draußen verbringst.“ Ich konnte Sammy dabei beobachten, wie sie sich an Mishka anschlich, der neben mir lag. Sie schien begriffen zu haben, dass sie ihn nicht erschrecken sollte, denn sie tastete sich vorsichtig bis zu seiner Schnauze vor und tatschte ihm dann ihre breite Pfote mitten auf die Nase. Kopfschüttelnd sprang der Kater auf, während die Wölfin freudig jaulend von ihm weg sprengte. Es verging kaum eine Sekunde, da setzte er ihr auch schon nach. Auch wenn ich es nicht erwartet hätte, so spielte er tatsächlich mit einem ihm eigentlich fremden Wesen. Fast so, als wären sie beide gewöhnliche Haustiere. Lächelnd beobachtete ich die beiden kurz, ehe mich Damien wieder zurück zu unserem Thema brachte. „Ich weiß, dass bei dir viel vorgefallen ist, Krissy. Ich weiß nicht was, aber, wenn du es willst, wirst du es mir schon irgendwann erzählen. Nach den Jahren kann ich schlecht von dir erwarten, dass du mir vertraust, so als sei keine Zeit zwischen uns vergangen.“ Damien zerknüllte sein Burgerpapier und warf es in hohem Bogen in einen Mülleimer, der etwas weiter entfernt neben einer hölzernen Bank stand. „Ich erwarte nicht von dir, dass du mir blindlings vertraust, das wäre zu viel verlangt. Aber ich würde mich freuen, wenn wir uns wieder kennenlernen können.“ Seine grünen Augen ließen endlich von der Umgebung ab und musterten mich offenkundig. Auf seinen Zügen lag ein bedauerndes Lächeln, während er flüchtig mit der Hand über seine eigene Wange fuhr. „Jetzt, da ich alt genug bin, selbst zu entscheiden, würde ich gerne wieder in deiner Nähe bleiben, Krissy. Es ist grausam, nicht zu wissen, was mit dir geschieht und dann zu spüren, dass dir etwas passiert.“ Ich konnte den Schmerz in seinen Augen erkennen und mein Blick wurde schuldbewusst. Vielleicht war dies ja eine seiner Fähigkeiten, die er als geborener Hunter geerbt hatte. Auch wenn ich nicht wusste, wieso ein Hunter über das Wohlbefinden eines anderen Bescheid wissen sollte. Wir kämpften – ständig um Leben und Tod – war es dann nicht kontraproduktiv, wenn man spürte, dass einer anderen Person Schmerz zugefügt wurde? Ein wenig überfordert von dem Thema, das ich selbst angerissen hatte, stand ich auf und stopfte den Haufen zerknüllter Burgerpapiere in die große Papiertüte, um diese im Anschluss ebenfalls zusammen zu knüllen. „Es... Es ist deine Entscheidung, was du machst. Aber es wäre schön, dich wieder in meiner Nähe zu haben, Damien“, meine Stimme war leise, ehe ich mich mit dem Müll in der Hand umdrehte und zu dem Papierkorb an der Bank ging. Bevor ich ihn endlich weg warf, knautschte ich den Knäuel noch ein wenig weiter zusammen. Ich wollte die Zeit noch etwas hinaus zögern, bis ich zu dem Rothaarigen zurück ging. Wann waren solche Themen denn so schwer und tiefgründig geworden?   Mit einem tiefen Seufzen warf ich das Papierknäuel letztendlich in den Eimer und drehte mich wieder um, als ich ein Rascheln und Knacken hinter mir vernahm. Wie angewurzelt blieb ich stehen und ging im Kopf die direkte Umgebung hinter mir durch, die ich eben angesehen hatte: Eine niedrige, getrimmte Hecke direkt hinter der Bank und ein winziger, sehr lichter Hain dahinter. Hatte ich etwas verdächtiges dort gesehen? Nein. Hatte ich überhaupt darauf geachtet? Auch nein. Um sicher zu gehen, wandte ich mich noch einmal um und blickte in das dunkle Wäldchen hinein. Nichts war zu erkennen und ich kniff die Augen enger zusammen, während ich die wenigen Schritte auf die Hecke zu ging. Vermutlich war es nur ein ganz normales Tierchen gewesen, dem ich gleich einen halben Herzinfarkt einjagen würde, trotzdem ließ mich ein flaues Gefühl in der Magengegend nicht los. Meine Konzentration war so intensiv, dass ich nur meine eigenen Geräusche und das unmittelbare Gebüsch vor mir wahrnahm. Was Damien und unsere beiden Wesen hinter mir trieben, bekam ich nicht mit. Und dann ging alles unglaublich schnell. Ich machte einen Schritt nach vorn, da ertönte ein leises Knurren und im selben Moment brach etwas Großes aus der Hecke hervor. Ich selbst war zu überrascht, um mich in diesem Moment an mein Training zu erinnern, weshalb ich lediglich die Arme nach vorne brachte und den gegnerischen Körper von meinem eigenen fernhielt, während mich sein Gewicht auf den Boden nagelte. Geifer tropfte mir aus einem großen Maul ins Gesicht, das durch mein Handeln nur wenige Zentimeter von meiner Nase entfernt in der Luft hing. Eine gespaltene Zunge schnalzte dann und wann zwischen den Zähnen hervor, welche einen Spalt weit auseinander standen. Und das einzige, das ich tun konnte, war wie gelähmt unter diesem Finsternis-Wesen zu liegen und es von meiner Kehle fern zu halten, während das Blut in meinen Ohren zu einem lauten Rauschen anschwoll. Doch dann war der Spuk dieser hautnahen Begegnung auch schon wieder vorbei. Mishka riss das Wesen von mir herunter, schleuderte es einige Schritte weit davon und brüllte dann bedrohlich, als er sich zwischen uns aufbaute. Kurz darauf packte mich Damien an den Handgelenken und zog mich auf die Beine, die vor Zittern beinahe wieder unter mir nachgaben. Unmittelbar vor uns stand Sammy, die ihre Flügel schützend ausgebreitet hatte und bösartig knurrte. „-ut. Krissy? Krissy! Geht's dir gut?“ Ich blinzelte einige Male und testete den Halt auf meinen Beinen, ehe ich nickte und mich von Damien befreite. „Mir geht’s gut“, bestätigte ich leise, während meine Augen Mishka und das Finsternis-Wesen fixierten, die sich umkreisten. Während Mishka ein genaues Rund ablief, lief das Wesen immer mal wieder näher und weiter weg, als würde es schlecht sehen und machte dabei leise, kratzige Geräusche. Dann riss es den runden Kopf plötzlich hoch und gab ein widerlich schrilles Brüllen von sich, als es sich auf Mishka stürzte. Auch der Kater brüllte und sprengte nach vorne, während ich die Handflächen – wie im Training – aneinander rieb und mit der oberen Hand eine Bewegung in Mishkas Richtung machte, als würde ich Dreck von den Händen reiben. Kurz darauf prallten die beiden Wesen auch schon aufeinander und ein elektrischer, gräulicher Blitz entlud sich krachend zwischen ihnen, was Mishkas Gegenüber erst einmal von ihm weg trieb. Das schwarze Wesen war ein gutes Stück größer als Mishka und sein Maul würde locker um seinen Hals greifen. Das wollte ich auf jeden Fall verhindern. „Gut gemacht, Krissy“, hörte ich Damien neben mir sagen, doch ließ ich mich nicht von meinem Partner ablenken. Diese leichten Stromschläge waren das einzige, mit dem ich Mishka unterstützen konnte. Doch schüttelte sich das Finsternis-Wesen nur und ging kurz auf und ab, ehe es abrupt stehen blieb, die langen, spitzen Ohren aufstellte und den Kopf abwandte. Mishka ging währenddessen in Angriffsstellung und war drauf und dran nach vorne zu eilen, als das Wesen plötzlich eine Kehrtwendung machte und so schnell in der Dunkelheit verschwand, wie es aufgetaucht war. Irritiert blieben wir noch einen Moment stehen, dann ließ ich mich wieder in Damiens Arme sinken. Mein Körper zitterte wie Espenlaub, als die Anspannung von mir abfiel. Augenblicklich schlossen sich seine Arme um mich und hielten mich bestimmt fest, während sein Blick weiterhin die Umgebung absuchte. Auch Sammy und Mishka konnten diesem Ende wohl nicht trauen, denn die beiden suchten die nähere Umgebung ab und blieben auch dann noch wachsam, als sie sich sicher waren, dass keine Gefahr mehr bestand. „Komm, Krissy, wir sollten besser zur Gilde zurück. Dort kann sich auch jemand um deine Wunde kümmern.“ Fragend hob ich den Blick an. Welche Wunde? Irritiert folgte ich Damiens Blick zu meiner Halskuhle und tastete vorsichtig nach dem Blut, das dort aus einer Wunde träufelte. Das Adrenalin hielt mich noch immer gefangen, weshalb ich den Schmerz noch nicht bemerkt hatte, bis die Existenz dieser Wunde an mein Bewusstsein trat und ich scharf die Luft einsog. Das Wesen musste mich mit einer seiner langen, sichelartigen Krallen gekratzt haben, als es von mir herunter gerissen worden war. „Ja, lass uns gehen.“ Damien musste mich noch eine ganze Weile stützen, bis mich meine eigenen Beine endlich wieder vollends tragen konnten. Kapitel 13: Dreizehn -------------------- Es dauerte nicht lange, bis Damien uns ein Taxi organisiert hatte, das von einem Eingeweihten gefahren wurde. Währenddessen hatte sich der Kupferhaarige soweit um meine Wunde gekümmert und mir seine braune Lederjacke umgelegt, damit man das Blut auf meinem Shirt nicht direkt sehen konnte. Die Fahrt über schwiegen wir uns an. Erst, nachdem wir vor dem Gebäude der Gilde abgesetzt wurden, fiel die restliche Anspannung endlich von uns ab. „Weißt du, wo die Krankenstation ist?“ Mit erhobener Augenbraue musterte ich meinen Begleiter und schüttelte dann den Kopf, was mich vor Schmerzen das Gesicht verziehen ließ. „Na schön, dann fragen wir also“, seine Stimme wirkte wenig begeistert, doch sah ich im Moment keinen Grund dafür. Immerhin war er nicht Schuld an meiner Wunde und ich wäre sowieso heute raus gegangen. Also, wieso wirkte er so, als ob er dafür Ärger bekommen sollte? Seufzend ließ ich den Gedanken ziehen, als Damien mich in das Gebäude führte. Meine Konzentration war schon einmal besser gewesen.   Wie erwartet waren nur wenige Menschen in der Kantine, die ihre Gespräche unterbrachen und zu uns hinüber sahen, als wir den offenen Raum betraten. Das Interesse formte sich erst langsam in den Gesichtern der Anwesenden, während wir näher traten und sie Damien und mich von oben bis unten gemustert hatten. „Wo finden wir hier die Krankenstation?“ Fragte Damien ohne Umschweife, als er vor dem Tisch mit den meisten Anwesenden stehen blieb. Ein blondes Mädchen, optisch vielleicht zwei Jahre älter als ich, stand schwungvoll auf und lehnte sich über den Tisch, um mich mit ihren blassbraunen Augen näher zu betrachten. Ihre Augenbrauen zogen sich kritisch zusammen. „Was hast du wieder angestellt?“ Ohne weiteres kam sie um den Tisch herum und schob sich zwischen mich und Damien, um mir die Blut durchtränkten Taschentücher zur Seite zu schieben und die Wunde zu begutachten. Vorwurfsvoll funkelte sie Damien daraufhin an und packte mich dann am Arm, um mich hinter sich her zu ziehen. „Komm mit, das muss gereinigt werden, bevor es sich entzündet. Außerdem muss es genäht werden. Dass du nicht noch mehr Blut verloren hast und überhaupt noch von selbst stehen kannst, grenzt an ein Wunder.“ Ein wenig überfordert, von der herrischen Verhaltensweise des Mädchens, ließ ich mich mitziehen. Nach wenigen Metern betraten wir auch bereits die Krankenstation. Es war eher ein kleines Heilerzimmer, in dem 2 Betten standen. Als ich es durch den Vorraum hindurch betrat, erinnerte ich mich daran, dass ich hier schon einmal gewesen war, nachdem ich an meinem ersten Tag bewusstlos zusammengebrochen war. Ohne eine weitere Anweisung drückte mich das blonde Mädchen auf eines der Betten und wuselte dann in dem kleinen Vorraum herum, den wir gerade durchschritten hatten. Als sie wieder kam, hatte sie ein Tablett mit Verbandsmaterial, Tüchern, einer Schale Wasser, einer Flasche mit einer klaren Flüssigkeit und Nadel und Faden darauf in der Hand. Mishka und Sammy mussten vor der Tür warten, während Damien sich still in eine Ecke verzogen hatte und des Öfteren mit bösen Blicken gestraft wurde. Derweil wusch die Blonde meine Wunde erst mit Wasser und dann mit einer brennenden Flüssigkeit aus, ehe sie sich daran machte, die klaffende Wunde zu vernähen. Nach einigen Minuten war sie bereits fertig und klebte ein großflächiges Stück Verbandsmaterial über den vernähten Kratzer. „So, das sollte vorerst reichen. Falls es jedoch anfängt zu brennen oder irgendwie anders unangenehm wird, komm sofort wieder vorbei. Es sollte sich zwar nicht mehr entzünden, aber ich kann es nicht ausschließen.“ Mit Mühe hielt ich mich davon ab, zu nicken. „Ja, danke.“ Als ich aufstand blieb ich kurz in dem Blickfeld des Mädchens stehen, damit sie Damien nicht noch sonst etwas an den Kopf werfen konnte, denn sie sah danach aus, als hätte sie das genau jetzt vor. „Wie heißt du eigentlich?“ Die blassbraunen Augen des Mädchens zuckten wieder zu mir und sie musterte meine ungewöhnlichen Augen kurz, dann lächelte sie leicht. „Ich heiße Daisy. Und langsam habe ich das Gefühl, dass du es dir zur Gewohnheit werden lässt, bei mir Patientin zu werden. Also sieh zu, dass du besser auf dich aufpasst und verschwinde endlich. Ich mag es nicht sonderlich, wenn sich die Leute bei mir einquartieren, verstehst du?“ Mit einem entschuldigenden Lächeln auf den Lippen nickte ich nun doch und verzog wieder das Gesicht, da mich der Schmerz von der Halsbeuge aus durchzuckte. „Ich werde mich hier schon nicht einquartieren, versprochen. Und nochmals danke.“ Kaum hatte ich diese Worte gesagt, hatte ich Damien auch schon vor mir aus der Tür geschoben. Ich war froh, auf dem Flur endlich wieder mit Mishka vereint zu sein und musste mich erst einmal von dem Kater begutachten lassen, ehe er mich weiter gehen ließ.   Nur kamen wir auch jetzt nicht weit. Wir hatten die Mensa kaum betreten, da waren Loren und Chester schon bei uns und Loren packte mich bei den Schultern. Irgendwie schienen sich Neuigkeiten hier wie ein Lauffeuer zu verbreiten. „Geht es dir gut, Kris? Was ist passiert?“ Besorgt glitten Lorens haselnussbraune Augen über mich und blieben dann an dem Verbandszeug hängen. Nur den Bruchteil einer Sekunde später hatte er mich auch schon wieder los gelassen und hatte den Schritt überbrückt, der ihn von Damien trennte. „Du bist daran Schuld! Solltest du nicht auf sie aufpassen?! Du unfähiger...“ Chester unterbrach Lorens verbalen Angriff, bevor dieser tätlich wurde, damit, dass er ihn an der Schulter nahm und von Damien weg zog. Doch endete Dews Knurren dadurch nicht, es schien sogar noch ein Stück weiter an zu schwellen. „Loren, beruhige dich. Deine Anschuldigungen kannst du dir für später aufheben. Noch wissen wir nicht, was vorgefallen ist.“ Mein Blick huschte zwischen Loren und Damien hin und her und zum ersten Mal erkannte ich die offenkundige Feindseligkeit zwischen den beiden. Loren hatte es zwar zuvor zu verstecken versucht, doch funktionierte das offensichtlich jetzt nicht mehr. Auch Damien zeigte Abneigung, jedoch nicht so tiefgründig wie sein Gegenüber. Sein Blick wirkte eher Schuldbewusst. Was war zwischen den beiden vorgefallen? Als sich Chester nun zu mir umdrehte, zuckte ich leicht zusammen und schaute ihn mit großen Augen an. Nachdem ich nun auch noch von ihm gemustert worden war, nickte er in Richtung seines Büros. „Lasst uns an einem ruhigeren Ort darüber sprechen, was genau passiert ist. Komm, Kristina.“ Mit einer beschützenden Geste legte der Schwarzhaarige mir den Arm um die Schulter und ich entspannte mich ein wenig. Jedoch spürte ich die stummen Angiftungen der beiden anderen in meinem Rücken nun um so mehr.   Kaum dass wir das Büro betreten hatten, führte Chester mich zu einem Stuhl, auf den ich mich setzte, ehe er Damien und Loren voneinander trennte und sie zweckmäßig in zwei unterschiedliche Ecken stellte. Dew bekam nur einen warnenden Blick zugeworfen, ehe auch er endlich schwieg. „Wenn ihr euch nicht vertragen könnt, verlasst ihr das Zimmer, haben wir uns verstanden?“ Ich konnte sehen, wie Lorens Augen missmutig zwischen Chester und Damien hin und her zuckten, ehe er seinen Blick senkte und sich auf die Unterlippe biss. Damien wiederum verschränkte die Arme vor seiner Brust, lehnte sich an der Wand in seinem Rücken an und starrte auf die Tür neben sich. Mit einem Nicken wandte sich Chester nun endlich wieder mir zu. „Also, Kristina, was ist passiert?“ Nach kurzem Zögern entschied ich mich, lediglich von dem Angriff zu berichten. „Wir saßen am Flussufer und als ich Müll wegwerfen wollte, hörte ich etwas im Gebüsch hinter dem Eimer rascheln. Es ging alles so schnell. Plötzlich hat mich ein Finsternis-Wesen angesprungen. Ich hab es zwar von mir weggedrückt, damit es mich nicht beißen kann, aber es muss mich gekratzt haben... Als Mishka es von mir runter gestoßen hat, war es auch schon wieder so gut wie vorbei.“ Ich stockte kurz und legte die Stirn in Falten. „Es war größer als Mishka und hatte so eine gruselige Zunge, wie eine Schlange. Und es sah so aus, als ob jemand nach ihm gerufen hätte. Es hat die Ohren aufgestellt und in eine andere Richtung geschaut, dann ist es einfach davon gelaufen.“ Chesters Miene verdüsterte sich mit einem Mal und mir wurde mulmig zu mute, während Lorens Augen sich etwas erschrocken auf mich richteten. „Bist du dir ganz sicher, dass es von jemandem gerufen wurde?“ Unsicher zuckte ich mit der rechten Schulter und vermied es bewusst, die linke mit einzubinden. „Es sah zumindest danach aus.“ Mishka lief um mich herum und starrte Chester mit seinem Silberblick an, als wollte er diesen warnen, mich als Lügner zu bezeichnen. Mit einem finsteren und nachdenklichen Blick umfasste der Schwarzhaarige nun sein Kinn mit einer Hand und stützte mit der anderen seinen Ellenbogen, während er zu Boden schaute. Langsam trat Loren an seine Seite und legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Wir sollten mit dem Erben darüber reden.“ Gedankenverloren nickte Chester daraufhin nur, weshalb der Blonde nun seine Augen auf mich richtete. „Kris, du solltest dich ausruhen. Und bleib dieses Wochenende lieber hier. Wenn du die Gilde doch verlassen willst, dann nimm jemanden aus unserer Gilde mit.“ Nur kurz bedachte er Damien mit einem mahnenden Blick, dann stand ich auch schon auf. „Werd' ich machen, Loren.“ Da ich diese Feindseligkeit nicht weiter aushielt, verschwand ich auch direkt aus dem Raum. Es dauerte nur einen Augenblick, da war Damien auch schon wieder an meiner Seite. Mishka und Sammy folgten uns wie Schatten. „Er hat Recht, du solltest dich ausruhen, Krissy.“ Abrupt blieb ich stehen und bedachte meinen Gegenüber mit einem vernichtenden Blick. „Zuerst will ich wissen, was da zwischen dir und Loren abgeht!“ Kapitel 14: Vierzehn -------------------- Auch, wenn ich mich nicht sonderlich gut fühlte und am liebsten ins Bett gekrochen wäre, so wollte ich doch endlich den Grund für dieses unerträgliche Angiften der beiden Jungs wissen, also führte ich Damien in den Trainingsraum, den ich die letzten 3 Tage schon in und auswendig kennengelernt hatte. Als ich einen der Stühle, die umgekehrt auf einem Tisch an der Wand standen, auf den Boden heben wollte, zuckte ich unter Schmerzen wieder zusammen und Damien ging mir zur Hand. Erst, als wir beide nun saßen und ich im Augenwinkel unsere Reflexionen in der Spiegelwand sehen konnte, verschränkte ich die Arme vor meiner Brust und musterte den Rothaarigen eingängig. Mishka legte derweil den Kopf auf meinen Schoß und schloss die Augen, während seine Ohren leicht zuckten und auf jede Bewegung lauschten, die wir machten. „Also“, begann ich nach einer Weile. „Was hat Loren gegen dich? Und wieso schauen dich alle hier so seltsam an?“ Damien seufzte und rieb sich mit einer Hand durch das sommersprossige Gesicht, während seine Augen zur Seite hin weg glitten. „Auch wenn die Gilden zueinander gehören, mögen es die wenigsten, mit anderen Gilden zusammenarbeiten zu müssen. Sie sehen es auch nicht gerne, wenn sich ein Mitglied einer anderen Gilde mehr als ein paar Minuten in ihrer Gilde aufhält. Das hat verschiedene Gründe. Wenn dich das wirklich interessiert, solltest du dir eines der Geschichtsbücher ausleihen, da steht alles genauestens drin.“ Ich wartete einen Moment lang, doch Damien schwieg. Er hatte sich natürlich die einfachere Frage herausgesucht, doch hieß das nicht, dass er der Antwort auf die andere Frage dadurch entkam. „Und was ist mit Loren und dir?“ hakte ich nach und man konnte meinen Unmut aus meiner Stimme heraus hören. Wieder fuhr er sich mit der Hand durch das Gesicht und mied weiterhin den Augenkontakt zu mir. Sammy schlich sich vorsichtig an ihn heran und legte sich so eng wie nur möglich neben seinen Stuhl, ihren Kopf legte sie dabei auf seine Füße. „Es ist“, seufzend unterbrach sich der Rotschopf. „Vor etwas über einem Jahr bin ich ihm schon einmal begegnet. Ich bin kein guter Hunter und hatte mich in Gefahr begeben, weil ich mich überschätzt hatte. Ich war allein und Sammy am Ende ihrer Kräfte.“ Ein leises Winseln ging von seiner Partnerin aus, als sie nun auch eine Vorderpfote über seinen Fuß legte. „Man hat uns als Köder benutzt und Amanda – ein Mädchen, das mit Loren unterwegs war – entkam nur knapp dem Tod, als die Falle zuschnappte.“ Nun hob Damien beide Hände an, um sich ausgiebig über die Wangen zu reiben. Seine knallgrünen Augen zuckten leicht hin und her, als würde er die Szenerie vor seinem inneren Auge genauestens beobachten. Dann kniff er die Augen ganz zusammen und ich hörte ein leises Zittern in seiner Stimme, als er fortfuhr. „Tyra hat es nicht überlebt... Sie war die Partnerin von Amanda und hat mir das Leben gerettet... Loren gibt mir die Schuld daran... Und er hat vollkommen Recht damit... Wäre ich nicht so überheblich gewesen, wäre ich nicht in die Falle gegangen...“ Verunsichert schaute ich meinen Gegenüber an und löste den Knoten aus meinen Armen, um Mishka über den Kopf zu streicheln. Sein beruhigendes Schnurren durchdrang die Stille in dem Raum augenblicklich. Ich wollte mehr über den Vorfall wissen, doch war Damien in diesem emotionalen Zustand nicht zu gebrauchen. „Du bist ein Idiot“, gab ich dann einfach trocken von mir und wartete kaum länger als einen Augenblick, bis Damien die Hände in seinen Schoß sinken ließ und mich irritiert anblinzelte. Damien durch Verwirrung von seiner emotionalen Lage ablenken: Check! „Darf ich dich daran erinnern, wer dich immer beschützen musste, bevor du einen Schuss in die Höhe gemacht hast? Mit deinen Spaghetti-Ärmchen hast du keiner Fliege etwas zuleide tun können, trotzdem hast du dich jedes Mal überschätzt und mit 7 Jahren schon versucht, einem 10-jährigen die Leviten zu lesen.“ Der Rothaarige wackelte leicht mit seinem Kopf hin und her und lächelte kümmerlich, bei der Erinnerung daran. Damien wieder zum Lächeln bringen: Check! „Der Typ hatte es damals aber auch verdient.“ Ich schnaubte belustigt über seine Feststellung. „Natürlich hatte er das, er war ein Widerling. Aber wäre ich nicht zufällig um die Ecke gekommen, um ihm zwischen die Beine zu treten, hätte er dich zu Mus verarbeitet. Dann hättest du nicht nur die paar blaue Flecken abbekommen.“ Damien verdrehte leicht die Augen und zuckte mit den Schultern, doch das wissende Grinsen auf seinen Lippen war mir Beweis genug, dass er es mittlerweile ebenso wusste, wie ich. „So, und jetzt erzähl mir mal, was das für eine Falle gewesen ist.“ Augenblicklich wurde Damiens Blick wieder ernst, doch war nichts von den Selbstzweifeln und Vorwürfen mehr zu sehen. Trotzdem mied er es, mir in die Augen zu schauen. „Da Sammy bei mir war, glaubte ich nicht, dass mir etwas passieren konnte. Immerhin war ich noch keine 17, Sammy und ich waren noch kein Band eingegangen und somit war ich eigentlich für jedes Finsternis-Wesen noch uninteressant. Doch als wir im Dunkeln nach hause gingen, kreuzte ein Fear Child unseren Weg. Es lief einfach weiter, als wären wir Luft. Natürlich konnte ich das nicht auf mir sitzen lassen und ich wollte wissen, was es in einem noch recht leeren Neubaugebiet zu suchen hat, also sind wir ihm gefolgt. Ich glaube, es hat tatsächlich immer wieder auf uns gewartet, damit wir es nicht aus den Augen verlieren.“ Sammy brummte zustimmend. „Jedenfalls hat es uns auf eine Baustelle gelockt. Als wir vor einem ausgehobenen Keller standen und uns nach dem Fear Child umgesehen haben, hat es uns in diese Grube gestoßen. Ich hatte mir bei dem Sturz den Knöchel gebrochen und konnte Sammy nicht helfen, als mehrere Finsternis-Wesen über den Rand zu uns herunter sprangen. Sie hat alles gegeben, um keinem von ihnen die Möglichkeit zu geben, an mich heran zu kommen. Als sie schon ziemlich am Ende war, zogen sich die Wesen plötzlich zurück.“ Wieder fuhr er sich leicht mit der Hand durchs Gesicht. „Kaum eine Minute später schaute Amanda über den Rand zu uns hinunter. Loren sollte die Umgebung sichern, während sie uns aus der Grube half, doch kam es nicht soweit. Noch während Amanda zu uns hinunterstieg, hörten wir ein lautes Krachen. Irgendetwas hatte die Metallträger, die am Rand der Grube aufgehäuft waren, ins Rollen gebracht. Amanda konnte sich nicht ganz in Sicherheit bringen und wurde von ihnen eingeklemmt. Trotzdem befahl sie Tyra, uns zu beschützen, als die Wesen zurück kamen. Die meisten von ihnen waren Ravager und vermutlich einzig und alleine dazu da, um uns auszuradieren.“ Erneut dieses gewohnheitsmäßige über-die-Wange-Wischen, während sich Damiens Blick weiter verfinsterte. „Sammy hat nicht aufgegeben, sondern mit aller Macht gekämpft, ich war unfähig, ihr zu helfen, Amanda war eingeklemmt, Tyra war dazu angehalten, mein Leben zu schützen und Loren war völlig in seinen eigenen Kampf vertieft. Ich weiß nicht, wie lange der Kampf ging, aber irgendwann hatten mehrere Ravager sich auf Tyra gestürzt und sie regelrecht in Stücke gerissen. Als sie sich über Sammy her machen wollten, kam uns Loren endlich zu Hilfe. Er war der Einzige, der die Wesen mit einer Leichtigkeit besiegen konnte. Und als die Viecher das begriffen, nahmen sie plötzlich Reißaus.“ Ich schluckte hart, als Damien endlich schwieg. Doch gab es eine Sache, die mich nicht ruhig sitzen ließ, also stellte ich die Frage nach einem Moment der Stille. „Wieso haben diese Wesen zusammengearbeitet?“ Damiens grüne Augen schienen mich zu durchdringen und ich hatte noch nie solch eine Härte in seinem Gesicht gesehen. „Weil sie auf Befehl der Schatten-Gilden gehandelt haben.“ Kapitel 15: Fünfzehn -------------------- „Was? Was sind denn die Schatten-Gilden?“ „Was hat dir Loren die letzten Tage eigentlich beigebracht?“ „Ähm... Das Kämpfen und meine Fähigkeiten...?“ „Geschichte, verdammt! Geschichte, Gründe für unsere Existenz, so etwas hätte er dir beibringen sollen! Kämpfen geht so nebenher. Und über deine Fähigkeiten solltest du eigentlich auch instinktiv Bescheid wissen.“ „Fang du jetzt nicht auch noch damit an! Ich weiß über nichts Bescheid! Deshalb haben Loren und Chester mir erst einmal alles beigebracht, damit ich mich schützen kann, bevor ich irgendetwas anderes erfahre!“ Genervt warf ich die Arme in die Luft und sprang von meinem Stuhl auf, um diesen zu umrunden und im Raum auf und ab zu gehen. Den Schmerz an meinem Brustbein versuchte ich zu ignorieren. Nach einem Moment blieb ich jedoch wieder stehen und starrte den Rotschopf vor mir mit verletztem Blick an. „Ich bin nicht wie ihr! Ich habe keinen Zugriff auf mein instinktives Wissen, ich bin eine Abart, die mir keiner erklären kann! Ich bin weder Spiritualist noch Animalist! Und ich habe keine Ahnung von der Welt hier, weil es zu viel Wissen gibt, das ich in zu wenig Zeit erfahren soll! Und keiner kann mir direkt sagen, wie ich irgendetwas erlernen kann, da es keinen Regelfall für mich gibt!“ Bestürzt begegnete Damien meinem Blick nun und ich blinzelte gegen Tränen der Wut und der Selbstzweifel an. Natürlich hatten Loren und Chester alles gegeben, damit ich mich nicht schlecht fühlte, trotz dass ich anormal war. Dennoch änderte das nichts an der Tatsache. Ich sah die Blicke der anderen, ich erlebte am eigenen Leib, wie schwierig es war, anders zu sein, da niemand mit so einem Fall wie mir umzugehen wusste. Ich passte nun einmal weder in die eine noch in die andere Sparte von Huntern. Frustriert stieß ich die Luft aus und wandte den Blick wieder ab. „Es... tut mir leid, Krissy.“ Ich wollte Damiens Entschuldigung im Moment noch nicht annehmen, also ignorierte ich sie einfach und starrte weiter an die Spiegelwand, wo ich meine abnormalen Augen betrachten konnte: Blassblau mit einem goldenen Ring um die Iris herum. Nach einem weiteren, kurzen Moment hörte ich Damien seufzen und ich war mir beinahe sicher, dass er sich wieder mit der Hand durchs Gesicht rieb, ehe er aufstand und bei mir stehen blieb. Erst nach einigem Zögern legte er die Hand auf meine Schulter und ich schielte zu ihm hinüber. „Wirklich, Krissy, es tut mir leid. Ich bin ein Idiot. Wenn du etwas wissen willst, dann frag mich. Ich weiß jetzt Bescheid und ich werde nicht mehr vorschnell urteilen, okay?“ Mit einem langgezogenen Seufzer drehte ich den Kopf zu ihm um und musterte meinen Gegenüber missmutig. Eigentlich war er ja auch gar nicht daran Schuld, dass ich so wütend war, sondern ich selbst. Nach einem weiteren Seufzen nickte ich leicht und machte den halben Schritt auf Damien zu, um mich leicht an ihn zu lehnen. „Mir tut es auch leid. Immerhin konntest du nichts davon wissen...“ Sachte streichelte Damien mir über den Kopf, dann schob er mich zurück zu den Stühlen. „Na komm, deine Fragerunde wartet auf dich.“ Mit einem matten Lächeln folgte ich seiner Aufforderung und schob mich an Mishka vorbei, der gereizt die beiden Schwänze hin und her peitschen ließ. Meinen Gefühlsausbruch hatte er unter Anspannung beobachtet und schien bereit gewesen zu sein, Damien gewisse Körperteile abzubeißen, wenn er die Situation noch weiter verschärft hätte. Kaum dass ich saß, setzte der Kater sich wieder neben mich und legte die Vorderbeine quer über meinen Schoß, um mich beschützend einzunehmen. Erst, nachdem ich damit begonnen hatte, ihn hinter den Ohren zu kraulen, bettete er auch den Kopf in meinen Schoß und schielte nur noch mit halb geöffneten Augen zu Damien hinüber. Dieser wiederum schaute mich nun erwartungsvoll an. „Na gut“, ich verbiss mir sichtlich ein erneutes Seufzen. „Was sind diese Schatten-Gilden?“ Die orangenen Haare wippten leicht und ließen sein Pony zur Hälfte über seine rechtes Augen rutschen, als Damien nickte. „Schatten-Gilden sind so etwas wie das Gegenstück zu unseren Gilden. Kurz gesagt: Vor vielen Jahren hat es jemanden gegeben, der die Finsternis-Wesen durch seine Gabe kontrollieren konnte. Wieso auch immer kam er auf die Idee, dass er mehr Macht haben wollte und dass unsere Ansichten, die Menschen vor den Finsternis-Wesen zu schützen, falsch waren. Er meinte, wir würden aus Eigennutz handeln, da wir die Menschen so manipulieren können. Du weißt doch von den Eingeweihten, oder?“ Ich nickte langsam, was ihm Antwort genug war. „Wir haben Eingeweihte in sämtlichen Behörden und auch in den obersten Stellen der Regierung. Sie unterstützen uns und halten ihre Hand über unsere Gilden. Anders wäre es uns nicht möglich, öffentliche Zwischenfälle – die wir natürlich versuchen zu vermeiden – unter den Tisch zu kehren und nach 50 Jahren zu erklären, wieso eine Person kaum bis gar nicht gealtert ist.“ So weit hatte ich noch gar nicht gedacht, aber so langsam leuchtete mir diese unglaublich schnelle Polizei-Aktion von Chester auch ein. Die Behörden winkten es schlichtweg durch, obwohl es keinen offiziellen Einsatz gab und das nur, weil ich ein Hunter war und quasi irgendwie für die Regierung arbeiten sollte. „Die Regierung“ hörte sich so verschwörerisch an... „Jedenfalls sah dieser Kerl das alles so, als würden unsere Gilden damit die Macht halten. Irgendwie hat er da nicht unrecht, es wäre uns ein Leichtes, die richtige Regierung nach und nach zu übernehmen, in dem wir Hunter oder Eingeweihte gegen unsere aktuellen Leute an der Macht eintauschen würden. Aaaaber das würden wir nicht tun. Deshalb sind wir wir und die Schatten-Gilden die Schatten-Gilden. Der Kerl möchte Macht, unsere Leute auf seine Seite ziehen oder ausschalten und hat aus diesem Grund diese Gilden mit ein paar Anhängern damals gegründet. Im Gegensatz zu uns gibt es bei ihnen einen Erben, der alle Schatten-Gilden befehligt, das ist der Typ, der die Finsternis-Wesen kontrolliert.“ Als Damien schwieg, dachte ich kurz über das eben gesagte nach und nickte dann leicht, um ihm zu verstehen zu geben, dass ich begriffen hatte. „Okay. Und wer ist dieser Erbe, von dem Loren vorhin gesprochen hat?“ Die Gesichtszüge meines Gegenübers entgleisten und ich konnte genau sehen, dass er am liebsten etwas negatives gesagt hätte. Doch er sog nur scharf die Luft ein, ehe er sich mit beiden Händen durch das Gesicht fuhr und sich dann, mit den Ellenbogen auf seinen Knien abgestützt, nach vorne beugte. „Der Erbe ist so etwas wie der Chef einer Gilde. Jede Gilde hat seinen eigenen Erben.“ Die knallgrünen Augen Damiens wanderten zur Decke, während er nachdachte. „Der Erbe dieser Gilde hier heißt Finley. Er ist ein Animalist und hat zwei Licht-Wesen an seiner Seite. Eines der beiden ist ein Guardian Supporter und gehörte seiner Zwillingsschwester, die in einem Gefecht an seiner Seite gefallen ist. Das andere ist ein Sanctum Guard und sein eigentlicher Partner. Meist werden nur besonders starke und außergewöhnliche Hunter Erben.“ Damiens Augen zuckten zu mir hinüber und er grinste animalisch. „Du könntest bestimmt irgendwann mal einer werden. Du bist etwas besonderes, etwas einzigartiges.“ Um meine Scham zu überspielen, wandte ich den Blick rasch ab und warf ihm eine weitere Frage entgegen: „Was sind Guardian Supporter, Sanctum Guards und... Ravager und Fear Childs?“ „Jedes Wesen, ob Licht, Zwielicht oder Finsternis, hat seine eigenen Unterarten. Bei den Licht-Wesen bezieht sich das lediglich auf ihre Art zu kämpfen. Brauchen sie Unterstützung ihres menschlichen Partners durch seine Gabe und sind mehr Schild als Schwert im Kampf, dann sind sie Guardian Supporter. Wenn sie selbstständig ihren Partner schützen können, ohne größere Anstrengung und eigenständig ein Element nutzen können, sind sie Sanctum Guards.“ Er tätschelte Sammys Kopf, als diese sich neben ihm in eine sitzende Position aufrichtete. „Sammy ist so ein Guardian Supporter.“ Der Rothaarige setzte sich wieder aufrecht hin und deutete mit einem Zeigefinger auf Mishka, was meine Aufmerksamkeit auf den Kater lockte. „Er ist ein Sanctum Guard. Sanctum Guard steht, so zu sagen, für den Beschützer und aktiven Kampfpartner eines Hunter. Mittlerweile werden sie als unsere Partner angesehen, aber früher war das nicht der Fall. Früher waren sie schlichtweg unsere lebenden Waffen und unsere Lebensversicherung. Daher stammen die Namen.“ Erneut verdrehte der Junge grüblerisch die Augen zur Decke und legte die Stirn kraus. Verwirrt schüttelte ich leicht meinen Kopf und hob meine unverletzte Schulter an. „Woran erkennst du den Unterschied?“ Diese Frage lockte Damiens Augen von der Decke zu mir zurück. „Sanctum Guards haben einen massiven, muskulösen Körperbau. Guardian Supporter einen schlanken, wendigen Körper. Entweder sie bieten mehr Angriffsfläche, so wie es bei Sammys Flügeln der Fall ist, oder sie sind wesentlich kleiner.“ Nachdenklich verzog ich das Gesicht und lehnte mich weiter nach hinten. Dank Mishka, der halb auf meinem Schoß lag, konnte ich auf dem Stuhl meine Position im Moment nicht weiter ändern. „Das heißt dann, dass Dew ein Sanctum Guard ist, oder?“ Mit einem Lächeln auf den Lippen nickte Damien mir zu. „Gut, das habe ich verstanden. Weiter.“ Schmunzelnd fuhr mein Gegenüber auf diese Aufforderung hin fort: „Bei den Zwielicht-Wesen kenne ich mich nicht wirklich aus, ich glaube, da habe ich mehr geschlafen als zugehört. Ich kenne vom Namen her nur die Ember Chaser. Kleine Wesen, die meist bei 14 bis 16-jährigen Animalisten aufkreuzen und sich an sie hängen. Sie spüren den animalistischen Funken in ihnen und werden davon angezogen.“ „Ah... Okay... Die kenne ich... Nervige, kleine Viecher, die keinerlei Gehorsam kennen...“ brummte ich vor mich hin, was den Rotschopf vor mir zum Kichern brachte. „Finsternis-Wesen wiederum sind größer gefächert. Im Allgemeinen haben sie eine dunkle, ledrige oder Chitin-artige Haut, haben recht große Ohren und sind augenlos oder sehen extrem schlecht. Es gibt die Vermutung, dass die sehenden Exemplare komplett Farbenblind sind, was die schlechte Sicht erklären könnte, dann gibt es wiederum Vermutungen zu Infrarotsicht, aber das ist alles nur Spekulation. Relativ sicher jedoch ist, dass sie für uns nicht hörbare Töne aussenden, ähnlich Fledermäusen, durch welche sie ihre Umgebung mit dem Gehör wahrnehmen... Mhm... Zur Aufgliederung... Die Soul Crusher kennst du ja bereits. Sie scheinen sich nicht befehligen zu lassen, zumindest gab es noch nie einen Bericht darüber. Sie sind recht groß, haben eine ziemlich durchschnittliche Statur, einen breiten Schädel mit langer Schnauze, ein paar sehr große Ohren und eine auffällig große Nase, jedoch keine Augen. Sie töten Menschen mit einem einzigen, gezielten Schlag und reißen ihre Seele aus dem Zwischenreich heraus, um diese zu fressen. Sie können in einen regelrechten Fressrausch verfallen, wenn sie mehr als eine Person erwischen. Außerdem sind sie nur in Dunkelheit wirklich stark, da sie ihre Kraft aus den schwarzen Schatten beziehen, aber man kann sie durch gebündeltes Licht schwächen. Das heißt: Je dunkler die Umgebung, desto stärker der Soul Crusher.“ Gedankenversunken strich Damien sich mit dem Zeigefinger langsam die Wange hinab. „Fear Childs sind viel kleiner als Soul Crusher, vielleicht so groß wie ein Sheltie, und unglaublich dürr, wie ein abgemagerter Windhund. Sie haben zwei paar Ohren an ihrem flachen Schädeln, keine Augen, eine lange, spitze Schnauze und Stacheln auf dem Rücken. Sie erinnern mich immer an Chupacabras... Ähm, ja... Fear Childs können im Infraschallbereich Töne von sich geben, die Menschen in Panik versetzen, um sich von diesen Ängsten zu ernähren. Also sind sie eigentlich mehr lästig als gefährlich. Außer sie werden gezielt eingesetzt, da sie durch ihre Schreie Massenpaniken auslösen können.“ Überrascht blickte ich meinen Gegenüber an, doch schien dieser es nicht zu bemerken, denn er sprach direkt weiter. „Die gefährlichsten beiden sind wohl Raider und Ravager. Was Raider betrifft, weiß ich nur wenig, da sie recht... neu... sind. Sie sind um die 50 Kilo schwer, Töten auf Befehl und ziehen sich danach direkt wieder zurück. Wenn man sich ihnen nicht in den Weg stellt oder sie von ihrem Ziel abbringt, lassen sie einen in Ruhe. Ansonsten zögern sie nicht, auch jemand anderen, als das Ziel, zu töten. Sie haben kleine Augen, eine kurze, kräftige Schnauze mit langen Säbelzähnen und ihre Stirn geht nahezu nahtlos in die Schnauze über. Es wird vermutet, dass sie Wärmesignaturen sehen können. Ravager wiederum sind etwas größer als Soul Crusher, ähneln Raidern aber stark vom Aussehen her, doch haben sie auf dem Rücken, den Vorderläufen und dem Schädel zusätzlich eine Chitin-Panzerung. Ihre Säbelzähne sind kürzer und sie sind augenlos. Alles in allem sind beide Arten schwere, muskulöse Kampfpakete, die ihren Befehl aufs genaueste Ausführen und Kollateralschäden, wenn möglich, umgehen. Man könnte sie fast schon als Assassinen bezeichnen, denn wenn du ihr Ziel bist, hast du kaum eine Chance.“ Mishkas tiefes Knurren vibrierte durch meinen Körper, als er seinen Kopf anhob und das Nackenfell aufstellte. Beschwichtigend hob Damien jedoch direkt die Hände. „Hey, das hier ist eine Geschichtsrunde und keine Kampfansage, Kumpel.“ Mit einem abfälligen Schnauben erhob sich Mishka – endlich! – von meinem Schoß und legte sich etwas abseits in den Raum, wobei seine beiden Schwänze gereizt hin und her peitschten. Er mochte Raider und Ravager wohl ziemlich wenig. „So... Damit hätten wir die Finsternis-Wesen, die ich kenne, alle durch. Das Vieh, auf das wir vorhin getroffen sind, kenne ich nicht. Es wird sowieso vermutet, dass die Schatten-Gilden mit den Wesen herum experimentieren und ab und an eine neue Art dadurch entsteht. Was zum Beispiel die Raider erklärt, die wir noch nicht so lange kennen. Ich habe auch mal gehört, dass es noch kleine Wesen geben soll, die ungefähr die Größe einer Katze haben und völlig normal sehen können, jedoch einen giftigen Biss haben. Aber ich kenne niemanden, der so ein Wesen schon mal selbst zu Gesicht bekommen hat. Vermutlich ist das auch nur eine Art Mythos. Denn ein Finsternis-Wesen, das wirklich sehen kann und dann noch Gift besitzt, wäre unglaublich gefährlich.“ Mit skeptischem Blick schaute ich zu Mishka, der ein hauchdünnes Fauchen verlauten ließ. Das Thema Finsternis-Wesen schien ihn nervös zu machen. Nun ja, er war ja vermutlich auch durch diese gestorben, wenn ich Celestines Aussage über die Verbindung zwischen dem Tod eines Animalisten und seines Partners trauen konnte. „Sollten wir Loren und Chester dann nicht sagen, dass es eine unbekannte Art war?“ Mit einem leisen Schnaufen stand Damien nun auf und streckte sich ausgiebig. „Sie gehen bestimmt schon davon aus, dass es eine unbekannte Unterart ist, da ich – obwohl ich anwesend war – ihnen nicht gesagt habe, was für ein Wesen es war.“ Er zuckte mit den Schultern. „Sein Verhalten war anders, als das der anderen Finsternis-Wesen, das scheinen die beiden schon kapiert zu haben, denn sonst würden sie den Erben nicht damit belästigen. Und, wenn euer Erbe noch mehr darüber wissen will, wird er schon zu dir kommen und dich darauf ansprechen.“ Der Rothaarige schaute mich nun lange und träge an. Es war schon wieder mitten in der Nacht und mein schlechtes Gewissen, ihn so lange gelöchert zu haben, stand mir ins Gesicht geschrieben. Trotz allem lächelte er mich weiterhin an. „Und, gibt es noch etwas, was du wissen möchtest?“ Ohne darüber nachzudenken schüttelte ich den Kopf und Damiens Lächeln wurde zu einem breiten und trägen Grinsen. Wenn ich ihn mir so ansah, schien es, als würde er bald im Stehen und mit offenen Augen einschlafen. „Dann, ab ins Bett mit dir. Ich kauf dir nämlich nicht ab, dass du nicht müde bist. Du hast heute eindeutig mehr geleistet als ich.“ „Aber... was ist mit dir? Wo schläfst du eigentlich?“ Noch während ich aufstand, begann der Rothaarige damit, die Stühle wieder umgedreht auf den Tisch zu hängen. „Ich bin immer noch ein Hunter und, auch wenn ich nicht zu dieser Gilde gehöre, darf ich hier eines der Zimmer nutzen. Wir sehen uns dann morgen früh beim Essen.“ Ein wenig irritiert, dass er mich so einfach abschob, überreichte ich ihm seine Jacke und ging dann meines Weges. Es war spät – oder besser gesagt früh. Schlaf war eine gute Idee, auch wenn ich jetzt vermutlich noch eine ganze Weile wach im Bett liegen würde. Kapitel 16: Sechzehn -------------------- Es war unglaublich befremdlich, ohne ein Klopfen an der Tür zu erwachen. Mishka lag zufrieden schnurrend neben mir im Bett und hob nur kurz ein Augenlid an, um mein Erwachen zur Kenntnis zu nehmen, dann ignorierte er mich wieder. Also rollte ich mich auf die Seite, klaubte mein Handy vom Boden, das ich eigentlich auf dem Nachttisch abgelegt hatte, und schaute eine halbe Minute lang auf die Uhrzeit, während ich die Anzeige mit den unbeantworteten Anrufen meiner Mutter ignorant zur Seite wischte, um sie auszublenden. Es war gerade mal 06:24 Uhr, ich hatte vielleicht 4 Stunden geschlafen und war vollkommen selbstständig so früh erwacht. Ich tat meine Abscheu über die Uhrzeit mit einem angewiderten Geräusch kund und krabbelte dann vollständig aus dem Bett, was bei näherem Betrachten wohl eher an einen verwundeten Käfer erinnerte... Nachdem ich meine morgendliche Routine in dem kleinen Bad – das lediglich aus Toilette, Waschbecken und Spiegel bestand – abgearbeitet hatte, beschloss ich, die Zeit für eine ausgiebige Dusche zu nutzen. Also machte ich mich kurzerhand auf den Weg zur Frauen-Gemeinschaftsdusche, die ich gestern nach dem Training das letzte Mal zu Gesicht bekommen hatte. Mishka trottete verschlafen hinter mir her. Die Gemeinschaftsdusche bestand aus einem ziemlich großen Raum, von dem rechts und links mehrere Türen abgingen. Hinter diesen Türen befanden sich geräumige Duschkabinen, sodass man auch als kräftigere Person nicht mit den Wänden kuscheln musste. Ein Haken für das Handtuch befand sich hinter einer kleinen Trennwand nahe der Tür. In jeder Kabine standen verschiedene Shampoos, Spülungen und Duschgels bereit. Die Handtücher selbst konnte man sich aus einer Regalwand im Vorraum herausnehmen und dort in einem großen Korb auch wieder entsorgen. Es war hier also für alles gesorgt. Mit Sicherheit hatte es zu Gefängniszeiten nicht so ausgesehen. Während ich mich nackt in die Duschkabine bewegte und dort mein Handtuch an den Haken hängte, legte sich Mishka vor deren Tür auf die Fliesen und döste weiter. Ich ließ mir mit dem Genießen des warmen Wassers extra viel Zeit, ehe ich mich von der Brause wieder losreißen konnte. Nach dem Duschen stieg ich, mit meinem Handtuch umwickelt, über den schlafenden Kater hinweg, trocknete mich gänzlich im Vorraum ab, schlüpfte in meine Unterwäsche und klebte eine neue Wundkompresse über den Kratzer, ehe ich vor meinen Anziehsachen stehen blieb und diese kritisch betrachtete. Mit gerümpfter Nase zog ich meine Hose vom Vortag und das Schlaf-T-Shirt an und beschloss dabei, dass ich zwingend heute an neue Kleidung kommen musste. Auch wenn Loren mich ermahnt hatte, dieses Wochenende besser in der Gilde zu verbringen, so konnte ich nicht damit leben, ständig die selben Klamotten zu tragen und nur dann etwas Sauberes zum Anziehen zu haben, wenn ich mal abends noch beizeiten daran dachte, alles in die Wäscherei zu geben. Eine graue Jogginghose und das graue T-Shirt, das ich nun trug, nutzte ich eigentlich zum Schlafen. Es waren die einzigen anderen Kleidungsstücke, die ich hier ergattert hatte. „Na komm, Mishka. Ich brauche meinen Kaffee und einen Schlachtplan“, brummte ich wenig begeistert, während ich auf die Tür zu schlenderte. Mit schief gelegtem Kopf betrachtete die weiß-schwarze Großkatze mich einen Moment, ehe er aufsprang und mir in zwei Sätzen nach eilte. „Ich brauche was zum Anziehen, neue Sachen. Und du hast selbst gehört, dass Loren nicht erfreut sein wird, wenn ich ihm heute sage, dass ich direkt wieder vor die Tür gehen will“, erklärte ich ihm dann beim Gehen und bekam ein leises Schnauben als Antwort. „Aber zuerst“, kurzerhand schnappte ich mir in der Mensa eine Tasse und bekam gleich einen neugierigen Blick aus der Küche zu geworfen, als ich mir einen Kaffee aus der Kanne zapfte, welche wohl gerade erst hin gestellt worden war. Zur Begrüßung hob ich kurz die Hand und kippte dann einen kleinen Haufen Zucker in die Tasse, ehe ich sie bis zum Rand mit Milch auffüllte. Da ich mir jedoch gleich meine zweite Tasse auffüllen würde, blieb ich neben der Theke stehen und schlürfte den Wachmacher genüsslich und in der letzten Stille, die dieser Morgen brachte. Immerhin würde es nur noch wenige Minuten dauern, bis die ersten Hunter hier eintrudelten. Ausnahmsweise saßen nicht einmal Daisy und ihre Clique an den Tischen, woran ich mich eigentlich bereits gewöhnt hatte. Man sah sie so gut wie immer hier. Okay, die Patienten kamen ja normalerweise auch von draußen erst hier vorbei, bevor sie die Krankenstation erreichen konnten. Eigentlich ja umständlich, wenn man dafür erst die Treppen runter musste, oder nicht...? Na ja, solange ich nicht eines Tages hier halbtot herunter stolpern musste, sollte mich das nicht weiter stören. In Gedanken zuckte ich mit den Schultern und dachte nicht weiter über die Krankenstation nach.   Wie geplant holte ich mir gerade meinen Nachschub an überzuckertem, hellen Kaffee, als mich eine Hand von hinten an der Schulter berührte. Augenblicklich verkrampfte ich mich und war wieder einmal froh über meine Selbstbeherrschung, sonst wäre mir mein Kaffee wohl flöten gegangen. Nachdem ich die Tasse abgestellt und die Hände von dieser gelöst hatte, wandte ich mich mit wütendem Blick um, nur um mich Nase an Nase mit Damien wieder zu finden. Scham über die ungeplante Nähe mischte sich in meine Wut und ich machte einen hastigen Schritt zurück, wobei es einige Sekunden dauerte, bis ich meine Sprache wiederfand: „Nicht anfassen, nerven, ansprechen, erschrecken und Abstand halten, vor meinem dritten Kaffee!“ Meine Worte waren nicht so kraftvoll, wie sie eigentlich geplant gewesen waren und ich spürte die Belustigung meines Partners, als dieser den Jungen beobachtete, der etwas perplex neben mir stand. Während ich nun meinen Kaffee ergriff und ihn in tiefen Zügen in mich hinein kippte, hatte Damien Zeit, sich zu fangen und den Anflug von Unbehagen – und war da etwas Angst? – aus seinem Blick zu vertreiben. „Tut mir Leid, Krissy, aber du hast mich nicht gehört, als ich dich angesprochen habe.“ Mit finsterem Blick starrte ich über meinen Tassenrand und hob mahnend den Zeigefinger der freien Hand in die Höhe. Augenblicklich bröckelte die entschuldigende Miene Damiens und ein unterdrücktes Grinsen trat an die Oberfläche. Am liebsten hätte ich ihn dafür gebissen, doch lockerte dieses Gesicht meine Morgenmuffeligkeit auch ein wenig auf. Theatralisch verdrehte ich die Augen, holte mir nun meinen dritten Kaffee und überblickte dann kurz die paar Leute, die den Raum in der Zwischenzeit betreten hatten. „Wenn du das noch ein Mal machst, hetze ich dir Mishka auf den Hals...“ Ich gähnte ausgiebig, während der Kater einen gefräßigen Blick auf den Rotschopf warf und sich über die Lefzen leckte. „Keine Sorge: Sprechen, Anfassen und andere Kontaktaufnahmen werden auf der Stelle eingestellt.“ Nach einem mahnenden Blick schloss Damien tatsächlich den Mund und grinste mich nur noch belustigt an. Kopfschüttelnd griff ich nach einem Tablett und bediente mich dann an dem aufgetischten Frühstücksbuffet. Aus dem Augenwinkel heraus konnte ich sehen, wie Sammy sich zu Mishkas Pfoten auf den Rücken gerollt hatte und spielerisch mit ihren Pfoten nach seinem Gesicht schlug.   Das restliche Frühstück verging tatsächlich in einvernehmlichen Schweigen. Während ich gemütlich die letzte halbe Tasse Kaffee trank, konnte ich in Damiens Blick eine kleine Veränderung wahrnehmen und ich wusste direkt, was das zu bedeuten hatte. Ich sollte mir echt einmal angewöhnen, mich andersherum hin zu setzen... Oder vielleicht sollte ich mir auch einfach einen Drehstuhl organisieren...? „Guten morgen, Kris“, begrüßte mich Loren, nachdem er offensichtlich mein zufriedenes Kaffeeschlürfen als ausreichenden Konsum richtig gedeutet hatte. Damien wurde von ihm nur mit einem feindseligen Blick betrachtet. Kurzerhand lehnte ich mich an meiner Stuhllehne an, um Loren besser im Blick zu haben, und schaute zu dem blonden Wuschelkopf auf. „Morgen, Loren.“ Kurz huschten meine Augen umher, doch konnte ich Chester nirgends entdecken. Vielleicht schlief er ja noch, er war meist erst nach mir auf gewesen. „Setz' dich, iss was“, forderte ich Loren dann jedoch auf, da er mit seinem Tablett noch immer neben mir stand und finster dreinblickte. Nach kurzem Zögern folgte er jedoch meiner Aufforderung und setzte sich neben mich. Wenn man aus Frühstücken so etwas wie eine stille Kriegserklärung machen konnte, dann war Loren ein Naturtalent darin. Also verdrehte ich nur kurz die Augen und wartete ab, wann der Blonde wieder seinen Mund zum Reden öffnen würde. Für gewöhnlich schwieg er ja nie lange. „Ich wollte dich zum Frühstück abholen“, bemerkte er dann nach einer Weile, in der ich in meine Tasse gestarrt und meinen Rest Kaffee beim Kreisen beobachtet hatte. Kurzerhand trank ich die Tasse nun zur Gänze aus und stellte sie vor mir auf das Tablett. „Ich bin schon länger wach, ich hab nicht richtig schlafen können.“ Augenblicklich wurde Lorens Blick wieder gefährlicher. Doch noch bevor ich irgendetwas zum Beschwichtigen sagen konnte, meldete sich Damien zu Wort. „Ich habe Krissy gestern noch ein wenig über die verschiedenen Unterarten der Wesen aufgeklärt. Vielleicht nicht ganz so ausführlich, aber so gut ich konnte.“ Kurz konnte ich sehen, wie sich auf Lorens Gesicht Überraschung und Misstrauen die Klinke in die Hand gaben, dann seufzte er ausführlich und lehnte sich zurück. „Ja, dazu sind wir noch nicht gekommen“, gestand er leise und schob sich dann eine kleine Bratwurst in den Mund, um nicht gleich weiter reden zu müssen. Kurzerhand nutzte ich diesen Moment der Stille aus. „Loren?“ Kauend hob der Blonde eine Augenbraue an und musterte mich aufmerksam. „Ich muss einkaufen.“ Augenblicklich stellte Loren bei diesen Worten das Kauen ein und blinzelte zwei, drei Mal. Er schien sich über die Schwere dieser 3 Worte gerade bewusst zu werden, denn ich hatte weder Geld, noch wollte er, dass ich die Gilde unbedingt verließ. Mit einer gequälten Grimasse schluckte er sein Essen hinunter und musterte mich noch einmal. „Was brauchst du denn?“ Die Frage war vorsichtig gestellt, so als ob er mich mit den typischen Mädchen von heutzutage verglich, die sich ein Bein ausreißen würden, um die neuesten Markenschuhe, Taschen oder Markenklamotten zu bekommen. Oh, da kannte er mich schlecht... Gut, er kannte mich ja auch erst seit 5 Tagen. „Na ja, Kleidung.“ Erneut trat ein etwas wachsamer Ausdruck in seine Augen und ich konnte sehen, wie auch Damien uns nun mit vorsichtigem Interesse beobachtete. „Ich hab ja nichts weiter von zu hause mit genommen. Ich brauch was anderes, als das hier“, ich zupfte demonstrativ an meinem grauen T-Shirt, das ich statt des von Blut ruinierten, anderen Shirts trug. Erst jetzt klang die Vorsicht ab und mein Gegenüber grinste wieder sein typisches Loren-Grinsen. „Das heißt also, du willst heute einkaufen gehen und du brauchst Geld dafür?“ Schamesröte stieg mir ins Gesicht und ich zog den Kopf leicht ein, ehe ich zusammenzuckte, da der tiefe Kratzer an meiner Halsbeuge sich bemerkbar machte. Kritisch zog der Blonde seine Augenbrauen zusammen und ich konnte seine Finger auf der Tischplatte zucken sehen, doch behielt er sie an Ort und Stelle. „Gut, Kleidung kaufen also. Aber lass vorher noch mal nach deiner Wunde sehen.“ Als ich nur zaghaft nickte, brummte Loren leise und wandte sich wieder seinem Essen zu. „Hast du dir schon einen Gedanken dazu gemacht, wen du zum Einkaufen mitnehmen willst?“ Verdammt, Zwickmühle... „Ähm“, gab ich leise von mir und versuchte eine Antwort zu vermeiden. Denn, so lange die beiden Anwesenden sich nicht wieder mit Blicken gegenseitig aufspießten, würde ich keinen ihrer Namen nennen. Definitiv nicht, sonst würde das Ganze gleich wieder von vorne los gehen. Während ich nun darüber nachdachte, was eine passable Antwort sein könnte, stand Damien plötzlich auf. „Ich muss jetzt erst mal bei eurem Erben vorbei schauen. Wir sehen uns dann später, Krissy. Dann kannst du mir ja zeigen, was du gekauft hast.“ Und ehe ich mich versah, hatte er sein Tablett genommen und war verschwunden. Etwas überrascht schaute ich ihm noch eine Weile hinterher, dann erst wanderte mein Blick zu Loren, der ein wenig danach aussah, als wäre er siegreich vom Feld gegangen. Nur, dass dies hier ganz sicher kein Schlachtfeld war. „Und?“ Mit einem breiten Grinsen wartete der Blonde auf eine Antwort. Seufzend gab ich mich also geschlagen. „Na ja, du meintest, ich sollte jemanden aus unserer Gilde mitnehmen, da dachte ich eigentlich an dich oder Chester. Immerhin kenne ich hier ja niemanden wirklich.“ Auch wenn ich Celestine, Lars und Daisy in den letzten Tagen grob kennengelernt hatte, konnte man das noch lange nicht als kennen bezeichnen. Ich wüsste nicht, wen ich sonst mitnehmen sollte. Doch schien diese Aussage Loren zu reichen, denn er grinste noch ein wenig breiter, während er die Tabletts aufeinander stapelte und aufstand. „Wollen wir dann los? Es ist halb 8, die ersten Geschäfte machen doch um 8 auf?“ „Um 9“, verbesserte ich. „Supermärkte sind keine Innenstadtgeschäfte.“ Lorens verdutzter Blick ließ mich Grinsen, ehe er bestätigend nickte. „Na, wenn das so ist...“ Grübelnd legte er den Knöchel eines gekrümmten Zeigefingers an sein Kinn. „Was hältst du von ein bisschen Laufen? Wir wären nicht zu früh in der Stadt und man kann es als kleine Konditions-Trainingseinheit sehen.“ Mein Grinsen wurde schief, als sich eine meiner Augenbrauen ganz von alleine anhob. Na ja, ich besaß kaum Kondition, da ich ständig gezwungen gewesen war, in meinem Zimmer zu sitzen. Da wäre ein wenig Laufen nicht verkehrt. Also nickte ich zustimmend. Während der Blonde nun die Tabletts wegräumte, stand ich langsam auf und ließ meinen Blick noch einmal wandern. Chester war noch immer nicht hier. „Sag mal, Loren, wo steckt Chester eigentlich?“ Bei dieser Frage wurde der Blick meines Gegenübers leicht abweisend. „Er muss etwas erledigen. Frühestens morgen ist er wieder hier.“ Um weiteren Fragen zu entgehen, wandte er sich direkt von mir ab und entfernte sich die ersten Schritte, ehe er sich – wieder grinsend – zu mir umdrehte. „Kommst du endlich?“ Ich versuchte mir meinen Missmut nicht anmerken zu lassen, als ich Loren folgte. Auch wenn ich nun zu dieser Hunter-Gilde gehörte, so verschwiegen mir offensichtlich alle irgendetwas. Wieso? Lag es an Damien oder gar an mir selbst? Ich verschob diese Gedanken mal wieder und versuchte mich von ihnen nicht runter ziehen zu lassen. Es gab bestimmt Gründe und irgendwann würde man mich schon aufklären. Auch wenn ich Warten und Unwissenheit hasste.   Ehe wir die Gilde verließen, machten wir noch einen Abstecher zur Krankenstation, um meine Wunde checken zu lassen. Es war alles in Ordnung und ich bekam erneut ein neues Wundpflaster aufgebracht. Danach führte uns unser Weg ins Lager, damit wir Rucksäcke mitnehmen konnten, in denen wir je eine kleine Flasche zu trinken verstauten und für den Rückweg Platz für die eingekauften Sachen hätten. Auch wenn wir uns später noch spontan entscheiden würden, ob wir tatsächlich zurücklaufen sollten. Kapitel 17: Siebzehn -------------------- Nach fast anderthalb Stunden zu Fuß, durch Wald und Wiese, erreichten wir endlich die Stadt. Ich wollte mir meine Erschöpfung nicht anmerken lassen, also hatte ich die ganze Zeit versucht, unbekümmert mit Loren Schritt zu halten, der von Beginn an ein zügiges Tempo vorgab. Entweder, ich schlug mich – trotz fehlender Kondition – ganz gut, oder der Blonde hatte sich irgendwann meinem erschöpften Tempo angepasst, ohne dass es mir aufgefallen war. Aber, eigentlich interessierte es mich auch nicht weiter, denn ich war einfach nur froh, als wir das Einkaufsviertel endlich erreichten und ich mich für ein paar Minuten zu Loren auf eine Parkbank setzen konnte. In unserer Stadt hatten sie einige, größere Einkaufszentren an den Stadtrand gebaut und eine Parkanlage um diese herum angelegt. Schnaufend ließ ich den Blick über das akribisch getrimmte Gras wandern und beobachtete die Menschenmassen, wie sie von einem Gebäudekomplex in den nächsten wuselten. Abgesehen von der Schule, war ich Menschenansammlungen nicht gewohnt, was mich mein Gesicht leicht verziehen ließ, ehe ich meine Mimik hinter meiner Wasserflasche versteckte. Währenddessen war Lorens Blick wachsam auf unsere Umgebung gerichtet, während er kein bisschen außer Puste wirkte. „Genug ausgeruht?“ fragte er dann nach einer Weile, als er die Umgebung für sicher eingestuft zu haben schien. Ergeben setzte ich die Flasche ab und schraubte den Deckel darauf. „Na klar.“ Lorens Grinsen wirkte, als hätte er mich vollends durchschaut, doch hatte ich mir mit meinen übermütigen Worten selbst ins Bein geschossen, als der Blonde gleich darauf aufstand. Dew tapste um seinen Partner herum und musterte Mishka und mich herausfordernd. „Dann mal: auf in den Kampf. Ich hasse im übrigen Shoppen.“ Lachend verdrehte ich die Augen über Lorens Aussage, während ich zu den beiden aufholte. „Ich auch, glaub mir.“   Einige Stunden und unzählige Kleidungsgeschäfte später, standen wir endlich wieder im Park. Dieses Mal wirkte sogar Loren sichtlich angestrengt und schnaufte erschöpft, als er eine vollgestopfte Tüte auf eine nahe stehende Bank warf. „Menschen...“, brummelte er kaum verständlich vor sich hin. Wenn ich die hirnlosen Kaufzombies in und um die Läden herum nicht selbst gesehen hätte, hätte ich mit diesem einzelnen Wort nicht viel anfangen können. Doch so brachte es mich zum Grinsen, als ich mich auf die Bank, neben die Tüten, sinken ließ. Mishka hechelte aufgeregt, da selbst er von der einkaufenden Gesellschaft ständig herum geschubst worden war. Was sahen sie wohl in ihm? Einen zu groß geratenen Pudel? Ich musste mir echt mal zeigen lassen, wie dieses Halsband funktionierte. „Sollen wir zurück laufen?“ Lorens Stimme riss mich aus meinen Gedanken und ich hob gequält den Blick zu ihm an. Er hatte die Hände hinter dem Kopf verschränkt und die Augen halb geschlossen, während er das Gesicht der Sonne entgegen reckte. Und wieder einmal wirkte er voller Energie. Woher nahm der Kerl diese nur? Seufzend ließ ich mich ein wenig auf der Bank nach unten rutschen. „Muss das sein?“ Mit einem breiten Grinsen musterte mich mein Gegenüber aus den Augenwinkeln heraus. „Sag' nur, du kannst nicht mehr? Das lässt mich deinen Trainingsplan nur auf weitere Konditionseinheiten ausweiten.“ Mein jetziges Seufzen klang noch gequälter, als das vorherige, während ich gedanklich im Erdboden versank, was Loren zum Lachen brachte. „Gut, dann fahren wir eben. Aber nur dieses eine Mal.“ Weiterhin grinste der Blonde breit vor sich hin, während er sein Handy zückte und eine Nummer wählte. Als er sich zum Telefonieren abwandte und ein paar Schritte entfernte, zückte auch ich mein Handy und schaute auf das Display. Es war nach 14 Uhr. Wie hatten wir so lange in diesen Läden verbringen können? Ich schüttelte mich innerlich, ehe ich nun doch endlich die Tastensperre entfernte und die ungelesenen Anrufe anklickte, damit die Anzeige neben dem Button endlich verschwand. Es waren weit über 100 Anrufe, wobei irgendwann die Nummer meiner Mutter von einer „Unbekannten Nummer“ ersetzt wurde. Sie hatte wohl gedacht, dass ich dann ans Telefon gehen würde. Kopfschüttelnd wollte ich bereits das Handy wieder wegstecken, als in diesem Moment eine Anzeige aufsprang, die mir eine eingehende Textnachricht mitteilte. Mit gerunzelter Stirn verharrte mein Daumen über der Benachrichtigung, ehe ich sie endlich an tippte und sich die Nachricht öffnete. Es war eine altmodische SMS, die vermutlich von meiner Mutter stammte, denn es war wieder nur „Unbekannte Nummer“ als Versender angegeben.   Ich habe mich um deinen Fehler gekümmert. Sei beim nächsten Mal nicht so nachlässig.   Mehr stand nicht in der SMS. Verwirrt blickte ich auf den Text, überflog ihn mehrfach und wurde nicht schlau aus den Worten. Das klang nicht nach meiner Mutter. Außerdem ließ sie sich für gewöhnlich nicht dazu herab, eine Nachricht zu tippen, wenn ich jetzt so darüber nachdachte. Sie besaß ihr Handy nur dazu, dass sie unterwegs Anrufe entgegen nehmen und tätigen konnte, wenn es denn zwingend sein musste. Vermutlich wusste sie nicht einmal, welche Funktionen ein Handy neben dem Telefonieren noch besaß. Aber, wenn diese Nachricht nicht von meiner Mutter stammte, von wem kam sie dann? Wer konnte meine Nummer haben? Und woher? „Das Taxi ist schon unterwegs. … Kris? Alles okay?“ Man musste mir meine Gedanken geradezu angesehen haben, denn Loren blieb abrupt stehen und suchte kurz die Umgebung mit den Augen nach einer möglichen Gefahr ab, ehe er doch auf mich zu kam. „Du bist kreidebleich. Was ist los?“ Hastig schüttelte ich den Kopf, während ich mein Handy umklammerte und die Bildschirmsperre aktivierte, damit er nicht zufällig die Nachricht entdeckte. „Alles okay.“ Kurzerhand tastete Loren nach meiner Stirn und blickte mir besorgt in die Augen. „Du kippst aber nicht wieder um, oder?“ Kurz blinzelte ich verwirrt, dann schob ich seine Hand beiseite und stand auf, die Sorge in den haselnussbraunen Augen ignorierend. „Quatsch. Mir geht’s gut.“ Ich legte ein Lächeln auf und versuchte meine Miene unbekümmert wirken zu lassen. Irgendetwas in meinem Inneren warnte mich davor, diese Nachricht jemand anderem zu zeigen. Also vertraute ich auf dieses Gefühl und tätschelte Mishkas Kopf, als dieser sich an mich schmiegte. „Können wir noch etwas von der Bäckerei da mitnehmen?“ Prüfend musterte der Blonde mich noch einmal, dann nickte er zustimmend. „Wir hätten vielleicht zwischendurch etwas essen sollen...“ Brummelnd wandte er sich ab und steuerte auf die Bäckerei zu, nachdem er seinen Rucksack neben den Tüten abgelegt hatte. Mit einem erleichterten Seufzen ergriff ich die Tüten und stopfte sie in unsere beiden leeren Rucksäcke, ehe ich dem Blonden mit diesen folgte. Mishkas durchdringende Silberaugen lagen auf mir und schienen nur auf eine genauere Erklärung zu warten, doch winkte ich ab und vertröstete ihn somit auf später.   Wir hatten kaum den Schutzwall hinter uns gelassen, da sprang mich ein freudig wedelndes, wölfisches Biest von der Seite an und leckte mir quer über das Gesicht, als ich mit dem Hosenboden auf dem Erdreich landete. Mishka hatte sich noch rechtzeitig aus Sammys Weg begeben, da er sonst vermutlich unweigerlich mit ihrer gebündelten Fröhlichkeit kollidiert wäre. Nun stand er neben uns und ich konnte seine Belustigung tief in meinem Inneren spüren. Sein Vertrauen in das andere Wesen war rapide in die Höhe geschossen, was mich wieder einmal aus dem Konzept brachte und einen Moment verharren ließ, ehe ich die nasse Nase aus meinem Gesicht schob. „Hast du etwa auf mich gewartet, Sammy?“ Ein freudiges Jaulen war ihre Antwort, als sie mir Platz zum Aufstehen ließ und mit flatternden Flügeln um mich herum tänzelte. Langsam erhob ich mich und ließ meinen Blick wandern, bis ich Damien entdeckte. Er stand lässig an die Wand gelehnt neben dem Eingang da und beobachtete uns. Währenddessen unterdrückte Loren mal wieder seine offensichtliche Abneigung und versuchte eine neutrale Miene an den Tag zu legen. Schade, denn mir hatte der normale Loren die letzten Stunden über eindeutig besser gefallen, als der jetzige. „Du hast den Antrag also durch bekommen, wie ich sehe“, seine Stimme war mehr ein Knurren und ich konnte sehen, wie Damien sich anspannte. Irritiert schaute ich von Damien zu Loren und folgte dem Blick des Blonden daraufhin bis zu Damiens linkem Handgelenk. Mit leicht schief gelegtem Kopf musterte ich die Armbänder an diesem und entdeckte das gleiche Symbol an einem breiten Lederband, das ich an Lorens silberner Armkette auch schon entdeckt hatte. Der schwarz-silberne Mond schien Loren vollkommen zu reichen, damit er seinen Griff um den Rucksackträger festigte. „Ja, habe ich. Sonderantrag.“ Verwirrt hob ich den Blick an. Warum konnten die beiden sich nicht in vollständigen Sätzen angiften, damit ich auch besser durchstieg? Obwohl mich eine Ahnung im Hinterkopf bereits juckte, während sich Lorens Kiefermuskulatur anspannte. Bevor es wieder eskalieren konnte, trat ich einen Schritt vor. Augenblicklich richteten sich alle Blicke auf mich. „Können wir bitte rein gehen? Ich bin fix und fertig.“ Ich schaute immer noch ein wenig gequält aus, womit es keine ganze Lüge war. Und, auch wenn es einen kritischen Moment lang dauerte, so lockerte Loren doch seine angespannten Muskeln und nickte. Missmutig warf er beim Vorbeigehen dem anderen Jungen seinen Rucksack an die Brust und stapfte kommentarlos davon. Okay, so hatte ich mir das zwar nicht vorgestellt, aber immerhin gifteten sie sich nicht weiter an. Erleichtert atmete ich aus und musterte Damien eingehend, während dieser noch kurz hinter dem Blondschopf hersah. Die sommersprossigen Wangen wirkten noch immer angespannt und er sah so aus, als hätte er nach der kurzen Nacht einige Stunden mit Diskussionen verbracht. Die Erschöpfung, die ihm ins Gesicht geschrieben stand, überspielte er jedoch direkt mit einem schiefen Lächeln, als er zu mir zurück schaute. Kurzerhand öffnete er den Rucksack in seinen Armen und schaute neugierig auf die rein gestopften Einkaufstüten. „Und, was habt ihr so gekauft?“ Kapitel 18: Achtzehn -------------------- Als ich am nächsten Morgen erwachte und mich über meine neuen Klamotten freute, entschied ich mich kurzerhand ein hautfarbenes Top und eine khakifarbene Cargohose anzuziehen. Darüber zog ich ein dunkelgrünes, locker fallendes Shirt aus Chiffon, das man kaum als nützliche Lage bezeichnen konnte, auf das Loren aber bestanden hatte, da es „gut dazu passen würde.“ Und da hatte er mich zuvor noch angesehen, als ob ich in einen Kaufrausch wegen Klamotten verfallen würde, während sich im Endeffekt der Blonde selbst als modischer Kaufsuchti herausgestellt hatte. Da ich die Sachen schon am Abend zuvor wieder aus der Reinigung geholt und zusammen gelegt hatte, ließ ich Loren nicht länger als üblich warten, als dieser mich kurz darauf zum Frühstück abholte. Der allmorgendliche Trott begann wie gewohnt, wobei sich Damien klammheimlich in diesen eingeschlichen hatte und nun mit uns schweigend frühstückte. Es schien ein stummes Einverständnis zwischen den beiden Männern gegeben zu haben, denn es kam zu keinerlei Anfeindungen am Tisch. Vielleicht hatten sie auch einfach nur Angst, dass ich ihnen eins über die Rübe zog, wenn man mir meine Ruhe beim Kaffeetrinken nicht gönnte?   Doch kurz bevor wir das Essen beendet hatten, trat jemand zwei Stockwerke höher an das Geländer heran, welches gegenüber des Eingangs lag. Augenblicklich hoben sich alle Blicke an und auch das letzte Gespräch verlor sich in der aufkommenden Stille. Ich fühlte mich ein wenig wie ein junger Wolf, der von seinem Alpha begutachtet und eingeschätzt wurde, als der Blick des platinblonden Mannes auf mir ruhte und ich hätte mich im selben Moment am liebsten klein gemacht. Doch wagte ich es mich gleichzeitig nicht, mich auch nur einen Millimeter zu rühren oder gar zu blinzeln. Erst, als er den Blick von mir löste, traute ich mich wieder zu atmen und den direkten Augenkontakt abzubrechen. Dieser Mann musste der Erbe sein, ansonsten konnte ich mir diese fesselnde Ausstrahlung und diese spürbare Präsenz der Macht nicht erklären, die meine Instinkte auf Habachtstellung drängten. Als ich den Blick von ihm nahm, entdeckte ich Chester, der hinter ihm auf den Rundlauf trat. Ohne auf das Treiben zwei Ebenen unter ihm zu achten, folgte er zwei Licht-Wesen, die mich weiterhin durch die Lücken des Geländers hindurch aufmerksam im Blick behielten. Bei dem Anblick der beiden cremefarbenen Wesen brauchte ich keine weitere Bestätigung mehr, da Damien mir erzählt hatte, dass der Erbe zwei Partner besaß. Wobei eines zu seiner verstorbenen Zwillingsschwester gehört hatte. Ich hatte bis jetzt eigentlich erwartet, dass Wesen von Zwillingen auch der gleichen Untergruppierung angehörten. Doch der Körperbau unterschied die beiden und wies sie offensichtlich als einen Sanctum Guard und einen Guardian Support aus. Ich merkte nicht, dass ich die Gruppe so offensichtlich anstarrte, bis Loren mir einen Stoß mit dem Ellenbogen verpasste und ich den Blick zu ihm senkte. Fragend zog ich die Augenbrauen zusammen, doch kam ich nicht dazu, die Frage in Worte zu fassen. „Wenn du ihn weiterhin so anstarrst, könnten seine Partner dich als Gefahr einstufen“, zischte er mir nur knapp entgegen, als meine Augen erneut zu der Gruppe schweifen wollten, die gerade das Ende der Treppe erreicht hatte und auf uns zu hielt. Es brannte mir unter den Fingernägeln, ihn weiter an zu starren, auch wenn ich meinen eigenen Körper für dieses Verhalten nicht verstehen konnte. In mir griff ein Gefühl des Trotzes nach meinem Verstand, das ich nach dieser Zurechtweisung nun zwanghaft zu unterdrücken versuchte. So war ich doch sonst nicht. Für gewöhnlich nahm ich territoriale Herausforderungen nicht an, sondern überließ den Platz kurzerhand dem Herausforderer. Wieso wollte ich einem viel stärkeren Gegner nun beweisen, dass ich mich nicht unterdrücken ließ? Heftig schüttelte ich meinen Kopf und biss mir im Anschluss daran auf die Zunge, ehe mein verstohlener Blick wieder zu dem Erben glitt und ich ihn indirekt weiter musterte. Sein weißblondes Haar war in einem Pferdeschwanz im Nacken zusammengefasst, während sein langes, zerzaustes Pony ihm in die eisblauen Augen hing. Ich hatte das Gefühl, dass seine Augen sogar noch intensiver, als die der anderen Animalisten, strahlten. „Kristina Piunova.“ Selbst seine Stimme hatte eine kräftige Note, nicht aggressiv, sondern klangvoll und stark. Einen Moment lang starrte ich ihn wieder an, bis ich realisierte, dass alle im Raum auf eine Reaktion von mir warteten. Ein bekanntes Kribbeln breitete sich in meinem Hinterkopf aus, doch versuchte ich mich nicht wieder zu sehr darauf zu konzentrieren, stattdessen vertraute ich auf eine vage Eingebung die damit einher ging und so erhob ich mich von meinem Stuhl. Wie ferngesteuert legte ich die Rechte, zur Faust geballt, über mein Herz und verbeugte mich leicht. Doch achtete ich darauf, mich nicht zu tief zu verbeugen. Ich war nicht sein Speichellecker, der zu Kreuze kroch, und das durfte er gerne wissen. Als ich mich wieder aufrichtete, hätte ich schwören können, dass seine Mundwinkel gezuckt hatten, doch war der Moment zu schnell verflogen, um mir wirklich sicher zu sein. „Nun habe ich also auch endlich die Gelegenheit, dich kennen zu lernen.“ Bei diesen Worten umrundeten mich die beiden Licht-Wesen, was Mishka zu einem fast tonlosen Fauchen veranlasste. Nur ein Fingerzucken meinerseits reichte jedoch aus, dass er schwieg und den Kopf ein wenig senkte. Der Sanctum Guard, ein Männchen, blieb vor Mishka stehen und strahlte eine Dominanz aus, die den Kater vor unterdrückter Anspannung zittern ließ. Das Weibchen blieb schließlich vor mir stehen und starrte mit grasgrünen Augen zu mir auf, bis ich meinen Blick vom Erben nahm und den ihren erwiderte. Irgendetwas in ihrer Mimik ließ mich ein wenig entspannen und Mishka tat es mir gleich, was seinen Gegenüber zu seinem Partner zurück trotten ließ. Nur langsam hob ich den Blick nun wieder an. Dieses Mal jedoch nicht ganz so trotzig wie zuvor. War das gerade ein Test? Ein kaum merkliches Nicken meines Gegenübers ließ mich das jedenfalls annehmen, denn erst jetzt begannen die Leute in der Kantine langsam wieder ihr Frühstück fortzusetzen, auch wenn ihre Blicke weiterhin auf uns gerichtet blieben. „Es gibt einige Dinge, die wir zu besprechen haben.“ Wieso hatte ich nur das Gefühl, dass bei diesem Mann selbst Fragen im Befehlston ausgesprochen wurden? Kurz zuckte mein Blick über den Tisch zu Damien, der uns angespannt beobachtete, dann zu Loren, der die Ruhe weg war, bis hin zu Chester, der vollkommen undurchschaubar drein blickte. Als ich den Erben wieder anschaute, fühlte ich eine leichte Unsicherheit in mir aufkommen, die ich mühevoll zu ignorieren versuchte. Um dieses Gefühl zu übertünchen, nickte ich leicht und ließ meine Fingerspitzen in Mishkas Fell gleiten. „Ich habe gerade Zeit.“ Wieder zuckte einer seiner Mundwinkel ein wenig nach oben und dieses Mal war ich mir ganz sicher, es gesehen zu haben. Mein, mir unerklärliches, Verhalten schien ihn zu amüsieren. Doch mich selbst verwirrte es umso mehr. „Wenn das so ist, dann macht es dir sicher nichts aus, direkt mit zu kommen.“ Ohne zu warten, wandte der Weißblonde sich um und hielt auf die Treppe zu, die er zuvor heruntergekommen war. Nach einem kurzen Zögern, in dem ich erkannte, dass kein anderer folgen würde, eilte ich ihm hinterher. Kapitel 19: Neunzehn -------------------- Der Erbe führte mich durch ein Wirrwarr aus Gängen, welche ich bisher noch nicht kannte, bis wir schließlich durch eine massive, dunkle, auf Hochglanz polierte Holztür traten. Langsam bekam ich den Eindruck, dass wichtige Leute hier ihre eigene Art von Tür hatten, damit man ihren Rang besser erkennen konnte. Doch verwarf ich diesen unwichtigen und albernen Gedanken gleich wieder, als ich das ausladende Büro betrat, dessen Blickfang die gegenüberliegende Monitorwand war. Vor den unzähligen, momentan schwarzen, Bildschirmen stand ein massiver Schreibtisch, der beinahe schon langweilig wirkte, wenn man die ordentlichen Papierstapel darauf betrachtete. Während mein Blick weiter glitt, streifte er einige teuer aussehende Gemälde an den Wänden, bis er auf eine Sitzecke traf, die wohl für eine entspanntere Unterhaltung gedacht war, als der Schreibtisch, vor dem ich jetzt stand. Der Blonde stand mir gegenüber und dass uns der Schreibtisch voneinander trennte war gut. Denn ich spürte schon wieder dieses aufmüpfige Gefühl in mir hoch steigen, als ich nun wieder in seine Augen blickte. „Setz dich.“ Als ich nicht reagierte, hob sich einer seiner Mundwinkel minimal an und ich sah, wie sich seine Partner links und rechts vom Schreibtisch niederlegten, um mich im Auge zu behalten. „Setz dich, Kristina. Wir wollen uns nur unterhalten.“ Nach einem weiteren Zögern, zwang ich mich schließlich dazu, mich tatsächlich auf den dargebotenen Stuhl zu setzen. Erst danach setzte auch der Erbe sich hin. „Zu aller erst: ich heiße Finley Ó Caoimh und bin der Erbe der Silvermoon-Gilde. Auch wenn dein Instinkt dich zur Vorsicht anhält, hast du von mir nichts zu befürchten, solange du dich an die Regeln hältst.“ Überrascht hob ich den Blick weiter an, welchen ich bis eben gesenkt gehalten hatte, um ihn nicht offen heraus anzustarren. „Dein Verhalten ist völlig normal, da du die Gene eines Erben in dir trägst. Du bist noch jung und unerfahren und willst dich instinktiv beweisen. Das ist nicht verwerflich, doch solltest du daran denken, dass ich hier über dir stehe.“ Die Worte meines Gegenübers verwirrten mich und so ließ ich den Blick nachdenklich wieder sinken. „Das heißt, dass ich mich jetzt immer so... anders... verhalten werde, wenn ich auf einen Erben treffe?“ Mir gefiel der Gedanke nicht, da ich dieses Ich nicht mochte und nicht wusste, wie ich damit umgehen sollte. „Ja und nein.“ Fragend schielte ich zu Finley hinüber. „Du lernst es zu kontrollieren und du tust es bereits.“ Nun hob ich doch wieder den Blick an, um in das amüsierte Gesicht des Erben zu blicken. „Spürst du in diesem Moment Auflehnung in dir? Den Drang, mich bezwingen zu wollen? Nein, oder?“ Die Belustigung über mein verblüfftes Gesicht spiegelte sich nur in den strahlend blauen Augen und dem winzigen, angedeuteten Lächeln meines Gegenübers wider. „Als jemand, der die Gene eines Erben in sich trägt, ist es wichtig, dass du einen anderen Erben erkennst, da auch dieser dich erkennen wird. Denn auch die Schatten-Gilden haben Erben an ihrer Spitze und diese wollen dich mit Sicherheit töten, wenn sie dich erkennen. Trotzdem solltest du wissen, dass du hier sicher bist, trotz dass auch ich ein Erbe bin. Hier stehst du unter meinem Schutz und, da die Gilden-Mitglieder gesehen haben, wie du dich mir gegenüber gebeugt hast, werden auch sie dich von nun an als vollwertiges Mitglied akzeptieren und schützen.“ „Also war das vorhin wirklich ein Test.“ Es war mehr eine Feststellung, als eine Frage, während ich selbstkritisch lächelte. Gut, damit konnte ich leben, immerhin machten die Worte des Erben tatsächlich Sinn. Auch wenn das bedeutete, dass ich mal wieder mehr an mir arbeiten musste, als mir lieb war, da das definitiv anstrengend werden würde. „Okaaay“, ich zog das Wort ein wenig in die Länge, während ich mich darauf konzentrierte, mich etwas mehr zu entspannen. „Aber, wieso trage ich die Gene eines Erben in mir?“ wandte ich mich nun endlich der wichtigeren Frage zu, die ich bisher hinten an gestellt hatte. „Da gibt es nur zwei Möglichkeiten: Die eine ist, dass eines deiner Elternteile – oder ein anderer, naher Vorfahr von dir – ein Erbe ist oder war. Die andere, seltenere Möglichkeit jedoch ist: Dass es eine zufällige Genabnormalität ist.“ Augenblicklich analysierte ich in Gedanken meine Eltern, als diese Worte fielen. Bei meiner Mutter konnte ich mit Sicherheit ausschließen, dass sie ein Hunter war. Was meinen Vater betraf, bezweifelte ich es ebenso, auch wenn ich mich kaum noch an ihn erinnerte. Immerhin war er die meiste Zeit bei uns zu hause gewesen, bis er einfach so abgehauen war. Also war ich mal wieder abnormal. Langsam begann ich, mich selbst immer weniger zu mögen. Immerhin hatte mich meine Mom für all diese Abnormalitäten mein Leben lang gehasst und für psychisch gestört gehalten. Mein Schweigen schien Finley richtig zu deuten, denn er schwenkte das Thema in eine etwas andere Richtung. „Da du der Träger des Erben-Gens bist, steht dir ein persönlicher Wächter zur Seite. Eigentlich solltest du bereits wissen, wer das ist.“ Mit dieser Aussage schaffte der Blonde es tatsächlich, meine Gedanken auf etwas anderes als mich selbst zu lenken und ich hob eine Augenbraue an. „Ein Wächter?“ Mein Blick glitt kurz zu Mishka, der mich mit seinen silbernen Augen aufmerksam betrachtete. „Damien... Damien!?“ „Exakt. Der Junge von der Moonriver-Gilde. Seine Gabe besteht darin, dein Wohlbefinden nach zu empfinden, richtig? Er ist definitiv dein Wächter. Und nur aus diesem Grund habe ich seiner Versetzung in meine Gilde zugestimmt, obwohl dies einige Unruhen herbeiführen wird. Er gehört an deine Seite, deshalb werdet ihr beide ein Team bilden und auch zukünftig zusammen trainieren und arbeiten.“ Im ersten Moment freute ich mich über diese Tatsache, doch dann wurde mir bewusst wer unser Trainer war und mein Blick wurde nachdenklich. „Loren hasst ihn...“ Es war unglaublich schwer, im Gesicht des Erben zu lesen und so konnte ich nicht herausfinden, was er von diesen Worten hielt. „Loren ist der höchste Trainer für Animalisten dieser Gilde. Er wird seinen persönlichen Clinch beiseite legen müssen.“ An der Härte in Finleys Stimme erkannte ich jedoch, dass dies sein letztes Wort dazu war, weshalb ich einfach nur nickte. Doch bevor ich von diesem Thema ablassen konnte, musste ich noch eine Antwort bekommen. Immerhin gehörte noch jemand anderes zu meinem Lehrer-Team. „Und was ist mit Chester?“ Die Härte in seiner Stimme wich nun wieder einer amüsierten Tonlage. „Da du ein Sonderfall bist und Chester, seinem Rang entsprechend, über Loren steht und ihn somit unter Kontrolle halten wird, wird auch er weiterhin mit unterrichten.“ Ein wenig irritiert runzelte ich die Stirn, nickte jedoch wieder gehorsam. Dass ich so nebenbei mehr Informationen über Loren und Chester bekam, war irgendwie seltsam. „Und, noch etwas zu besagtem Sonderfall: Chester hat mich in Kenntnis darüber gesetzt, dass du Probleme mit dem Element hast, welches du gewählt hast. Finde heraus, was das Element deines Wächters ist. Das sollte dir weiterhelfen, deine eigenen Fähigkeiten besser kennen zu lernen.“ Finley schwieg nur kurz, ehe er das Gespräch abrupt beendete. Seine Augen zuckten kurz zu einem Tablet-PC auf seiner Tischseite, welchen ich durch eine offensichtlich angebrachte Sichtschutzfolie nicht einsehen konnte. „Da nun das Wichtigste geklärt ist, solltest du dir endlich dein Gilden-Logo besorgen. Du findest Trisha hinter der zweiten Tür am Anfang dieses Ganges, auf der linken Seite.“ Mishka stand als erstes auf, wobei die Blicke der anderen Licht-Wesen warnend waren. Als ich es ihm gleichtat, kroch erneut die Herausforderung in mir hoch, was mich mein Kinn etwas mehr als nötig anheben ließ. Doch biss ich mir da schon wieder auf die Zunge, um meinen Instinkt im Zaum zu halten. Stattdessen verbeugte ich mich erneut, mit der Rechten über dem Herzen – jedoch nicht zu tief! – und verließ dann dankend das Büro. Insgeheim hoffte ich, dass ich dieses Verhalten sehr bald unter Kontrolle bekommen würde. Kapitel 20: Zwanzig ------------------- Als ich die Tür öffnete, die mir der Erbe genannt hatte, blieb ich erst einmal stehen und schaute mich in dem Raum um, der an ein Juweliergeschäft erinnerte. Hinter einer Stellwand, die einen kleinen Teil des hinteren Raumes vom vorderen trennte, konnte ich den schmalen Rücken einer Frau erkennen, die auf einem Stuhl saß. Vorsichtshalber klopfte ich noch einmal an den Türrahmen, bevor ich ganz eintrat, doch schien die Frau mich noch immer nicht zu hören. Skeptisch warf ich Mishka einen Blick zu. „Entschuldigung?“ Als auch jetzt keine Antwort kam, ging ich kurzerhand auf den Tresen zu, um mich etwas darüber zu lehnen und um die Trennwand herum zu schauen. Dort saß eine Frau mit strähnigen, braunen Haaren, die sie zu einem zerzausten Dutt hochgesteckt hatte, über einen sperrigen Tisch gelehnt, auf dem verschiedene Werkzeuge herum lagen und Maschinen standen, die wohl zur Bearbeitung von Schmuck dienten. „Hallo?!“ Bei diesem Ausruf zuckte die Braunhaarige endlich zusammen und zog sich ihre In-ear-Kopfhörer aus den Ohren, als sie sich zu mir umwandte. In ihren blassbraunen Augen spiegelte sich Überraschung. „Oh, entschuldige, ich hab dich nicht gehört.“ Mit einem Lächeln stand meine Gegenüber auf und kam an den Tresen. Kurzerhand musterte sie mich einmal von oben bis unten, dann strich sie sich eine Strähne aus dem Gesicht, die sich aus ihrem wirren Dutt gelöst hatte. Auf einem Schildchen, das sie an ihrem grauen Spaghettiträgershirt befestigt hatte, stand in kunstvollen Schnörkeln der Name Trisha. „Wie kann ich dir helfen?“ Insgeheim wunderte ich mich, wieso anscheinend alle Menschen hier rund um die Uhr zu arbeiten schienen. Egal, ob ich früh oder spät irgendwo eintraf, die Leute schienen in ihren Arbeitsräumen zu hausen. Vielleicht war das aber auch einfach nur so ein Ding von Spiritualisten, wenn ihre Fähigkeit mit ihrer Aufgabe hier drinnen zu tun hatte. „Ich bin Kris und ich soll mir mein Gilden-Logo besorgen.“ Ihr Lächeln wurde strahlender, als sie mich noch einmal musterte. „Was stellst du dir vor? Kette, Ring, Armband? Was spezielles? Oder soll ich dir erst einmal zeigen, was ich alles machen kann?“ Überrumpelt blinzelte ich zweimal schnell hintereinander und folgte dann mit einem Blick der Frau, die nun um den Tresen herum kam. „Gut, zu viele Fragen. Schau dich erst einmal um. Wenn du etwas findest, das dich anspricht, sag Bescheid“, sie deutete mit der Hand auf die rechte Wand, an der verschiedene Arten von Ketten aufgehängt waren und Auslagen mit diversen anderen Schmuckstücken standen. Geduldig blieb Trisha auf Abstand, als ich mich umschaute. Wie sollte man sich bei so vielen Schmuckstücken entscheiden, wenn man eigentlich kein großartiger Schmuck-Mensch war? Alles war irgendwie einzigartig, hatte seinen eigenen Charme. Mit neugierigem Blick kam Mishka neben mir zum Stehen und reckte den Hals ein wenig, damit er in die Auslage schauen konnte. Er musste meine Ratlosigkeit bemerkt haben und schien mich unterstützen zu wollen, denn er ging kurz vor der Wand auf und ab, bis er schließlich stehen blieb und den Kopf schief legte. Während seine Ohren leicht zuckten, griff ich nach dem breiten, braunen Lederarmband, an dem eine metallene Platte mit dem Silvermoon-Logo angebracht war, welches der Kater fixierte. Mishkas Blick war aufmerksam auf mich gerichtet, während ich das prunklose Leder betrachtete. „Ja, doch, nicht zu protzig und stört nicht unnötig.“ Ich konnte den Stolz in den silbernen Augen erkennen, als Mishka sich hinsetzte und die beiden Schwänze um seine Beine herum legte. Im nächsten Moment war Trisha auch schon neben mir. „Mhm“, machte sie leise und verschwand dann wieder hinter der Wand. Als sie zurück kam, hatte sie ein paar Lederarmbänder dabei, die verschiedene Brauntöne und Oberflächen aufwiesen, und legte diese auf die Theke. Noch bevor ich sie wirklich betrachten konnte, schob sie drei von ihnen in den Vordergrund. Zögernd legte ich das Armband in meiner Hand wieder zurück und ließ meinen Blick über das Angebot schweifen, das sie mir ausgelegt hatte. Die drei, die sie nach vorne gerückt hatte, gefielen auch mir persönlich am besten. Letztendlich entschied ich mich für ein etwas festeres, mattbraunes Lederband, das knappe 2 Zentimeter breit war. „Schön. Warte kurz, ich mach es dir gleich fertig.“ Und schon war die Braunhaarige wieder hinter der Trennwand verschwunden. Nachdem das Klacken von diversen Zangen verstummte, reichte sie mir schlussendlich das fertige Armband, doch ließ sie es erst nach kurzem Zögern los. „Mhm... Trägst du immer einen Gürtel?“ „Ähm... Ja?“ Irritiert schaute ich dabei zu, wie die Frau erneut verschwand und mit einem Gürtel, aus dem selben Leder aus dem auch das Armband bestand, in der Hand zurückkam, auf dessen Schnalle das Gilden-Logo prangte. „Wenn du willst, kannst du den auch noch haben. Würde gut aussehen.“ „Danke“, war das einzige, das mir dazu einfiel. „Ach, quatsch, das ist mein Job. Außerdem, wenn du irgendwann mal irgendwelchen Schmuck haben willst, komm einfach her. Ich mach nicht nur die Gilden-Logos und ich freue mich immer, über neue Aufträge.“ Ich lächelte etwas befangen und nickte kurz, als Mishka um mich herum streifte und so zum Gehen aufforderte. „Nochmals danke.“   Als ich nun endlich wieder die Mensa betrat, hatte ich meinen Gürtel bereits gegen den neuen getauscht und den alten, zusammengerollt, in eine meiner Beintaschen gesteckt. Das Armband an meinem rechten Handgelenk war zwar ungewohnt, doch irgendwie fühlte es sich auch gut an. Es war das Gefühl, dazu zu gehören. Und so trat ich auch mit einem leichten Lächeln an den Tisch, an dem die drei Jungs noch immer saßen und scheinbar auf mich gewartet hatten. „Na, wie ist es gelaufen?“ Damiens Blick wanderte von meiner Gürtelschnalle zu meinem Armband. Währenddessen zuckte ich mit den Schultern. „Ich weiß nicht. Ganz gut, schätze ich. Aber das ist alles ein wenig viel.“ „Was denn?“ „Na ja, dass ich ein Erbe bin, dass du mein Wächter bist, dass mich hier die ranghöchsten Tiere unterrichten.“ Auch wenn ich zuerst etwas gequält drein geschaut hatte, so grinste ich Loren und Chester nun an, wobei Loren ertappt mit den Schultern zuckte, ehe er das Thema wechselte. „Na ja, Unterricht hört sich doch gut an.“ Kurz zog ich die Augenbrauen zusammen, ehe ich doch eine anhob. „Das einzige, das bei dir hängen bleibt, ist das Wort Unterricht, wirklich?“ „Was denn, Kris? Dafür sind wir doch da? Um dich – euch – zu unterrichten. Also, was ist?“ Kopfschüttelnd grinste ich vor mich hin, als die drei nun aufstanden und Damien mir kurz seinen Arm um die Schulter legte. „Ich hab dir ja gesagt, du könntest ein Erbe sein.“ Und mit diesen Worten machten wir uns auf den Weg zu meinem üblichen Trainingsraum. Loren hatte recht, ich musste trainieren und gemeinsam mit Damien würde das bestimmt um einiges interessanter werden. Kapitel 21: Einundzwanzig ------------------------- „So, dann zeig mal, was du kannst.“ Loren stützte seine Hände in die Hüften und schaute Damien auffordernd an, der unter seinem Blick ein wenig zu schrumpfen schien. „Ich... Muss das sein?“ Lorens steinerne Miene zwang Damien dazu, sich mit einem Seufzen zu ergeben und in die Mitte des Raumes zu schlurfen. Sammy sprang aufgeregt um ihn herum und wedelte erfreut mit dem Schwanz, wobei sie erwartungsvoll zu ihrem Partner aufschaute. „Ich bin aber nicht sonderlich gut im Kämpfen...“ „Was du nicht sagst. Und jetzt fang an.“ Nur für einen kurzen Moment fraßen die beiden sich mit Blicken auf, dann gab Damien nach und schaute zur Seite weg. Chester und ich saßen derweil mit aufmerksamen Blicken an der Wand auf zwei Stühlen. Laut dem Erben war es wichtig für mich, heraus zu finden, was für ein Element Damien beherrschte, um die Probleme mit meiner eigenen Fähigkeit zu überwinden. Also wartete ich gespannt darauf, was es sein würde. Bisher ging ich ja noch davon aus, dass ich alle Elemente durch probiert hatte. Damien wiederum schien angestrengt nach zu denken, was mich ein wenig skeptisch werden ließ. Was war los? Ungeduldig trat Loren auf ihn zu und als Dew herausfordernd grollte, blieb sogar Sammy stehen und schien ernst machen zu wollen. Sie faltete ihre Flügel flatternd auseinander und streckte sie zur vollen Breite aus, doch Damien zögerte weiterhin. Etwas, was die Wölfin mit einem ungeduldigen Fiepen quittierte und kurz über die Schulter zurück schauen ließ. Irgendetwas beschäftigte den Rothaarigen, was ihn zurückhielt und ich griff unwillkürlich nach Mishka, der neben mir saß, um ihn zu streicheln. „Hey! Hier vorne spielt die Musik!“ Der Blonde schnippte mit den Fingern und Dew schoss nach vorne, um sich auf Sammy zu stürzen. Diese sprang im letzten Moment aus dem Weg und gab einen vorwurfsvollen Ton von sich. Damien hingegen verkrampfte sich nur weiter und biss sich auf die Unterlippe. „Hey, Schwachkopf, willst du nicht etwas unternehmen?“ Dew jagte Sammy durch den Raum, die alleine ihrer Wendigkeit verdankte, dass sie immer wieder knapp entkommen konnte. Doch als ihre Runde sie wieder zu ihrem Partner führte, schlitterte sie kurzerhand um ihn herum, damit sie ihm in die Hand knuffen konnte. Sie wollte offensichtlich, dass er ihr half. Warum tat er es nicht? „Schlecht kämpfen und gar nicht kämpfen sind zwei verschiedene Sachen.“ Man konnte Loren ansehen, dass ihn das Ganze gehörig nervte. Mit einer fahrigen Handbewegung ließ er um Dews Maul herum Flammen auflodern und das Wesen tänzelte kurz erfreut über die offensichtliche Aufforderung zur Nutzung seines Elements. Er schien den Gebrauch des Elements richtig zu genießen, was Sammy die Flügel einknicken und winseln ließ. Trotzdem kam die Wölfin ihrem gehörnten Gegner entgegen. Langsam schritten die beiden aufeinander zu, wobei Sammy den Kopf bei jedem Schritt weiter senkte und immer vernehmlicher zu Knurren begann. Ich konnte die Frustration des Wesens beinahe am eigenen Leib spüren, als sie stehen blieb und die Flügel anlegte, nur um sie direkt wieder mit einem Ruck zur Gänze zu entfalten. Ein leichtes, dunkles Schimmern umspielte ihre Flügel und Damien hob erschrocken den Blick an. Damien hatte mir erzählt, dass Guardian Supporter das Element ihres Partners bedingt selbst einsetzen konnten, was jedoch starken Willen brauchte und nicht ihre eigene Energiequelle sondern die des menschlichen Partners anzapfte, da sie selbst keine hatten. Und Sammy stand nun kurz davor, es selbst zu nutzen, weil ihr Partner sich weigerte. Doch ließ Damiens Ausruf das leichte Flackern direkt wieder verschwinden. „Nein! Sammy, lass das!“ Vorwurfsvoll zog die Wölfin die Lefzen zurück und wirbelte zu dem Rothaarigen herum. Dew setzte sich abwartend auf seinen Hintern und reckte neugierig den gehörnten Kopf, um über die Schwingen der Wölfin hinwegsehen zu können, während diese auf ihren Partner zu stapfte und aufgebrachtes Bellen ausstieß. Ich könnte wetten, dass sie – wenn sie für uns verständlich sprechen könnte – gerade unglaublich am Fluchen und Beleidigen war. Sie flatterte immer wieder aufgebracht mit den Flügeln und ich konnte sehen, dass nun wieder schwarze Schemen aufflackerten, dieses Mal jedoch um ihr Maul herum. „Sammy, hör auf“, ermahnte ihr Partner sie grimmig, was diese mit einem unwirschen Knurren quittierte, als sie vor ihm zum Stehen kam. Um ihre Lefzen herum waberte es nun tief schwarz. Als sie die Zähne zeigte, waren diese in schwarze Schatten gehüllt. Also konnte Damien den Schatten selbst kontrollieren und nicht durch Lichtbrechung Schatten nutzen! Schatten war sein Element! „Schatten!“ Lorens erschrockene Stimme riss mich aus der Konzentration und ich entdeckte sein entsetztes Gesicht, als er einen Schritt zurückwich. Was war an diesem Element so schlimm und wieso hatte er mir nichts von der Existenz dessen erzählt? Wieso hatte er es mich nicht ausprobieren lassen? Ganz automatisch wusste ich, dass Schatten auch mein Element war. „Wieso hast du so ein Element?“ Und da war Lorens Wut auch schon wieder zurück. Ich wusste nicht, was mich dazu trieb, doch ich stand mit Chester zusammen auf, um mich zwischen die beiden zu stellen. Während Chester seinen Freund bei den Schultern packte, wandte ich mich meinem langjährigen Freund zu. „Was...!? Aber...! Er beherrscht die Schatten, Night!“ Ich selbst kniete mich erst einmal zu Sammy hinunter, die noch immer die Schatten um ihr Maul herum züngeln hatte, und streichelte ihr sanft über den Kopf. Langsam wandte sie den Blick an mich und entspannte sich wieder, was die Schwärze sich verflüchtigen ließ. Ihr Blick war tief traurig. „Wieso hältst du Sammy davon ab, dein Element zu nutzen? Was ist so schlimm daran, dass du dich selbst davon abhältst, Damien?“ Nach kurzem Zögern schaute ich zu dem Rothaarigen auf, der sich auf die Unterlippe biss. Seine Stimme war leise, als er endlich zu mir sprach. „Weil es kein gutes Element ist. Schatten führt zu Dunkelheit, Dunkelheit führt zu den Schatten-Gilden. In meiner vorherigen Gilde hat man mir davon abgeraten, es zu benutzen, da jeder, der Schatten beherrschte, früher oder später übergelaufen ist, wenn es ihn nicht vorher bereits umgebracht hat.“ Skeptisch zog ich die Augenbrauen zusammen und stand dann auf, sodass ich fast Nase an Nase mit meinem Gegenüber stand. Früher hatte diese Nähe gereicht, seinen Widerspruch im Keim zu ersticken, da er mit einer Kopfnuss hatte rechnen müssen, weshalb ich mir diese Gewohnheit zu nutze machte. Auch wenn ich mich nun dazu auf die Zehenspitzen hätte stellen müssen. „Du bist hier und nicht bei den Schatten-Gilden, oder? Also hör auf, so einen Unsinn zu reden! Zeig mir, was du kannst und bring es mir dann bei.“ Ich hätte nicht erwartet, dass es nach meinen Worten so still im Raum werden würde, doch so war es. Alle starrten mich an, doch nur Sammys und Mishkas Blicke waren erfreut. Unbehagen kroch in mir hinauf und ich hielt unwillkürlich in der Stille die Luft an. „Bist du noch zu retten?!“ „Loren!“ „Schatten bringen nur Unheil!“ Seufzend drehte ich mich zu dem Blonden um und musterte seine haselnussbraunen Augen erschöpft, deren Ausdruck zwischen Wut und Verunsicherung schwankte. „Ein Hunter weiß instinktiv, was sein Element ist, richtig? Und Fi-... der Erbe meinte, ich solle herausfinden, was Damiens Element ist, das würde mir meine eigenen Probleme damit nehmen. Schatten ist das einzige, das du mich nicht hast ausprobieren lassen. Ich weiß einfach, dass es mein Element ist.“ In Lorens Gesicht konnte man den inneren Kampf ablesen, ehe er die Hände in die Luft warf und sich mit einem entnervten Geräusch abwandte. Pflichtbewusst tappte Dew hinter ihm her und ließ seinen echsenartigen Schwanz sanft hin und her schwingen. Erst, als Loren sich mit verschränkten Armen auf meinen vorherigen Platz gesetzt hatte, meldete sich Damien hinter mir zu Wort. „Krissy, er hat Recht. Schatten bringen nur Unheil.“ Da mich hier offensichtlich niemand unterstützen wollte, hob ich eine Hand an, um den Kupferhaarigen zum Schweigen zu bringen. „Bring' es mir bei, oder ich lerne es eigenhändig. So hab ich es auch mit Mishka und unserem animalistischen Bund gemacht und es hat funktioniert, richtig?“ Das Schnurren der schwarz-weißen Großkatze erfüllte den Raum. Anscheinend war mein Blick entschlossen genug oder aber der Gedanke an mein kommendes Handeln war zu unheilvoll, denn Chester nickte ohne zu Zögern. „Auch wenn es Risikobehaftet ist“, er zuckte mit den Schultern. „Keiner wird euch einschränken, so wie es vorher bei dir war, Damien. Auch wenn ich das Handeln der Moonriver-Gilde keineswegs verurteile.“ Während der Schwarzhaarige nun zurücktrat, deutete er mit der flachen Hand in die Raummitte. „Keine Einschränkungen mehr, also, zeigst du uns jetzt, was du gelernt hast?“ Die Unsicherheit war nicht aus Damiens Blick gewichen und er schwieg, was Sammy die Ohren nach ihm ausrichten ließ. Als sie dann jedoch zu wedeln begann, bemerkte auch ich die leichte Veränderung in seiner Mimik und trat ein wenig beiseite. Der Rothaarige atmete tief durch und machte eine Handbewegung, durch die er seine Partnerin weiter in den Raum hinein scheuchte. Freudig sprang die Wölfin davon und präsentierte dann voller Stolz ihre in Schatten gehüllten Fänge. Als sie ein Halbrund ablief, hüllten sich ihre Pfoten in die selben schwarzen Flammen, die erst ihre Geschwindigkeit erhöhten und dann auch ihren Sprung sichtlich verstärkten, als sie sich Meterhoch in die Luft katapultierte. Noch bevor sie wieder zu Boden fallen konnte, breitete Sammy ruckartig die Flügel auseinander und demonstrierte schwarz schimmernde Membranen. Sanft segelte sie auf diesen, in einem ausschweifenden Bogen, zu Boden. Doch kaum war sie gelandet, flammten ihre Schwingen auch schon gänzlich in Schwärze auf und sie schlug sie hastig vor ihrer Schnauze zusammen, um sie wie ein Schild zu nutzen. Als im nächsten Moment ein schwarzer Bolzen daran abprallte, zuckte ich zusammen und richtete meinen Blick auf Damien, der einhändig eine kleine Pistolenarmbrust hielt. Die Unbeschwertheit, die nun in seinen grünen Augen aufflackerte, war es, die mir zeigte, dass Chesters Aussage eine große Änderung für meinen besten Freund aus Kindertagen bedeutete. Und zwar eine positive. Kapitel 22: Zweiundzwanzig -------------------------- Mit einem höchst erfreuten Jaulen sprang Sammy ihrem Partner in die Arme, der seine Pistolenarmbrust verschwinden ließ und sie auffing. Ich persönlich wäre am Boden festgenagelt gewesen, wenn sie das bei mir gemacht hätte, doch bei Damien sah es so aus, als würde sie nichts wiegen. Stolz lobte er die Wölfin, die ihm das Gesicht ableckte. Die beiden schienen für den Moment vergessen zu haben, wo sie waren, was mich zufrieden lächeln ließ. Das war der Damien, den ich kannte. „Das ist doch schon mal ein Anfang.“ Chesters Stimme lockte unsere Blicke in seine Richtung. Der Schwarzhaarige rieb sich mit einer Hand am Kinn und legte grübelnd die Stirn in Falten, ehe er Loren musterte, der noch immer die Arme vor sich verschränkt hatte. Erst nach einer Weile seufzte dieser theatralisch, warf die Hände in die Luft und stand von seinem Stuhl auf. „Unfähiger Spiritualist“, brummelte er, während er an Chester vorbei trat. „Für einen Anfang ist das wirklich nicht schlecht, aber“ auch wenn in Lorens Augen so etwas wie Anerkennung aufleuchtete, so war da weiterhin die Härte, die er immer nur Damien gegenüber zeigte. „Eigentlich solltest du weiter sein, besser als das.“ Er wedelte vage mit der Hand zu Sammy und Damien hinüber, was die Wölfin mit einem spöttischen Schnaufen quittierte, ehe sie wieder auf den Boden zurück sprang. Gerade, als Damien zum Protest anhob, machte der Blonde jedoch eine wegwerfende Handbewegung. „Egal, damit kann man arbeiten.“ Nun suchten die haselnussbraunen Augen jedoch meinen Blick. „Und was ist eigentlich mit dir, Kris? Was stehst du immer noch so untätig hier herum? Sonst bist du auch schneller an der Sache dran, wenn es darum geht, etwas Neues zu lernen.“ Langsam bröckelte die Kälte in Lorens Blick und ein Grinsen bahnte sich seinen Weg an die Oberfläche. Ein Grinsen, das ich freudig erwiderte, wobei meines etwas schief ausfiel. „Wenn mir jemand sagt, wie das funktioniert.“ Lorens Grinsen wurde überlegener und er deutete mit dem Daumen auf Damien. „Klär das mit dem da.“ Überrascht blinzelte Damien den Blonden an. „Was?“ „Du hast schon richtig gehört, Schwachkopf: Bring ihr die Grundlagen der Schattenkontrolle bei. Dann seid ihr auf einem Level und ich kann mit euch arbeiten.“ Mit erhobenen Händen drehte sich Loren dann auch schon um und setzte sich wieder auf seinen Zuschauerplatz, wo Dew und Chester ihn bereits erwarteten. Einen Moment lang blieben wir noch unschlüssig stehen, dann setzte sich der Kupferhaarige im Schneidersitz mitten in den Raum und ich tat es ihm nach kurzem Zögern gleich. „Aaaalso...“   Gut. Schatten war komplizierter als andere Elemente. Ebenso wie Licht, dessen Wirkungsweisen ich bereits vergessen hatte und mich nur knapp daran erinnerte, dass man durch ein gewisses Gefühl dieses Element stärkte und Gefühlsausbrüche dazu führten, dass das Element regelrecht explosiv hervorbrach. Das selbe geschah auch bei Schatten. Der Unterschied hierzu war jedoch das grundlegende Gefühl, aus dem man den Schatten schöpfte: Schatten entstand durch tiefe, innere Ruhe, die an Distanziertheit grenzte und zehrte auch von negativen Gefühlen. Jedoch musste man mit dem Nebeneffekt leben, dass Schatten auch diese negativen Gefühle wie Depression und Selbstzweifel nährte, so wie Licht ein übertriebenes Hochgefühl und Überheblichkeit hervorrief. Deshalb sollte man als Licht-Anwender am besten mit einem kühlen Charakter gesegnet sein, so wie als Schatten-Anwender mit einer Frohnatur und eisernem Willen. Etwas, was ich beides nicht wirklich als gefestigte Wesenszüge meinerseits ansah, doch schien niemand der hier Anwesenden an diesen Eigenschaften von mir zu zweifeln. „Hast du das soweit verstanden?“ Langsam nickte ich. Verstanden hatte ich das Ganze schon, doch war das Vertrauen in mich selbst noch nicht wirklich vorhanden, weshalb ich vorsichtshalber schwieg. Eiserner Wille, jaja. Ich hatte bereits jetzt keinen Mut mehr, obwohl ich vorhin noch so laut getönt hatte, dass Damien mir das beibringen sollte. „Gut. Dann kannst du es ja jetzt ausprobieren.“ Mishka hob bei diesen Worten den Kopf an, den er bis eben neben mir liegen hatte, und spitzte die runden Ohren. „Was kannst du bisher?“ Ich musterte Mishka einen Moment lang, ehe dieser aufstand und sich ausgiebig streckte. Mit dem Kopf machte ich eine Bewegung in Richtung Kater. „Ich kann Mishka mit einem elektrischen Schild ausstatten und das Gleiche auch bei mir machen.“ Kurz kniff Damien ein Auge weiter zusammen, dann lächelte er wieder. „Gut. Dann konzentriere dich auf die innere Ruhe, von der ich dir eben erzählt habe, und versuch dieses elektrische Schild in Schatten um zu wandeln.“ Kurzerhand schloss ich meine Augen und atmete tief durch, um mich zur Ruhe zu bringen. Nach einigen tiefen Atemzügen öffnete ich die Augen wieder und blickte auf meinen Partner. Ich machte die abreibende Handgeste und im nächsten Moment schien Mishka von einer schwarzen Aura umfangen zu sein, die hier und da knisternde Funken entlud. Mit großen Augen starrte ich den Kater an. Na, ganz so war das eigentlich nicht gedacht gewesen, doch war das offensichtlich eine Kombination aus beiden Elementen: Der schwachen Elektrizität und dem starken Schatten. Wieso auch immer... „Und jetzt du.“ Von dem ersten Erfolg beschwingt, schloss ich erneut die Augen, um tief durch zu atmen. Während ich die Augen wieder öffnete, klopfte ich mir sachte mit beiden Handflächen auf die eigenen Schultern. Die schwarze Aura flammte auch um mich herum auf, doch flackerte sie und verlor sich direkt wieder. Überrascht blinzelte ich und schaute verdutzt auf meine Hände hinab. „Innere Ruhe, Distanziertheit, Kühle. Das ist es, was du brauchst, um den Schatten richtig zu kontrollieren. Du hast dich von einem Glücksgefühl ablenken lassen.“ „Was...?“ Damiens Grinsen verunsicherte mich. Ich hatte mich über den Erfolg an Mishkas Schild gefreut und das sollte der Grund sein, warum ich mein eigenes Schild nicht hatte aufbauen können? „Das ist Übungssache. Es heißt nicht, dass du deine positiven Gedanken und Gefühle vergessen musst. Das darfst du nämlich niemals. Es heißt, dass du beim Kontrollieren der Schatten eine Grenze zwischen diesem Gefühl und allen anderen ziehen musst. In einem ernsthaften Kampf ist das selten schwer, da die negativen Gefühle dort überwiegen. Aber du darfst dich vor allem nie aus der Ruhe bringen lassen.“ Grübelnd zog ich die Stirn in Falten und betrachtete wieder meine Hände. Wie ich anstrengende Arbeiten an mir selbst doch so gar nicht ausstehen konnte. Und da spürte ich die dicke Nase meines Partners auch schon in meinem Gesicht, der mich aus meinen grüblerischen Gedanken riss. „Ist ja gut. Das kriegen wir hin, hab's verstanden.“ „Da du sehr lernfähig bist, Kris, gehe ich doch davon aus, dass ihr das hinbekommt.“ Als ich den Blick zu Loren anhob, der nun neben uns stand, grinste er sein typisches Loren-Grinsen, welches ich bisher noch nie in Anwesenheit von Damien zu Gesicht bekommen hatte. „Aber jetzt ist erst einmal Mittagspause.“ Auf meinen fragenden Blick hin, deutete der Blonde mit dem Daumen über seine Schulter. Über der Tür hing eine Uhr, die kurz nach 15 Uhr zeigte. „Der halbe Tag ist schon um. Und wir müssen noch klären, wie das bei dir morgen mit der Schule abläuft.“ Oh, das hatte ich ja ganz vergessen. Morgen war das Wochenende vorbei und somit auch die Woche, für die man mich vom Unterricht befreit hatte. Kapitel 23: Dreiundzwanzig -------------------------- Der Plan, den wir Sonntagmittag noch gefasst hatten, war einfacher umgesetzt, als ich es erwartet hatte. Loren hatte sich kurzerhand zu meinem persönlichen Geleitschutz erklärt, um mich in die Schule zu bringen – er fuhr mich mit seinem knallgelben Ford Mustang hin. Auf dem Rückweg sollte ich mich jedoch mit jemandem namens Primrose treffen, die ebenfalls auf meine Uni ging. Da Mishka sich nicht davon abhalten ließ, mit mir zur Uni zu gehen, nahm ich ihm das Halsband noch in der Gilde ab, das ihn für gewöhnliche Menschen sichtbar machte. Während des Unterrichts lungerte er irgendwo auf dem Schulgelände herum, auch wenn mich das mit gemischten Gefühlen im Klassenzimmer sitzen ließ. Denn, auch wenn er von gewöhnlichen Menschen nicht gesehen wurde, so war er doch von anderen Wesen aufspürbar. Doch trotz meiner Bedenken verlief mein Unterricht ohne Probleme und so fand ich mich zu Unterrichtsende vor der Bibliothek ein, wo ich Primrose treffen sollte. Als der Schülerfluss langsam versiegte, trottete auch Mishka die Treppen zu mir hinauf und schmiegte sich freudig um meine Beine herum. „Ich habe dich auch vermisst.“ Lächelnd streichelte ich den Kater, bis sein Schnurren plötzlich erstarb und er mit zuckenden Schwänzen an mir vorbei schaute. Fragend folgte ich seinem Blick und entdeckte ein Mädchen mit blonden, kinnlangen Haaren, dessen Uniform zeigte, dass sie eine Stufe über mir war. Mit misstrauischem Blick schaute ich ihr in die Augen und blickte in zwei kräftige, karamellfarbene Seen, was mich die Schultermuskulatur etwas entspannen ließ. „Primrose?“ Nach kurzem Zögern nickte die Fremde und ich zog einen Mundwinkel leicht nach oben. „Ich bin Kris und Loren meinte, wir sollen gemeinsam zur Gilde zurück gehen.“ Wieder nickte die Blonde nur, doch verzog sie dann die Augenbrauen und schaute zur Seite hin weg, als ihre Augen grell aufleuchteten. „Alles okay?“ Zur Stille fordernd erhob sie die Hand und starrte in Richtung Treppenhaus. Als sie nach einigen Augenblicken stark blinzelnd wieder nach vorne schaute, ruhte ihr Blick auf dem Boden. „Kris, du solltest noch warten, bis du die Schule verlässt.“ Langsam legte sich Prims gedankenverlorener Blick auf mich. „Jemand wartet draußen, der dich abfangen will. Es würde etwas schlimmes passieren, wenn du jetzt raus gehen würdest.“ Irritiert schaute ich dabei zu, wie sich Prims Gedanken klärten und sie noch ein mal zu den Treppen hinter sich schaute. „Wir sollten warten.“ „Was?“ „Entschuldige... Ich... Ich kann Schicksalsschläge voraussehen.“ „Was?“ Dieses Mal klang ich gleich noch ein wenig verwirrter, als zuvor. Verunsichert zog die Blonde die Schultern bis unter ihre Haarspitzen und blickte zu Boden. Mishka schob mich grob auf die Ältere zu. „Ich hab mich zu entschuldigen. Du bist eine Mediale, oder?“ Zaghaft begegnete sie meinem Blick und nickte leicht. „Wenn du sagst, dass wir warten sollen, dann warten wir.“ Es war schwierig, hinter der Unsicherheit mehr zu erkennen, doch da entdeckte ich einen Anflug von Dankbarkeit, als sich meine Gegenüber etwas entspannte. Und ein warmes Gefühl regte sich in mir, das mich kurz verwunderte. „Ja, das ist besser“, stimmte sie leise zu. Während wir warteten, saßen wir auf der Treppe und ich erzählte Prim ein wenig von Mishka, dem die Aufmerksamkeit sichtlich gefiel. Erst, als es Prim endlich Recht war, verließen wir das Gebäude und ließen uns von einem Taxifahrer einsammeln und zur Gilde bringen. Langsam verstand ich, weshalb Loren auf diesen Geleitschutz bestanden hatte. Ohne Prim wäre nach der Schule irgendetwas passiert und ich konnte ahnen, dass meine Mom darin verstrickt war. Ich wäre blindlings mit ihr zusammen gerauscht und das Ende dieser Begegnung wäre schlimm ausgegangen, wenn ich Prims Worten Glauben schenken durfte.   Nun, da wir jedoch sicher in der Gilde angekommen waren und die Treppen zur Mensa hinunter schritten, flog mein Blick automatisch über die Anwesenden. Da war die typische 3er-Konstellation, bestehend aus Daisy, Thomas und Ethan, dort lungerte eine Gruppe müder, gelangweilter Animalisten mit ihren Partnern herum und auf der anderen Seite des Raumes stand gerade eine Schwarzhaarige von einem Tisch auf, deren asymmetrischer Haarschnitt von lila Strähnen durchzogen war. Ihr schwarzer Lidschatten ließ ihre blassen, grauen Augen hervorstechen und ihr Shirt von Amon Amarth ließ darauf deuten, dass ihr Musikgeschmack ebenso schwarz wie ihre Kleidung war. Als sie bei uns an kam, ließ sie mich links liegen und war voll und ganz auf die Blonde neben mir fixiert. „Alles okay?“ Sanft legte sie eine Hand an Prims Wange, was diese zu einem herzerwärmenden Lächeln brachte. „Ja. Wir mussten etwas warten, um Problemen zu entgehen.“ Der forschende Blick der Schwarzhaarigen wurde weicher, bevor sie die Blonde schnell küsste und wieder einen Schritt Abstand nahm, um nun mich zu mustern. Abschätzend wanderten ihre Augen über meinen Körper, als würde sie in einem offenen Buch lesen, bis diese plötzlich groß wurden und wieder in die meinen blickten. „Erbe.“ Ein einziges Wort und ich versteifte mich auf der Stelle. Verunsichert fing Mishka leise an zu fauchen und stellte sich zwischen uns, während nun auch Prim überrascht zu mir schaute. „Bist du dir sicher, Juna?“ Mit einem scharfen Nicken bekräftigte sie ihre vorherige Aussage. „Okay... Aber es ist unhöflich, jemanden so anzustarren, Juna. Vor allem, wenn es sich um einen Erben handelt.“ Blinzelnd schaute die Größere auf Prim hinab, dann rollte sie die Augen nach oben und machte eine, von uns weg deutende, Bewegung mit dem Kopf. „Und ob. Mich, zum Beispiel, interessiert das schon.“ Junas Unterlippe schob sich übertrieben schmollend nach vorne, als sie ein wenig trotzig auf die Kleinere hinab schaute, doch blieb diese standhaft, bis die Schwarzhaarige laut seufzte und den Kopf einlenkend zur Seite neigte. „'Tschuldige.“ „Gutes Mädchen.“ Mit einem sanften Lächeln, stellte sich die Blonde auf ihre Zehenspitzen und gab ihrer Freundin einen Kuss auf die Lippen. Erst nach diesem schien sich Juna jedoch tatsächlich ihrem Schicksal zu fügen, denn ihr Blick war nicht mehr so durchdringend, als sie mich nun betrachtete. „Also, wir sehen uns dann morgen nach dem Unterricht, Kris.“ Mit einem schüchternen Lächeln verabschiedete die Blonde sich und zog ihre Freundin kurzerhand mit sich. Während sie davon gingen, hörte ich noch, wie Juna „Erzähl“ sagte, doch wandte ich mich da selbst zum Gehen. Diese Begegnung war ein wenig gruselig gewesen. Und die Wortkargheit der Schwarzhaarigen hatte es nicht gerade besser gemacht. Als mir ein kalter Schauder den Rücken hinunterlief, schüttelte ich mich unwillkürlich und schritt etwas schneller in Richtung meines Zimmers. Kapitel 24: Vierundzwanzig -------------------------- Die Tage vergingen und ich lernte mit Damien zusammen mehr über die Benutzung unseres Elements. Währenddessen legte sich Lorens große Abneigung Damien gegenüber auch immer mehr. Wenn wir von ihm unterrichtet wurden, kam immer öfter sein typisches Loren-Grinsen durch, ansonsten gab er sich recht neutral bei Damiens Anwesenheit. Außer Chester mischte sich in den Unterricht ein, dann konnte man sich schon einmal überlegen, ob man sich eine Portion Popcorn nehmen sollte, da der Blonde es gar nicht mochte, wenn der „Unfähige Spiritualist“ sich in seine Ausbildungsmethoden einmischte. Auch war ich mittlerweile zufriedener. Zufriedener mit mir selbst und mit unseren Fortschritten. Außerdem schienen mich die beiden Grinsebacken regelrecht anzustecken, wenn ich sie den ganzen Tag um mich herum hatte. Vielleicht war es auch der Wandel meiner Gesamtsituation, der mich so positiv beeinflusste, dass ich immer mehr selbst daran glaubte, dass ich vielleicht doch mit den richtigen Voraussetzungen geboren worden war, um das Schatten-Element zu beherrschen. Oder aber, das Nutzen meines Elementes löste die negativen Gefühle in mir auf, die sich in mir über all die Jahre angestaut hatten. Denn ich war richtig glücklich, etwas das ich schon lange nicht mehr gewesen war. Und, je mehr ich trainierte, um so besser konnte ich die innere Ruhe bewahren, um mein Element zielgerichtet zu nutzen ohne negative Einbußen. Nur morgens, wenn ich noch nicht wirklich wach war, verursachte ich mehr Chaos als geplante Anwendungen. Zum Glück hatten wir nur am vergangenen Wochenende morgens Unterricht gehabt. Ich ging davon aus, dass Loren und Chester solchen Unterricht, aus Sicherheitsgründen, in Zukunft überdachten. Vielleicht war das auch der Grund dafür, dass ich vorerst mit Schutzschilden und ähnlichen Verteidigungstechniken vorlieb nehmen musste. Was das Kämpfen betraf, konzentrierten wir uns darauf, dass Mishka sich die Fähigkeiten aneignete, mit denen ich ihn unterstützen konnte, damit er lernte sie eigenständig nutzen zu können, auch wenn dieser sich dagegen sträubte. Denn, im Gegensatz zu Guardian Supportern, konnten Sanctum Guards aus einem eigenen Magiepool schöpfen und das selbe Element nutzen, das auch ihr Partner besaß – und ich war mir ziemlich sicher, dass mich Loren irgendwann erwürgen würde, wenn ich unsere Fähigkeiten weiterhin mit Magie verglich. Doch im Allgemeinen vertrauten Chester und Loren mir und meinen Fähigkeiten mittlerweile so weit, dass ich keinen Geleitschutz mehr benötigte, wenn ich zur Uni ging, insofern es nicht gerade „kurz nach Kaffee“ war, was mittlerweile zu einer tatsächlichen Zeitangabe geworden war. Auch wenn ich auf dem Heimweg weiterhin Prim an meiner Seite hatte, immerhin hatte meine Mom es noch immer nicht aufgegeben, auf mich vor der Schule zu warten. So konnte ich ihr und möglichen Problemen entgehen, die Prim vorhersah. Erst, als wir den Termin vor Gericht hinter uns gebracht und ich eine Verfügung auf Näherungs- und Kontaktverbot, ebenso wie meine vorzeitige Volljährigkeit erwirkt hatte, blieben die Vorahnungen von Prim endlich aus, womit wohl auch die Nachstellungen meiner Mom aufhörten. Trotz allem traute ich dem Frieden noch nicht so ganz, weshalb Prim und ich weiterhin unsere kleine Tratschrunde hielten, ehe wir mit dem Taxi zur Gilde fuhren. Irgendwie wurde die schüchterne Prim in dieser kurzen Zeit zu einer Freundin, die ich nicht mehr missen wollte, auch wenn es mich vor ihrer festen Freundin noch immer gruselte.   Nun, 12 Tage nachdem ich Prim kennengelernt hatte, durfte ich die Wohnung meiner Mom betreten, um meine Sachen zu holen. Es war Samstag und ich hatte mich dazu entschieden, Chester und Damien mit zu nehmen, da ich nicht darauf vertraute, dass sich meine Mom an die Abmachung hielt, dass sie sich dem Haus fernzuhalten hatte, während ich da war. Die wenigen Sachen aus meinem Zimmer waren schnell gepackt und so suchte ich noch Kleinigkeiten in der restlichen Wohnung zusammen. Als ich gerade auf der Suche nach meinem Impfpass die Schubladen der Kommode im Flur durchwühlte, stieß ich auf einen Brief, der unter diesem lag. Neugierig betrachtete ich die Anschrift und das Datum des Poststempels, der schon ein wenig verblasst war, sodass man den Absendeort nicht mehr entziffern konnte. Es war das Datum meines Todestages und der Brief war handschriftlich an meine Mutter adressiert worden. Während mich ein ungutes Gefühl beschlich und ich den Brief aus dem Couvert nahm, schaute ich über meine Schulter. Chester und Damien waren noch dabei, meine wenigen Sachen auf Tetris-weise in den Kofferraum des dunklen Kombis zu bugsieren, also widmete ich mich dem Schreiben in meinen Händen.   Ich hatte dir eine einzige Aufgabe gegeben, Natascha. Und selbst das bekommst du nicht hin! Ich habe unter einer einzigen Voraussetzung zugestimmt, dass du mit Kristina wegziehst. Eine einzige Voraussetzung! Und was war das? Genau! Dass du darauf achtest, dass ihr nichts passiert! Dass sie auf gar keinen Fall stirbt! Und selbst das hast du nicht hinbekommen! Du weißt, was sie war. Du weißt aber nicht, was jetzt aus ihr wird... Du hättest auf sie aufpassen müssen! Alles, was ich für euch getan habe, was ich für Kristina getan habe, ist umsonst gewesen, weil du deine Aufgabe vernachlässigt hast! Ich hätte sie nicht bei dir lassen dürfen. Ich hätte mit ihr zusammen einfach untertauchen sollen, dann wäre sie sicher gewesen. Jetzt ist sie das nicht mehr. Und das ist alles deine Schuld! Versuch zumindest jetzt, auf sie aufzupassen, sonst werde ich sie doch zu mir holen... Sei dieses Mal nicht so nachlässig! Dorian   Erschüttert stand ich einen Moment lang da und starrte auf die Zeilen. Dorian war der Name meines Dads, was bedeutete, dass er noch am selben Tag von meinem Tod erfahren hatte. Obwohl ich ja offiziell nie gestorben war, sondern nur eine „Nahtoderfahrung“ gehabt hatte. Aber woher wusste er dann die Wahrheit? Und was bedeutete, dass meine Mom wusste, was ich war? Hieß das etwa, dass sie beide wussten, dass ich als Animalist geboren wurde? Aber, das bedeutete ja dann, dass... Erschrocken wich ich vor der Hand zurück, die mich an der Schulter berührte und wirbelte zu der Person herum, die mich aus den Gedanken gerissen hatte. Zwischen Damien und mir glänzte ein rauchig schwarzer Schild, den ich wohl aus Reflex gezogen hatte. „Was...? Krissy? Alles in Ordnung? Du... Was beunruhigt dich?“ Ich vermutete, dass Damiens Augen meine eigene Angst widerspiegelten, weshalb ich die meinen erst einmal schloss und mich etwas beruhigte. Währenddessen konzentrierte ich mich darauf, den Schild verschwinden zu lassen. Als ich wieder aufschaute, stand nun auch Chester in der Eingangstür und musterte mich misstrauisch. „Was ist passiert?“ Mishkas Brummen machte meine Unruhe nicht besser, weshalb ich dem Blick des Schwarzhaarigen auswich. „Ich“, ich faltete den Brief vorsichtig zusammen. „Das ist ein Brief von meinem Dad. Er... hat uns verlassen, als ich noch klein war. Ich hab nicht damit gerechnet, dass er von ihm ist...“ Weil ich den Blicken der anderen ausweichen wollte, wandte ich mich wieder der Kommode zu, tat so, als ob ich den Brief hineinlegte. Stattdessen schob ich ihn jedoch in meinen Impfpass und zog diesen Alibi-mäßig hervor, ehe ich die Schublade zu schob. Kurz verharrte ich mit den Händen an der Schublade und seufzte leise. Ich spürte schon wieder dieses drängende Gefühl, niemandem etwas von dem Inhalt des Briefes zu erzählen, so wie es bei der SMS vor zwei Wochen gewesen war, also würde ich auch das vorerst für mich behalten. Trotzdem wanderte der zusammengefaltete Brief nun, ungesehen in meinem Impfpass, in eine meiner Beintaschen, während ich mich umdrehte. „Na ja, der Impfpass war das letzte, was mir gefehlt hat. Wir können jetzt los.“ Auch wenn die anderen beiden mich besorgt anschauten, so schwiegen sie zu dem vorherigen Thema. Und so legte ich noch den Haustürschlüssel auf die Kommode und verließ mein ehemaliges Haus ein letztes Mal. Ich wollte mir jetzt erst einmal in Ruhe Gedanken über diese neuen Erkenntnisse machen und mir nicht weiter über das Auseinanderleben meiner Mutter und mir den Kopf zerbrechen. Und erst recht niemandem etwas erklären, das ich selbst nicht recht verstand. Kapitel 25: Fünfundzwanzig -------------------------- Es war gerade einmal Mitte der Woche und ich kam immer noch nicht mit dem zurecht, was ich durch diesen Brief erfahren hatte. Mein Dad war ein Hunter gewesen, er und meine Mom hatten gewusst, dass ich als Animalist geboren worden war und anscheinend hatten sie auch gewusst, dass ich, wenn ich starb und als Spiritualist zurück kehren sollte, kein normaler Spiritualist sein würde. Doch woher konnten sie das wissen? Und, außerdem, schien dieser Brief der Auslöser für das übertriebene Verhalten meiner Mom gewesen zu sein, nicht mein eigentlicher Tod. Aber im selben Moment, als diese Erkenntnis so etwas wie Sinn zu ergeben schien, ergab sie doch keinen Sinn: Denn, wieso war das überhaupt so gewesen? Der eindringliche Ton eines Piepers riss mich plötzlich aus meinen Gedanken und ich bemerkte, dass mich meine ganze Klasse, samt Lehrerin, anstarrte. Verwirrt blinzelte ich, ehe mir einfiel, dass ich einen Notfallpieper von Chester bekommen hatte und diesen auch im nächsten Moment in den Untiefen meiner Schultasche suchte. Während ich das Ding zum Schweigen brachte, flog mein Blick über das Display und ich musste kurz nachdenken, ehe ich den Namen Juna Craig mit der schwarzhaarigen Freundin von Prim in Verbindung brachte. Prim, die vermutlich die selbe Nachricht soeben bekommen haben musste. Als mir das bewusst wurde, warf ich meine Sachen achtlos in die Tasche und stürmte mit einer Entschuldigung auf den Lippen aus dem Saal. Ich musste Prim finden, bevor sie etwas Unbedachtes tat, da sie keinerlei kämpferische Fähigkeiten oder Erfahrungen besaß. Als ich gerade aus dem Schulgebäude hinauslief, entdeckte ich den Blondschopf, der gerade das Gelände verließ. „Mishka!!“ Während ich Prim folgte, schloss der Kater zu mir auf und versuchte meine Unruhe zu verstehen. Während er eins und eins zusammen zählte und zu dem anderen Mädchen nach vorne schaute, brummte er fragend. „Fang sie ein. Ihre Freundin braucht Hilfe, aber Prim kann nicht kämpfen. Ihr wird etwas passieren, wenn sie blindlings dort hin rennt.“ In diesem Moment war ich wirklich froh, dass Wesen intelligent waren und keine gewöhnlichen Tiere, denn die Großkatze legte einen Zahn zu und jagte in grazilem Lauf hinter dem Mädchen her. Auch ich strengte mich an, noch etwas schneller zu laufen und die beiden einzuholen. Wie war das noch mit dem Konditionstraining gewesen? Ich schnaufte ja jetzt schon wie ein fettes Walross an Land!   Ich bog gerade um die Ecke der Mauer, die das Schulgelände säumte, als Mishka nach Prims Jackensaum schnappte und sie daran festhielt, als sie gerade auf die Straße rennen wollte. In ihren Augen stand die reine Verzweiflung, als sie sich zu dem Kater umdrehte und versuchte, sich von ihm zu befreien. Da dieser jedoch nicht los ließ, schlüpfte sie kurzerhand aus der Jacke. Gerade in dem Moment, als ich bei ihr ankam, trat sie auf die Straße. „Prim, warte!“ Ich konnte hören, wie ein Auto die Straße entlang heizte und musste gar nicht sehen, wie nah es war, um zu wissen, dass der Bremsweg bei dieser Geschwindigkeit nicht reichen würde. Im letzten Moment erwischte ich jedoch das Handgelenk der Blonden und riss sie nur knapp vor dem gelben Auto zurück, das mit quietschenden Reifen ein Stück weiter zum Stillstand kam, während wir auf dem Bürgersteig zu Boden gingen. „Du kannst doch nicht einfach auf die Straße laufen!! Du wärst fast überfahren worden!“ Entsetzen ließ meine Stimme schrill klingen, während Mishka uns beide wütend anbrüllte. Da stand auch schon der Fahrer des Autos neben uns und zog uns beide kurzerhand in die Höhe. Es war kein anderer als Loren, was mich verdutzt blinzeln ließ. „Euch ist nichts passiert, oder? Gut, dann ab ins Auto, bevor ihr noch wem anders vor die Karre rennt!“ Der Schreck war auch nicht spurlos an dem Blonden vorbeigegangen, weshalb er ein wenig schroff klang, ehe er zurück zu seinem Auto eilte. Etwas, was wir ihm gleich taten und einstiegen, wie er es uns befohlen hatte. Die Türen waren noch nicht ganz ins Schloss gefallen, da war der Mann auch schon aufs Gas gestiegen und brauste wieder los, was uns unweigerlich in die Polster der Rückbank drückte.   Es fühlte sich wie eine Ewigkeit an, doch waren es nur wenige Minuten, als Loren sein Fahrzeug mit einer Vollbremsung mitten auf der Landstraße und Schnauze an Schnauze, knapp vor einem ziemlich zugerichteten weiteren Auto, zum Stehen brachte. Kurz vor dem Stillstand erfasste er noch ein Finsternis-Wesen und beförderte es durch den Pulk aus Wesen vor uns hindurch. Und im nächsten Moment war Prim auch schon aus dem Auto heraus, etwas, was Loren mit einem sehr einfallsreichen Fluch quittierte und ebenfalls aus dem Auto hechtete, um sie direkt wieder ein zu fangen, während Dew sie beide von den Finsternis-Wesen abschirmte. „Hast du sie noch alle?!“ „Juna!!“ „Hey, ich rede mit dir!“ Als Prim sich aus Lorens Griff befreien wollte, schüttelte er diese einmal kräftig durch, damit sie ihn ansah. Während ich aus dem Auto stieg und Dew dabei beobachtete, wie er sich mit flammenden Zähnen in den Kampf mit zwei Raider stürzte, ließ ich den Blick endlich über die Umgebung wandern. Wir waren hier in eine richtige Schar aus Finsternis-Wesen hinein gerauscht. Um uns herum rotteten sich Raider und Ravager zusammen – zumindest ging ich davon aus, dass es solche waren, denn sie passten zu den Beschreibungen, die Damien gemacht hatte. Der kleinere Teil der Masse bestand aus Wesen mit dicker Panzerung obenauf und die anderen ähnelten diesen stark. Sie waren nur etwas kleiner, hatten keine Panzerschuppen, dafür aber kleine Augen. Es mussten bestimmt um die 30 Wesen sein, wenn nicht sogar mehr. Und inmitten dieser Meute stand ein riesiges Biest. Es war muskelbepackt und ähnelte einer Mischung aus Tiger und Bär. Vor allem das Brüllen, das es in diesem Moment ausstieß, erinnerte stark an das eines wütenden Bären. Doch ließ man mir nicht mehr Zeit, mich umzusehen, denn Mishka begann leise zu Grollen und umkreiste mich. Ein Teil der Finsternis-Wesen scharte sich mittlerweile um uns, als Loren plötzlich Prim in meine Arme stieß. „Du bleibst gefälligst bei Kris, verstanden?!“ „Aber...! Juna...!“ Ich hätte nie geglaubt, dass Loren so wütend blicken konnte, wenn ich es nicht mit eigenen Augen gesehen hätte, ehe er sich abwandte und einen Speer herbeirief, dessen Spitze er in Brand steckte. Ohne ein weiteres Wort, stieß er den brennenden Speer zielsicher in die Kuhle des Schlüsselbeins eines Ravager, als dieser ihn angreifen wollte. Als das Wesen sich mit einem schmerzerfüllten Laut in schwarzen Rauch auflöste, meldete der Blonde sich doch noch einmal zu Wort. „Ihr bleibt zusammen, verstanden? Kris, pass' auf sie auf, bevor sie sich noch umbringt. Ich werde hier ein wenig aufräumen...“ Das Grinsen, das sich auf Lorens Lippen stahl, wirkte irgendwie schadenfreudig und alles andere als harmlos, als er sich wieder abwandte. Ohne auf eine Antwort von mir zu warten, verschwand er in dem Getümmel, während Feuer um ihn herum aufloderte. Er schien mehr Vertrauen in meine Fähigkeiten zu haben, als ich selbst. Doch riss sich Prim da auch schon von mir los und hastete nach vorne, während ihre Augen aufleuchteten. Kurzerhand zog ich eine schützende Wand aus Schatten knapp vor ihr hoch, gegen die sie lief, ohne abbremsen zu können. Doch blieb sie nun zumindest stehen, auch wenn sie jetzt neben dem Schrotthaufen von einem Auto stand, das wohl Juna gehörte. Es sah beinahe danach aus, als wäre etwas von oben auf dessen Motorhaube gelandet und hatte diese – mitsamt des massiven Motors und allem was sich sonst so unter einer Motorhaube verbarg – dabei auf die Hälfte ihrer eigentlichen Höhe zusammengepresst. „Prim, du sollst-...“ „Juna!! Pass auf!! Vier Ravager!!“ Erschrocken zuckte ich zusammen, als die sonst so ruhige Blonde plötzlich quer über den Kampfplatz brüllte, ihre Hände gegen meinen Schild gelegt. Jedoch veranlasste mich dieser Ausruf dazu, über die kleineren Wesen hinweg zu schauen, um nach der Schwarzhaarigen zu suchen. Sie stand dem riesigen Wesen genau gegenüber und es brüllte wütend. Es sah ganz so aus, als hätte Juna einen Angriff von ihm abgewehrt. Staunend beobachtete ich, wie Juna gegen vier der gepanzerten Wesen gleichzeitig kämpfte, die eine Hälfte mit einem Schild aus Licht abwehrte und die andere mit einem Stab angriff, an dessen beiden Enden je eine Klinge aus Licht strahlte. Sie handelte so schnell und so präzise, dass sie innerhalb weniger Augenblicke die Finsternis-Wesen von sich weg befördert und sogar zwei von ihnen zurück in die Schatten geschickt hatte. „Der Große, rechts, hinter dir!“ Prims Stimme war noch nicht verklungen, da hatte Juna auch schon auf die Anweisung reagiert. Sie war herum gewirbelt und hatte die Klinge ihres Stabes über die Unterseite des Großen gezogen, der gerade dabei war, sie anzuspringen. Trotz allem landete er mit einer riesigen Pranke auf ihr und presste sie zu Boden, bevor auch er sich in schwarzen Rauch auflöste. Ich war wie gebannt von diesem Anblick, bis Mishka plötzlich fauchte, mich zur Seite stieß und so in die Realität zurück holte. Seine beiden Schwänze peitschten gereizt umher, während er die Wesen im Blick behielt, die uns immer enger einkreisten. Warum hatten Loren und Chester sich so darauf eingeschossen, mich in Schilden zu unterrichten, statt mir das Kämpfen beizubringen? „Hoch mit dir!“ Kaum hatte Prim diesen Ausruf beendet, sprang ein Raider über den mattschwarzen Trümmerhaufen hinweg und auf sie zu. Da mein Schild sie nur nach vorne hin abschirmte, war sie diesem Angriff von der Seite hilflos ausgeliefert. „Mishka!“ Nun ja, nicht ganz so hilflos, wie das Finsternis-Wesen erwartet hatte, denn der schwarzweiße Kater prallte mit solcher Wucht gegen den fremden Körper, dass er diesen gegen einen weiteren Raider schleuderte und die schwarzen Wesen übereinander kullerten, ehe sie ein Stück entfernt für einen Moment liegen blieben. „Mishka, nutz' dein Element“, wies ich den Kater an, da ich mich auf Prim konzentrieren musste und nicht auch noch auf diese Kampfunterstützung achten konnte, da der Kater zu gerne den Luxus nutzte, dass ich dies für ihn übernahm. Während mein Partner sich nun um die beiden Raider von eben kümmerte, griff ich nach der Blondine, um diese wieder auf die Beine und von den kämpfenden Wesen weg zu ziehen. Zeitgleich ließ ich dabei den Schild sinken, der nun unnütz in der Gegend herumstand. Doch traf mich in genau diesem Moment etwas im Rücken und beförderte mich bäuchlings auf die eingedrückte Motorhaube des mattschwarzen Lexus. Und da tropfte mir auch schon der Geifer des Wesens ins Gesicht, als ich über meine Schulter hinweg in dessen Gesicht blickte. Doch, warum tat es nichts? Es hätte die Chance, mir einfach ins Genick zu beißen, doch stand es einfach nur über mir und sperrte das Maul, mit dessen zweireihigen Gebiss, auf, als wollte es mir drohen. Moment! Das hier war ein Ravager! Damien hatte gesagt, dass diese gepanzerten Wesen Kollateralschäden, wenn möglich, vermieden. Das bedeutete, dass ich im Moment nicht das Ziel war, sondern ein anderer. Und wenn ich richtig schätzte, war es die Person, die im nächsten Moment hinter mir schrill aufschrie. Zeitgleich mit Prims erschrockenem Aufschrei ertönte Mishkas verzweifeltes Brüllen, der nicht zu wissen schien, wem von uns beiden er zu erst helfen sollte. Wut keimte in meinem Innern auf und ich verwandelte diese instinktiv in eine impulsive Entladung meines Schattenelements, um dem Wesen auf meinem Rücken eine Art Kälteverbrennung an den Pfoten und der Brust zuzufügen und es durch die Druckwelle von mir hinunter zu befördern. Impulsive Angriffe, ja, das waren die einzigen, die ich bisher ab und an mal einsetzen konnte, wenn ich auf meine Gefühle zurückgriff. Der Nachteil war, dass sie meine Energie schlagartig aufzehrten. „Schütze Prim“, mehr als das musste ich nicht sagen, da schoss der Kater auch schon nach vorne und verbiss sich im gepanzerten Nacken eines Raiders, der gerade auf Prim zusetzte. Währenddessen drängte mich mein Angreifer weiter von der Blonden weg. Nur blöd, dass ich weder wusste, wie ich gegen ein gepanzertes Wesen kämpfen sollte, noch die Gelegenheit hatte Loren oder Juna dabei zu beobachten, um von ihnen zu lernen. Und damit sollte ich Prim beschützen? Toller Einfall, Loren! Kapitel 26: Sechsundzwanzig ---------------------------  „Kris, hinter dir!“ Erschrocken fuhr ich herum, um mich einem weiteren Ravager gegenüber zu sehen, der gerade im Begriff war, mich anzuspringen. Panisch riss ich den Arm in die Höhe und versuchte einen Schild um diesen zu legen, doch führte das nur dazu, dass meine Energie mit einer kleinen Druckwelle verpuffte, die den Ravager von mir wegschleuderte. Gut, nur dass ich jetzt aus zwei Richtungen von gepanzerten Wesen angegriffen wurde, was mir langsam die Angst in die Glieder trieb. Ich konnte mich nicht auf beide Gegner gleichzeitig konzentrieren, so wie es Juna vorhin getan hatte. Ebenso wenig hatte ich raus, wie man einen kreisrunden Schild erschaffen konnte. Was konnte ich überhaupt? Angst und Selbstzweifel ließen das Blut in meinen Adern gefrieren, als mich plötzlich jemand im Rücken packte und zur Seite stieß, während das Gebiss eines Ravagers an der Stelle in der Luft zusammenschlug, an der ich eben noch gestanden hatte. Stolpernd krachte ich gegen Lorens Mustang und wirbelte herum, nur um Juna zu entdecken, die sich zwischen mich und das Finsternis-Wesen geworfen hatte. Das Wesen hatte sich in ihrem Stab verbissen, doch trat sie es dann auch schon von sich weg, als wäre dies das Leichteste auf der Welt. Jedoch schien ihr Auftauchen dazu zu führen, dass sich noch mehr Finsternis-Wesen um uns herum scharten und uns von Prim und Mishka abschnitten. Auch der Kater wurde gezielt von Prim weg gedrängt, was ihm gar nicht behagte, denn er brüllte wutentbrannt und stürzte sich fast schon rasend auf das nächstbeste Wesen, das sich zwischen ihn und das Mädchen stellte. Während Juna sich nun um die Wesen kümmerte, schloss ich für einen Moment die Augen und lehnte mich an den Mustang in meinem Rücken. Ich musste versuchen, endlich die innere Ruhe zu finden, die ich für mein Element brauchte.   Als ich meine Augen wieder öffnete, hatte ich gefunden, wonach ich suchte, denn ich blieb vollkommen ruhig, trotz dass ich mit ansah, wie Juna von einem Raider zu Boden gerissen wurde. Sie konnte sich gegen eines dieser Biester problemlos erwehren, also begnügte ich mich damit, einen Schild neben ihr zu errichten, um ein weiteres Wesen davon abzuhalten, sich in diesen Kampf einzumischen. Jedoch zog da auch schon eine Bewegung in meinem Augenwinkel meine Aufmerksamkeit von Juna weg. Es war Mishka, der weiterhin versuchte, zurück zu Prim zu gelangen. Als ich den Blick weiter zu der Blonden schweifen ließ, erkannte ich auch, weshalb: Ein Ravager war im Begriff, sich auf Prim zu stürzen. Doch noch bevor ich meine Hand auch nur weit genug anheben oder Mishka durch die Angreifer hindurch brechen konnte, schlossen sich die Zähne des gepanzerten Wesens um die Kehle der Blonden. Sie konnte nicht einmal mehr schreien, so schnell war es vorbei. Als das Bild des Ravagers, welcher Prims leblosen Körper im Maul hielt, in mein Bewusstsein drang, blieb ich ungläubig an Ort und Stelle stehen. Das konnte nicht passiert sein. Ich hatte sie nicht beschützen können, obwohl Loren mir diesen Auftrag gegeben hatte. Zweifelnd schaute ich auf meine zitternde Hand, die ich in Prims Richtung ausgestreckt hatte und ließ diese kraftlos sinken. Als ich wieder aufsah, setzte sich Juna schleichend langsam in Bewegung. Im gleichen Moment wurde sie erneut von zwei Raidern angesprungen. Ich spürte instinktiv, dass sich irgendetwas gerade an der Schwarzhaarigen verändert hatte, was mich vorsichtig einen Schritt nach hinten machen ließ. Und im nächsten Moment schaltete sie ein Wesen mit einer Kugel Licht aus, welches sich in ihren Arm verbissen hatte. Sie wirkte um einiges skrupelloser, als zuvor, als sie die Hand an dessen Schädel legte und diese Kugel aus Licht beschwor, die das Wesen in einem Bruchteil einer Sekunde auslöschte. Als Juna auch den anderen Raider brutal erledigt hatte, setzte sie ihren Weg zu Prim fort, während sich jetzt immer mehr Raider auf sie stürzten. Dennoch schien das die Schwarzhaarige nicht von ihrem Ziel abbringen zu können. Sie rief ihren Stab herbei und beschwor die beiden Lichtklingen von zuvor, ehe sie mit diesen blendenden Schneiden einen Raider nach dem anderen zerteilte. Ihre eiskalte, desinteressierte Art und Weise des Tötens ließ mich schaudern und ich machte einen weiteren Schritt nach hinten, da ich nicht riskieren wollte, ebenfalls zerteilt zu werden. Ein Raider nach dem anderen fiel und löste sich in Rauchschwaden auf. Jedoch kamen immer mehr nach. Raider wie Ravager. Und jeder einzelne stürzte sich auf Juna und wurde von deren Lichtsense oder einer Lichtkugel in die Schatten zurück geschickt, als wäre all das keine Anstrengung für sie. Es schien, als hätte ihr Element keine Grenzen.   Mishka hatte sich derweil bis zu Prims leblosen Körper hindurch gekämpft und hinderte die Finsternis-Wesen daran, diesen fort zu schleppen. Den Ravager, der das Mädchen getötet hatte, hatte er selbst beseitigt. Und was tat ich? Ich stand einfach nur da und konnte weder Mishka unterstützen, noch Juna helfen, da ich im Gefühl hatte, dass die Schwarzhaarige gerade auch einen Helfer mit ihren Lichtklingen zerteilen würde. Wie sich nach einer Weile herausstellte, lag ich damit auch gar nicht mal so falsch. Denn, nachdem sie jedes einzelne Wesen in seine Einzelteile zerlegt hatte, hätte sie beinahe noch Mishka einen Kopf kürzer gemacht. Im letzten Moment schaffte ich es jedoch, mich aus meiner Starre zu lösen und einen doppelten Schild zwischen den beiden zu errichten. Graue Schilde, die sie zu einem Drittel durchschnitt, ehe ihre Klinge sich darin verkantete und nur wenige Millimeter vor Mishkas Nase zum Stillstand kam. Einen Moment lang dachte ich, die Schilde würden brechen, doch zum Glück hielten sie stand, während Juna aus ihrem Rausch erwachte und ihren Stab in einem gleißenden Blitz verschwinden ließ. Erst, als sie das tatsächlich getan hatte, ließ ich den doppelten Schild mit einer Bewegung meiner zitternden Hand verschwinden, während Juna weiter auf diesen zutrat. Mishka duckte sich unter Junas Blick hinweg und trollte sich um sie herum, ehe er langsam auf mich zu schlich. Doch lag sein Blick dabei nicht auf mir. Er schaute geradewegs an mir vorbei, wartend, prüfend. Als ich das realisierte, wandte ich mich erschrocken in jene Richtung um, mit dem Schlimmsten rechnend. Doch entdeckte ich ein paar Meter weiter nur einen Mann mit strohblonden Haaren, die wirr in ein angestrengt dreinblickendes Gesicht hingen, in welchem ein 3-Tage-Bart prangte. Seine hellbraunen Augen leuchteten und wiesen den typischen goldenen Ring eines Animalisten auf, was mich nun doch wieder ein wenig entspannen ließ. Neben ihm her hinkte ein wolfsartiges Wesen, ein Guardian Supporter. Um seinen Hals herum prangte eine Löwenmähne, die ein wenig gerupft aussah. Ich kannte die beiden nicht, doch da Loren und Dew schräg hinter ihnen her liefen, mussten sie zur Gilde gehören. Alle vier wirkten erschöpft, so als hätten sie mit mindestens ebenso vielen Wesen gekämpft wie wir. Nun ja, besser gesagt Juna. Juna, welche sich gerade unter einem verzweifelten Aufschrei über ihrer toten Freundin zusammen kauerte und einen kugelrunden Lichtschild um sie beide herum errichtete.   Und mit einem Mal wurde mir klar, dass Prim tatsächlich durch den Ravager getötet worden war. Langsam wanderte mein Blick wieder zu den beiden Mädchen, während sich mein Magen verkrampfte. Doch stieß Mishka mich da auch schon an und zog meine Aufmerksamkeit auf sich, ehe ich die beiden auch nur direkt anschauen konnte. Ein Blick in die silbernen Augen des Katers reichte und ich wusste, dass das alles kein böser Traum war, sondern die grausame Realität und mir traten schlagartig die Tränen in die Augen. Mishka hatte versucht, Prim zu beschützen, doch war er wegen meiner Unfähigkeit ihn zu unterstützen von ihr getrennt worden. Zitternd sank ich auf die Knie und schlang die Arme um Mishkas Hals, während ich mein Gesicht in seinem schmutzigen Fell vergrub. Nicht viel später legte mir plötzlich jemand eine Hand auf die Schulter. Da Mishka es geschehen ließ, ging ich von Loren aus, womit ich auch Recht behielt, als dieser sich zu Wort meldete. „Hey, Kris. Ganz ruhig, noch ist nicht alles verloren.“ Verwirrt von diesen Worten begegnete ich Lorens Blick auf Augenhöhe, da er neben mir in die Hocke gegangen war. „Prim ist zwar tot, aber ist das nicht zwingend das Ende. Denk daran, was wir sind. Sie ist eine Mediale und ihre Verbindung zu Juna und ihrem Vater ist stark. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass sie zurück findet.“ Zweifelnd musterte ich Lorens haselnussbraune Augen und fing erneut an zu weinen, während ich den Kopf schüttelte. „Ich bin schuld... Ich bin schuld,... dass sie... tot... ist...“ Ich sah durch meinen Tränenschleier hindurch, dass der Blonde den Mund zu einem stummen „Oh“ formte, ehe er den Kopf schüttelte und leise seufzte. „Zu was führt die Nutzung des Schatten-Elements?“ „Was? Das... Das hat nichts damit... Ich hab ja... noch nicht mal... wirklich... etwas gemacht...“ „Zu was führt die Nutzung des Schatten-Elements?“ Wiederholte Loren jedoch nur mit ernstem Ton und festem Blick, wodurch ich den meinen senkte. „Zu... zu negativen... Gefühlen... Selbstzweifel... Depression...“ „Und Schuldgefühlen, welche hier vollkommen unnötig sind. Wenn, dann war es meine Schuld, da ich dir diese Bürde auferlegt habe.“ „Aber...“ „Jetzt sei ruhig und warte erst mal ab, Kris. Schau.“ Verunsichert ließ ich meinen Blick wandern. Juna hatte ihren Schild sinken lassen und lag nun in den Armen des blonden Mannes, der Prim bei genauerem Betrachten unglaublich ähnlich sah. Ich konnte ihn immer wieder ermutigend auf die Schwarzhaarige einreden hören, während auch ihm Tränen über die Wangen liefen. Und da geschah es plötzlich: Prims lebloser Körper zuckte leicht, dann schnappte sie hastig nach Luft und rollte sich hustend und röchelnd auf die Seite. Prim war zurück. Sie lebte. So wie es Loren prophezeit hatte. Kapitel 27: Siebenundzwanzig ---------------------------- Prim war zurück. Sie lebte. So wie es Loren prophezeit hatte. Diese Gedanken brauchten eine ganze Weile, bis ich sie begriff. Und als ich es tat, fing ich auch schon wieder an zu weinen. Dieses Mal jedoch aus Freude, auch wenn dieses Gefühl nur einen kurzen Moment lang anhielt und dann schlagartig mit allen anderen Gefühlen einfach verschwand.   Während Juna neben ihrer Freundin kniete und deren Hand hielt, ging Loren zu dem anderen Mann und zog diesen auf die Beine. Loren gestikulierte kurz mit den Händen, als würde er das ganze Gebiet damit einschließen, dann deutete er auf die Mädchen und auf mich. Ich konnte mir grob zusammenreimen, dass er sich noch einmal umschauen wollte und der andere Mann sich solange um uns kümmern sollte, denn mein Lehrer und Freund verschwand nach dieser Unterhaltung zusammen mit seinem Partner in dem nahegelegenen Wald. Währenddessen kam der ältere Mann auf mich zu und reichte mir eine Hand. „Na komm, Mädchen, steh auf. Alles ist nun in Ordnung.“ Zögerlich ließ ich mir aufhelfen, doch wanderte mein Blick direkt wieder zu Juna und Prim. „Es ist alles in Ordnung“, wiederholte er seine Worte, bevor er mich an der Schulter packte und rückwärts die letzten beiden Schritte auf den Mustang zu schob. „Der Doc wird gleich hier sein und sich um alles kümmern.“ Langsam nickte ich, nachdem der Mann mich irgendwie dazu gebracht hatte, mich ins Auto zu setzen. Er schien mir anzusehen, dass ich momentan nicht einmal mehr die Freude über Prims Auferstehung empfand, denn sein Blick wurde einen Moment lang forschend, ehe er vor der geöffneten Autotür in die Hocke ging. „Ich bin Perun. Loren hat mich darum gebeten, mich um dich zu kümmern, da du eine Schatten-Anwenderin bist und es sieht so aus, als hätte er Recht mit seinen Bedenken. Weißt du, Prim ist meine Tochter und trotzdem sollte ich mich erst einmal um dich kümmern.“ Mit gerunzelter Stirn musterte ich das Gesicht des Älteren, die hellbraunen Augen, deren Iris von diesem typischen goldenen Ring gesäumt waren. „Du hast zu Loren gesagt, du hättest nicht wirklich etwas in diesem Kampf beigetragen, richtig? Dein Blick verrät mir, dass das nicht stimmt. Du musst dich sehr angestrengt haben, etwas zu unternehmen. Auch wenn du vielleicht nicht viel tun konntest, hast du doch zu viel von deinem Element in dir angesammelt, ob genutzt oder ungenutzt, und zumindest versucht zu helfen.“ Wieder runzelte ich die Stirn und gab dem Mann insgeheim Recht. Ich hatte mich die ganze Zeit doch stark darauf konzentriert, mein Element irgendwie zu nutzen, auch wenn ich es nicht groß hatte anwenden können, da meine Gefühle mich meist blockiert hatten. Als ich ihm nicht antwortete, nickte der Blonde einfach und fuhr fort. „Du hast durch dieses Anstauen des Schattens seinen Nebeneffekt ausgelöst. Das, was ich in deinen Augen sehe, Mädchen, ist eine Eiseskälte, die nur deinem Element inne wohnt. Du musst dir dessen bewusst werden, dass diese Distanziertheit, diese Apathie, ein Zustand ist, der nicht normal ist. Dass das nicht du bist, sondern nur dein Element. Du darfst dich darin nicht verlieren. Verstehst du, was ich sage?“ Weiterhin betrachtete ich den Mann, ließ die Augen über seinen Hals zum Kragen seines schwarzen V-Neck-Shirts wandern, an dessen Rand eine Narbe hervor spitzelte. Dann folgte mein Blick einer Kugelkette bis hin zu einer Hundemarke, wie sie Soldaten trugen, nur dass auf dieser das Symbol der Silvermoon-Gilde abgebildet war, ehe ich intensiv das Tarnmuster seiner Armeejacke beäugte. Das schien dem Mann nicht sonderlich zu gefallen, denn er hob eine Hand vor mein Gesicht und schnippte mit den Fingern, um meinen Blick auf sich zu lenken. „Mädchen, hast du mir zugehört?“ Gezwungenermaßen nickte ich, was auch den Mann nicken ließ. „Dann hör auf zu träumen und konzentriere dich. Lass dich nicht von deinem Element beherrschen.“ Ich hatte das Gefühl, dass etwas an der Aussage dran war, weshalb ich mich tatsächlich auf meine eigenen Gefühle konzentrierte. Oder eher gesagt auf das Fehlen dieser, was ich jetzt begriff. Während ich das tat, fiel mein Blick auf Mishka, der die Ohren angelegt hatte und gestresst hechelte. Verwirrt runzelte ich die Stirn. „Mishka, was ist los?“ Kurz wanderte der Blick des Mannes zu dem Kater und dann wieder zurück zu mir. „Das ist die Folge deines Kontrollverlustes über dein Element. Dein Partner wird ebenso von deinen Gefühlen beeinflusst, nur versucht er sich dagegen zu wehren, was ihn offensichtlich stresst.“ Diese Worte waren es, die mich tatsächlich wach rüttelten, da sie mir ein schlechtes Gewissen bereiteten. Mishka wehrte sich gegen die falschen Gefühle, während ich mich ihnen hingab. Und er litt dadurch. Zitternd sog ich die Luft ein und schloss die Augen, wobei ich in meinem Inneren nach etwas anderem als dieser Gefühlslosigkeit suchte. „Gut so“, hörte ich Peruns Stimme und konzentrierte mich noch ein wenig mehr. Nach einem Moment drängte sich tatsächlich ein Gefühl in den Vordergrund: Angst. Angst, die mich erzittern ließ und mir Tränen in die Augen trieb, ehe ich diese wieder öffnete. Auch wenn es ein negatives Gefühl war, so war es doch ein Gefühl und ich ließ es zu. Was dazu führte, dass der Animalist vor mir einen Mundwinkel anhob und stolz nickte, ehe er mir durch die Haare wuschelte. „Gut gemacht, Mädchen.“ Mit diesen Worten stand er auf und wandte sich ab, ehe mir Mishka halb auf den Schoß sprang und seinen breiten Schädel an meinen Bauch drückte. Und mit einem Mal wurde mir wirklich bewusst, wieso alle ständig meinten, dass das Schatten-Element gefährlich war: Man musste so viel Kontrolle an den Tag legen, da man sonst seine eigenen Gefühle verlor. Und wenn man in diese Gefühlslosigkeit abrutschte, war einem alles egal. Das eigene Leben und das anderer waren unwichtig...   Während ich diesen Gedanken nachhing und Mishka an mich drückte, schaute ich über diesen hinweg und sah, wie einige Leute sich um Prim scharten, darunter ein Mann in weißem Kittel. Juna stand daneben und wurde von Prims Vater festgehalten, damit sie dem offensichtlichen Gilden-Arzt nicht im Weg stand. Ich hatte in meiner Gefühlslosigkeit nicht einmal darauf geachtet, was um mich herum geschah und das Eintreffen des Krankenwagens und eines weiteren Fahrzeuges gar nicht bemerkt. Als Prim gerade in den Krankenwagen verladen wurde, trat Loren in mein Sichtfeld. Er blieb bei Perun stehen, während Juna mit in den Krankenwagen stieg, ehe dieser in Richtung Gilde davon brauste. Zu den beiden gesellten sich zwei weitere, schwarzhaarige junge Männer, doch konnte ich aus dieser Entfernung die Unterhaltung nicht verstehen. Einen Moment lang blieb ich noch sitzen, blinzelte gegen meine Tränen an und versuchte mich halbwegs zu beruhigen, ohne erneut in die Gefühlslosigkeit ab zu rutschen. Erst, als das funktionierte, wischte ich mir mit dem Armrücken über die Augen und schob Mishka sanft von meinem Schoß, um zu ihnen hinüber zu gehen. Als ich jedoch bei den Männern ankam, unterbrachen diese direkt ihre Unterhaltung. Ich hatte mich selten so unerwünscht gefühlt, trotzdem wagte ich mich nach kurzem Zögern weiter vor, bis ich nahe bei Loren stehen blieb, sodass sich unsere Arme bei jeder kleinen Bewegung berührten. Sein Blick, der auf mich fiel, war besorgt, doch nickte er nach einem Augenblick leicht, als wollte er mir die offizielle Erlaubnis geben, bei ihnen stehen zu bleiben, ehe er sich wieder an die anderen wandte. In mir herrschte ein Gefühlschaos, sodass ich nicht einmal einschätzen konnte, ob mich diese indirekte Erlaubnis freute oder kränkte. „Wie gesagt, die Person, die ich gesehen habe, ist mir entwicht. Es scheint, als hätte jemand ihren Fluchtweg verschleiert. Und Dew ist nicht mehr fit genug, um nach einer präzisen Spur zu suchen.“ „Spot haben sie auch zu sehr zugesetzt. Und jetzt noch einen Spürtrupp her zu rufen ist vermutlich unnötig.“ Mit einem Seufzen fuhr sich der blonde Mann durch die halblangen Haare und musterte seinen Partner, der erschöpft an seinem Bein lehnte, eine Vorderpfote blutig und erhoben. „Ach, verdammt!“ Überrascht schaute ich zu den beiden Schwarzhaarigen, die uns gegenüberstanden. Der eine hatte sein Pony zur Hälfte ins Gesicht gekämmt, was ihm – zusätzlich zu seiner Kleidung – einen klischeehaften Emo-Look verschaffte. Die beiden Schwarzhaarigen schienen Zwillinge zu sein, auch wenn der andere gefasster wirkte, was nicht nur an seinen kurzen Haaren und dem soldatenhaften Auftreten lag. Statt aufgebracht den Blick wandern zu lassen, wie es sein Bruder tat, schien er sich Gedanken zu machen. „Gut. Wenn es sowieso nichts mehr bringt, dann brauchen wir euch hier nicht mehr. Per, fahr zu deiner Tochter. Und ihr beide“, er unterbrach sich kurz, um mich einen Moment lang an zu schauen, was ein seltsames Gefühl in meinem Innern auslöste und mich den Blick unbehaglich abwenden ließ. „solltet auch in die Gilde zurück. Wir kümmern uns um alles weitere.“ Kaum hatte der Kurzhaarige diese Worte ausgesprochen, zog er ein Handy aus seiner rot-schwarz karierten Hose hervor und tippte direkt eine Nummer ein. Währenddessen legte Loren mir einen Arm um die Schulter und führte mich zu seinem Auto zurück. Doch blieb er davor ruckartig stehen. „Mist! Mein armer Kühlergrill...“ Fragend hob ich meinen gesenkten Blick an und entdeckte die eingebeulte Front des gelben Mustangs. Nach einem Moment erinnerte ich mich auch wieder daran, dass Loren eines der Finsternis-Wesen angefahren hatte, als wir hier angekommen waren. Zum Glück hatten wir schon fast gestanden, sonst wäre es nicht bei diesem doch recht leichten Blechschaden geblieben. Wenn ich so daran dachte, wie schwer im Normalfall ein Wildunfall ausging erschauderte ich unwillkürlich und mich überkamen erneut die Tränen. „Auf, einsteigen.“ Lorens Worte rissen mich aus meinen Gedanken über Wildunfälle, Totalschäden und darüber, was schlimmeres hätte passieren können und ich blinzelte die Tränen fort. „Na, komm schon, Kris. Dew und Mishka sind auch schon im Auto.“ Mit einem leichten Nicken folgte ich der Aufforderung schließlich und versuchte dabei Lorens Blick zu entgehen, der mich genauestens zu beobachten schien. Kapitel 28: Achtundzwanzig -------------------------- Loren hatte gerade einmal genug Zeit, sein Auto zu parken, da riss Damien auch schon meine Tür auf und starrte mir mit weit aufgerissenen Augen entgegen. „Krissy...“ Es war kaum mehr als ein Flüstern, das er hervorbrachte, als er mich auch schon aus dem Auto und in seine Arme zog, kaum dass ich mich abgeschnallt hatte. Und da brach das Gefühlschaos auch schon über mir zusammen, als hätte Damiens Berührung einen Schalter in mir umgelegt. Die Schuldgefühle wegen Prims Tod, die Angst beinahe zu einem gefühlskalten Roboter geworden zu sein, die Sorge Mishka damit zugesetzt zu haben. Schluchzend klammerte ich mich an den Rothaarigen, der mich fest in seinen Armen hielt, so als wollte er mich nie wieder los lassen. „Du bist unverletzt“, seine wispernde Stimme ertönte genau neben meinem Ohr, da er seine Wange an meinen Kopf geschmiegt hatte. Nach einer Weile unkontrollierbaren Schluchzens spürte ich Damiens Hand beruhigend über meinen Rücken streichen und entspannte mich tatsächlich ein wenig. Als mein Schluchzen endlich verebbte, lehnte sich der Orangehaarige ein wenig von mir zurück, um seine Stirn an meine zu legen und mir aus nächster Nähe in die Augen zu schauen. „Jetzt ist alles gut, Krissy. Der Doc kümmert sich um Prim, darüber brauchst du dir keine Sorgen mehr zu machen.“ Unwillkürlich verspannte ich mich und in mir ballte sich ein Gefühl des Misstrauens zusammen. Im selben Moment zuckte mein Gegenüber zusammen, als hätte man ihn unvorbereitet mit einer Nadel gepikst. In seinen Augen stand Verständnislosigkeit, während sein Blick zwischen meinem linken und rechten Auge hin und her zuckte. Bis er seine eigenen plötzlich weit aufriss und hastig einen Schritt zurückwich. „Prim wurde eben vom Doc reingebracht, kurz bevor ihr hier angekommen seid, Krissy. Ich habe mich kurz bei ihrem Vater informiert, da ich mir Sorgen um sie und dich gemacht habe.“ Er legte die rechte Hand auf sein Herz. „Ich bin auf deiner Seite und werde das immer sein, daran brauchst du nicht zu zweifeln. Auch wenn die Schatten dir das einreden...“ Und mit einem Mal begriff ich sein Handeln: Damien wurde wohl ebenso von meinen falschen Gefühlen beeinflusst, wie Mishka. Und dieses Misstrauen war völlig fehl am Platz und somit eines der Gefühle, die durch den Nebeneffekt des Schatten-Elements hervorgerufen wurden. Wieder blinzelte ich gegen die Tränen an und nickte heftig. „Ich weiß... Danke, Damien...“ Ein sanftes Lächeln legte sich auf die Lippen des Jungen, bevor er mir kurz über die Haare streichelte. Sein Blick huschte über mich hinweg und als ich mich umwandte, entdeckte ich Loren, der zwar vor seinem Auto stand und es betrachtete, uns jedoch wohl die ganze Zeit aufmerksam beobachtet hatte. Die beiden Jungs starrten sich eine Weile stumm an, bis Loren sich langsam in Bewegung setzte. Da lag Damiens Hand auch schon an meinem Rücken und schob mich sanft in die selbe Richtung, auf den Gilden-Eingang zu.   Kaum drinnen, bogen wir auch schon nach rechts ab. Dieser Gang war mir gänzlich unbekannt, ich hatte jedoch auch noch nie einen Gedanken an ihn verschwendet. Wie sich gleich herausstellen sollte, war dies der große Krankentrakt, der sich hinter einen breiten Doppelflügeltür verbarg. Bisher hatte ich mich immer gefragt, wieso es nur unten eine Krankenstation gab, dabei war im Untergeschoss lediglich Daisys kleine Station, die sich auf interne Wehwehchen spezialisiert hatte. Manchmal war ich ja so was von dämlich. Natürlich lief niemand, der eine schwerere Verletzung hatte, erst einmal die Treppe nach unten, um irgendwo in den Gängen den Arzt zu finden. Im Flur trafen wir auf Juna, die mit gequältem Gesichtsausdruck und geschlossenen Augen auf einer Sitzbank an der Wand lehnte. Neben ihr stand Prims Vater, welcher die Ruhe weg hatte und uns aufmerksam musterte. Allem Anschein nach ging es Prim gut, trotzdem vergewisserte sich Loren, wie es ihr ging. „Er behandelt sie noch, aber es ist alles im grünen Bereich.“ „Und Juna?“ Schlagartig öffnete die Angesprochene ihre Augen und funkelte Loren herausfordernd an. „Rippenprellungen und ein paar Kratzer. Sie wird sich einige Wochen zurücknehmen müssen.“ Mit einem Schnauben kommentierte die Schwarzhaarige Peruns Aussage und schloss wieder die Augen. Es war offensichtlich, dass sie Schmerzen hatte und sich zusammenriss. „Es... tut mir Leid...“ Die Worte kamen wie automatisch über meine Lippen und sofort lagen alle Blicke auf mir. „Ich hätte Prim beschützen müssen...“ Da mein Blick auf den Boden gerichtet war, merkte ich erst, dass Juna aufgestanden war, als diese vor mir stand und mich in eine leichte Umarmung zog. Überrascht und auch ein wenig verwirrt – so eine Geste hätte ich nie von ihr erwartet – hob ich den Blick zu ihr an, nachdem sie mich wieder los gelassen hatte. Im nächsten Moment legte sie eine Hand auf meinen Kopf und tätschelte diesen, während sich ein tröstendes Lächeln auf ihren Lippen zeigte. Da wurde mir bewusst, dass die Schwarzhaarige nicht einfach nur wortkarg war, weil sie es so wollte. Es schien so, als ob sie manchmal einfach nicht reden konnte. So, wie in diesem Moment. Doch machte dies nichts, denn ihr Blick drückte so viel mehr aus, als es Worte getan hätten. Und irgendwie ließ mich das auch endlich akzeptieren, dass ich tatsächlich nicht alle Schuld auf mich nehmen musste. Nur ein kleines Nicken meinerseits und sie schien zu verstehen, dass ihre Aufmunterung richtig angekommen war, denn ihre Hand glitt auf meine Schulter und drückte diese leicht. Und hinterließ ein seltsames Gefühl in meinem Innern. Als hätte jemand auf diesen Moment gewartet, öffnete sich da plötzlich die Tür neben uns. Heraus trat ein Mann mittleren Alters, der ein Mal den Blick durch die Runde gehen ließ, ehe dieser an Juna hängen blieb. „Du kannst zu ihr. Im Moment schläft sie noch, aber es geht ihr soweit wieder gut.“ Noch während Juna in dem Raum verschwand, glitten die blassgrünen Augen des Arztes über mich und mich erfüllte ein angenehm warmes Gefühl, das mich unwillkürlich zurückschrecken ließ. „Dir scheint es soweit gut zu gehen? Aber, ein wenig Schokolade, um deinen Serotoningehalt weiter anzuheben, könnte trotzdem nicht schaden.“ Er wartete meine Antwort gar nicht ab, so als wäre bereits alles gesagt, und ließ seinen Blick noch einmal über die Gruppe wandern. „Da keiner von euch behandelt werden muss, solltet ihr endlich eure Partner zu Lars bringen.“   Nur wenige Minuten später standen Loren, Damien und ich auch schon vor Lars' Tür. Per hatte uns seinen Partner Spot mitgeschickt, da dieser einen Besuch bei Lars wirklich nötig hatte, jedoch keiner von beiden Prim alleine lassen wollte. So hatte Per sich durchgesetzt, dass das Wesen mit uns gehen und er selbst später zu Lars kommen würde, um nach ihm zu sehen. Kaum hatten wir den Raum betreten, hatte sich der kräftige Mann gleich Spot zugewandt, welcher sich Mühe gab, nicht zu leidend zu wirken. Doch kam er damit nicht durch. Innerhalb von wenigen Momenten hatte Lars ihn auf eine Stahltisch gehoben und kümmerte sich mit stiller Ernsthaftigkeit um dessen Pfote. Ab und an kam ein leises Winseln von dem Wesen, doch sonst versuchte es nicht einmal zu zucken, bis die Behandlung beendet war. Schlussendlich wurde der Wolfslöwe wieder auf den Boden gesetzt, wobei ein dicker Verband seinen halben Vorderlauf bis kurz über die Zehen zierte und sein Gelenk dadurch unbeweglich machte. Mit einem vernehmbaren Seufzen hinkte er ein paar Schritte weiter, ehe er sich auf ein großes Kissen fallen ließ und erschöpft die Augen schloss. Der große Mann musste ihm nicht einmal etwas sagen, damit er dies tat, doch wirkte das Wesen auch um einiges ausgezehrter als zuvor. Daraufhin kam der Kahlköpfige auf Mishka zu, dessen Nervosität rapide abnahm, noch bevor Lars eine Hand an ihn gelegt hatte. Sachte fuhr der Mann über seinen Kopf und die Wirbelsäule entlang, ehe er mit einem verkniffenen Lächeln auf dem Gesicht wieder aufstand. „Mishka geht es gut, er hat nur ein paar kleine Kratzer abbekommen.“ Was wohl bedeutete, dass er tatsächlich selbst sein Element genutzt hatte, um sich vor dem Gröbsten zu schützen. Und schon war Dew an der Reihe. Das dunkle Licht-Wesen versteckte sich halb hinter seinem Partner, bis dieser beiseite trat und den Weg für Lars frei machte. „Na, komm schon her, Dew. Ich weiß, dass du Behandlungen nicht magst, aber was sein muss, muss sein.“ Mit einem leisen Grummeln trat er tatsächlich auf den Mann zu, der nun – ebenso wie bei Mishka – eine Hand über ihn wandern ließ. Sein Blick entspannte sich recht schnell wieder, was für mich ein gutes Zeichen war, trotzdem wickelte er dem Licht-Wesen eine elastische Bandage um einen der Hinterläufe. Kurz zuckte Dew dabei zusammen, doch ließ er sich sonst keine Schwäche anmerken. Im Gegensatz zu Mishka, der wohl mit seinen Fähigkeiten als Drama-Queen eine einfache Zerrung als offene Wunde ausgespielt hätte. Das stolze Verhalten des Wesens überraschte mich ein wenig, doch sah ich dann, wie sich etwas in seinen Blick stahl, das nach Mitleid rief. So hart Dew auch tat, so sehr war er doch nur ein Tier, das nach seiner Verletzung bemitleidet werden wollte. Da stand Lars auch schon auf und klopfte sachte auf Dews Schulterblatt. „Da hast du nochmal Glück gehabt. Die Probleme sollten in ein paar Tagen zurückgehen, bis dahin musst du aber kürzertreten. Kein rennen oder kämpfen.“ Ein leises Schnauben kam von dem Wesen, ehe es ergeben den Kopf senkte. Das war wohl Antwort genug für den Mann, denn da wandte er sich auch schon an uns. „Wie gesagt, Dew hat sich erst einmal für die nächste Woche auszuruhen und dann schauen wir mal, wie sich die Zerrung macht. Und Mishka“, mit diesen Worten musterte er den schwarz-weißen Kater kurz „würde ein Bad gut tun, ansonsten ist er wohlauf.“ Auch wenn Mishka nicht erfreut war, so wurde sein murrender Protest doch ignoriert und wir verließen den Raum, nachdem Loren noch einmal versichert hatte, dass Dew sich ausruhen würde. „So... Und nun zu dir, Kris.“ Fragend hob ich eine Augenbraue an, als der Blonde mich ansprach und eingehend musterte. „Der Doc meinte, du sollst Schokolade bekommen.“ Unwillkürlich verzog ich das Gesicht. „Ich mag keine Schokolade.“ Doch wurde nun auch mein Protest gekonnt ignoriert. „Wenn der Doc etwas sagt, sollte man sich auch daran halten. Also, los, ab zum Lager. Ihr werdet euch für die Zukunft mit Schokolade eindecken, verstanden?“ Ich kam nicht mehr dazu, Einwände zu erheben, da hatte sich Loren auch schon in Bewegung gesetzt. Seufzend ergab ich mich meinem Schicksal, auch wenn ich Süßkram so gar nicht leiden konnte. Kapitel 29: Neunundzwanzig -------------------------- Mein Blick wanderte umher, streifte die graue Mauer, die einen kahlen, grauen Hinterhof von einem kleinen Spielplatz trennte, blieb kurz an einem achtlos hingeworfenen Schulranzen hängen und stoppte schlussendlich an einem paar Grundschulkindern die im Halbkreis standen. Als ich mich ihnen näherte, erkannte ich, dass ein anderes Kind in deren Mitte am Boden kniete. Es war ein Mädchen mit dunkelblonden, fast hellbraunen Haaren, das bitterlich weinte und über und über mit Dreck und Schürfwunden übersät war, während es mit den Händen etwas schützend hinter ihrem Rücken versteckte. Neugierig ging ich um das Mädchen herum und entdeckte eine Katze mit einem breiten Lederhalsband, das mich an etwas erinnerte, was ich in diesem Moment jedoch nicht klar zu benennen wusste, also ließ ich den Blick weiter über die Katze schweifen. Es war offensichtlich, dass dieses Tier unheimliche Schmerzen litt, so verkrümmt wie es da lag, die Augen verdreht, sodass man nur noch das Weiß darin sehen konnte, Blut rann aus seinem Mäulchen. „Hört... Hört auf!“ Die Stimme des Mädchens ließ mich den Blick anheben. Bis eben war noch alles totenstill gewesen, nun fluteten die Geräusche auf mich ein: Das gemeine Gelächter dieser Bälger, das herzzerreißende, hicksende Schluchzen des Mädchens, die seltsamen, eindeutig von Schmerz geplagten Töne der Katze. „Du hast doch angefangen! Wir haben dir gesagt, dass wir dich hier nicht wollen!“ Heftig schüttelte das Mädchen den Kopf. „Ich... Ich hab gar nichts gemacht... Ihr... Ihr habt Lilly... Ihr habt... meine Katze...“ Der Junge, der eindeutig der Anführer von dem Pulk war, gab dem Mädchen einen heftigen Stoß, sodass sie zur Seite stürzte und im staubigen Dreck landete. „Dieses Vieh ist keine Katze! So was darf, genau so wenig wie du, hier sein!“ Genau in dem Moment, als der Junge mit dem Fuß ausholte um die Katze zu treten, lief alles wie in Zeitlupe vor meinen Augen ab. Langsam erhob sich das Mädchen auf alle Viere, schwarze Schwaden waberten um sie herum. Die Blicke der beiden Kinder trafen sich. Während die Augen des Jungen sich vor Schreck weiteten, war selbst das Weiß in den Augen des Mädchens in tiefstes Schwarz getaucht. „NEIN!!“ Und schon lief alles wieder in normalem Tempo weiter. Die Nebelschwaden explodierten und die Druckwelle katapultierte die anderen Kinder gegen die Mauern ringsum. Die Jungen blieben regungslos liegen, trotzdem legten sich die Schatten um sie herum, als wollten sie die Kinder daran hindern erneut auf zu stehen, wenn nicht sogar für immer. Doch wanderte mein Blick unberührt zurück zu dem Mädchen, das nun vorsichtig die Katze auf ihren Schoß zog und mit stark zitternden Fingern durch ihr Fell strich. Um sie herum verdichtete sich der Schatten zusehends, als plötzlich Schritte ertönten. Ein Mann tauchte in der schmalen Gasse zwischen den Häusern auf, ließ seinen Blick kurz über die anderen Kinder schweifen und ging dann mit festen Schritten auf das Mädchen zu. Je mehr ich ihn betrachtete, umso mehr verschwamm sein Gesicht vor meinen Augen. „Engelchen, was tust du da?“ Das Mädchen hob den tränenüberströmten Blick an. „Die... Die haben... Lilly... weh... getan...“ Der Mann trat von einem Bein auf das andere und schaute noch einmal zu den am Boden liegenden Jungen, die nun fast gänzlich von den Schatten eingehüllt waren. „Engelchen, du musst dich beruhigen.“ Ich konnte seine Augen zwar nicht sehen, doch ich war mir ziemlich sicher, dass der Blick des Mannes Sorge widerspiegelte. „Ich kann Lilly so nicht helfen.“ Das waren die Worte, die das junge Mädchen begreifen ließen. Langsam dünnten die Schatten aus, lösten sich nach und nach auf – um sie selbst und um die Jungen herum – und schlussendlich verschwand auch das Schwarz aus den Augen des Mädchens. „Dad... Lilly...“ Unverzüglich nahm der Mann das Mädchen in den Arm und ließ die Hand über die Katze gleiten. „Ganz ruhig, Engelchen. Ich bringe Lilly zu einem Arzt, der sich um sie kümmert. Aber vorher musst du mir etwas versprechen.“ Nur kurz wartete der Mann, dass seine Tochter zu ihm aufsehen konnte. „Tu so etwas nie wieder.“ „Aber... Lilly...“ „Nein, Engelchen. Du darfst deine Fähigkeiten niemals gegen jemanden einsetzen. Du hast den anderen Kindern ganz böse weh getan. Mehr noch, als sie dir oder Lilly weh getan haben. So etwas darfst du nie wieder tun, hast du verstanden?“ Es dauerte einen langen Moment, in dem die Unterlippe des Mädchens stark zitterte, doch nickte sie schließlich. „Versprich es mir.“ „J-ja...“ Langsam verschwamm das Bild vor meinen Augen und ich musste diese schließen, weil mir schwindelig wurde.   Als ich sie das nächste Mal öffnete, blickte ich direkt in die silbernen Augen Mishkas. Sein Blick ruhte aufmerksam auf mir, während ich mich stöhnend von der Seite auf den Rücken rollte und an die Decke meines Zimmers starrte. „Es war nur ein Traum...“ murmelte ich leise vor mich hin, während ich mich an jedem Fetzen festklammerte, damit er nicht einfach so aus meiner Erinnerung verschwand. Moment... Mein Blick glitt zurück zu Mishka und ich griff, weiterhin liegend, nach seinem Halsband. „Das war nicht nur ein Traum, Mishka, das war eine Erinnerung. Lilly war meine Katze, aber sie hatte genau so ein Halsband wie du.“ Ich löste die Finger von dem Halsband und streichelte sachte über das überwiegend weiße Fell der Großkatze. Ich fühlte mich schlapp und seine Nähe gab mir auf eine seltsame Art und Weise Kraft. Eine Weile blieb ich noch so liegen, ließ die Finger durch das Fell des schnurrenden Katers gleiten und grübelte über die Erinnerung nach. Bis ich mich schließlich doch an den Rand des Bettes rollte und aufstand. Mein Blick streifte den Wecker: 04:15 Uhr, viel zu früh für Frühstück, Kaffee oder die Gesprächspartner, die ich jetzt gerne hätte. „Mishka, ich brauche frische Luft...“ Noch während ich mich umzog, wanderte der Kater, sich genüsslich streckend, durch den ganzen Raum, bis er schließlich vor der Tür stehen blieb. Genau zum richtigen Zeitpunkt, denn im nächsten Moment war ich neben ihm und wir traten gemeinsam auf den Flur. Die Gilde lag friedlich da, aus manch einem Zimmer ertönte Schnarchen, während ich an den Türen vorbei ging, doch war dies das einzige Geräusch das uns, neben unseren eigenen Schritten, begleitete. Zielstrebig hielt ich auf die Treppe nach oben zu, als wir die Mensa erreichten und folgte danach dem Gang nach draußen. Niemand außer mir schien um diese unmenschliche Zeit wach zu sein. Kurz wanderte mein Blick zu der Flügeltür die den Krankentrakt vom Rest des Eingangsbereiches trennte. Vermutlich war dort mindestens eine Person wach, doch wollte ich jetzt nicht dort hin, also verließ ich das Gebäude auf direktem Wege. Kaum dass ich nach draußen trat, schlug mir der kalte Morgenwind ins Gesicht und so verharrte ich einen Moment lang auf der Türschwelle. Zwar machte mich die Kühle des Morgens ein wenig wacher, doch ließ mich das seltsamerweise auch im gleichen Maße gereizter werden. Ohne Kaffee war ich nicht zu ertragen, vor allem dann, wenn mein Muntermacher nicht die Option des Richtig-wach-werdens war. Doch da ich nun einmal noch rund eine Stunde auf diesen warten musste, musste ich mich eben anders beschäftigen, um mich von meiner miesen Morgenlaune und den leichten Kopfschmerzen abzulenken. Da half wohl nichts... „Lass uns ein paar Runden drehen, dann können wir das für den Rest des Tages zumindest abhaken.“ Tja, mein Stundenplan beinhaltete auch täglichen Sport um meine Kondition auszubauen. Etwas, das ich gestern nicht mehr umsetzen konnte. Und, um ehrlich zu sein, versuchte ich mich beinahe täglich davor zu drücken, was mir jedoch nur selten gelang. Mit einem Seufzen setzte ich mich langsam in Bewegung, auf den Laufweg zu, der sich innen an der Mauer entlang wand. Mit jedem Schritt beschleunigte ich ein wenig mehr, bis ich schließlich joggend meine Runden um das Gildengebäude drehte. Mishkas Dauerlauf sah wie ein gemächliches Trotten aus, was mir das Gefühl gab, dass ich äußerst langsam war. Grimmig schielte ich zu dem Kater und versuchte noch etwas schneller zu joggen, ohne gleich ins Rennen zu verfallen. Oh, irgendwann würde ich ihn wirklich hier herum jagen, wenn er weiterhin seiner Faulheit zugestand, nur in meinem Tempo Sport zu betreiben. Doch für heute würde ich es ihm noch ein Mal durchgehen lassen.   Die Zeit verging wie im Fluge, als ich eine Runde nach der anderen drehte und ehe ich es mich versah war es kurz vor halb 6. Die letzten Wochen hatten tatsächlich dazu beigetragen, dass mir das Laufen kaum noch etwas ausmachte. Das war mir bis jetzt noch gar nicht so wirklich aufgefallen. „Dusche, Kaffee, Informationen“, gab ich Mishka kurzerhand meine To-do-Liste bekannt, ehe wir mit dem imaginären Abhaken anfingen. Frisch geduscht und umgezogen führte mich mein Weg durch die noch ziemlich leere Mensa und an das Buffet, an welchem ich mich meinem morgendlichen Kaffee-Ritual hingab. Da meine Laune und Restmüdigkeit jedoch unverändert blieben, orderte ich in der Küche eine kleine Kanne Kaffee, mit welcher ich mich dann an unseren angestammten Tisch setzte. Mein Blick hing an dem Flur, der zu den Schlaftrakten führte, während ich grimmig an meiner vierten Tasse Kaffee nippte. Langsam kam Loren in mein Sichtfeld. Kaum dass er den Raum betreten hatte, ließ er seinen Blick wandern, bis er meinen auffing. Schnell wich die offenkundige Anspannung aus seinem Gesicht, als er auf mich zu hielt. Dew derweil versuchte sein Hinken so gut es ging zu überspielen, während er neben ihm her trottete. „Schon so früh wach, Kris?“ Mein vernichtender Blick ließ den Blonden die Augenbrauen zusammenziehen, während er sich neben mich setzte und zu meinem Kaffeekännchen schaute. „Schlecht geschlafen?“ „Wie man es nimmt“, grummelte ich als Antwort, während ich wieder zu dem Flur hinüberschaute, aus welchem gerade Damien und Chester heraustraten. Schön, endlich waren alle beisammen. Ich goss mir meinen zweiten Kaffee aus der Kanne und hatte die Tasse beinahe geleert, als die beiden ebenfalls an unserem Tisch platz nahmen. „Die wievielte Tasse ist das?“ Damien und Loren wechselten einen kurzen Blick miteinander. „Die zweite, seit ich hier bin.“ Der Rotschopf hob eine Augenbraue an. „Plus die üblichen drei, vermute ich mal, und trotzdem so eine schlechte Laune, Krissy?“ Ich biss mir auf die Zunge und kippte den Rest aus dem Kännchen in die Tasse, ehe ich mich darauf konzentrierte, ihn – wie gewohnt – mit Milch und Zucker zu versetzen. Danach erst hob ich den Blick an. „Damien, hab ich in der Grundschule jemals andere Kinder angegriffen?“ Irritiert zog mein Gegenüber die Augenbrauen zusammen und lehnte sich etwas zurück, den Kopf leicht schief gelegt. „Du hast dich gewehrt, wenn dir jemand dumm gekommen ist, aber hast nie zuerst angegriffen. Außer, als du dem Viertklässler zwischen die Beine getreten hast, aber das ging ja nicht direkt gegen dich. Worauf willst du hinaus?“ Ich trank einen Schluck meines Kaffees und seufzte dann. „Ich hatte einen Traum, eine Erinnerung an die Zeit, als mein Dad noch bei uns war. Ich muss gerade in die Grundschule gekommen sein, also war das wohl noch bevor wir uns kannten. Ein paar Jungs hatten mich auf dem Nachhauseweg abgefangen. Seltsam, dass ich mich jetzt wieder daran erinnere und vor dem Traum nichts mehr davon gewusst hatte...“ Kurz schwieg ich, dachte an die Geschehnisse von damals und nippte an meiner Tasse. „Ich weiß nicht mehr genau, warum sie etwas gegen mich hatten, doch sie meinten, dass ich nichts in ihrer Stadt zu suchen hätte. Als sie mich herum geschubst haben, ist mir meine Katze zu Hilfe gekommen. Sie hätten Lilly fast totgeschlagen, meinten sie wäre ein Monster und keine Katze. Und ich hab sie mit dem Schatten-Element angegriffen.“ Bei diesen Worten hob ich den Blick von meiner Tasse und blickte direkt in Chesters Augen. „Mein Dad hat mich versprechen lassen, dass ich meine Fähigkeiten nicht mehr gegen andere einsetze. Ich erinnere mich nicht gut an ihn, weiß nicht mal mehr, wie er aussah, doch er hat mir Lilly damals gebracht. Ich hab mich daran erinnert, dass sie so ein Halsband wie Mishka und die anderen Wesen hier getragen hat.“ „Du meinst also, dass dein Vater ein Hunter gewesen ist und deine Katze ein Wesen war?“ Langsam nickte ich, setzte die Tasse an meine Lippen und realisierte dann, dass sie bereits leer war, also setzte ich sie klangvoll auf dem Tisch ab. Meine Finger nestelten nervös an der Tasse herum, während ich auf meiner Unterlippe herum kaute. Sollte ich jetzt das mit dem Brief erwähnen? Vielleicht wäre es besser, trotzdem hielt mich etwas weiterhin zurück. Bis mich Mishkas Nasenstupser dazu brachte, eine Entscheidung zu treffen. „Ja. Ich glaube, er war ein Hunter. Und ich glaube, er wusste mehr über das, was aus mir werden würde, wenn ich als Spiritualist zurück kommen sollte. Er hatte zumindest eine Vermutung.“ „Was meinst du damit?“ Ich schielte aus dem Augenwinkel zu Loren, wagte es jedoch nicht, ihn offen anzusehen. „Ich habe einen Brief von ihm an meine Mom gefunden, als wir meine Sachen aus dem Haus geholt haben. Er war datiert auf meinen Todestag.“ Ich griff in meine Hosentasche und beförderte den gefalteten Brief auf den Tisch. Irgendwie hatte ich es für besser gehalten, ihn immer bei mir zu tragen, als ihn irgendwo in meinem Zimmer aufzubewahren. Loren war der erste, der sich den Brief griff und durchlas. Noch während Chester das Papier im Anschluss an sich nahm, wanderte Lorens Blick wieder zu mir. „Und wieso hast du uns nichts davon erzählt?“ Seine Stimme klang ein wenig unwirsch, doch konnte ich nicht einordnen von welchem Gefühl das herrührte. Wut oder doch eher Sorge? „Ich weiß es nicht... Es hat sich nicht richtig angefühlt...“ Während sich Unbehagen in mir ausbreitete, legte Chester den Brief auf den Tisch. „Und wann hattest du vor ihn uns zu zeigen? Du kannst so etwas nicht einfach vor uns verheimlichen!“ Mit einem Mal war meine Unsicherheit verpufft und Wut brach aus mir hervor. Ruckartig stand ich von meinem Platz auf und schlug mit den flachen Händen dabei auf den Tisch. „Ach?! Wieso nicht?! Ihr verheimlicht doch auch ständig Sachen vor mir!“ Wutschnaubend wirbelte ich herum und stapfte auf die Treppe zu. „Komm, Mishka, wir laufen zur Schule.“ Im Augenwinkel konnte ich sehen, wie Chester die anderen beiden davon abhielt, mir zu folgen, während ich geradewegs die Treppe hinaufeilte und das Gebäude verließ. In wenigen, langen Schritten hatte ich den Hof durchquert und war durch das Tor hindurch, doch als ich durch den Schutzwall trat überlief ein unangenehmes Kribbeln meinen ganzen Körper. Mit diesem Kribbeln verpuffte meine Wut eben so schnell wie sie gekommen war und an ihrer Stelle stürzte ein beklemmendes Gefühl auf mich ein. Es fraß sich direkt in mein Herz und umklammerte dieses mit eiskaltem Griff. Mein Herzschlag stockte und setzte sich holpernd wieder in Gang, ich schien vergessen zu haben, wie man atmete, stolperte über meine eigenen Füße und landete schlussendlich auf meinen Knien. Während sich ein Engegefühl in meinem Hals und meiner Brust ausbreitete und mir die Luft weg blieb, liefen mir kontinuierlich Kälteschauer den Rücken hinunter. Doch noch ehe ich komplett durchdrehen konnte, rollte sich Mishka um mich herum zusammen und leckte mir über die Haare. Unter starkem Zittern zog ich die Knie unter das Kinn und kauerte mich an seiner Seite zusammen, während der Kater weiterhin mit seiner rauen Zunge beruhigend über meinen Kopf leckte.   Eine gefühlte Ewigkeit später, in der ich mehr weggetreten als wirklich anwesend in meinem eigenen Körper war, stellte Mishka plötzlich sein Tun ein und im nächsten Moment wurde ich auch schon in die Arme von jemandem gezogen. Kurz verkrampfte ich und wollte mich befreien, bis irgendetwas in meinem Inneren auf die Person ansprach und sich meine ganze überreizte Gefühlswelt langsam wieder normalisierte. Langsam, sehr langsam, beruhigten sich meine Atmung und mein Herzschlag wieder. Ich nahm wahr, dass mir die Person mit der Hand sanft über den Rücken streichelte, während die Kälteschauer verebbten und auch das Zittern abklang. Und nach und nach verband ich nun auch den Geruch des vertrauten Körpers vor mir mit Damien. Das Leder seiner Jacke gepaart mit dem herb-süßen Geruch seines Parfums hüllte mich in ein umsorgtes Gefühl, das mich weitestgehend beruhigte und mir endlich wieder die Möglichkeit gab, meine Umgebung bewusst wahrzunehmen. Ich spürte Damiens Hand in meinem Rücken kurz zucken, dann lehnte er sich sachte zurück, um mir ins Gesicht zu sehen. Verunsichert entgegnete ich seinen forschenden Blick. „Alles wieder gut, Krissy?“ Langsam nickend bestätigte ich diese Frage. „Was... ist da eben passiert?“ Der Mundwinkel mit dem Lippenpiercing meines Gegenübers zuckte leicht in einem mitleidigen Lächeln nach oben. „Du hattest eine Panikattacke, Krissy.“ Mit einem Seufzen sank ich noch ein Mal zurück in die Arme meines Wächters. „Warum...?“ „Das werden wir gleich herausfinden. Aber das bedeutet auch, dass du heute nicht zur Schule gehst, einverstanden?“ Mit dem Kopf an Damiens Brust nickte ich zustimmend und ließ mich im nächsten Moment von ihm mit auf die Beine ziehen. Mishka strich mit seinem beruhigenden Schnurren um uns herum und blieb direkt neben mir, als der Rothaarige mich auf meinen wackeligen Beinen zurück in die Gilde führte. Dieses Mal blieb das Kribbeln beim Durchschreiten des Schutzes aus und ich hob fragend den Blick zu dem unsichtbaren Schild an. „Ich habe es vorhin gespürt, als ich durch den Schutz getreten bin...“ Meine Hand lag locker an Damiens Seite, während er mich stützte, und so spürte ich wie seine Muskeln sich bei meinen Worten kurz anspannten. „Wir werden herausfinden, was passiert ist.“ Kapitel 30: Dreißig -------------------  Loren und Chester empfingen uns am unteren Treppenabsatz, kaum dass wir die Stufen hinuntergestiegen waren. Der Blonde wirkte aufgebracht und es war offensichtlich, dass Chester ihn davon abgehalten hatte, mir ebenfalls zu folgen. Seine braun-grünen Augen wechselten mehrfach zwischen mir und Damien hin und her, ehe er endlich den Mund öffnete und sich an mich wandte. „Alles okay, Kris?“ Ich betrachtete meinen Gegenüber eingehend bevor ich matt mit dem Kopf schüttelte. Kurz huschte Wut über Lorens Gesicht, doch wurde dieser Anflug sogleich wieder durch Sorge ersetzt. „Was ist passiert?“ Doch noch bevor ich eine Antwort darauf finden konnte, meldete sich Damien zu Wort. „Wir sollten sie durchchecken lassen.“ Schlagartig wurde Loren ernst, als er nun doch den Blick meines Wächters erwiderte. „Was ist passiert?“ Auch seine Stimme hatte einen schärferen Ton angenommen, als er seine Frage wiederholte. „Sie hat den Schutzwall gespürt.“ Noch während sich die Gefühle in Lorens Gesicht die Klinke in die Hand gaben, legte Chester seinem Freund eine Hand auf die Schulter. „Kommt, gehen wir erst einmal zu Daisy und schauen, ob sie etwas findet. Außerdem kannst du uns dann genauer erklären, was passiert ist, einverstanden Kristina?“ Erneut brachte ich kaum mehr als ein Nicken zustande. Ich fühlte mich so ausgezehrt und müde, am liebsten hätte ich mich einfach nur ins Bett gelegt. Doch ließ ich mich stattdessen zur kleinen Krankenstation im Untergeschoss führen, Mishka blieb dabei stets an mein Bein gepresst. Doch nach nur wenigen Metern verschwamm der Weg langsam vor meinem Blick und mit jedem Schritt, den ich tat, wurde mir zusehends schlechter. Stechende Kopfschmerzen ließen mich die Augen zusammenkneifen und meine Umwelt völlig ausblenden, ehe der Schwindel mich überkam und ich über Mishka stolperte. Ohne Damiens Griff an meinem Oberarm wäre ich unweigerlich hingefallen. Während diese Erkenntnis schwammig durch meinen Kopf schwirrte, waberte auch schon seine Stimme zu mir hinüber. Doch drangen seine Worte nicht mehr bis an mein Bewusstsein vor, während alles um mich herum in Schwarz versank.   Als ich meine Augen wieder öffnete, fiel mein Blick an eine weiße Zimmerdecke. Ich lag in einem Bett und die Situation kam mir seltsam vertraut vor. Noch während ich versuchte zu begreifen, was geschehen war, stellte sich Mishka mit seinen Vorderpfoten neben mich auf die Matratze und schmiegte seinen breiten Schädel an meine Brust. Keine Sekunde später tauchte Damiens Kopf in meinem Sichtfeld auf, doch wandte er sich gleich wieder ab. „Sie ist aufgewacht.“ Damien wurde von Daisy abgelöst, die meine Hand anhob und mir mit einem kleinen Gerät in den Finger stach. Überrascht zuckte ich von dem Piks zusammen, wartete jedoch still ihr Urteil ab. Ihr ernster Blick hellte sich auf und ich beobachtete sie dabei, wie sie eine Kanüle aus meinem Handrücken zog. „Alles wieder im Grünen Bereich. Wie fühlst du dich?“ Meine Schultern zuckten ganz automatisch zur Antwort. „Was ist passiert?“ Der Blick der burschikosen Frau wurde wieder ernster. „Du warst völlig unterzuckert und bist deshalb umgekippt.“ Irritiert zog ich die Augenbrauen zusammen und setzte mich langsam auf. „So wie du schaust, ist dir das noch nie zuvor passiert?“ Kopfschüttelnd blickte ich auf Mishka hinab und kraulte ihn hinter den Ohren. Doch schoben sich meine Augenbrauen weiter aufeinander zu. „Moment... Heißt das, ich bin krank?“ „Im Moment können wir das zumindest nicht ausschließen.“ „Moment“, wiederholte ich kopfschüttelnd und hob die Hand von Mishkas Kopf in die Höhe, ehe ich Daisys Blick begegnete. „Wie kann das sein? Ich dachte, Spiritualisten und Animalisten können nicht krank werden?“ Verwirrt musterte ich Chester und Damien, die hinter Daisy standen, ehe ich die Frau wieder ansah. „So gesehen“, begann sie gedehnt. „Bist du nicht krank. Unterzucker wird durch einen erhöhten Insulinspiegel ausgelöst. Bei normalen Menschen ist oft die Schilddrüse der Grund für eine Über-, oder wie in diesem Fall, Unterfunktion. Als Hunter ist ein solches, chronisches Leiden jedoch ausgeschlossen, das stimmt. Trotzdem löst irgendetwas in deinem Körper, was sich aus medizinischer Sicht nicht erklären lässt, bei dir Unterzucker aus.“ Ein wenig überfordert blinzelte ich die Blondine an, während hinter ihr Loren, mit Celestine im Schlepptau, eintrat. Ein wenig schüchtern trat die Schwarzhaarige auf mich zu und hob die Hand grüßend in die Höhe. „Um das herauszufinden, bin ich da.“ Mit verschränkten Armen trat Daisy zurück und reihte sich bei den Jungs ein, während Celestine sich auf den Rand meines Bettes setzte. „Da ein körperliches Problem ausgeschlossen werden kann, kann es eigentlich nur noch einen seelischen Auslöser geben. Deswegen hat mich Loren hergeholt.“ Unbehagen stieg in mir auf, als mir wieder einfiel, dass die Mediale in die Seelen anderer sehen konnte, was sie in diesem Moment auch noch ein Mal selbst bestätigte. „Aber, keine Angst, ich werde nicht in deinen Gedanken oder Erinnerungen herumschnüffeln.“ Oh... Auf die Bestätigung, dass sie das konnte, hätte ich lieber verzichtet, danke auch... Doch entspannte ich mich direkt wieder, als ich die beruhigende Schwere von Mishkas Körper in meinem Rücken spürte – er hatte sich wohl klammheimlich auf das Bett geschlichen – und so nickte ich kaum merklich. „Okay... Und was muss ich machen?“ Mit einem sanften Lächeln drehte sich das Mädchen nun ganz zu mir um und zog ihre Beine dabei auf das Bett, um sich im Schneidesitz hinzusetzen. Ganz automatisch tat ich es ihr nach, während Mishka seinen Hals um mich herum legte, den Kopf auf meinem Oberschenkel bettete und meine Gegenüber aufmerksam musterte. Diese ergriff meine Hände und blickte mir tief in die Augen. „Du musst nichts weiter tun. Entspann dich einfach. Es ist ganz natürlich, dass du mich nicht in deine Seele hineinlassen willst. Trotzdem solltest du mich nicht wegstoßen, auch wenn es sich im ersten Moment vielleicht richtig anfühlen mag. Entspanne dich einfach nur, vertrau mir.“ Während Celestine sprach, tauchte sie bereits vorsichtig in meine Seele ein. Zu erst fühlte es sich an, als würde etwas nach mir tasten, jedoch nicht körperlich. Das Tasten wurde von einem plötzlichen Knistern unterbrochen, das mich innerlich überrascht zurück zucken ließ. Doch kaum war das Knistern verschwunden, näherte sich das tastende Gefühl wieder, das sanft streichelnd um Einlass bat. Und da machten ihre Worte von zuvor plötzlich Sinn. Ich sollte mich entspannen und sie nicht wegstoßen. Nur einen Atemzug später machte ich einen mentalen Schritt auf Celestine zu und ließ ihren Geist ohne Gegenwehr in den meinen dringen.   Als ich meine Augen wieder öffnete – ich konnte mich nicht daran erinnern, sie geschlossen zu haben – blickte ich direkt in Celestines leuchtende, bernsteinfarbene Augen, die mich offenkundig musterten. Langsam ließ sie meine Hände los, während sich Irritation auf ihrem Gesicht zeigte. „Du hast zwei Elemente.“ Zögerlich nickte ich. „Schatten und Elektrizität.“ Das war jetzt nicht wirklich etwas Neues für mich, also wartete ich geduldig darauf, dass meine Gegenüber ihre Gedanken sortiert hatte. „Der Schatten ist mit deiner Seele verwoben, das Element, mit dem du geboren wurdest. Die Elektrizität wirkt eher wie ein Parasit, wie ein Käfig, der sich um den Schatten gelegt hat und mit dessen Volumen wächst und schrumpft. Wenn der Schatten aufgebraucht ist, ist der Käfig klein und engt den Schatten ein, der sich dadurch nur langsam wieder auffüllen kann und durch die Gitterstäbe herausquillt. Es ist, als ob die Elektrizität sich vom Schatten nährt, der durch das engmaschige Netz hindurch fällt. Da er durch den Platzmangel aber nicht schnell genug nachproduzieren kann, ernährt sie sich gerade vom Zucker in deinem Blut.“ Während die Schwarzhaarige mich anstarrte und definitiv noch immer meine Seele statt meinen Körper betrachtete, kam Chester einen Schritt auf uns zu. „Was meinst du damit? Ich habe noch nie von einem parasitären Element gehört.“ Doch die Angesprochene schüttelte nur mit dem Kopf und zuckte dann mit den Schultern, während sie mich weiter musterte. „Die Elektrizität fühlt sich nicht so alt an, wie sie. Sie fühlt sich gleichzeitig älter und jünger als ihre Seele an.“ Ein unbestimmter Schrecken zeigte sich für einen Augenblick in Lorens Gesicht. „Wie alt?“ „Hmm... Sie ist 15, vielleicht 16 Jahre.“ „Also kein Alter, an das man sich zurückerinnert...“ Fragende Blicke legten sich auf den blonden Wuschelkopf. „Na, was auch immer ihr dieses parasitäre Element eingebracht hat, ist vor 15 bis 16 Jahren passiert. Aber ich bezweifle, dass Kris sich daran erinnern kann, da sie zu diesem Zeitpunkt zwischen 1 und 2 Jahren alt gewesen sein muss.“ Betretenes Schweigen folgte auf diese Worte, bis Daisy den Mund aufmachte: „Also, um auf das eigentliche Problem zurück zu kommen: Dieses zweite Element unterdrückt also die Schatten-Regeneration und ernährt sich vom Zucker, wenn es sich nicht ausreichend vom Schatten ernähren kann?“ Langsam nickte Celestine, während ich wie ein Trottel völlig planlos zwischen den Frauen hin und her schaute. Nur mit Mühe konnte ich mir ein sehr geistreiches „Hä?“ verkneifen. Doch erbarmte sich Daisy doch noch, mich aufzuklären: „Das heißt dann, dass du jedes Mal, wenn du deinen Schatten annähernd aufbrauchst, definitiv in Unterzucker rutschen wirst. Und, dass es länger als bei anderen dauert, bis sich dein Elementarer-Speicher wieder zur Gänze aufgefüllt hat. Und, dass du in diesem Zeitraum eine erhöhte Zuckerzufuhr brauchst.“ Okay, das verstand ich schon eher, auch wenn ich nicht gerade erfreut von diesen Aussichten war. Konnte nicht ein Mal in meinem Leben etwas normal laufen? Kapitel 31: Einunddreißig -------------------------  „Doch, was ich nicht verstehe ist, warum der Schutz auf Kris reagiert hat.“ Bei Lorens Worten riss Celestine überrascht die Augen auf. Offensichtlich hatte der Blonde sie darüber nicht in Kenntnis gesetzt, als er sie angeschleift hatte. Und trotzdem konnte sich die Schwarzhaarige selbst einen Reim darauf machen, da ihr Blick direkt wieder auf meiner Seele lag, während ihre Augen aufleuchteten. „Nein. Der Schutz hat nicht auf Kris reagiert, sondern auf den Parasit. Der Schutz kennt Kris nur in Verbindung mit dem Gemisch ihrer Elemente, aber nicht nur mit der Elektrizität.“ Missmutig legte ich eine Hand zwischen Mishkas Ohren und dieser ließ die Augenlider sofort auf Halbmast sinken. „Und was heißt das jetzt für mich? Dass ich die Gilde nicht mehr verlassen darf, solange sich mein Schatten-Speicher nicht wieder gefüllt hat?“ Nachdenkliche Blicke legten sich auf mich, ehe eine Idee aus Lorens Augen heraus funkelte. „Die Arena.“ „Was?“ Neugierig spitzte Mishka seine Ohren, während ich verwirrt dabei zusah, wie die Jungs sich einig zu sein schienen. „Die Arena“, wiederholte Loren nun. „Wenn du in ihr deine Kräfte bis ans Äußerste treibst, wird höchstwahrscheinlich auch die Elektrizität als eigenes Element abgegeben. Und wenn die Arena diese aufnimmt, wird sie sie als Teil von dir abspeichern und der Schutz sie künftig akzeptieren.“ Auch wenn Loren so aussah, als würde er jeden Moment aus dem Zimmer stürmen wollen um seinen Plan in die Tat umzusetzen, wandte sich Chester erst einmal an Daisy. „Was wiederum heißt, wir bräuchten dich mit vor Ort.“ Ein knappes Nicken war ihre einzige Antwort. „Bist du damit einverstanden, wenn wir gleich runtergehen?“ Die Angesprochene atmete geräuschvoll durch und nickte erneut. „Ihre aktuellen Werte sprechen nicht dagegen. Und wenn ihr den Parasiten aus der Reserve locken wollt, dann wäre jetzt der beste Zeitpunkt, da der Schatten noch immer nicht regeneriert ist. Auch wenn ich eigentlich, aus ärztlicher Sicht, dagegen bin.“   Und ehe ich mich versehen konnte, hatte man mich auch schon durch mir unbekannte Gänge und eine endlos wirkende, steinerne Wendeltreppe hinuntergeführt. Wenn das so weiter ging, würde ich mir noch einen Gebäudeplan geben lassen müssen... Doch war jetzt nicht der richtige Zeitpunkt, darüber nachzudenken, da wir das Ende der Treppe erreichten und Loren und Chester, die bis eben meinen Blick nach vorn versperrt hatten, zur Seite traten. Verblüfft starrte ich auf die rund 30 Meter hohen Wände. Ich hatte noch nie ein Stadion in echt gesehen, doch stellte ich mir die Maße ungefähr genau so vor. Von den Wänden her fiel der Boden in breiten Absätzen zur Mitte hin ab, wobei sich an mehreren Stellen Stufenreihen bis zur Mitte zogen. Auf den Absätzen reihten sich Sitzplätze aneinander. Und in der Mitte des Raumes hingen riesige Bildschirme von der Decke, die rundherum ausgerichtet waren. Ja, ich hatte definitiv Stadion-feelings hier. Als Mishka mich sanft an der Hüfte anstupste, folgte ich den anderen mit Abstand die Stufen hinunter. Wir liefen auf eine tiefe Grube zu, die sich genau in der Mitte des Raumes befand. Als ich an der umrundenden Mauer stehen blieb konnte ich einen Blick auf Wände und Boden werfen, die aus einem mir unbekannten Gestein bestanden. Es war schwarz, doch schienen verschiedenfarbige Lichtblitze durch es hindurch zu zucken, wenn man genauer hinsah. Während ich das Schauspiel genauer betrachten wollte, lehnte ich mich ein wenig nach vorn und stieß mit der Nase gegen eine unsichtbare Wand. Überrascht zuckte ich zurück und griff mit der Hand nach vorne. Auch wenn ich sie nicht sehen konnte, so war da doch eine Wand. Beinahe wie Glas, doch spürte ich ein sanftes Kribbeln unter meiner Handfläche. „Das ist ein Schutzschild, das die Arena umgibt, sodass nichts von innen nach außen und auch nichts von außen nach innen dringen kann.“ Fasziniert wandte ich mich an Chester, der neben mir stehen geblieben war, um mir Zeit zu geben, die Eindrücke zu verarbeiten. „Wie?“ „Diese Arena ist mit so viel Elementarer-Energie geladen, dass sie allem stand hält. Man muss in ihr nur ein Mal eine Fähigkeit einsetzen, damit der Magiestein sie speichert. Und dann findet sie ganz von selbst einen Weg, wie sie diese unschädlich machen kann. Setzt man zum Beispiel Feuer ein, wird sie direkt mit Wasser und Eis dagegenhalten. Das ist auch der Grund, weshalb nach jedem Gildenumzug die Arena mit einem Kampf-fest eingeweiht wird, damit sie alle Energien in sich aufnehmen kann. Ebenso sind alle unsere Übungsräume mit diesem Schild verbunden, so dass eigentlich kein größerer Schaden in ihnen entstehen sollte.“ Chesters rechte Augenbraue senkte sich verheißungsvoll, während sein Blick kurz zu Loren huschte, ehe er fortfuhr. „Die Schilde dort sind jedoch nichts, im Vergleich zu diesem hier oder der Gildenkuppel, was bedeutet, dass es manchen Personen nicht erlaubt ist, ihre Fähigkeiten in den Übungsräumen zu nutzen. Jedenfalls“ – ich erhaschte einen Blick auf Loren, der Chesters Worte tonlos mit den Lippen nachahmte und dabei mit den Augen rollte – „kann der Schild der Arena, ebenso wie die Schutzkuppel, im Bruchteil einer Sekunde reagieren. Und beide Schilde lernen voneinander. Was heißt, dass im schlimmsten Falle jemand vielleicht die Kuppel zu Fall bringen könnte, jedoch würde er damit den Schild hier stärken. Und solange es der Erbe nicht zulässt, wird niemand durch diesen Schild hier durch kommen. Man kann die Arena also auch als Notfallbunker ansehen.“ Fasziniert flog mein Blick noch ein Mal zu dem schwarzen Gestein, ehe Loren an mir vorbei lief und mir dabei auf die Schulter tippte. „Also, kurzum: Zeig', was du alles kannst. Und damit meine ich alles. Also, alles, was du gerade so zustande kriegst.“ War das da eben etwa eine Anspielung gewesen? Oder eine Herausforderung? Mit ein paar zügigen Schritten schloss ich zu dem Blonden auf, als ich hinter mir Chesters Stimme vernahm: „Halt. Du nicht.“ Fragend wandte ich mich um und blickte in Mishkas silberne Augen, die trotzig in die meinen blickten. Mit nur zwei Schritten war ich wieder bei ihm und hatte seinen breiten Schädel in den Händen, während ich mich zu seinem Gesicht hinunter beugte. „Ich bin gleich zurück, warte hier.“ Mit einem widerwilligen Schnauben setzte sich der Kater auf seine Hinterhand und schlug mit seinen zwei Schwänzen hin und her. Und so konnte ich nun doch hinter Loren den nächsten Treppenlauf hinunter steigen.   Vor dem Torbogen, der in die Arena führte, blieb Loren stehen und wandte sich der Wand auf der rechten Seite zu. Als ich um seine Schulter herum lugte konnte ich den Blick auf ein hochmodernes Touch-Display werfen, auf dem der Lockenkopf herum tippte. Als Loren meinen neugierigen Blick bemerkte gab er ein verhaltenes Kichern von sich. „Was? Überrascht dich diese Art von Technik so sehr? Nicht alle Fähigkeiten beziehen sich auf Elemente oder Kampf. Manche sind tatsächlich an die aktuelle Lebenslage angepasst und weiterentwickelt. Fortschrittlich also.“ Ich konnte spüren, wie sich meine Wangen rot färbten. War meine Überraschung darüber wirklich dermaßen offensichtlich gewesen? „Und dieses Panel hier wurde durch eine Fähigkeit mit der Arena verbunden. Man kann zum Beispiel Sparing-Partner erstellen oder die Umgebung anpassen. Es gibt auch die Möglichkeit personenbezogene Voreinstellungen abzuspeichern.“ Während er das erklärte, tippte er unbeirrt weiter auf dem Display herum, wählte dies aus, bestätigte dort etwas und klickte schlussendlich einen großen, grünen Button in der rechten, unteren Ecke an. „Ich denke, das kann man so lassen. Ich war mal so frei, dir ein paar Rauch-Gegner zu erstellen.“ Bei diesen Worten musste ich erneut um Loren herum schauen, jedoch auf der anderen Seite. Inmitten der Arena waberte Rauch. Hier und da konnte ich Gliedmaßen erkennen. Hier einen Kopf, dort einen Schwanz. Erneut vollkommen fasziniert machte ich zwei Schritte auf die Arena zu und kniff die Augen leicht zusammen, um die „Gegner“ besser erkennen zu können. Sie wirkten so lebendig, bewegten sich leicht, während sie da standen und warteten. „Wie ist das möglich?“ „Magiestein. Er speichert nicht nur die Fähigkeiten, die in seiner Nähe eingesetzt werden, sondern kann diese auch eins zu eins wiedergeben. Die Mauern und der Boden wirken wie Projektoren, alles was über die Höhe der Wände projiziert werden müsste, ist nicht machbar. Jedoch in diesem offenen Raum hier unten, kann jede Projektion zu einem handfesten Replikat gemacht werden.“ Langsam glitten meine Augen von Loren zurück zu den Rauchschwaden, während mein Gesicht weiterhin in seine Richtung gewandt blieb. „Das heißt, sie haben einen festen Körper?“ Die goldenen Locken meines Lehrers wippten, als dieser nickte. „Genau, das heißt es. Aber mehr werde ich dir nicht verraten. Ich will dir ja nicht den Spaß verderben. Und jetzt auf, zeig' mal, was du gelernt hast.“ Mit einem schiefen Grinsen verdrehte ich die Augen und trat den letzten Schritt voran in die Arena. „Ach ja, ich würde von dir gerne mal ein paar Angriffe sehen, verstanden?“ Mit kritisch zusammengezogenen Augenbrauen wandte ich mich dem Älteren doch noch ein Mal zu, doch machte dieser nur eine alles einschließende Bewegung mit der Hand. „Der Schutz wird mit dir schon fertig.“ Ich war mir wirklich nicht sicher, ob er mich gerade absichtlich reizen wollte, aber wenn dem so war, dann war er auf dem richtigen Wege. Mit einem leisen Schnauben wandte ich mich wieder um und ging auf die Rauch-Wesen zu. Langsam und leichtfüßig liefen sie auseinander. Es waren vier an der Zahl. Wenn ich die Augen zusammenkniff konnte ich hinter den Rauchschwaden Fuchs-ähnliche Gestalten erkennen. Ebenso erinnerten ihre Bewegungen stark an diese Tiere. Vielleicht war der Gedanke, sie mit Füchsen zu vergleichen, gar nicht so verkehrt... Füchse waren flink und trickreich. Ich dagegen war faul und beim Kämpfen meist überfordert. Wow, was für passende Sparing-Partner für mich... Langsam aber sicher kam meine Gereiztheit zurück. Vermutlich sank mein Zuckerspiegel schon wieder. Mit einem Kopfschütteln holte ich meine Gedanken in das Hier und Jetzt zurück und überblickte noch einmal meine drei Gegner. Moment... Es waren doch eben noch vier gewesen! Hastig wirbelte ich herum, um mich Nase an Nase mit dem vierten Rauch-Fuchs wiederzufinden. Erschrocken sog ich scharf die Luft ein, doch krachte der ziemlich manifeste Schädel des Tieres da auch schon gegen meinen und ich landete auf dem Hosenboden. Weiße Pünktchen tanzten vor meinen Augen und ich brauchte einen Moment, um diese weg zu blinzeln. Doch hörte ich da auch schon Lorens leises Lachen. „Loreeeeen“, gereizt zog ich seinen Namen in die Länge und spürte die Luft um mich herum knistern, während sein Lachen in ein ersticktes Husten über ging und er sich tiefer in die Schatten des Gangs zurück zog. Währenddessen hatten sich die Rauch-Füchse auf einen Überraschungsangriff vorbereitet. Im Augenwinkel nahm ich eine Bewegung wahr und reagierte reflexartig, indem ich mich nach vorne warf. Nur knapp entkam ich dem ersten Angreifer dadurch. Doch ließ mich der nächste nicht auf die Beine kommen, da er auf mich zusetzte, sobald ich mich aufrichtete. Hastig riss ich den rechten Arm in die Höhe und stützte diesen mit der anderen Hand, während ein kleines Schatten-Schild zwischen uns erschien. Das Tier krachte dagegen und mit einem lauten Knacken zog sich ein Riss durch den Schild. Erschrocken darüber stieß ich den Rauch-Fuchs mithilfe des Schildes von mir und mich vom Boden ab, um endlich wieder auf die Beine zu kommen. Den zerbrochenen Schild ließ ich dabei einfach verschwinden und wirbelte herum, um die Gegner wieder vor mir zu haben. Keine Sekunde zu früh, denn da sprang auch schon ein weiterer Fuchs auf mich zu. Wütend über diese Dreistigkeit holte ich mit der geballten Faust aus und schmetterte diese, ohne darüber nachzudenken, gegen das Tier. Ein pechschwarzer Film legte sich über meine Faust, ehe sich dieser in einer einzigen explosiven Welle entlud, kaum dass ich den Körper des projizierten Tieres berührte. Im Bruchteil einer Sekunde verpuffte der Körper in einer einzigen Rauchschwade, während mich die Druckwelle nach hinten um warf. Was... war... das...? So stark war das Verpuffen meines Elementes noch nie gewesen. Außerdem war der Schatten noch nie so rein, ohne jegliche Blitze, gewesen. Doch, Stopp! Konzentration! Nicht ablenken lassen! Während ich mich langsam wieder auf die Beine kämpfte, eilten die verbliebenen drei Rauch-Füchse auf mich zu. Es hatte sie wohl auch von mir weggeschleudert. Doch musste ich nicht lange warten, da waren sie auch schon wieder in Reichweite. Der erste sprang direkt auf mich zu und ich wich aus, um mich direkt dem nächsten zuzuwenden. Meine Handfläche schoss nach vorne, ehe er in einen rauchfarbenen Schild krachte, aus dessen Rändern sich gräuliche Blitze entluden. Skeptisch betrachtete ich das viel zu helle Schild. War mein Schatten nun wirklich aufgebraucht? Doch hatte ich auch jetzt keine Zeit zum Nachdenken, da mich ein weiterer Rauch-Fuchs von den Beinen holte, indem er sich gegen meine Schulterblätter warf und mich mit dem Gesicht voran gegen meinen eigenen Schild schleuderte. Schlecht für die Füchse, denn nun war ich wirklich wütend. Völlig Reflex-gesteuert warf ich mich herum und sprang den nächstbesten Fuchs aus der Hocke heraus an, wobei sich gräuliche Blitze aus meinen Händen entluden und ihn somit regelrecht grillten, als ich ihn berührte. Kaum war die Masse zwischen meinen Fingern nur noch Rauch, fuhr ich erneut herum und sprang den nächsten Gegner an. Mit gebleckten Zähnen ergriff ich den Körper in den Rauchschwaden, umhüllte ihn mit grell-gelben Blitzen und schleuderte ihn aus der Drehung heraus gegen den verbliebenen Rauch-Fuchs. Beide verpufften mit einem Mal zu Rauch. Schwer atmend blieb ich in der Hocke sitzen und blickte mich abwartend um, die Muskeln weiterhin angespannt. Doch tauchte kein weiterer Rauch-Fuchs auf. Stattdessen betraten Loren und Daisy die Arena und kamen geradewegs auf mich zu. Mit den Augen fixierte ich die beiden, während ich langsam aufstand, doch war ich nicht gewillt, sie an mich heran zu lassen. Die braunen Augen der Frau verengten sich ein wenig, als sie mir etwas entgegen streckte. „Nimm das.“ Kurz blickte ich auf den Gegenstand in ihrer Hand, dann wieder zurück in ihre Augen und schüttelte den Kopf. „Nein.“ Langsam hob sich eine Augenbraue der Frau an. „Entweder du nimmst den Traubenzucker, oder ich leg dich aufs Kreuz und hau dir eine Spritze rein.“ Mürrisch verengte ich die Augen und wich einen Schritt zur Seite aus, damit mir Loren nicht zu nahe kam. „Versuch's doch!“ Mit einem gefährlichen Lächeln auf den Lippen schloss Daisy die Finger um den Traubenzuckerblock und machte einen Schritt auf mich zu, während ich in gleichbleibendem Abstand zurückwich. „Oh, nichts lieber als das...“ Und plötzlich stolperte ich über meine eigenen Füße, als diese sich wie von selbst gegeneinander pressten. Überrascht landete ich auf dem Rücken, während auch der Rest meines Körpers wie in unsichtbaren Fesseln lag. „Fass' mich nicht an!“ Daisys braune Augen musterten mich abschätzend, als sie neben mir in die Hocke ging. „Oh doch.“ Wie in Rage versucht ich mich aus den unsichtbaren Fesseln zu befreien. „Wag' es nicht!“ „Oh doch“, wiederholte Daisy jedoch nur kühl und griff in die Tasche ihres Kittels, aus welchem sie eine kleine Flasche und eine Spritze hervor holte. Mit geübten Fingern bereitete sie die Spritze vor. „Lass mich in Ruhe!“ Als Daisys Blick nun wieder zu mir wanderte, wurde er weicher. „Alles ist gut. Gleich geht’s dir wieder besser, versprochen.“ Und im nächsten Moment spürte ich auch schon den Piks an meinem Oberschenkel. Am liebsten hätte ich sie von mir gestoßen, doch konnte ich mich noch immer nicht bewegen. Während ich der Frau einige Beschimpfungen an den Kopf warf, trat Loren langsam an uns heran, wobei er zwischen mir und Daisy hin und her schaute. „Unterzucker kann zu aggressivem Verhalten führen. Sie wird sich später vermutlich nicht einmal mehr daran erinnern, das sie so gehandelt hat.“ Mit einem wütenden Schnauben beendete ich meine Schimpftirade und wandte den Blick ab.   Einige Minuten vergingen, bis Daisy endlich die unsichtbare Fessel von mir nahm. Langsam wandte ich den Blick an die Frau, die mir in diesem Moment das Zuckermessgerät an den Finger hielt. Kurz zuckte ich zusammen, ehe sie mich wieder los ließ und ich mich langsam mithilfe der Ellenbogen aufrichtete. Doch hob mir die Frau da auch schon Traubenzucker unter die Nase. „Nimm das.“ Noch während ich mich ordentlich aufsetzte, nahm ich ihr den Block aus der Hand und brach mir ein Plättchen heraus. Als ich es aus seiner Einzelverpackung schälte, hob die Blonde zwei Finger in die Höhe. Kommentarlos leistete ich folge und ließ den Blick wandern. Nur bruchstückhaft erinnerte ich mich an den Anfang meines Kampfes, doch verlief meine Erinnerung recht schnell im Sande. „Was ist passiert?“ Während Daisy aufstand, wuschelte sie mir durch die Haare. Irritiert hob ich den Blick an und erblickte Lorens Hand vor mir. Lächelnd half er mir auf die Beine, während die Ärztin mir eine Antwort gab. „Na ja, du hast die Tierchen ausgeschaltet und bist recht schnell und weit in den Unterzucker gerutscht. Du hattest nur die Symptome einer starken Unterzuckerung, vielleicht etwas verschärft durch das Element selbst, aber mach dir darüber mal keine Gedanken.“ „Und... hat es geklappt?“ Loren und Daisy nickten gleichzeitig. Doch fiel mein Blick dann auf meine Hand und welche ich schloss und wieder öffnete. Da war doch was gewesen... „Was war das...? Diese starke Druckwelle...“ Lorens Arm legte sich um meine Schulter, als er mich aus der Arena führte. „Ach, das werden wir noch herausfinden. Aber jetzt isst du erst einmal was und dann ruhst du dich aus.“ Kapitel 32: Zweiunddreißig --------------------------  Die Stunden vergingen, während ich schlief, und als ich das nächste Mal erwachte war ich schweißgebadet. Ich hatte schlecht geträumt, mein Kopf dröhnte, als hätte ich Party gemacht – nicht, dass ich wüsste, wie sich das anfühlte – und ich fühlte mich immer noch völlig gerädert. Mürrisch setzte ich mich in meinem Bett auf und ließ den Blick durch mein Zimmer wandern. Wo war Mishka? Nach seiner Wärme tastend griff ich neben mich. Sein Platz war noch immer warm, also drehte ich den Kopf weiter, bis ich die Tür im Blick hatte, welche ein Stück weit offen stand. War er wirklich ohne mich fort gegangen? Das hatte er noch nie getan. Tja, und für gewöhnlich hatte ich auch keinen Unterzucker und lag den ganzen Tag schlafend im Bett. Seufzend quälte ich mich aus dem Bett, drückte die Tür ins Schloss und warf meine Schlafsachen in die Ecke, ehe ich eine Katzenwäsche in meinem kleinen Bad durchführte und mir etwas anderes anzog. Noch während ich mein Zimmer durchquerte, klopfte es plötzlich an der Tür. Misstrauisch blieb ich einen Augenblick lang stehen, bis ich mich doch dazu entschied, die Tür zu öffnen. Wobei mir diese aus der Hand gedrückt wurde, als Mishka sich durch den Spalt schob, damit er um meine Beine herumstreifen konnte. Jedoch war es nicht Mishka gewesen, der angeklopft hatte, sondern Damien, der etwas unschlüssig im Türrahmen stehen blieb, während Sammy hinter ihm auf und ab sprang. „Wie geht’s dir?“ Meine Schultern zuckten ganz automatisch. „Ich hab Kopfweh...“ Der Blick meines Gegenübers wandelte sich bei meinen Worten, so als hätte er eigentlich mit etwas schlimmerem gerechnet. „Dann sollten wir was essen gehen. Du hast den ganzen Tag verschlafen.“ Skeptisch musterte ich das Gesicht des Rothaarigen, doch nickte ich langsam und trat zu ihm auf den Flur. „Ich komm mir vor, als wäre ich ein Hungerhaken den man ans Essen erinnern muss...“ „Na ja...“ Damiens Blick wanderte an mir hinunter. „Woah! Willst du etwa sagen, dass ich abgemagert bin?“ Ich gab dem Größeren einen leichten Stoß gegen die Schulter, sodass er einen Schritt beiseite taumelte. Als er wieder zu mir zurück kam, grinste er nur hämisch. „Na, du mich auch...“ Mit gespieltem Trotz im Gesicht schüttelte ich den Kopf und hängte mich bei ihm ein. „Und, was hast du den ganzen Tag so gemacht?“ Damiens Finger legten sich über meine und mein Blick blieb an ihnen hängen, während er im Plauderton anfing zu erzählen. „Dies und das. Hauptsächlich habe ich mir aber von allen Seiten was anhören dürfen, worauf ich bei dir achten soll.“ „Hm? Wegen dem Unterzucker?“ „Jepp. Was die Anzeichen sind, wie ich dir helfen kann und so weiter. Und wie wir deinen Zuckerpegel so hoch halten, dass sich dein Schatten wahrscheinlich schneller wieder regenerieren kann.“ Hellhörig geworden hob ich den Blick an und musterte Damiens Sommersprossen, da seine grünen Augen auf den Weg vor uns gerichtet blieben. „Ich hab einen ganzen Essensplan für dich bekommen. Und ich hoffe, dass ich ihn nicht ständig aus der Tasche holen muss, verstanden?“ Nun wandte er sich doch an mich, wobei eine seiner Augenbrauen warnend gesenkt war. Sein leicht angehobener Mundwinkel strafte seinen Blick direkt Lügen. Als wir in diesem Moment jedoch die Kantine betraten wanderten meine Augen auf der Stelle wieder nach vorne. Es war lauter als gewöhnlich und der Grund dafür war offensichtlich: Der Raum war gefüllt mit Leuten. Die meisten davon kannte ich nicht und ich spannte mich unwillkürlich ein wenig an, während ich meine Hände von Damien löste und sie in die Hosentaschen steckte. „Wer sind die?“ Damiens Augen huschten über die gefüllten Sitzbänke, bevor er einen freien Platz an der Wand ansteuerte. Trotzdem blieben seine Augen auf die Fremden gerichtet. „Das sind Hunter aus einer anderen Gilde.“ Als wir den freien Platz erreichten bemerkte ich erst, dass an dem Tisch bereits andere Personen saßen. Nur gehörten diese zu unserer Gilde. Auch, wenn ich bisher noch kein Wort mit ihnen gewechselt hatte, war es für mich eine Erleichterung, dass es niemand aus der fremden Gilde war. Den Mann neben mir hatte ich schon oft bei Daisy am Tisch gesehen, die anderen waren eher flüchtige Begegnungen, doch hielt ich mich nicht damit auf, alle genauer zu betrachten, vor allem nicht die, die sich am anderen Ende des Tisches befanden. Während ich mich setzte, blieb Damien noch einen Moment stehen und ließ den Blick erneut wandern. Er wirkte angespannt, doch überspielte er das im nächsten Moment damit, dass er mich kurz anlächelte. „Ich hol' dir was zu essen.“ Als ich zum Protest ansetzte hob der Kupferhaarige jedoch nur die Hand. „Ich hab' deinen Essensplan im Kopf. Bin gleich wieder da.“ Und schon war er weg und ließ mich zurück, während Sammy, so brav wie selten, neben ihm her lief. Doch erinnerte Mishka mich mit einem ungestümen Rippenstoß daran, dass ich nicht alleine war. Mit einer erhobenen Augenbraue ergriff ich den breiten Schädel des Katers, wackelte diesen ein wenig herum und kraulte dann mit den Fingerspitzen seinen Kiefer. Genüsslich brummte das Wesen und ließ die Augenlider ein wenig sinken. Doch seine Ohren zuckten weiterhin wachsam in jede Richtung, aus der ein Geräusch kam. Eine Weile blieb ich so sitzen, konzentrierte mich auf meinen Partner und schaffte es sogar, mich von der Unruhe wegen der Fremden abzulenken. Doch blieb es nicht lange so ruhig. Plötzlich jaulte ein Wesen auf und Mishkas und mein Blick fuhren direkt in Richtung Buffet. Sammy hatte die Flügel schützend über sich erhoben und duckte sich hinter Damien, der mit abwertendem Blick vor einem Scherbenhaufen stand. Ihm gegenüber stand eine bildhübsche Frau, deren lange blonde Haare mit rosa Strähnen durchzogen waren. Ihr Blick lag überheblich auf meinem Wächter und als sie mit dem Finger an seine Brust tippte, knallte etwas in mir durch. Was auch immer sie da tat, das durfte sie nicht! Während ich von meinem Platz aufsprang, bekam ich nur am Rande mit, dass hinter mir weitere Stühle verrückt wurden. Doch kümmerte ich mich nicht weiter darum, als ich auf das Blondchen zu stapfte, Mishka grollend direkt neben mir. Meine Augen fixierten ihren Finger, der immer wieder auf Damiens Brust tippte, bis ich endlich neben ihr stand, ihre perfekt manikürte Hand ergriff und mit einem Ruck von ihm weg zog. „Nimm' die Finger von ihm...“ Meine Stimme war bedrohlich leise, während ich zu der Größeren aufsah und fester als nötig ihre Hand drückte. Nur ein leichtes Zucken ihres Augenlids deutete darauf hin, dass der Druck definitiv nicht angenehm war, ehe sie meine Hand von ihrer weg schlug. „Was willst du denn, du Gartenzwerg?“ Herausfordernd hob ich das Kinn an und verengte die Augen, während Mishka sich zwischen mich und Damien stellte. „Tja, die Frage sollte ich wohl eher dir stellen, Bohnenstange. Was willst du von meinem Wächter?“ Ein belustigtes Glucksen kam von der Blonden, als sie über mich hinweg zu Damien schaute. „Ach? Der abgebrochene Meter da soll also dein Erbe sein, Dame? Was kann die denn? Leuten in die Waden beißen?“ In dem Moment, in dem ich mich auf meine Gegenüber werfen wollte, griffen plötzlich zwei Paar Hände nach mir und fixierten meine Arme. Ein kurzer Ruck reichte, um zu wissen, dass ich mich nicht aus den Griffen der beiden befreien konnte, ohne mir die Schulter auszurenken. Wütend schielte ich über meine Schulter, um die Zwillinge vom Vortag zu entdecken. Wo waren die denn so plötzlich hergekommen? Waren sie mit mir am Tisch gesessen? „Lasst mich los!“ „Nein“, die Antwort des Emo-Jungen kam schnell, jedoch war seine Stimme dünn, so als hätte er vor etwas Angst. Währenddessen redete hinter uns Damien auf Mishka ein, dass dieser sich beruhigen sollte. Doch ertönte da auch schon wieder die Stimme der Fremden und ich fuhr direkt wieder zu ihr herum. „Genau, lasst sie doch los, bevor sie noch anfängt zu weinen. Und so etwas schwächliches will ein Erbe sein.“ Nur eine schnelle Bewegung und mein Bein fuhr in die Höhe, den Stich in der Schulter bekam ich nur am Rande mit. Glück für das Püppchen, dass die Zwillinge ein gutes Reaktionsvermögen hatten, sonst hätte dieser Tritt mit Sicherheit gesessen. Doch die beiden zogen mich einen Schritt weiter von ihr weg, während meine Augen finster auf den goldenen Augen meiner Gegenüber verblieben. Hass war noch das mindeste, das ich für diese Person empfand, und dabei kannte ich sie nicht einmal. Was wohl oder übel bedeutete, dass sie selbst ein Erbe war. Während wir uns mit Blicken erdolchten, kamen schnelle Schritte auf uns zu und die Menge, die sich um uns herum gebildet hatte, teilte sich. Wobei alle die Blicke senkten und sich teilweise sogar von uns abwandten. Ein Prickeln in meinem Nacken verriet mir, wer da auf uns zu kam, doch wagte ich es nicht, den Blick von der anderen Frau zu nehmen. „Was ist hier los? Kristina.“ Im Augenwinkel erkannte ich, dass sich noch zwei weitere Personen bei dem Erben aufhielten. Doch nur eine von ihnen mischte sich ebenfalls in das Geschehen ein, indem sie sich mit strenger Stimme an meine Gegenüber wandte: „Callista, was ist das für ein Benehmen, das du hier an den Tag legst?“ Die Stimme der Frau schaffte es, dass die Angesprochene trotzig den Mund zusammenkniff und die Hände zu Fäusten ballte. Knurrend schoben sich die beiden Licht-Wesen Finleys zwischen uns und stierten uns in die Gesichter, doch keiner von uns war gewillt, den Blick vom anderen zu nehmen. Bis die fremde Frau sich neben meine selbst-erwählte Gegnerin stellte, ihr eine Hand auf die Schulter legte und sie mit Druck auf die Knie zwang. Zeitgleich trat mir jemand in die Kniekehle, sodass auch ich mich auf den Knien wiederfand. Erst, als wir beide auf dem Boden waren, nahm Callista die Augen von mir und starrte still auf den Boden zwischen uns und meine Schultern entspannten sich ein wenig. Ich blinzelte ein paar Mal, um meine Augen wieder zu befeuchten, während die Zwillinge meine Arme zaghaft ganz los ließen und einen Schritt zurück traten. Kurz blickte ich mich nach ihnen um und registrierte, dass auch sie auf die Knie gegangen waren, wohl um ihren Respekt doppelt zu zollen, nachdem sie das wegen mir bisher nicht hatten tun können. Damien saß ebenfalls auf dem Boden, doch krallten sich seine Finger noch immer in Mishkas Halsband, der wütend die Zähne zeigte, während Sammy die beiden mit ausgebreiteten Flügeln von uns abschirmte. Erst, als ich mir meines Umfelds soweit bewusst war, hob ich schließlich den Blick zu Finley an, der abwartend nur zwei Schritte von mir entfernt stand und auf mich hinab sah. Kurz hielt ich seinen Blick, doch schaute auch ich bald zu Boden und zwang mich dazu, meine Ruhe endlich wiederzufinden. „So, haben sich die Neulings-Erben also bereits kennen gelernt.“ Ich unterdrückte mit Mühe ein Schnauben und lauschte stattdessen, wie der Weißblonde neben mich trat. Nur einen Augenblick später legte sich seine Hand auf meine Schulter und ich zuckte leicht unter Schmerzen zusammen. Kaum merklich schob er seine Hand ein Stück zur Seite, sodass sie nicht mehr schmerzhaft auf meinem Gelenk lag, doch ließ er sie dort dann verweilen. „Kristina Piunova, deine Gegenüber ist die künftige Erbin der Sonnenlotus-Gilde, Callista Othonos. Sowie ihre Großmutter und derzeitige Erbin der Sonnenlotus-Gilde, Amaryllis Othonos. Sie werden eine Weile hier bleiben, also erwarte ich von euch beiden, dass ihr euch beherrscht, wenn ihr euch über den Weg lauft.“ Mein Kopf ruckte nach oben und ich blickte erneut in die funkelnden, goldenen Augen Callistas. Und schon war die Wut wieder zurück. „Wenn sie ihre Finger nicht von Damien lässt, garantiere ich für nichts.“ Ein leichtes Zucken der Finger auf meiner Schulter ließen mich widerwillig den Blick anheben. Finleys eisblaue Augen waren kaum merklich verengt und als ich seinem Blick zu der betagten Frau uns gegenüber folgte, ließ diese ihre Augen gerade zu ihrer Enkelin wandern. „Meine Enkelin wird sich zügeln und ihre Hände bei sich behalten, richtig, Callista?“ Wütend flog der Blick der Angesprochenen nach oben, doch noch ehe sie zum Protest anheben konnte, zuckte sie leicht zusammen und blickte rasch wieder zu Boden. „Ja...“ Ich vertraute nicht auf ihr Wort, dennoch wusste ich es besser, als dass ich jetzt auch nur irgendetwas gesagt hätte. Stattdessen wartete ich, bis der Erbe seine Hand von mir nahm und ich wieder aufstehen durfte. Nur mit Mühe wandte ich mich von Callista ab und Mishka und Damien zu. Mein ernster Blick entspannte sich und Damien ließ die Großkatze endlich los, sodass dieser auf mich zueilen und um meine Beine herum streifen konnte, bis er neben mir stehen blieb und ich eine Hand auf seinem Kopf ablegen konnte. Im Augenwinkel bekam ich mit, wie Callista sich trotzig abwandte und davon stapfte, während Damien langsam auf die Beine kam und nicht wusste, zu wem er eigentlich schauen sollte. Seine Augen huschten viel zu oft zu Callista, doch behielt ich meine Gedanken für den Moment für mich. Den kurzen Wortwechsel der beiden Erben in meinem Rücken ignorierte ich gekonnt und atmete tief durch, bis ich mich wirklich wieder im Griff hatte. Callistas Abwesenheit half mir enorm dabei. Als hätte Finley nur darauf gewartet, wandte er sich mir zu. Sein Blick wanderte zu meiner Schulter, dann zu den Zwillingen, von denen der Langhaarige ein wenig unruhig von einem aufs andere Bein trat. „Tut mir Leid.“ Überrascht flogen die Blicke aller zu mir. „Ich hab' euch allen Ärger gemacht.“ Der Blick des Erben war, wie gewöhnlich, nicht zu deuten. „Du hast vollkommen instinktiv auf einen fremden Erben reagiert, der sich in deinem Revier befindet und sich daneben benommen hat.“ Grübelnd zog ich die Augenbrauen zusammen. Ich wusste noch nicht einmal, was sie denn eigentlich getan hatte, außer dass sie Damien zu nahe gekommen war. „Aber, jetzt solltest du erst mal Thomas auf deine Schulter schauen lassen. Da hat dich wohl jemand ein wenig zu fest gehalten.“ Der Emo zog den Kopf zwischen die Schultern und murmelte eine leise Entschuldigung. Doch zuckte ich nur mit meiner gesunden Schulter und legte den Kopf leicht schief. „Hättest du locker gelassen, hätte ich sie getreten. Und nicht nur das...“ Die blassblauen Augen des jungen Mannes musterten mich überrascht und zurückhaltend zugleich. Und irgendetwas in mir rutschte an seinen Platz. Verunsichert wich ich seinem Blick aus, während sich ein seltsames Gefühl in meinem Innern ausbreitete und nickte schließlich dem Erben kurz zu, ehe ich mich abwandte. Was war das eben für ein Gefühl gewesen? Kapitel 33: Dreiunddreißig -------------------------- Nachdem der Mann, den ich ständig bei Daisy am Tisch gesehen hatte, sich als Thomas herausstellte, hatte er sich noch in der Kantine dazu entschieden, sich meiner Schulter anzunehmen. Seiner Aussage nach, war sie nur leicht verrenkt und bereits selbst wieder zurückgesprungen gewesen, womit er seine Fähigkeit nur noch dazu benutzt hatte, die Bänder und Muskeln aufzubessern, damit sie nicht erneut einfach heraus springen würde. Faszinierend, was unsere Gildenärzte nicht alles konnten. Was genau war eigentlich Daisys Fähigkeit? Fragen über Fragen... Da ich keine große Lust mehr hatte, weiter in der Kantine zu bleiben, zogen Damien und ich uns in mein Zimmer zurück, um dort schlussendlich doch noch etwas zu essen. Wobei Damien das Essen besorgt hatte, während Thomas sich um meine Schulter gekümmert hatte. Nun saßen wir zusammen auf meinem Bett, während Mishka sich vor diesem um Sammy herum zusammengerollt und seinen Kopf beschützend über ihren Nacken gelegt hatte. Mein Blick ruhte auf ihnen, während wir im Stillen aßen und ich versuchte, meine Gedanken zu ordnen. Erst, als ich mit dem Essen fertig war und meinen Teller auf dem Nachttisch abgestellt hatte, wandte ich mich schließlich an Damien. Der Rothaarige hatte kaum etwas gegessen. „Damien.“ Seine grünen Augen zuckten überrascht zu mir, als hätte ich ihn aus tiefen Gedanken gerissen. „Alles okay?“ „Ja. … Nein...“ Damiens Hand fuhr über seine Wange, als er meinem Blick auswich und lieber unsere beiden Wesen betrachtete. Nach einem Moment ließ er seine Finger bis in seine Haare fahren und schielte aus dem Augenwinkel zu mir hinüber. „Tut mir Leid, wegen vorhin. Ich wusste nicht, dass sie auch da ist.“ „Sie?“ Er sprach doch nicht wirklich von ihr, oder? „Callista.“ Misstrauisch kniff ich die Augen zusammen und wartete auf eine weitere Ausführung, doch blieb diese aus. „Was hat sie mit dir zu tun?“ Mit einem Seufzen wandte Damien sich nun endlich doch mir zu. „Fangen wir von vorne an: Callistas Fähigkeit ist es, Männer um sich herum besinnungslos zu machen und zu kontrollieren. Wen sie haben will, bekommt sie. Na ja, zu 99 % zumindest.“ Kritisch zog ich die Augenbrauen zusammen und wartete darauf, dass er weiter sprach. „Callista und ich gingen miteinander. Es war weder lange, noch richtig ernst und hauptsächlich war es ihre Fähigkeit, die mich dazu brachte, bei ihr zu bleiben. Weitaus länger, als ich es eigentlich wollte. Ich hab mich von ihr getrennt, als mir klar wurde, dass sie mich mit ihrer Fähigkeit beeinflusst hatte.“ Ich hatte nicht mit einer solch ehrlichen Antwort gerechnet und blieb einen Augenblick lang stumm sitzen, während Damiens grüne Augen verunsichert zwischen meinen beiden Augen hin und her huschten. Seine Hand rieb unruhig über seine Wange, während er auf eine Reaktion von mir wartete. Langsam griff ich nach seinem Arm und zog seine Hand von seiner Wange. „Sie kann also nicht akzeptieren, dass du dich von ihr getrennt hast?“ Damiens Hand drehte sich in meiner, sodass seine Fingerspitzen meine Handfläche berührten. „Ja... Und sie kommt nicht damit klar, dass ich dieses 1 % bin, das sich ihrem faulen Zauber aus eigenem Willen entziehen kann. Hmm... Und wahrscheinlich, weil ich sie wegen dir verlassen habe.“ Überrascht entzog ich ihm meine Hand und lehnte mich zurück. „Bitte was?“ Auf Damiens Lippen legte sich ein schiefes Grinsen, während er mit den Schultern zuckte. „Na ja, sie wollte, dass ich ihrer Gilde beitrete und mich ihrem Kreis anschließe. Aber als dein Wächter konnte ich das nicht tun. Vor allem nicht kurz vor deinem 17. Geburtstag.“ „Mein 17. Geburtstag...? Warte... Oh! Warte, warte, warte! Ihr seid gar nicht so lange auseinander! Das heißt, du hast sie abserviert, bevor du hier her gekommen bist? Kein Wunder, dass sie mich nicht ausstehen kann.“ Ich unterdrückte nur schwer ein Lachen, doch wurde ich dann wieder ernst. „Sag mal, hat sie da vorhin versucht, dich zu beeinflussen?“ „Sie hat auf jeden Fall ihre Fähigkeit eingesetzt, wenn du das wissen wolltest. Jede Berührung verstärkt ihren Einfluss auf einen Mann.“ Ich konnte nichts dagegen tun, dass sich meine Augen verengten und meine Stimme eine gefährlichere Nuance annahm. „Ich werd' ihr die Finger brechen, wenn sie das noch ein Mal versucht.“ Im selben Moment, in dem Damien die Hände in die Luft hob, um mich zu beruhigen, tauchte Mishka neben mir auf, zog sich auf das Bett und ließ sich mit seinem ganzen Gewicht auf meinen Schoß fallen. Das Gefühl von zerquetschten Knochen war das, was meine Gedanken augenblicklich innehalten ließ, ehe ich versuchte, den Kater von mir herunter zu schieben. „Mishka! Geh runter von mir! Runter, runter, runter!“ Maunzend rollte der Kater sich tatsächlich von mir herunter, schlug mir jedoch mit seiner großen Pranke auf das Bein. Ein Mal, zwei Mal, drei Mal, dann packte ich die Pfote und entgegnete den Blick der silbernen Augen. „Ist gut, ich brech' ihr nicht die Finger. Zumindest so lange, wie sie diese von Damien lässt.“ „Du hast schon mitbekommen, dass ihre Fähigkeit bei mir nicht mehr wirkt, oder? Und, dass ich alt genug bin, selbst auf mich auf zu passen?“ Warnend hob ich den Blick zu dem Jungen an. „Interessiert mich nicht. Sie hat zugesagt, die Finger während ihres Besuchs von dir zu lassen. Und ich werde sie gerne daran erinnern.“ Mein Gegenüber stützte sich auf seinen Händen nach hinten ab und legte den Kopf schief, während er mich musterte. „Warum bist du so geladen, obwohl du weißt, dass sie mir nichts kann?“ „Was? Ich bin nicht... Ja?“ Ein Klopfen an der Tür ließ mich verstummen und ich sprang vom Bett auf, nur um über Sammy zu stolpern und mehr springend als laufend die Tür zu öffnen.   Die üblichen Verdächtigen befanden sich auf dem Flur, wobei Lorens Blick das Zimmer inspizierte, ehe er sich doch auf mich richtete. „Na, wie geht es unserer Zuckerkranken denn?“ Empört öffnete ich den Mund, doch hob der Blonde dann eine Augenbraue an. „Hab' gehört, du wolltest dich prügeln?“ Dieser eine Satz nahm mir den Wind aus den Segeln und ich starrte Loren nur noch einen Augenblick lang an. „Woher weißt du das?“ Wer auch immer ein Mal behauptet hatte, dass es keine dummen Fragen gab: Lorens Blick bewies gerade das Gegenteil. „Zum einen: Ich hätte es sowieso erfahren. Zum anderen: Night war live dabei.“ Verdutzt folgte mein Blick Lorens Zeigefingern, die beide über seine Schulter hinweg zu dem Schwarzhaarigen deuteten, welcher mich aufmerksam musterte. Einen Augenblick später fiel mir auch schon ein, dass Loren recht hatte. Ich hatte ihn zwar nicht bewusst bemerkt, nur am Rande meiner Wahrnehmung. „Du warst beim Erben.“ Der Ausdruck in den Augen des Spiritualisten wandelte sich in Zufriedenheit, ehe er nickte. „Und ich dachte schon, du hättest mich nicht bemerkt.“ Na ja, ja und nein, aber das würde ich jetzt nicht zugeben. Um genau zu sein, hatte ich so einige Personen heute nicht beim ersten Mal bemerkt. So wie die Zwillinge, die mir entgangen waren, bis sie mich davon abgehalten hatten, Callista den Kopf runter zu reißen. „Um noch mal auf meine erste Frage zurück zu kommen: Wie geht’s dir?“ Kurzerhand zuckte ich mit den Schultern. „Gut. Ich hab' was gegessen.“ Mit der Hand deutete ich auf den leeren Teller auf meinem Schreibtisch und Loren nickte. „Und die Schulter, die dir Anil ausgerenkt hat?“ Ich winkte ab, während ich mir gedanklich eine Notiz mit dem Namen machte. „War nicht schlimm. Außerdem hab ich sie mir eher selbst ausgerenkt... Thomas meinte jedenfalls, dass ich bis morgen gar keine Probleme mehr haben sollte.“ Erneut nickte der Blonde und seine Locken wippten sanft auf und ab. „Okay, und willst du uns jetzt erzählen, was genau vorhin passiert ist?“ Mit einem tiefen Atemzug trat ich beiseite und ließ die Männer endlich rein, ehe ich mich auf den Rand meines Bettes setzte. Chester schloss die Tür hinter sich und lehnte sich an dieser an, während sein Blick auf mir ruhte. „Na ja, Damien wollte uns was vom Buffet holen und als Sammy aufgejault hat, hab ich... Callista gesehen, wie sie Damien angefasst hat. Ich habe ihr nur höflich zu verstehen gegeben, dass sie die Finger von meinem Wächter weg lassen soll.“ „Und?“ „Und... ich hab erst viel zu spät kapiert, dass sie ein Erbe ist...“ Ich wusste, dass das nicht die Antwort war, die Loren auf sein „Und“ hatte hören wollen, doch war ich nicht bereit zuzugeben, dass ich der Blondine am liebsten alle Knochen einzeln gebrochen hätte. Als ein Seufzen hinter mir ertönte, drehte ich mich irritiert um. „Na ja, eigentlich ist das Ganze meine Schuld.“ Loren atmete tief und hörbar ein und musterte Damien länger als nötig, ehe er die Luft wieder ausstieß. „Ach, sag' nur. Woran bist du eigentlich nicht schuld? Was hast du jetzt wieder getan?“ Kurz wand sich der Orangehaarige unter seinem Blick. „Callista ist meine Ex und sie will mich zurück.“ Lorens Augenbraue ging erwartungsvoll nach oben. „Hat sie...?“ „Sie hat es versucht, aber ihre Fähigkeit wirkt bei mir nicht mehr.“ Überrascht folgte die zweite Augenbraue der anderen nach oben und er musterte uns beide aufmerksam. „Wusstest du, dass sie eine Fähigkeit benutzt hat?“ Langsam begann ich, den Kopf zu schütteln, doch hielt ich dann inne und legte ihn schief. „Nicht wirklich. Aber ich hatte das Gefühl, dass da etwas falsch ist. Ich hab nicht wirklich nachgedacht...“ „Nein, das hast du wirklich nicht. Aber, wenn der Schwachkopf sich nicht gegen ihre Fähigkeit wehren könnte, hättest du ihm damit vermutlich den Hintern gerettet.“ Wieso wurde mir erst jetzt klar, wie gefährlich Callistas Fähigkeit eigentlich war? Damien hatte gesagt, sie machte Männer besinnungslos, was bedeutete, dass sie nicht mehr Herr über sich waren. Sie waren ihr völlig ausgeliefert. Jemanden wie sie wollte man nicht als Gegner haben. Von meinen eigenen Schlussfolgerungen überrascht, hob ich den Blick zu Loren und Chester an. „Ich werde mich bei ihr zurückhalten.“ Überraschung zeigte sich auf Chesters Zügen. „Was bringt dich denn so plötzlich zur Vernunft?“ Ich schloss die Augen für einen Moment, bevor ich antwortete. „Weil es ein Fehler wäre, wenn ich sie gegen mich hätte. Was aber nicht heißt, dass sie meinen Wächter anfassen darf.“ Loren entkam ein leises Lachen, ehe er spöttisch die Augenbraue anhob. „Du weißt schon, dass Wächter dafür da sind, ihre Erben zu beschützen und nicht umgekehrt?“ Damiens eingeworfenes „Das hab ich ihr auch versucht zu erklären“ ignorierte ich gekonnt, als ich Loren anfunkelte. „Niemand fasst meinen Wächter an.“ „Okay. Wenn das so ist, werden wir morgen daran arbeiten, dass du deinen Wächter auch beschützen kannst.“ Und mit diesen Worten verließen die beiden mein Zimmer und ließen Damien und mich alleine zurück. Kapitel 34: Vierunddreißig --------------------------  Damien und ich hatten uns noch bis tief in die Nacht unterhalten, bis wir irgendwann gemeinsam auf meinem Bett einfach eingeschlafen waren. Als ich meine Augen nun öffnete, lag ich mit dem Kopf auf Damiens Bauch. Mishka lag der Länge nach hinter mir und Sammy auf Damiens anderer Seite, wobei sie einen Flügel über uns ausgebreitet hatte, als wollte sie uns zudecken. Noch vollkommen schlaftrunken dauerte es einen Moment, bis ich das alles begriff, dann saß ich auch schon mit hochrotem Kopf aufrecht in meinem Bett. Mishka war, ebenso wenig wie ich, ein Frühaufsteher und so bekam ich von ihm nur ein unwilliges Grunzen, während Sammy ihren Flügel anhob und mich mit fragend schief gelegtem Kopf musterte. Stumm sahen wir uns einen Moment lang an, dann wandte sie sich ab, streckte sich ausgiebig und stupste Damien ihre nasse Nase ins Gesicht. Brummelnd hob er eine Hand an, um ihr über den Kopf zu streicheln, doch blieben seine Augen noch geschlossen. Bis er wohl selbst begriff, dass er sich nicht in seinem Zimmer befand, denn seine Augen flogen auf und er schaute sich hastig um, bis er mich entdeckte. Langsam normalisierte sich sein Blick wieder und er setzte sich gähnend auf, wobei seine Hand verräterisch über seine Wange wanderte. „Guten morgen...“ „Morgen...“ Erleichtert darüber, dass nicht nur mir die Situation irgendwie Unbehagen bereitete, stand ich auf und streckte mich erst einmal, ehe ich auf die Uhr schaute. „Oh, wir sind noch vor Lorens Weckruf wach.“ Immer noch mehr schlafend als wach stand nun auch Damien auf und gähnte noch ein Mal. „Dann geh ich mich mal fertig machen...“ Seine Hand verweilte für einen Moment an der Türklinke und seine grünen Augen musterten mich eindringlich, ehe er endlich die Tür öffnete. „Bis gleich.“ Doch konnte er keinen Schritt nach draußen machen, denn der Zufall wollte es so, dass eine gewisse Person in diesem Moment an der Tür vorbei kam. Ihre goldenen Augen glitten überrascht über Damien und verfinsterten sich dann, als sie an mir hängen blieben. „Kristina...“ „Callista...“ Ich konnte mich auf meine eigene Reaktion gar nicht einstellen, so schnell hatte mein Instinkt übernommen und sich schwarzer Schatten um mich herum gelegt. Doch war Damien schneller, denn sein Arm versperrte mir blitzschnell den Durchgang, als ich nach vorne trat. „Sammy!“ Das Wesen reagierte sofort, indem sie sich zwischen uns schob und an mir flügelschlagend hochsprang. Unwillig ließ ich mich einen Schritt nach hinten drängen und sah mich gezwungen, die Hände auf die Schultern des geflügelten Wolfs zu legen, damit sie endlich mit dem Schubsen aufhörte. Und irgendwie half mir diese Berührung, damit ich wieder ein wenig klarer denken konnte. Ich hatte doch gestern beschlossen, dass ich mich zurückhalten würde. Also zwang ich mich mit Mühe zur Ruhe und konnte dabei zu sehen, wie der Schatten sich langsam wieder verflüchtigte. „Guten morgen, Callista.“ Meine Tonlage verriet, dass meine Worte genau so gut „Geh sterben“ hätten lauten können. Die Augen der Angesprochenen lösten sich nur langsam von mir, ehe sie Damien von oben bis unten musterten. Ihr Blick wurde mit jeder Sekunde wütender, ehe sie sich graziös umwandte und wortlos davon stapfte, eine Handvoll Männer in ihrem Schlepptau. Während ich ihr hinterher schaute, schmiegte sich Mishka an mein Bein und ich entspannte mich weiter. Da fiel mein Blick jedoch auf Damiens Arm, der noch immer den Durchgang versperrte: Er zitterte. „Damien? Alles okay?“ Hastig ließ er seinen Arm sinken und wandte sich zu mir um. Seine Augen waren ein wenig geweitet, doch ging er nicht auf meine Frage ein. Stattdessen musterte er mich und Sammy. Diese spitzte die Ohren und ließ endlich von mir ab, um zu ihrem Partner zurück zu laufen und an ihm hoch zu springen. Auf der Stelle schlang er die Arme um ihren Nacken und legte die Stirn an ihre. Und langsam wich die Angst aus seinen Zügen. „Alles okay...“ Er verharrte eine Weile mit geschlossenen Augen im Türrahmen, die Arme um Sammy gelegt, während Mishka neben mir stand und seinen Kopf gegen meinen Bauch schmiegte. Verunsichert blieb ich einfach stehen, beobachtete den Rothaarigen und kraulte Mishka, bis Damien sich endlich wieder mir zuwandte. „Gut gemacht, Krissy.“ Als er meinen Blick richtig deutete, lächelte er schief und schob Sammy von sich. „Tut mir Leid, dass ich dir Sorgen gemacht habe. Ich weiß, wie du morgens drauf bist. Ich wusste nicht, ob du dich so schnell wieder fangen kannst.“ Schuldbewusst verzog ich das Gesicht. „Du hattest Angst vor mir.“ „Nein, nein!“ Schnell machte der Rothaarige zwei Schritte auf mich zu und ergriff meine freie Hand. „Ich hatte Angst vor dem, was passieren hätte können. Und, dass ich dich nicht beschützen kann, wenn es eskaliert. Denk immer dran: Gegenüber jeder Aktion steht eine Reaktion. Ihr seid beides Erben, eure Kräfte sind immens. Nur weil du sie noch nicht wirklich kontrollieren kannst, heißt das nicht, dass du schwach bist. Wenn ihr beide wirklich handgreiflich werden würdet, könnte ich nichts machen.“ Damien holte tief Luft, ehe er etwas ruhiger weiter sprach. „Aber, obwohl du es noch nicht geübt hast, hast du dich zurückgehalten. Ich bin stolz auf dich, ehrlich.“ Zögerlich nickte ich. Ich wusste, dass er seine Worte so meinte, wie er sie sagte. Langsam begann der andere wieder zu Lächeln. „Gut, dann mach ich mich jetzt fertig. Bis gleich, Krissy.“ Doch kam er auch dieses Mal nicht weit. Mit einem hastigen Schritt zur Seite wich er Loren aus, der irritiert die Augenbrauen zusammenzog, während Damien nur vor sich hin brummelte und mit einem „Wenn ich noch irgendwen fast umrenne, dreh ich durch.“ verschwand. Ich nutzte die Gelegenheit, um in mein Bad zu verschwinden, noch bevor der Blonde mir eine Frage stellen konnte.   Das Frühstück verbrachten wir in Ruhe und Frieden und dank der Anwesenheit der anderen Gilde ohne größere Gespräche. In der Kantine lag Anspannung in der Luft, doch verging das Essen ohne Zwischenfälle. Wenn man von Callistas mordenden Blicken mal absah, die sie mir durch den Raum hindurch zuwarf. Doch schafften es das von Damien gewählte Frühstück und mein überzuckerter Kaffee, dass ich sie tatsächlich links liegen ließ, als wir uns endlich in unseren üblichen Trainingsraum aufmachten. Was an Loren keinesfalls vorbei ging, denn kaum hatten wir den Raum betreten, lehnte der Blonde sich mit einem breiten Grinsen an die Tür in seinem Rücken. „Seid ihr jetzt beste Freundinnen geworden, Kris?“ Mishka gab einen Ton von sich, der an ein Lachen erinnerte, während ich Loren mit erhobener Augenbraue musterte. „Na, gestern springst du sie noch fast an und jetzt ignorierst du ihre giftigen Blicke. Raus damit, ihr Turteltäubchen, was ist da heute früh vorgefallen?“ „Turtel-was!?“ „Na, na, nicht vom Thema ablenken.“ Während ich keinen Ton mehr raus brachte, erbarmte sich Damien dazu, unsere morgendliche Begegnung mit Callista, bis ins kleinste Detail, wiederzugeben. Das einzige, das er ausließ, war sein eigenes Verhalten, was ich ihm nicht verübelte. Lorens haselnussbraune Augen musterten derweil mich von oben bis unten. „Anscheinend ist dein Schatten wieder einsatzfähig.“ Irritiert von dem Themensprung blinzelte ich meinen Gegenüber stumm an. „Was? Soll ich euch wie kleine Kinder schelten, dass ich euch nicht immer alles aus der Nase herausziehen will, wenn irgendetwas passiert? Ich bin bei weitem zu alt dafür. Außerdem hat sich dein Wächter ja mal ausnahmsweise behauptet und das einzig richtige getan.“ Mit einem schiefen Grinsen ging der Blonde an uns vorbei und setzte sich an einen der Tische, die an der Wand standen. Während er eine Mappe ergriff, winkte er uns beide zu sich heran. „Night und ich haben uns deine Daten angesehen, Kris.“ Unsere Blicke fielen auf mehrere Seiten, die mit Tabellen und Statistiken zugepflastert waren. Eines der Blätter zog Loren heraus und deutete auf die Skala. Dort war eine Linie zu sehen, die spitz und weit nach oben lief, ehe sie genau so steil wieder abfiel und in unbeständigen Wellen auslief. „Du erinnerst dich an diesen einen Trainingsmorgen am Samstag? Das sind die Daten dazu. Und das hier“ er schob ein anderes Blatt daneben. Die Linie darauf ähnelte der ersten, doch die Wellen nach der Spitze waren flacher, ehe sie in einem hastigen Zickzack endeten. „Sind die Aufzeichnungen von gestern. Wir vermuten, dass diese Druckwelle den selben Ursprung hat, wie deine chaotischen, ungeplanten Ausbrüche.“ Oh, nannten wir das jetzt also chaotische Ausbrüche? Gut zu wissen... Während ich die Blätter betrachtete, schob ich sie näher beisammen und musterte die Wellen. „Ich hätte den Schatten damals anders nutzen müssen...“ Lorens Grinsen wurde zufriedener. „Genau. Es war falsch, zu versuchen, dich erst einmal nur auf Verteidigung zu trimmen, weil du keine Waffe herstellen kannst.“ „Wie, das kannst du nicht?“ Kritisch verzog ich die Augenbraue, während mich Damien irritiert anschaute. „Hab ich jemals eine benutzt? Was denkst du, warum ich einen Sanctum Guard unterstütze?“ „Ooooh...“ Da fiel der Groschen und die grünen Augen huschten nachdenklich zur Seite weg, während ich mich wieder an Loren wandte. „Das heißt also, dass ich keine Waffe herstellen kann, weil das, was da gestern passiert ist, meine... Waffe... ist?“ Loren neigte den Kopf zur Bestätigung. „Normalerweise hat man eine Verlängerung, die die eigene Kraft an den Gegner weiterleitet. Einen Stab, eine Armbrust, etwas mit dem du deinen Gegner nicht selbst berühren musst. Du jedoch nutzt direkten Körperkontakt. Das habe ich schon sehr lange nicht mehr gesehen...“ Oh, das hörte sich zumindest ausnahmsweise nicht danach an, dass ich komplett anormal war. „Was jedoch ebenfalls aus den Daten hervorgeht, ist, dass diese Druckwelle aus reinem Schatten besteht. Es ist kein Gemisch aus Schatten und Elektrizität.“ Irritiert folgte mein Blick Lorens Finger, der auf die hastige Zickzacklinie deutete. „Elektrizität.“ Sein Finger fuhr zu der steil ansteigenden und wieder abfallenden Spitze. „Schatten.“ Dann huschte sein Finger zur anderen Statistik, auf der die ungleichen Wellen ausliefen. „Beide Elemente gemischt.“ Grübelnd ließ ich mich endlich auf den Stuhl neben mir sinken und tippte mit dem Zeigefinger auf die Skala. „Ich benutze eigentlich immer das Gemisch.“ Lorens Kopf nickte und versetzte seine blonden Locken ins Wippen. „Aber laut diesen Daten kann ich beide Elemente auch getrennt voneinander nutzen. Oder... Zumindest den Schatten, solange genug von ihm vorhanden ist.“ Wieder nickte der Blonde, während mein Blick zu Mishka wanderte, der mich mit seinen silbernen Augen aufmerksam musterte. Irgendwie musste ich an den Kampf von vor zwei Tagen zurück denken. Ich hatte Mishka bedeutet, dass er sein Element nutzen sollte und sein Element war reiner Schatten gewesen, nicht durch Blitze ausgefranst, so wie es für gewöhnlich war, wenn ich ihn unterstützte. Und da ging mir plötzlich ein Licht auf. „Moment... Celestine hat gesagt, ich bin nur mit dem Schatten geboren worden. Und Mishkas und mein Element sind ein und das selbe. Aber er hat keinen Zugriff auf die Elektrizität. Es liegt also nicht daran, dass du dein Element nicht selbstständig nutzen willst, dass du es nicht tust. Du willst es nicht nutzen, weil du nur den reinen Schatten nutzen kannst und nur ich das Gemisch. Verdammt, du stures Biest...“ Grummelnd zog der Kater die Lefzen hoch und wandte den Blick ab. Doch griff ich nach seinem Kinn und hob seinen Blick wieder zu mir an. „Wirst du den Schatten selbst benutzen, ohne dass ich dich dazu zwingen muss, wenn ich ihn selbst richtig nutzen kann?“ Es schien ganz so, als hätte er die Sorge in meinem Blick richtig gedeutet, denn er seufzte ergeben und schmiegte dann seinen Kopf gegen meinen Brustkorb. Nachdenklich nickte ich und hob den Blick wieder zu Loren an. Ob wohl jeder Animalist ein trotziges Kind an seiner Seite hatte, das seinem Menschen nacheifern wollte? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)