The Poetry of Light and Shadow von Ceydrael (Loki x OC) ================================================================================ Kapitel 6: Gespräche -------------------- Die Sonne kroch am Horizont langsam aus den düsteren Tiefen des Universums hervor; erhellte den Himmel in einem schmalen, roten Streifen über dem Meer und vertrieb die Schatten der Nacht, nicht jedoch deren Schrecken und unübersehbare Zeugnisse. Eine trügerische Stille lag nun im Morgengrauen über dem Reich der Asen, nachdem der Angriff in den letzten Stunden vor dem Morgen geendet hatte. Die fremden Angreifer hatten sich zurückgezogen - die Verteidigung Asgards hatte gesiegt und die unbekannten Schiffe waren schlussendlich genauso lautlos und unsichtbar abgezogen wie sie auch gekommen waren, nachdem sie herbe Verluste erlitten hatten. Allerdings hatte Asgard ebenfalls einen hohen Preis gezahlt für diesen Sieg - die Stadt lag da wie ein verwundetes Tier und ächzte unter den Schmerzen der geschlagenen Wunden; Rauchsäulen stiegen in den Himmel auf, da überall noch Brände schwelten und ab und an zerstörte ein Krachen und Donnern die trügerische Illusion von Stille, wenn instabile Gebäude den Gesetzen der Physik doch nicht mehr standhielten und in sich zusammenfielen. Die gleichmäßigen, schweren Schritte der Patrouillen von Odins Palastwache waren wie das beständige Ticken einer Uhr; ein unterschwelliges, fortwährendes Geräusch, dass sich in die Laute der erwachenden Stadt mischte, welche sich nach einer schockstarren Atempause langsam wieder regte. Die zahllosen Hilferufe und Schreie waren schon vor einer Weile verklungen; nun arbeiten die Asen eher schweigsam Hand in Hand, um die Verletzten zu versorgen, die Toten zu bergen und ihnen die letzte Ehre zu erweisen. Wie immer nach einer Schlacht würden die Zeugnisse des Kampfes irgendwann verschwinden; hinfort getragen von fleißigen, entschlossenen Händen, die ihre Heimat wieder aufbauen und Tod und Schicksal trotzen würden. Seltsam, wie sehr ein Volk in Zeiten der Not zusammenwachsen konnte, um für das eigene Land zu kämpfen und jenes zu bewahren. Obwohl Asgard nicht ihre Welt war, so fühlte Gwen doch mit den Asen; empfand Mitleid und Trauer mit ihnen, denn diesem Volk war etwas Schreckliches wiederfahren. Ihre Heimat war angegriffen worden, genau jener Ort, an dem man sich eigentlich sicher und geborgen fühlen wollte. Wenn dieser Rückzugsort keine Sicherheit mehr bot, wohin sollte man dann noch gehen? Wo konnte man dann noch bedenkenlos Rüstung und Schild ablegen? Ihr Job hatte Gwen hierher geführt und obgleich es anfangs wirklich nur eine Aufgabe gewesen war, um sich selbst im eigenen Leben weiterzubringen, so war sie sich bewusst darüber, dass bereits jetzt viel mehr daraus geworden war - durch die Ereignisse der Nacht, durch die Veränderungen ihrer Selbst, durch diese seltsame Bindung zu einem Mann namens Loki… Gwen ließ sich mit einem schweren Seufzen auf die harte Bank zurücksinken, nachdem sie der Aussicht aus dem winzigen Fenster müde geworden war. Ihr Blick glitt zum wiederholten Male durch den kargen Raum, der ihr nun schon seit der Nacht als Aufenthaltsort diente, ohne dass sie etwas Neues entdeckt hätte - es gab eine Tür und das winzige Fenster, einen zerkratzten, schiefen Holztisch und die schmale Pritsche, auf der sie nun saß. Die Ketten an ihren Händen klirrten leise und erinnerten sie wie ein schadenfrohes Kichern wieder an ihre momentane Lage, in die sie so überraschend geraten war. Sie lehnte den Kopf gegen die kalte und steinharte Wand im Rücken und schloss für einen Moment die Augen, nachdem sie sich ungeduldig versichert hatte, dass sich die Tür zu ihrer Kammer noch immer nicht öffnen würde; bisher war niemand gekommen, um sie vor den Allvater zu führen. Schlimmer noch als die Angst vor dem weiteren Verlauf ihres Aufenthaltes hier in Asgard waren das Warten und die Ungewissheit. Das würde sie noch verrückt machen. Nervös kaute sie auf ihrer Unterlippe. Gwen ließ die Stunden der Nacht Revue passieren und gelangte zu jenem Moment, in welchem sie den ohnmächtigen Loki in ihren Armen gehalten hatte; dieser Augenblick, in welchem ihre Welt durch einen heftigen Ruck jäh aus dem Gleichgewicht geraten war - und das nur durch eine volltönende Stimme, die sich plötzlich über das Schweigen der Anwesenden erhoben hatte wie der unheilvolle Schatten eines aufziehenden Unwetters. Gwen hatte die Gefahr förmlich schon auf der Zunge schmecken und einem Abgrund entgegensehen können, auf den sie ungebremst zugerast war. »Die Sterbliche hat Loki aus seiner Zelle befreit.« hatte Heimdall mit der Stimme der Wahrheit verkündet. Diese schlichten Worte waren es gewesen, die alles geändert hatten - von einem Moment auf den anderen. Sofort hatte sich die Stimmung der Umstehenden verändert; Gesichter hatten sich verschlossen, Blicke waren forschend und argwöhnisch geworden - es war beinahe so gewesen, als hätten Heimdalls Worte schlagartig die Jahreszeit geändert. Von lieblichem Sommer zu frostigem Winter, denn genauso eisig hatte sich das Kribbeln angefühlt, dass Gwens Rückgrat hinaufgekrochen war. Der Allvater musste daraufhin eine Entscheidung getroffen haben; sein unergründlicher Blick hatte noch für einen Augenblick auf ihr und Loki geweilt, bevor er die Palastwache mit einem knappen Befehl und herrischem Wink seiner Hand dazu aufgefordert hatte, den ohnmächtigen Magier von ihr zu trennen. Gwen hatte sich gegen diese Verfügung Odins heftig gewehrt, denn sie hatte Blut an ihren Händen entdeckt - Blut, das nicht das ihre war. Loki war verletzt gewesen; wahrscheinlich war er durch die Splitter des Fensters verwundet worden, vor denen er Gwen mit dem eigenen Körper beschützt hatte. Unbemerkt musste er bereits einiges an Blut verloren haben, noch dazu die Anstrengung der Nacht… sein Gesicht war so erschreckend blass gewesen. Wie ein frisches Laken, das gänzlicher Farbe entbehrte. Er hatte sie in dieser Nacht mehr als einmal beschützt; ihr Leben bewahrt und sich selbst dadurch in Gefahr begeben, obwohl er es ganz sicher nicht hätte tun müssen. Sie schuldete ihm mehr als nur ihren Dank. Sie schuldete ihm alles. Ein Teil der Palastwache hatte den verletzten Magier einfach ihren Armen entrissen, während sie noch ungestüm gegen die Hände angekämpft hatte, die sie zurückgehalten hatten; Loki war von den Männern weggebracht worden, ohne dass man Gwen gesagt hätte, was nun mit ihm geschah. Allein die Königin war den Wachen mit ihrem verwundeten Sohn gefolgt und das hatte Gwen zumindest um ein Stück beruhigt. In ihrer Erinnerung hatte Odin das Wort „Heilkammer“ gebraucht - offensichtlich wollte man Loki zumindest nicht sofort einfach töten. Und Frigga würde doch sicher nicht zulassen, dass man ihm etwas antat; Gwen hatte die Liebe der Königin für ihren Sohn förmlich spüren können. Mutterliebe war eine Magie, der kaum etwas trotzen konnte, das wusste Gwen aus eigener Erfahrung. Sie selbst hatte in ihrer Jugend ein paar Dinge angestellt und ausprobiert auf die sie heute nicht sonderlich stolz war - ihre Mutter allerdings hatte immer zu ihr gehalten; zumindest nachdem sie Gwen eine ordentliche Standpauke gehalten und die Ohren langezogen hatte. Beim Gedanken an Marian stiegen Gwen Tränen in die Augen, welche sie allerdings mit einer entschlossenen Handbewegung wegwischte; die Ketten an ihren Handgelenken klirrten erneut laut in der kleinen Kammer. Entnervt ließ sie sich zu der völlig unsinnigen Tat hinreißen, die Arme aufbegehrend gegen die Kettenglieder zu stemmen - immer und immer wieder, natürlich ohne Erfolg. Allerdings war das laute Rasseln irgendwie befreiend und vielleicht würde das ja auch einen Wachmann anlocken, damit sie endlich hier herauskäme. Diese Warterei war schrecklich. Jetzt - nachdem der Schock der Nacht zurückgewichen und das Adrenalin im Blut abgeklungen war, erschien ihr das ganze Geschehen wie ein seltsamer Traum; so weit entfernt und verschwommen im Nebel ihrer Erinnerung, dass sie sich selbst darin kaum erfassen konnte. Gwen hatte sie vor dem Allvater und allen anderen aufgeführt wie eine Furie, als man ihr den Magier aus den Armen entrissen hatte; sie hatte geschrien und geflucht, sich gegen den Griff der Palastwache aufgebäumt und verbissen gewehrt, als diese ihr die Ketten angelegt hatten - ihr aufgeputschtes Blut hatte ihr Kraft und Entschlossenheit verliehen. Sie hatte für einen Mann gekämpft, den sie eigentlich überhaupt nicht kannte; hatte für ihn geweint und um sein Leben gefleht. Dieses Verhalten war völlig untypisch für sie - jetzt, zurückblickend, war es ihr unverständlich, fast peinlich, wie sie sich aufgeführt und damit wahrscheinlich ins eigene Verderben gestürzt hatte. Und trotzdem…es hatte sich einfach richtig angefühlt in diesem Moment - wie die einzig bestehende Möglichkeit zu handeln. Ihr bewusstes Denken war einfach ausgeknipst worden wie eine unnötige Straßenlaterne; sie hatte sich vollkommen von ihrem Gefühl und Instinkt leiten lassen. Sie erkannte sich selbst nicht wieder. Wo war in diesem Augenblick die abgeklärte, vernünftige Gwendolyn Lewis geblieben? Normalerweise überdachte sie ihre Schritte lieber mehrmals gründlich, bevor sie sich für eine Richtung festlegte; ließ ihre Emotionen niemals die Oberhand über ihre Entscheidungen bekommen. Sie hatte völlig entgegen ihre sonstigen Grundsätze und Gewohnheiten gehandelt. Hatte sich vor den todbringenden Speer des Allvaters gestellt und dessen Urteil verhindert - das getan, wovor man sie auf der Erde noch gewarnt hatte. Sie hatte sich in die Angelegenheiten der Götter eingemischt. Und nun saß sie hier in dieser Kammer als eine Gefangene Asgards. Bereute sie ihr Verhalten?! Sie wusste es nicht. War es falsch gewesen sich für diesen Mann - für Loki - in Gefahr zu begeben? Ihr Verstand schrie ihr ein glasklares „Ja“ entgegen, doch ihr Herz erwiderte ein entschiedenes „Nein“. Womöglich hatte er wirklich verdient, wie die anderen mit ihm umgegangen waren; sie wusste immerhin rein gar nichts über seine Vergangenheit und seine Taten. Was hatte er nur getan, was sich schuldig gemacht, dass man mit solcher Wut auf ihn reagiert hatte? Doch sie konnte nicht von der Hand weisen, dass er sie gerettet hatte - er hatte für sie Blut vergossen. Sie konnte ihn nicht verurteilen für die Verbrechen, die er vielleicht begangen haben mochte. Sie konnte im Moment nur über sein Handeln ihr gegenüber richten; obwohl er durchaus arrogant und selbstgefällig wirkte, vielleicht sogar verrückt auf gewisse Weise, so war es doch einfach eine Tatsache, dass sie ihm noch immer ihr Leben schuldete. Reue verspürte sie nicht, doch Angst vor der ungewissen Zukunft auf jeden Fall; wie würde man hier in Asgard über jemanden urteilen, der einem Gefangenen aus seiner Zelle geholfen hatte? Womöglich hielt man sie für eine Verbündete Lokis… Da hast du dich ja in einen ganz schönen Schlamassel befördert, Gwendolyn. Sie konnte wirklich nur hoffen, dass S.H.I.E.L.D in ihrer Angelegenheit nicht untätig bleiben würde; immerhin war die Organisation verantwortlich und zuständig für die menschlichen Forscher. Lieber wollte sie dem Zorn Direktor Furys begegnen, als der Gnade des Allvaters ausgeliefert zu sein. Das erschien ihr wirklich als das kleinere Übel. Der Schlüssel im Schloss ihrer Zelle wurde gedreht und die Tür schwang knarrend auf; Gwen öffnete die Augen schlagartig und setzte sich sofort aufrecht hin, als ein Mann der Palastwache hereinkam. »Der Allvater will Euch nun anhören.« verkündete der Wächter tonlos und deutete auffordernd aus der Tür. Gwen schluckte hart, dann ließ sie sich von ihrer Pritsche gleiten und trat aus der Tür, wo bereits zwei weitere Männer in schweren Rüstungen warteten; ihre persönliche Eskorte, bewaffnet und äußerst wachsam. Die drei Männer ließen sie nicht aus den Augen, als Gwen zwischen ihnen durch die Gänge des Palastes geführt wurde wie eine niederträchtige Sünderin. Die Ketten, die ihre Hände fesselten, rasselten zu jedem schweren Schritt der Wächter, die schweigend neben ihr gingen und die Waffen bewusst auffällig in den Händen trugen. Nun war sie also nichts weiter als eine gemeine Verbrecherin. Gwen wurde schlecht und sie musste die Übelkeit unter größter Anstrengung in der Kehle hinabzwingen. Ihre Knie fühlten sich weich an und die Hände eisig kalt. Die riesige Flügeltür zu Odins Thronsaal öffnete sich vor der kleinen Gruppe mit einem dumpfen, unheilvollen Laut; die gerüsteten und behelmten Wächter zu beiden Seiten der Tür beäugten Gwen schweigend, ohne auch nur den Kopf zu bewegen. Die achtsamen Augen folgten ihren Schritten wie lauernde Raubtiere im Unterholz. Der Saal, in welchem der Allvater Gäste, Abgesandte und Bittsteller empfing, öffnete sich vor Gwen in gewaltigem, imposantem Ausmaß; mächtige Marmorsäulen begleiteten jeden Hereinkommenden zu beiden Seiten auf dem Weg zu Odins Thron. Bis hierher waren die Angreifer wohl nicht gelangt, denn der Thronsaal wirkte unbeschädigt; er war länglich und offen gehalten - hinter den Säulen einer Seite konnte man auf die Stadt hinabblicken. Ein prächtiger Ausblick auf Asgard, auf das glitzernde Meer und die schneebedeckten Gipfel in der Ferne - ein sonst gewiss atemberaubender Anblick, der jetzt jedoch durch die zahlreich aufsteigenden Rauchsäulen getrübt war, die sich wie störende Risse durch ein wunderschönes Bild zogen. Allerdings hatte Gwen in diesem Augenblick eh überhaupt keinen Sinn für diese einmalige Aussicht; ihre Augen waren starr geradeaus gerichtet auf den Thron des Allvaters, dem sie mit jedem Schritt über den makellos polierten Marmorboden näher kam - eine äußerst kunstvolle Darstellung der Weltenesche Yggdrasil war in die Bodenplatten eingelassen. Die metallischen Schritte der Palastwache ertönten überdeutlich in der Stille des Saales und hallten in Gwen wie der eigene, heftige Herzschlag wider. Allerdings erwartete sie Odins Thron verwaist, sehr zur Verwunderung und momentanen Erleichterung von Gwen. Nur die beiden Raben Hugin und Munin saßen auf der weitläufigen, goldenen Verzierung des Herrschaftsstuhles und betrachteten sie aus intelligenten Augen, während ihr Krächzen einem leisen, unheilvollen Willkommensgruß glich. Die Männern, die Gwen begleiteten, hielten im Schritt jedoch nicht inne, sondern führten sie hinter eine der - mit kunstvollen Borden verzierten - Säulen zu einer beinahe unscheinbaren Holztür. Einer der Wächter öffnete diese und bedeutete Gwen mit einem Nicken einzutreten. Dahinter erwartete sie ein überraschend behaglicher Raum; eine gemütliche Sitzecke schmiegte sich an einen steinernen Kamin, in dem jetzt allerdings kein Feuer brannte. Ein paar bunte Gemälde zierten die Wände neben Landkarten und stilisierten Darstellungen der neun Welten um die Weltenesche. Der Boden des Raumes bestand aus dunklem, edlem Holz, ebenso wie ein Teil der Wandvertäfelung. Von der hohen Decke hing ein schwerer Kerzenleuchter. Eine Seite des Raumes öffnete sich in einer gläsernen Front auf einen weitläufigen Balkon, von dem man die Stadt überblicken konnte; davor stand ein massiver, länglicher Holztisch, auf dem jetzt einige Landkarten ausgebreitet lagen. Über diesen brütete Odin gebeugt, die Hände auf der Tischplatte abgestützt. Sein Gesicht wirkte alt; die Schatten darauf länger und tiefer - die Schrecken der Nacht schienen auch an dem Allvater nicht spurlos vorübergegangen zu sein. Er trug noch immer seine Rüstung; auch das Blut auf seiner Wange erinnerte an den Kampf der vergangenen Stunden. Die Königin stand auf dem Balkon im Licht der aufgehenden Sonne; nun wandte sie sich um und trat zurück in den Raum, als sie die Schritte der Palastwache vernahm. Ihre Robe des Abends hatte sie gegen ein schlichtes, zweckdienliches Gewand eingetauscht. Gwen wollte sofort zu einer Frage nach Loki ansetzen, hielt sich jedoch im letzten Moment mit einem Biss auf die Zunge zurück - wahrscheinlich würde man es als Unhöflichkeit ihrerseits ansehen, wenn sie einfach so unaufgefordert das Wort ergriff und sie täte wohl gut daran, sich jetzt keinen Fehler mehr zu leisten. Friggas Blick ruhte intensiv auf Gwen und sie meinte ein winziges Lächeln um die Lippen der Königin wahrzunehmen, als hätte sie Gwens Gedanken gelesen, bevor die Asin auf dem gemütlichen Polster vor dem Kamin Platz nahm. Auch Odin sah nun von seinen Karten auf und gab der Palastwache einen befehlenden Wink, den Raum zu verlassen. Die Männer verbeugten sich ehrerbietig und schlossen die Tür leise hinter Gwen; ein so seltsam endgültiger Laut, als sie das Klicken des Schlosses hinter sich vernahm. Sie holte tief Luft und hob das Kinn entschlossen an. Bevor jedoch irgendjemand das Wort ergreifen konnte öffnete sich eine andere Tür zu dem Raum, die Gwen vorher gar nicht aufgefallen war. Durch diese kam nun Thor herein, gefolgt von dem Wächter Heimdall. Auch die beiden Männer waren noch immer von Staub und Blut gezeichnet; ihre Rüstungen schmutzig, die Umhänge schlammbespritzt und an einigen Stellen zerfetzt. Der Donnergott ging vor seinen Eltern respektvoll in die Knie, erst dann bemerkte er Gwen, nachdem er sich wieder erhoben hatte. Der Blick aus seinen stürmisch grau-blauen Augen war nicht zu deuten; distanziert begegnete sein Blick dem ihren und sie musste sich mächtig beherrschen, um die Augen nicht reumütig zu senken. Verflucht nochmal! Sie hatte ja wirklich nichts Unrechtes getan. Und doch schmerzte es sie, dass der Donnergott offenbar das Vertrauen in sie verloren hatte. Sie mochte ihn. Heimdall bedachte Gwen mit einem wie immer ausdruckslosem Gesicht; allein seine goldenen Augen schienen einmal mehr bis direkt in ihre Seele zu sehen. »Mein Sohn.« richtete Odin das Wort an Thor. »Rufe die „Tapferen Drei“ und Lady Sif zusammen. Sie sollen sich bereit zum Aufbruch halten. Nach dieser Unterredung hier möchte ich, dass du mit deinen Waffenbrüdern alle neun Welten besuchst, um zu erkunden, ob auch andere Reiche von derlei Angriffen heimgesucht worden. Wir müssen herausfinden wie weitläufig diese Bedrohung ist und ob wir nur die Spitze des Eisberges gesehen haben.« »Jawohl, Vater.« Mit wehendem, rotem Umhang verschwand der Donnergott wieder aus jener Tür, durch die er eben getreten war. »Heimdall…« sprach der Allvater nun den dunkelhäutigen Wächter an. »Ein anderer Hüter ist bereits an meinen Platz getreten und wird für die Zeit meiner Abwesenheit meinen Posten bewachen.« kam der Wächter Odin zuvor, der wohl eben eine solche Frage in jene Richtung formulieren wollte. Der Allvater nickte zufrieden und richtete sich wieder zu voller Größe auf, während er eine der Karten sorgfältig zusammenrollte. »Sehr gut. Wir dürfen nicht riskieren, dass wir wieder so überraschend und unvorbereitet einem solchen Angriff ausgeliefert sind. Aber ich brauche dich hier, Heimdall.« Der einseitige Blick Odins wandte sich nun Gwen zu und blieb bedeutungsvoll auf ihr ruhen. »Natürlich, mein König.« Der Allvater zog einen Stuhl heran und bedeutete Gwen mit einer wohlwollenden Geste, sich zu setzen. Allerdings vermittelten seine harten Züge keine so tiefgehende Gutmütigkeit. Gwen straffte die Schultern und trat an den Tisch heran, um den dargebotenen Platz einzunehmen; vielleicht war das auch besser für ihre zittrigen Beine, denen sie ihr Gewicht eh kaum länger zumuten wollte. Nervös verschränkte sie die Hände im Schoß und zog die Unterlippe befangen zwischen die Zähne. Thor betrat den Raum wieder und schloss die Tür leise hinter sich, vor der er mit vor der Brust verschränkten Armen stehen blieb und so das Zimmer überblicken konnte. »Nun gut, es scheinen alle anwesend zu sein. Fangen wir also an.« Odin strich flüchtig mit der Hand über eine der ausgebreiteten Karten auf dem Tisch, bevor er die Arme hinter dem Rücken verschränkte und sich umwandte, um mit erhobenem Haupt aus dem Fenster zu sehen. Gwen fiel die Ähnlichkeit zu Loki in jenem Moment auf; dieselbe edle und stolze Haltung, als wäre der Allvater ein älteres Spiegelbild seines Sohnes. Königliches Blut ließ sich also nicht verleugnen. »Nun, Sterbliche. Beginnen wir mit einer einfachen Frage. Wer seid Ihr?« richtete Odin das Wort an Gwen, ohne sie jedoch anzusehen. Er kehrte dem Raum noch immer den Rücken. Allerdings waren dafür alle anderen Augen auf sie gerichtet; sie war sich der beobachtenden Blicke der anderen nur allzu bewusst. Sie musste sich räuspern, bevor sie ihrer Stimme trauen und antworten konnte. »Mein Name ist Mary-Ann Morris.« Odin lauschte ihrer Antwort regungslos und sah weiterhin nach draußen; es verging ein gedehnter Augenblick in Schweigen, in welchem Gwen bereits unruhig wurde und unschlüssig verstohlen von einem zum anderen sah. Erwartete man noch mehr von ihr? »Heimdall…?« durchbrach der Allvater die Stille. »Sie lügt, mein König.« verkündete der Wächter tonlos, was Odin ein resigniertes Seufzen entlockte, während er die Augen flüchtig schloss und den Kopf in den Nacken legte. Gwens Herz tat einen holprigen Satz, bevor es seinen Dienst gänzlich zu quittieren schien. Was in aller Welt…? Deswegen hatte der Allvater also nach Heimdall verlangt - er sollte ihre Antworten auf den Wahrheitsgehalt überprüfen. Sie wusste bereits, dass der Wächter vieles sah und wahrnahm, was andere nicht erkennen konnten, doch ihr war nicht klar gewesen, dass er selbst Lügen ohne große Mühe enttarnen konnte. Bereits Loki hatte ihre falsche Identität durchschaut. War er etwa auch allsehend? Gwen hatte ja damit gerechnet, sich hier wegen der Freilassung eines Gefangenen verteidigen zu müssen, allerdings nicht damit, dass ihre erfundene Person der Geophysikerin ebenfalls auf dem Prüfstand stehen würde. Der Allvater wandte sich dem Raum nun wieder zu und sprach sie direkt an. »Euch scheint nicht klar zu sein, in welcher Lage Ihr Euch befindet. Im Moment sitzt Ihr hier vor mir als eine Feindin Asgards. Ihr habt einem meiner Gefangenen die Flucht aus dem Kerker ermöglicht, zu einem Zeitpunkt, da ein unerwarteter Angriff über mein Reich hereinbrach und viele Leben forderte. In diesem Augenblick muss ich annehmen, dass Ihr mit all diesen Ereignissen in Verbindung steht und das lässt am Ende nur einen Schluss zu - Ihr seid eine Gefahr für mein Reich.« Odin schlug die Handflächen donnernd auf den Tisch, was Gwen erschrocken zusammenzucken ließ und beugte sich zu ihr hinüber, lauernd und entschlossen wie ein Tiger vor dem Sprung, bereit sich auf seine Beute zu stürzen. Sein hohes Alter konnte täuschen; die Durchsetzungskraft und Härte eines wahren Herrschers war noch immer vorhanden. »Und ich werde keine weiteren Gefahren für mein Volk dulden. Ich werde sie ausmerzen. Und ich habe weder das Interesse, noch die Zeit für Spielchen.« Der Klang seiner Stimme ließ keinen Zweifel daran, dass er die Wahrheit sprach - er könnte und würde Gwen vernichten, so er eine Bedrohung in ihr sehen sollte. »Also…« Odin richtete sich wieder zu voller Größe auf und sah über den Tisch hinweg auf sie herab. »Beginnen wir doch noch einmal von vorn. Wer seid Ihr?« Gwens Blick huschte aus den Augenwinkeln zu den anderen anwesenden Personen hinüber, doch von keinem hier hatte sie Hilfe oder Beistand zu erwarten. Das war allein ihre Sache und niemand würde ihr die Hand reichen, um sie aus dem Morast zu ziehen, in dem sie schon bis zum Hals steckte… Verflucht sollte Bill Freeman sein - ihr Leben würde sie bestimmt nicht für ihn oder ihren Job riskieren, das hatte sie sich geschworen. Und sie befand doch wirklich in einer Situation, in der man ihr nicht vorwerfen konnte, dass sie ihre eigene Haut retten wollte. »Okay…« Gwen holte tief Luft und kniff die Augen kurz zu, bevor sie den Allvater wieder ansah. »Okay, gut. Mein wahrer Name ist Gwendolyn Lewis. Ich bin auch keine Geophysikerin, sondern Journalistin. Ich wurde heimlich in die Gruppe der Wissenschaftler eingeschleust, um Informationen über Asgard in Erfahrung zu bringen. S.H.I.E.L.D weiß nichts von meiner Mission.« Besser, sie offenbarte gleich die ganze Wahrheit, bevor sie es darauf ankommen ließ, ob der Allvater seine Drohung wohl wahrmachen würde. Denn das würde er, da war sie sich beinahe sicher. »Aber bitte glauben sie mir…ich hatte keine bösen Pläne. Ich habe auch mit diesem Angriff nichts-« Odin unterbrach sie mit einer unwirschen Handbewegung und Gwen verstummte sofort; ließ die Hände wieder in den Schoß sinken, die sie eben instinktiv als Untermalung ihrer Worte genutzt hatte. Das Klimpern der Ketten schwang leise durch den Raum. Odin suchte Heimdalls Blick und der dunkelhäutige Wächter nickte ihm schweigsam zu. »Gut, offenbar sind wir nun bei der Wahrheit angelangt.« ließ der Allvater beinahe zufrieden verlauten und verschränkte die Hände wieder hinter dem Rücken, bevor er begann, hinter dem Tisch auf und ab zu gehen; seine Schritte verursachten gedämpfte Geräusche auf dem hölzernen Boden, untermalt vom metallischen Klirren seiner Rüstung. Thors abweisende Haltung hatte sich leicht verändert; obwohl er die Arme noch immer vor der breiten Brust verschränkt hielt, so drückte sein Gesicht jetzt eher milde Überraschung und Neugierde aus. Seine Stirn hatte sich in Falten gelegt, doch auch er schwieg weiterhin. Ebenso wie die Königin, die still abseits saß und das Geschehen ruhig, aber aufmerksam beobachtete. »Was ist eine Journalistin?« hinterfragte Odin, während er auf dem Absatz kehrt machte, als er am Ende des Tisches angelangt war. Er stützte die Hände wieder auf die Tischplatte und sah sie forschend an. Gwen sollte es nicht wundern, dass die Asen mit einigen - für sie alltäglichen - Dingen der Erde nichts anfangen konnten. »Eine Journalistin sammelt Informationen über verschiedene Ereignisse, Personen oder Gegenstände. Ich trage Berichte und Hinweise zusammen, bringe sie in schriftlicher Form auf Papier und mache sie den Menschen meiner Welt zugänglich. Es geht um die Bekanntmachung von Neuigkeiten und Aufklärung über gewisse Sachverhalte. Meine Aufgabe ist es sozusagen, die Leute auf dem Laufenden zu halten.« Sie dachte kurz nach. »Es funktioniert wohl so ähnlich wie mit ihren Raben. Sie tragen doch ebenfalls Informationen zusammen. Auf der Erde erledigen das Journalisten und Reporter.« versuchte sie es dem Allvater bildlich zu erklären. Der nickte langsam. »Ich verstehe...« Sein Blick bohrte sich in ihren. »Seid Ihr mit schlechten Absichten für Asgard hierhergekommen? Wolltet Ihr uns mit Euren Informationen schaden?« Gwen schüttelte sofort den Kopf. »Nein! Ich…nein, das war nur ein Job. Eine Aufgabe. Ich sollte nur beobachten und interessantes über die Asen und Asgard zusammentragen. Der einfachen Bevölkerung werden Informationen in diese Richtung durch S.H.I.E.L.D vorenthalten, doch die Menschen sind neugierig. Aber es lag nie in meinem Interesse, eurer Welt zu schaden - das schwöre ich! Ich habe mit diesem Angriff nichts zu tun.« Sie blickte eindringlich zu Thor hinüber, versuchte nicht nur Odin, sondern auch ihn von der Wahrheit ihrer Worte zu überzeugen. Der Donnergott verengte die Augen nachdenklich und sah flüchtig zu Heimdall hinüber, der sie unentwegt ins Licht seiner goldenen Augen gefasst hatte. »Sie spricht die Wahrheit.« bestätigte der Wächter ihre Worte. Eine unsichtbare Anspannung schien von den Anwesenden abzufallen wie Laub von einem Baum, der sich für den Winter von seinen Blättern verabschiedete. »Vielleicht habt Ihr wirklich nichts mit diesem Angriff zu tun, doch erklärt das alles jedoch nicht, wie Ihr einen Gefangenen aus meinem Kerker befreien konntet - oder warum Ihr das getan habt.« griff der Allvater Gwens Worte auf und begann erneut, hinter dem Tisch auf und ab zu gehen. Sein Gang sollte Gelassenheit vermitteln, doch sie konnte sehen, wie er sie aus dem Augenwinkel beständig im Blick behielt und jede ihrer Reaktionen abschätzte. Gwen hatte gewusst, dass diese Sache zur Sprache kommen würde, allerdings hatte sie nicht einmal für sich selbst befriedigende Antworten in Bezug auf das wie und warum. Wie sollte sie das Ganze also anderen verständlich und nachvollziehbar erklären? »Ich…ich habe ihn aus seiner Zelle gelassen, weil…weil ich Angst hatte. Todesangst! Ich bin vor diesen Wesen geflüchtet, die euer Reich angegriffen haben und durch Zufall im Kerker gelandet. Er meinte, er könnte mir helfen. Mich beschützen. Drei dieser Wesen konnten in den Kerker eindringen und wenn ich Loki nicht befreit hätte, dann wäre ich jetzt wahrscheinlich tot. Er hat mich vor den Angreifern gerettet.« endete sie und blickte unsicher in die Runde. Die Tatsache, dass sie schon vorher den geheimen Weg in die Höhle gefunden hatte verschwieg sie lieber vorerst. Eigentlich tat das ja auch nun nicht wirklich etwas zur Sache. »Gut. Eure Geschichte mag mir vielleicht glaubhaft und nachvollziehbar erscheinen, doch ich verstehe noch immer nicht, wie Ihr das anstellen konntet. Wie habt Ihr es geschafft, diese Zelle zu öffnen - jene Zelle, zu der ich allein den Schlüssel besitze und die durch Magie und allerlei Bannsprüche gesichert ist!?« Erneut blieb der Allvater stehen und bedachte Gwen mit einem langen, forschenden Blick. »Tja, das…« Gwen sah unsicher auf ihre im Schoß verschränkten Hände, dann zeigte sie ein ratloses Achselzucken. »…offen gestanden weiß ich das selbst nicht.« Sie blickte wieder in die Runde, begegnete fragenden Gesichtern. »Es war mir irgendwie einfach möglich. Seitdem ich in Asgard bin…ich weiß auch nicht…ich fühle mich irgendwie anders. Ich kann es nicht beschreiben, aber das Gefühl ist da. Hier drinnen.« Gwen hob eine Hand und bettete sie auf ihrer Brust. Odin sah sie weiterhin mit nachdenklicher Skepsis an. »Seitdem ich hier bin, sind seltsame Dinge passiert. Das mit der Zelle und auch vorher schon…ich…« Gwen stockte erneut im Wort und ließ die Schultern kraftlos wieder sinken, die sie bis eben beinahe schützend hochgezogen hatte. Wie sollte sie nur erklären, was sie in ihrem Zimmer gesehen hatte? Womöglich wurde sie ja doch verrückt und der Allvater würde am Ende ihres Gespräches zu genau der gleichen Ansicht kommen - dann wäre ihr eine hübsche, trostlose Zelle in seinem Gefängnis gewiss. »Erzählt meinem Vater, was Ihr mir berichtet habt.« meldete sich nun Thor ermutigend zu Wort und ließ die verschränkten Arme sinken, um nun ebenfalls an den Tisch heranzutreten. Seine Züge waren nicht mehr so verschlossen wie zuvor, nun wirkte er eher aufmerksam und interessiert. Gwen hoffte wirklich, dass sie sein Wohlwollen und Vertrauen zurückgewinnen konnte. Sie nickte zögerlich, dann sah sie Odin wieder an, der seinem Sohn einen fragenden Seitenblick zugeworfen hatte. »Also...ich glaube, ich habe irgendwie einem Vogel den gebrochenen Flügel geheilt. Nicht durch Medizin, sondern durch eine Art…Magie…« sprach sie das Wort vorsichtig aus, den Klang selbst erst für ihre Zunge und ihren Verstand erprobend. »Er landete auf dem Fensterbrett meines Zimmers und konnte nicht mehr richtig fliegen. Ich weiß auch nicht warum, aber plötzlich hatte ich das dringende Bedürfnis ihm zu helfen…und irgendwie auch das Gefühl, dass ich es könnte. Und dann war da dieses seltsame Licht in meiner Hand…also wirklich in meiner Hand, als würden meine Knochen von innen heraus leuchten…« Gwen brach kurz ab und schüttelte den Kopf über sich selbst und ihre Erzählung. Abwehrend zog sie die Brauen zusammen. »Ich weiß, das klingt verrückt. Es erscheint mir selbst völlig bizarr. Aber…« Beinahe hilfesuchend sah sie zu Thor hinüber. »…Thor meinte, dass Asgard vielleicht Auswirkungen auf mich haben könnte. Die magische Essenz ihres Reiches. Irgendetwas hier scheint mich zu verändern und wahrscheinlich konnte ich nur deshalb die Zelle im Kerker öffnen. Die Energie in den Wänden hat einfach auf meine Berührung und Gedanken reagiert.« Alle Anwesenden im Raum warfen sich kurze Blicke zu und schienen sich auf eine wortlose Weise zu verständigen, der Gwen nicht folgen konnte. »Und diese Wesen…« setzte sie rasch noch nach, jeden Hinweis zu ihrer Verteidigung wie einen Rettungsring auswerfend. »…sie sprachen von irgendeinem Licht, als sie mich sahen. Sie waren ganz versessen darauf, in meine Nähe zu gelangen. Loki kann das bestätigen. Er hat es ebenfalls gehört. Vielleicht haben sie diese Veränderung in mir erkannt und etwas wahrgenommen, was keiner sonst sehen kann…« ließ sie diese Theorie hoffnungsvoll in den Raum fallen wie einen Wassertropfen in einen still daliegenden See. Eine schmale, perfekte Braue der Königin hob sich merklich an; sie wirkte äußerst überrascht und wechselte einen knappen, wachsamen Blick mit dem Wächter Heimdall. »Tatsächlich…?« fragte Frigga gedehnt nach - das erste Wort, dass sie überhaupt sprach, seitdem Gwen den Raum betreten hatte. »Ja, so war es. Ich schwöre es.« bestätigte Gwen ihre eigenen Worte und sah die Asin dabei offen an. Jene musterte die rothaarige Menschenfrau mit aufmerksamen Augen, die Stirn in Falten gelegt. Thor und Odin tauschten einen abwägenden Blick, bevor Heimdall plötzlich die nachdenkliche Stille durchbrach. »Ich konnte sie auf der Erde nicht sehen.« Alle Köpfe wandten sich nun dem dunkelhäutigen Wächter zu. »Wie meinst du das, Heimdall?« hakte der Allvater nach. »Ich konnte Gwendolyn Lewis auf Midgard nicht sehen. Sie war meinem Blick nicht einfach nur entzogen, es war, als wäre sie bis zu dem Moment, als sie in Asgard aus dem Bifröst trat, gar nicht da gewesen. Als hätte es sie nie gegeben. Als würde sie nicht existieren.« »Was?!« hauchte Gwen fassungslos und blinzelte Heimdall verständnislos an. »Aber…ich bin doch da…ich war immer da…« Das ergab doch überhaupt keinen Sinn, was der Wächter da sagte. Nun waren wieder alle Augen auf sie gerichtet, doch diesmal konnte sie den fragenden Blicken nur ebenso verwirrt und ratlos begegnen. Heimdall musste sich irren. Anders konnte es gar nicht sein. Zu ebendiesem Schluss schien auch Thor zu kommen. »Und da bist du dir ganz sicher, Heimdall? Könnte es nicht vielleicht sein, dass du sie nur einfach nicht wahrgenommen hast?« »Du weißt, dass mein Blick unfehlbar ist, Thor Odinson.« erwiderte der Hüter entschieden, der Hauch von Tadel in der klaren, kühlen Stimme. »Ich selbst hielt es anfangs für einen Fehler meinerseits und ließ die Sache vorerst auf sich beruhen, denn anders konnte ich es mir nicht erklären. Doch nun, nach diesem Gespräch, bin ich mir zweifelsfrei sicher, dass ich mich nicht geirrt habe. Vielleicht steckt mehr hinter der ganzen Sache, als wir im Moment zu erkennen vermögen. Denn um meinen Blick zu täuschen bedarf es wahrlich mächtiger Magie.« Wieder richteten sich alle Blicke auf Gwen, doch Heimdall schüttelte den Kopf und zerstreute damit die aufkeimenden Vermutungen sogleich im Wind. »Nein, sie war das nicht. Ihre Verwirrung ist echt. Sie weiß tatsächlich nicht, was mit ihr los ist. Und im Moment sehe ich in ihr auch nicht mehr als einen einfachen, sterblichen Menschen. Doch wenn wirklich Magie im Spiel ist, dann wird mein Blick nicht ausreichen, um die Wahrheit zu erkennen.« Odin schöpfte tief Atem und rieb sich in einer müden Geste über die Stirn. »Und ich hoffte, ich könnte etwas Licht ins Dunkel bringen. Stattdessen blicke ich nun mehr auf neue Schatten…« murmelte er resigniert. Dann wandte er sich an den Donnergott. »Thor, nimm deine Freunde und zieh nun los. Eure Reise duldet keinen Aufschub mehr. Unterrichtet die anderen Welten über den Angriff und warnt sie, sofern sie nicht selbst schon Opfer dieser unbekannten Wesen waren. Sammelt alles an Hinweisen und Wissen, was ihr finden könnt.« forderte der Allvater seinen Sohn nun auf und drückte ihm in einer flüchtigen Geste bestärkend die Schulter. »Und seid vorsichtig.« Thor nickte und verneigte sich vor Odin, dann sah er noch einmal zu Gwen hinüber. »Was wird nun mit ihr geschehen, Vater?« »Ich werde noch über ihr Schicksal entscheiden. Ich muss nachdenken. Aber ihr wird vorerst nichts geschehen, sei unbesorgt, mein Sohn.« Gwen fiel im wahrsten Sinne des Wortes ein Stein vom Herzen; sie sank erleichtert auf ihrem Stuhl zusammen. Zumindest musste sie im Augenblick wohl nicht damit rechnen, den Kopf zu verlieren. Das war immerhin etwas. Auch wenn der Verlauf des Gespräches einen gänzlich anderen Abschluss gefunden hatte, als sie sich vielleicht gewünscht hätte. Am Ende musste sie sich nur mit noch mehr Fragen konfrontiert sehen und war nun doch der Gnade des Allvaters ausgeliefert. Der Donnergott wirkte beruhigt und schenkte Gwen ein kurzes, aufmunterndes Lächeln, bevor er sich ebenfalls von seiner Mutter verabschiedete und dann durch die Seitentür verschwand. Seine Sorge rührte Gwen und sie hoffte, dass er unversehrt und wohlbehalten von seiner Reise zurückkehren würde. »Heimdall, kehre zurück auf deinen Posten. Unterrichte mich über alles, was dir seltsam erscheint und sei es noch so unwichtig.« wies der Allvater den dunkelhäutigen Hüter an, der sich daraufhin mit einem folgsamen Nicken zum Gehen wandte. »Und Heimdall…damit meine ich wirklich alles…« fügte Odin an den Rücken des Wächters gerichtet hinzu; ein scharfer Unterton schwang in seiner Stimme wie eine Zurechtweisung. »Natürlich, mein König.« erwiderte Heimdall ruhig, bevor er ebenfalls durch die Tür trat, aus der Thor eben verschwunden war. Mit einem schweren Seufzen stützte sich Odin dann wieder mit den Händen auf dem Tisch ab, verharrte so gebeugt und sah Gwen mit einem langen, nachdenklichen Blick an. Die Vorstellung, dass er genau in jenem Moment über ihr Schicksal entscheiden konnte, war nicht gerade beruhigend. Gwen fühlte sich unwohl unter seinem durchdringenden Blick und senkte den eigenen wieder auf ihre gefesselten Hände. »Wachen!« erhob der Allvater seine Stimme dann und sogleich hörte Gwen das Öffnen der Tür hinter sich, gefolgt von den metallischen Schritten der Männer, die wohl draußen gewartet hatten. »Bringt die Sterbliche in eines der Gästezimmer Gladsheims. Ihre Hände bleiben allerdings in Ketten und ein Mann wird Posten vor ihrer Tür beziehen.« Die Schritte der Palastwache näherten sich und gleich darauf spürte Gwen schon schwere Hände auf ihrer Schulter, die sie aus dem Raum geleiten würden. Sie stand langsam auf. »Ihr werdet dort bleiben, bis ich über Euer Schicksal entschieden habe. Versucht nicht zu fliehen oder unüberlegte Dummheiten anzustellen. Dergleichen habt Ihr in dieser Nacht wahrlich schon genug getan…« sprach der Allvater sie ermahnend an und Gwen konnte nicht verhindern, dass ihre Wangen ein Hauch von beschämter Röte überzog. »Wenn Ihr etwas benötigt, ob Speisen oder Kleidung, so scheut Euch nicht danach zu fragen. Man wird es Euch bringen.« »Danke.« entgegnete Gwen ehrlich und meinte es auch so. Sie war froh, dass sie nicht in den kargen, kleinen Raum zurückkehren musste, in dem sie bisher gewartet hatte. Der Allvater nickte ihr knapp zu, dann trat er zu einem der Männer seiner Palastwache. »Ich möchte, dass die menschlichen Forscher noch heute nach Midgard zurückkehren. Ich kann mich nicht auch noch mit der Sorge um ihr Wohlergehen beladen und im Moment nicht zweifelsfrei für ihre Unversehrtheit garantieren. Informiere die Abgesandten des Direktor Fury darüber. Ich befürchte, dass Asgard im Augenblick kein sicherer Ort mehr ist. Auf der Erde sind sie besser aufgehoben. Sie sollen abreisen.« wies Odin dem Wächter an, der sogleich gehorsam nickte. Gwen blinzelte entgeistert und fühlte sich mit einem Mal plötzlich sehr allein. Die anderen ihrer Gruppe würden auf die Erde zurückkehren können, nur sie musste hierbleiben. Sie verstand die Beweggründe des Allvaters; sie waren einleuchtend und nachvollziehbar, jeder weise Herrscher hätte so entschieden. Doch die Vorstellung, ganz allein in Asgard zurückzubleiben wie ein Gepäckstück, das man irgendwo vergessen hatte, behagte ihr ganz und gar nicht. Unvermittelt überrollte sie Heimweh und die Sehnsucht nach etwas vertrautem, in dessen Nähe sie sich in Sicherheit fühlen konnte. Gwen musste an Winston denken und hätte in diesem Augenblick wirklich alles dafür getan, den verwöhnten kleinen Teufel in ihre Arme schließen zu können. Sie verspürte einen bestimmten, jedoch nicht groben Griff am Arm, als einer der Männer sie aus dem Raum führen wollte. Auf halbem Weg zur Tür drehte sie sich jedoch noch einmal um und blieb stehen, suchte den Blick der Königin, die eben von ihrem Platz aufgestanden war. »Wie geht es ihm?« platzte es aus Gwen heraus. »Geht es Loki gut?« fügte sie hastig an, für den unwahrscheinlichen Fall, dass nicht klar war, nach wem sie sich erkundigen wollte - die Sorge in ihrer Stimme blieb wohl niemanden verborgen. Furchtsam studierte sie jede Reaktion der Königin; hatte Angst vor einer Antwort, die sie vielleicht gar nicht hören wollte. Die Vorstellung, dass das Licht in seinen einzigartigen Augen erloschen sein könnte, war unerträglich. Sie hatte die Frage einfach nicht mehr länger zurückhalten können; schon die ganze Zeit hatte sie wie ein erwachter Vulkan in ihr gebrodelt. Frigga hielt überrascht inne, eine Hand noch auf dem Polster, von welchem sie sich eben erhoben hatte. Ihre Finger strichen in einer gedankenverlorenen Geste über den dunkelroten Stoff, während sich ihre Mundwinkel um nur ein winziges Stückchen in die Höhe erhoben. »Er lebt. Und es geht ihm besser.« beantwortete die Königin ihre Frage nach einer kleinen Weile, in welcher ihr Blick Gwens gefangen hatte. Sie fühlte sich Frigga in jenem Augenblick verbunden durch die Sorge um den gleichen Mann. Gwen atmete befreit aus und neigte den Kopf vor der Asin, als Dankbarkeit und Erleichterung sie durchströmten. Sie konnte gar nicht beschreiben, was in jenem Moment in ihr stattfand; war so unendlich froh darüber, dass Loki offensichtlich nicht ernsthaft verletzt wurde und er noch am Leben war. Somit hatte sie die verschwindend kleine Chance, dass sie ihn noch einmal sehen könnte - um ihm für alles zu danken. »Danke.« wisperte Gwen und erntete dafür von der Königin ein wohlwollendes Nicken, bevor die Wächter sie schließlich aus dem Raum führten und die Tür hinter ihr schlossen. Odin schälte sich mit mühsamen Bewegungen aus seiner Rüstung, die ihm über die vielen Jahre stets ein treuer Verbündeter und Schutz gewesen war - in Kämpfen, Kriegen oder zäh dahintröpfelnden Stunden zwischen Verhandlungen, Streitgesprächen und Kundgebungen zum Wohle Asgards. Nun allerdings spürte er immer öfter das Alter in seine Knochen kriechen und die kunstvollen Metallplatten waren immer schwerer zu tragen; beinahe so, als würde selbst seine Rüstung dem Ende seiner Herrschaft entgegen sehen - nur hatte das Metall sich mit dem Abschluss jener Ära bereits abgefunden. Odin dagegen nicht. Er konnte seinen Thron noch nicht räumen; Asgard noch nicht den Jüngeren und Stärkeren überlassen. Thor war noch immer nicht völlig bereit für die Herrschaft - ein Hitzkopf, ehrlich und mutig, aber viel zu oft noch unüberlegt. Er musste noch so viel lernen… Vielleicht redete sich Odin das aber auch nur selbst ein, um den unvermeidbaren Moment hinauszuzögern, damit er seinen Sohn so gut wie möglich auf eine Aufgabe vorbereiten konnte, für die es am Ende nie eine Vorbereitung geben würde. Keine Lehrbücher. Keine Richtlinien. Keinen Leitfaden. Der Thron war eine Bürde und man konnte nur mit und durch ihn wachsen; indem man Entscheidungen traf - die Richtigen wie die Falschen. Und Loki…ja, Loki hätte an der Seite Thors stehen sollen, um ihn mit Rat und Tat zu unterstützen; ein wacher, kluger Geist, der unablässig für die Herrschaft war. Er wäre der perfekte Berater und seinem Erstgeborenen in schweren Zeiten eine wertvolle Stütze gewesen - Thor, die treibende Kraft, der Hammer und das Schwert, um Feinde zu bezwingen; Loki, der nachsinnende Geist, Schild und Rüstung, um das Volk durch schlaues Geschick und Verstand zu beschützen. Allerdings hatte sich sein zweiter Sohn lieber dazu entschlossen, dem Wahnsinn und seiner Selbstsucht zu frönen. Loki war schon längst keine Option mehr, die Odin ernsthaft in Betracht ziehen konnte. Eine Schande…wahrlich eine Schande. Der Allvater wusste, dass er alt wurde. Dieser Angriff der letzten Nacht hatte es ihm wieder deutlich vor Augen geführt; er fühlte sich müde, ausgelaugt und wünschte sich in einigen, verstohlenen Augenblicken nichts sehnlicher, als seinen Speer und seinen Thron abzugeben, um sich in den Odin-schlaf sinken zu lassen. Keine Entscheidungen mehr. Keine Kämpfe. Keine Verpflichtungen. Vertraute, schlanke Arme schlossen sich von hinten um seine Brust und sanfte Hände halfen ihm mit dem Lösen der ledernen Bindungen seines Brustpanzers. Dankbar überließ Odin seiner Frau diese Aufgabe, der die eigenen, kraftlosen Finger heute nicht Herr geworden waren. »Du solltest dich ein wenig ausruhen. Die Nacht war lang und unser Volk braucht einen wachen, ausgeruhten König, der sie schützt.« sprach die Königin leise und liebevoll auf ihn ein, während sie die einzelnen Teile seiner Rüstung sorgfältig auf das dafür vorgesehene Polster auf einem Tisch neben ihnen ablegte. Nun kümmerte sie sich um seine Armschienen und sah ihn dabei mit ihren klugen Augen mahnend an. Odin seufzte schwer. »Unsere Feinde schlafen vielleicht auch nicht. Und wir tappen völlig im Dunkel, was diese Wesen angeht. Was ist, wenn wir wieder angegriffen werden? Was ist, wenn ich vorher nichts herausgefunden habe, was uns hilfreich-« Die Königin unterbrach ihn, indem sie ihrem Mann eine warme Hand auf die Wange legte und seinen Blick ihr zuwandte. »Heimdall ist auf seinem Posten. Thor mit seinen Gefährten unterwegs. Die Grenzposten des Reiches wurden verstärkt, die Wachen zu besonderer Aufmerksamkeit angehalten und die Aufräumarbeiten laufen bereits. Im Moment gibt es nichts, was du tun könntest, um einen weiteren Angriff zu verhindern. Wenn das Schicksal es will, dann wird er sowieso stattfinden. Doch zumindest solltest du dann ausgeschlafen sein.« Sie strich ihm sanft über die Wange und fuhr mit besorgter Miene über das getrocknete Blut auf seinem Gesicht. »Du musst endlich lernen, Verantwortung an andere abzugeben, Odin. Zumindest um ein Stück. Du kannst nicht immer überall sein. Vertraue jenen, die dich umgeben; vertraue deinen Söhnen und ich bin sicher, du würdest nicht enttäuscht werden…« Frigga zog ihre Hand langsam von seiner Haut und wandte sich ab, um die privaten Räume der Königsfamilie zu durchschreiten. In der Mitte des Zimmers war ein Tisch mit frischen Speisen beladen, doch keiner der beiden verspürte sonderlich viel Hunger nach der anstrengenden Nacht. Frigga goss sich einen Becher Wein ein und verdünnte diesen durch einen Schluck Wasser. Scheinbar gedankenverloren sah sie in die schimmernde Flüssigkeit, während der Schein der Morgensonne durch die Fenster fiel und ihre Gestalt in ein sanftes Licht hüllte. Odin betrachtete sie eine Weile versonnen und zärtlich; wurde erneut der Schönheit in ihren Zügen gewahr, sah die Intelligenz in ihren Augen, Stolz und Würde in ihrer Haltung. Doch darunter war auch ihre erhabene Gestalt getrübt von Schatten, gezeichnet von Sorge und beladen mit Kummer. Die Jahre hatten ihnen beiden zugesetzt und sie gekennzeichnet. »Du wirst es wohl nie müde, zu hoffen und an ihn zu glauben…« sprach der Allvater schließlich aus; anfangs als grollende Frage gedacht, formten sich seine Worte nun zum Ende als seufzende Gewissheit. Es war unnötig zu erwähnen, von wem er sprach. Frigga würde es wissen. Sie war wohl die Einzige, die noch immer an das Gute in Loki glauben konnte. Und sie würde es wohl auch noch tun, wenn alle anderen ihn schon längst aufgegeben hatten. Die Königin schloss kurz die Augen, bevor ein wehmütiges Lächeln um ihre Lippen spielte. Die Hände hatte sie um den Becher gelegt, welchen sie nun an ihre Lippen hob. Bevor sie jedoch einen Schluck nahm, sprach sie entschieden: »Nein. Niemals. Er ist mein Sohn.« »Du weißt, dass das nicht stimmt…« versuchte Odin sie sanft zu berichtigen, doch ihr warnender Blick ließ ihn verstummen. »Seitdem du ihn damals als Säugling in meine Arme gelegt hast, seitdem ist Loki mein Sohn. Versuche nicht mir dieses Gefühl abzusprechen, denn du würdest verlieren. Du hast diese Verbindung selbst heraufbeschworen, Odin, indem du ihn vertrauensvoll in meine Obhut gegeben hast.« zerschmetterte sie seine Worte mit felsenfester Entschlossenheit. Für eine Weile schwiegen sie beide wieder; Odin griff sich ein sauberes Tuch und begann sich das Blut und den Schmutz der Schlacht aus dem Gesicht zu waschen, während Frigga zu einem massiven, schweren Eichenholzschrank hinüber ging und aus diesem einige Kräuter und Tinkturen herausholte, um diese gewissenhaft auf einem Tablett aufzureihen. Sie würde später noch den Weg zu den Heilern suchen und jenen zur Hand gehen, um beim Versorgen der Verletzten zu helfen. Odin beobachtete sie dabei, während er das Tuch in seinen Händen langsam sinken ließ und sich selbst gegen den Tisch im Rücken lehnte. »Warum hast du mich nicht darüber aufgeklärt, dass die Sterbliche bereits vor dem Angriff den Weg in den Kerker gefunden hat? Heimdall hat dir Bericht erstattet, doch mich hat er darüber nicht in Kenntnis gesetzt. Warum kam mein Wächter mit dieser Auskunft zuerst zu dir und nicht zu mir, wie es das Gesetz verlangt, frage ich mich…?« sprach der Allvater den Rücken seiner Frau an und bemerkte das unmerkliche Stocken in ihren Bewegungen, bevor sie routiniert ihr Tun fortsetzte. »Heimdall hat wegen eines Wunsches meinerseits so gehandelt. Ihn trifft keine Schuld. Er hat die Frau nur beobachtet, da er in meinem Auftrag über Loki wachen und mich über besondere Vorkommnisse in Bezug auf meinen Sohn informieren sollte. Ich allerdings hatte nicht das Gefühl, dass sie in irgendeiner Weise eine Gefahr für Asgard darstellen könnte, daher habe ich es nicht für dringend notwendig erachtet, dich mit dieser Auskunft zu belasten.« Frigga schloss die Schranktüren wieder und trug dann das beladene Tablett hinüber zum Tisch. Ihr Kinn war stolz erhoben und ihre Züge durch kein schlechtes Gewissen gekennzeichnet. Sie begegnete seinem Blick offen und direkt. Odin allerdings widerstrebte das eigenmächtige Handeln seiner Königin sehr. Wie sollte er ein Reich regieren und sich auf irgendjemanden verlassen, wenn selbst seine engste Vertraute hinter seinem Rücken ihre eigenen Fäden zog? »Keine Gefahr für Asgard?! Wie würdest du es dann nennen, dass sie Loki einfach aus seiner Zelle befreien konnte?!« donnerte der Allvater und warf das Tuch mit einem wütenden Schnaufen neben die Wasserschüssel auf den Tisch. Frigga sah seinem Ausbruch ungerührt zu. »Deine Zuneigung für Loki trübt dein Urteilsvermögen. Deine Gefühle, Frigga, mögen dich in letzter Zeit vielleicht täuschen und daran hindern, die Dinge klar zu sehen.« »Wenigstens habe ich noch Gefühle, Odin!« warf sie ihm aufgebracht entgegen und setzte ihr Tablett mit einem lauten Scheppern auf dem Tisch ab. Der Allvater zuckte getroffen zusammen und fuhr sich in einer erschöpften, resignierten Geste mit der Hand über das Gesicht, bevor er die wenigen Schritte zu seiner Frau eilig nahm, um ihre zitternden Hände in seine zu betten. »Es tut mir leid. Lass uns nicht streiten, meine Liebste. Ich hätte dich heute fast verloren und das wäre gewiss mehr gewesen, als ich hätte ertragen können…« Er zog die Königin in seine Arme und drückte sie fest an sich; spürte ihren vertrauten Körper, roch den ihr eigenen Duft und erbebte in Ehrfurcht vor dem Wunder, dass sie noch am Leben war. Frigga schmiegte sich an ihn und seufzte leise. »Und wir wissen beide, wem ich mein Leben verdanke…« drang sie mit sanften Worten der Wahrheit in seinen verstockten Geist. Zu ihrer beider Überraschung sprach er keine abwehrende Entgegnung aus. Nach einer Weile löste sich Frigga aus seiner Umarmung und sah mit ernsten Augen zu ihm auf. »Odin, du wirst Loki brauchen…« begann sie bestimmt. Er seufzte nachsichtig. »Ich weiß, was du sagen wirst und unter anderen Umständen würde es mir als weise erscheinen…« Er wollte den Blick bereits abwenden; wollte der Rede entgehen, welche nur eine Mutter sprechen konnte, doch die Königin fasste sein Gesicht in ihre warmen Hände und hielt seinen Blick beharrlich auf ihren gerichtet, sodass er sie ansehen musste. »Du brauchst sein Wissen und seine Magie. Er ist gebildet und klug; er kann dir helfen, mehr über unsere Angreifer herauszufinden und über die Sterbliche, deren Geheimnis uns vielleicht helfen kann. Deine Gelehrten konnten ihm noch nie das Wasser reichen - das weißt du. Du kannst nicht Monate warten, bis du Ergebnisse sehen wirst. Du brauchst sofort Wissen und Unterstützung. Ich spüre, dass eine dunkle Bedrohung aufzieht - etwas, dem wir uns alle nicht entziehen können. Du wirst dich aller Waffen bedienen müssen, die dir zu Verfügung stehen.« »Und was schlägst du vor, Frigga? Soll ich Loki fröhlich und frei durch den Palast und durch Asgard spazieren lassen, auf das er genug Zeit hat, um einen Weg zu finden, wieder Unheil zu stiften?! Oder uns in den Rücken zu fallen?!« appellierte er beständig an ihren Verstand. Allerdings konnte er die Wahrheit und Weitsicht hinter ihren Worten nicht gänzlich leugnen; Loki konnte ihnen helfen. Er hatte bereits in jungen Jahren all die gelehrten Asgards in Wissen und Verstand überflügelt, ganz zu schweigen von seiner Begabung für die Magie. Wenn jemand die Rätsel lösen konnte, dann er. Doch man konnte ihm einfach nicht trauen. »Ich glaube nicht, dass er das tun würde. Er hat diese Sterbliche gerettet. Er hat Fandral und Volstagg geholfen. Er hat mich gerettet, Odin. Und er hätte das wahrlich nicht tun müssen. Er hätte fliehen können, als sich ihm die Gelegenheit geboten hat, doch er ist geblieben. Ich sehe noch Licht und ich weiß, dass nicht alle Hoffnung vergebens ist. Irgendetwas Gutes schlummert noch in ihm, nur müssen wir diesem Rest auch die Möglichkeit geben, sich zu offenbaren und zu entfalten. Er ist noch nicht gänzlich verloren.« versuchte ihn die Königin zu überzeugen. »Frigga, du weißt selbst, dass seine Motive und Beweggründe nie so offen und klar lagen, wie wir es meist dachten. Deine Hoffnung kann eine Illusion sein; geschickt gewoben und durchdacht von ihm, um genau diese Worte zwischen uns zu provozieren. Wer sagt uns denn, dass er diese Frau nicht aus ganz bestimmten Gründen gerettet hat? Oder dich? Vielleicht gehört das alles zu einem Plan, den er bereits in seinem Kopf ersonnen hatte. Genug Zeit hatte er ja wahrlich in den letzten zwei Jahren. Deine Hoffnung ist trügerisch.« hielt Odin entschlossen dagegen. »Was wäre ich für eine Mutter, wenn ich die Hoffnung aufgeben und aufhören würde, für meine Kinder zu beten?!« wisperte die Königin und senkte den Blick betroffen, da ihre Augen in einem verräterisch feuchten Schimmer glitzerten. Odin zog sie wieder in seine Arme und bettete das Kinn mit einem nachgiebigen Seufzen auf ihrem weichen Haar. »Ich werde über deinen Vorschlag nachdenken. Bete du dafür, dass das kein Fehler ist…« Andrew Preston eilte durch die Gänge Gladsheims und schielte im Laufen auf die schmale Armbanduhr, die ihn über die Zeit in Asgard und auf der Erde unterrichtete. Er hatte in aller Eile sein Team und einige der wichtigsten Gerätschaften zusammengepackt, um heute noch das Reich der Asen wieder zu verlassen. Zugegeben, es war ein recht kurzer Aufenthalt gewesen, doch Direktor Fury hatte ebenso wie Odin darauf bestanden, dass die Wissenschaftler auf die Erde zurückkehren sollten, nachdem dieser überraschende Angriff Asgard in der Nacht erschüttert hatte. S.H.I.E.L.D musste ebenfalls auf diese unbekannte Bedrohung reagieren und sich für eventuelle Übergriffe auf die Erde wappnen. Andrew hatte alle überlebenden Forscher nun endlich wieder zusammengesammelt, nachdem im Chaos der Nacht alles durcheinandergeraten war; viele der Wissenschaftler waren verstört geflohen und erst viel später in den Gassen der Stadt oder einem entlegenen Winkel des Palastes wieder aufgetaucht. Nun fehlte dem Agent nur noch eine Person; die Wichtigste überhaupt. Die rothaarige Geophysikerin mit dem außergewöhnlichen Blut. Direktor Fury war sehr gelegen daran, sie kennenzulernen und in die Obhut von S.H.I.E.L.D zu überführen und Andrew redete sich ein, dass er nur deshalb so hektisch durch die Gänge eilte, weil er den Auftrag seines Bosses unbedingt zu dessen Zufriedenheit ausführen wollte - und nicht etwa, weil er sich verdammt große Sorgen um die junge Frau machte, die seit dem Abend spurlos verschwunden war. Hätte er sie doch bloß nicht aus den Augen gelassen! Er bog um eine Ecke und erkannte vor sich die Königin der Asen, die in einer Gruppe schlicht gekleideter Frauen den Gang hinabging. Begleitete wurden die Frauen von einem Trupp der Palastwache. Andrew beeilte sich, zu der Gruppe aufzuschließen. »Eure Hoheit! Wartet!« rief er bereits mit Dringlichkeit, noch bevor er bei den Frauen ankam. Aus der Nähe erkannte er, dass alle einheitliche, zweckmäßige Kleidung trugen und Körbe bei sich hatten, in denen Fläschchen, Kräuter, Tiegel und Verbandszeug lagen. Sie waren wahrscheinlich auf dem Weg zur Krankenstation. Die Königin hatte sich umgewandt und sah ihm fragend entgegen, die Palastwache hatte bereits wachsam die Speere gezückt, doch Frigga bedeutete ihnen mit einer abwehrenden Geste, die Waffen wieder zu senken. Der Agent stoppte vor der Gruppe und sein Blick überflog die Reihen der Frauen unbemerkt, doch Mary-Ann Morris war nicht unter ihnen. »Eure Hoheit, meine Männer und die Gruppe der Wissenschaftler sind bereit zur Abreise, doch fehlt mir noch eine junge Frau der Delegation, die ich seit dem Abend nicht mehr sah. Sie ist unauffindbar und ich bin in Sorge, dass ihr etwas zugestoßen sein könnte. Ist sie womöglich bei euren Verletzten aufgetaucht?« wandte sich Andrew sogleich an die Königin, die im Laufe seiner Worte die Brauen zusammenzog und ihn auf abwägende Weise musterte. »Von welcher Frau sprecht Ihr denn?« begann sie dann nachzufragen. »Unsere Heiler versorgen eine Menge verletzter Frauen und Männer…« »Mary-Ann Morris.« beeilte sich der Agent zu antworten. »Eine junge Geophysikerin. Rote Haare, recht auffällig würde ich fast sagen…« Andrew sah Erkenntnis in den Augen der Königin aufblitzen, abermals musterte sie ihn, diesmal auf eine beinahe kritische Weise, als würde sie seine Motive in Frage stellen. »Ja, ich kenne die Frau. Ich habe sie gesehen.« Bevor der Agent allerdings Erleichterung verspüren konnte, wandte sich die Königin ab und machte sich daran, ihren Weg fortzusetzen. »Sie befindet sich bis auf weiteres in der Obhut Asgards.« »Äh…was?« Andrew musste sich verhört haben. Hastig überbrückte er die wenigen Schritte, um wieder an die Seite der Königin zu gelangen. Mit einem bestimmten, aber sanften Griff hielt er sie am Arm zurück. »Was soll das bedeuten?« Die Palastwache reagierte recht empfindlich auf die unerlaubte Berührung der Königin und die Männer rückten warnend näher, die Hände an den Waffen. Frigga war abermals stehen geblieben und seufzte leise, bevor sie den Agent wieder ansah. »Es bedeutet genau das - die junge Frau, nach der Ihr sucht, befindet sich bis auf weiteres in der Obhut Asgards. Sie ist ein Gast des Allvaters. Ihr werdet wohl ohne sie abreisen müssen…Mister Preston.« fügte sie nach einem knappen Blick auf seinen Ausweis hinzu, der am Jackett seines Anzuges angeheftet war. Andrew ließ die Königin allerdings noch immer nicht los. Skeptisch studierte er ihre Züge. Irgendetwas stimmte hier nicht… »Ist sie eine Gefangene?« fragte er alarmiert nach. »Die junge Frau hat in der Nacht einen Gefangenen aus dem Kerker befreit. Des Weiteren besitzt sie offensichtlich einige verborgene Fähigkeiten, deren Ursprung wir bisher nicht zweifelsfrei bestimmen können. Bis auf weiteres verbleibt sie unter der Aufsicht und dem Schutz des Allvaters.« erklärte ihm die Königin klar und entschieden, bevor sich ihr Blick beinahe warnend auf die Hand an ihrem Arm senkte. Der Agent zog seine Finger zurück. Das Gesagte musste er erst einmal verdauen… Was hatte Mary-Ann nur angestellt - einen Gefangenen aus dem Kerker entlassen?! Und die Asen mussten ebenfalls schon bemerkt haben, dass an ihr etwas besonders war. »Mary-Ann Morris ist ein Mensch und untersteht somit den Gesetzen Midgards und dem Befehl Direktor Furys. Über ihr Schicksal wird nach unserem Recht auf Midgard entschieden werden. Ich muss darauf bestehen, dass die Frau mit mir auf die Erde zurückkehrt. Dort wird man über sie urteilen und ihre Fähigkeiten studieren. Ihr habt nicht das Recht, sie hierzubehalten.« erklärte Andrew der Königin sachlich, aber mahnend. Direktor Fury wäre garantiert nicht erfreut über diesen Lauf der Dinge. Frigga zeigte ein hauchfeines, beinahe spöttisches Lächeln. »Ihr dürft Euren Vortrag gern dem Allvater noch einmal vorbringen. Ich bin sicher, dass er voller Freude Euren Ausführungen lauschen und gewiss alle Zeit der Welt für die Befindlichkeiten eines Abgesandten Midgards aufbringen wird, wo sein Reich doch eben erst überraschend angegriffen wurde…« Andrew musste schlucken und trat einen knappen Schritt zurück. Der scharfe Blick der Königin verwies ihn in seine Schranken. Sie hatte Recht - im Moment waren ihm die Hände gebunden. »Die Frau wird hierbleiben, Mister Preston. Sie befindet sich auf asischem Boden und untersteht damit auch dem asischen Recht. Der Allvater wird jetzt über ihr Schicksal entscheiden.« Die Königin gab ihrer Gruppe einen Wink weiterzugehen. Sie selbst wandte sich dem Agent noch einmal zu und trat an ihn heran; ihr Blick war sonderbar wissend und entschlossen. Sie beugte sich zu ihm heran, damit ihre folgenden Worte nur er hören würde. »Schlagt sie Euch aus dem Kopf. Sie ist nicht für Euch bestimmt.« wisperte die Königin beinahe einfühlsam, dann richtete sie sich auf und ging den anderen Frauen hinterher. Andrew Preston blieb verwirrt auf dem Gang zurück, während der Geschmack der Niederlage bitter auf seiner Zunge lag. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)