The Poetry of Light and Shadow von Ceydrael (Loki x OC) ================================================================================ Kapitel 22: Garm (zensiert) --------------------------- Jeder kannte sie - diese Tage, an denen man besser im Bett geblieben wäre. Jene Tage, die einfach nur so furchtbar schief liefen, dass man sich am Ende fragen musste, ob man eigentlich irgendwann einmal etwas getan hatte, um die Arschkarte des Schicksals zu verdienen… Gwen ahnte, dass dies heute so ein Tag für sie war, als sie die schweren Lider verkrampft anhob und durch milchige Schlieren in ihre Umgebung blinzelte, in der sie rein gar nichts erkennen konnte außer verschwommene Schemen und den fernen Schein von Feuer. Die Luft war stickig und unangenehm warm. Sie hätte heute früh wirklich mit Loki im Bett bleiben und definitiv mit ihm schlafen sollen, später irgendeine hirnlose Sitcom im Fernsehen gucken und dabei eine riesige Ladung Eis in sich stopfen können, nachdem der Magier sie wahrscheinlich am Abend sang- und klanglos verlassen hätte, um sich aus dem Staub zu machen. Zumindest hätte sie dann noch einmal Sex gehabt. Vor allem mit Loki, was einen großen Pluspunkt der Überlegung ausmachte. Und sie hätte niemals diesen Mist über sich erfahren. Oh - und ganz wichtig, sie wäre jetzt wahrscheinlich nicht in der Gewalt von fremdartigen Kreaturen, die definitiv nicht von dieser Welt waren. Es gab also Unmengen an Möglichkeiten, die sie an diesem Tag lieber genutzt und Dinge, die sie lieber getan hätte. Das Problem war - die Zeit konnte man nicht zurückdrehen. Falsche Entscheidungen blieben genau das, was sie waren - falsche Entscheidungen. Da half auch kein Bedauern. Was war eigentlich nochmal passiert…? Ihr Kopf fühlte sich so seltsam schwer an und hing kraftlos auf ihren Schultern; ihr Hirn schien aus einer zähen, trudelnden Masse zu bestehen, in der ihre Gedanken unsortiert und wahllos durch klebrige Fäden wanderten. Gwen erinnerte sich noch daran, dass sie Masons Hütte verlassen hatte, um frische Luft zu schnappen und den Kopf frei zu bekommen, da diese neue Eröffnung in Bezug auf ihre Herkunft sie ziemlich irritiert, geradezu entsetzt hatte. Asgard… Nie im Leben hätte sie damit gerechnet. Niemals daran gedacht, es auch nur in Betracht gezogen, dass sie womöglich gar nicht von der Erde kam… War sie wirklich ein Mensch, wie Loki noch behauptet hatte? Und wenn er sich irrte…was war sie dann? Woher kam sie wirklich? Wer hatte sie offenbar so dringend loswerden wollen, dass man sie kurz nach der Geburt sofort einsam und allein auf der Erde ausgesetzt hatte? Sie schob diese schmerzenden Gedanken von sich und versuchte sich wieder auf das Geschehene zu konzentrieren; sie war also hinaus in den Schnee getreten und hatte eigentlich nur zu Angel gehen wollen, als ein seltsames Geräusch sie aufmerksam gemacht hatte. Kurz darauf waren schon diese schlangenartigen Wesen urplötzlich aus dem Wald erschienen und hatten Gwen und die verbliebenen S.H.I.E.L.D Agents angegriffen; sie hatte noch versucht sich in den Pick-up zu retten, war jedoch zu langsam gewesen. Eine der Kreaturen hatte sie erwischt und in den Wald davongezerrt. Nun wusste sie weder, wo sie war, noch was die Wesen vorhatten, die Gwen jetzt in einiger Entfernung recht undeutlich ausmachen konnte. Neben sich hörte sie ein leises Stöhnen; unter größter Anstrengung wandte sie den Kopf und erblickte einen der Agents, der ebenso betäubt neben ihr an der Wand lehnte. Weitere Männer und Frauen konnte Gwen in einiger Entfernung erkennen, die wie leblose Marionetten auf dem Boden saßen; einige waren scheinbar bewusstlos, andere kämpften wie sie deutlich mit den Wirkungen ihres benebelten Geistes. Diese Kreaturen mussten ihnen irgendetwas gegeben haben, denn eine sichtbare Fesselung konnte Gwen bei keinem von ihnen entdecken; die Wesen mussten sich also sicher sein, dass sie nicht fliehen würden.  Ihre eigenen Hände lagen schwer und nutzlos in ihrem Schoß. Der Schein von Feuer drang noch immer zu ihren müden Augen heran; die Kreaturen hatten sich darum gescharrt und unterhielten sich offenbar, denn die zischelnden, hellen Laute ihrer Sprache erfüllten den dunklen, stickigen Raum. Es war unnatürlich warm, fast heiß und Gwen schluckte mehrmals, um Speichel in ihrer ausgetrockneten Mundhöhle zu produzieren. Das Atmen fiel schwer; der Mangel an Sauerstoff war dem flauen Gefühl in ihrem Magen und dem wattigen Empfinden in ihrem Kopf nicht sonderlich zuträglich. Kraftlos rutschte Gwen an der Wand hinab und fiel hart auf die Seite; ihre Hand schleifte verzweifelt über den staubigen Stein des Bodens, während sie versuchte sich zu orientieren und ihren Gliedern die Weisung zum bewegen zu geben. Doch ihr Körper wollte ihr nicht gehorchen, sondern lag in dem Griff einer schleichenden Lähmung. Sie blinzelte hektisch, um ihre Sicht zu klären und erkannte unweit von sich ein paar alte Fässer und gestapelte Holzkisten, auf denen Plaketten bekannter Alkoholhersteller prangten. Ein paar Meter weiter zogen sich Regal an den steinigen Wänden nach oben, gefüllt mit Vorratsdosen, Flaschen und eingeschweißten Lebensmitteln. Wo zum Teufel waren sie? Eigentlich war das auch unwichtig. Sie musste hier raus. Tränen der Niedergeschlagenheit und Anstrengung lösten sich aus ihren Augen und tropften heiß über ihre Wangen, gemischt mit ihrem Schweiß, der von den wenig erfolglosen Bemühungen herrührte, ihre nutzlosen Beine zu bewegen; ein verhaltenes Ächzen musste ihr entkommen sein, denn eine der Kreaturen wandte den Kopf und spreizte ihr Nackenschild erregt, als sie Gwens hoffnungslose Versuche zu fliehen bemerkte. Beinahe entspannt schlängelte das Wesen zu ihr herüber und nun im Schein des Feuers konnte Gwen das Gesicht der Kreatur erst richtig erkennen, da es im Wald zuvor einfach zu düster gewesen war. Entgegen ihrer Befürchtungen war das Wesen nicht abstoßend oder entstellt; es erinnerte entfernt an einen Menschen, wenngleich auch seine hageren, markanten Züge von komplizierten Mustern aus schimmernden Schuppen überzogen waren. Die Nase war flach und kaum vorhanden; das Einzige, was dem Gesamtbild eine etwas groteske Note verlieh. Die rötlichen Augen der Kreatur lagen leicht schräg im Schädel und besaßen geschlitzte Pupillen, wie man es von einer Schlange kannte; ihnen wohnte etwas unheimlich Hypnotisierendes und Fesselndes inne. Trotz ihrer Andersartigkeit haftete den Kreaturen eine seltsame, grazile Schönheit in den schlanken Gliedern und den kräftigen Schuppenschwänzen an, in denen ihre Körper endeten - Gwen erinnerten sie ein bisschen an die Naga der indischen Mythologie. Gemächlich ließ sich das Wesen neben ihr nieder und beäugte sie mit neugierig schräggelegtem Kopf, bevor die klauenartigen Finger beinahe liebevoll über ihre heiße Stirn strichen und ihr die wirren Haare aus dem Gesicht führten. »Du sssschon aufgewacht?« zischelte die Kreatur leise und Gwen meinte durch den tieferen Bariton ein männliches Wesen zu erkennen; die menschliche Sprache schien ihm Mühe zu bereiten, denn seine gespaltene Zunge stolperte über die ungewohnten Silben. »Du hübsssch. Haar wie Feuer…« »Bitte…« flüsterte Gwen erstickt, da das Kitzeln im Hals durch die Hitze furchtbar unangenehm war. »Was…habt ihr vor…was wollt ihr von uns?!« krächzte sie rau. »Wer…seid ihr…?« Noch immer versuchte sie entgegen ihrer Möglichkeiten von dem Wesen fortzukriechen, obwohl ihr Körper sich weiterhin widersetzte. Nutzlos kratzen ihre Nägel über den Boden. Alles um sie herum drehte sich; selbst das Gesicht des Wesens schien sich in einem Wirbel zu verzerren, als dieses gespannt auf sie herabblinzelte. Gwen fühlte Übelkeit in sich aufsteigen, während ihr träges Hirn noch zuzuordnen suchte, wo oben oder unten war. Der gesamte Raum schien keinen bekannten physikalischen Gesetzen mehr zu unterliegen. Gwen wollte einfach nur weg - für einen aberwitzig kurzen Moment kam ihr sogar der abstruse Gedanke, dass der Tod womöglich eine Erleichterung darstellen könnte. Erschöpfung übermannte sie und ließ die Hoffnungslosigkeit herein; ihr Herz wurde förmlich davon überschwemmt und drohte sie in einen dunklen, tiefen Sumpf zu reißen. Ihr Leben war zum reinsten Chaos geworden, der sich um sie drehende Raum zum Sinnbild ihrer eigenen Existenz - Gwen selbst wusste im Moment auch nicht mehr, wo oben oder unten war, woran sie noch glauben sollte und woran nicht. Sie fühlte sich losgelöst von ihren Wurzeln; abgetrennt von diesem Leben, was sie all die Jahre als das ihre erachtet hatte. Wer war sie? Wo gehörte sie hin? Am Rande ihrer vernebelten Gedanken dämmerte ihr, dass eine Substanz dieser Wesen durch ihre Blutbahn kreisen musste und ihre trübsinnigen Überlegungen begünstigte; durch den Schleier ihrer Tränen und das begrenzte Sichtfeld ihrer Augen erblickte sie zwei kreisrunde, rote Male an ihrem Handgelenk, nachdem sie dieses angestrengt vor ihre Nase gezogen hatte. »Was…ist das?!« flüsterte sie verwirrt. Das Wesen umfasste eben jenes Handgelenk nun mit seinen Klauen und hob es zu seinem Mund. »Gleich bessssssser…« säuselte es und zog die Lippen zurück, um zwei dolchartige Fangzähne in den Reihen seiner spitzen Zähne zu entblößen; Gwen riss die Augen auf und versuchte hektisch den Kopf zu schütteln, was allerdings wohl mehr in einem Zittern verkam. Kraftlos zog sie an ihrem Arm, um diesen dem Griff der Kreatur zu entreißen; eine lächerlich schwache Geste, die das Wesen kaum Anstrengung kostete. »Bitte…b-bitte…nicht…« stammelte Gwen verzweifelt, doch die Kreatur schlug ihre Zähne schon in ihr Handgelenk. Ein scharfer Schmerz durchzog ihre Haut, bevor eine betäubende Schwere in ihren Venen folgte, die sich langsam von ihrer Hand ihren Arm hinauf kämpfte. »Nein…« Gwen wimmerte ängstlich; die verlockende Dunkelheit einer Betäubung kletterte über ihre Schulter und kroch ihren Hals hinauf. Vergiftet…sie war vergiftet und völlig hilflos… »Sssschlaf…« säuselte das Wesen und drückte ihr den Zeigefinger auf die Stirn, um sie mühelos zurück auf den Boden zu zwingen. »Isssst noch nicht sssssoweit.« Dann ließ es ihre Hand los und richtete sich wieder auf, um sich zu seinen Artgenossen zu gesellen, die noch immer um das Feuer versammelt waren. Mit aller Kraft versuchte sich Gwen gegen die herannahende Finsternis zu wehren; schlimmer als entführt zu werden war nur die Tatsache, diesen Wesen vollkommen wehrlos und ohnmächtig ausgeliefert zu sein. Sie wollte nicht schlafen. Sie durfte nicht einschlafen! Verbissen hielt sie die schweren Augen auf, aus denen glasklare, heiße Tränen perlten; ihr gesamter Körper erschlaffte bereits wieder ohne ihren Willen und sank auf den kühlen Steinboden herab. Nicht einmal ihre Finger konnte Gwen nun noch bewegen, die still und blass vor ihrem Gesicht ruhten; nicht mal das Krümmen eines Knöchels gelang ihr mehr. Zum Schluss erreichte das Gift des Wesens ihr Hirn und schaltete ihre wachen und aktiven Gedanken ab; ihre Lider flatterten herunter und ihre Lippen verließ ein schmerzlicher Seufzer, ein letztes Wort, bevor sie in die warmen Arme eines allumfassenden Schlafes sank und ihr Verstand in traumlose Weiten abdriftete. »Loki…« hauchte Gwen ihre Hoffnung in verzweifelter Sehnsucht wie ein Leuchtsignal in die Dunkelheit, auf das es hoch und weit genug steigen würde, um den Magier zu erreichen, dem ihr letzter, innigster Gedanke galt. Der Prinz war alles, was ihr nun noch blieb. Ob er kommen würde, um sie zu retten? Ob er sie überhaupt finden konnte? Seine grünen Augen begleiteten sie in die Dunkelheit ihrer Betäubung… Loki sprintete dem Hund hastig durch den Wald hinterher; er sprang wie Angel über vom Schnee bedeckte Wurzeln und hohle Baumstämme, während sein Atem in der eisigen Luft vor seinen Lippen kondensierte und seinem raschen Lebenshauch eine Form gab. Donnernd hämmerte das Herz in seiner Brust, als er sich um den rissigen Stamm einer Tanne schwang und deren tief hängenden, schweren Zweigen auswich, von denen hinter ihm der Schnee platschte. Angel war oft nur eine dunkle Silhouette in der schneeweißen Umgebung; im fortschreitenden Dämmerlicht des Tages nichts anderes als ein weiterer grauer Punkt in einer überfroren Landschaft. Der Magier sah mehr die schillernde, orange Aura des Hundes, als das er dessen Gestalt im dichten Schneetreiben ausgemacht hätte. Die Flocken schlugen ihm wie scharfe Nadelstiche entgegen; obwohl ihm die Kälte nicht viel ausmachte, so spürte er sie doch auf seiner asischen Haut. Seine Hände waren bereits rau und kühl, das Leder seiner Rüstung klamm unter der Nässe und den eisigen Winden. Doch Verbissenheit und ein eisenharter Wille trieben den Magier unerbittlich weiter; um seine Stiefel stob der Schnee bei jedem stampfenden Schritt auf und Loki hob flüchtig eine Hand, um sich das feuchte Haar aus dem Sichtfeld zu wischen. Er machte einen Satz über einen verschneiten Graben und landete auf der anderen Seite mit einem leisen Ächzen in der Hocke; seine grünen Augen suchten die Umgebung nach der Aura Angels ab, während der Schnee um ihm leise und fast sanft wieder herabsank, nachdem dieser unter dem Aufprall seiner schweren Stiefel in die Höhe gewirbelt wurden war. Die weiße Pracht umgab den Magier wie ein zauberhafter Kokon; Eis war sein Verbündeter und er nutzte die fallenden Flocken, um jene in einem magischen Strudel um sich zu formieren, sodass seine Gestalt und seine Aura vor ungebetenen Augen abgeschirmt wurde. Angel drückte in einiger Entfernung die Schnauze in den Schnee und stieß dann ein fast triumphales Heulen aus, als er die Fährte der Sterblichen offenbar wieder aufgenommen hatte. Der Magier musste dem Schicksal wirklich für die Anwesenheit des Hundes danken, denn wegen des dichten Schneefalles waren die verwischten Spuren auf dem Waldboden längst verschwunden. Er hätte sich zwar auf seine magischen Sinne verlassen können, doch die feine Nase eines Hundes konnten jene nicht ersetzen. Gwendolyn… Loki musste sie finden. Jede Minute, die sie außerhalb seiner Reichweite verweilte, war eine äußerst riskante Minute - Garm konnte ihre Fährte nun uneingeschränkt wieder aufnehmen und würde sie mit Gewissheit finden, wenn der Magier sie nicht vor dem Helhund aufspürte. Außerdem wollte er sich gar nicht so genau ausmalen, was Jörmungandrs Kinder mit ihr wohl anstellen würden. Jeder kannte die Legenden über die Brut der Midgardschlange; diese Geschichten wurden asischen Kindern genauso gern erzählt wie jene über die Eisriesen, die einen holen kamen, wenn man nicht schlafen wollte. Loki war für die Sterbliche verantwortlich. Er hatte ihr versprochen, dass er sie beschützen würde. Er hatte versagt… Mit einem heißeren Knurren ruckte sein Kopf herum und er entdeckte die S.H.I.E.L.D Agents, die ihm in einigem Abstand mühsam zu folgen versuchten; Andrew Preston an der Spitze, die Waffe gezogen flatterte sein Mantel hinter ihm im Wind wie die dunklen Flügel eines Raben. Der Sterbliche war genauso verbissen wie Loki und ließ sich nicht abschütteln; der Magier empfand fast so etwas wie Respekt, dass der Mensch es schaffte, mit seinem Tempo Schritt zu halten. Einen winzigen Augenblick gewährte er den Männern, um zumindest ein wenig zu dem Gott aufschließen zu können, dann drückte er sich in die Höhe und hastete durch die dichten Baumreihen weiter - Angel hinterher, der bereits mit großen Sätzen durch das Unterholz sprintete und der Fährte folgte. Es war mehr als die bloße Verantwortung für die Menschenfrau, die ihn antrieb, dass erkannte Loki nun ohne Mühe; zwischen ihnen bestand inzwischen eine tiefere Verbindung, die der Magier gern behüten wollte. Er machte sich ernsthaft Sorgen um Gwen, nicht nur um seine missglückte Mission, die Sterbliche in Sicherheit zu hüllen. Seine Hände ballten sich unbewusst zu Fäusten. Er würde sie finden. Er würde nicht versagen; weder vor dem Allvater, noch vor der Menschenfrau und schon gar nicht vor sich selbst. Er würde nicht scheitern, weil er nicht scheitern durfte. Er wollte Gwendolyn nicht missen. Loki konnte sie einfach nicht verlieren, da sie zum ersten Mal in seinem Leben etwas darstellte, was nur für ihn da war; sie war zu besonders, als das er auf ihre Nähe verzichtet hätte. Angel stoppte in einiger Entfernung an einer steil abfallenden Böschung und blickte zu dem Magier zurück, als wolle er sich versichern, dass dieser noch immer folgte. Loki schloss rasch zu dem Hund auf und bremste seinen Lauf am mächtigen Stamm einer alten Kiefer, deren tiefhängende, schneebedeckte Äste sie vor Blicken hier oben beschützten. Der Hang fiel vor ihnen zur Straße hin ab, die der Magier als jene erkannte, die er vor gar nicht allzu langer Zeit erst mit Gwendolyn genommen hatte. Auf der gegenüberliegenden Seite erhob sich ein flaches Gebäude im Schnee, vor dem einige Lastwagen, Autos und Motorräder geparkt waren; auch dieses identifizierte Loki als jenes aus seiner Erinnerung. Nur waren die Menschen davor jetzt verschwunden und das einzige Leben stellten die blinkenden Reklametafeln dar, die für „Bed&Breakfast“ warben. Die Fahrzeuge wirkten teils recht lädiert; einige Motorhauben waren eingedrückt, Windschutzscheiben und Planen der Lastwagen von Schüssen durchsiebt. Die momentane Ruhe entsprang offensichtlich also keiner natürlichen Ursache. Er hätte gleich darauf kommen können. Loki rieb sich mit einem schweren, ärgerlichen Seufzen über die tief gefurchte Stirn, während sich Angel an sein Bein schmiegte. Hinter ihnen wurden weitere Schritte laut, als die Agents keuchend bei ihnen ankamen. Andrew Preston lehnte sich neben Loki an den Stamm des Baumes und ließ den Kopf zurücksinken, um einen Augenblick zu verschnaufen, bevor er das Gebäude auf der gegenüberliegenden Straßenseite ebenfalls in Augenschein nahm. Schnee hatte sich auf dem dunklen Stoff seines Mantels niedergelegt, klebte ihm auch in den braunen Haaren, doch schien der Mensch ebenso wenig empfänglich für die Kälte zu sein wie Loki; zumindest ließ er sich körperliches Unwohlsein nicht anmerken. »Sind sie da drin?« Der Agent deutete mit der Mündung seiner Waffe auf den Flachbau, während er sich selbst im Schatten der Kiefer verborgen hielt. Seine blauen Augen waren wachsam, allerdings auch äußerst argwöhnisch über die momentane Entwicklung; sein Unbehagen Loki gegenüber war dem Mann deutlich anzusehen, doch verfolgten sie beide das gleiche Ziel - das schien dem Sterbliche einmal mehr wenig zu schmecken. Auch die restlichen Agents behielten den Magier unablässig im Blick, obwohl er in diesem Fall nicht der Feind war; allerdings schienen die Menschen oft nach dem Sprichwort „Vorsicht ist besser als Nachsicht“ zu leben. Sie würden ihm niemals trauen - und wahrscheinlich taten sie ganz gut daran. »Offensichtlich…« gab der Magier knapp zurück und ging neben Angel in die Hocke, um bessere Sicht auf das Gebäude zu haben. Die Fenster waren dunkel und nichts schien sich im Inneren zu regen. »Es wäre nur logisch.« »Logisch?« Andrew hob eine Braue. »Inwiefern?« Er gab ein paar seiner verbliebenen Männer knappe Handzeichen, damit diese sich verteilen sollten, um sich dem Flachbau von mehreren Seiten nähern zu können. Die Agents verschwanden durch den knirschenden Schnee langsam den Abhang hinab. »Sie müssen sich aufwärmen, wie Schlangen das eben tun…« raunte Loki leise und strich dem Hund neben sich beruhigend durch das dichte Fell, da das Tier angespannt zitterte und in der Kehle grollte. Die Fährte war noch frisch und Angel musste die Angreifer über die Entfernung deutlich wittern. »Die Kinder der Midgardschlange sind exotherm wie alle Reptilien. In dieser Kälte zu jagen hat sie sicher ziemlich viel Kraft gekostet. Sie werden sich mit ihrer Beute zurückgezogen haben, um ihre Energiereserven aufzutanken, was ziemliches Glück für uns ist, da es uns Zeit verschafft.« Der Magier erhob sich wieder und sah die Straße hinauf und hinab; um eine der unteren Biegungen verschwand gerade ein langsamer Wagen, dessen Scheinwerfer wie bleiche Geisterfinger durch das Dämmerlicht des Tages glitten, bevor es wieder vollkommen ruhig wurde bis auf das Säuseln des Windes und das Rauschen in den oberen Baumwipfeln. Loki wollte sich eben daranmachen, den Abhang hinabzustürmen, als Andrew ihn am Arm zurückhielt. Der Magier riss den Kopf herum und funkelte den Agent aufgebracht an, der seinen Arm jedoch nicht losließ. Entschieden begegnete dessen Blick dem des Gottes. »Wir können nicht einfach so dort reinstürmen. Wir wissen nicht, wie viele von den Dingern noch da drinnen sind und wir sind gerade mal eine Handvoll Männer. Wir brauchen Unterstützung.« sprach Andrew eindringlich und Loki bemerkte das Mobiltelefon in seiner Hand. Er machte sich aus Andrews Griff los und sah geringschätzig auf den Sterblichen hinab. »Ihr könnt ja gern hier auf Eure Unterstützung warten. Ich für meinen Teil werde jetzt Gwendolyn Lewis retten.« zischte er tödlich entschlossen. Der Agent fuhr den Magier aufgebracht an. »Du unterliegst jetzt meiner Befehlsgewalt-« Loki unterbrach ihn mit einer unwirschen Handbewegung und beugte sich drohend näher zu dem Mann, der allerdings nicht zurückwich, sondern das Kinn eigenwillig reckte. »Falsch, Mister Preston. Ich unterstehe nur mir selbst. Und wenn Euch etwas an Euren Männern liegen sollte, dann sage ich Euch, dass wir jetzt dort hineingehen, bevor es zu spät ist…« raunte der Magier unheilvoll. Die blauen Augen des Agents zogen sich argwöhnisch zusammen, dann schweifte sein Blick hinüber zu dem flachen Gebäude. »Was willst du damit andeuten…?« hinterfragte er vorsichtig. Loki holte tief Luft und rollte die Augen nach oben über das Unverständnis der Menschen; deren beschränktes Wissen war manches Mal recht nervenaufreibend. Vor allem in dieser Situation, wo sie mehr als alles andere keine Zeit verschwenden durften. »Habt Ihr Euch nicht gefragt, warum die Wesen recht entfernt an Mensch erinnern? Jörmungandr zeugt ihre Nachkommen nicht auf natürlichem Wege. Ihre Brut nutzt die Risse zwischen den Welten, um sich neue Nahrung für ihren Fortbestand zu sichern. Darum haben sie Eure Männer auch nicht getötet, sondern nur entführt. Die Stärksten und Kräftigsten werden ausgewählt, um mit den Kriegern und Kriegerinnen dieser Rasse Jörmungandrs Nachkommen zu zeugen. Dafür benötigt es allerdings ein Ritual, in welchem die Auserwählten das Gift der Midgardschlange injiziert bekommen. Wer das überlebt, besitzt die zweifelhafte Ehre als Samenspender oder Brutkasten herzuhalten. Wer nicht, nun, fressen müssen sie auch. Sicher ist nur, dass man sehr selten je wieder etwas von jenen gehört oder gesehen hat, die von Jörmungandrs Brut entführt wurden…« grollte er unwirsch. Der Agent war sichtlich erbleicht und Loki konnte es hinter seiner Stirn förmlich angestrengt arbeiten sehen. Dann schluckte er und hob die Hand zu seinem Headset. »Wir werden jetzt zugreifen. Keine Zeit, um auf Verstärkung zu warten.« wies er befehlend in die Apparatur an und kurz darauf lösten sich die Agents aus dem Schutz der Bäume und liefen geduckt über die Straße zu dem Gebäude hinüber. Die restlich verbliebenen Männer hasteten jetzt mit Loki und Andrew den Hang hinab und überquerten rasch die Straße. Angel blieb beharrlich an der Seite des Magiers und sprintete wie ein weißer Schatten nahe bei ihm durch den Schnee. Neben der Eingangstür des Gebäudes drückten sich der Magier und Andrew gegen die Wand; der Agent mit der Waffe im Anschlag, während Loki das Zepter des Tesserakts durch ein Wirbeln der Magie in seinen Fingern erscheinen ließ. Mit einem Ruck entfaltete sich die Waffe zum Speer. Ein knackendes Rauschen ertönte, bevor eine leicht verzerrte Stimme aus Andrews Headset verkündete: »Die Rückseite ist sicher, Sir. Drinnen sind auch keine Aktivitäten zu vermelden. Scheint alles ruhig und verlassen zu sein.« »Roger. Wir gehen jetzt rein.« meldete der Agent zurück, bevor er Loki knapp zunickte und seine Waffe durchlud. Der Magier stieß die Eingangstür mit der Schulter aus den Angeln, sodass diese im hohen Bogen in den Innenraum flog und krachend dort im Halbdunkel liegen blieb. Ohne Zögern trat Loki mit Angel an seiner Seite in das Gebäude ein, gefolgt von Andrew und zwei weiteren Männern, die ihre Waffen hektisch auf jede Ecke richteten. Das allerdings war völlig unnütz, da sich der Raum vor ihnen verlassen und still öffnete. Tische und Stühle lagen umgekippt, als wären die Menschen hier rasend schnell aufgebrochen oder vor etwas geflohen; zerbrochene Gläser und Teller waren auf dem Boden verteilt, hier und da tropfte leise Flüssigkeit von der hölzernen Theke, hinter der die Regale mit zersplitterten Falschen gefüllt waren. Auf einem intakten Tisch rauchte eine einsame Zigarette noch aus dem Aschenbecher. Der Angriff konnte nicht lange her sein. Quietschend schwankten ein paar Lampenschirme im hereinstürmenden Wind, welcher Schneeflocken und Kälte mit sich trieb; Loki ließ sein Zepter langsam wieder sinken und trat ein paar weitere Schritte in den unnatürlich stillen Raum, während seine schweren Stiefel feuchte Spuren auf den Bodendielen hinterließen, die unter seinen Sohlen leise knarzten. Zwei von Andrews Männern kamen eben durch den Hintereingang herein und schüttelten sich den Schnee aus den Haaren. »Hinten ist alles sauber, Sir. In den Zimmern ist niemand. Auch nicht in der Küche.« »Wo sind sie?« wisperte Andrew angespannt in Lokis Rücken. Der Agent verteilte sich mit seinen Männern im Raum; zwei weitere Agents waren eben hereingekommen und positionierten sich neben der Tür. »Sind sie gar nicht hier…?« wagte er argwöhnisch zu hinterfragen; Loki konnte den bohrenden Blick des Menschen beinahe zwischen den Schulterblättern spüren. »Sie sind hier…« gab er überzeugt von sich und sah zu dem Hund neben sich hinab; der Blick aus grünen Augen begegnete jenen eisblauen Angels. Der Magier verband seine magischen Sinne flüchtig mit denen des Tieres und gab ihm die mentale Anweisung, die Suche fortzusetzen. Sofort senkte der Hund die Nase auf den Boden und durchforstete den Raum gewissenhaft. Hinter der Theke der Bar verschwand er und gab ein aufrüttelndes Winseln von sich; Loki eilte zu Angel hinüber, der eine Luke auf dem Boden entdeckt hatte und diese nun beharrlich mit den Pfoten bearbeitete. Dumpf kratzten die Krallen des Tieres über die Bretter. »Gut gemacht…« lobte er den Hund flüchtig, bevor er sich dem Agent hinter sich zuwandte. »Ich hoffe, Ihr seid bereit, Mister Preston?« fragte er Andrew mit süffisant gehobener Braue. Dieser warf der Bodenluke einen skeptischen Blick zu und hob die Waffe entschlossen an. »Keine unüberlegten Handlungen, Loki. Wir müssen jetzt sorgfältig und vorsichtig vorgehen, wenn-« Eine blaue Entladung aus dem Zepter des Magiers zerstörte donnernd die Bretter der Luke; noch bevor sich der Rauch gelegt hatte und Andrew seinen Satz auch nur beenden konnte, sprang Loki mit einem spöttischen Grinsen als Abschied durch das entstandene Loch im Boden hinunter in die Tiefe. Er würde sich jetzt gewiss nicht die Zeit für die nutzlosen Reden des Menschen nehmen, ganz abgesehen davon, dass er eh besser im Missachten von Befehlen als deren befolgen war; er konnte Gwendolyn in der Dunkelheit unter sich spüren und würde keine weitere Sekunde auf die schwachsinnigen Pläne des Agents verschwenden. Sein lederner Mantel flatterte aufgeregt im Sprung und sank wie die sanften Flocken des Schnees um ihn herab, als der Gott mitten unter einer Versammlung von Jörmungandri landete. Seine Stiefel wirbelten Staub auf, während er seinen Fall geschmeidig abfing, indem er in die Knie ging; sein Kopf ruckte in die Höhe und zeigte den verblüfften Schlangenmenschen ein schmales Grinsen. »Guten Abend, alle miteinander…« säuselte der Magier unheilvoll. Die Wesen waren im ersten Augenblick vor ihm zurückgewichen, was wohl mehr der Überraschung galt, bevor sie nun ihre Nackenschilde erregt spreizten und dem Gott ein bedrohliches Zischen schenkten, die Körper kampfbereit angespannt. Loki erkannte einige der Kreaturen im Hintergrund, die bereits dabei waren, ein Portal an einer der Wände des Kellers zu öffnen, um ihre Beute wahrscheinlich nach Utgard - in die Welt zwischen den Reichen - zu entführen, um dort ihr Ritual abzuhalten. Eines der Wesen trug eine leblose, rothaarige Menschenfrau auf den Armen und wollte sich mit ihr offensichtlich als erstes aus dem Staub machen; das gefiel Loki ganz und gar nicht - seine Frau würde ihm niemand wegnehmen. Zu oft hatte er in seinem Leben den glorreichen Möglichkeiten einer Zukunft hinterhersehen müssen, doch damit war nun endgültig Schluss. Niemand würde ihm mehr das nehmen, was ihm gehörte. Seine Lippen verzogen sich zu dem verzerrten, diabolischem Abbild eines Grinsens, beschattet durch die Strähnen seines langen Haares, welches ihm wirr in das blasse Gesicht fiel. Ohne Vorwarnung sprang er mit einem wütenden Schrei auf und durchstieß die Brust des ersten Wesens mit der goldenen Spitze seines Speers; die Kreatur heulte schmerzerfüllt auf, woraufhin sich ihre Brüder und Schwestern auf den Magier stürzten. Es widerstrebte ihm, die Jörmungandri zu töten - am Ende waren sie nur ein Volk, was sich seinen Fortbestand sichern und an einer Existenz festhalten wollte. Es war die natürliche Ordnung der Welten; allerdings waren sie dem Magier in seinen Zielen in die Quere gekommen. Und er würde gewiss nicht dabei zusehen, wie sie Gwendolyn verschleppten - nur um sie ging es ihm, der Rest der Menschen war ihm egal. Loki duckte sich unter den ersten Schlägen der scharfen Klauen hinweg, bevor er einige der Wesen mit einem gezielten Schuss aus dem Zepter gegen die nächsten Regale schleuderte; scheppernd krachten die Kreaturen gegen das Holz, Dosen und Flaschen rollten klirrend über den Boden. Endlich schienen sich auch die Agents entschieden zu haben, am Kampf teilzunehmen; Andrew überwand die letzten Meter der Leiter mit einem Sprung und landete geduckt neben Loki, um diesem sofort eines der Schlangenwesen vom Rücken zu schießen, welches sich dort zischend festgeklammert hatte. »Sie wollen abhauen!« rief der Agent dem Gott unnötigerweise über die penetranten Kampfgeräusche zu, den inzwischen waren auch die restlichen S.H.I.E.L.D Agents im Keller angekommen. Andrew hatte offenbar die Kreaturen entdeckt, die sich in einer Ecke des Kellers versammelt hatten, um dort die Umrisse einer Pforte in den Stein zu kratzen. »Ach, was Ihr nicht sagt…?!« grollte der Magier zynisch und ging in die Hocke, während er das Zepter um sich schwang und eine Handvoll heranstürmender Kreaturen damit zurückwarf. Dann sprang er auf und durchstieß die tobende Meute der Wesen mit einem weiteren, gebündelten Energiestrahl aus seiner Waffe, den er zornig in die Reihen der Kreaturen abfeuerte. Wenn man nicht alles selbst machte… Ein kleiner Wink seiner Hand ließ unzählige Trugbilder seiner Gestalt zwischen den Schlangenwesen entstehen, die im ersten Moment verwirrt wirkten, bevor sie sich fauchend auf die Köder stürzten; Loki schob sich durch die kämpfende Menge aus Jörmungandrs Brut und den Männern von S.H.I.E.L.D entschlossen auf jenes Wesen zu, das gerade die Umrahmung der Pforte mit seinen Klauen an der Kellerwand beendet hatte. Der aufgemalte Durchlass schimmerte magisch auf und öffnete sich in einem hellen Tosen, welches einem für einen Augenblick die Sicht raubte, bevor die Wand ein sachtes Schimmern überzog, dahinter eine felsige Landschaft zu erahnen.   Die Kreatur mit Gwendolyn auf dem Arm näherte sich bereits schlängelnd dem Portal und wollte sich aus dem Staub machen; die Frau öffnete in diesem Augenblick benommen die Augen und schien den Gott zu spüren, denn ihre verklärten Pupillen fokussierten sich zielgerichtet auf Loki. Über die Schüsse und Schreie der Kreaturen hinweg konnte er es nicht hören, doch ihre Lippen formten definitiv zittrig und hoffungsvoll seinen Namen. Der Magier war für einen Wimpernschlag abgelenkt; genug Zeit, dass sich eines der Wesen an ihn herangestohlen hatte, um sich nun auf ihn zu werfen und die scharfen, spitzen Zähne in seine Schulter zu graben. Das Leder seiner Rüstung hielt zwar den größten Teil des Bisses ab, doch war die Wirkung von Jörmungandrs Gift stark genug, um ihn in die Knie sacken zu lassen. Unter einem wütenden Keuchen riss er den Arm nach oben und rammte der Kreatur den Ellenbogen gegen die Kehle, doch um kein Stück lockerte sich dessen Biss. Erst als der Magier seine Hand auf das Gesicht des Wesens drückte und einen Feuerzauber beschwor, der die Züge der Kreatur versenkte, ließ diese heulend von ihm ab. Mit Hilfe des Zepters stemmte sich Loki wieder in die Höhe und hielt sich die blutende Schulter, während er versuchte dem Gift in seinen Venen mit reiner Willenskraft Einhalt zu gebieten; dann schleuderte die blutige Hand schon einen gezielten Eisspeer gegen das Wesen, welches Gwendolyn entführen wollte. Um Haaresbreite nur verfehlte der Zauber sein Ziel und der eisige Speer bohrte sich knapp vor der Kehle der Kreatur in die Kellerwand. Der Kopf des Wesens ruckte herum und geschlitzte Pupillen fixierten sich zornig auf Loki, der das Schlangenwesen mit einem süffisanten Grinsen provozierte; dieses hatte nämlich augenblicklich alle Hände voll damit zu tun die Menschenfrau zu bändigen, die beim Anblick des Magiers zu ungeahnter Lebhaftigkeit erwacht war. »Loki?!« Ihre recht verzweifelte Stimme ließ ihn die blutigen Finger um den Griff seines Zepters verkrampfen und jenes auf das Wesen richten, welches sich plötzlich mit unmenschlicher Geschwindigkeit auf den magischen Durchlass zubewegte; offenbar wollte es die Kreatur auf keinen Kampf ankommen lassen und ihr Heil lieber in der Flucht suchen. Vor allem, da sich die Sterbliche nun mit aller Kraft gegen dessen Griff wehrte. Der Magier biss die Zähne gegen den Schmerz zusammen und hob den verletzten Arm, um die Spitze des Zepters auf den Rücken der fliehenden Kreatur zu richten; er ignorierte die beißenden Stiche in der Schulter, als ihn der Rückstoß der energetischen Entladung traf und taumeln ließ. Kurz wurde ihm Schwarz vor Augen, die er flüchtig mit der Hand bedeckte. Eine Schwäche, die zwei der Kreaturen ausnutzen, die nun von hinten gegen ihn sprangen und ihn zu Boden rissen; das Zepter rutschte ihm aus der Hand und schlitterte über den Boden davon. Die massigen Körper der Jörmungandri drückten ihn nieder und ließen ihm kaum Raum zum atmen; jedoch hörte er über deren wütendes Fauchen die Stimme der Sterblichen heraus, die erneut seinen Namen schrie. Loki streckte ruckartig die Hände aus und platzierte jene auf den Leibern der Schlangenwesen, dann entzog er jenen gezielt ihre Energien in einem tödlich roten Wirbel, der seine Fingerspitzen umgab und jene in das Fleisch der Kreaturen bohrte. Diese heulten entsetzt auf und versuchten sich von dem Griff des Magiers zu befreien, doch unter jedem Atemhauch seiner Berührung verloren sie ihr Leben, welches rasend schnell direkt in die Venen des Gottes strömte und dessen Augen beinahe bis zum Rand mit blutroter Macht anfüllte, sodass seine grünen Seelenspiegel fast hinter einem Schleier aus Mordgier verschwanden. Dieser Zauber des Lebensraubes war aus gutem Grund sündig, da er nur einen schmalen Grat zu jenem Verbot darstellte, kein Lebewesen je durch den Entzug seiner Energien zu töten. Doch Loki brauchte diese verbotene Macht jetzt…er musste Gwendolyn um jeden Preis retten. Er lud seine Macht am Leben der Kreaturen auf; kostete entschlossen von dieser verbotenen Frucht, unter welcher er den Verstand in Raserei und seine Fähigkeiten verlieren konnte - bevor er sich jedoch den letzten Lebensfunken der Wesen durch diesen direkten Entzug einverleibte und sie damit töten würde, stieß er die fahlen, schwachen Kreaturen zurück und sprang grollend auf die Füße. Die schwelende Macht in seinem Leib trieb das Gift der Jörmungandri aus seiner Wunde und begann diese bereits selbstständig zu heilen, während der Magier das Zepter zurück in seine Hand beschwor und sich dann mit einem durchaus blutgierig wütenden Schrei auf die Kreatur stürzte, welche die Sterbliche noch immer bedrängte, sie unter sich auf den Boden zwang und sich selbst durch den Treffer im Rücken nicht hatte aufhalten lassen. Die Finger des Magiers packten das Wesen im Nacken und wo er zuvor Energie in sich absorbiert hatte, stieß er sie nun in einem Schwall von brodelnder Macht wieder aus und verbrannte damit die Innereien des Wesens, aus dessen Augenhöhlen nun Flammen züngelten, die flachen Löcher der Nase angefüllt mit Rauch. Loki schleuderte die tote Kreatur fast angewidert von sich - einen Augenblick entsetzt von der eigenen Brutalität; davon, wie weit er noch immer zu gehen bereit war, um das zu bekommen, was er wollte - und blickte dann schwer atmend auf die Sterbliche herab, die mit großen Augen an die Wand gepresst saß und seinem Blick zaghaft standhielt. Am Anfang hatte Gwen nur auf einen guten Traum gehofft; auf eine alberne Illusion, die ihr die überspannten Nerven und der benebelte Geist vorgegaukelt hatten. Sie hatte den Prinzen gehört, seine Nähe gespürt…doch das konnte nicht sein? Oder etwa doch…? Unter Aufbietung all ihrer Kräfte hatte sie sich gegen die Benommenheit ihrer Glieder gewährt und durch die Schleier ihrer müden Augen tatsächlich den Magier entdeckt, welcher sich im Schein der Flammen durch die Reihen der Kreaturen gekämpft hatte. Ihre Wahrnehmung hatte ihr tatsächlich keinen Streich gespielt; er war wirklich hier. Er war gekommen, obwohl sie in den Tiefen ihrer dunklen und trägen Bewusstlosigkeit kaum wirklich darauf zu hoffen gewagt hatte, immerhin konnte er doch nicht immer da sein, wenn sie in der Klemme steckte… Allerdings war Loki offenbar durchaus entschlossen, dieses ungeschriebene Gesetz für sich abzuändern; wo andere Männer wahrscheinlich schon längst den Mut und die Entschlossenheit verloren hätten, wurde der Gott es offenbar nie müde, ihr hinterherzujagen, die zu suchen, zu finden, zu retten, zu beschützen… Ihr unsichtbares Band zwang sie förmlich dazu; ließ sie nicht los, hielt sie beieinander in jedem Chaos, in jedem Sturm, in jeder Situation - der Magier war einfach zu einem Teil ihrer selbst geworden, ein unauslöschlicher Teil ihres Wesens, ohne den ihr Leben grau und wertlos erschien. »Loki?!« Gwens Lippen hatten beinahe ohne ihr Zutun ihre Sehnsucht und Hoffnung in seinem Namen geformt; er musste sie gehört haben, denn die Entschlossenheit in seinen grünen Augen war unverkennbar am Lodern, selbst als er von einer der Kreaturen niedergerissen wurde, die ihre Zähne in seiner Schulter versenkte. Gwens Herz hatte bei diesem Anblick erschrocken ausgesetzt. »Nein…!« hatte sie bestürzt gehaucht, bevor sie sich mit all ihrer verbliebenen Kraft gegen den Griff des Wesens gewehrt hatte, welches sie auf dieses seltsam schimmernde Portal an der Wand zugetragen hatte. Die Nähe des Prinzen hatte in ihr eine Kraft aktiviert; eine Verbissenheit, die sie selbst kaum kannte - seine bloße Anwesenheit machte sie entschlossen und hatte ihren Willen gestärkt. Sie durfte nicht durch dieses Portal verschwinden - ihr Instinkt hatte sie kreischend vor dieser Möglichkeit gewarnt und ihr Verstand sie mit dem Gedanken geängstigt, dass Loki dann wieder unerreichbar für sie werden würde. Sie wollte zu ihm… Und nun stand er hier über sie gebeugt, die dunklen Haare wirr und feucht vom Schnee hingen sie wild und ungebändigt in seine bleichen Züge; genauso wild und ungebändigt, wie der Magier in diesem Moment erschien. Seine grünen Augen loderten förmlich in den Höhlen, durchzogen von blutigen Schleiern, die bedrohlich aus seinen Augenwinkeln schwelten. Selbst aus dem schmalen Spalt seiner Lippen kräuselten sich hauchfeine, blutrote Fäden dieser dunstigen Macht, die ihn nun wie ein Kokon umgab und seinen Poren entfloh wie die frühe Feuchtigkeit einer Wiese unter der Morgensonne. Gwen war nur ein Mensch und doch konnte selbst sie die unglaubliche Präsenz und Energie fühlen, die den Magier umgab, durch seine Aura glitt und mit der seine Hände spielten, als diese einer Schlange gleich wabernd durch seine Finger strich. Niemals zuvor hatte er mehr diesem Dämon geähnelt, den alle immer in ihm sehen wollten und doch verspürte Gwen noch immer keine Furcht vor ihm - allein Angst um seinen Geist und seine Berufung als Magier, denn sie erinnerte sich erschreckend genau an seine Erzählung über das Naturell der Magie und auch an das Verbot des Lebensentzuges bis zum Tod. Loki hatte wieder einmal einen heiklen Tanz auf einem hauchdünnen Pfad vollführt; nie fehlte viel, um ihn erneut stürzen zu lassen… Sie hatte gesehen, was er getan hatte; wie er den beiden Schlangenwesen die Lebensenergie entzogen und ihren Angreifer getötet hatte und sie ahnte um die Gefahr der Magiesucht, deshalb erhob sie sich nun auf ihren zittrigen Beinen langsam an der Wand, bevor sie eine Hand fast flehend zu dem Magier ausstreckte. »Loki…?!« wisperte sie zaghaft in der Hoffnung, dass dies wirklich noch der Prinz war, der dort vor ihr stand. Die letzten der lebenden Wesen verschwanden nun flink durch das Portal und ließen ihre Beute wohlwissend zurück, da die S.H.I.E.L.D Agents die Oberhand gewonnen hatten; die Männer knieten nun neben den gefangenen Agents und den Männern und Frauen der Bar nieder, die noch immer größtenteils ohne Bewusstsein schienen, während sich der Durchlass im Stein hinter der letzten Kreatur mit einem Flackern schloss. Loki zögerte nicht, sondern ergriff Gwens Hand und zog sie an seine Brust; sie federte diesen Schwung nicht mit den Händen ab, sondern schlang die Arme erleichtert um den Körper des Prinzen. Ein leises Summen ließ vermuten, dass das Zepter aus seinen Händen wieder verschwunden war - bestätigt wurde das, indem sich nun beide Arme des Magiers um Gwen schlangen und diese an sich drückten. Ihr Herz raste noch immer, da das Adrenalin nur langsam aus ihrer Blutbahn wich; sie schloss die Augen und lauschte Lokis Atem, dem Heben seiner Brust, auf der ihr Kopf ruhte, während ihre Finger sich sehnsüchtig in das Leder seiner Rüstung krallten. Langsam wurden Leder und Lokis ganz eigener Duft zu etwas unheimlich vertrautem wie das Parfüm ihrer Mutter; ein Duft, der immer Sicherheit und Geborgenheit versprechen würde. »Du hast dir ganz schön Zeit gelassen…« wies sie ihn in gespieltem Ernst zurecht, um die Ängste der letzten Minuten zu überdecken und das klägliche Zittern ihres Körpers. Ein seichtes Lachen ließ seine Brust beben. »Und ich dachte immer, das Warten erhöht die Vorfreude…« erwiderte er gewitzt, doch seine bebenden Finger in ihrem Haar straften seine lockere Art Lügen; er war ebenso angespannt gewesen, nun ebenso erleichtert. »Alles in Ordnung…?« verlangte der Prinz rau und befehlend zu wissen; er löste sich ein Stück von Gwen, um forschend auf sie herabzusehen. Das Grün seiner Augen hatte sein Reich beinahe wieder zurückerobert und das verzehrende Rot des Lebensraubs zurückgedrängt. Seine Finger strichen ihr die Haare aus dem Gesicht, suchten offenbar nach Verletzungen; nahmen die Tränen dabei mit sich, die sie unbemerkt und befreit vergossen hatte. »Ja, alles in Ordnung…« versicherte sie kraftlos. »Ich fühl mich nur ein wenig…ein wenig…« Obwohl sie sich krampfhaft dagegen wehrte, knickten ihr die Beine weg, doch Lokis Arme fingen sie schon in sicherem Halt. »…schwach…« nuschelte sie entschuldigend. In ihrem Kopf schien immer noch nicht alles an seinem rechten Platz zu sein und der Boden befand sich definitiv nicht immer unter ihren Füßen… Der Magier schob ihr einen Arm unter die Beine und hob sie so an seine Brust, was Gwen verschämte Röte in die Wangen trieb. Wieder einmal war sie so schwach, dass er sie tragen musste - ob das jemals aufhören würde? Ob sie eigentlich wollte, dass dies jemals aufhörte? Haltsuchend schlang sie die Arme um seinen Hals und genoss die Wärme seines Körpers, welche die Schrecken der letzten Stunden beharrlich vertrieb. »Das sind die Reste von Jörmungandrs Gift…« erklärte er ihr in einem knappen, heiseren Raunen; Gwens Blick fiel auf die Wunde an seiner Schulter und sofort war sie beschämt, deutet ihm, er solle sie wieder herunter lassen und wollte sich aus seinen Armen winden. »Loki, du bist verwundet…lass mich runter…ich will dir nicht zur Last fallen…« Besorgt sah sie ihn an und strich vorsichtig über das zerfetzte Leder seiner Rüstung. »Du hast sicher Schmerzen…« Der Magier zeigte nur ein schmales Grinsen und hielt sie bestimmt fest. »Meinst du nicht, es bedarf ein wenig mehr, um einen Gott zu bezwingen…!?« wisperte er süffisant, bevor er sie schon zu sich heranzog und seine Lippen unerwartet auf ihre drückte. Seine Zungenspitze stieß vor und öffnete sich den Durchlass zu ihrem Mund, während Gwen noch überrascht nach Luft schnappte, bevor sie augenblicklich das Denken abstellte, als seine Zunge auf ihre traf und diese begehrlich umschlang. Sehnsüchtig drückte sie sich näher an den Magier, verblüfft von seiner plötzlich so offenen Leidenschaft. Ihre zitternden Finger glitten in sein dunkles Haar und brachten es wohl nur noch mehr durcheinander. Der Kuss war innig, fordernd, sehnsüchtig und eine Spur verzweifelt, allerdings auch viel zu schnell wieder vorbei; Gwen verspürte das bereits bekannte Prickeln, als nicht nur Lokis Zunge, sondern auch seine Magie über ihren Gaumen glitt und ihre Kehle hinabkroch. Der Prinz hatte offenbar erneut einen Zauber gewirkt. »W-was…hast du…getan? Hast du…den Zauber…wegen Garm…aufgelöst?!« hauchte sie verwirrt an seinem Mund, suchte den Blick seiner so magisch grünen Augen. »Nein. Er war zerbrochen über die Entfernung. Ich habe ihn erneuert.« erläuterte er. Ein verhaltenes Räuspern neben ihnen ließ Gwen den Blick abwenden; einen Blick, den sie eben schwer atmend mit dem Lokis verhakt hatte, nachdem ihre Lippen sich eher widerwillig wieder voneinander gelöst hatten, den Schimmer grüner Magie in ihrem Atem verwoben - es war absurd, doch selbst in dieser Situation war da dieses Feuer zwischen ihnen, welches es beinahe unmöglich machte, nicht die Nähe des anderen herbeizusehnen, vor allem jetzt, nachdem sie bereits so oft vor dem ersehnten Ziel gestanden hatten... Andrew stand neben ihnen, die Brauen ärgerlich gesenkt, steckte er eben die Waffe zurück in das Holster unter seinem Mantel; sein Blick war gereizt und fast missgünstig auf sie beide gerichtet, bevor er jenen verbissen abzog und betont an ihnen vorbei sah. Sein Kiefer bildete eine angespannte Linie und Gwen mochte sich kaum vorstellen, was in diesem Moment wohl in ihm vorging; sie verspürte Mitleid mit dem Agent und auch eine gewisse Scham, dass er Loki und sie gerade in diesem Moment gesehen hatte, obwohl Andrews Augen da eben weniger Verständnis gezeigt hatten - er verurteilte sie für die Zuneigung zu dem Prinzen. Allerdings war er rücksichtsvoll und klug genug, dass nun gerade nicht anzusprechen; wahrscheinlich hatte er auch genug andere Sorgen. Der Magier schien weniger Probleme mit der Situation zu haben; er drückte Gwen besitzergreifend an sich und belächelte den Agent mit seiner gewohnt spöttischen Überheblichkeit. Was des einem Triumph in diesem Augenblick war, war des anderem unbestreitbare Niederlage. »Ich wollte nur fragen, ob bei euch alles in Ordnung ist, aber offenbar erfreut ihr euch ja beide bester Gesundheit…« brachte Andrew zynisch heraus, bevor er sich umwandte und mit einem knappen Wink auf die anderen Gefangenen deutete. »Die restlichen Leute scheinen wohlauf zu sein, obwohl sie alle noch ein wenig desorientiert wirken.« vermeldete er tonlos. »Die Wirkung des Giftes der Jörmungandri wird bald nachlassen. Dann werden sie sich fühlen, als hätten sie nur zu viel Wein getrunken. Eure Männer werden keine bleibenden Schäden davon tragen, Mister Preston.« versicherte Loki kühl, was ihm ein knappes Nicken des Agents einbrachte. »Gut. Dann sollten wir hier endlich verschwinden. Ich habe bereits S.H.I.E.L.D kontaktiert. Ein Hubschrauber ist zu uns unterwegs.« erklärte er steif. Damit wandte sich Andrew ab, stieg über die Leiber der Wesen, die es nicht geschafft hatten zu fliehen und gesellte sich zurück zu seinen Agents, die den benommenen Männern und Frauen auf die Beine halfen und diese die steile Leiter zur Luke des Kellers hinaufführten. Das offene Feuer in der Mitte des Raumes wurde gelöscht; zischend erstarben die Flammen und legten Dunkelheit über den Keller. Loki umgriff Gwen fester, dann folgte er den anderen fast mühelos mit ihr auf den Armen die hölzerne Leiter hinauf zurück ins Tageslicht; in ein trübes, düsteres Licht, was es kaum schaffte, den oberen Raum der Bar zu erhellen. Draußen tobten die Schneeflocken wieder heftiger gegen die Fenster des Gebäudes. Ein einsamer Wagen kämpfte sich tapfer die Straße hinauf, seine Scheinwerfer tauchten den verwüsteten Innenraum kurz in grelles Neonlicht. Gwen kniff die Augen zusammen und barg das Gesicht an Lokis Halsbeuge; seufzend schmiegte sie sich gegen die verheißungsvolle Wärme seiner Haut und wisperte ein erschöpftes: »Danke.« gegen die Seite seines Halses. »Danke, dass du gekommen bist, Loki.« Der Magier setzte sie vorsichtig auf einem der noch halbwegs brauchbaren Stühle ab, welchen er eben mit seinem Stiefel aufgerichtet hatte, dann ging er neben ihr in die Hocke. »Das ist nicht allein mein Verdienst…« meinte er mit einem rätselhaften Schmunzeln und prompt erschien Angel an seiner Seite, dessen Schweif aufgeregt durch die Luft wirbelte. Loki strich dem Hund beinahe liebevoll über den Rücken. »Er hat deine Fährte verfolgt und uns zu dir geführt.« »Angel?!« Gwen schloss den treuen Hund stürmisch in die Arme; ein Stück Heimat und etwas so unheimlich vertrautes, dass ihr erneut vor Erleichterung die Tränen in die Augen stiegen. Allerdings kehrten nun auch die Erinnerungen des Tages zurück, nachdem die Angst endlich abgeklungen war; obwohl die Erschöpfung Gwen beinahe siegessicher in ihrem Griff hatte, gab es noch immer Dinge zu klären, Fragen zu stellen… »Wie geht es jetzt weiter…?« wagte sie vorsichtig zu fragen, ein zaghaftes Wispern, welches niemand sonst außer Loki hören sollte. Über Angels Rücken hinweg suchte sie erneut den Blick des Magiers, der ein Knie nun auf dem Boden abgestellt hatte und sich die Wunde auf seiner Schulter genauer besah. Die sah alles andere als gut aus - teils hingen blutige Stoffstreifen seiner Rüstung herab; allerdings verbiss sich Gwen jedes Wort in diese Richtung, da sie einfach wusste, wie stolz Loki war. Wenn er Hilfe benötigte, würde er hoffentlich darum bitten. Der Magier seufzte schwer und bettete die Stirn kurz in der Hand, bevor er sich flüchtig umsah. Die Agents hatten die Gäste der kleinen Bar und Pension auf dem Boden abgesetzt, wo die Leute nun an die Wand gelehnt mit den Nachwirkungen des Giftes kämpften. Andrew lief angespannt durch ihre Reihen und telefonierte offensichtlich aufgebracht mit irgendjemanden; er redete schnell und leise, sodass Gwen kein Wort verstand. Die anderen Agents kümmerten sich entweder um ihre Kollegen oder die anderen Menschen; ein paar von ihnen hatten an der Tür Stellung bezogen und behielten durch den offenen Durchgang und die Fenster wachsam die Straße im Auge. »Du musst mit mir zurück nach Asgard kommen…« sprach Loki dann gedämpft und fing ihren Blick auf; in seinen Augen las sie eine gewisse Unsicherheit, ein Zögern, welches herb im Kontrast zu seinen entschiedenen Gesichtszügen stand. »Nur da werden wir Antworten finden.« Zurück mit ihm nach Asgard? Konnte sie das? Wollte sie das? Die letzte Frage war ziemlich schnell mit „ja“ beantwortet - sie wollte bei Loki bleiben, auch wenn sie die Konsequenzen dieser Entscheidung jetzt womöglich noch nicht ermessen konnte, doch wer wusste schon, ob sie ihn je wiedersehen würde, wenn er jetzt ging? Ob sie jemals wieder die Gelegenheit bekommen würde, ihn zu sehen… Ihr Leben war eh schon völlig aus der Bahn geraten; das Einzige, was sie jetzt noch tun konnte war nach der Wahrheit zu suchen. Sie hatte auf diesem Weg zu viel mitgemacht, als das sie jetzt unverrichteter Dinge einfach gehen könnte - sie würde ihr Leben lang grübeln, wenn sie die Wahrheit nicht kannte. Doch was war mit ihrem Leben hier auf der Erde; konnte sie das einfach alles schon wieder zurücklassen - auf womöglich unbestimmte Zeit? Wer wusste schon, was in Asgard ans Tageslicht kommen würde… Hätte sie dann die Gelegenheit, ihre Eltern wieder zu sehen? Ashlyn? Winston? Angel? Gwen drückte das Gesicht kurz in das warme Fell des Hundes, bevor sie ihn aus ihrer Umklammerung entließ und nachdenklich auf ihrer Unterlippe kaute. Ihr Blick blieb an Loki hängen und ihre Entscheidung stand eigentlich schon fest. Sie holte Luft und wollte gerade zu einer Antwort ansetzen, als sie unwirsch von Andrew unterbrochen wurde, der ihr leises Gespräch offenbar mitgehört hatte. »Die Frau wird hierbleiben, Loki. Du hast nicht über ihr Schicksal zu entscheiden.« Der Magier senkte das Haupt leicht und Gwen konnte die unterdrückten Emotionen in seinen angespannten Schultern sehen; in den finster zusammengezogenen Brauen und der zornigen, schmalen Linien seiner Lippen. »Aber Ihr, Agent Preston?« sprach Loki bedrohlich ruhig zum Boden und hob den Blick nicht an. »Auch ich nicht.« räumte Andrew sachlich ein. »Allerdings wird sich Direktor Fury mit dieser Sachlage auseinandersetzen. Wir werden ihn über die Ereignisse unterrichten und dann wird er über den Verbleib von Gwendolyn Lewis entscheiden. Und du solltest dich ein wenig kooperativer zeigen, um die Zusammenarbeit zwischen Midgard und Asgard nicht weiter zu gefährden, Loki.« wies der Agent den Magier in einer unterschwelligen Drohung an; Loki ballte eine Hand verstohlen zur Faust und entspannte sich erst ein wenig wieder, als Gwen bestimmt das Wort ergriff, um eine Eskalation der Situation zu vermeiden. »Ich werde wohl selbst über mein Leben entscheiden können, Andrew?! Auch Direktor Fury hat mir nicht zu sagen, was ich zu tun habe!« fuhr sie den Agent heftig an. Langsam ging es ihr mächtig gegen den Strich, dass offenbar jeder über ihr Leben entscheiden konnte außer ihr selbst. Vor allem S.H.I.E.L.D bildete sich eindeutig zu viel Macht ein… »Wenn du als Bedrohung für die nationale Sicherheit eingestuft wirst, dann steht es dir nicht frei, über dein Leben zu entscheiden.« entgegnete Andrew abgeklärt. Sie wurde das Gefühl nicht los, dass er sich unwillkürlich rächen wollte - dafür, dass sie sich für Loki entschieden hatte und nicht für ihn. Sein verletzter Stolz machte ihn grob und gefühllos; so kannte sie den Agent gar nicht. Seine blauen Augen blickten kalt auf sie herab, während Gwen ihn fassungslos anblinzelte: »Wie bitte?! Eine Bedrohung für die nationale Sicherheit?! Das ist doch nicht dein Ernst? Ich habe doch überhaupt nichts getan!« begehrte sie entrüstet auf. Andrews Blick schweifte flüchtig zu Loki hinüber und eine Braue hob sich bedeutsam an. »Wie man es sieht…« gab er herablassend von sich. Das konnte doch nicht sein Ernst sein!? Wollte er ihr jetzt wirklich einen Strick daraus drehen, dass sie zu Loki stand? Am Ende würde man sie noch für eine Komplizin des Magiers halten und sie der Mittäterschaft an seinen Verbrechen beschuldigen. Gwen spürte Wut in sich erwachen, die ihre Erschöpfung rasch mit sich forttrug; wie konnte Andrew sie so überheblich behandeln? Wie konnte er es wagen, sich so über sie und ihre Gefühle zu erheben? »Du wirst hierbleiben, Gwendolyn. Du wirst nicht mit ihm gehen. Und er hat seine Frist bald überschritten…« Abwertend deutete Andrew auf den Magier. »Ich werde es genießen, ihn wieder in eine Zelle zu stecken. In ein finsteres, bodenloses Loch, in dem er Zeit seines Lebens dem Wahnsinn nachjagen kann…« Gwen sah den Agent an und schüttelte fassungslos über dessen Worte den Kopf; sie konnte seinen Hass auf Loki ja durchaus verstehen, doch der Gott hatte wahrlich genug getan, um sich als glaubwürdig zu erweisen. Er hatte Andrew geholfen, seine Männer wiederzufinden - diese verächtliche Behandlung verdiente der Prinz einfach nicht. Es musste Andrew einen ziemlichen Schlag versetzt haben, Loki und sie zusammenzusehen - offenbar hatte er immer noch geglaubt, nachdem sie die Wahrheit über den Gott kannte, würde sie zur „Vernunft“ kommen. Ja, Andrew hatte unter Loki gelitten, viele Menschen hatten das, aber das war noch lange kein Grund nun auch Gwen das Recht auf eine freie Meinung und ihre Entscheidungen abzusprechen, nur weil sie etwas für den Gott empfand. Wahrscheinlich lernte man bei S.H.I.E.L.D nicht nur den makellosen Umgang mit Waffen, sondern auch den Umgang mit störenden Gefühlen - wenn man die außen vor ließ, konnte man die ganze Sache natürlich logisch und abgeklärt betrachten, doch Gwen hatte nie gelernt, ihre Gefühle zu unterdrücken und gewiss würde sie nun auch für S.H.I.E.L.D nicht damit anfangen. Ihr Herz hing an Loki und das wollte sie auch überhaupt nicht mehr ändern. Der Magier sprang unvermittelt auf und packte den überraschten Agent an der Kehle, um ihn mühelos vom Boden hochzuheben; in Lokis Augen brodelte blutrotes Unheil, seinen Fingern entfloh noch immer die Macht, die er vor wenigen Augenblicken den Schlangenwesen gestohlen hatte. Feurige Boshaftigkeit schwelte in seinen Zügen, die einer zum zerreißen gespannten Maske ähnelten; seine Kiefermuskeln traten gefährlich scharf hervor und wirkten, als wollen sie sich gleich durch die blasse Haut des Magiers bohren. Loki ließ sich nicht aus der Ruhe bringen, als die Agents umher nun ihre Waffen zogen und allesamt ihre Mündungen auf den Kopf des Prinzen richteten. Das Klicken von entsicherten Waffen zog bedrohlich durch den Raum, allerdings würden sie sich wahrscheinlich zweimal überlegen abzudrücken, da Direktor Fury unmissverständlich die Unversehrtheit des Magiers angewiesen hatte. »Wir können diese leidliche Diskussion hier und jetzt beenden…Agent Preston…« zischte der Gott in einem unheilvollen Ton, gemischt aus Süffisanz und grob unterdrücktem Hass. Ein abgehaktes, fast ungläubiges Lachen entfloh seinen Lippen, während sich Andrew verzweifelt im eisenharten Griff des Magiers wandte, der sich nun näher an den Menschen beugte. »Dass ihr noch immer denkt, mich beherrschen zu können. Noch immer an dem Glauben festhaltet, die Ameise könnte sich gegen das Schicksal des Stiefels wehren. Ihr seid nichts unter meiner Macht und werdet mir nicht das verwehren, was mir gehört! Ich wusste, dass es ein Fehler sein würde, Euch zu helfen!« Die letzten Worte stieß Loki laut und angewidert aus, bevor er den Agent von sich schleuderte, der nach Luft schnappend hart auf dem Boden aufkam und sich mit zornfunkelnden Augen die Kehle rieb. Die Agents umher warteten nur auf einen Befehl von ihm, um den Gott zu erschießen, der sich über Andrew aufgebaut hatte und die Magie wie einen Spielball durch seine Finger züngeln ließ. Gwen sprang von ihrem Stuhl auf und trat zu Loki hinüber, um diesen vorsichtig am Arm zu berühren; da er kaum auf ihren Kontakt reagierte, streckte sie die Hand aus und bettete die Finger auf seiner Wange, drehte sein Gesicht so sanft zu sich. »Loki, komm…lass gut sein…lass ihn in Ruhe…bitte…« wisperte sie angespannt; er durfte S.H.I.E.L.D und auch dem Allvater jetzt keinen weiteren Anlass geben, ihn wieder einzusperren. Loki beruhigte sich tatsächlich unter ihren Worten und ließ die flirrende Magie in seiner Hand verpuffen, bevor sein Kopf herumruckte und er das Haupt leicht neigte, als würde er etwas in der Ferne lauschen. Und kurz darauf hörte Gwen es auch; ein unseliges Heulen, ein tiefes Vibrieren im Erdboden - das Echo einer nahenden Präsenz, die die Schatten umher noch dunkler und tiefer erscheinen ließ. »Loki…?!« wisperte Gwen vorsichtig mit einer unguten Vorahnung im Blut. Ihr Blick schweifte sofort zu den Fenstern, wo allerdings der Schnee in seiner Bahn weiterhin unbeirrbar ruhig zu Boden segelte, während sie sich näher und schutzsuchend an den Gott drückte. »Er hat uns gefunden…« bestätigte der Magier ihre schlimmsten Ängste. Er zog Gwen mit sich zur Tür des Gebäudes hinüber; die Agents machten keine Anstalten sie aufzuhalten, denn auf ihren Gesichtern spiegelten sich ebenfalls Verwirrung, allerdings auch zaghaftes Unbehagen, als das entsetzliche Heulen erneut über den Bergen erklang und das Echo gleich einer Lawine die zerklüfteten Klippen herabrollte. Die Männer hielten ihre Waffen bereit und selbst Andrew erhob sich wieder auf die Beine und wirkte latent verunsichert, als er den Blick aus einem der Fenster suchte. »Scheiße…« flüsterte er. Auch der Agent musste wissen, was dieses Geräusch bedeutete, denn sicher hatte er es nach New York nicht so schnell wieder vergessen. Loki trat mit Gwen hinaus in den anhaltenden Schnee und schirmte die Augen mit einer Hand gegen den anhaltenden Niederschlag ab; in der Ferne konnte Gwen zitternde Tannenwipfel erkenne, die knirschend unter einer gewaltigen, herannahenden Macht schwankten. Etwas unbestreitbar Großes wälzte sich da durch den Wald zu ihnen heran; der Wind brachte nun nicht nur die Kälte des Schnees mit sich, sondern auch die Kälte des Todes. Die Bäume am gegenüberliegenden Straßenrand krümmten sich unter dem herannahenden Hauch der Verderbnis, während der Boden beständig unter schweren, trommelnden Schritten bebte und die geparkten Lastwagen und Autos erzittern ließ; in einem schrillte die Alarmanlage los - ein hoher, greller Laut, misstönend in der angespannten Stille, die bisher nur vom fernen Grollen des Helhundes unterbrochen wurde. »Wir müssen hier weg.« verkündete Loki bestimmt und sah sich angespannt nach einer Möglichkeit der raschen Flucht um. Viele der Autos hatten unter dem vorherigen Angriff der Jörmungandri gelitten und wirkten nicht mehr wirklich fahrtüchtig. Angel tanzte aufgeregt um Gwens Beine und ließ ein erregtes Knurren in der Kehle vernehmen. »Die Menschen hier sind wehrlos. Garm wird ein Massaker anrichten, wenn wir ihn nicht von hier weglocken.« Gwen stand wie festgewurzelt auf der Stelle; der Schnee blieb in ihren Haaren hängen und rutschte unangenehm in den Kragen ihrer Jacke, während ein haltloses Zittern ihre Beine hinaufkroch; ihre Augen klebten wie festgehaftet auf den umstürzenden Bäumen in der Ferne, die sich wie unter der Hand eines Riesen beugten, während sie einmal mehr nicht begreifen konnte, was in ihrem Leben nur gerade so furchtbar schief lief. Warum sie? Warum ausgerechnet sie? Würde das alles jemals aufhören? Das grotesk hallende Heulen des Helhundes ließ die Umgebung erzittern; selbst die Steine schienen unter seiner Präsenz zu bangen - kleinere Felsbrocken rollten tosend die Berghänge herab und krachten donnernd auf die Straße. Ein unheilvolles Dröhnen; eine schwelende Wut und Entschlossenheit, getrieben von Ende und Vernichtung - der Atem des Todes preschte durch die Tannen heran und wandelte dieses Stück Midgard in einen Vorhof der Hölle. Der Himmel verdunkelte sich noch mehr; aufgeregt wirbelten die Schneeflocken durch die Luft, als wollte die Natur selbst sich gegen die heranstürmende Verderbnis zur Wehr setzen; die Wolken verdichteten sich rasend schnell und nahmen die eh schon klägliche Sicht. »Gwen!« Lokis Stimme riss sie aus ihrer Apathie wieder in die Wirklichkeit zurück; seine Hand ergriff sie am Arm und wirbelte sie zu dem Magier herum, der mit einer Mischung aus Sorge und Entschlossenheit auf sie herabsah. »Wir müssen hier weg!« sprach er gegen das Pfeifen des Windes und Gwen erkannte erst jetzt, was er als Fluchtmöglichkeit erwählt hatte. Ein hysterisches Kichern blieb ihr in der Kehle stecken; sie schlug eine Hand vor den Mund und schüttelte unbändig den Kopf, während sie versuchte vor Loki zurückzuweichen, der Blick auf das Motorrad fixiert, was neben dem Magier stand. Doch der Prinz hielt sie in seinem bestimmten Griff und befahl ihr barsch: »Rauf da mit dir!« Das konnte doch wirklich alles nur ein schlechter Scherz des Schicksals sein; gerade bei ihrer bekannten Abneigung gegen diese zweirädrigen Ungetüme musste Loki nun gerade in diesem Augenblick mit diesem Ding als Möglichkeit für eine Flucht kommen?! Wenn sie sich nicht schon vor langer Zeit vom Gegenteil überzeugt hätte, dann würde sie spätestens jetzt dem Glauben erliegen, in einem bösen Traum gefangen zu sein. »Nein…Loki…bitte…ehrlich, nein!« Erneut stemmte sie sich gegen seinen Griff; in ihrem Kopf schaltete sich irgendetwas ab und ein paar Verbindungen schienen zu schmoren - vielleicht lag es an dem noch immer in ihrem Blut kreiselndem Gift, an der unbestreitbaren Gefahr des Todes, an dem Stress der letzten Tage, aber mit einem Mal war irgendwie alles zu viel… Dieses Motorrad war der Tropfen, der das Fass zum überlaufen brachte; das Sinnbild des Chaos, einer auf den Kopf gestellten Welt, in der sie am Ende zerschlagen auf dem Boden liegen würde, während das Schicksal über sie lachte - Gwen brach in die Knie, sank in den kalten Schnee und schüttelte immer wieder den Kopf, während sie die Arme um sich schlang und murmelte: »Ich kann nicht mehr…ich kann echt nicht mehr…ich will das alles nicht mehr…es ist zu viel…« Sie wollte, dass dieser Wahnsinn aufhörte; unkontrolliert tropften ihre Tränen in den Schnee, während die Hoffnungslosigkeit wie eine Trance über sie kam. Angel schmiegte sich an sie und stieß Gwen besorgt mit der Schnauze an; die blauen Augen des Hundes wirkten so menschlich, so verständig und mitfühlend. Zwei kräftige Hände zogen Gwen unvermittelt wieder in die Höhe; bekannte, flammend grüne Augen starrten finster auf sie herab, bevor der Magier sie grob schüttelte und harsch anfuhr: »Reiß dich zusammen, Gwen! Vielleicht willst du nicht mehr, ich allerdings werde dich nicht gehen lassen, hast du verstanden?!« Seine entschlossene Stimme schnitt wie ein Schwert durch das Brüllen des Helhundes, der in diesem Moment aus der Reihe der Bäume hinter ihnen brach; seine fahlen Augen fixierten Gwen todsicher aus der Ferne, bevor er das breite, dunkle Haupt nach hinten legte und ein triumphales Heulen ausstieß. Loki und Gwen rissen die Köpfe beinahe gleichzeitig herum und starrten mit geweiteten Augen auf die Bestie Hels, welche den Schnee unter ihren mächtigen Pfoten aufwirbelte und sich anspannte, um sich auf sie zu stürzen. Die geschundenen Seelen in seinem Leib warfen sich jaulend und kreischend gegen die Rippen der Kreatur; eine scheußliche Symphonie aus Schreien, aus Leid und Pein. Und das war wohl auch der Moment, in welchem Gwen entschied, dass sie so definitiv nicht enden wollte - als Opfer für Hel, um der Göttin als Trophäe zu dienen. Sie musste sich wirklich zusammenreißen; für Loki, aber am allermeisten wohl für sich selbst. Angel duckte sich angespannt neben Gwens Füßen in den Schnee und zog die Lefzen angriffsbereit zurück; seine Aura schimmerte plötzlich so deutlich um sein Fell, dass selbst sie diese erkennen konnte. Der Magier stockte in der Bewegung; er hatte Gwen gerade auf das Motorrad zwingen wollen, als sein Blick durch Angel angezogen wurde. Gwen blinzelte fassungslos. War der Hund gerade gewachsen? Seine Aura loderte förmlich vor ihren Augen und ließ sie eine Hand heben, um das Gesicht gegen die brodelnde Hitze abzuschirmen, die das Tier nun umgab; etwas schien unter seinem Fell zu lauern, geborgen in seinen Muskeln und seinem Fleisch - etwas, was nun kurz vor dem Ausbruch stand. Loki wirkte, als würde er das erkennen, denn der flüchtige Hauch eines wissenden Blickes kreuzte jenen des Hundes; die beiden schienen sich auf eine stumme Weise zu verständigen, der Gwen nicht folgen konnte. Und plötzlich ging alles verdammt schnell; Garm machte einen gewaltigen Satz aus dem Wald heraus und pflügte dabei die Bäume und einen abgestellten Lkw krachend beiseite. Seine tödlichen Kiefer waren siegesgewiss aufgerissen, todbringender Speichel fiel in den Schnee und ließ diesen zischend verdampfen, während die gewaltige Kreatur rasend schnell auf sie zukam - jeder Schritt der riesigen Pranken ein Krachen wie Donnerhallen, ein Beben unter ihren Füßen. Im selben Augenblick wirbelte Loki zu Angel herum und beschwor die Reste der Blutmagie in seiner rechten Hand; die tosende Macht ließ den Mantel des Magiers flattern, während er die Lippen lautlos bewegte; der glutrote Schein zog sich aus seinen Augen und Venen zurück, glitt schimmernd um seinen Körper, um sich geballt in seiner Hand zu einer flammenden Kugel zu formen, welche die Umgebung in unselig, blutiges Licht tauchte. »Og nå ber jeg deg, fra dypet av magi og runene i verden, Fenrir!*« brüllte der Gott und kurz bevor Garm sie erreichte, sank er in die Knie und stieß die Handfläche mit seiner Magie kräftig auf den Boden; knirschende Risse entstanden auf dem Asphalt und unter dem Schnee, die sich nun um Angel ausbreiteten, der kurz darauf in eine Säule aus dunkelroter Energie gehüllt wurde, die aus dem Erdboden tosend zum Himmel aufstieg. Gwen traute ihren Augen kaum; vor ihnen riss Angel den Kopf hoch und stieß ein ohrenbetäubendes Heulen aus, welches sie und Loki um einige Schritte zurückstolpern ließ. Das Tier wurde in die Höhe gerissen und von der donnernden Magie förmlich bedeckt; Angels Glieder schienen zu wachsen, seine Knochen sich zu verschieben. Die eisblauen Augen färbten sich in glutheißes Orange, während die Schnauze unter mächtigen Kiefern anwuchs, die Garms bald in nichts mehr nachstanden; ebenso wenig wie die riesigen Pranken des gewaltigen, stahlgrauen Wolfes, der sich nun aus der Energiesäule löste und Garm im Sprung aufhielt. Bevor der Höllenhund sie erreichen konnte, schlug der Wolf seine Zähne in die Kehle von Hels Kreatur und riss Garm damit zu Boden, weg von Loki und Gwen. »Angel…?! Aber was…wie…?!« Gwen stolperte fast über ihre eigenen Füße, als sie zusah, wie der Wolf seine Klauen in den Leib des Höllenhundes schlug und diesen damit zum jaulen brachte; allerdings rollte sich Garm entschlossen herum und schüttelte die Zähne Angels von seiner Kehle ab, um nun seinerseits mit den Kiefern nach dem Wolf zu schnappen, der um Haaresbreite dem tödlichen Gebiss der Kreatur auswich. »Er wird uns Zeit verschaffen. Komm jetzt!« rief ihr Loki über das Fauchen und Grollen der beiden kämpfenden Kreaturen zu; er wartete ihre Zustimmung gar nicht mehr ab, sondern schlang einen Arm um sie und setzte Gwen kurzerhand einfach auf das Motorrad, bevor er sich selbst auf den Sitz schwang und den Motor der schweren Maschine unter ihnen mit einem Wink seiner Hand zum Leben erweckte. Gwen bekam das alles nur halb mit; ihr Blick hing fassungslos und entsetzt an Garm und dem riesigen Wolf, welcher einst ihr treuer Hund gewesen war. Was war aus Angel geworden? Was hatte Loki mit seinem Zauber nur angestellt? »Was hast du mit Angel gemacht?! Warum hast du ihm das angetan?!« Ihre kleinen Fäuste trommelten wahrscheinlich eher wirkungslos auf den Rücken des Gottes, der ihre Hände kurzerhand packte und um seinen Leib zwang. »Unterlass das und halte dich fest…« grollte er befehlend, bevor er rasch erklärte. »Ich habe gar nichts mit ihm gemacht. Das ist seine wahre Gestalt. Ich habe sie nur befreit. Er war wahrscheinlich schon immer dein Beschützer. Ich erkläre es dir später…« rief ihr der Gott über die Schulter zu, bevor er eine eng anliegende Brille magisch über seine Augen beschwor und das Motorrad mit einem Satz von dem Parkplatz des Truck-Stopps beförderte. Schnee flog hinter ihnen einer Fontäne gleich in die Höhe, als das mächtige Zweirad auf der verschneiten Strecke gefährlich schlingerte; Gwen klammerte sich instinktiv an Loki fest und krallte die Finger in das kühle Leder seiner Rüstung. Ein Blick über die Schulter verriet ihr, dass Garm ihre Flucht durchaus bemerkte, doch als er ihnen nachsetzen wollte, sprang der Wolf schon wieder auf seinen Rücken und verbiss die gewaltigen Kiefer in der Schulter des Helhundes, der jaulend zu Boden krachte. Gwen wandte den Kopf wieder und drückte sich schutzsuchend eng an Lokis Rücken, da der eisige Wind schneidend an ihnen vorbeipfiff; der Prinz steuerte das Motorrad weiter die Straße den Berg hinauf, sodass die kleine Pension bald hinter ihnen zurückblieb. Sie stellte sich schon gar nicht mehr die Frage, woher der Magier eigentlich seine ganzen Fähigkeiten nahm und nun auch noch ein Motorrad fahren konnte; es interessierte sie in diesem Moment auch herzlich wenig, denn sie war einfach heilfroh, von Garm wegzukommen. Schnee stach wie Nadelspitzen auf sie ein und der Fahrtwind nahm bald jegliche Wärme mit sich den Berg hinab; Gwen spürte ihre Finger schon nach einer Weile nicht mehr und schob diese weiter unter die Aufschläge von Lokis Mantel, um ein wenig seiner Wärme für sich zu beanspruchen. Eine Weile blieb es still hinter ihnen und der Magier drosselte das Tempo, bis er eine kurze Pause einlegte; er ließ den Motor gedämpft laufen und stellte ein Bein auf die schneeglatte Straße, während er den Kopf reckte und sich konzentriert umsah. Gwen wagte vorsichtig hinter seiner Schulter hervor zu schielen; die Baumwipfel umher schwankten knackend im Wind und Schnee trieb fast waagerecht durch die eisige Luft an ihnen vorbei, doch über das monotone Tuckern des Motors und das Pfeifen des Windes war momentan nichts zu vernehmen. Die Gegend war hier oben noch wesentlich unwirtlicher und wilder; die Bäume ragten bald bis über die Straße und tief hängende, schneebelastete Äste kreuzten deren Verlauf. Die Gipfel der Berge waren in nebliges Grau getaucht und fast völlig in den düstern Schneewolken verschwunden; die Sonne längst nicht mal mehr zu erahnen. Ein gedämpftes Heulen wurde hinter ihnen laut und der Asphalt bebte unter ihren Füßen, sodass dieser sogar an einigen Stellen brach; ein vom Schnee schon geschundener Ast hielt der Last nicht mehr stand und knickte vom Baum, um in einem Krachen neben ihnen auf der Straße zu landen. Gwen zuckte erschrocken zusammen und schlang die Arme sofort wieder um Loki, der das Motorrad mit einem verbissenen Gesichtsausdruck wieder nach vorn jagte; keine Sekunde zu früh, den hinter ihnen brach Garm aus dem Unterholz und hastete dem Zweirad mit geiferndem Maul hinterher. Der Helhund hatte sichtlich gelitten; eine seiner Pfoten belastete er nur sporadisch und eine klaffende Wunde zog sich über seine Schnauze, doch von seiner Entschlossenheit hatte er anscheinend nichts eingebüßt. Heulend setzte er ihnen nach und Gwen schrie erschrocken auf, als Garm einen Baum im Lauf aus dem Erdreich riss und dieser Loki und sie fast von der Straße fegte; der Magier wich der umstürzenden Tanne mit einem heiklen Schlenker aus, fing das Motorrad wieder auf der vom Schneematsch schmierigen Straße und bewahrte sie damit davor, auf dem Asphalt ihr Leben auszuhauchen. Gwen duckte sich hinter dem Gott und presste sich verzweifelt an diesen, während ihr Herz in der Brust ohrenbetäubend trommelte; die Angst war übermächtig, da sich der Helhund kaum abschütteln ließ. Sie konnte seinen fauligen Atem bereits im Nacken spüren, die Schreie der Verdammten eine absurde Untermalung zum brummenden Motorengeräusch und dem wütenden Grollen der Höllenkreatur, die ihr Ziel mit eiserner Entschlossenheit verfolgte. Loki wagte ein gefährliches Manöver in einer steilen Haarnadelkurve und nahm diese mit rasender Geschwindigkeit, was sie bedrohlich über den glatten Asphalt auf den Abgrund hinter den Leitplanken zu schlittern ließ. Die Reifen wirbelten den Schnee in einer hellen Fontäne auf. Gwen quickte entsetzt und kniff die Augen in Erwartung des unvermeidlichen Todes zusammen, doch der Gott hatte das Motorrad offenbar besser unter Kontrolle, als sie ihm zutraute; er riss ihren fahrbaren Untersatz in seine Spur zurück und beschleunigte den Berg hinauf. Garm hinter ihnen schaffte die enge Kurve nicht ganz so elegant; der Hund verlor den Halt auf der schneebedeckten Straße und rutschte gegen die Leitplanke, die in einem lautstarken Quietschen unter seinem Gewicht nachgab; eine Verankerung riss aus dem Erdboden und schleuderte Gesteinsbrocken ins Tal hinab. Allerdings fing sich die Kreatur recht schnell wieder und verfolgte sie mit großen Sätzen die Straße hinauf; als Garm sie fast wieder eingeholt hatte, preschte Angel in Gestalt des riesigen Wolfes urplötzlich aus dem seitlichen Wald heran und riss den Hund im Sprung von der Straße; die beiden gewaltigen Wesen durchbrachen die Leitplanke und krachten auf einen Felsvorsprung vor dem Abgrund, wo beide liegen blieben. Garm heulte zornig auf, da er erneut von seiner Beute abgehalten wurde. Loki blickte ebenfalls kurz über die eigene Schulter zurück, bevor er sich entschlossen umwandte und der Straße verbissen weiter folgte; irgendwann erreichten sie ein kleines Hochplateau, auf dem sich ein riesiger, überfrorener Gletschersee ausbreitete, der von dunklen Tannen gesäumt ein kleines Fleckchen Idylle hier oben bildete. Umher am Ufer standen ein paar einsame Blockhütten, die für Urlauber und Wanderer im Sommer Unterkunft boten. Jetzt lag alles still und verschneit vor ihnen, der See selbst eine spiegelglatte, eisige Fläche, welche unter Schneekristallen glitzerte. Der Magier brachte das Motorrad erneut zum stehen und sah sich kurz um, bevor er Gwen rau über die Schulter anwies: »Steig ab.« Sie war eindeutig zu erschöpft, um sich gegen seinen Befehl zu widersetzen oder diesen zu hinterfragen; außerdem fror sie erbärmlich. Ihre Kleider waren inzwischen fast gänzlich durchnässt und der kühle Wind trug nicht gerade zum Wohlbefinden bei. Langsam stieg sie schwankend von dem Motorrad und hätte um ein Haar das Gleichgewicht verloren, da ihre wächsernen Beine sie kaum mehr tragen wollten. Wie viel war ein Mensch eigentlich in der Lage auszuhalten? Wie viel konnte ein menschlicher Geist verkraften? Gwen schlang die Arme wärmesuchend um sich selbst und sah zu dem Gott hinauf, der die Brille langsam von seiner Nase zog. »W-was hast du jetzt vor, Loki?« wisperte sie irritiert und stampfte auf der Stelle, um ihrem Körper zumindest die Illusion von Wärme zu vermitteln. Warum fuhren sie nicht weiter? Was wollte er hier? Der Magier legte den Kopf in den Nacken und fuhr sich mit beiden Händen durch das wirre Haar, bevor er ihr einen arg seltsam entschlossenen Blick zuwarf, der sie augenblicklich frösteln ließ; nicht wegen der Kälte umher, sondern wegen der erschreckenden Gewissheit in seinen grünen Augen. »Es muss jetzt hier enden.« raunte er tonlos. Ein viel zu bekanntes Donnern rollte den Berg hinauf und versetzte den Boden in Bewegung; ein unseliges Heulen durchstieß die Wand der fallenden Schneeflocken wie ein tödlich gespitzter Dolch. »W-was?!« Gwens Zähne stießen klappernd aufeinander; sie trat zu dem Prinzen hinüber und packte ihn an seinem ledernen Mantel. »Was…meinst du? Was endet hier?« Ihre Augen flogen hastig, fast panisch über sein starres, entschiedenes Gesicht; er hatte sie wieder einmal von seinen Gedanken ausgeschlossen und das machte ihr momentan fast noch mehr Angst als Garm. »Was zum Teufel hast du vor?!« fuhr sie ihn zitternd an, doch als Antwort bekam sie nur den Anflug eines schmalen Lächelns. Für mehr blieb auch keine Zeit, denn der Helhund flog in diesem Moment förmlich um die Kurve der Straße auf das Hochplateau, dicht gefolgt von Angel, der nun ebenfalls Spuren des Kampfes trug. Einige Stellen seines stahlgrauen Felles waren blutbeschmiert, doch er hastete Garm noch immer verbissen hinterher und versuchte nach dessen Hinterläufen zu schnappen, jedoch ohne Erfolg. Der Hund setzte zum Sprung an und riss die Kiefer auf, während sein Schatten drohend über Loki und Gwen fiel wie ein dunkles, schweres Tuch. Einen Augenblick hielt Gwens Blick noch den des Magiers, dann stieß er sie unvermittelt beiseite, sodass sie hart auf dem Boden landete und für einen Moment nur düstere Schlieren vor ihren Augen erkannte; trotz des Schnees war der Erdboden überfroren und schmerzhaft hart. Als sie die Augen panisch wieder aufriss, sah sie gerade noch, wie Garm sich auf Loki stürzte und den Magier sowie das Motorrad unter sich begrub; sie stürzten den kleinen Hügel zum See hinab und krachten auf die splitternde Eisdecke, gefolgt von Angel, der seinen Sprung nicht mehr bremsen konnte und ebenfalls auf dem See landete. Das Motorrad rutschte scheppernd über die poröse Eisfläche davon, welche im nächsten Augenblick unter der Gewalt der massigen Körper knirschend zerbrach und die drei Gestalten augenblicklich im eisigen Wasser verschlang. Garm und der Fenriswolf bäumten sich im Wasser jaulend auf; die Tiere versuchten verzweifelt an den treibenden Eisschollen Halt zu finden, während sie die Kälte unerbittlich tiefer zog. Auch Lokis dunkler Haarschopf erschien flüchtig über der Wasseroberfläche, als der Gott keuchend nach Luft schnappte - sein Blick kreuzte den von Gwen ein letztes Mal - bevor Garms Pranke ihn zurück unter das Wasser drückte und alle drei in der Tiefe des eisigen Nasses verschwanden. »NEIN! LOKI!« Gwens Stimme überschlug sich fast vor Grauen; zitternd kroch sie über den Boden zum Rand des Sees, achtete kaum darauf, dass sie sich die Hände an den scharfen Steinen umher aufschürfte. Ihre Augen hasteten verzweifelt über den See; über das geschlagene Loch in der mächtigen Eisdecke, in welchem sich die tiefdunklen Wellen des Wassers aufgewühlt kräuselten und schäumten. »Oh Gott…oh Gott…Loki…Loki…LOKI!« sie schrie, bis ihre Kehle kapitulierte und in der eisigen Luft keinen Ton mehr formen wollte; bis ihre Tränen auf ihren Wangen gefroren und sie sich die Unterlippe in seelischer Pein blutig gebissen hatte - bis sich die Sekunden zu endlosen Minuten dehnten und sich der aufgewühlte See langsam beruhigte. Einsame Eisschollen trieben verloren über das furchtbar schwarz erscheinende Wasser. Voll schmerzlicher Hoffnung starrte Gwen auf die ruhiger werdende Oberfläche des Sees; erflehte ein Lebenszeichen…irgendetwas…doch die Minuten vergingen und nichts regte sich. Ein  haltloses Schluchzen kroch ihre Kehle herauf; ein furchtbarer Schmerz zog durch ihren Körper, der nicht von der Kälte oder ihren blutenden Händen herrührte. Gwen krampfte sich zusammen und schlang die Arme um sich, einen Trost suchend, den nichts bringen konnte, während sie den Kopf beharrlich schüttelte. »Nein…nein…nein…nein…« Er durfte nicht fort sein. Er durfte nicht tot sein. Nicht Loki. Nicht er. Er hatte bestimmt einen Plan….er musste einfach einen Plan haben! Sollte sie in diesem einen Moment wirklich alles verloren haben? Er hatte sie wieder einmal gerettet, doch um welchen Preis? Schwankend stemmte sich Gwen in die Höhe und lief stolpernd am Rand des Sees auf und ab, immer wieder den Namen des Gottes und ihres treuen Hundes rufend, bis ihre Kehle rau von ihren Schluchzern und den Namen ihrer Geliebten war. Einen Augenblick war sie tatsächlich versucht, selbst in das Wasser zu springen, um Loki und Angel zu suchen, doch den Gedanken verwarf sie recht schnell wieder - sie würde das keine Minute überleben und damit auch keine Hilfe sein. Kraftlos brach sie wieder im Schnee zusammen und bettete das Gesicht in den Händen; wiegte sich in der verzweifelten Suche nach Beruhigung hin und her, während ihr allein der Gedanke die Luft abschnürte, dass sie Loki verloren haben könnte. Dieser Gedanke war schlimmer zu ertragen als die Kälte, die beharrlich durch ihre nasse Kleidung in ihre Glieder kroch oder die Angst vor einer Wahrheit über die eigene Gestalt… Nein! Nein…er musste einfach leben. Er musste einen Plan haben. Dieser verdammte Mistkerl würde gefälligst zu ihr zurückkommen! Tatsächlich hatte Loki an diesem Tag einmal keinen Plan; keinen Trumpf in der Hinterhand, keine ausgeklügelte Strategie, auf die er sich stützen konnte. Eines jedoch war ihm in erschreckender Deutlichkeit bewusst - es musste jetzt und hier enden, sonst würde der Helhund Gwen niemals in Frieden lassen. Er würde sie für immer und ewig verfolgen, bis er die Frau irgendwann erreicht hätte und daran würden weder sein Zauber, noch die ständige Flucht etwas ändern. Loki hatte einen nahen Riss zwischen den Welten unter dem Eis des Gletschersees erspürt und eine waghalsige Idee hatte sich in seinem Hirn festgesetzt; unüberlegte Handlungen gehörten eigentlich eher zu Thors Repertoire, allerdings hatte der Donnergott damit ja auch ab und an Erfolg, sodass Loki jetzt durchaus in Betracht zog, den Fußspuren seines stürmischen Bruders zu folgen. Der Magier öffnete die Augen und blinzelte seinem trägen Atem nach, der sich nun in glänzenden Blasen von seinen Lippen entfernte und entgegen der glänzenden Wasseroberfläche schwebte; er selbst hatte bereits völlig das Gefühl für die Schwerkraft verloren, als er losgelöst in dem eisigen Wasser tiefer sank, während neben ihm Fenrir und Garm ihren verbissenen Kampf nicht einstellen konnten. Die Kreaturen wirbelten im Wasser umeinander; ihr Jaulen und Grollen ein tonloses Beben im See, während sie von hellen Sauerstoffbläschen umtanzt wurden, was der ganzen Szenerie etwas durchaus unrealistisch Magisches verlieh. Der Druck auf die Lungen wurde fast unerträglich; das eisige Nass umhüllte Loki wie eine zweite Haut und ließ keinen Raum für Flucht oder unnütze Gedanken - ein zauberhaft freies Schweben zwischen den Welten, in welchem alle anderen Dinge so beharrlich in den Hintergrund rutschten, dass der Magier sie kaum noch sehen konnte. Die Realität schien wie seine winzigen Atembläschen in der Ferne zu verschwimmen; wurde unwichtig, nichtig und klein. Diese Nähe zum Tod hatte einmal mehr etwas seltsam befreiendes und Loki erlag fast dieser süßen Versuchung, sich in die eisigen Arme des Wassers zu begeben, sich verschlingen zu lassen, um die Augen zu schließen und den Geist zur Ruhe zu betten; ein Geist, der mehr als alles andere Lokis größte Waffe und gleichauf sein größtes Verderben war, da sein Verstand niemals ruhen wollte und konnte. Lokis Blick glitt erneut zu den kämpfenden Kreaturen zurück. Garm würde der Verlust von Luft am Ende nicht viel ausmachen, Fenrir allerdings benötigte wie der Magier selbst den kostbaren Sauerstoff zum atmen; Loki rüttelte sich aus seiner Lethargie und stieß sich mit entschlossenen Zügen tiefer in den See hinab, dabei den brennenden Druck in seinen Lungen ignorierend. Gwendolyn würde der Verlust ihres geliebten Hundes mit Sicherheit unheimlich traurig stimmen und die Menschenfrau hatte in der letzten Zeit wirklich genug erlebt, als dies nun auch noch ertragen zu müssen. Der Magier erspürte den winzigen, schimmernden Riss auf dem Grund mehr als das er ihn sah; mit grober Entschlossenheit zwang er den Durchlass mit Hilfe seiner Magie weiter auf und wurde kurz darauf schon durch das Portal gezogen wie ein Stern in das gierige Maul eines schwarzen Loches. Der Durchlass spuckte ihn auf einen eisigen, harten Untergrund aus, wo der Gott schmerzhaft aufschlug und hustend das Wasser aus seinen Lungen würgte, bevor er befreit nach Atem rang. Sein eigenes, bleiches Spiegelbild mit den wilden, nassen Haaren sah ihm aus dem Eis unter seinen Händen entgegen; der frostige Wind riss an seinem Leib und trug Wärme, sowie das Leben Stück für Stück von seiner Gestalt ab. Die grünen Augen des Magiers richteten sich auf eine überfrorene, düstere Landschaft; ein Meer aus spitzen Felsen und Klippen, aus Schnee und Eis, aus Einsamkeit und Trostlosigkeit. Krachend brachen vom Wind zerklüftete Brocken Felsen unter der gewaltigen Macht der Kälte; selbst das eigene Land erzitterte unter der Vorherrschaft des Eises. Die Sterne am Himmel waren ebenso starr wie die Welt unter ihnen - Jotunheim, der letzte Ort, an dem Loki sein wollte, doch an welchem er nun allein Garms Macht fesseln konnte. Unter dem wütenden Fauchen des frostigen Windes, der genauso hart zuschlug wie Thors Hammer, richtete sich der Magier auf und hastete ein paar Schritte beiseite; keine Sekunde zu früh, denn aus dem Riss krachten nun auch Fenrir und Garm auf die eisige Plattform des Felsvorsprungs, auf welchem sie gelandet waren. Der Wolf war sichtlich erschöpft und Loki musste sich nun beeilen, um seinen zaghaft gewachsenen Plan in die Tat umzusetzen. Obwohl sich alles in Loki dagegen sträubte, ließ er doch seine Energien frei fließen und verband diese mit der Welt umher; er verankerte die Wurzeln seines Lebens mit dem Fluss der Mächte Jotunheims und ließ diese lang unterdrückte Seite in sich hervorbrechen; sein Körper wandelte sich in die Form eines Eisriesen, in die Gestalt, welche ihm seit seiner Geburt mitgegeben war in seinem Leben. Obwohl der Gott diese blaue Gestalt hasste, alles daran verabscheute, so konnte sie ihm jetzt doch womöglich gute Dienste erweisen; das Gefühl von Kälte verschwand augenblicklich und die Erschöpfung wurde zu einem dumpfen Pochen im Hintergrund seiner Wahrnehmung. Sein Körper wuchs um ein paar nichtige Zentimeter und füllte sich mit einer Kraft an, die dem Magier verhasst wie faszinierend zugleich erschien. Entschlossen straffte er sich und setzte zu Fenrir und Garm hinüber, die sich eben benommen aufgerichtet hatten und sich nun knurrend umkreisten; der Helhund hinkte sichtbar, zähes Blut tröpfelte ihm in eines seiner fahlen Augen, doch sein Kampfeswille schien ungebrochen, obwohl sich die gestaltlichen Seelen hinter seinen Rippen beinahe ängstlich unter dem Anblick von Fenrirs Gestalt duckten - auch der Wolf hatte gelitten, Bisse und Blessuren von dem Kampf getragen, doch obwohl er schwankte und ziemlich mitgenommen aussah, bot er Garm mit entschlossen brennenden, orangen Augen die Stirn. Loki suchte den Blick Fenrirs, als sich der Helhund erneut auf den Wolf stützen wollte; der Magier flüsterte einen feinen Zauber und ließ jenen in dem Schneetreiben umher zu Fenrir fliegen - eine unsichtbare Verständigung, die das Tier offenbar auch aufnahm. Als Garm ihn fast erreichte, ließ der Wolf sich zu Boden fallen und rollte sich auf den Rücken; die kräftigen Hinterläufe gruben sich in den Leib des Hundes und ließen diesen schmerzhaft heulen - Fenrir stieß die Kreatur von sich und damit den Felsvorsprung hinab in die Tiefe. Loki hastete dem stürzenden Hund hinterher, der sich hektisch mit den Pfoten am brüchigen Eis der Klippe festkrallen wollte; doch vergeblich, das Eis brach unter seinen Klauen und ließ ihn in eine der scharfen und tiefen Felsspalten rutschen, die sich unter dem Vorsprung im Eis auftaten. Der Magier sprang Garm von dem erhöhten Plateau hinterher; er nutzte die Kraft seiner Riesengestalt und hielt sich an spitzen Felsen fest, schwang sich fast mühelos über meterweite Abgründe, bis er dumpf neben der Spalte landete, in welcher Garm verschwunden war. Die wütenden Augen des Hundes funkelten aus der Tiefe zu Loki herauf, doch das Tier steckte in der schmalen Klamm zwischen Eis und Felsen fest und war kaum in der Lage, sich zu bewegen. Loki sank in die Knie und bettete seine blaue Hand auf dem klaren Eis unter sich; ein seltsamer Kontrast, da ihm die eigenen Finger so fremd erschienen. Er schüttelte seinen Unwillen ab, hielt dem Blick des Helhundes mit den eigenen blutrote Augen stand, als er von seiner Hand aus Frost und Eis beschwor, welche sich wie eine Flut über den Rand der Spalte ergossen und diese mit ihrer frostigen Präsenz anfüllten. Garm brüllte wütend auf, versuchte sich gegen das Eis zu wehren, was um seinen Körper erwuchs und ihn in dem Felsen einschloss, doch vergeblich - Frost kletterte an seinem Körper herauf und bedeckte am Ende seinen Kopf, seine geifernde Schnauze und die zornigen Augen, sodass die Laute der Kreatur in einem dumpfen Knurren erstarben, während sich die Macht des tonnenschweren Eises bis zur oberen Grenze der Klamm ausbreitete und diese verschloss. Loki zog die Hand dann langsam vom Boden zurück und richtete sich auf; durch die glasklaren Schichten des Eises hindurch konnte er die fahlen Augen des Helhundes noch leuchten sehen. Ein unseliges Schimmern in der Tiefe - gefangen in einem Käfig aus Kälte, doch nie tot, würde Garm dort unten hoffentlich für eine sehr lange Zeit verbleiben. Der Magier drehte das Gesicht in den Sturm der wirbelnden Schneeflocken und schloss für einen Moment die Augen, während der Atem Jotunheims um seine Gestalt toste; in der Luft war eine seltsame Vertrautheit, das Echo von Bekanntschaft, der Hauch von Zugehörigkeit - Wurzeln gleich, die tief in das Erdreich ragten und niemals brechen würden, obgleich man unermüdlich mit einer Axt auf sie einschlug. Es gab Fesseln, die würde man nie lösen können, weil sie aus Fleisch und Blut geschmiedet waren. Aber vielleicht konnte man lernen, mit ihnen zu leben... Vorausgesetzt, dass man sich irgendwann selbst akzeptieren könnte; der Magier hob eine seiner Hände und betrachtete die so fremd erscheinenden blauen Finger, die eingebrachten Stammeslinien auf seiner Haut - er hasste diese Gestalt, obwohl sie ein Teil von ihm war. Doch sie würde ihn immer daran erinnern, wie unvollkommen er in den Augen anderer erschien - ein Makel, aus Blut geformt. Wie sollte er je lernen, diese Seite an sich anzuerkennen, wo ihm sein halbes Leben gelehrt wurde, die Eisriesen zu fürchten und als Bedrohung zu erkennen. Loki wusste, dass seine Wiege hier in Jotunheim stand und etwas in ihm immer zu diesem Ort streben würde; eine Erkenntnis, die ihn einst die Welt der Eisriesen fast hatte zerstören lasen. Doch seine Heimat war eine andere - mit Jotunheim verband ihn Blut, mit Asgard eine Geschichte, ein Heim und Liebe. Seine blauen Lippen verzogen sich zu einem flüchtigen, ironischen Lächeln, welches gleich darauf in den Weiten dieser eisigen Welt verwehte, fortgerissen von Kälte und einem spöttischen Schnauben. „Liebe“ - dieses Wort hatte er wahrlich selten gedacht, noch seltener gebraucht. Gwendolyn wäre wahrscheinlich stolz auf ihn gewesen, dass er diese Gedanken nun zumindest zuließ, auch wenn es noch immer schwerfiel. Aber es war die Wahrheit; Loki liebte Asgard und im Inneren seines Herzens hatte er diese Gewissheit schon immer besessen, obwohl er sich dagegen gesträubt hatte. Gwendolyn…das Brennen in seiner Brust kehrte zurück und diesmal rührte es nicht vom Mangel an Sauerstoff her; sie würde sich gewiss alberne und unnütze Sorgen um ihn machen… Rasch kletterte er die Felsen wieder hinauf, zurück auf den Vorsprung, wo Fenrir bereits auf ihn wartete; der Wolf leckte sich eine blutige Pfote, setzte jene jedoch ab und stieß sofort ein triumphales Heulen aus, als er Loki erblickte, der sich über den Rand des Felsens in die Höhe zog. In der Ferne antwortete das Brüllen eines Eisriesen, welcher wahrscheinlich alarmiert wegen der Laute hier bald nach dem Rechten sehen würde. Es war Zeit zurückzukehren. Der Rückweg durch den Riss zwischen den Welten war schnell wieder gefunden und Loki schwamm mit schnellen, kräftigen Zügen an die Oberfläche des Sees, welche er mit einem Keuchen durchstieß und tief Luft schöpfte. Neben ihm tauchte der Wolf auf und paddelte ein wenig ungeschickt ans Ufer; an das Ufer, wo Gwendolyn wie ein Häufchen Elend im Schnee hockte und den beiden Gestalten mit ungläubig geweiteten Augen entgegenblickte. Ihre fahlen Lippen öffneten und schlossen sich immer wieder, als würde sie versuchen Worte zu formen; auf ihren Wangen glitzerten die Spuren von frostigen Tränen. Sie sah furchtbar entkräftet aus; die Augen rot, die Haut blass und die Lippen fast blau - sie musste entsetzlich frieren, doch hatte sie hartnäckig dort ausgeharrt und auf sie gewartet. Jetzt erhob sich die Sterbliche zittrig und steif auf ihre Beine, während ihr Blick zwischen Angel und Loki hin und her schwankte; sie sah erleichtert aus, allerdings auch ungläubig und verwirrt. Vor allem verwirrt, als ihre Augen an Loki hängen blieben, der sich mühsam über Eisschollen ans Ufer zog und dort aufrichtete. Fenrir lag erschöpft neben ihm im Schnee und schrumpfte im nächsten Augenblick in seine altbekannte Gestalt zurück; der Zauber verlor seine Kraft und ließ das magische Geschöpf seine komprimierte Form wieder annehmen. Der Hund stieß die Luft in einem abgekämpften Schnauben aus, schien aber weitestgehend von größeren Verletzungen verschont.   Gwendolyn stolperte langsam auf sie beide zu; kurz ging sie neben Angel in die Hocke und strich diesem zittrig über den Kopf. Da sich der Hund im nächsten Augenblick aber schon wieder erhob und das Wasser aus seinem Fell schüttelte, schien sie zu erleichtern, vor allem da das Tier ihr beruhigend die Hand leckte. Dann wandte sich die Sterbliche Loki zu und sie blinzelte ein paar Mal, als müsste sie ihre Sicht angestrengt klären; sie schien ihren eigenen Augen nicht zu trauen, als sie hoffnungsvoll einen vorsichtigen Schritt weiter auf ihn zu wagte und ein unsicheres: »Loki?!« hauchte. Die Zuversicht in ihrer Stimme war überraschend; ehrlich und tiefgreifend - ebenso wie die zaghafte Erleichterung in ihren hellen Augen, welche sich noch nicht komplett hervorwagte, als hätte sie Angst, damit ein Trugbild zu zerstören. Ihre Hand streckte sich zu seinem Gesicht aus, verharrte jedoch unschlüssig in der Luft vor seiner Haut, als wäre sie unsicher, wen sie da vor sich hatte - oder was… Erst jetzt fiel dem Magier auf, dass er noch immer seine Jotunengestalt trug; und egal, wie sehr er sich in diesem Moment auch bemühte, er vermochte es nicht, sich zurück zu wandeln, was wohl an der Erschöpfung und den Wunden lag, die er erst jetzt wirklich wahrnahm. Träge tröpfelte Blut von einem Schnitt über seiner Braue und ebenso breitete sich warme Feuchtigkeit unter seiner klammen Rüstung im Bereich seiner Schulter aus; der Biss der Jörmungandri war wohl wieder aufgerissen. Er hielt den Blick der Sterblichen, obwohl er jenen am liebsten abgewendet hätte, um sie nicht in das Licht seiner nun glutroten Augen zu baden; sie hatte ihn noch nie so gesehen und Loki fürchtete ihre Reaktion - fürchtete, dass sie ihn so ansehen würde, wie es die Asen taten; wie es ängstliche Kinder in ihren Betten tun würden, für die er nichts weiter als das Monster aus Albträumen war. Würde sie vor seiner wahren Gestalt zurückschrecken? Würde jeder Funken Zuneigung von ihr unter der Wahrheit, unter Abscheu zerbrechen; unter dem Anblick der abstoßenden Gestalt seiner Geburt? Würde er das ertragen können? Vielleicht wollte er sich lieber selbst vor dieser befürchteten Reaktion schützen, denn er wich einen fast hastigen Schritt vor Gwendolyn und ihrer Hand zurück; er hatte sich wirklich nie für einen Feigling gehalten, doch jeder hatte eine Schwäche, die einen verwundbar machte - und Loki besaß diese Schwachstelle in dem Blut seiner Geburt; eine Schwachstelle, die wie eine gerissene Wunde schwärte, blutete und sich immerwährend der Heilung entzog. Wahrscheinlich entzog sich Loki selbst dieser Heilung, indem er keinen wahren Frieden mit sich selbst und seinen Wurzeln finden konnte. Gwendolyn wirkte verwirrt, fast ein wenig verletzt, als er vor ihr zurückwich; dieser Ausdruck ihres Gesichtes das Letzte, was er sah, bevor ihn eine erschöpfte Ohnmacht übermannte. Er spürte noch, wie er in den Schnee sank; die Feuchtigkeit auf seiner Wange, die er schon nicht mehr den weißen Flocken oder seinen eigenen Tränen zuzuordnen vermochte. Wieder einmal war er gefangen in den Schatten seiner Vergangenheit; in den Klauen einer eisigen Umarmung, einer schrecklichen Erkenntnis, die ihn sein Leben lang verfolgte und nicht aus ihrem Griff entlassen wollte. Er war noch immer zerrissen zwischen zwei Welten - zerbrochen unter seinen eigenen Ansprüchen und Zielen, der grausigen Wahrheit, die nichts und niemand vertilgen konnte; er war gefangen in einer Blase aus Selbsthass, die seine Seele zornig an sich selbst kratzen ließ… Würde das für immer so sein? Für immer… Gwen ließ das heiße Wasser mit einem wohligen, kleinen Seufzen auf sich prasseln und schloss die Augen unter dem brausenden Strahl der Dusche; einen Augenblick gewährte sie sich die Erschöpfung ihrer Glieder, die nun wieder zu Tage trat, doch dann drehte sie entschlossen das Wasser ab, nachdem sie Schnee, Kälte, Blut und Schmutz von sich abgewaschen hatte und stieg aus der Dusche. Nachdem sie nun wieder sauber und aufgewärmt war, kehrten zumindest auch ihre Lebensgeister zurück. Sie musste unbedingt nach Loki sehen. Unter Aufbietung all ihrer verbliebenen Kräfte hatte sie ihn mit Hilfe von Angel zu einer der Blockhütten geschleppt; sie wusste jetzt selbst kaum noch, wie sie es geschafft hatte, den großen Mann zu bewegen und zu stützen, der offenbar aus Erschöpfung zusammengebrochen war. Zum Glück war das Schloss der Hütte kein sonderliches Hindernis gewesen und sie hatte Loki vorsichtig auf das Bett gelegt, bevor sie ein Feuer im Kamin entfacht hatte; die Hütten waren voll ausgestattet für Besucher, was ihnen jetzt deutlich zum Vorteil gereichte. Es gab ein paar lang haltbare Lebensmittel in der überschaubaren Küche und fließendes, heißes Wasser in dem kleinen Bad. Der Rest der Hütte bestand aus einem größeren Wohn- und Schlafraum, der zweckmäßig eingerichtet war - zumindest würden sie sich erst einmal aufwärmen können. Gwen rubbelte sich die Haare einigermaßen trocken und wickelte eines der großen Handtücher dann um sich, da ihre Kleidung vor dem Kamin trocknete; sie wischte über den beschlagenen Spiegel und musterte ihr eigenes Spiegelbild kritisch - ihre Wangen nahmen zumindest wieder ein wenig Farbe an und der Rest ihres Körpers war gerötet von der heißen Dusche, die sie sich verabreicht hatte, um sich aufzuwärmen. Ihre Augen waren noch recht fahl und gerötet, ihre Haare wirr, doch zumindest fühlte sie sich wieder wie ein Mensch. Entschlossen öffnete sie die Tür und trat aus dem Bad, angespannt und unsicher, was sie wohl erwarten würde; sie hatte den benommenen Magier vorhin zuerst mühsam aus den Schichten seiner Rüstung befreit, was sie ein gutes Stück ihrer Nerven und Kräfte gekostet hatte, um zumindest die Wunde an seiner Schulter notdürftig versorgen zu können. Dabei hatte sie verstohlen immer wieder sein starres Gesicht gemustert; seine Augen waren geschlossen gewesen, obwohl sich diese unter den Lidern unruhig bewegt hatten, seine Züge angespannt und verkrampft, als würde er mit ganz eigenen Dämonen in seiner Benommenheit kämpfen. Sie konnte es noch immer kaum glauben; ihr Glück kaum fassen, doch er war tatsächlich zurückgekehrt - zuerst hatte sie ihren Augen kaum glauben wollen, als er mit Angel aus dem See entstiegen war, vor allem da er nun so anders aussah. Seine Haut war jetzt blau und von verschlungenen Linien überzogen; rauer und kühler, als sie diese in Erinnerung hatte - genau wie seine Augen, die nun in einem feurigen Rot geleuchtet hatten. Gwen war nicht blöd und ihr hatte sofort gedämmert, dass wahrscheinlich seine Eisriesengestalt sein musste; es war noch immer Loki, er sah aus wie Loki und doch auch irgendwie anders…im ersten Augenblick war sie verwirrt gewesen und ja, auch ein wenig unsicher und verängstigt, da sie den Magier so einfach nicht kannte. Er wirkte jetzt noch größer und bedrohlicher als ohnehin schon, doch als sie ihn zur Hütte geschleppt hatte, hatte sie sich durchaus mit dieser Form seiner Gestalt vertraut gemacht, sodass ihre Bedenken recht schnell verflogen waren. Er war auch nun nicht anders, weder unsterblich noch unfehlbar und hatte ihre Hilfe benötigt. Nachdem sie zumindest die Blutung an seiner Schulter fürs Erste gestillt hatte, hatte sie ihn kurz allein gelassen, um sich aufzuwärmen und zu duschen; wenn sie nicht aus den kalten Sachen rausgekommen wäre, dann wäre sie bald die nächste mit einer kraftlosen Ohnmacht gewesen. Angel war bei Loki geblieben und hatte sich zwischen Kamin und Bett auf den Boden gelegt, als hätte er Gwen versichern wollen, dass er Wache halten würde; sie wusste weder, was passiert war in diesem See, noch wo Garm abgeblieben war. Aber zumindest schien der Helhund für den Augenblick erst einmal keine weitere Gefahr darzustellen und Loki konnte sie in seinem Zustand ja auch schlecht fragen. Angel war wieder der Hund, den sie kannte; sie hatte keine wirkliche Angst vor ihm, immerhin hatte er sie beschützt, doch sie fragte sich natürlich, was es mit der rätselhaften Aussage von Loki auf sich hatte in Bezug auf den Hund. Nun trat sie also in den Wohnraum und stellte erleichtert fest, dass Loki inzwischen erwacht war; er saß auf dem Bettrand, sein Oberkörper war nackt, doch die Hose hatte Gwen ihm lieber gelassen, ebenso wie seine Stiefel, deren komplizierte Verschlüsse sie einfach nicht hatte lösen können. Seine Haut schimmerte noch immer in diesem irgendwie faszinierenden Blau und obwohl er einen so eigenartig fremden Anblick bot, erwachte in Gwen die Neugier und Verlockung, seien fremdartige Gestalt zu berühren und die kühle Haut unter ihren Fingerkuppen zu erfühlen… Allerdings wurden diese Gedanken sofort durch eisiges Entsetzen abgelöst, als sie erkannte, dass der Gott einen Arm auf seinem Oberschenkel gebettet hatte und mit einer Klinge oberflächliche Schnitte über seine Haut zog; sein Gesicht war schrecklich starr und emotionslos, fast konzentriert waren seine roten Augen auf das Blut gerichtet, welches heiß und schwer über seine Haut floss und träge auf den Holzboden der Hütte tropfte. »Bist du verrückt?! Was tust du denn da?!« Ohne groß zu überlegen war Gwen bei Loki und entriss seinen Fingern die scharfe Klinge, welche sie bestimmt von sich warf. Scheppernd landete das Metall auf dem Boden. »Hör sofort auf damit!« Sie hatte bestimmt nicht ihre letzten Kräfte mobilisiert, um ihn zu retten und zu verarzten, nur damit er sich jetzt selbst verletzte. Der Gott schien sie gar nicht wirklich wahrzunehmen, starrte ins Leere und verkrampfte die Finger zu einer Faust, als diese kein Metall mehr hatten, was sie umfassen konnten. Gwen holte tief Luft und ließ sich neben Loki in die Knie sinken, nahm sein Gesicht in beide Hände und zwang seinen Blick so zu sich. »Loki…was ist los? Was tust du da?« flüsterte sie eindringlich und versöhnlich; augenblicklich tat es ihr leid, dass sie ihn so angefahren hatte. Seine roten Augen fokussierten sich langsam auf sie, schienen sie wohl auch zu erkennen, bevor seine Lippen ein tonloses, abwesendes Wispern ausstießen: »Ich dachte, es wäre blau…ich dachte, es müsse blau sein…« Er sprach so ungläubig wie ein Kind, dass eben feststellen musste, dass es den Weihnachtsmann doch nicht gab, obwohl man ihm das die ganze Zeit versichert hatte. Der Gott wirkte völlig apathisch und das machte Gwen mehr Angst, als wenn er sie wütend angefahren hätte - seitdem er aus dem Wasser wiedergekehrt war, war irgendetwas an ihm anders und damit meinte sie nicht einmal seine veränderte Gestalt. Sie zog die Stirn verwirrt in Falten, bevor sie begriff, dass er offenbar von seinem Blut sprach; sie löste eine Hand von seiner Wange, um damit beruhigend und sanft über seinen verletzten Arm zu streichen - die nur oberflächlichen Wunden schlossen sich zum Glück bereits schon wieder, was Gwen verblüfft zur Kenntnis nahm. »Nein. Es ist rot, Loki. Genau wie meins. Rotes Blut. Nicht blau.« wisperte sie zaghaft und weich. Ihre Stimme schien den Magier aus seiner Teilnahmslosigkeit zurückzuholen; in seinen roten Augen sah sie seinen Verstand erwachen und das Erkennen, als er sie ansah. Allerdings schien ihm gerade ihre Nähe im nächsten Augenblick fast zuwider zu sein. Hastig sprang er auf und entriss sich damit ihren Händen, als könnte er es nicht ertragen, berührt zu werden. »Fass mich nicht an!« zischte er barsch und ließ Gwen damit zurückzucken; verletzt zog sie die Unterlippe zwischen die Zähne und versuchte ihre Enttäuschung bloß nicht zu zeigen. Wackelig stemmte sie sich wieder in die Höhe und zog das Handtuch fester über ihren Brüsten. »Ich wollte dir nur helfen.« gab sie ihm verstimmt zurück und hob das Kinn trotzig an. Loki war in einiger Entfernung stehen geblieben und wischte sich die Reste des Blutes fast angewidert von seinem Unterarm; seine blaue Stirn hatte sich in tiefe Falten gezogen, er wirkte wütend und unzufrieden mit sich selbst. »Ich brauche deine Hilfe nicht.« erklärte er ihr kalt und sah fast vernichtend auf sie herab, dann wirbelte er herum und verschwand im Bad. Die Tür fiel krachend hinter ihm ins Schloss, sodass Angel verwirrt den Kopf hob, während Gwen die geschlossene Tür fassungslos ansah. Da hatte sie ihn hierher geschleppt und verarztet, sich furchtbare Sorgen um ihn gemacht - und nun das? War nur los mit ihm? Gwen presste die Handballen gegen die Augen und holte tief Luft; die Tränen brannten schon wieder hinter ihren Lidern, doch sie schluckte diese entschlossen herunter. Nein, sie würde nicht weinen, obwohl Erschöpfung und Enttäuschung sie abermals heimzusuchen drohten. Sie hasste es, wenn Loki das tat - wenn er sie so abweisend und kalt behandelte, als wäre zwischen ihnen doch nicht schon viel mehr gewesen… Sie spürte, dass ihn etwas beschäftigte und sie konnte sich auch denken, dass es wahrscheinlich mit seiner momentan gewandelten Gestalt zusammenhing, doch er wollte offenbar nicht mit ihr reden und schloss sie wieder einmal von seinen Gedanken und Empfindungen aus. Lass ihm Zeit, versuchte sie sich selbst Mut zuzusprechen. Er wird sich schon wieder beruhigen. Aus mangels an Alternativen und weil sie Hunger hatte, öffnete Gwen die Tür der kleinen Küche und wühlte in den Schränken dort nach etwas essbarem; sie fand eine Tüte Trockenobst und verschlang dieses hungrig, während sie auf Loki wartete. Das Geräusch der Dusche zog sich monoton und beruhigend durch die Hütte, bevor es irgendwann verstummte. Tatsächlich vernahm Gwen die Tür des Badezimmers nach einer Weile wieder und wagte sich aus der Küche; der Gott hatte ebenfalls geduscht, sein Haar schimmerte dunkel und feucht, war behelfsmäßig mit den Händen nach hinten gekämmt. Seine noch immer blaue Haut war wieder frei von Blut und Schmutz; die Wunde auf seiner Schulter sah schon besser aus als noch vor einer halben Stunde. Die Selbstregenerationskräfte der Götter waren wirklich erstaunlich. Loki war nackt bis auf seine Lederhose, die er offenbar wieder angezogen hatte; seine Stiefel hatte er allerdings abgestreift und Gwen erhaschte einen Blick auf seine nackten, blauen Zehen, bevor er aus ihrem Sichtfeld verschwand und sich neben Angel und dem Kamin niederließ. Der Magier strich dem Hund gerade sanft über den Kopf, als Gwen um die Ecke bog und sich leise hinter ihm auf dem Bett niederließ; obwohl es albern war, empfand sie Neid und Unverständnis, warum der Gott gerade mit dem Tier so liebevoll umgehen konnte, nur offenbar mit ihr nicht. »Warum…hat Angel jetzt wieder diese Gestalt? Was ist er?« eröffnete sie das Gespräch zaghaft und stocherte nebenbei mit dem Schürhaken im Feuer; knackend brachen ein paar Holzscheide und verbreiteten angenehme Wärme im Raum. »Dein Hund ist Fenrir, ein magisches Wesen, welches sich beliebig in den neun Welten manifestiert. Es hat keinen Herrn, folgt nur seinen eigenen Regeln und Idealen. Meist tritt Fenrir in der Gestalt eines Wolfes auf. Er kann Schlächter sein, aber auch Beschützer, Richter oder Hüter. Jetzt hat er sich offenbar zu deinem Wächter erkoren.« Loki hielt kurz inne und sah flüchtig über die Schulter zu ihr zurück. »Er braucht gewissermaßen einen Katalysator, um seine gesamte Macht zu nutzen; eine Kraftquelle. Die habe ich ihm mit meiner Energie verschafft. Wenn diese aufgebraucht ist, nimmt er wieder diese einfache Form an…« Der Gott kraulte den Hund hinter dem Ohr, der wohlig die Augen zusammenkniff. »Ich hätte selbst nie gedacht, dass es Fenrir wirklich gibt. Wenige haben ihn zuvor gesehen, die meisten halten seine Geschichte für eine Legende.« Gwen hätte niemals geahnt, dass so ein mächtiges Wesen in ihrer Nähe weilte; ihr Beschützer…Tahatan hatte Angel als Welpe ihren Eltern übergeben, da sie sich schon immer einen Hund gewünscht hatte. Leider hatte sie den treuen Freund ihrer Kindertage nicht mit nach New York nehmen können. »W-was ist passiert?« wagte sie dann vorsichtig zu fragen. »Was ist in dem See passiert? Ich dachte schon, ich würde euch nicht wieder sehen. Ich dachte, du wärst-« Sie verschluckte sich fast an dem Wort „tot“ und sprach es deshalb auch nicht aus; es war einfach zu schmerzhaft. »Wo ist Garm? Wo wart ihr?« Gwen dachte schon, dass Loki nicht antworten würde, da er ihr beharrlich den Rücken zuwandte und sie nur seine angespannten Schultern sehen ließ; auch über seinen Rücken zogen sich nun diese faszinierenden, verschlungenen Linien wie Narben und Gwen war durchaus versucht, eine Hand auszustrecken und diese zu berühren, ließ es dann aber doch bleiben. »In Jotunheim.« kam dann seine knappe Antwort. Der Magier erhob sich geschmeidig wieder in die Höhe und wandte sich endlich zu ihr um, allerdings mied er weiterhin eisern ihren Blick. Jotunheim also. Das erklärte wahrscheinlich auch seine Eisriesengestalt. »Unter dem See befand sich ein Riss zwischen den Welten. Ich habe Garm nach Jotunheim gezogen und ihn in einer Gletscherspalte gefangen. Da man ihn nicht töten kann, muss man ihn eben einschließen. Das wird ihn hoffentlich für unbestimmte Zeit aufhalten.« erklärte ihr Loki sachlich und ließ sich etwas abseits von ihr nun ebenfalls auf dem Bett nieder; er lehnte sich an das hölzerne Rückenteil und zog die Beine auf die Bettdecke. Gwen verspürte augenblicklich Erleichterung; eine große Last fiel von ihren Schultern ab und ließ sie tief durchatmen. Garm war also offenbar erst einmal Geschichte - Loki hatte also tatsächlich einen Weg gefunden, den Helhund zu bezwingen; wenn man ihn auch nicht töten konnte, so doch einsperren. Die Idee war einfach, aber genial. Nur wenn Garm jetzt nicht mehr war, fiel auch ein großer, entscheidender Grund weg, warum Loki sie in seiner Nähe dulden würde und sollte… »Warum hast du mir nicht gesagt, was du vorhast? Ich habe mir verdammte Sorgen um dich gemacht…« verlangte sie unverständig zu wissen und lehnte sich ein wenig zu ihm hinüber; sie hielt das Handtuch mit einer Hand fest, während sie sich mit der anderen auf der Matratze abstützte. Ihre Füße baumelten noch aus dem Bett, in der Nähe des Feuers, was angenehm für ihre durchgefrorenen Glieder war. »Weil ich selbst bis dahin nicht wusste, was ich vorhabe.« erwiderte er harsch, schloss die roten Augen für einen Moment, bevor er weicher fortfuhr: »Es war eine eher intuitive Idee. Ich wusste nicht mal, ob sie funktionieren würde…«   »Loki…« Sie zog die Füße nun doch aufs Bett und rutschte an seine Seite; sie wollte eine Hand zu seiner verwundeten Schulter ausstrecken, die nun schon fast verheilt wirkte, doch er fing ihr Handgelenk fast hektisch vor seiner Haut ab und umklammerte dieses in einem festen Griff. Seine Augen zuckten nervös zu ihren Fingern, bevor er ihre Hand beinahe erschrocken losließ - war ihre Berührung wirklich so wenig zu ertragen? Ihm so zuwider? Gwen biss die Zähne enttäuscht aufeinander und ließ die Hand unsicher wieder sinken. »W-wie geht es dir? Du sahst vorhin ziemlich fertig aus, bist du-« Loki unterbrach sie unwirsch. »Es ist alles in Ordnung.« stieß er abwehrend aus und verschränkte die Arme in einer ablehnenden Haltung vor der Brust. »Es geht mir gut.« erklärte er tonlos. Weiterhin mied er ihren Blick. Gwen sah verwirrt und unverständig zu ihm hinüber; sie spürte, dass ganz und gar nichts in Ordnung war. Er baute seine Mauern wieder hoch um sich und wenn sie nichts unternahm, würde er bald wieder dahinter verschwunden sein. Sie durfte das nicht zulassen. Sie durfte nicht tatenlos dabei zusehen, wie er die Fortschritte der letzten Tage einfach so wieder zerstörte - sie würde sich nicht wieder ausschließen lassen. Erneut hob Gwen den Saum ihres Handtuchs und rutschte näher zu ihm, sodass sich ihr Schenkel gegen das kühle Leder seiner Hose schmiegte. »Ich dachte, ich hätte dich verloren, Loki…« flüsterte sie dann. Ihr offener Blick suchte den seinen und tatsächlich erwiderte er diesen endlich unter dem Klang ihrer berührten Stimme, wirkte fast irritiert über ihre Worte. »Als ich dich in diesem See versinken sah…ich war so verzweifelt…ich dachte, ich würde dich nie wieder sehen…ich hatte furchtbare Angst…« gestand sie ehrlich. Loki presste die Lippen starr aufeinander, während Gwen flüchtig das Haupt senkte und tief Luft holte. Dann hob sie erneut die Hand und legte die Finger auf seine dunkle Wange; der Gott ließ sie gewähren, wohl zu überrascht von ihrem Geständnis. »Ich bin unendlich froh, dass du wieder hier bist, Loki. Ich bin froh, dass es dir gut geht…« Der Magier blinzelte kurz, schloss dann die Augen unter ihrer Berührung und versteifte sich sichtlich darunter. »Fass mich nicht an…« Diesmal war es weniger ein Befehl, keine grobe Forderung, sondern glich eher einer verzweifelten Bitte. »Warum?« fragte Gwen unverständig und verwirrt; er war zwar noch nie jemand gewesen, der die körperliche Nähe bewusst gesucht hatte, doch so abweisend hatte er sich ihren Berührungen gegenüber auch noch nie gezeigt. Fasziniert glitt ihr Finger über eine der Linien auf seiner Wange und zog diese sanft nach. »Weil diese Gestalt abstoßend ist…« spie er dann nach einer Weile aus, die Worte wie einen abscheulichen Geschmack von der Zunge stoßend. »Ich habe offenbar im Moment nicht die Macht, mich zurück zu wandeln. Meine Energiereserven müssen sich erst wieder auffüllen. Bis dahin muss ich dich leider mit diesem Anblick behelligen…« erklärte er ihr tonlos und wirkte so furchtbar unzufrieden und frustriert über sich selbst, dass Gwen tatsächlich einen Augenblick in ihren Bewegungen stockte. Der unterdrückte Schmerz in seiner Stimme rührte ihr Herz und versetzte diesem einen mitfühlenden Stich. »Was redest du da für einen Unsinn?!« Sie zog die Brauen kritisch zusammen und schüttelte irritiert den Kopf; für sie war er nicht abstoßend. Er sah anders aus, ja, aber trotz allem war er noch immer Loki. Er schien bei weitem mehr Probleme mit dieser Form zu haben als sie selbst - sie war längst über den Punkt hinaus, wo sie Eisriesen, Schlangenmenschen oder Höllenhunde noch überrascht oder schockiert hätten. Sie wusste immerhin seit Anfang an, dass er ein Eisriese war; sie hatte ihn so zwar noch nie gesehen, doch war sie schon immer neugierig gewesen, wie diese Gestalt wohl aussehen würde. Seine roten Augen wandten sich ihr wieder zu und verengten sich forschend, als würden diese förmlich eine abwehrende Handlung, einen Funken Abscheu von ihr fordern. Und langsam begriff Gwen - sie sah die Wahrheit in seinen glutroten Iriden, die sie an Blut und Feuer erinnerten und daran, dass Loki zwei Welten angehörte; er akzeptierte sich selbst nicht. Er hasste dieses Erbe in sich und das Blut, dass durch seine Adern rann - und solange er sich selbst nicht anerkannte, sich nicht gänzlich annehmen konnte mit allem, was dazu gehörte, solange würde er auch niemand anderen an seiner Seite akzeptieren können. "Sein Herz liegt noch in der Umarmung der Finsternis, doch du kennst den Schlüssel zu seinen Fesseln. Du wirst die Schatten vertreiben." Mit einem Mal wusste sie, was die Norne gemeint hatte. Es war ihr plötzlich erschreckend klar, als hätte sich der Nebel endlich gelüftet, um sie die Wahrheit sehen zu lassen. Sie wusste, was Loki fesselte und seine Seele gefangen hielt. Und sie wusste auch, was sie zu tun hatte. Ohne Zögern schwang sie sich auf seinen Schoß, achtete nicht auf seinen Protest; er wirkte regelrecht schockiert, als sie plötzlich über ihm thronte. Er fand sich wieder in einer ausweglosen Situation, da er sie hätte berühren müssen, um sie von sich zu schieben. Offenbar war er allerdings der Meinung, dass er sie vor seiner Berührung schützen müsste, weshalb er die Hände zwar hob, Gwen jedoch nicht von sich stieß. »Nichts an dir ist abstoßend…« erklärte sie bestimmt. Sie beugte sich zu ihm hinab und umgriff seine Handgelenke sanft, strich mit warmen Bewegungen über seine Haut und drückte seine Arme entschlossen wieder auf das Bett hinab. »Gwen-« begann er fast flehend, doch sie drückte ihm einen Zeigefinger auf die bläulichen Lippen, bevor sie diesen zurückzog und ihren Mund jene Stelle einnehmen ließ, ihre Lippen federleicht auf seine treffen ließ. Der Geschmack seiner Lippen war nicht anders; noch immer waren sie süß und verlockend, weich und unglaublich sinnlich - ob nun in dieser Gestalt oder in einer anderen. Gwen verspürte keine Hemmungen ihn zu küssen, ihren Mund in einem weichen Streifen gegen seine Lippen zu schmiegen, diese erneut zu kosten und zu liebkosen. Loki wurde unter ihrem Kuss starr und weitete die Augen; sie sah diesen Kampf in seinen feurigen Seelenkreisen, zwischen der erwachenden Sehnsucht und der Abscheu vor sich selbst, welche Gwen ihm unbedingt nehmen musste. Wenn sie jetzt zögern, jetzt zurückweichen würde, dann hätte sie ihn wahrscheinlich für immer verloren… Sie umfasste sein Gesicht erneut und ließ die Finger über seine Haut streifen; ihre Daumen fuhren die eingebrachten Linien auf seiner Haut nach, bevor schon ihre Lippen folgten, welche diese faszinierenden Konturen nachzeichneten. Gwen ließ ihren Mund in einem weichen, unendlich zärtlichen Hauch über sein Gesicht wandern; ohne Scham, ohne Zögern und ohne Hemmungen. Sie küsste seine hohe Stirn, seine Brauen, seine scharfen Wangenknochen; genoss das Gefühl dieser kühleren, leicht rauen Haut unter ihren Lippen, unter ihren Fingern, die auch nicht still standen und dem Weg ihres Mundes ebenso genießerisch folgten. Sehr langsam löste sich Lokis Anspannung unter ihren Berührungen und leichten Küssen; er schloss die Augen kurz, schien sich zumindest zu gestatten, es zu genießen, auch wenn die Kontur seiner Kiefer noch immer recht verkrampft wirkte. Seine Atmung beschleunigte sich leicht und seine Lippen öffneten sich um ein Stück für sie, als sie mit einem weichen, versichernden Lächeln auf ihn herabsah und die harte Linie seines Kiefers mit den Daumen nachfuhr. »Siehst du, nichts an dir ist abstoßend. Rein gar nichts. Ich fürchte dich nicht. Du bist noch immer Loki…« wisperte sie mit deutlich belegter Stimme an seinen Lippen; diese Nähe ging nicht spurlos an ihr vorüber und sie konnte nicht leugnen, dass sie auch nach seinen Berührungen verlangte - dass sie sich nach ein bisschen Vergessen und Nähe sehnte, um die Schrecken der letzten Stunden aus ihrem Gedächtnis zu löschen. Sie senkte den Blick, ließ ihren Mund an seinem Kinn hinabgleiten und neigte seinen Kopf ein wenig zur Seite, um den fast verspielten Linien an der Seite seines Halses zu folgen; ihre Lippen glitten über seine Haut hinab und sie konnte es sich nicht verkneifen, ihre Zunge über seine blaue Haut gleiten zu lassen, welche eine feuchte, schimmernde Spur hinterließ. Zufrieden bemerkte sie die feine Gänsehaut des Gottes; das deutlich schneller klopfende Herz in seiner Brust, auf der sie nun eine Hand gebettet hatte, um sich abzustützen. Sie küsste seinen Hals mit Hingabe, reizte seine Haut zaghaft mit den Zähnen und saugte sie verlangend zwischen ihre Lippen; vielleicht mochte Loki sich für abstoßend halten, doch sie erregte er in jeder Gestalt - sie wollte ihn noch immer, drückte die Nase verlangend in seine Halsbeuge und sog seinen unverwechselbaren Duft tief in ihre Lungen. Ihre Hand auf seiner Brust wanderte indessen über die kühle Haut; strich über die beeindruckenden Linien, welche sich auch dort ausbreiteten und sie zeichnete diese mit ihren Fingern und gedämpfter Leidenschaft nach. Loki kam ihren Berührungen entgegen; sein Körper drückte sich unmerklich gegen ihre Handfläche, doch noch immer fühlbar gebremst, als würden ihn Fesseln zurückhalten. Gwen ließ ab von seinem Hals und widmete sich wieder seinen Lippen; ihre Zungenspitze glitt über diese hart daliegenden Konturen, verlangte nach Einlass, welcher ihr der Magier auch nach einer Weile gewährte. Sofort umschlangen sich ihre Zungen in einem vertraut heißem Tanz, der das Feuer in Gwens Körper spürbar entfachte und Lust wie eine Pfeilspitze zwischen ihre Beine jagte; an diesem Kuss nun war nichts zurückhaltendes mehr und Loki selbst schien seine Jotunengestalt zumindest für den Moment zu vergessen. Er packte ihren Kopf mit seinen kräftigen Händen und zog sie näher auf sich herab; intensivierte die Vereinigung ihrer Münder ins schier Unerträgliche, sodass Gwen sich seufzend an seinem Körper rieb und die Finger in seine bloßen Schulter krallte. Auch der Gott wurde spürbar von diesem Feuer zwischen ihnen verschlungen und mitgerissen; seine Zunge eroberte ihren Mund nun stürmisch und unnachgiebig, stieß in sie wie die Verheißung auf den Akt selbst, während Gwen nicht satt davon wurde, seine Lippen zu küssen, diese mit ihren Zähnen zu fangen und Loki damit immer wieder einen kleinen, heiseren Laut zu entlocken - sie liebte die angeraute Seide seiner geschmeidigen Stimme; wenn jene kippte, ohne die Ahnung von Schärfe und Gefahr einzubüßen. Seine kühlen Hände glitten über ihre Schultern herab und streiften ihre Arme, dann den Saum ihres Handtuchs, welches nur mit einem lockeren Knoten über ihren Brüsten festgemacht war. Seine Finger wanderten zu dieser letzten Grenze zwischen ihnen, bevor er sich bewusst zu werden schien, was er da tat - fast erschrocken löste er seine Hände von ihr und den Kuss, um schwer atmend mit lustverhangenen Augen zu ihr aufzublicken. Wieder erwachte Unsicherheit in seinen Seelenkreisen; leidliche Bedenken, die das Feuer noch nicht mit sich genommen hatte. »Nicht…« wisperte Gwen flehend und ergriff seine Finger, um diese zurück auf ihre Haut zu zwingen; sie drückte seine Hände wagemutig auf dem dünnen Stoff über ihren Brüsten nieder und presste sich verlangend gegen seine Handflächen. »Bitte...fass mich an, Loki...« bat sie in atemloser Gier auf seine Berührungen. »Hör nicht auf…bitte nicht…« Unbewusst schmiegte sie sich auf seinen Schoß und verfluchte das Leder seiner Hose, was noch immer zwischen ihnen lag wie eine störende Grenze; sie wollte ihn und diesmal ganz - diesmal würde es keine Störungen geben, welche sie aufhielten. Niemand würde sie diesmal unterbrechen… Sie liebten sich langsam, gemächlich; ein vorsichtiges Tasten, ein zärtliches Erforschen - unter Gwens tänzelnden Fingern verschwand des Blau des Eisriesen langsam und ließ die Gestalt des Asen für sie zurück, jenes Mannes, den sie so sehr begehrte. Dieser Akt war mehr als das bloße Verbinden zweier Körper; es war ein Kennenlernen, ein aufeinander Abstimmen, ein Geben und Nehmen - eine elementare Vereinigung, die nicht nur ihre Geschlechter und ihre Lust zueinander führte, sondern auch ihre Seelen. Ihre Hände fanden sich und verflochten sich miteinander, wie auch ihre Körper auf eine Weise verschmolzen, die ihre sinnlichen, langsamen Bewegungen kostbar und verzehrend innig machte. Ihre Münder wollten sich kaum mehr voneinander lösen; mussten es nur, um nach Luft zu haschen und sich sanfte, versichernde Worte gegenseitig zuzuflüstern. Gwen versank in diesen atemlosen Momenten, in diesem streicheln, berühren, fühlen - in diesen Küssen, in diesen Blicken, die tiefer gingen, als ein Blick das eigentlich sollte; ihre Seelen wurden eins, als Gwens Finger leidenschaftlich über Lokis schweißnasse Haut glitten, bevor ihre Zunge diese salzige Flüssigkeit aufnahm - als der Gott seine Lippen gegen den flatternden Puls ihres Halses drückte, seine Lust in einem haltlosen Keuchen entlud, während sich seine Hände gegen ihren verschwitzten Rücken pressten und ihre Körper so fast zu einer Einheit verband. Sie bewegte sich in ungestümer Sinnlichkeit auf ihm, fühlte das rasende Ende ihrer Vereinigung nahen; das glühende Feuer, dessen Flammen immer höher schlugen und ihre Gestalt verzehrten - sie klammerte sich in einem haltlosen Schrei an den Magier, als sie kam, den Kopf in den Nacken warf und schwor, sie konnte Sterne über ihnen leuchten sehen. Ihr Geist schien abzudriften, ihren Körper leicht und frei zu machen; ihre Muskeln zogen sich um die Mitte des Magiers zusammen, der seine Finger in ihre Hüfte, in ihren Po grub und den Kopf kraftlos gegen ihre Schulter sinken ließ, als sein Körper in einem leidenschaftlichen Beben den Höhepunkt erreichte. Das war der Moment - jener Augenblick, als Gwens graue Augen auf die lodernd Grünen des Gottes trafen, unter verschwitzten Haarsträhnen hinweg eine Gewissheit tauschend, die sie selbst kaum begreifen, doch nun erkennen konnte; das war der Herzschlag, in welchem sie wusste, dass sie sich in Loki verliebt hatte. Sie liebte den Gott der Lügen und Illusionen, der Täuschungen und des Unheils; sie liebte diesen Mann, der in jenem Augenblick weniger Gott war, als viel mehr ein Mann, dessen Seele sie erkennen und wertschätzen konnte. Sie liebte und wusste, dass Loki der letzte Mann in ihrem Leben sein würde; unabhängig von seinen Gefühlen war sie gezeichnet durch sein Wesen und seine Präsenz, durch diese magische Verbindung, welche sie immer aneinander fesseln würde - es würde nie mehr einen anderen für sie geben. Nur noch Loki. Wahrscheinlich war es immer schon Loki gewesen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)