Trust me von xxNico_Robinxx ((Zorrobin)) ================================================================================ Kapitel 2: Kurói Bará --------------------- Drei Jahre später Ein kühler Luftzug fährt über meinen Kopf hinweg, als es mir im letzten Augenblick noch gelingt den tödlichen Angriff auszuweichen. Noch im Fallen rolle ich mich auf dem weichen, laub- und grasbedeckten Erdboden ab und springe sofort wieder auf die Beine. Erst drei, vier Schritte weiter drehe ich mich meinem Angreifer wieder zu. Eine kurze Pause ist mir gegönnt, in der ich schwer atmend versuche Kraft zu schöpfen und mir zu überlegen, wie ich seinen aggressiven Kampfstil durchbrechen kann. Aufmerksam taxiere ich daher das wenige, dass ich von meinem Gegner im Dunkeln der Nacht erkennen kann. Nur die kalten, blauen Augen, die mich ebenfalls aufmerksam mustern, stechen in all dem Schwarz wie ein Signalfeuer hervor, während wir uns langsam im Kreis drehen und jede einzelne Bewegung des anderen genau beobachten. Von der Anstrengung des bisherigen Kampfes ist dem namenlosen Mann nichts anzumerken, derweil mir allmählich die Arme immer schwerer und schwerer werden und die zitternde Schwertspitze mittlerweile zu Boden zeigt. Direkte Konfrontationen sind normalerweise nicht mein Stil, da ich aufgrund meiner Teufelskräfte eher aus der Ferne und dem Hinterhalt agiere. Doch die Vergangenheit hat mir gezeigt, dass ich auch in Situationen geraten kann, in denen meine Kräfte wirkungslos sind – so, wie es auch jetzt der Fall ist. Vermutlich wurde in die Kleidung meines Angreifers Seestein verarbeitet, weshalb es mir nicht gelungen ist, auch nur einen einzigen Arm an seinem Körper hervorzurufen. Umso vorteilhafter ist es jetzt auch, dass ich die Kunst des Schwertkampfes erlernt habe – denn immerhin ist es meinem Gegner bisher nicht gelungen mich zu töten. Doch ist dies wohl nur noch eine Frage der Zeit, wie ich in einem Anflug von Selbstironie bemerke. Obwohl ich in Gedanken sämtliche Lektionen meines Senseis in Erinnerung gerufen habe, wie man am Effektivsten die Führung eines Kampfes übernehmen kann, sieht die Praxis zu meinem Leidwesen dagegen ganz anders aus. Es ist doch ein ziemlich großer Unterschied, ob man nun gegen den eigenen Lehrer in einem Übungskampf besteht oder gegen einen echten Gegner, dessen Angriffe ganz gezielt darauf ausgerichtet sind einen zu töten. Denn immer wieder drängt mich der Mann in die Defensive, in der mir nichts anderes übrig bleibt, als seine Angriffe abzuwehren. Für einen Gegenschlag lässt er mir wenig bis gar keinen Raum, da seine Hiebe und Bewegungen zu schnell vonstatten gehen. Ebenso wenig ist es mir auch möglich, seine Handlungen und Reaktionen vorherzusagen. Keine Regung, kein Muskelzucken verrät mir seine Taktik. Aber vielleicht ist das auch sein Ziel … mich müde zu machen und mir meine letzten Kraftreserven zu rauben, um dann zum alles entscheidenden Schlag auszuholen. „Du besitzt einige herausragende Eigenschaften, die vielen meiner Schüler fehlen“, höre ich die kratzende Stimme des alten Senseis in meinem Kopf. „Diese Fähigkeiten werden dir im Kampf von großem Nutzen sein, wenn du denn lernst sie auch richtig einzusetzen. Denn der Kampf besteht nicht einfach nur darin, die Waffe wild in der Luft herumzufuchteln, in der Hoffnung einen Treffer zu landen. Du musst dir das Ganze wie eine Partie Schach vorstellen. Beobachte deinen Gegner ganz genau. Sieh dir seine Bewegungen, seine Gestiken, seine Augen und seine Mimik an. Versuche herauszufinden, was seine Taktik ist und wo seine Stärken und Schwächen liegen. Und plane deine eigenen Züge sorgfältig, aber schnell. Denn anders als beim Schach hast du im Kampf nicht sehr viel Zeit dir deine Schritte zu überlegen.“ Die Stärken und Schwächen eines Gegners herausfinden! Nun, die größte Stärke meines Angreifers liegt wohl in seiner Schnelligkeit sowie auch darin, dass er, anders als es bei mir und meinem Schwert der Fall ist, für die Angriffe mit seinen Klauenhandschuhen weniger Raum beanspruchen muss. Diese Waffe besteht aus einem Metallgestell, das mit einem Lederband sowohl um die Handinnenfläche als auch ums Handgelenk geschnallt wird. Die Tödlichkeit allerdings befindet sich am oberen Ende des Gestells, wo jeweils rasierscharfe Messerklingen eingesetzt sind und auf skurrile Art an die Finger einer Hand erinnern. Doch in dieser Waffe liegt auch gleichzeitig die Schwäche meines Gegners, wie mir nach einem kurzen Moment der Überlegung auffällt. Dadurch, dass sie nur eine kurze Reichweite besitzt, ist mein Angreifer dazu gezwungen den direkten Körperkontakt zu suchen, um einen tödlichen Hieb auszuführen. Jetzt müsste es mir nur irgendwie gelingen diese Entdeckung zu meinem Vorteil zu nutzen, ohne dabei selber ums Leben zu kommen. Plötzlich macht mein Gegner einen Satz nach vorne, woraufhin ich aus meinen Überlegungen gerissen werde. Eiligst versuche ich zur Seite auszuweichen, als er mir auch schon sofort nachsetzt, als hätte er meine Reaktion vorhergesehen. Zu spät erkenne ich, dass sein Angriff nur als Finte gedacht ist, während er mit seiner linken Hand ausholt. Ohne den Hauch einer Chance den Angriff irgendwie parieren zu können, sehe ich die scharfkantigen Klingen, die im fahlen Mondlicht hell aufblitzen, wie in Zeitlupe auf mich zukommen. Nur aus einem reinen Reflex heraus reiße ich den Kopf zur Seite, als meine linke Halsseite nur wenige Sekunden später auch schon wie flüssige Lava brennt, nachdem die zarte Haut durchtrennt wurde und warmes Blut meinen Hals herab läuft. Meine Sicht verschwimmt vor mir, als der sengende Schmerz Welle für Welle über mich hinwegrollt. Doch ich beiße die Zähne fest aufeinander und blinzle ein paar Male mit den Augen, während ich die schwarze Klinge von Kurói Bará höher hebe. Trotz meiner Verletzung und deren Auswirkungen auf meinen Körper entgeht mir nicht die Gelegenheit, die sich mir augenblicklich bietet, so dass ich mit dem Katana kraftvoll zustoße. Bis in die Schultern hinauf spüre ich den schwachen Widerstand, als die Klinge sich einen Weg durch Haut, Fleisch, Muskeln und Sehnen bahnt, bis die Spitze des Schwertes von einem undurchwindbaren Knochen aufgehalten wird. Sekunden, vielleicht auch Minuten, stehen wir so nah beieinander, dass ich die Überraschung in den Augen des Mannes erkennen kann, bis sich langsam ein stumpfer, grauer Schleier über sie legt. Am ganzen Körper zitternd, ziehe ich mein Schwert aus der tödlichen Wunde und stolpere einige Schritte zurück. Gleichzeitig sackt der leblose Leib meines Gegners in sich zusammen und schlägt mit einem dumpfen Laut auf den weichen Untergrund auf. Ich selbst gebe der verzweifelten Bitte meiner weichen Knie nach und sacke ebenfalls zu Boden. Angst und die Kraftanstrengung des Kampfes zollen nun ihren Tribut, als ich mit zitternder Hand den kalten Schweiß von der Stirn wische, während ich versuche wieder zu einer normalen Atmung überzugehen, in der Hoffnung, dass sich dadurch auch mein Herzschlag wieder normalisiert. „Danke“, flüstere ich mit gebrochener Stimme in die unheimliche Stille hinein und streiche beinahe liebevoll über den unteren Schaft des Katanas. Für einen kurzen Moment blitzt das schwarze Metall der Klinge hell auf, als wolle es mir antworten. Irritiert blinzle ich ein paar Male mit den Augen, unsicher geworden, ob ich mir die Reflektion nicht vielleicht eingebildet habe. Und dennoch kommen mir unvermittelt die Worte des alten Senseis in den Sinn, als er mir das Schwert zum Abschied überreicht hatte. ~ „Dies ist Kurói Bará“, spricht der Sensei langsam mit vor altersgrauer Stimme, während sein Blick unverwandt auf das pechschwarze Klingenblatt des Katanas in seinen Händen gerichtet ist. „Es ist ein Oowazamono – ein Königsschwert, von denen es auf der ganzen Welt nur 21 Stück gibt. Leider ist mir die genaue Herkunft nicht bekannt, aber es befindet sich schon seit sehr vielen Jahrzehnten im Besitz meiner Familie.“ Ein leiser Seufzer entweicht seinen rauen, spröden Lippen, während er gedankenverloren sanft über die Klinge streicht, bevor er das Katana schließlich zurück in die Scheide steckt, die genauso schwarz und schmucklos wie das Schwert selber ist. „Wie du weißt, habe ich keine Kinder, an die ich das Katana eines Tages weiterreichen kann. Deshalb möchte ich es dir geben.“ Es vergehen mehrere Minuten der Überraschung, in denen ich den alten Mann vor mir mit leiser Vorsicht mustere. Die grauen Augen unter den weißen, buschigen Brauen blicken mir dabei mit einem sanften Ausdruck geduldig entgegen. „Warum?“, frage ich schließlich, da ich mir keinen Grund denken kann, warum man mir ein so wertvolles Geschenk machen sollte. Ich war nur eine Schülerin wie viele andere, zumeist jüngere Leute vor mir auch. Doch keiner von ihnen hatte auch nur das kleinste Geschenk vom Sensei erhalten, nachdem sie ihre Ausbildung beendet haben. „Dir ist doch der Name Kitetsu bestimmt ein Begriff.“ „Ich habe von der Familie gehört“, antworte ich leise, ohne zu wissen, worauf der alte Mann hinaus will, während ich mir die wenigen Details der Familie in Erinnerung rufe. „Sie haben viele hochwertige Schwerter geschmiedet, von denen es allerdings heißt, dass sie ihrem Träger irgendwann den Tod bringen würden.“ „Es heißt, die Schwerter der Familie Kitetsu seien alle miteinander verflucht“, nickt er mir zu. „Und das Gleiche wird auch von Kurói Bará behauptet.“ „Ihr wollt mir ein verfluchtes Schwert schenken?“ „Es gibt keine verfluchten Schwerter“, schüttelt er langsam mit dem Kopf, während ein sanftes Lächeln seine Lippen umspielt. „Zumindest glaube ich das nicht. Aber was ich glaube, ist, dass Kurói Bará seinen eigenen Willen besitzt. Es sucht sich seinen Träger selber aus – was wahrscheinlich auch auf die Schwerter der Kitetsus zutrifft.“ „Ihr sprecht von dem Schwert, als würde es leben.“ „Jedes Schwert lebt! Jedes Einzelne, das bis heute angefertigt wurde, besitzt eine eigene Seele. Doch die Meisten von ihnen fügen sich widerstandslos den Befehlen seines Trägers, während sich im Gegensatz nur die Wenigsten dagegen wehren. Diese Lektion solltest du dir gut merken.“ „Aber wenn es sich den Träger selbst aussucht“, erwidere ich schließlich, nachdem ich eine Weile über die Worte des alten Sensei nachgedacht habe, „warum glaubt Ihr, dass Kurói Bará mich als seinen Besitzer akzeptieren wird?“ „Nicht als Besitzer – als Seelenverwandter“, antwortet er mir ohne Umschweife, als hätte er meinen Einwand vorausgeahnt. „Du und das Katana – ihr beide seid euch vom Wesen her sehr ähnlich. Aus diesem Grunde glaube ich auch, dass Kurói Bará dich nur allzu gerne begleiten würde.“ ~ Ohne weitere Erklärungen abzugeben, hatte mir damals der Sensei das Katana stumm entgegen gehalten, bis ich es schließlich in die Hände nahm. Danach war er wortlos in seine kleine Hütte verschwunden, ohne sich noch einmal umzublicken – und hat mich voller Fragen zurückgelassen. Jedes Schwert besitzt eine Seele! Lange Zeit habe ich über diese Worte nachgedacht – über deren Sinn und Wahrheitsgehalt, ohne dabei wirklich auf eine Antwort gestoßen zu sein. Doch heute … in diesem Augenblick … bin ich wirklich versucht, seinen Worten Glauben zu schenken. Vielleicht besitzt dieses Katana tatsächlich eine Seele?! Denn, wenn ich ehrlich bin, so bin ich eine blutige Anfängerin. All die Lektionen und Übungen sind nichts im Vergleich zu einem richtigen Kampf, bei dem es um das nackte Überleben geht. Und dennoch bin ich heute als Siegerin hervorgegangen – in einem Kampf, bei dem Kurói Bará zum ersten Mal zum Einsatz gekommen ist. Während meiner Ausbildung habe ich gelernt, dass jedes Schwert in seiner Führung anders ist. Dies hängt mit dem Gewicht, der Form und der Länge sowie der Dicke der Klinge eines Schwertes zusammen. Schwerter mit dünnen Klingen sind meist leichter und handlicher. Man verbraucht bei der Handhabung weniger Energie und Kraft als es bei Schwertern mit dickerer Klinge der Fall ist. Zumindest waren dies meine bisherigen Beobachtungen, da ich in meiner Ausbildung mit verschiedenen Ausführungen trainiert habe. Darum habe ich auch nach meiner Ausbildung auch sehr oft mit Kurói Bará trainiert, um mich an sein Gewicht in der Hand zu gewöhnen und um ein Gefühl für die Führung zu bekommen. Heute jedoch hatte ich das Gefühl, als hätte das Katana leichter als sonst in der Hand gelegen, als würde es weniger als eine Feder wiegen. Ebenso hatte ich auch den Eindruck, dass es während des Kampfes eine seltsame Aura ausgestrahlt hatte, sobald es die Luft durchschnitt und die Angriffe meines Gegners parierte. Besitzt du tatsächlich eine Seele, frage ich mich im Stillen meiner Gedanken, während ich die Klinge vorsichtig und sanft mit dem dunklen Stoff meines Umhangs sauber wische. Das dumpfe Röhren eines Krokodils, das an das langsame Herannahen eines Gewitters erinnert, lässt mich aufblicken und mir wieder bewusst werden, was mich auf diese Insel verschlagen hat. Wieder voll und ganz auf mein Vorhaben konzentriert, stehe ich daher vom Boden auf und stecke Kurói Bará zurück in die Scheide, die an meiner linken Seite am Gürtel befestigt ist. Noch immer ist es ein ungewohntes Gefühl das Gewicht an der Seite zu spüren. Ebenso muss ich auch noch lernen, dass meine sonstige Bewegungsfreiheit nunmehr eingeschränkter ist. Bei der Kletterpartie in den riesigen Mammutbäumen zuvor ist die Scheide immer wieder zwischen Zweigen und Ästen hängen geblieben. Dies hatte die Verfolgung meines Angreifers unnötig erschwert, wodurch ich ihn sogar beinahe ganz aus den Augen verloren hatte. In Gedanken mache ich mir daher einen Vermerk, mir zu einem späteren Zeitpunkt eine Lösung für dieses Problem zu überlegen, während ich energisch einen langen Stoffstreifen von meinem Umhang reiße. Vorsichtig betaste ich die tiefen Kratzer an der Seite meines Halses. Der Schmerz ist mittlerweile zu einem dumpfen Pochen abgeklungen. Dennoch atme ich die Luft mit einem zischenden Laut ein, als die Berührung ein tiefes, verzehrendes Brennen auslöst. Mit einem stummen Fluch auf den Lippen wische ich daraufhin die warme Feuchtigkeit an meinen Fingern am Stoffstreifen ab, die mir besagt, dass aus der Wunde immer noch Blut sickert. Da mir aber bis zum Morgengrauen nicht mehr viel Zeit bleibt, muss ich mich vorerst mit einem provisorischen Verband begnügen, bevor ich die Verletzungen richtig versorgen kann. Zudem ist es auch angebracht, dass ich schleunigst von hier verschwinde, da der Geruch des Leichnams bestimmt schon von einigen Raubtieren wahrgenommen wurde. Und ich verspüre nur wenig Lust darauf, auf der Speisekarte eines Krokodils oder eines Tigers zu landen. Bei Sonnenuntergang war der Dschungel noch erfüllt gewesen von dem quirligen Tschirpen der Zikaden und Grillen, dem lauten Krächzen der Papageien und Kakadus und dem Gebrüll und Geschrei von Primaten. Jetzt jedoch herrscht eine gespenstische Stille über den Bäumen, als wäre jedes Leben mit Anbruch der Nacht aus dem Urwald verschwunden. Nur das sanfte Rauschen der Blätter, sobald sich ein Windzug in das tiefe Dickicht verirrt, ist hin und wieder zu hören. Doch die Stille ist ebenso wie die Dunkelheit trügerisch, denn irgendwo in dem tiefen, schwarzen Nichts pirschen die nachtaktiven Raubtiere auf der Suche nach Nahrung umher. Und das Blut, das in dieser Nacht vergossen wurde, wird ihren Hunger nur noch mehr angestachelt haben. Aber es sind weniger die Tiere als vielmehr die Menschen, vor denen ich mich in Acht nehmen muss. Zu Beginn meines Vorhabens habe ich es noch für klug gehalten, die Insel bei Nacht zu betreten. So bin ich vor neugierigen Augen geschützt und kann mich unentdeckt weiter ins Inselinnere begeben. Womit ich aber nicht gerechnet habe, sind die Wachen, die in schwarzer Montur durch den Dschungel patrouillieren. Im Schutz der Dunkelheit verschmelzen sie somit mit den übrigen Schatten, weshalb ich sie zum Teil erst dann entdeckt habe, als ich ihnen schon beinahe auf die Füße getreten bin. Aufmerksam betrachte ich daher auch meine Umgebung, als ich mir vorsichtig einen Weg durch das dichte Unterholz suche. Meine rechte Hand liegt dabei griffbereit auf dem Schaft von Kurói Bará, um jederzeit das Katana aus der Scheide zu ziehen, sollte ich noch einmal angegriffen werden. Mir behagt das ganze Unterfangen kein bisschen. Obwohl die Insel mit ihrer dichten Vegetation eher einen verlassenen Eindruck macht, so zeugt lediglich ein kleiner Anlegesteg am südöstlichen Küstenabschnitt zumindest von einem Hauch Zivilisation. Wie viele Menschen sich aber letztendlich auf der Insel befinden, vermag ich nicht zu sagen. Mein Abenteuer ist wohl eher mit einem Sprung ins kalte Wasser zu vergleichen, da ich genau genommen rein gar nichts über die Insel zu berichten weiß – oder über deren Besitzer. Jede Nachforschung und jedes Hinterfragen hat zu einem Kopfschütteln und einem nichts sagenden Achselzucken geführt, was nicht nur meine Aufmerksamkeit und Neugier erregt hat, sondern in mir auch sämtliche Alarmglocken zum Läuten gebracht hat. Einzig den Namen Jean D. Plessis konnte ich in Erfahrung bringen, der angeblich der Besitzer dieser namenlosen Insel sein soll. Doch wer ist er? Diese Frage scheint niemand beantworten zu können. Jean D. Plessis ist einflussreich und mächtig, so viel steht für mich schon mal fest. Denn ohne Geld und ohne Freunde oder Geschäftspartnern, die an der richtigen Stelle in der richtigen Position stehen, ist es nicht möglich, sämtliche auf sich bezogene Informationen unter Verschluss zu halten oder gar aus den Archiven zu löschen. Es existiert ja noch nicht einmal eine Geburtsurkunde von ihm, sofern dies auch sein richtiger Name ist. Aber ungeachtet dessen, allein die Tatsache, dass es diesen Mann scheinbar gar nicht gibt, macht ihn zu einer gefährlichen Person. Jean D. Plessis ist ein großes Mysterium … ein Rätsel, dass ich mit meinem Aufenthalt auf seiner Insel zu lösen gedenke. Mit diesem Gedanken beschäftigt, trete ich plötzlich ins Freie und finde mich am Rande eines breiten Weges oder einer Art Straße wieder. Einige Sekunden vergehen, in denen ich in die Dunkelheit lausche, ob sich irgendwelche Laute in die nächtliche Stille mischen, die nicht dazugehören, während meine Augen langsam und aufmerksam über die dunklen Schatten wandern. Erst als ich mir sicher bin, keine unliebsame Überraschung zu erleben, gehe ich in die Hocke, um die Spuren in dem teils trockenen, teils sandigen Erdboden genauer betrachten zu können. Vorsichtig fahre ich mit den Fingerspitzen über die Abdrücke, um sie nicht versehentlich zu verwischen. Neben den tierischen Spuren der verschiedenen Dschungelbewohner, die kreuz und quer über der Straße verlaufen, finde ich auch Spuren von Pferdehufen sowie verschiedene Abdrücke von Schuhen, die in beide Richtungen der Straße führen. Viel interessanter finde ich aber die länglichen Furchen inmitten der Straße, die allem Anschein nach von irgendwelchen Fuhrwerken stammen. Der Haupttransportweg, geht es mir durch den Kopf, der wahrscheinlich den Anlegesteg mit einem Dorf, einer Stadt oder was auch immer miteinander verbindet. Kurzerhand entschließe ich mich dazu dem Verlauf der Straße zu meiner Linken zu folgen, da diese Richtung scheinbar weiter ins Landesinnere führt. Nach gefühlten zwei Stunden, in denen ich der Straße unbeirrt und ohne nennenswerte Vorkommnisse gefolgt bin, bemerke ich, wie der Dschungel um mich herum langsam wieder zu Leben erwacht. Zunächst höre ich von irgendwoher ein zaghaftes Gezwitscher eines einzelnen Vogels, dessen Gesang schon bald von weiteren Vögeln in den unterschiedlichsten Höhen und Tiefen und Lauten begleitet wird. Und immer öfters vernehme ich zu beiden Seiten hin ein Rascheln und Kratzen in den Gräsern und Büschen, das von Mäusen, Kaninchen und anderes Getier verursacht wird, während sich über mir das Schwarz der Nacht langsam in ein tiefdunkles Grün verwandelt. Stellenweise gibt das dichte Blattwerk den Blick auf den Himmel frei, so dass ich erkennen kann, wie der dunkle Nachthimmel sich mit seinem Sternenzelt langsam und kaum wahrnehmbar gräulich verfärbt. Als ich meinen Blick wieder auf die Straße vor mir richte, denke ich für einen Moment über mein weiteres Vorgehen nach, denn mit dem heranbrechenden Tag steigt auch das Risiko meiner Entdeckung. Mein Verstand rät mir dazu, einen sicheren Unterschlupf zu suchen, um die nächste Nacht abzuwarten. Dadurch bekäme ich nicht nur die Gelegenheit wieder zu Kräften zu kommen, sondern ich könnte mich dann auch um die Versorgung meiner Verletzungen kümmern. Aber andererseits kann ich meine Umgebung bei Tageslicht viel besser wahrnehmen und unliebsame Begegnungen wesentlich früher vermeiden als es bei Nacht der Fall ist. Im Zwiespalt dessen, was die richtige, klügere und angebrachte Entscheidung wäre, fällt mir auf, dass der Weg ein Stück weit vor mir in ein etwas helleres Licht getaucht ist als der Rest meiner Umgebung. Nunmehr vorsichtiger geworden, gehe ich langsam darauf zu und lasse meine Augen dabei flink über die Straße, die Bäume und Büsche hinweg wandern und jedes Detail in sich aufnehmen. Erst als das dichte Grün den Blick auf eine riesige freie Fläche von der Größe eines kleinen Dorfes freigibt, bleibe ich unvermittelt stehen. Zwischen zahllosen Baumstümpfen, deren Stämme ordentlich nahe der Straße aufeinander gereiht wurden, bedecken nur noch Äste, Laub, Gras und Wurzeln den Boden. Was davon wird mehr benötigt – das Holz oder der Platz? Vielleicht aber auch beides, denke ich mir im Stillen, während ein ungutes Gefühl in mir aufsteigt, als ich versuche die Zusammenhänge miteinander zu kombinieren. Eine geisterhafte Person, die nicht zu existieren scheint … eine namenlose Insel, die auf keiner Karte verzeichnet ist … schwarzgekleidete Kämpfer, die lautlos durch den Dschungel pirschen. Irgendetwas soll anscheinend geheim gehalten werden – etwas Großes … da bin ich mir sicher. Während meine Augen immer wieder über die gefällten Bäume und über den gerodeten Platz schweifen, vergehen noch weitere Sekunden, bis ich meine Aufmerksamkeit schließlich auf eine Stelle abseits des Platzes richte, wo ein kutschenähnliches Fuhrwerk abgestellt ist, das augenscheinlich als Gefangenentransporter dient. Etwa eine handvoll Männer unterschiedlichen Alters sitzen eingepfercht in dem engen Käfig und sehen mir mit teils ängstlichen, teils trostlosen Blicken entgegen, als ich mich dem Wagen langsam nähere. Sie alle befinden sich in einen verwahrlosten Zustand, da sie sich scheinbar seit Tagen nicht mehr gewaschen haben. Ihre fettigen und verklebten Haare stehen ihnen zu allen Seiten hin vom Kopf ab, ihre Gesichter sind mit Dreck beschmiert und ihre Hände, die aussehen, als hätten sie mit ihnen tief in der Erde gegraben, weisen sowohl frische als auch verheilende Kratzer auf. Ihre Kleidung sieht ebenfalls nicht besser aus. Stellenweise sind ihre Hemden und Hosen zerrissen und dunkle Schweißflecken haben sich unter den Achseln, auf den Rücken und an der Brust gebildet. Ein wenig angewidert rümpfe ich die Nase, als mir ihr säuerlicher Geruch entgegenweht. „Wer seid Ihr?“, werde ich von einem alten Greis gefragt, dessen Mundhöhle mehr Zahnlücken aufweist als ein Käse Löcher hat. Doch das ist nicht der Grund, warum ich meinen Blick nicht von ihm abwenden kann, sondern seine Augen, die von einer weißbläulichen Farbe sind und in deren Mitte eine purpurrote Iris einen in den Bann zieht. Solche Augen – eine Laune der Natur, wie mir scheint – habe ich noch nie zuvor gesehen. Schließlich mustere ich auch die übrigen Männer, die mich weiterhin nur still beobachten. Ein unbestimmtes Gefühl nagt an der Oberfläche und drängt mich dazu meine Aufmerksamkeit auf diese Männer genauer zu lenken. Irgendetwas scheint besonders an ihnen zu sein, doch den Grund dafür kann ich nicht erkennen. Dafür aber regt sich ein anderer Verdacht in mir und mein Blick wandert zurück zu dem gerodeten Platz und den gefällten Bäumen hinüber. Diese armseligen Gestalten sind keine Gefangenen im üblichen Sinne, wovon ich zunächst ausgegangen bin, sondern Sklavenarbeiter, die die Drecksarbeit ihrer Herren erledigen sollen. Und der Tatsache entsprechend, dass sie sich immer noch auf dieser Lichtung befinden, besagt mir, dass ihre Arbeit hier noch längst nicht beendet ist. Doch zu welchem Zweck genau? Dieser Plessis scheint doch ein recht einflussreicher Mann zu sein. Wenn hier wirklich etwas gebaut werden soll, warum setzt er dann nur so wenige Sklaven dafür ein? Der alte Greis könnte mir sicher einige der Fragen beantworten, die mir im Geiste herumschwirren – und ich bin auch versucht ihn zu befragen, doch will ich kein weiteres Risiko mehr eingehen. Schon viel zu lange halte ich mich an diesem Ort auf, so dass es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis weitere Leute hier auftauchen, die sich um die Sklaven kümmern wollen. Und diese werden ihren Wärtern mit Sicherheit von meiner Anwesenheit erzählen. Deshalb ist es besser, wenn ich jetzt von hier verschwinde und mir die Informationen auf eine andere Weise besorge, die meine Absichten weiterhin im Verborgenen halten. „Holst du uns jetzt hier heraus, oder nicht?“ Ich neige ein kleinwenig den Kopf zur Seite, als die gelangweilt klingende Stimme die morgendliche Stille unterbricht. Seltsamerweise kommt sie mir bekannt vor, doch weiß ich nicht sie einzuordnen. Es muss demnach schon einige Jahre her sein, als ich sie das letzte Mal gehört habe. Mit einer leisen Neugier gehe ich daher langsam um den Wagen herum zum Heck, um herauszufinden, wem diese Stimme gehört. Es überrascht mich schon ein wenig, jemanden hier auf der Insel anzutreffen, den ich möglicherweise kenne. Und meine Überraschung nimmt sogar einiges an Stärke zu, als meine Augen dann auf den jungen Mann treffen, der am anderen Ende des Käfigs auf dem Boden sitzt und mir entgegenblickt. Ich habe meine Zweifel daran, dass er mich erkennt, da mein Gesicht in der Tiefe meiner Kapuze verborgen liegt. Ihn dagegen erkenne ich schon – ebenso auch wie ich seinen Kapitän und den Rest der Piratenbande erkennen würde, wenn sie denn hier wären. Seit den Ereignissen auf dem Sabaody Archipel vor zwei Jahren hat man nichts mehr von ihnen gehört, weswegen ich mich schon gefragt habe, was aus ihnen wohl geworden ist. Nur ihr Kapitän hatte danach noch für einiges an Aufsehen gesorgt, als Puma D. Ace hingerichtet werden sollte und in Folge dessen, was darauf geschah, Impel Down und das Marineford so gut wie vernichtet wurden. Danach ist auch er spurlos verschwunden. Einige Gerüchte besagen, die Strohhutbande sei ums Leben gekommen oder wurde von der Marine geschnappt, was ich jedoch für sinnloses Gerede halte. In Anbetracht dessen, was diese Bande bereits alles erreicht und getan hat, hätte man die Tatsache einer möglichen Ergreifung durch die Marine nicht lange geheim halten können. Irgendjemand hätte früher oder später geplaudert und alles wäre ans Tageslicht gekommen. Zwar wäre ein mögliches Ableben der Bande dahingehend wahrscheinlicher gewesen, zumal die Grandline unzählige Gefahren birgt, aber auch daran hatte ich die ganze Zeit über meine Zweifel, insbesondere, da sie selbst einen Buster Call überlebt haben. Der schrille Schrei eines Papageis hallt mit einem Male über den Platz hinweg und lässt mich erschreckt bewusst werden, wie viel sinnlose Zeit ich bereits vergeudet habe. Ich sollte jetzt wirklich von hier verschwinden, geht es mir für einen Moment durch den Sinn, ohne den Schwertkämpfer dabei aus den Augen zu lassen. Die einstige jugendliche Frische und Unbeschwertheit, die ich schon damals in Alabasta bei ihm wahrgenommen hatte, ist mittlerweile aus seinem Gesicht verschwunden. Stattdessen sehe ich heute einen jungen erwachsenen Mann vor mir, dessen Gesichtszüge härter und markanter geworden sind. Vielleicht hängt diese Veränderung mit der Narbe zusammen, die sich über sein linkes Auge zieht. Diese Verletzung hatte er damals noch nicht gehabt. Sein rechtes Auge dagegen ist unverwandt auf mich gerichtet. Trotz der Entfernung zwischen uns beiden kann ich eine tiefe Ernsthaftigkeit sowie einen kleinen Funken Neugier darin geschrieben sehen. Doch mehr lässt er mich nicht erkennen, so dass ich nicht sagen kann, was in seinem Kopf vor sich geht. Ich vermag nicht zu sagen, wie lange dieser Augenblick bereits andauert, in dem ich den Schwertkämpfer einfach nur ansehe. Doch irgendwann lässt mich ein unbestimmtes Gefühl, das ich nicht näher erläutern kann, mich dazu hinreißen meinen Rucksack auf den Boden abzustellen. Das ist doch Irrsinn, fechte ich innerlich einen Kampf mit mir selbst aus, während ich im Inneren der Tasche nach meinen Dietrichen suche. Mein Instinkt rät mir dazu, diesen Ort endlich zu verlassen, da mit jeder verstreichenden Sekunde das Risiko meiner Entdeckung steigt. Aber andererseits … würde eine Flucht der Sklaven mir nicht einen Vorteil verschaffen? Denn immerhin wären dann die Wärter damit beschäftigt diese wieder einzufangen, was mir wiederum mehr Zeit verschaffen würde, um ungesehen weiter ins Inselinnere vorzudringen. So zumindest versuche ich mir mein Vorhaben einzureden. In Wahrheit jedoch behagt mir der Gedanke, den Schwertkämpfer einfach so hier in diesem Käfig zurückzulassen, seltsamerweise überhaupt nicht. Doch ich versuche erst gar nicht weiter über diese merkwürdige Gefühlsregung nachzudenken, sondern dränge sie stattdessen in eine dunkle Ecke meiner Gedanken zurück. Ich kann mich auch noch später damit befassen und mich mit dem Wieso, Weshalb, Warum auseinandersetzen. Die Eisengittertür des Käfigs ist mit einem einfachen Vorhängeschloss verriegelt, das für mich und meine Fingerfertigkeit absolut keine Herausforderung darstellt. Die beiden Stifte im Inneren des Schlosses habe ich mit meinen Dietrichen daher schnell zurückgeschoben, so dass der Verschlusshaken bereits nach kürzester Zeit mit einem leisen Klicken aufspringt. „Wir sind frei“, höre ich einen der Männer leise murmeln, als dieser sich auch schon von seinem Platz erhebt. Damit wäre jetzt eigentlich der Zeitpunkt meines Verschwindens gekommen. Meine Arbeit hier ist getan und die Sklaven sind aus ihrem beengten Käfig befreit, auch wenn sie wahrscheinlich zum heutigen Abend hin wieder darin sitzen werden. In ihrem Zustand und mit ihrer Unerfahrenheit glaube ich kaum, dass sie es alleine bis zur Küste schaffen werden, geschweige denn überhaupt einen Weg aus dem Urwald finden würden. Vorher wird es eher so sein, dass sie von ihren Gefängniswärtern wieder eingefangen werden oder, gar schlimmer noch, als Mahlzeit irgendeines Raubtieres enden. Diese Gedanken und weitere gehen mir durch den Kopf, während ich regungslos den Männern dabei zusehe, wie sie ihre müden Arme und Beine strecken, und sich dabei über ihre kurze, aber dennoch neugewonnene Freiheit erfreuen. Doch eine Bewegung zu meiner Rechten reißt mich aus der Betrachtung heraus und sofort wandern meine Augen zum Schwertkämpfer hinüber, der als Letzter aus dem Käfig herausklettert. Aber anstatt sich zu den anderen Männern zu gesellen, um sie vielleicht aus dem Dschungel hinauszuführen, bleibt er direkt vor mir stehen. Für einen kurzen Moment blitzt etwas in seinem Auge auf, so dass ich davon ausgehe, dass er mich nun doch erkannt hat, da die kurze Distanz zwischen uns nicht mehr länger ausreicht, um mein Gesicht im Dunkel der Kapuze verborgen zu halten. So verharren wir bewegungslos und stumm und mustern einander, während ich das Gefühl habe mich in der Tiefe dieses dunklen Grün seines Auges zu verlieren, das mich in seinen Bann zu ziehen scheint. Keine Wärme, keine Wut, keine Kälte, keine Sanftheit – nichts ist in der Iris zu erkennen bis auf mein eigenes Spiegelbild. Und unvermittelt frage ich mich, ob die Leute das Gleiche auch in meinen Augen sehen … diese Leere … diese Ausdruckslosigkeit … als würde kein Leben darin existieren. Leben – was bedeutet das Wort schon, außer die Luft um einen herum einzuatmen? Für so Manchen scheint es zu bedeuten einfach nur Spaß und Freude empfinden zu können, hoffnungsvoll einer glücklichen Zukunft entgegenzublicken und stolz auf die Dinge zu sein, die man geleistet und geschaffen hat oder nach einem harten Arbeitstag in die Arme einer liebenden Familie zurückzukehren. Doch nicht für mich! Für mich bedeutet das Leben einen immerwährenden Kampf – tagein, tagaus. Ein Kampf ums Überleben verbunden mit einer nie nachlassenden Achtsamkeit und einem permanenten Misstrauen gegen alles und jeden. Und dabei ist man nur sich selbst die einzige Person, der man vertrauen kann – bis jetzt zumindest. Schon allein die Nähe zu diesem Mann wirkt verstörend auf mich und verleitet mich zu irrationalen Handlungen, die ich mir keineswegs erklären kann. Sämtliche Warnungen meines Verstandes und meines Instinktes schlage ich aus dem Wind und setze meine Mission aufs Spiel, nur um diese nichtsnutzigen Leute zu befreien. Was kümmert es mich denn, was aus ihnen wird? Schließlich sind sie selber für ihre Lage verantwortlich, dann sollen sie auch selber zusehen, wie sie da wieder herauskommen. Und der Schwertkämpfer hätte sich früher oder später sicherlich auch ohne meine Hilfe befreien können. Innerlich schüttle ich den Kopf, um wieder zu Verstand zu kommen, während ich meinen Rücken und meine Schultern straffe. Meine Konzentration ist wieder voll und ganz auf mein ursprüngliches Vorhaben gerichtet, weswegen ich den Blickkontakt zwischen mir und dem Mann vor mir abreißen lasse. Stattdessen blicke ich hinauf zum Himmelszelt, um mich an die Himmelsrichtung zu orientieren, als ich aus der Ferne Hufgetrappel vernehme, das sich schnell und gleichmäßig nähert. „Die Arbeiter – sie kommen“, ruft der alte Greis leise auf, und in seiner Stimme schwingt deutlich die Angst mit. Sofort richten sich sämtliche Augen der Männer auf mich und den Schwertkämpfer, als könnten wir ihnen bei ihrem Problem helfen. Für mich jedoch steht es außer Frage noch länger hier zu verweilen, denn viel Zeit bleibt mir nicht mehr, bis die Reiter den Platz erreicht haben und ich ungesehen ins dunkle Dickicht des Dschungels verschwinden kann. „Du haust ab?“, hält mich die Stimme des Schwertkämpfers auf, als ich mich gerade umwende, um meinen Plan in die Tat umzusetzen. Nichts an seinem Tonfall oder an seiner Mimik lässt mich erkennen, was er von meinem Verhalten hält. Nicht der kleinste Vorwurf schwingt in seiner Stimme mit, und dennoch fühle ich mich schlecht bei dem Gedanken ihn im Stich zu lassen. „Das ist nicht mein Kampf“, antworte ich ihm fast schon trotzig, als auch schon die ersten beiden Reiter in mein Blickfeld treten. Trotz der Entfernung erkenne ich, wie sie ihre Pferde zu einem schnelleren Tempo anspornen, kaum dass sie die befreiten Sklaven gesichtet haben. Dies ist jetzt endgültig meine letzte Chance unbemerkt zu verschwinden, und trotzdem bleibe ich wie festgewachsen stehen, als wäre ich zu keiner Regung mehr fähig. Aus den Augenwinkeln bemerke ich, wie einige Männer in ihrer Panik ins Dickicht flüchten, während die Verbliebenen uns weiterhin aus flehenden Augen beobachten. „Wenn du nichts tun willst …“, höre ich den Schwertkämpfer murmeln. Seine Stimme ist weiterhin ausdruckslos. Trotzdem zucke ich innerlich zusammen, als hätte er mir ins Gesicht geschlagen. Doch für eine Erwiderung bleibt mir keine Zeit. Es bleibt mir ja nicht einmal Zeit erschrocken zurückzuweichen, als der Schwertkämpfer sich in Sekundenbruchteil zu mir herüber beugt und Kurói Bará aus der Scheide zieht. Bevor ich überhaupt verstanden habe, was geschehen ist, hat er sich bereits von mir abgewendet und stürmt mit ausgreifenden Schritten auf die Reiter zu. Stillschweigend beobachte ich eine Weile das tumultartige Geschehen, bei dem der Schwertkämpfer sich gegen die beiden Angreifer zur Wehr setzt. Dabei komme ich nicht umhin, ihn für seine unglaubliche Schnelligkeit zu bewundern, mit der er trotz seiner hochgewachsenen Gestalt den Hieben und Schlägen ausweicht. Obwohl die Männer hoch zu Ross sitzen und sich somit in der augenscheinlich überlegeneren Position befinden müssten, haben sie mit ihren kräftiggebauten Pferden, die eher als Zug- denn als Reittiere geeignet sind, gegen seine Wendigkeit nichts entgegenzusetzen, so dass sie mit ihren Gewehren, die sie wie Schlagstöcke benutzen, nichts als leere Luft treffen. Schon nach kurzer Zeit sind die Kontrahenten eingehüllt vom Staub der Straße, der von den schweren Hufen der Pferde aufgewirbelt wird. Dennoch entgeht mir nicht, dass der Schwertkämpfer zu keinem einzigen Angriff übergeht, obwohl es ihm eigentlich mühelos gelingen müsste, die beiden Gegner zu überwältigen. Aber bevor ich weiter darüber nachdenken kann, treffen auch schon weitere Reiter ein – fünf an der Zahl –, die sich ohne zögern in den Kampf hineinwerfen. Ein stummer Fluch und ein abfälliges Schnauben entweichen meinen Lippen, als ich es den Arbeitern gleichtue – und mich in den Kampf einmische. In dem Wissen, dass meine Teufelskräfte an den Männern ohne Wirkung bleiben, wende ich sie daher anderweitig an und lasse direkt vor dem vordersten Pferd ein Spiegelbild meiner eigenen Person erscheinen. Erschreckt über das plötzliche Hindernis stellt es sich daraufhin wiehernd auf die Hinterbeine, wodurch sein Reiter hintenüber abgeworfen wird. Und noch bevor dieser auf den Boden aufschlägt, lasse ich bereits eine Hand aus dem Hals des nachfolgenden Pferdes sprießen, die mit festem Griff das Zaumzeug am Maul packt und kräftig zur Seite hin wegzieht. Dem Reiter gelingt es noch sich für wenige Sekunden im Sattel halten zu können. Aber die Schwerkraft und die ungleichmäßige Balance aufgrund des ruckartigen Wendemanövers führen schließlich doch dazu, dass der Mann zu Boden fällt. Vor wenigen Minuten noch war es hier ruhig und friedlich – die reinste Bilderbuchszene wie aus einem Märchen. Nun jedoch hat es den Anschein, als wäre das totale Chaos ausgebrochen. Die verbliebenen Gefangenen rennen schreiend und voller Angst umher, nicht wissend, wie sie ihren Wärtern entfliehen können. Die beiden reiterlosen Pferde preschen ihrem Instinkt folgend in gestrecktem Galopp über die Lichtung hinweg – nur fort von dem Ort, dessen Luft erfüllt ist von Angst und Schrecken. Derweil ist der Schwertkämpfer immer noch in dem Scharmützel mit seinen beiden Kontrahenten verstrickt, ohne dabei auch nur einmal Kurói Bará gezielt zu benutzen. Ein wenig irritiert es mich, ihn so passiv zu sehen, da ich ihn bisher für einen offensiven Kämpfer gehalten habe, der ganz gezielt den Angriff sucht. Für einen Augenblick nehme ich mir die Zeit und betrachte den durchtrainierten Körper des Schwertkämpfers aus den Augenwinkeln heraus, ohne dabei auch nur das kleinste Anzeichen einer Verletzung auszumachen, die die seltsame Passivität erklärt hätte. Weder weisen seine vor schmutzstarrende Kleidung irgendwelche Blutflecken auf noch sind seine schnellen Bewegungen und Reflexe auf irgendeine Art und Weise beeinträchtigt. Doch warum greift er dann nicht an? Was hält ihn davon ab? Bevor ich aber weiter über eine Antwort nachdenken kann, muss ich meine Aufmerksamkeit wieder auf die restlichen Arbeiter richten. Mittlerweile laufen mehrere Abbilder meiner eigenen Person auf der Lichtung umher und verwirren die Angreifer, die nicht wissen, welcher Person sie folgen sollen. Aber lange wird diese Ablenkung nicht anhalten. Früher oder später werden sie bemerken, dass sie Spiegelbildern nachjagen. Und ohne Waffe und ohne Teufelskräfte bin ich für sie leichte Beute. Schnell lasse ich daher meine Augen über die Bäume und Büsche fliegen, um nach einer Möglichkeit zu suchen, wie man sich dieser Männer entledigen kann. Doch anstelle einer Lösung findet mein Blick einen Mann mittleren Alters, der stolpernd auf mich zukommt. Zweige und Blätter haben sich in dem hellen Haar und in der Kleidung verfangen, was mich vermuten lässt, dass dieser Mann einer von denen ist, die bei der Ankunft der Reiter ins Dickicht geflüchtet sind. „Weg hier!“, flüstert er mir um Atem ringend zu. Seine Hände packen so fest meinen Arm, dass ich selbst durch den Stoff meines Mantels hindurch seine Fingernägel spüren kann. Blut läuft von einer Wunde am Kopf an seiner rechten Schläfe hinab, während in seinen kugelrunden Augen das pure Entsetzen geschrieben steht. Doch bevor ich überhaupt nachfragen kann, was los ist, stößt er mich auch schon von sich und läuft mit müden Beinen quer über die Lichtung. In meinem Inneren schrillen sämtliche Alarmglocken, während ich dem Mann hinterher blicke. Die Panik in seinen Augen rührt nicht von den Arbeitern her, sondern von einer gänzlich anderen Gefahr, die augenblicklich in Form einer großen Raubkatze aus den Büschen gesprungen kommt. Wie zu einer Salzsäule erstarrt, beobachte ich das prachtvolle Tier, dessen schwarzes Fell in der Morgensonne dunkelbläulich glänzt. Für mich steht die Zeit still, während um mich herum nun wirklich das Chaos ausbricht. Die Pferde wittern den Geruch der Katze und schrecken davor zurück. Unruhig tänzeln sie umher, während ihre Reiter Mühe haben, sie zu kontrollieren. Doch der Fluchtinstinkt ist stärker als die Hand am Zügel, so dass sich schnell Panik unter den Pferden ausbreitet. Ein angstvolles Wiehern erfüllt die Luft, als die Tiere zur Flucht ansetzen. In diesem Moment setzt der Panther auch schon zum Spurt an und es dauert nur wenige Sekunden, bis er eines der Pferde erreicht hat. Das angstgepeinigte Wiehern wandelt sich um in ein tiefes entsetzliches Kreischen, als die Katze ihre ausgefahrenen Krallen tief ins Fleisch seiner Beute gräbt. Durch das Gewicht der Raubkatze hinuntergezogen, geben die Hinterbeine des Tieres nach, während sein Reiter im letzten Augenblick noch aus dem Sattel springen kann. „Wir verschwinden hier besser.“ Ich werfe dem Schwertkämpfer einen Blick aus den Augenwinkeln heraus zu, als er mit ausgreifenden Schritten an mir vorbeigeht. Seine Gesichtszüge sind zu einer harten Maske verzogen und der kalte Blick seines Auges ist nach vorn gerichtet. Kurói Barás schwarze Klinge glänzt bei jedem seiner Schritte hell auf. Kein einziger Tropfen Blut wurde mit Hilfe dieses Schwertes vergossen. Kritisch werfe ich einen Blick in das dunkle Innere hinein. Stellenweise ist das Holz morsch und feucht, und in der Luft kann man den Gestank von längst verwesten Kadavern noch immer riechen. Einige Knochenreste liegen verstreut auf dem mit Blättern und Zweigen übersäten Boden herum sowie ein paar Fellbüschel, die wahrscheinlich von dem Tier stammen, das einst in dieser Baumhöhle gehaust hatte. Jetzt jedoch liegt der Bau verlassen da, und nur noch Käfer, Ameisen und andere Insekten krabbeln auf der Suche nach Nahrung an der Rinde entlang. Zwar bietet der Unterschlupf kaum Schutz von außen, da das Innere für jeden deutlich sichtbar ist. Doch für den Augenblick sollte es erst einmal genügen, bis ich mir über meine weiteren Schritte im Klaren bin. Vorsichtig betrete ich daher den kleinen Höhlenbau und lasse mich auf den feuchten Boden nieder, woraufhin mein Körper sofort von einer bleiernen Schwere erfüllt wird. Eine tiefe Erschöpfung breitet sich in meinem Inneren aus und müde reibe ich mir die steife Muskulatur meiner Oberarme. Die Strapazen der letzten sieben Stunden zollen nun ihren Tribut und ich sehne mich nach ein wenig Ruhe, um wieder zu Kräften zu kommen. Doch allein die reine Anwesenheit des Schwertkämpfers sorgt bereits dafür, dass ich mich nicht entspannen kann, da sämtliche meiner Sinne nur auf ihn ausgerichtet sind und jegliche Regung an ihm wahrnehmen. So entgeht mir auch nicht der stechende Blick, mit dem er mich die ganze Zeit über mustert. Die Arme vor dem breiten Brustkorb verschränkt, beobachtet er mich stillschweigend, ohne dabei Anstalten zu machen den Bau zu betreten. Nach wie vor ist sein Blick ausdruckslos, so dass ich seine Gedankengänge nicht erraten kann. Doch die Härte in seinem Gesicht, die sich seit dem Kampf auf der Lichtung darin eingegraben hat und noch immer nicht daraus verschwunden ist, verrät mir eine leise Wut. Auf sich, auf mich oder vielleicht auf die ganze Situation? „Du wolltest sie also im Stich lassen?“, lässt sich der Schwertkämpfer nach einigen endlos erscheinenden Minuten dann doch dazu herab, das Schweigen zwischen uns zu brechen. Obwohl seine Stimme genauso ausdruckslos ist wie sein Blick, so meine ich dennoch einen leisen Vorwurf hinter seinen Worten herauszuhören, was seltsamerweise erneut Bedauern über mein Handeln in mir erwachen lässt. Nicht, weil ich es tatsächlich vorhatte ihnen den Rücken zu kehren, sondern weil … Weil, was? Weil ich den Schwertkämpfer womöglich enttäuscht habe? Weil ich nicht seinen Vorstellungen einer warmherzigen und zartfühlenden Frau entspreche? Weil ich nicht so selbstlos handle wie er, und stattdessen lieber Vorteile aus meinem Tun ziehe? Das ist doch lächerlich! Ich bin niemanden außer mir selbst eine Rechenschaft schuldig. Was kümmert es mich also, wie der Schwertkämpfer mein Verhalten bewertet? Habe ich nicht bereits schon vor einer sehr langen Zeit damit aufgehört, mir Gedanken darüber zu machen, was die Leute von mir denken? Habe ich nicht schon lange sämtliche unnütze Gefühle ausgeschaltet, die mein Überleben gefährden? Warum fange ich dann wieder damit an? Warum lasse ich die Worte des Schwertkämpfers so nahe an mich heran, dass sie meinen Verstand überwiegen und an der Kiste rütteln, in die ich mein Herz gesperrt habe? „Diese Männer, meint ihr? Ich habe nichts mit ihnen zu schaffen.“ Unbekümmert zucke ich mit den Schultern, während ich meine Selbstzweifel in die hinterste Ecke meines Verstandes zurückdränge und mich nunmehr den wesentlichen Dingen widme und meinen Rucksack näher zu mir heranziehe. Eine Feldflasche, die nur noch halb mit Wasser gefüllt ist, ein bisschen Verbandszeug, einen kleinen Taschenspiegel und ein kleines Fläschchen reinen Alkohols hole ich aus dem Inneren heraus. „Schon klar – ist ja nicht dein Kampf.“ Die letzten Worte, die von tiefem Sarkasmus begleitet werden, lassen mich in meinem Tun innehalten, und neugierig und irritiert zugleich blicke ich wieder zu dem Schwertkämpfer hinüber. Abscheu und Verachtung steht nun in seinem Auge geschrieben, und innerlich schrecke ich vor diesem Anblick zurück. Etwas regt sich im Inneren meines Herzens; etwas, das sich für das egoistische Verhalten entschuldigen will. Gleichzeitig aber steigt auch eine kalte Wut in mir auf. Wut auf diesen Mann, der meint, mich für mein Verhalten maßregeln zu können, aber auch Wut auf mich selbst – insbesondere auf mich selbst. Denn ich habe es zugelassen, dass ich mich von unangebrachten Gefühlen und Handlungen hab ablenken lassen. „Begeht nicht den Fehler und steckt mich in die Rolle eines guten Samariters, nur weil ich Euch und diese Männer aus dem Käfig befreit habe“, antworte ich ihm mit eisiger Stimme. „Wenn du es nicht bist, warum hast du uns dann erst befreit?“ Ja, warum eigentlich? Warum habe ich in diesem einen Augenblick gegen meinen Instinkt gehandelt? Normalerweise basieren sämtliche meiner Handlungen auf persönliche Interessen und Vorteile. Doch in diesem winzigen Moment konnte ich keinen einzigen Nutzen daraus ziehen. Stattdessen habe ich auf eine innere Stimme gehört und mich von ihr leiten lassen, von der ich dachte, dass ich sie schon vor mehr als einem Jahrzehnt zum Verstummen gebracht hätte. „Ich war Eurem Kapitän noch etwas schuldig“, erkläre ich ausweichend, bevor die Stille zwischen uns zu unangenehm und verräterisch wird. Völlig unbeeindruckt halte ich seinem prüfenden Blick mühelos stand, ohne mir dabei meine Ratlosigkeit oder Verwirrung anmerken zu lassen. Diese gefühllose Fassade habe ich mir bereits im Kindesalter aneignen müssen, um in dieser kaltherzigen Welt überleben zu können. Und es hat viel Zeit und noch mehr an Geduld gebraucht, bis ich sie so dermaßen perfektioniert habe, dass ich mir manchmal die Frage stelle, ob die Frau in dem Spiegel wirklich ich selbst bin. Ich vermag nicht zu sagen, wie viel Zeit inzwischen vergangen ist, als der Schwertkämpfer schließlich seine abwehrende Haltung aufgibt und seine Schultern sich sichtlich entspannen. Das Thema scheint für ihn damit erledigt zu sein, so dass er sich nun auch endlich dazu bereiterklärt den Höhlenbau zu betreten. Und erst jetzt wird mir bewusst, wie klein der Bau tatsächlich ist, als der Schwertkämpfer sich mir gegenüber auf den Boden niederlässt und seine Schuhspitzen meine Knie berühren. Nicht einmal ein dünnes Blatt Papier würde zwischen uns noch Platz finden. Doch es ist nicht nur sein imposanter Körper, der die Enge des Baus weiter verstärkt, sondern auch seine Nähe … seine Ausstrahlung … seine Dominanz. Einerseits drängt es mich diesen Unterschlupf fluchtartig zu verlassen, um diesen Mann und seiner verstörenden Nähe zu entkommen, aber andererseits fühle ich mich seltsam sicher und … geborgen. Diese Erkenntnis trifft mich wie ein Schlag ins Gesicht, und augenblicklich jagt sie mir eine Heidenangst ein und lässt kaltes Eiswasser durch meine Adern fließen. Dieses Gefühl von Geborgenheit ist mir so vertraut, obwohl es Jahre her ist, als ich mich das letzte Mal so beschützt gefühlt habe. Doch genauso gut kann ich mich auch noch an den Schmerz des Verrats erinnern und an die verzehrende Wut, weil ich nicht aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt habe. Stattdessen habe ich dem Wunsch meines Herzens nachgegeben und eine Person so nah an mein wahres Ich herangelassen, dass es mir beinahe den Tod gebracht hätte. „Dieses Schwert … was ist das für eins?“, dringt die Stimme des Schwertkämpfers wie durch einen Nebel hindurch in mein Bewusstsein ein. Es gelingt mir nur sehr mühsam mich aus den Fängen meiner Erinnerungen zu lösen und mich auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren. „Ein Königsschwert“, antworte ich daher eher automatisch, während ich versuche meine dunklen Gedanken abzuschütteln. „Man muss dir wohl alles aus der Nase ziehen, was?“ Obwohl seiner Stimme keinerlei Gefühlsregungen anzumerken ist, so verrät mir ein kurzer Blick auf ihn, dass er über meine Einsilbigkeit eher amüsiert als verärgert ist. Ein kleines Lächeln stiehlt sich bei diesem Anblick auf meine Lippen, bevor ich meine Augen von ihm abwende. „Ich habe nicht oft Gesellschaft.“ „Ist es verflucht?“ Erneut suchen meine Augen seinen Blick, doch dieser ist eher gedankenverloren auf Kurói Bará gerichtet, dessen Scheide seelenruhig an meiner Seite liegt. „Wie kommt Ihr darauf?“, frage ich, da mir seine Gesichtszüge keinerlei Antworten liefern. Sofort richtet sich die grüne Iris auf mich und es fällt mir schwer, ihrem Blick standzuhalten. Ich habe das Gefühl, dass sie hinter die Fassade bis tief in meine Seele schauen kann und erkennt, wie verkümmert diese doch ist. „Ich konnte mit dem Schwert nicht kämpfen. Es war so, als hätte es sich gegen mich gewehrt.“ Nachdenklich blicke ich auf die schwarze Scheide hinab, in der die Klinge Kurói Barás steckt. In meiner Hand fühlt sich das Schwert jedes Mal federleicht an und es folgt mühelos meiner Führung, als würde ich mit einem Pinsel über eine Leinwand fahren. Es sucht sich seinen Träger selber aus – diese Worte hatte der alte Sensei gebraucht, als er mir erklärte, dass jede Waffe einen eigenen Willen besitzt. Und wenn ich an das passive Verhalten des Schwertkämpfers zurückdenke, mit dem er sich gegen seine beiden Kontrahenten gewehrt hatte, ohne dabei Kurói Bará auch nur einmal durch die Luft zu schwingen, so fange ich allmählich an zu glauben, dass der Sensei mit seinen Worten recht behält. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)