Trust me von xxNico_Robinxx ((Zorrobin)) ================================================================================ Kapitel 3: Fehler ----------------- Robin Kritisch begutachte ich im kleinen Taschenspiegel die Verletzungen an meinem Hals. Vier lange Striemen haben die Haut vom Nackenansatz bis zum Schlüsselbein durchtrennt, als wäre ich von einer Raubkatze angefallen worden. Die Wunden sind rot und geschwollen, und pochen und pulsieren heiß unter der Haut, seitdem ich sie mit Wasser ausgewaschen und mit Alkohol desinfiziert habe. Zwar sind die Schnitte nicht tief, dennoch werden am Ende blasse Narben zurückbleiben, die mich immer wieder daran erinnern werden, wie viel Glück ich letztendlich hatte. Und unwillkürlich lege ich meine freie Hand oberhalb auf meine rechte Brust; genau an die Stelle, wo unter dem groben Stoff meiner Kleidung eine kleine sternenförmige Narbe meine Haut ziert. Auch damals hatte ich unwahrscheinliches Glück, obwohl das Gift kochendheiß in meinen Adern pulsierte und ich mich bereits mit dem Tod abgefunden hatte. Aber wie lange wird es noch anhalten? Wie lange noch, bis mein Vorrat an Glück verbraucht ist? In meiner Vergangenheit gab es schon unzählige Situationen, aus denen ich nie heil herausgekommen wäre, wenn die Umstände vielleicht ganz andere gewesen wären - trotz meines Verstandes und meiner Wachsamkeit. Gerade als naives und vertrauensseliges Kind, das ich einst war, hatte das Glück sehr oft auf meiner Seite gestanden; ein zufällig belauschtes Gespräch hier, Abwesenheit im passenden Augenblick dort. In solchen Momenten fragt man sich dann doch, ob das Leben nicht vielleicht tatsächlich vom Schicksal vorherbestimmt ist. Automatisch wandern meine Augen hinüber zum Schwertkämpfer, dessen stechenden Blick ich bisher erfolgreich ignoriert habe. In seinem Auge steht deutlich die Neugier über meine Verletzung geschrieben. Doch irgendetwas scheint ihn davon abzuhalten, seine Frage laut auszusprechen. Stattdessen sitzt er einfach nur schweigend da und beobachtet wie eine Spinne in ihrem Netz jede meiner Bewegungen. Wenn es so etwas wie Schicksal wirklich geben sollte, dann hätte ich nichts – absolut gar nichts! – tun können, um diese Begegnung zu vermeiden. Selbst wenn ich dem Käfig den Rücken gekehrt und die Gefangenen nicht befreit hätte, hätte das Schicksal trotz allem einen Weg gefunden, durch das ich jetzt hier mit dem Schwertkämpfer zusammen sitzen würde. Und dieser Gedanke gefällt mir nicht und bereitet mir Unbehagen. Denn es würde bedeuten, dass es keinen freien Willen gäbe; dass jede Entscheidung, jede Tat – ja, selbst jeder Gedanke bereits von der Geburt eines Menschen an vorherbestimmt ist. Es würde bedeuten, dass alles, was bisher geschehen ist, und jeden Weg, den ich beschritten habe, zu keinem Zeitpunkt hätte geändert werden können. Egal, wie ich mich entschieden hätte, alles wäre genau so gekommen, wie es passiert ist. Da glaube ich dann doch lieber daran, dass ich selbst Herr über mein eigenes Leben bin und Entscheidungen treffe, die auf den Verstand, der Logik und den gegebenen Umständen basieren – oder auf Gefühle. „Wie geht es nun weiter?“, durchbricht der Schwertkämpfer schließlich die Stille zwischen uns. Das tiefe Timbre seiner Stimme sendet wohlige Schauer über meinen Rücken und vertreibt die dunklen Gedanken über das Schicksal aus meinem Kopf. Stattdessen richte ich meinen inneren Blick auf den Weg vor mir, während meine Augen hinaus über die dichte Vegetation des Waldes wandern. Im Augenblick ist die Luft noch recht angenehm. Doch ich weiß, dass mit vorrückender Stunde Hitze und Luftfeuchtigkeit immer weiter ansteigen werden, bis man das Gefühl hat nicht mehr richtig atmen zu können. Die Luft wird drückender und schwerer, und die hohen Temperaturen werden zu einer Belastung für den Körper. Hinzu kommt dann noch der körpereigene Wasserverbrauch, der bei steigender Hitze stetig zunehmen wird. Und ich weiß nicht, ob in der Nähe ein Bach, ein Fluss oder ein See ist oder ob ich auf meinem Weg an einer kleinen Wasserstelle vorbeikomme. Denn mit dem wenigen Wasser, das sich noch in der Flasche befindet, werde ich nicht sehr weit kommen. Von daher wäre es eigentlich am Besten, bis zum Einbruch der Nacht zu warten, wenn sich langsam alles wieder abkühlt. Doch durch die Flucht der Sklavenarbeiter, insbesondere der des Schwertkämpfers, muss ich nun davon ausgehen, verfolgt zu werden. Länger an einen Ort zu verweilen, ist daher viel zu gefährlich, auch wenn der hohle Baumstamm uns einen gewissen Grad an Schutz bietet. Die Stille in dem kleinen Bau dehnt sich immer weiter aus, während die Minuten vergehen, in denen ich mich langsam zu einer Entscheidung durchringe. Ich muss an mich denken und an mein Vorhaben. Mein Unterfangen wurde bereits kompliziert, als ich die Gefangenen befreit habe. Und Plessis´ Männer, sofern sie den Angriff des Panthers überlebt haben, werden irgendwann im Laufe des Tages in ihrem Lager Alarm schlagen – wenn dies nicht schon bereits geschehen ist. Meine Kleidung gibt leise raschelnde Töne von sich, als ich meinen Rucksack näher zu mir heranziehe und ihn öffne. Es vergeht nur ein Wimpernschlag, bis meine kundigen Finger den kleinen hexagonförmigen Kompass finden, dessen Deckel sich mit einem leisen Klicken öffnet. Geduldig warte ich daraufhin, ob die kleine schmale Nadel sich einpendelt, da ich nicht sagen kann, ob der Kompass bei all den Magnetströmen auf der Insel überhaupt funktioniert. Doch nach einigem Hin und Her weist die Nadel schließlich nach Norden – direkt auf den Schwertkämpfer. Welch eine Ironie, bemerke ich nicht ohne einen Anflug bissigen Humors, während ich den Kämpfer aus aufmerksamen Augen taxiere. Oberflächlich betrachtet scheint er ein Mann zu sein, der außer Muskelmasse und Körperkraft nicht sehr viel zu bieten hat. Er ist eher der typische Gefolgsmann als ein Anführer; jemand, der Befehle stumm und blind befolgt als welche zu geben. Aber ich habe gelernt, niemals jemanden zu unterschätzen und genauer hinzusehen. So habe ich damals nach seinem Kampf mit Jazz Boner bereits erkannt, dass hinter seiner undurchdringlichen Fassade weitaus mehr steckt. Er ist nicht einfach nur ein Kämpfer – ein Krieger, der zum Töten ausgebildet wurde. Er ist auch kein junger Heißsporn, der nach Ruhm und Ehre lechzt, und sich deshalb kopfüber in den Kampf stürzt, was zumeist zum Tode führt. Nein, er weiß ganz genau, was er tut und welchem Gegner er sich stellt, denn er sucht ganz bewusst die Herausforderung. Er will sich an ihr messen und an ihr wachsen, seine Fähigkeiten verbessern und stärker werden. Er will über seine Grenzen hinausgehen, bis irgendwann der Zeitpunkt gekommen ist, an dem er sein volles Potenzial erreicht hat, das noch irgendwo in seinem Inneren verborgen liegt und schläft. Sein unermesslicher Ehrgeiz und seine übermäßige Willenskraft machen ihn daher zu einem gefährlichen Gegner, den man besser nicht unterschätzen sollte. Doch im Augenblick ist für mich die einzige Gefahr, die von ihm ausgeht, seine Anziehungskraft. Sie macht mich blind und scheinbar willenlos. Sie lässt mich die Erfahrungen und Fehler der Vergangenheit vergessen. Und nur allzu gerne würde etwas in meinem Inneren diesem Wunsch nachkommen und sich von seiner Nähe einhüllen lassen. Aber das darf nicht passieren! Ich darf nicht vergessen, wer ich bin und was ich bin. Ich darf nicht vergessen, warum ich hier bin und was meine Aufgabe ist. Aber vor allem darf ich nicht die wahre Natur des Menschen vergessen, die sich nur allzu gerne hinter falscher Freundlichkeit und vorgetäuschter Unschuld verbirgt. Beinahe schon gewaltsam reiße ich mich daher von seinem Anblick los und blicke auf den Kompass hinab. Nach wie vor zeigt die rote Nadel nach Norden, ohne dass sie ihre Richtung auch nur einmal geändert hätte. Natürlich, bei richtiger Funktion zeigen Kompasse immer nach Norden, und dennoch … Ich habe den Eindruck, als wolle mich der Pfeil genau in diese Richtung – in seine Richtung – drängen, als wäre das der richtige Weg. Doch das ist nicht der richtige Weg! Wie ein Mantra gehen mir diese Worte immer wieder durch den Kopf, bis ich schließlich den Deckel mit einem leisen Schnappen zuklappe. Mit einer lockeren Bewegung aus dem Handgelenk werfe ich den Kompass dann dem Schwertkämpfer zu, den er mühelos in der Luft auffängt, als hätte er bereits damit gerechnet. Gleichzeitig zieht sich eine seiner Augenbrauen fragend in die Höhe, während er mich aufmerksam und neugierig zugleich mustert. „Wenn Ihr Euch südlich haltet, werdet Ihr bei Anbruch der Nacht die Küste erreichen“, fange ich an zu erklären, ohne ihn dabei sehen zu lassen, welch ein Gefühlschaos er in mir ausgelöst hat. „Folgt dabei den Wildwechseln. Sie könnten Euch zu Wasserstellen führen. Sobald Ihr dann die Küste erreicht habt …“ „Ich hole mir erst meine Schwerter zurück.“ Sein Blick ist unnachgiebig und zeugt von einer wilden Entschlossenheit, als er mir den Kompass zurückwirft. Damit gibt er mir deutlich zu verstehen, dass er unter keinen Umständen vorhätte von meiner Seite zu weichen. Es vergehen einige Minuten, in denen wir uns einfach nur schweigend mustern. Dabei entgeht mir nicht, dass seine Gesichtsmuskeln leicht angespannt sind, als rechne er jeden Augenblick mit einem Protest. Doch instinktiv weiß ich, dass es nichts bringen würde. Lorenor Zorro hat seinen eigenen Kopf. Selbst wenn ich ihm sagen würde, dass er sich zum Teufel scheren solle, würde er mir dennoch nachgehen. „Dann solltet Ihr versuchen mit mir Schritt zu halten“, antworte ich schließlich, nachdem ich leise seufzend mich meinem Schicksal ergeben habe, „denn ich werde keine Rücksicht auf Euch nehmen. Fallt Ihr hinter mir zurück, seid Ihr auf Euch allein gestellt.“ Ein Fehler. Einer von vielen am heutigen Tage, wie ich mir mit einem bitteren Beigeschmack im Mund eingestehen muss. Und allmählich frage ich mich, ob diese Insel nicht vielleicht verflucht ist. Wie sonst ist es zu erklären, dass ich immer wieder von meiner Norm abweiche und völlig konfuse Entscheidungen treffe, für die es keine logischen Erklärungen gibt? Unter halbgesenkten Lidern werfe ich meinem stillen Begleiter einen Blick zu, der seit unserem Aufbruch kein einziges Wort mehr von sich gegeben hat. Seine Stille könnte ich eigentlich als recht angenehm empfinden, da sie weder meine Gedanken stört noch die friedliche Atmosphäre um uns herum – eigentlich. Doch viel zu intensiv nehme ich seine Nähe – seine Männlichkeit, seine Dominanz, seine Härte und Stärke – wahr; auf eine Art und Weise, wie ich sie bisher nur ein einziges Mal in meinem Leben verspürt habe. Dunkle Schwingen regen sich in meinem Inneren, während ich an diese Zeit zurückdenke. Trotz so vieler vergangener Jahre schmerzt es immer noch so sehr, dass ich kaum atmen kann, und mein Herz von einer schwarzen Klaue qualvoll zusammengepresst wird. Ich glaube, dass es nie eine Zeit gegeben hat, in der ich so glücklich war wie in dieser – nicht einmal als Kind und als meine Welt noch heile war. Aber als Kind hatte ich auch noch eine ganze andere Sicht der Dinge, trotz meiner Sehnsucht nach Akzeptanz. Doch als junge, heranwachsende Frau wusste ich um die Bedeutung von Wertschätzung und Liebe. Und ich hatte mich in dem Moment geliebt gefühlt – geborgen und sicher. Ich bin als Mensch – als Frau – wahrgenommen worden, und nicht als das kaltblütige Monster, das all die Leute in mir sehen. Doch am Ende zerplatzte all dies wie eine Seifenblase im Wind, und zurück blieb nur die kalte Wahrheit, die mir hart und unnachgiebig ins Gesicht schlug. Der letzte Rest an Hoffnung, der in meinem Herzen verblieben war, zerfiel zu Staub. Niemals kann es ein glückliches Ende geben – für niemanden! Denn Liebe, Freundschaft, Treue und Barmherzigkeit sind nur in Büchern - in fabelhaften Geschichten und abenteuerlichen Erzählungen - stark und unbezwingbar. In der wirklichen Welt jedoch sind es ganz andere Werte, die Türe und Tore öffnen. „Hast du das gehört?“ Völlig in meinen dunklen Erinnerungen gefangen, dringen plötzlich unverständliche Worte an mein Ohr, die trotz allem ausreichen, um die Aufmerksamkeit meiner Instinkte zu wecken. Es ist, als würde ich aus einem tiefen Schlaf erwachen, als mein Bewusstsein versucht sich wieder auf die Wirklichkeit zu konzentrieren. Doch es fällt mir unendlich schwer die Erinnerungen abzuschütteln. Sie sind in meinem Kopf so präsent, als wären seitdem nur wenige Minuten vergangen und nicht bereits schon Jahre. Und dennoch drängt mich eine innere Stimme dazu mich meinem Begleiter zuzuwenden, der ganz offensichtlich nur wenige Schritte hinter mir stehen geblieben ist. Allmählich klärt sich mein Bewusstsein und die Benommenheit fällt langsam von mir ab, so dass ich sofort erkenne, dass irgendetwas die Aufmerksamkeit des Schwertkämpfers geweckt hat. Sein Blick wirkt nach innen gerichtet, ohne dabei einen bestimmten Punkt anzuvisieren, während er sich langsam um die eigene Achse dreht. Kein Muskel rührt sich dabei in seinem Gesicht. Dennoch scheint uns keine Gefahr zu drohen, da seine gesamte Schulter- und Rückenmuskulatur viel zu entspannt ist. Dennoch lasse ich meine Augen ohne Eile über das dichte Geflecht über uns wandern, während meine rechte Hand langsam den Schaft Kurói Barás umfasst. Und dann höre ich es - ein leises Glucksen, das im Zirpen der Zikaden und dem Vogelgesang völlig unterzugehen scheint. „Es scheint aus dieser Richtung zu kommen.“ Seine Worte sind noch nicht ganz verklungen, als der Schwertkämpfer auch schon entschlossenen Schrittes den schmalen Wildpfad verlässt. Rücksichtslos und unbeirrt bahnt er sich einen Weg durch das dichte Unterholz, begleitet vom Rascheln der Blätter und dem Knacken von Zweigen. Ich dagegen verharre weiterhin an Ort und Stelle, während ich ihm einfach nur still und ruhig hinterher blicke, dessen hochgewachsene Statur recht schnell von den dunklen Schatten des Waldes verschluckt wird. Resigniert schüttle ich ganz unwesentlich den Kopf über soviel Unvorsichtigkeit, derweil mir erneut vor Augen geführt wird, welch großen Fehler ich begangen habe. Niemals hätte ich es zulassen dürfen, dass er mich begleitet. Er ist ein Hindernis - ein Störenfried in meinen Plänen. Verstohlenheit ist das Schlüsselwort, wenn ich an die benötigten Informationen kommen will - und kein Elefant im Porzellanladen. „Du solltest langsam wirklich wieder zu Verstand kommen“, murmle ich leise vor mich hin. Doch anstatt meine Worte in die Tat umzusetzen und auf Nimmerwiedersehen in den Tiefen des Dschungels zu verschwinden, folgen meine Füße den Schuhabdrücken, die der Schwertkämpfer im weichen Erdboden hinterlassen hat. Nicht die einzige verräterische Spur. Niedergetrampeltes Gras und abgerissene Blätter bedecken stellenweise den Untergrund, während meine Schultern an abgeknickten Zweigen entlangstreifen. Man muss kein passionierter Jäger sein, um uns verfolgen zu können, geht es mir dabei durch den Sinn. Und wie bereits unzählige Male zuvor, seit die Strohhutbande angefangen hat sich einen Namen auf der Grandline zu machen, frage ich mich wieder einmal, was ihr Geheimnis ist. Wie haben sie es bloß nur so weit schaffen können? Sie sind impulsiv, naiv, gutgläubig und unwissend - Eigenschaften, die auf der Grandline normalerweise den Tod bedeuten. Und dennoch scheint es, als gäbe es nichts auf der Welt, dass diese Bande aufhalten kann. Obwohl ... „Dachte schon, du wärst abgehauen“, reißt mich die leise murmelnde Stimme des Schwertkämpfers aus meinen Gedanken. Die letzten ineinander verwobenen Zweige beiseite schiebend, verlasse ich das dichte Geflecht der Flora. Die gigantischen Bäume stehen hier deutlich weiter auseinander und säumen einen schmalen Bachlauf, dessen Ränder von tiefgrünem Gras bewachsen sind. Über dem kristallklaren Wasser tummeln sich an vereinzelten Stellen ganze Schwärme von Mücken, deren Summen sich zu einem einzigen tiefen vibrierenden Ton vereint. Und sogar eine Libelle, die so lang wie mein Arm ist, schwirrt darüber hinweg. Aus den Augenwinkeln betrachte ich den Schwertkämpfer, der am Rande des Baches kniet, während ich langsam näher trete. Mit gewölbten Händen schöpft er etwas Wasser und spritzt es sich ins Gesicht - und dann noch einmal und noch einmal und noch einmal, bis sich der Dreck vergangener Tage gelöst hat. Schließlich schöpft er noch ein letztes Mal Wasser, das er sich aber anders als zuvor über sein gesenktes Haupt schüttet, um dann anschließend mit beiden Händen durchs kurze Haar zu fahren. Mein Blick wird dabei auf das verblichene Hemd gelenkt, das seine besten Tage wohl schon lange hinter sich hat. Bei jeder Bewegung des Schwertkämpfers spannt sich der grob gewebte Stoff so eng um den Bizeps und um die Schultern, dass ich mich schon frage, wann das dünne Leinen nachgibt und reißt. Aus welcher Mottenkiste sie die wohl herausgekramt haben? Ich spüre eine leise Wut in mir grummeln, denn ich kenne den Zweck dieser Kleidung. Sie soll die Haut nicht vor der hiesigen Flora und Fauna schützen - nein! Diese Kleidung, die an einen billigen Pyjama erinnern lässt, wird normalerweise ausschließlich von Sklaven getragen. Sie werden all ihrer Habseligkeiten beraubt, damit sie sich nicht daran erinnern können, wer sie mal waren - ein Mensch mit Familie und Gefühlen -, und werden in diese Kleider gesteckt, in denen sie sich kaum von den anderen unterscheiden können. Sie haben keine Identität - nicht mehr. Sie sind nur irgendwelche Schatten ohne Namen. „Wir sollten Euch neue Kleidung besorgen“, höre ich mich unvermittelt sagen. Und noch im selben Moment schüttle ich innerlich den Kopf über mich selbst, während der Schwertkämpfer sich langsam zu mir umdreht. Seine linke Augenbraue ist fragend hochgezogen und in seinem Blick steht dieselbe Überraschung geschrieben, wie ich mich gerade fühle. Doch schneller als ein Eisvogel mit seinen Flügeln schlagen kann, verschwindet der Ausdruck aus seinem Auge. Stattdessen verschränkt er seine Arme vor der Brust und blickt mich herausfordernd an. „Jetzt auf einmal heißt es WIR?“ Ich könnte mir vorstellen, dass so manch anderer an meiner Stelle nun beschämt zu Boden blicken würde. Doch seine Worte entlocken mir nur ein leises Lächeln, denn ich weiß, dass sie nicht so gemeint sind, wie sie geklungen haben. Er ist genauso wenig begeistert über unsere unfreiwillige Zusammenarbeit wie ich. „Ich bin immer noch hier, oder nicht?“ „Warum eigentlich?“ Diese Frage habe ich befürchtet, noch bevor ich meine Worte ausgesprochen hatte. Doch nach wie vor wehre ich mich mit Händen und Füßen dagegen, den Ursprung meines konfusen Verhaltens auf den Grund zu gehen. Denn ganz tief im Inneren spüre ich, dass die Antwort darauf mehr heraufbeschwören würde als nur Erkenntnisse. „Ihr wollt Eure Schwerter zurück, und ich erhoffe mir Informationen über unseren Gastgeber finden zu können“, antworte ich schließlich, während ich meinen Rucksack von der Schulter gleiten lasse, um die Feldflasche daraus hervorzuholen. Denn trotz aller Irritationen, denen ich ausgesetzt bin, entgeht mir nicht die Möglichkeit unseren Wasservorrat wieder auffüllen zu können, der nur noch aus ein, zwei Schlucken besteht. „Für uns beide wäre es also nur zweckdienlicher zusammenzuarbeiten als gegeneinander.“ „Du brauchst mich als Kanonenfutter.“ Ich habe mich bereits am Rande des Baches niederkniet und die Feldflasche ins kühle Nass getaucht. Doch bei seinen Worten blicke ich auf. Seine Stimme klang weder vorwurfsvoll noch enttäuscht. Und auch sein grimmiges Gesicht ist ausdruckslos wie bei einem Pokerspieler, so dass ich nicht erkennen kann, was in seinem Inneren wirklich vor sich geht. So vergehen einige Minuten, in denen wir uns schweigend mustern, und ich mich frage, was er eigentlich von mir erwartet. Schließlich wende ich mich wortlos von ihm ab und fülle die Flasche bis zum Rand mit frischem Wasser auf, bevor ich sie mit langsamen Bewegungen verschließe und wieder in den Rucksack verstaue. „Ich gab Euch die Möglichkeit, Euch bis zur Küste durchzuschlagen“, entgegne ich mit fester Stimme, während ich mich wieder auf die Beine erhebe und den Rucksack schultere. „Ihr habt abgelehnt.“ Völlig unerwartet zeichnet sich ein belustigtes Lächeln auf seinem Gesicht ab, bevor er sich langsam in Bewegung setzt und dem Bachlauf folgend an mir vorbeigeht. „Und wie soll ich kämpfen ohne Schwert?“, ruft er mir über die Schulter hinweg zu. „Herr Schwertkämpfer“, halte ich ihn auf. „Wir müssen in die andere Richtung gehen.“ Das amüsierte Lächeln ist aus seinem Gesicht verschwunden, als er mit schnellen Schritten wieder an mir vorbeiläuft. Stattdessen haben seine Wangen einen tiefroten Schimmer angenommen, und konsequent vermeidet er jeden Blickkontakt mit mir. Währenddessen versuche ich krampfhaft einen ernsten Gesichtsausdruck beizubehalten und beiße mir auf die Unterlippe, um das leise Lachen, das meine Kehle hinaufsteigt, zu unterdrücken. Nie hätte ich mir eine Situation ausmalen können, in der dieser mürrische und grimmige Krieger vor Scham am liebsten in Boden versinken würde. Irgendwie ... süß, denke ich mir im Stillen, während ich den Schwertkämpfer mit ausgreifenden Schritten schnell einhole. Aus dem Augenwinkel wirft er mir einen bitterbösen Blick zu, da immer noch ein breites Lächeln auf meinen Lippen liegt, das ich vergeblich zu unterdrücken versuche. „Lach ruhig weiter“, grummelt er mir leise zu, woraufhin mein Lächeln sich zu einem breiten Grinsen verzieht, das ich schnell hinter meiner Hand verstecke. Meine plötzliche Erheiterung kann ich mir selber nicht erklären. Und ihn scheint diese Regung ebenfalls zu irritieren, da er mich immer wieder mit sonderbaren Blicken kurz mustert. „Wenn ich der Meinung wäre, dass Ihr wehrlos wäret“, beginne ich mit schwankender Stimme zu sagen, da mir immer noch ein Lachen im Halse steckt, „hätte ich Euch bereits auf der Lichtung stehen gelassen. Ich weiß, dass Ihr auch ohne Waffe kämpfen könnt.“ „Das klingt, als wüsstest du eine ganze Menge über mich“, antwortet er mir mit leiser Neugier in der Stimme. „Ich weiß, dass Ihr im East Blue aufgewachsen seid - im Dorf Shimotsuki“, rufe ich die Informationen ab, die ich angesammelt hatte, als ich noch in der Baroque Firma tätig war. „Und ich weiß, Ihr wart im dortigen Dojo auch Schüler. Allerdings nicht ganz freiwillig, wenn ich mich richtig erinnere. Ihr habt einen Kampf verloren, an dem eine Bedingung geknüpft war - Schüler des Dojos zu werden.“ Sofort halte ich in meinen Ausführungen inne, als ich bemerke, wie sich die Kinnpartie des Schwertkämpfers verhärtet und ein eisiger Blick mich aus seinem tiefgrünen Auge trifft. Obwohl seine Vergangenheit wohl kaum ein Geheimnis ist, da sich sein Werdegang mühelos zurückverfolgen lässt, scheine ich allem Anschein nach einen wunden Punkt bei ihm getroffen zu haben. Und ich frage mich, was wohl der Auslöser dafür ist. Verletzter Stolz, weil er ebenjenes Mädchen, gegen das er den besagten Kampf verloren hatte, nie hat besiegen können? Oder ist es gar schmerzliche Trauer über den viel zu frühen Tod dieses jungen Mädchens? Ist dieser Schwertkämpfer überhaupt zu tiefer gehenden Gefühlen fähig? Kann er wirklich so was wie Liebe empfinden? „Woher weißt du das alles?“, reißen mich seine Worte aus meinen Gedanken raus, und ich bin dankbar dafür. Jedoch bin ich mir unschlüssig darüber, ob die folgende Unterhaltung um so vieles besser ist, als über den weichen Kern dieses Schwertkämpfers nachzudenken, da seine Stimme dunkel von unterdrücktem Zorn ist. „Bevor die Baroque Firma an Euch herangetreten ist, haben wir Informationen über Euch eingeholt“, versuche ich ihn daher zu beschwichtigen. Gleichzeitig spanne ich unwesentlich meine Muskeln an in der Erwartung, jeden Augenblick angegriffen zu werden. Auch wenn ich glaube, den Schwertkämpfer mühelos überwältigen zu können, so ist Wut dennoch ein unsicherer Faktor. Denn Wut ist vergleichbar mit Reflexen, die nicht von Logik bestimmt werden. Aber im nächsten Moment entspanne ich mich auch schon wieder, als ich sehe, wie der Schwertkämpfer kaum merklich mit dem Kopf verstehend nickt. Und damit belasse ich es auch. Instinktiv spüre ich, dass es besser ist, ihn jetzt in Ruhe zu lassen, bis seine Wut verraucht ist. Und so folgen wir dem Bachlauf - Seite an Seite. Doch das Schweigen zwischen uns empfinde ich nun nicht mehr als angenehm. Es hat etwas Bedrückendes an sich, so dass ich wirklich versucht bin mich für meine Worte zu entschuldigen. Aber der Schaden ist bereits angerichtet - und Worte können da nicht mehr viel ändern. Wieder ein Fehler, geht es mir durch den Sinn. Und mit einem leisen Hauch bissigen Humors überlege ich eine Strichliste anzufertigen. Denn ein unbestimmtes Gefühl sagt mir, dass mir noch weitere Fehler unterlaufen werden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)