Eine zweite Chance von Verlest (Still a better Lovestory than Twilight) ================================================================================ Kapitel 1: Onkel Tiron ---------------------- Der Abend legte sich langsam über die Felder und Hügel im Verlester Land und Amaro lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Er blickte auf die letzten Tropfen Wein in seinem Glas. Süßlich mit einem leicht bitteren Nachgeschmack. Kein guter Wein, aber das Beste, was er sich in dieser Taverne noch leisten konnte. Er streckte die Füße unter dem Tisch aus und dachte nach. Wenn er kein Lager für die Nacht mehr fände, müsste er den Heimweg noch im Laufe der Nacht antreten. Sein Proviant und seine Geldvorräte waren aufgebraucht, da er nicht geplant hatte so lange fortzubleiben. Sein ganzer Aufbruch vor wenigen Tagen war spontan und ungeplant, entsprungen einer plötzlichen Laune des fünfzehnjährigen, als der Streit der Eltern ihm zuviel wurde und sein Zuhause ihm plötzlich zum bedrängenden Gefängnis. Einfach nur raus, dachte er sich, warf ein paar Dinge zusammen und brach auf. Ob seine Eltern sich Sorgen um ihn machten? Vermutlich ja, vorausgesetzt sie hätten endlich aufgehört zu streiten. So ganz hatte Tiron noch immer nicht verstanden, warum seine Freunde ihn dauernd dazu drängten, mehr vor die Tür zu gehen - er war doch ohnehin den ganzen Tag nicht zu Hause, warum sollte er dann auch noch abends nach Feierabend rausgehen? Aber gerade Tulander konnte hartnäckig sein und vielleicht ließen es die "Jungs" ja auf sich beruhen, wenn er einen oder zwei Abende in einer Schenke verbrachte. Die Wahl war, pragmatisch, auf ein ansonsten eher wenig gut besuchtes Gasthaus nicht zu weit weg gefallen. Amaro ließ sich das letzte bisschen Alkohol die Kehle herunterrinnen und stütze dann entschlossen die Arme auf den Tisch. Irgendeine holde Maid musste es in diesem Dorf doch geben, die ihm Unterschlupf für die Nacht gewähren würde! Er wäre auch nicht zu wählerisch, wenn er nur nicht die ganze Nacht durch laufen müsste. Und vielleicht spränge sogar noch ein Frühstück dabei heraus. Dass, oder er würde seine grazilen Finger dafür nutzen müssen auf dem nächsten Markt etwas zu stibitzen. Ob es Obstbäume auf der Strecke gäbe, wenn er jetzt den Heimweg einschlagen würde? Noch wäre es nicht zu spät und seine Mutter wäre mit Sicherheit schrecklich wütend, würde ihm aber trotzdem wieder alles vergeben am Ende. Ein gutes Buch, eine warme Mahlzeit und seine weiche Bettdecke warteten daheim auf ihn. Vielleicht würde seine Mutter ihm sogar selbst noch einen heißen Tee machen, bevor sie ihn ins Bett schickte. Oder ein warmes Bad... er müsste nur jetzt aufstehen, durch diese Tür gehen und am nächsten Abend wäre er daheim, wenn er sich gut anstellte. Seine langen Finger trommelten auf dem Holz des Tisches nervös vor sich hin. Verzweifelt fuhr er sich mit beiden Händen durch das wirre Haar und drückte sich die Schläfen. Zurück, jetzt. Ja oder nein? Und welche Maid könnte einem jungen Mann wie Amaro schon widerstehen, wenn er den Blick seiner warmen Honigaugen richtig einsetzte? Das einzige Problem schien, dass in unmittelbarer Umgebung keine Maid greifbar war, nur ein wohlhabend, wenn auch etwas steif wirkender Herr, der gerade mit einem Buch unter dem Arm den Raum betrat. "Lord de Varro, was für eine Ehre! Bitte..." Tja, entweder der Wirt hatte endlich Amaros verborgene Qualitäten erkannt und wollte ihn doch zu einem weichen Federbett und Getränken frei Haus einladen oder ... Trotz des einsetzenden Dämmerlichts des Abends war es für Amaro klar, wenn er dort stehen sah. Er hatte seine Onkel väterlicherseits nie kennen gelernt, aber wer könnte dieser so angesprochene sonst sein, außer der Bruder seines Vaters? Die Ähnlichkeit der Zwillinge war offensichtlich, wenn auch sein Vater ein ganz anderer Typ war. Das Haar noch immer lang und dunkel. Frauen liebten es angeblich, durch langes, lockiges Haar zu fahren. Was für ein Glück, dass er solches geerbt hatte. Er erhob sich von seinem Platz am Fenster und schlich leisen Schrittes von hinten auf seinen Onkel zu, um ihn noch etwas mustern zu können. Das Abbild eines alternden Generals, genau so sah er aus. Er strahlte Würde aus, wo sein Vater Charisma und Charme hatte. Dieser Mann hier wirkte einfach nur steif. Vielleicht war es doch nicht so schlimm ihn nie kennen gelernt zu haben, wie ein guter Spielgefährte für Kinder wirkte er nicht gerade. Er hatte auch keine, so viel hatte er von seinen Tanten mitbekommen. Kein Wunder, dachte Amaro. Doch dann stieg Bitterkeit in dem Jungen auf. Hier war er also, davongelaufen von zuhause, ohne Geld, Proviant und Nachtlager, weil seine Eltern sein Zuhause in einen Kriegsschauplatz verwandelten. Und dort stand sein Onkel, der Lord. Wohlhabend, kinderlos, völlig uninteressiert an seinem Schicksal und dem seiner Familie. Nicht einmal hatte er sich bei ihnen blicken lassen, keine Briefe, Einladungen oder gute Wünsche waren jemals von ihm gekommen. Das Gut und der Titel der de Varros, ein Erbe von dem er wie sein Vater ausgeschlossen war und um den ihn trotzdem die Nachbarskinder beneideten. Lächerlich. Und doch so komisch wie das Leben spielte. Tiron de Varro wurde zunächst vom Wirt in Beschlag genommen, so dass er den herumschleichenden Jungen gar nicht bemerkte. Im Gegensatz zu seinem Bruder wurde das Haar des Lords zumindest an den Schläfen bereits grau und auch als er sich vom Hausherren zu einem freien Tisch führen ließ, viel deutlich auf, dass seine Bewegungen die federnde Eleganz nicht besaßen, mit der sich Narsil noch immer bewegen konnte. Mit sparsamen Gesten bestellte Tiron etwas, was klang wie "alles, nur keine Bohnen mit Speck" und einen Krug mit Wein, dann setzte er sich und schien den Rest des Schankraumes einfach auszublenden. Amaro fuhr sich ordnend durch die Haare, während er ,von plötzlicher Wut ergriffen, auf den Tisch zuhielt den sein Onkel angewiesen bekommen hatte. Er wusste nicht was er seinem Onkel sagen wollte. Er wusste nicht, was er überhaupt von ihm wollte. Außer einer Konfrontation, hier und jetzt. Der Mond stieg über den Bergen von Verlest auf, als sich Amaro de Varro mit einer katzenhaften Bewegung auf den Stuhl gegenüber dem seines Onkels schwang. Er stütze sich mit den Ellenbogen auf dem Tisch ab, faltete die Hände abwartend und musterte sein Gegenüber. Der Junge legte dabei ein Selbstbewusstsein an den Tag, als ob es das selbstverständlichste sei sich unaufgefordert an fremde Tische zu setzen und den dort sitzenden abschätzende Blicke zuzuwerfen. Tiron de Varro war einen Moment sprachlos über die Unverfrorenheit dieses Jünglings. Doch noch bevor er einen Ton über dessen Verhalten verlieren konnte, formulierten diese rosigen Lippen Worte, deren Inhalt nicht zu ihm durchdringen wollte. „Hallo Onkel. So lernen wir uns also doch einmal kennen.“ Der Junge lehnte sich mit verschränkten Armen zurück. Er wartete offensichtlich auf irgendeine Form der Reaktion. Honigfarbene Augen blickten ihn an. Kämpferische, honigfarbene Augen in einem Gesicht, dass er nicht kannte, dass ihm aber dennoch sehr bekannt vorkam. Im ersten Moment wusste Tiron absolut nicht, was er sagen sollte, während die Worte langsam vom Ohr ins Gehirn wanderten. Das war nicht sein Neffe, er kannte die Kinder seiner Schwestern, war der erste Gedanke, also was erlaubte sich der Bengel eigentlich?! Der Bengel mit den hellen Haaren. Mit den Bernsteinfarbenen Augen. Im Gesicht des älteren Mannes zeichnete sich deutlich der Wechsel von Ärger zu Bestürzung und Erkennen ab. „Amaro?", fragte er noch immer nicht ganz überzeugt und warf dann einen raschen Blick durch den Raum, wie um sich zu vergewissern, dass nicht noch mehr Überraschungen im Schankraum warteten. Es ist ihm also offensichtlich unangenehm mit mir gesehen zu werden, dachte Amaro. Das befeuerte seine Wut nur. „So, meinen Namen kennst du also immerhin. Onkel Tiron...“ Angriffslust funkelte in den Augen des jüngeren, bevor sich dieser besann und eine weniger bedrohliche Haltung einnahm. Lass den Feind dich niemals vollständig durchschauen, ermahnte er sich. Eine der Lektionen, die ihn seine Mutter gelehrt hatte. Er öffnete die Arme und sagte „es wäre nett, wenn du mir wenigstens etwas zu trinken anbieten würdest, wenn ich mir schon selbst zu einem Stuhl verhelfen musste.“ Tiron de Varro hatte sich vergewissern wollen, dass nicht auch noch andere Schatten aus der Vergangenheit anwesend waren. So wie der Junge sich benahm konnte er nicht leugnen, dass das Narsils Sohn war. Unverschämt und gewohnt, damit durch zu kommen. Einen Moment runzelte Tiron die Stirn, dann deutete er dem Wirt wortkarg, zu dem Krug zwei Weingläser zu bringen. Während der Wirt davoneilte, nutzte Tiron die Chance, seinen Neffen aufmerksam zu mustern und er konnte kaum umhin, den Knaben an den etwa gleichalten Kadetten in der Akademie zu messen. Das Ergebnis war für Amaro wenig vorteilhaft: er brauchte einen ordentlichen Haarschnitt, er hatte Grasflecken am Ärmel und er hatte sich auch nicht in irgendwelchen Schenken herumzutreiben. "Was machst du hier, Amaro?", fragte er deshalb, vielleicht ein bisschen barscher als beabsichtigt. Aber er wollte den Jungen auch nicht merken lassen, wie sehr ihn dessen plötzliches Auftauchen aus der Bahn geworfen hatte. „Das könnte ich dich auch fragen lieber Onkel. Aber ich möchte dich nicht in Verlegenheit bringen und nehme einfach mal an, dass wir hier sitzen und gemütlich ein paar Gläser Wein trinken wollen. Oder ist dem nicht so?“ Amaro griff galant nach den Gläsern die der Wirt brachte, goss vom roten Wein für beide Männer ein und reichte seinem Onkel mit einem nonchalanten Lächeln ein Glas herüber. „Wie geht es dir Onkel? Oh, warte. Ist das nicht vielleicht eine Frage, die du mir auch soeben stellen wolltest und die ich dir nach 15 Jahren ohne ein Lebenszeichen einfach aus dem Mund genommen habe? Wundervoll geht es mir. Was ich hier tue? Das Leben genießen, was sonst? Vielen Dank der Nachfrage.“ Die Lippen des Jungen formten einen säuerlichen Schmollmund, dem man nur allzu gut ablesen konnte, was dieser eigentlich zu verbergen suchte. Wäre seine Mutter hier um das zu sehen, sie würde den Kopf schütteln und an ihre eigenen Anfänge zurückdenken. Doch Vater und Mutter waren nicht hier. Nur ein Onkel und sein Neffe und lange Jahre aufgestauter Emotionen. Emotionen, von denen Amaro zu viel und Tiron zu wenig zeigte. Vor allem hatte er keine Ahnung, warum der Junge so angriffslustig war. Normalerweise sollte man doch gegen einen Mann, den man nicht kannte, auch nichts haben. Ja, er hatte sich von seinem Bruder und dessen Familie abgeschottet, aber alles andere hätte die Situation nur umso komplizierter gemacht. Das Glas mit Wein nahm er entgegen, nippte daran und stellte es dann beiseite. "Nachdem wir das geklärt hätten, dass es dir "wundervoll" geht - wissen deine Eltern, dass du dich hier rumtreibst?" Eigentlich hätte Tiron aus der Erfahrung mit Narsil wissen müssen, dass der schulmeisterhafte Tonfall auf taube Ohren stoßen würde, aber die Gewohnheit von der Akademie, störrischen Kadetten den Kopf zu waschen, ließ sich schwer ablegen. Amaro lachte kurz und bitter auf. „Nein, meine Eltern haben keine Ahnung, nehme ich an.“ Er nahm einen tiefen Schluck vom schweren Wein und forcierte dann wieder seinen Onkel. „Ich bin mir nicht einmal sicher, dass sie mein Fehlen in der Zwischenzeit wahrgenommen haben. Ich denke ja, aber dafür hätten sie zumindest lange genug aufhören müssen zu streiten um auch nur einen Gedanken an mich verschwenden zu können. Und dafür lohnt es sich dann schon wieder. Probleme die du nicht hast Onkelchen, nicht wahr? Keine Frau, keine Kinder, keine Sorgen, nehme ich an? Und die Familie des Bruders und dessen Sorgen, was ist das schon?“ Der Junge verschränkt wieder die Arme und das Licht der aufgestellten Kerzen funkelt in seinen Augen. Nein, Onkel Tirons Probleme fingen gerade erst an. Ein kleines Zucken ging durch die bisher so ruhige Mimik des Lords. Ihm fielen zwar ein Dutzend Gründe ein, wegen derer man sich mit Hildegard und noch deutlich mehr, weswegen man sich mit Narsil streiten konnte, aber so sehr, dass man das Fehlen des, seines Wissens, einzigen Kindes nicht bemerkte? Auf die Frage nach solchen Problemen schüttelte Tiron automatisch den Kopf, während er darüber nachdachte, wie er Amaro dazu bewegen könnte, mehr zu erzählen. Direkt nachzufragen schien eher nicht angebracht, also musste er... diplomatischer vorgehen. Mit ein bisschen Glück tickte der Junge im Großen und Ganzen wie sein Vater. "Vermutlich machen sie sich mittlerweile Sorgen! Hast du überhaupt schon etwas zu Abend gegessen?" Er hatte vielleicht einige mögliche Reaktionen erwartet oder erhofft, aber Belustigung war keine davon gewesen. Jetzt rief der Junge sogar schon dem Wirt eine Bestellung für sie beide zu, die er mit einem Nicken bestätigte. Was auch immer, er wollte diesen Jungen ergründen und mehr Informationen bekommen Er klang wie seine Mutter, dieser Onkel. Und reizen ließ er sich auch schwierig. Immerhin spendierte er schon mal ein Abendessen, damit wäre das Problem wenigstens gelöst. „Vielleicht haben sie mich in der Zwischenzeit auch vergessen, wer weiß. Oder Vater läuft schon jede Taverne der umliegenden Dörfer nacheinander ab, selbstverständlich nur aus Sorge um seinen geliebten Sohn.“ der Spitze Tonfall des Jungen ließ Tiron de Varro stocken. „Die Götter allein wissen, was meine Eltern jetzt tun, ich weiß es jedenfalls nicht.“ Amaro nahm genüsslich einen weiteren Schluck Rotwein, bevor er entschied weiterzusprechen. „Und du wirst es wohl auch nicht wissen lieber Onkel. Du, der du deinen Neffen nach 15 Jahren zum ersten mal siehst und keine anderen Dinge zu sagen weißt, als ,was treibst du hier und wissen das deine Eltern?'. Du lieber Onkel, du weißt wohl am wenigsten. Der Wirt brachte das bestellte Essen, dass der Junge trotz seines Hungers ignorierte. Er versuchte die Gefühle in ihm zu ordnen. Wut war da, aber auch Trauer, Enttäuschung, Bitternis. Und sie verleidete ihm in diesem Moment jeden Bissen. Sein Gesicht wurde Ruhig, seine Züge entspannten sich. In diesem Licht sah er unschuldig aus und jung. Verletzlich. Es war die Ruhe vor dem Sturm. Tiron ging es mit dem Essen ebenso und so schob er den Teller zunächst an den Rand des Tisches. Wenn er Amaro so ansah, hatte er dem Jungen vielleicht doch Unrecht getan. Das war immerhin auch Hildegards Sohn und gerade sah er schrecklich jung aus. Und verletzlich. Tiron fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare und sah Amaro dann wieder an. "Es tut mir leid. Ich wusste einfach nicht, wo ich anfangen sollte. Dein Vater und ich verstehen uns nicht sonderlich gut." Als wäre das eine geeignete Erklärung, 15 Jahre kein Lebenszeichen von sich zu geben. Und er war beunruhigt über Amaros Aussage. Sollte Narsil nicht sein Vagabundenleben längst aufgegeben haben und ein treusorgender Familienvater geworden sein? „Oh, ihr versteht euch nicht gut!“ platzte es ungewollt aus Amaro heraus. „Na das erklärt natürlich alles!“ Er atmete einmal tief ein und setzte dann ruhiger fort. „Dein Bruder, mein Vater, ist ein Ausgestoßener in eurer Familie. Und ich ebenso. Nicht wert sich in 15 Jahren auch nur einmal nach ihm zu erkundigen. Und dass nur, weil meine Mutter eine Bürgerliche ist. Aber klar, ihr versteht euch nur einfach nicht gut. Das ist bestimmt der Grund, warum wir nicht auf Anlässen geduldet sind oder auf eurem Land. Warum meine Tanten mich immer heimlich besuchen kommen müssen und ich die Familie meiner Mutter als meine einzige kenne. Warum trage ich überhaupt euren Namen?“ Er setzt kurz ab und wirft einen abwesenden Blick auf den Tisch vor sich. Er hatte sich als kleiner Junge häufiger ausgemalt wie das Gut seines Vaters aussehen mag und nie verstanden, warum er nicht einfach dorthin und seine Großeltern besuchen könnte. Es hat viele Jahre gedauert, bevor die Tragweite seiner Situation Amaro klar wurde. Und jetzt wäre der Moment um sich einmal richtig Luft machen zu können. Aber was sollte er schon tun? Seinen Onkel beschimpfen und hoffen, dass nicht alles einfach an diesem abperlen würde, sobald er aus dieser Taverne herausging, zurück zu seinem Gut, seinem Land und Titel? Unwahrscheinlich. Amaro wusste, dass er einen Mann der so viele Jahre seine eigene Familie ignorieren konnte nicht mit ein paar bösen Worten aus dem Mund eines dahergelaufenen Jungen treffen könnte, den er morgen wohl nie wieder sähe. Was hatte seine Mutter ihn gelehrt? In einem Kampf mit einem unbekannten Gegner ist alles was du weißt ein Vorteil für dich. Also denk nach Amaro, schau hin, begreife. Was ist seine Schwäche, wo ist er angreifbar? Sein Ruf? „Ich trage den Namen eines Mannes der den guten Ruf seiner Familie beschmutzt hat, indem er eine Bürgerliche ehelichte, richtig? Dafür wurden wir alle bestraft. Aber dem „guten Namen“ der Familie hat das nichts genützt. Oder war es Eifersucht Onkel, dass mein Vater offensichtlich schon immer mehr Erfolg bei Frauen hatte als du? Dich wollten sie nie, ihn schon. Noch heute. Bist du deshalb nicht verheiratet lieber Onkel?“ Wenn man so wenig Ahnung hat, Amaro, sollte man in Erwägung ziehen, den Mund zu halten brachte Tiron nach einem Moment der Sprachlosigkeit zwischen zusammengepressten Zähnen hervor. Gleichzeitig verriet seine Körpersprache, das leichte Zurückweichen, ein Flackern in den blauen Augen, dass Amaro getroffen hatte. Tiron hatte nie gewusst, auch nicht wissen können, dass diese Zurückweisung den Jungen so hart traf. Seine Eltern waren damals entsetzt gewesen und Tiron hatte in seiner Wut auf den Bruder nichts getan, um irgendetwas daran zu ändern. Überhaupt, was sollte das Narsil oder Amaro bedeuten? Ein Gut war auch nur ein großes Haus und ein Titel auch nur ein Wort vor dem Namen. Tiron war nie in den Sinn gekommen, dass das von der anderen Seite der Standesgrenze durchaus anders aussehen könnte. „Und warum ich nicht verheiratet bin, geht dich auch nichts an.“ Jetzt wachte der Instinkt in Amaro auf, er hatte Blut geleckt und wollte noch mehr. Sein vergifteter Pfeil hatte getroffen. Aber was war schon ein bisschen Gift wert, wenn man noch mehr nachsetzen konnte? „Oder will Lord de Varro vielleicht gar keine Frau, ist es das? Wobei... das kann ja nicht sein, nach dem was man sich so erzählt. Vielleicht will Lord de Varro auch nur keine Lady de Varro, sondern nur käufliche Frauen. Oder andere, die nicht erwarten können einmal die Lady zu werden. Vielleicht ist mein Onkel ja schlauer als er aussieht und hat begriffen welchen Fehler sein Bruder gemacht hat, als er heiratete. Keine Ehefrau bedeutet weniger Ärger, habe ich Recht? Und Frauen wie meine Mutter bedeuten nur Ärger, wenn man ihnen angetraut ist. Aber wenn sie bereits mit jemand anderem verheiratet sind, ist das kein Problem mehr, richtig?“ „Was genau willst du damit sagen?“ Tiron hätte die Anspielungen auf seine Ehelosigkeit und Amaros Lästereien einfach übergehen können, hätte darüber gelacht und sie abgeschüttelt wie Wasser von einem kostbaren Pelz abperlte. Aber Hildegard als Ärger zu bezeichnen, ging zu weit und alles was danach kam, hoffte Tiron gar nicht verstanden zu haben. Amaros Pfeile hatten getroffen und saßen tief, aber der Knabe sollte Vorsicht walten lassen - zu viel Blutdurst war auch gefährlich, vor allem jetzt, wo sich in Tirons Blick etwas mischte, das Stahl war „Nun...“ Amaro kostete diesen Moment der Überlegenheit kurz aus und ließ seine Antwort in der Schwebe. Dann beugte er sich zu seinem Onkel über den Tisch und sprach in einem ruhigen Tonfall weiter „vielleicht solltest du meinen Vater fragen, was ich damit meine. Sofern du ihn überhaupt findest. Er ist nicht der häuslichste.“ Er lehnte sich vorsichtshalber wieder zurück, bevor er weitersprach. Seinem Onkel wird wohl kaum etwas an einer öffentlichen Szene gelegen sein, aber bevor er weiter an seiner Ehre kratzte, sollte er sich vielleicht ein wenig aus der Gefahrenzone für instinktive Übergriffe bringen. Gereizte Tiere konnten schneller zubeißen als einem lieb war, selbst alte. „Ich hörte du würdest es ihm gleich tun und dein Glück außerhalb der Ehe suchen. Angeblich hast du es auch mal bei meiner Mutter versucht. Aber angeblich haben das einige andere auch schon getan. Nur für diese Männer würde ich meine Hand ins Feuer legen, selbst wenn die Leute reden.“ Tiron musste sich sichtlich zwingen, tief durch zu atmen, bevor er auch nur an etwas anderes denken konnte. Dass Hilde ihr Ehegelübde nicht ernst nahm, war undenkbar, bei Narsil dagegen sah das ganz anders aus. Offenbar ließ die Katze das Mausen nicht. Tiron griff nach dem Weinglas, nahm einen tiefen Schluck und stelle es mit etwas mehr Nachdruck als nötig war wieder auf den Tisch.“Du tätest besser daran, für deine Mutter die Hand ins Feuer zu legen. Wer sollen diese Männer sein? Und statt solche Lügen weiter herumzuerzählen solltest du besser dafür sorgen, dass der Ruf deiner Mutter davon keinen Schaden nimmt.“ Der Mond stand schon hoch über Verlest. Um zurückzugehen war es jetzt zu spät. „Und wie sollte ich das tun, lieber Onkel? Sie haben sich selbst in diese Situation gebracht, sollen sie doch selbst sehen wie sie wieder herauskommen. Und wenn meine Eltern schon nicht in der Lage sind ihre eigene Ehe auf die Reihe zu bekommen, wie sollte ich daran etwas ändern können? Die eben erwähnten Männer, deren Namen dich rein gar nichts angehen, sind ebenfalls gescheitert. Aber immerhin tauchen sie im Gegensatz zu dir ab und an mal auf und leisten meiner Mutter Gesellschaft. Immer wenn mein Vater sich Gesellschaft außerhalb des Hauses sucht. Was nur natürlich ist, wenn man mich fragt. Ist doch klar, dass die Leute reden.“ Die honigfarbenen Augen funkeln wütend. Man merkt, dass diese Sache dem Jungen nahe geht, auch wenn er versucht es mit lockeren Worten zu überspielen. Verbitterte Jugend ist so bedauernswert, wenn man auf sie stößt. „Und es ist mir auch egal was meine Eltern tun. In ihrem Alter sollten sie wissen was sie da machen.“ Um die aufsteigende Feuchtigkeit in seinen Augen zu kaschieren, griff der Junge Amaro beherzt nach dem verschmähten Essen und tat so als ob nichts sei. Plötzlich war er wieder der harmlose Junge mit den goldbraunen Locken. Erstaunlich, dachte sich Tiron. Wenn er nur den Mund nicht aufmachte.. Tiron de Varro lehnte sich auf seinem Stuhl zurück, ließ den Wein im Kelch kreisen und beobachtete seinen Neffen dabei, wie er mit gesenktem Kopf den Teller leerte, mit einem Nachdruck, als habe der kalte Braten und der Käse ihm etwas getan und als führe er zudem eine persönliche Vendetta gegen eingelegte Gurken. Zum zweiten Mal an diesem Abend sah er sich gezwungen, seine Meinung über den Knaben zu korrigieren. Amaro war wie ein verletztes Tier, er schnappte einfach nach allem, was ihm zu nahe kam. Und jemand, der irgendeinen Bezug zu seinen Eltern hatte, war offenbar schon zu nahe. Nachdenklich nahm Tiron noch einen Schluck Wein. Narsil hatte es also verbockt, ja? Hätte er das nicht kommen sehen müssen? Und hätte er etwas dagegen tun können? Hatte seine Wut und seine Enttäuschung etwa dazu geführt, dass er Hildegard im Stich gelassen hatte? Hätte sie ihn gebraucht? "Ich denke, ich weiß ohnehin, von wem du sprichst." Das war ein Schuss ins Blaue, aber vielleicht zeigte der Junge ja bei wenigstens einem der Namen eine Reaktion. "Alarik Maness, Dvalinn Dornssohn, Tulander Lord Lierich und Barenor Lord Makam. Um nur ein paar zu nennen" Um nur die allerwahrscheinlichsten zu nennen. "Und dein Vater ist der größte Idiot, den die Erde jemals getragen hat, wenn er außer Haus etwas sucht." Es war eine Blöße und auf dem Turnierplatz hätte er das nicht getan, früher, aber er konnte es auch schlecht für sich behalten, musste dem Druck wenigstens ein bisschen Luft machen. Amaro stutze, hielt inne. Dass er die Männer die er tatsächlich als seine Onkel empfand, die für ihn da waren seit er klein war, in irgendwelche Schwierigkeiten manövriert hatte hoffte er nicht. Es war aber auch unwahrscheinlich. Was sollte Lord de Varro ihnen schon tun können? Und schließlich waren es Männer die auf sich allein acht geben konnten. Aber dass Lord de Varro sich die Dreistigkeit herausnahm ihm gegenüber seinen Vater so zu beleidigen, das war zuviel. „Lasst meinen Vater aus dem Spiel!“ giftete Amaro seinen Onkel an. „Ihr nehmt euch wirklich zu viel heraus, Lord de Varro.“ Aus seinem Mund klang der Titel schon längst wie eine Beleidigung, die er seinem Onkel vor die Füße warf so oft er konnte. Wie einen Fehdehandschuh, dachte Tiron. Trotzdem konnte er nicht verhindern, dass ein kurzes, zufriedenes Lächeln über seine Züge huschte. Gut, er hatte keine Ahnung, wo Alarik steckte, aber es war sicher auch nicht nötig mit dem Waldschrat zu reden. Der Zwerg würde reichen und selbstverständlich würde er sich Tulander vorknüpfen. Als Ehemann von Amaros Tante wusste der sicher mehr als er Tiron in den letzten Jahren gesagt hatte. Einen Moment erwog er, seine Gedanken zu Narsil noch weiter auszuführen, aber letztendlich verteidigte der Junge nur seinen Vater, was wohl hieß, dass Narsil nicht auf ganzer Linie versagt hatte. Auch, wenn der Knabe die eine oder andere Lektion in Demut und gutem Benehmen übersprungen zu haben schien. Den Fehdehandschuh ignorierte er bewusst. Immerhin konnte ein Bürgerlicher keinen Lord fordern, nicht mal im übertragenen Sinne "Solange du meinen Wein trinkst, nehme ich mir heraus, was ich will", erwiderte er kalt. Einen Dämpfer musste man dem Jungen schließlich verpassen. Amaro erstarrte in der Bewegung wie eine Salzsäule. Hart, kalt und arrogant war dieser Onkel. Und beleidigend bis aufs Blut. Er, Amaro, war nur ein Parasit für ihn, nicht mehr. Keinen Moment länger wollte Amaro dessen Wein trinken, oder irgendetwas anderes von ihm annehmen. Schlimm genug, dass sie sich einen Namen teilten. Er verzog das Gesicht und schob Teller wie Glas demonstrativ von sich weg. Tiron de Varro staunte fast darüber, dass es ihm gelungen war den Jungen so zu treffen. Obwohl er das gar nicht wollte. In aller Seelenruhe schenkte er Amaros Glas aus dem Krug wieder voll und schob es zurück. "Hier. Hör nicht auf einen alten Mann, der - wie du ja schon festgestellt hast - nur neidisch auf deinen Vater ist. Ich denke, wir können uns darauf einigen, dass ich nichts mehr über meinen Bruder sage, wenn du nichts gegen deine Mutter sagst." Der so völlig überraschte rang nach Fassung, war aber zu erstaunt um es verstecken zu können. Wieso um alles in der Welt meinte Tiron de Varro seine Mutter verteidigen zu müssen. Und was hatte er schon gegen sie gesagt? Und als ob er das überhaupt in Erwägung ziehen würde. Immerhin liebte er seine Mutter genauso sehr wie seinen Vater. Es gab nichts schlechtes über sie zu sagen, außer dass sie ihren Mann nicht bei der Stange halten konnte. Und das war bei seinem Vater auch eher schwierig, wie der Junge sich eingestehen musste. Er war einfach nicht geschaffen für die Ehe, das war nicht die Schuld seiner Mutter, wie sein Vater es manchmal zu sagen pflegte. Gut, Hildegard de Varro konnte sehr streng, sehr wütend und auch sehr verletzend sein ihrem Mann gegenüber. Das hatte Amaro zu seinem Bedauern mitbekommen müssen. Nachbarskinder hatten mal gesagt seine Mutter hätte Haare auf den Zähnen. Mittlerweile wusste Amaro, was sie meinten. Das machte sie doch nicht zu einer schlechten Frau, oder? Nunja, er selbst würde sich auch keine solche Frau wünschen..aber immerhin war sie seine Mutter! „Es fiele mir nicht im Traum ein soetwas zu tun.“ brachte Amaro also nur brüskiert vor, nachdem er einige Momente lang ungelenk um Fassung und Worte gerungen hatte. Und strafte damit seine früheren Taten lügen. Oder er begriff schlicht und einfach nicht, dass er in den Augen seines Onkels eine Beleidigung geübt hatte. Verwirrt griff er nach dem Weinglas, aber schaute es an als ob er nicht wüsste wie er mit diesem obskuren Objekt in seiner Hand jetzt eigentlich zu verfahren habe. Tiron de Varro beobachtete einigermaßen amüsiert die Verwirrung auf dem Gesicht des Jungen. Eigentlich war er ja der Meinung, dass er über Narsil sagen durfte, was er wollte, den zum einen war das sein Bruder und zum anderen war es die Wahrheit. Aber um des lieben Friedens willen... trank er lieber noch einen Schluck von seinem Wein. "Dann verstehen wir uns ja." Er nickte Amaro über den Rand des Glases hinweg zu, als wollte er sagen 'Wir sind ja schließlich auch beide erwachsene Männer' So ganz schlau wurde Amaro jetzt nicht mehr aus seinem Onkel. War das eine ungewöhnliche Finte? Oder was wollte er damit bezwecken? Er verstand das Friedensangebot zwar als ein solches, aber der Inhalt war ihm keinesfalls verständlich. Der tiefrote Wein spiegelte sich in seinen hellen Augen, als er den Blick auf den Kelch geheftet den Wein schwenkte. Ein tiefer Schluck. Deutlich besser als der Wein den er sich für den Rest seines Geldes hatte kommen lassen, das musste er eingestehen. Eine Weile musterte er die Maserung des Tisches, denn das Heft war ihm entglitten und schien ihm auch nicht wieder zuzufallen. Dann heftete er die Augen wieder auf seinen Onkel und schaute diesen fragend an. Er hatte die Augen seiner Mutter, das sagten alle. Und auch sonst sah er ihr ähnlicher als seinem Vater, den er um die blauen Augen beneidete. Sein Onkel hatte die gleichen Augen. Und markantere Züge. Ob er ihm eines Tages auch ähnlich sehen würde? Amaro suchte nach Familienähnlichkeit und vergaß dabei, dass er seinen Onkel bereits eine unhöflich lange Zeit gemustert hatte. Sein Vater war weniger grau, dachte sich Amaro, und er wirkte nicht so unterkühlt. Dieser Mann hier war Stahl, wurde ihm klar. Tiron de Varro ließ den Knaben ihn mustern so viel er wollte, es ging ihm ja ganz ähnlich. Er suchte selbst im Gesicht Amaros nach Narsil, und nach Hildegard. Die Augen hatte er von ihr, ohne Frage, der warme Honigton war so identisch, dass es fast schmerzte. Dann die hellen Haare, die Sommersprossen. Aber die Nase hatte er eher von seinem Vater und die Lässigkeit, sich auf einen Stuhl zu lümmeln, als gehörte ihm die Welt und diese Art, nur einen Mundwinkel hochzuziehen, so dass es fast, fast ein Lächeln war. An seinem Onkel dagegen würde Amaro gut erkennen, dass dieser und sein Vater unterschiedliche Leben gelebt haben. Statt Narils Lachfalten waren in den ernsten Zügen die Falten tiefer eingegraben, die Haare früher grau geworden. Die Haltung war steifer, aufrechter, der Körper wirkte etwas breiter, muskulöser als bei dem ewig wendigen, sehnigeren Narsil - nun, manche Frauen mochten das wohl. Und einem genauen Beobachter würde wohl auch die alte, verblasste Narbe auffallen, die dort zu sehen war, wo sich der Ärmel etwas vom Handgelenk hochgeschoben hatte - sicher nicht die einzige, die der Ritter in seinem Leben gesammelt hatte. Um die Stille zwischen ihnen etwas zu überspielen, nahm Tiron noch einen Schluck Wein und schenkte sich dann selbst nach, den Blick auf seine Hände gerichtet Es war ein seltsames Gefühl dem Abbild seines Vaters gegenüber zu sitzen, das doch kein so getreues Abbild war. Amaro schluckte. Ihm wurde in diesem Moment schmerzlich bewusst, dass er nur zwei Tagesmärsche von zuhause entfernt war und doch, solche Sehnsucht wie er gerade nach seinem Heim empfand, hätte er auch auf dem Mond sitzen können. Nichts kam ihm wünschenswerter vor als jetzt von seiner Mutter in die Arme geschlossen zu werden und die melodische Stimme seines Vaters zu hören. Diese Sache war eher von Hildegard, da kam er eher nach Narsil... und mittendrin ging Tiron auf, dass nach Narsil genauso gut heißen könnte nach ihm. Würde man Amaro für seinen Sohn halten können? Immerhin waren Narsil und er Zwillinge. Und eine kleine Stimme in seinem Kopf beharrte darauf, dass Amaro sein Sohn hätte sein sollen. Oh, sicher, Narsil hatte sich über das Kind gefreut, aber hatte er es verdient? Und hatte Tiron es verdient, an diesem Abend in ein leeres Herrenhaus zurück zu kehren, ein Haus, in dem seit Jahren kein Kinderlachen durch die Zimmer geklungen war? In dem nur kalte Asche im Kamin auf ihn wartete? Mit einem tiefen Seufzen schob er den Gedanken zur Seite. Der Schmerz war fast ein alter Bekannter, wie ein alter, treuer Jagdhund, der einem in den langen Abendstunden Gesellschaft leistete, der aber zwei oder drei Aufforderungen mit der Fußspitze brauchte, damit er das Zimmer verließ.Warum zur Hölle hatte er auf seine Freunde gehört und was hier her gekommen? Jetzt hatte dieser alte Schmerz zwei neue, scharfe Messer in Form von bernsteinfarbenen Augen. „Onkel Tiron?“ kam es ein wenig zögerlich von der anderen Seite des Tisches. Amaro hatte bereits seinen Wein getrunken und starrte auf den schimmernden Glasboden, als ob dieser Antworten auf ungestellte Fragen hätte. Nacht lag über Verlest, die Taverne hatte sich um die beiden Männer herum weiter geleert. Die Angriffslust des Jungen war offenbar verflogen für diesen Abend und ihm gegenüber saß nur noch ein unruhiger Fünfzehnjähriger. „Was denn, mein Junge?“ Amaro seufzte leicht. Ja, was denn? Er wusste es einfach nicht. „Was nun?“ sagte er, aber er meinte „wie soll es jetzt mit uns weitergehen?“ Tiron rang einen Moment mit sich, dann stellte er fest, dass es niemanden mehr gab, der ihm solche Entscheidungen abnahm. "Glaubst du, das wäre in Ordnung, wenn ich euch demnächst mal... besuchen käme?" Er war ja mindestens so durcheinander und unruhig wie Amaro, aber als der Erwachsene musste er dem Jungen doch zumindest das Gefühl vermitteln, dass er wusste, wie es weitergeht. "Und du solltest dich wirklich auf den Weg nach Hause machen", gemahnte er noch an. Amaro schenkte ihm ein schiefes Lächeln für diese hilfreiche Belehrung. „Klar Onkel, mitten in der Nacht...Lieben Dank aber auch.“ Er ging auf den Vorschlag eines Besuches nicht ein, wirkte aber sichtlich erleichtert. Offenbar hatte Onkel Tiron genau das richtige gesagt. "Komm vorbei wann immer du willst. Mutter ist meist zuhause. Vater...ich weiß es nicht. Aber ich glaube, er würde sich auch freuen.“ Jetzt nur nichts falsches mehr sagen, schien sich Amaro de Varro zu denken. Tiron de Varro scheint es ähnlich zu gehen, denn er nickt nur auf die Zeitangaben. Jetzt bloß nichts sagen, was die andere Seite wieder als Beleidigung auffassen könnte. Aber über das Mitten in der Nacht stutzt er doch ein bisschen. "Die Straßen sind gut, wenn du jetzt losreitest bist du mit dem ersten Frühlicht zu Hause" , wendete er also ein und hatte dabei gedankenverloren wohl vergessen, dass es keine Voraussetzung ist, dass Amaro überhaupt zu Pferde unterwegs war. Fragend erhob Amaro nur eine Augenbraue. „Danke Onkel, aber du solltest nicht davon ausgehen, dass jeder Mensch auf dieser wundervollen Erde auf einem Ritterpferd daherkommt. In meinem Falle ist dies leider nicht so. Auch wenn ich absolut davon ausgehe, dass mir ein solches Pferd ausgezeichnet zu Gesicht stände.“ Wollte sein Onkel ihn jetzt allen Ernstes nachts zu Fuß heimschicken? Nicht, dass die Straßen in Verlest dauernd von Räubern heimgesucht werden würden. Dennoch konnte er sich bessere Dinge vorstellen, die er lieber mit dieser Nacht anfangen würde. „Sicherlich stünde dir das ganz ausgezeichnet.“ Tiron hatte keinesfalls vor, sich die endlich lockere Atmosphäre kaputt machen zu lassen und zudem ergaben sich... Möglichkeiten. Man musste nur taktisch denken. Letztendlich war das wie Krieg. „Deshalb leihe ich dir heute Abend meines und wenn es dir tatsächlich so gut steht, können wir eventuell über ein paar verpasste Geburtstage verhandeln, wenn ich komme, um es abzuholen.“ Nun war es an Amaro doch ernsthaft erstaunt zu sein. Aber besser er fragte gar nicht groß nach, es interessierte ihn auch nur mäßig. Wie heißt es so schön, einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul? Auch wenn dieser nur geliehen war, er käme damit schnell nach hause. Und vielleicht waren seine Eltern auch weniger wütend auf ihn, wenn er mit so umwerfenden Neuigkeiten käme wie der, dass der Familienkrieg endlich beiseite gelegt werden könnte. Vielleicht. Und ganz vielleicht würde das sogar den Streit in ihrer Familie schwinden lassen. Wenigstens eine zeitlang - flehte Amaro die Götter um Hilfe an. Der junge Mann zeigte seinem Onkel das wärmste Lächeln, mit dem er, wie er ganz genau wusste, schon härtere Brocken zum schmelzen gebracht hatte. „Einverstanden!“ Und dann fügte er noch ein „ich wette, dass meine Eltern froh sein werden ihren einzigen Sohn wohlbehalten und mit guten Neuigkeiten zuhause vorzufinden“ hinzu. Aber er dachte „und dann wird mich meine Mutter hoffentlich nicht umbringen“. Kapitel 2: Amaros Heimkehr -------------------------- Die Hufe des Pferdes klapperten auf dem gepflasterten Hof. Amaro lenkte es gekonnt zum kleinen Stall am Haus und sprang ab. Endlich daheim! Er führte das Pferd in die Box, die wie erwartet leer stand. Vater war also weg. Mechanisch versorgte er das Pferd, als schon ein aufgeregtes Rufen zu ihm durchdrang. Es war seine Mutter die nach ihm rief. Sie musste gesehen haben wie er kam. Mit gerafften Röcken rauschte sie in den Stall „Amaro! Endlich! Wo warst du Junge? Geht es dir gut?“ Ein kurzer Blick verriet ihr, dass ihr Sohn nicht blutüberströmt daherkam und auch kaum schwere innere Verletzungen haben konnte. Sie zog die Brauen zusammen. Einfach abgehauen, unbewaffnet und ohne Nachricht. Es war nicht das erste mal gewesen, aber das erste mal, dass er mehr als eine Nacht fortblieb. Die Sorgen fraßen sie fast auf. Vor allem da sie selbst als Kind auf diese Weise verschwunden war, aber acht Jahre lang nicht nach Hause zurückkehrte. Ein vor ihrem Sohn gut gehütetes Geheimnis. „Was fällt dir ein uns solche Angst zu machen? Wo kommst du jetzt überhaupt her und woher hast du das Pferd?“ Eine böse Ahnung beschlich sie. Nicht, dass ihr Junge jetzt unter die Diebe gegangen war. „Wir waren krank vor Sorge!“ „Ist Vater deshalb weg?“ lautete Amaros zynische Antwort darauf. „Um mich zu suchen etwa?“ Seine bittere Frage traf seine Mutter tief, aber leider auch ins Schwarze. Sie blickte schuldbewusst zu Boden. „Er hat es gar nicht bemerkt, richtig?“ fragte Amaro seine Mutter. „Nein, er war fort, noch bevor dein Fehlen auffiel.“ gab sie geknickt zu. Immerhin besaß sie die Würde ihren Sohn nicht anzulügen. Sie reichte ihm eine Hand um bei der Versorgung des Pferdes zu helfen. „Aber ich habe mir wirklich schreckliche Sorgen gemacht, als du am nächsten Tag noch nicht zurück warst.“ „Ich weiß Mutter und es tut mir wirklich leid“ gab ihr Sohn mit der gleichen entwaffnenden Ehrlichkeit zurück. „Ich wollte einfach nur noch raus und dann hat es mich zu weit fort getrieben um direkt zurückzukehren. Ich wollte dir keine solche Angst machen, nur eurem ewigen Streit entkommen.“ Sie seufzte laut und wusste, ihr Sohn hatte Recht. „Komm Amaro, du brauchst bestimmt einen warmen Tee und eine Mahlzeit, habe ich Recht? Und dann erzählst du mir in Ruhe was passiert ist. Ich werde nicht toben. Oder es zumindest versuchen.“ Sie nahm ihren Sohn bei der Hand und zog ihn sanft ins Haus. Kapitel 3: Der Besuch --------------------- Es war ein angenehmer Morgen und sie hatte die Türe der Küche ein wenig zum Hof hin geöffnet, um frische Luft und den Duft des Frühlings hereinzulassen. Auf dem Tisch vor ihr standen frisch gepflückte Frühlingsblumen, die ihr Sohn ihr vorbeigebracht hatte, bevor er mit dem Pferd ins Dorf geritten war. Manchmal war er wirklich ein Goldjunge, ihr Amaro. Hildegard de Varro pustete ein paar Dampfwölkchen von ihrem frischen Tee. Sie nippte kurz und entschied dann in der Geschäftskorrespondenz zu blättern, die ihr Bruder ihr hatte zukommen lassen. Noch keine Nachricht von ihrem Ehemann. Zwei Wochen war es jetzt her, aber er ließ selten zwischendurch von sich hören. Hildegard hatte sich in den letzten Jahren daran gewöhnt, aber sie hoffte dennoch jedesmal. Hoffte, dass ein Wunder geschähe, alles Gut werden würde und sie ihre Fehler irgendwie wieder rückgängig machen könnte. Wenn sie sich nur besser beherrschen könnte, ihm nicht immer wieder so eine Szene machen würde... Eigentlich wollte sie das auch nicht, sie wollte ja Verständnis zeigen. Aber dieses selbstzufriedene Grinsen von Narsil, wenn er sich nach wochenlanger Abwesenheit wieder zuhause zeigte... Ihre schlanken Finger verkrampften sich kurz um die Teetasse. „Ruhig“, ermahnte sie sich, „entspann dich Hildegard..“ Zwei Wochen war es auch her, dass ihr Sohn berichtete seinen Onkel getroffen zu haben. Zwei Tagesmärsche von hier, in einer Verlester Gaststätte. Sie konnte es erst gar nicht glauben, aber offensichtlich hatte er eine Art Friedensangebot gemacht, ihrem Sohn ein Pferd geliehen, mit dem dieser schneller zu ihr zurückkehren konnte, und dann noch versprochen sie hier besuchen zu kommen. Nach all den Jahren, schmunzelte sie, noch immer der Ritter auf dem weißen Pferd. Ob er sich sonst verändert hätte? Fünfzehn Jahre sind eine lange Zeit, dachte sie. Die ersten Tage nach dieser Ankündigung war sie nervös durch das Haus geflattert, hatte sich Sorgen gemacht über dieses und über jenes. Er würde zweifellos Fragen stellen, dachte Hildegard, und sie konnte ihm unmöglich die Wahrheit sagen. 'Wie geht es dir Hildegard?' 'Oh, fantastisch! Seit ich vor fünfzehn Jahren den Fehler machte, vor dem du mich so eindringlich gewarnt hast, hat sich viel verändert. Ja, anfangs waren wir glücklich. Aber jetzt? Unsere Ehe ist eine Katastrophe, Narsil ein unverbesserlicher Schwerenöter der Zuflucht in jedem Bett sucht, außer dem seinen, ich habe ihn vertrieben durch meine Bitterkeit und die vielen Beleidigungen, die ich ihm an den Kopf warf. Unser Sohn ist so unglücklich mit seinem kaputten Elternhaus, dass er regelmäßig ausreißt.' Und das wäre nur der Anfang, finge sie erst einmal mit der Wahrheit an. Nein, auf keinem Fall würde sie ihm diesen Scherbenhaufen zu Füßen legen können, nach dem was zwischen ihnen Stand. Sie hatten ihn schwerer verletzt als irgendjemand geahnt hatte und ihres Wissens gab es bis heute keine Lady de Varro, die ihn die Kränkung vergessen lies. Er beobachtete sie schon eine Weile durch die geöffnete Tür der Küche. Sie stand dort drüben, nur wenige Meter vor ihm. Er sah, wie sie an ihrem Tee nippte, durch Briefe blätterte und an den Blumen vor ihr schnupperte. Die Jahre sind kaum merklich an dieser Frau vorbeigezogen, stellte Tiron verwundert fest. Ja, es lagen feine Linien auf ihrem Gesicht. „Lachfalten hat sie!“ dachte er erfreut. Das könnte heißen, dass er sich schlimmeres ausgemalt hatte, als der Wahrheit entsprach. Ein langer, fester Zopf, leuchtende Augen und diese neckischen Sommersprossen auf der Nase. Tiron glaubte fast das gleiche Mädchen vor sich zu haben wie früher. Das Mädchen, nun, eher die Frau, die er liebte. Tiron de Varro war seit langem nicht mehr so nervös gewesen wie an diesem Tag. Hätte er doch Blumen mitbringen sollen? Hätte er etwas weniger förmliches anziehen sollen? Das Problem ziviler Ausgehkleidung hatte sich in den letzten Jahren so gut wie nie gestellt, es gab immer eine zum Anlass passende Uniform. Vermutlich sah er aus, als wolle er jemanden vor ein Militärgericht schleifen - und vermutlich würde Hildegard darüber schmunzeln können, dass er so aussah. Bei dem Gedanken schlich sich ein kleines Lächeln auf Tirons Züge. Wenn er noch länger hier stand, würde er zudem erklären müssen, wieso er nichts sagte. Tiron räusperte sich halblaut in die geschlossene Faust. "Hallo, Hildegard." Mehr brachte er kaum hervor, denn trotz der wenigen Worte schlug ihm das Herz bis zum Hals. Wie würde sie reagieren? War Narsil da? Amaro? Hildegard schreckte von ihren Briefen hoch als hätte sie die Stimme des Bane persönlich gehört und stand schlagartig auf, wobei sie die Teetasse umwarf, die sich über die soeben gelesenen Korrespondenzen ergoss. Im Versuch die Tasse noch aufzufangen, bevor sie weiter Richtung Fußboden segelte, realisierte Hildegard überhaupt erst wer dort in der Küchentür stand, was wiederum sie dermaßen aus der Bahn warf, dass die schöne Tasse nur noch am Boden zerschellen konnte, während Hildegard versuchte irgendwie Fassung wiederzuerlangen. Was sie hingegen erlangte waren Teeflecken auf ihrem Leinenkleid und ein schiefes Lächeln, dass in einem völlig hoffnungslosen Versuch ihr Erstaunen überdecken sollte. „Tiron.“ So wenig und doch so fiel lag in diesem einen Wort, dass sie sagte. Ihre schlanken Finger strichen eine verirrte Strähne verlegen hinters Ohr und ein Paar Armreifen klingelten dabei an ihrem Arm. Silber, stellte er fest. Zweifelsfrei zwergische Arbeit. Aber warum sollte Dvalinn Dornssohn Armreifen aus Silber für Hildegard machen? „Ich...ich habe nicht mit dir gerechnet. Also ich meine ich habe schon mit dir gerechnet, aber nicht ausgerechnet jetzt. Amaro hat mir natürlich von eurem Treffen erzählt. Willst...willst du reinkommen?“ Das Herz schlug ihr bis zum Hals und sie hoffte inständig, dass man ihr die Nervosität nicht aus zehn Meilen Entfernung würde ansehen können. Dieses Willkommen war ihr zumindest schon völlig entglitten. „Wenn du nicht zu beschäftigt bist.“ Mit einer Hand deutete er dabei auf die in Tee schwimmenden Briefe, aber er machte einen Schritt in die Küche hinein. Ein rascher Blick glitt durch den Raum, ganz General, der das Gelände in Augenschein nimmt, die einfache, aber gemütliche Einrichtung, der Hausaltar, den er erwartet hatte, aber dann kehrte seine Aufmerksamkeit zu Hildegard zurück. Hatte er sie erschreckt? Hätte er sich ankündigen sollen? "Nein nein! Ich sollte das nur kurz abwischen.." gesagt getan, ein paar Handgriffe später wellten sich die Briefe nur noch vor Feuchtigkeit und die Teetasse hatte sich nach ein paar gemurmelten Worten auch wieder zusammengesetzt. Hildegard stellte sie zurück auf den Tisch, bevor sie sich wieder ihrem Gast zuwandte. Sie brauchte ein paar Sekunden Zeit um sich zu sammeln, die Situation war noch immer äußerst ungewohnt für sie. Jetzt nach fünfzehn Jahren stand Tiron de Varro plötzlich in ihrem Haus. Sie versuchte die gute Gastgeberin zu spielen und sich nichts anmerken zu lassen, während sie im Geiste noch eine Liste abhakte, ob alles aufgeräumt und geputzt sei. „Möchtest du etwas trinken Tiron? Ich habe vorhin frischen Tee aufgesetzt, der noch immer heiß sein dürfte. Oder möchtest du erst etwas ablegen?“ Sie musterte ihn kurz, denn noch war es Anfang März und nicht zu spät für Mäntel. Vor allem, sofern man zu Pferde reist. „Bist du geritten?“ Es war ungewohnt, Hildegard so unruhig zu sehen. Die Frau in seiner Erinnerung hatte stets mit Nachdruck gewusst, was sie wollte, hatte scheinbar kein Hindernis gefürchtet. Das hier fühlte sich falsch an. "Tee wäre wirklich sehr aufmerksam, danke. Darf ich?" Er deutete auf einen Stuhl und löste gleichzeitig den halblangen Reitermantel, der zwar noch aus festem Wollstoff war, aber dem frühlingshaften Wetter angemessen. Einmal ordentlich zusammengelegt, hängte er den Mantel einfach über die Lehne. "Ja, ich bin geritten. Um zu laufen ist es ja doch etwas zu weit", beantwortete er ihre Frage, setze sich und legte die Hände ruhig auf der Tischplatte zusammen. Innerlich war er mehr als dankbar für den Tisch, immerhin würden seine Hände so nicht zittern und er wusste, wo er sie lassen konnte. Im Gegensatz zu seinen Augen, die er nur deshalb auf die Teetasse lenkte, weil es unhöflich gewesen wäre, Hildegard die ganze Zeit anzustarren als wäre sie die vom Himmel herabgestiegene Sehanine. Oder Sune persönlich. "Praktisch, Geweihte zu sein, ja?" „Eine gute Hausfrau hat immer ein paar solcher Zauber vorbereitet“ antwortete sie und lachte. „Ich nehme an dann hast du bereits alles gefunden und dein Pferd versorgt. Ich hole dir dann mal einen Tee“ Dann ging sie um Tiron eine Tasse frischen Tees zu holen und sich in der Küche kurz sortieren zu können. Hildegard war betroffen. Er hatte sich verändert, war älter geworden und ...seltsam kühler. Das Leben hatte Tiron de Varro gezeichnet, aber nicht verdorben, hoffte sie. Er hatte mitnichten seine Attraktivität verloren, aber sein jungenhafter Charme war dahin. Dieser Mann wirkte streng und fast älter als er war. Welten trennten ihn von dem jungen Mann, den sie vor fünfzehn Jahren zuletzt gesehen hatte. Es schauderte sie innerlich, aber sie hoffte mit ihrer Einschätzung diesmal weit daneben zu liegen. Als sie mit zwei Teetassen zurück kam, lag ein leichtes Lächeln auf ihren Lippen und sie wirkte wieder völlig gefasst. „Hier dein Tee Tiron. Ich würde dir liebend gerne noch etwas anderes anbieten, aber Amaro ist noch mit deinem Pferd im Dorf um ein paar Besorgungen für mich zu machen. Hätte ich gewusst, dass du jetzt kommst, hätte ich noch etwas vorbereitet. Bitte entschuldige.“ und sie setzte sich gegenüber auf einen der Stühle. „Schön dich wiederzusehen.“ Und das meinte sie ernst. „Ich möchte dir nicht zu viele Umstände machen...“ meinte er und winkte ihre Bedenken mit der Hand fort. Immerhin war er ja geradezu überfallartig aufgetaucht. Nicht nur heute, sondern in ihrem Leben generell. Und es war ihm schmerzlich bewusst, dass er in dieser Küche, in diesem Haus ein Eindringling war. „Die Freude ist ganz meinerseits.“ Das klang selbst in seinen Augen viel zu förmlich, aber er wusste nicht, was er sonst sagen sollte. Worte waren nie seine Stärke gewesen und die Förmlichkeit diente ihm als Schild, um zu verbergen, wie unsicher er war. Besser, er blieb defensiv, denn offensiv würde bedeuten, Hildegard all das zu sagen, was mehr als unangebracht war. Immerhin war sie seine Schwägerin, auch wenn er das Wort nicht einmal in Gedanken formulieren konnte, wenn er sie ansah. Die hellen Haare, die warmen Augen, diese Lippen... „Und wie... geht es dir?“ Sie musterte ihn amüsiert. „So förmlich Tiron? Ist das hier ein Anstandsbesuch, den du uns nach so vielen Jahren abstattest?“ und kurz flackerte ihr altes, kämpferisches Selbst in ihr auf, das kein Blatt vor den Mund hätte nehmen wollen. 'Du bist steif geworden alter Haudegen!' wollte sie ihm am liebsten lachend ins Gesicht schleudern und ihn dann umarmen wie in alten Zeiten. Stattdessen lehnte sie sich damenhaft zurück in ihrem Stuhl und antwortete auf seine Frage. „Gut geht es mir Tiron. Ein Haus, ein Kind, was sollte ich mehr wollen?“ und es klang nicht einmal mehr ironisch aus ihrem Mund. Die reifere Hildegard hatte gelernt wenig zu verlangen vom Leben. Dass sie instinktiv ihren Mann vergessen hatte zu erwähnen, war ihr gar nicht bewusst in diesem Moment. „Ich weiß, es ist nicht ganz so luxuriös wie mein Elternhaus, aber das habe ich nie gebraucht wie du weißt. Und wie ist es dir ergangen? Viel habe ich nicht mitbekommen, außer, dass du deiner Karriere mit Ehrgeiz - und dass sehr erfolgreich - gefolgt sein sollst.“ Vor dem Hintergrund dessen, was Amaro erzählt oder auch nur angedeutet hatte, fiel Tiron das Fehlen des Gatten in der Aufzählung durchaus auf, aber er kommentierte es nicht. Stattdessen senkte er mit einem schuldbewussten, ertappten Lächeln den Kopf. "Nein, kein Anstandsbesuch. Vor allem Neugier. Es ist... lange her." Verdammt lange. Und trotzdem leuchtete die wilde, ungezähmte Hildegard noch durch, ein kleiner Ausbruch, für den Tiron ihr am, liebsten um den Hals gefallen wäre. "Es ist schön hier, gemütlich. Größer müssen Häuser gar nicht sein, glaub mir. Und wie mir scheint, weißt du alles, was es zu wissen gibt", er zuckt kurz mit den Achseln. "Ich habe eben getan, was ich konnte. Und ich habe viel zu tun, vor allem mit der Akademie. Ich glaube, das wäre etwas, was dir auch Freude machen würde, Wissen weiter zu geben an so viele hoffnungsvolle junge Geister." Hildegard stützte sich gedankenverloren auf dem Tisch ab und fuhr mit der rechten Hand nachdenklich über die Tischplatte. „Ich habe einen Jungen erzogen wie du weißt. Oder zumindest habe ich mein Bestes versucht“ Sie seufzte. Nicht ganz so erfolgreich wie du, wie ich fürchten muss. Amaro macht mir manchmal Sorgen in letzter Zeit. Ich weiß leider nicht wirklich, was aus dem Jungen werden soll. Früher war er so ein aufgeweckter, lieber Junge. Und jetzt...“ Da sprach die besorgte Mutter aus ihr. „Du weißt, dass er von zuhause weggelaufen war?“ Tiron de Varro nickte andeutungsweise. "Ja. Aber mach dir deswegen nicht zu viele Sorgen, in seinem Alter ist das ganz normal, dass man ein bisschen herumstreift." Na, von wem er das mit dem Weglaufen wohl hatte? Narsil war in dem Alter schon rastlos gewesen, aber Hildegard musste wohl eher Angst haben, dass ihr Sprössling nach ihr schlug und sich jahrelang nicht zu Hause blicken ließ. "Aufgeweckt scheint er mir aber immernoch zu sein - soweit ich das nach unserem kurzen Gespräch einschätzen kann, versteht sich." Hildegards Miene hellte sich auf. „Findest du?“ Sie lächelte. „Dennoch... Amaro kennt meine Vergangenheit nicht, du aber schon. Du weißt was ich meine. Und außer meiner Ausbildung und...Narsils, hat Amaro keine erhalten. Ich habe wohl ein wenig Sorge, dass er auch das rastlose Leben ergreift, aber ohne vorher wirklich einen Beruf erlernt zu haben.“ Hildegard zuckte ratlos mit den Schultern und es blieb offen, ob das „auch“ sich auf sie, oder ihren Mann bezog. Tiron de Varro war im ersten Moment so derart von ihrem Lächeln eingenommen, dass die Wörter eine Ehrenrunde drehen mussten, bevor er ihren Sinn verstand. "Er ist eben doch euer Sohn. Aber ich bin mir sicher, dass du dafür gesorgt hast, dass er alles wichtige weiß", bekräftigte er dann. Narsil vermutlich auch, auch wenn Tiron an dieser Stelle nicht eingestehen mochte, dass sein Bruder irgendetwas wertvolles zu lehren hatte. "Wo ist Narsil eigentlich?" Hildegard fror das Lächeln im Gesicht ein ob dieser Frage, auch wenn sie unausweichlich hatte kommen müssen. Doch leider war ihr bis jetzt keine rettende Idee gekommen. „Narsil? Er ist....nicht da.“ Hildegard blickte hilflos auf die Teetasse vor sich. Sie schluckte und griff nach der Tasse um Zeit zu schinden. Nichts davon half. Hildegard seufzte leise auf, denn sie wollte Tiron einfach keine so blatanten Lügen auftischen wie dass Narsil nur kurz weg sei. Ganz rein zufällig, irgendwo anders. Weit genug weg, als dass man ihn nicht herholen könnte, aber nicht so weit, als dass es unschicklich gewesen wäre. Also versuchte sie sich in die Lügen zu retten, die ihr halbwegs leicht von den Lippen gingen. Ähnliches wie sie auch ihrem Bruder oder ihren alten Freunden auftischte. „Narsil ist ein paar Tage weg. Er ist einfach kein Hausmann und genießt das Reisen einfach zu sehr um immer nur zuhause zu sein. Es entspricht nunmal nicht seiner Natur, du kennst ihn. Also habe ich ihn gebeten doch bitte nach einem Geschenk für Amaros fünfzehnten Geburtstag Ausschau zu halten. Damit ist uns beiden genutzt.“ und sie lächelte Tiron gewinnend an, während sie sich wie ein dressiertes Tier vorkam. „Es wird ihm sicher leid tun wenn er hört, dass er dich gerade verpasst hat. Du fehlst ihm und dieses Zerwürfnis nagt an uns allen.“ Eigentlich gemein, einem Mann, der nie ein Freund von Winkelzügen gewesen ist, so einfach ins Gesicht zu lügen. Wie sollte Tiron denn wissen, dass hinter ihren Worten etwas ganz anderes stand, zumal sie so plausibel klangen? So war Narsil eben. Ergo konnte der fast bitter zu nennende Zug um Tirons Mund in diesem Moment und der harte Ausdruck in seinen Augen auch nichts mit Hildegards Lüge zu tun haben, die er mit einem Nicken schluckte. "Das ist wirklich schade, ich hätte ihn gern gesehen. Richte ihm Grüße aus, wenn er wieder da ist, ja? Mir liegt wirklich viel daran, diese Sache ins Reine zu bringen." „Das freut mich Tiron. Ich werde es ihm ausrichten, wenn ich ihn das nächste mal sehe.“ Sie trank ihren Tee aus, doch die Lüge schmeckte bitter. Sie konnte Tiron kaum noch ins Gesicht sehen. „Möchtest du vielleicht noch etwas Tee, Tiron? Oder kann ich dir irgendetwas anderes anbieten? Amaro sollte hoffentlich auch bald wieder hier sein, aber er war noch nicht lange weg, bevor du kamst.“ Hildegard überlegte wie sie sich kurz in die Küche davonstehlen könnte, bevor sie Tiron noch mehr Lügen ins Gesicht warf. Es tat ihr so leid, nach all diesen Jahren machte er einen Schritt auf sie zu und wie dankte sie es ihm? Zumindest nicht damit, ihm einen Scherbenhaufen vor die Füße zu werfen, versuchte sie sich die Sache schön zu reden. Abgesehen von dem der Teetasse, erinnerte sie sich und musste kurz Auflachen. Schnell fasste sie sich wieder und stand auf. „Ich zumindest hätte gern noch etwas zu trinken. Und du?“ Eine Fülle an gestärktem Leinen ergoss sich auf den Boden. Das lange Kleid war seitlich geschnürt, da sie meist nur auf Kleider zurückgriff, die sie ohne Hilfe anpassen konnte. Aber im Vergleich zu ihrer früheren Garderobe war es ungewohnt weiblich und der weite Rock raschelte, wenn sie sich bewegte. „Wenn noch etwas Tee da ist...“ 'nehme ich gerne noch einen', hätte der Satz enden sollen, aber Hildegards Bewegung, das Schwingen des Rocksaumes, überhaupt ihre Nähe im gleichen Raum machten es dem Lord nicht gerade einfacher, seine Gedanken beisammen zu halten. Als Hildegard in der Küche verschwand nutzte auch Tiron die Gelegenheit, tief durchzuatmen und sich mit allen zehn Fingern durch die vormals so ordentlichen Haare zu fahren - eine Geste, die offenbar alle Männer der Familie gemeinsam hatten. Was tat er hier eigentlich? Die Ehe seines Bruders zerstören? Konnte er denn sicher sein, dass es da nichts mehr zu kitten gab? Müsste er nicht eher nach einem Weg suchen, die Eheleute wieder miteinander zu versöhnen? Stattdessen konnte er nicht einmal dafür garantieren, dass er Hildegard nicht nochmal völlig überrumpelte und ihr auf Knien seine Liebe gestand. „Das Kleid steht dir übrigens.“ Wie entwaffnet stand Hildegard de Varro in der Tür, zwei Tassen Tee in der Hand. „Oh...danke Tiron. Dabei ist es nur ein einfaches Hauskleid.“ Hildegard de Varro schaute verlegen zur Seite, als sie Tiron eine neue Tasse Tee hinstellte und sich mit ihrer zurück auf ihren Platz begab. Er sah auch gut aus, reifer und markant: Aber sein früherer Charme fehlte ihr. Nur würde sie sich hüten ihm das zu sagen. Stattdessen lächelte sie ihn nur wortlos an. Langsam schlichen sich ungewollte Gedanken in ihren Kopf. Was wäre gewesen, wenn sie nicht schwanger geworden wäre? Wenn sie nicht Narsil geheiratet hätte? Wie wäre ihr Leben dann verlaufen? Sie zwang sich diese Gedanken mit aller Kraft beiseite zu schieben. Sie hatte Amaro gewollt und auch Narsil, sie hatte sich entschieden. Die Stille wurde langsam unangenehm und ihr wurde klar, dass sie wohl sehr dümmlich aussehen musste, wie sie so in Tirons Richtung vor sich hinstarrte und nutzlos grinste. „Also...“ setzte sie an. „So sieht es aus bei uns.... und bei dir gibt es nichts neues?“ Dabei sah sie Lord de Varro fragend an. Sie wirkte fast hilflos auf der Suche nach irgendeinem Thema und seufzte schließlich. „Das ist es also. Fünfzehn Jahre haben wir uns nicht gesehen und dann weiß ich nicht einmal etwas zu erzählen.“ Ein leicht verbitterter Zug zeigte sich auf ihrem Gesicht. „Gut, seit ich mich zur Ruhe gesetzt habe gibt es auch nicht mehr viel zu erzählen aus meinem Leben“. Seit sie sich aufgegeben hatte, hätte sie sagen können. „Aber wie sieht es bei dir aus? Hast du auch vor dich in Zukunft mal zur Ruhe zu setzen, oder wie sehen deine Pläne aus? Und wie geht es eigentlich deiner Familie?“ Dem Teil zumindest, von dem ich selten etwas höre setzte sie für sich noch in Gedanken dahinter. Sie wusste nicht, ob Tiron sich im klaren war, dass seine Schwestern sie ab und an heimlich besucht hatten und sie wollte nicht diejenige sein, die ihre Schwägerinnen verriet. Tiron de Varro zuckte, ein bisschen maulfaul wie eh und je, mit den Schultern. "Es gibt nichts wirklich spannendes aus der letzten Zeit zu berichten, fürchte ich. Irgendwann werde ich mich zur Ruhe setzen, aber noch nicht jetzt. Es ist... einfacher, wenn man weiß, womit man seine Zeit verbringen soll." Ein kleines, schiefes Grinsen an dieser Stelle, wo eigentlich eine Familie als Lebensmittelpunkt hätte sein sollen. "Und meiner Familie geht es gut. Elena ist wieder schwanger, aber ich nehme an, dass du das schon weißt. Wenn nicht von Ela, dann von Tulander." Viel ließ er sich nicht in die Karten schauen, aber das verriet er dann doch, vielleicht gerade, weil er ahnte, dass Hildegard sonst versucht hätte, seine Schwestern in Schutz zu nehmen. "Und Samuel macht sich wirklich gut. So langsam könnte der sich auch mal nach einer Braut umsehen." „Oh, das freut mich zu hören!“ Hildegard wirkte erleichtert. „Du weißt also, dass wir in Kontakt geblieben sind? Es beruhigt mich, dass du uns das nicht übel zu nehmen scheinst. Ich denke du weißt, dass wir es nicht böswillig hinter deinem Rücken getan haben, sondern um dich nicht zu belästigen. Warum wir keinen Kontakt mehr hatten ist ja selbstverständlich, aber ansonsten ging es ja hauptsächlich von deinen Eltern aus. Und deine Schwestern sträubten sich wie ich dagegen, dass Narsil und Amaro keinerlei Kontakt zu ihrer Familie sollten haben dürfen.“ Damals war sie noch kämpferisch gewesen.Und wenn schon nicht für sich, würde sie es zumindest für ihren Sohn auch heute jederzeit wieder sein. Tiron de Varro schaute jetzt sogar ein bisschen betreten. Sicher, Narsil war von seinen Eltern für die nicht standesgemäße Heirat bestraft worden, aber Tiron hatte weder damals etwas für seinen Bruder getan, noch hatte er sich nach dem Tod der Eltern darum bemüht, seinen Zwilling zu rehabilitieren. Aber Hildegard hatte Recht, sie wussten beide, warum, es keinen Kontakt gegeben hatte. "Ich bin froh, dass die Mädchen den Kontakt zu euch gehalten haben", erklärte er mit einem schwachen Lächeln. "Auch, wenn sie mir nicht viel erzählt haben. Aber", und dabei setzte er sich entschlossen etwas aufrechter hin "Das wird sich jetzt ändern. Und wo wir gerade bei Amaros Geburtstag waren... meinst du, es wäre in Ordnung, wenn ich ihm etwas schenke?" Für einen Moment blitzte Unsicherheit in Tirons Gesicht auf. Er wollte sich nicht mit Gewalt in das Familienleben einmischen. Hildegard de Varro schenkte ihrem Schwager einen warmen Blick und sagte sanft „Tiron, eigentlich wollte ich dich fragen, ob du zu seinem Geburtstag kommen möchtest. Meine Familie wird aus Weyersdorf zum Essen kommen. Aber ich war etwas unsicher, ob du dir das zumuten möchtest. Falls nicht, hätte ich vollstes Verständnis dafür. Aber was ein Geschenk angeht...er würde sich riesig über etwas Aufmerksamkeit von seinem verlorenen Onkel freuen. Aber ich wäre dir dankbar, wenn du dich nicht zu einer großen Investition hinreißen lassen würdest. Das würde Amaro sicher den Kopf verdrehen. Mir wäre es eigentlich lieber, du würdest dem Jungen einmal den Kopf waschen Tiron.“ Hildegard zwinkerte ihrem Gegenüber verschwörerisch zu. „Ich hoffe eigentlich, dass du einen guten Einfluss auf den Jungen haben könntest und ihn nicht zusätzlich verwöhnst. Sein Vater setzt ihm schon lauter Flausen in den Kopf, fürchte ich. Ich halte mich extra damit zurück Geschichten aus meiner aufregenden Vergangenheit zu erzählen, die Amaro zu irgendwelchen Dummheiten animieren könnten. Nicht, bevor er kein solides Handwerk gelernt hat und sich zuverlässig selbst verteidigen kann. Solange seine alte Mutter ihn noch beim Training überlisten kann, ist er einfach nicht soweit.“ und Hildegard versteckte ihr Lachen damenhaft hinter einer Hand, während sie an die letzten Trainingseinheiten dachte, bei denen sie ihren Sohn getestet hatte. Tiron de Varro wirkte ein bisschen ertappt. "Ähm... ich komme natürlich gerne zum essen. Was genau wäre denn eine zu große Investition? Ich hatte eigentlich überlegt, Amaro kurz nach seinem Geburtstag für ein oder zwei Tage abzuholen und mit ihm zu einem Freund" er überlegte kurz und sah Hildegard an "Ich glaube, du hast Atanir de Nivisz nie kennen gelernt, oder? Wie dem auch sei, jedenfalls hat Atanir eine ausgezeichnete Pferdezucht und ich dachte..." Tiron ließ den Satz in der Schwebe, aber es war ja wohl auch so klar genug, was das Geschenk sein sollte. "Was will der Junge denn lernen? Ich werde natürlich gerne behilflich sein. Aber ich bin mir auch sicher, Amaro wird ein braver Bürger, wie seine Mutter, die noch gar nicht so alt ist." Braver Bürger, in dem Ausdruck lag, auch wenn Tirons Blick Hildegard dabei nur kurz streifte, bevor er ihn auf den Tisch und seine Hände senkte, eine ganz eigene, von einem leisen, fast ein wenig wehmütigen Lächeln begleitete Zärtlichkeit. „Tiron de Varro“ sie beabsichtigte tadeln zu klingen, doch man hörte ihr an, dass sie im Grunde amüsiert war über ihren alten Freund und Gefährten. „Ein Pferd, wirklich? So stellst du dir also eine nicht zu große Investition vor? Und wie sollen die Eltern dann am Ende dastehen, die ihrem Sohn kein neues Pferd bieten können?“ Sie lachte, griff über den Tisch und drückte Tiron kurz sanft die Hand. „Du kannst Amaro gerne mitnehmen, aber ein Pferd ist vielleicht doch ein bisschen viel des Guten, findest du nicht?“ Sie sah Lord de Varro nachsichtig, wie einen unerfahrenen Jungen an. „Du verwöhnst Amaro sonst mehr als seine eigenen Eltern. Und er weiß doch jetzt schon nicht, was er mit sich anfangen soll. Und ich bin auch etwas ratlos.“ Sie hob die Schultern um diese Aussage zu unterstützen, wirkte dabei aber gelassen und erstaunlich heiter. Die Situation hatte sich für sie sehr entspannt entwickelt und sie fühlte sich nicht mehr unter Druck gesetzt. Es war, als würde die Verkrampfung langsam von ihr abfallen. Tiron de Varro erstarrte für einen Moment zu einer Salzsäule, als Hildegard seine Hand berührte und wagte nicht zu blinzeln, geschweige denn zu atmen. "Für ein kleines Pferd ist er aber mittlerweile zu groß. Und immerhin habe ich fünfzehn Jahre aufzuholen." Er lächelte, seufzte dann gespielt und gab sich geschlagen "Gut. Kein Pferd also. Ich komme also zum Essen und ... " eine vage Geste in der Luft zeigte, dass Tiron offenbar wenig Ahnung hatte, was er mit dem Heranwachsenden unternehmen könnte. Wenn man keine eigenen Kinder hat... „Ich weiß Tiron. Ich verstehe das ja.“ zeigte sich Hildegard ganz verständnisvoll für den überforderten Ritter. „Aber wenn da ein neuer Onkel in sein Leben tritt und direkt mit einem Pferd aufwartet... das halte ich nicht für eine gute Idee. Du hast jetzt alle Zeit die du willst um die vergangnen Jahre aufzuholen. Gib ihm lieber die Möglichkeit darauf hinzuarbeiten. Denn im Grunde hast du Recht, er könnte ein eigenes Pferd gebrauchen. Narsil ist ständig mit dem anderen weg.“ Das Lächeln fror ihr kurz im Gesicht ein als ihr klar wurde, dass sie kurz davor stand sich zu verplappern. Beinahe...hoffentlich hatte sie nicht zu viel gesagt, dachte sie. Aber dass Narsil manchmal weg war, hatte sie ja bereits zugegeben und gut begründet. Sie lachte um über die unglückliche Formulierung hinwegzutäuschen. Gerade, wo es so schön war wollte sie die Stimmung nicht wieder kippen lassen. Sie entschied sich einfach in die Offensive zu gehen. „Weißt du was vielleicht ein vernünftiges Geschenk wäre Tiron?“ und sie ergriff wieder wie beiläufig seine Hand „Eine gute Waffe und ein paar Übungsstunden um richtig damit umgehen zu lernen. Von mir kann er niemals so eine gute Technik lernen wie von dir!“ Und sie ließ seine Hand wieder los, schaute ihn dafür aber erwartungsvoll an. Wie bitte sollte er sich auf das konzentrieren, was sie sagte, wenn ihre Finger auf seiner Haut lagen? Und seine Hand ganz von alleine Anstalten machte, ihre festzuhalten? Es dauerte also einen Moment, bevor der Ritter wie aus tiefem Wasser wieder an die Oberfläche kam und langsam nicken konnte. "Das klingt nach einer vernünftigen Lösung." Vernünftig, ja, das sollte er auch sein. Er sollte gehen, sagen, er würde das Pferd ein andermal holen, irgend etwas in der Art. Aber ein paar Sachen musste er doch noch genauer wissen, auch wenn er sich nicht sicher war, ob er sie wissen wollte. "Mich mit Narsil auszusprechen scheint ja schwieriger zu werden, als gedacht. Er hat sich wirklich nicht verändert, oder?" Hildegard biss sich unbewusst ein wenig auf die Lippe. „Wie meinst du das Tiron?“ sie zögerte seine Frage direkt zu beantworten, da sie sich nicht sicher war, worauf er anspielte. Auf seine Rastlosigkeit? Sie könnte auch einfach alles bejahen, viel verändert hatte er sich wirklich nicht. Und sie war ein Dummkopf gewesen das überhaupt von ihm erwartet zu haben. Er konnte unmöglich alles meinen, was sie bejahen würde. Und dann müsste sie ihn wenigstens nicht anlügen. Sie lächelte großmütig, ganz die Dame die aus ihr geworden war. „Nein Tiron, da hast du Recht. Er hat sich wirklich nicht viel verändert. Aber spätestens zu Amaros Geburtstag wirst du ihn auf jeden Fall antreffen. Wohl auch früher, aber ich weiß nicht, ob du dich dann direkt wieder auf den Weg machen möchtest. Aber wenn du willst, können wir dir eine Nachricht zukommen lassen, sobald er zurück ist.“ Du könntest auch einfach in ein paar Tavernen nachfragen, irgendwo wird man ihn schon gesehen haben, dachte sie. Und dann lässt du mir mal eine Nachricht zukommen, damit ich mich selbst mit meinem Mann aussprechen kann. Und das möglichst noch vor Amaros Geburtstag... Tiron de Varro suchte einen Moment in Hildegards Augen nach der ganzen Tragweite von "nicht viel" und fand bestätigt, was er befürchtet hatte. Nicht nur Narsils Rastlosigkeit also. "Ich denke, ich werde versuchen, ihn vorher irgendwo aufzutreiben. Bisher habe ich meinen Bruder noch immer gefunden, wenn ich das wirklich wollte." Und in dem Versuch, daraus einen kleinen Scherz zu machen "Vor allem, wenn er nicht damit gerechnet hat." „Ach, mach dir doch nicht solche Umstände Tiron! Du hast sicher anderes zu tun als nach Narsil zu suchen. In ein paar Tagen ist er wieder hier und wir werden dich informieren.“ Ihr schiefes Lächeln machte keinen Hehl daraus, dass sie es nicht für eine gute Idee hielt, dass Tiron sich tatsächlich anschicken wollte nach Narsil zu suchen. „Nachher verpasst ihr euch nur und du hast deine Zeit verschwendet. Zeit, die Lord de Varro sicher mit anderen, sinnvollen Dingen zubringen sollte, nicht wahr?“ Sie zwinkerte ihm zu. „Ich denke man würde dich an der Akademie vermissen, oder nicht?“ Jetzt versuchte sie es also schon über diese Schiene, schämte sie sich. Tiron wäre garantiert zu verantwortungsvoll um seinen Pflichten nicht nachzugehen um stattdessen in der Weltgeschichte herumzureisen. „Das wäre aber ein Armutszeugnis für unsere stolze Akademie, wenn sie nicht ein paar Tage ohne einen kleinen, menschlichen Lord auskäme“ hielt er dagegen. „Außerdem liegen mir gewisse gemeinsame Freunde von uns ohnehin dauernd in den Ohren, ich sollte mehr raus und etwas unternehmen - nur deshalb bin ich ja auch über Amaro gestolpert.“ Hildegard seufzte. Wie könnte sie Tiron jetzt noch davon abbringen? „Und eine möglicherweise fruchtlose Suche nach deinem Bruder ist deine Art etwas zu unternehmen?“ fragte sie ihn. „Du hast so viele Jahre gewartet und kannst jetzt keine paar Tage mehr auf eine Nachricht warten?“ Sie versuchte spöttisch und jovial zu klingen, fühlte sich dabei aber eher verzweifelt. Sie hatte keine Angst, dass er Narsil womöglich verpassen könnte, ganz im Gegenteil. Sie fürchtete Tiron würde ihn finden und dass im schlimmsten Falle in einer verfänglichen Situation. Und dann wären ihre Lügen umsonst gewesen. Sie tat das für ihn, versuchte sie sich zu erinnern. Sie hatte sich vorgenommen Tiron das zu ersparen. 'Also lass dir etwas einfallen, Hildegard!' ermahnte sie sich. „Ich dachte gerade du würdest verstehen, dass man nach einem einmal gefassten Entschluss nicht zögert, ihn auch in die Tat umzusetzen.“ Gab er ihr zu bedenken, auch wenn er wusste, dass es nicht gerade fair gespielt war die ohnehin in Erklärungsnöte geratene Frau damit noch an das zu erinnern, was sie für Mann und Kind geopfert hatte. „Und es ist immerhin besser als die Abende zu Hause herum zu sitzen.“ „Wenn es dir nur darum geht, bist du herzlich eingeladen noch ein paar Tage hier zu bleiben und auf deinen Bruder zu warten.“ Hildegard lächelte ihn gewinnend an. Sie wusste, dass dies ihre letzte Chance war Tiron zu überzeugen, sofern nicht plötzlich ein Eilreiter mit einer dringenden Botschaft vor der Tür stand, die besagte, dass Lord de Varro schleunigst irgendwo gebraucht würde. So einen alten Sturkopf wie Tiron konnte man mit seichten Argumenten nicht aufhalten. „Ich habe ebenfalls keine besondere Beschäftigung, außer für meine Familie zu Sorgen. Und so lange die Hälfte nicht zuhause ist, lastet mich das nicht gerade aus. Ein wenig Abwechslung und Gesellschaft würde mir sehr gut tun. Was meinst du Tiron, könntest du einer alten Freundin diesen Gefallen tun? Ich würde mich freuen die verlorene Zeit ein wenig aufzuholen und mit Geschichten zu füllen. Außerdem könnte ich dir die Gegend zeigen und nicht nur das Haus, wenn du magst.“ Und sie setzte ihr allerfreundlichstes Gesicht mit dem steinerweichenden Augenaufschlag auf, dass ihr Sohn von ihr geerbt hatte. Sie griff nicht gerne in die Trickkiste, die eigentlich nur jungen Mädchen zugeschrieben wurde. Sie stand auf, eilte enthusiastisch zu Tiron herüber und griff mit beiden Händen nach den seinen. „Das wäre wirklich toll, was meinst du? Na komm schon, sag ja.“ Sie zwinkerte ihm verschmitzt zu „Bitte?“ „Hildegard...“ Tiron war von ihrer Großoffensive so überrumpelt, dass ihm sogar die Stimme stockte. Ein Teil von ihm wollte nichts lieber, als diesen Augen und diesem Zwinkern voll und ganz nachgeben. Ein paar Tage mit Hildegard, lange Spaziergänge, abends die Geschichten des anderen hören, das war mehr als er noch vor Tagen in seinen wildesten Träumen erwartet hätte. Aber ihre Berührung durchfuhr ihn erneut wie ein elektrischer Schlag, der ihm auch klar machte, dass er das nicht ertragen würde. Im Moment war sie seine Schwägerin und er würde nicht in aller Freundschaft mit ihr unter einem Dach schlafen können. Dabei traute er sich selbst nicht über den Weg - und was sollte sie von ihm halten, wenn er versuchte, die Frau seines Bruders zu verführen. Allein der Gedanke, dass er irgendjemanden verführen könnte, war ja schon absurd! „Ich kann nicht“ als einzigen Impuls erlaubte er sich, ihre Hände kurz an die Lippen zu heben, eine Geste, die bei Hofe noch als Bitte um Verzeihung durchgegangen wäre, zumindest, wenn er die Finger statt mit den Lippen gerade mit der Nasenspitze berührt hätte. So hoffte er nur, dass Hildegard die Etikette und der feine Unterschied fremd waren. „Es tut mir leid.“ Ihre Augen blickten traurig. Ein wenig hatte sie wirklich gehofft er würde ihrer Bitte nachgeben. Sie hätte es sich wirklich so schön vorgestellt... Aber es war ja auch verständlich, dass Lord de Varro sich nicht so einfach von ihr zu so etwas spontan überzeugen lassen würde. Sie waren schließlich beide keine Zwanzig mehr und sie auch noch nie ein Wunder an Verführung gewesen. Somit hatte sie ihre letzte Chance vertan. Sie lies die Hände sinken und blickte zu Boden, damit er nicht sehen konnte, dass diese höfliche, aber intime Geste sie erröten lies wie ein junges Mädchen. „Ich verstehe Tiron.“ sagte sie niedergeschlagen und ergab sich in ihre Niederlage. Tiron hatte zwar den Verdacht, dass Hildegard bestenfalls einen Bruchteil von dem verstand, was er hatte sagen wollen, aber ihm fehlten - wie so oft - die Worte. Stattdessen versuchte er sich auf irgendeinen sicheren Boden zurück zu retten "Wir haben sicher auch nach Amaros Geburtstag noch Zeit, Geschichten auszutauschen. Außerdem kann ich mir zwar ein paar Tage frei nehmen, aber ich sollte das doch vorher ankündigen." Genau, das war doch eine wunderbare Entschuldigung, nicht spontan da zu bleiben, oder? „Na hallo, wen haben wir denn da?“ kam es flapsig von der Seite, wo Amaro de Varro lässig in der Tür lehnte. „Und ich habe mich schon gefragt wer hier zu Besuch ist, als ich das Pferd im Stall gesehen habe. Vater konnte es ja wohl kaum sein.“ „Amaro!“ ermahnte ihn seine Mutter, schärfer als sie es eigentlich beabsichtigt hatte. „Na wieso, ist doch wahr, oder? Wäre doch sehr überraschend, wenn er schon wieder auftauchen würde. Und das dann noch mit einem anderen Pferd...“ gab der so zurechtgewiesene locker zurück und verschränkte die Arme. „Die Einkäufe habe ich übrigens alle mitgebracht Mutter, stehen in der Küche. Und auch Hallo Onkel Tiron“ er nickte kurz in dessen Richtung und schaute dann direkt wieder weg, als wäre es ihm unangenehm seinen Onkel direkt anzusehen. „Danke Amaro..“ kam es etwas zögerlich von Hildegard, die sich in dieser neuen Situation erst zurechtfinden musste und davor zurückscheute die beiden Männer direkt alleine zu lassen. Doch sie nahm an, dass sie es nicht verhindern konnte. Es wäre seltsam, wenn sie jetzt noch lange hier stehen bliebe und ihrem Gast nichts von den Einkäufen anbot, wie sie es zuvor versprochen hatte. „Ich gehe dann mal und bringe uns allen etwas Gebäck“ sagte sie und verschwand raschelnd in die Küche. Was macht ein de Varro, wenn er verlegen ist? Genau, er fährt sich durch die Haare, genau wie Tiron jetzt. "Ich sehe, du bist gut nach Hause gekommen", meinte er dann, bevor er sich wieder auf den Stuhl setzte, ohne diesen wieder ordentlich an den Tisch zu rücken. Eine feine Balance zwischen entspanntem Sitzen als Gast und eben nicht an einem fremden Tisch zu sitzen, sondern nur im Raum zu sein. Mit einem anderen Pferd nach Hause zu kommen, klang aber, wie er fand, durchaus wie Narsil. „Ja, bin ich. Danke nochmal für's Leihen Onkel.“ Amaro blickte noch immer angestrengt knapp an Tiron de Varro vorbei. Vielleicht auf sein Ohr, oder die Kommode schräg hinter ihm.. „Wegen letztens, Onkel Tiron..:“ er klang deutlich höflicher als er sich bei seinem ersten Treffen gegenüber Tiron de Varro verhalten hatte. „Ich... ich möchte mich entschuldigen.“ Diese plötzliche Höflichkeit erstaunte Tiron doch ein wenig. Er wusste nicht, dass Hildegard ihrem Sohn gebeichtet hatte, dass eine frühere Beziehung zwischen ihr und Tiron de Varro bestand, bevor sie seinen Bruder geheiratet hatte und Amaro geboren wurde. In diesem Moment wollte Amaro nichts sehnlicher als ein Loch im Boden, in das er versinken konnte. Nicht nur, dass sämtliche Informationen über das Privat- und Liebesleben seiner Mutter ihm zuviel waren, er schämte sich auch fürchterlich für die Dinge die er Tiron de Varro an den Kopf geworfen hatte. Im Lichte dieser Informationen strahlten sie einen ganz anderen, deutlich unangenehmeren Schatten aus. Selbst für ihn waren diese Treffer weit unter der Gürtellinie gewesen. „Dein Pferd steht im Stall, ich habe es gut behandelt. Und zumindest hatten wir so die Möglichkeit die letzten zwei Wochen bequem ins Dorf zu kommen, während Vater mit dem Pferd unterwegs ist.“ Amaro zuckte mit den Schultern, als wäre dies die natürlichste Information auf der Welt. Doch in diesem Moment stand leider seine Mutter schon mit einem Teller voller Gebäck und einem entsetzten Gesichtsausdruck im Raum. 'Ausgerechnet das!' dachte sich Hildegard. Erst setzte sie alles daran diese Information zu verschleiern und dann kam ihr Sohn daher und plapperte leichtfertig alles aus. Sie entschied sich erst einmal so zu tun, als ob sie nichts mitbekommen hätte, ging zum Tisch und stellte das Gebäck ab. Dann blickte sie ihren Sohn so unauffällig, aber so strafend wie möglich an und hoffte,dass er ihre Signale verstehen würde. Tiron de Varro warf einen kurzen Blick zu Hildegard und schaute betont überrascht, als Amaro von zwei Wochen sprach. Nicht, dass das für ihn wirklich überraschend kam. Was ihn dagegen überraschte und worauf er sich keinen Reim machen konnte, war die plötzliche verlegene Höflichkeit des Jungen. Dass Hildegard ihm ausgerechnet diese Details aus ihrer gemeinsamen Vergangenheit gebeichtet hatte, konnte er ja nun nicht ahnen. Also versuchte er den Jungen wenigstens ein bisschen zu beruhigen "Es ist nichts passiert, was nicht schon verziehen wäre, Amaro." Das sollte ja wohl hoffentlich alles, was er meinen könnte, abdecken, hoffte der Lord. Amaro nickte Tiron dankbar zu, ignorierte dabei aber geflissentlich die Signale seiner Mutter. Er lies sich den Mund nicht verbieten, nicht einmal von seiner Mutter. Schließlich tat er nichts anderes als die Wahrheit auszusprechen. „Und, was machen wir jetzt? Zusammen Gebäck essen und heile Familie spielen?“ lies er grob in Richtung seiner Mutter verlauten. Ich nehme an jeder hat so seine Geheimnisse..“ Amaro ließ den letzten Satz vorwurfsvoll in der Schwebe, als ob er alles meinen und jeden ansprechen könnte. Er ließ seine aggressive Haltung nicht fallen, aber griff zumindest demonstrativ nach einem Keks. Hildegard de Varro sah hingegen so aus, als ob es ihr gründlich die Lust auf Gebäck verschlagen hätte. „Wir könnten auch Gebäck essen und dabei üben, seiner Mutter gegenüber den richtigen Ton zu treffen, junger Mann.“ eigentlich hätte das für Tiron eher das Zeichen zum Aufbruch sein sollen, aber irgendwie funktionierte Hildegard in Schutz zu nehmen wie ein Reflex. Einmal Ritter... Trotzdem gelang es ihm, die Stimme dabei nicht zu heben, es klang mehr nach einer trockenen Feststellung. Gleichzeitig schob er einen Stuhl vom Tisch zurück, damit Amaro sich setzen konnte. „Du also auch, Onkel?“ Amaro seufzte verzweifelt. „Sind Erwachsene wirklich alle so, was das Thema Wahrheit angeht?“ Hildegards Fassade begann zu bröckeln, als sie die Ellbogen auf den Tisch stütze und mit leerem Blick die Wand gegenüber fixierte. Sie versuchte sich zu beherrschen, doch langsam traten ihr Tränen in die Augen. Ihr Sohn hatte vollkommen Recht, was sie hier tat war ein schlechtes Schmierentheater und sie schämte sich dafür. „Lass ihn Tiron, im Grunde hat er Recht.“ sagte sie tonlos. Amaro sah sich dieses Schauspiel verständnislos an, dann nahm er dort Platz, wo Tiron einen Stuhl für ihn zurechtgerückt hatte. Wenn er schon nicht weiter wusste, konnte er sich wenigstens setzen und nach einem weiteren Keks greifen. Hildegard de Varro blinzelte die Spur von Feuchtigkeit auf ihren Augen weg. Dann sagte sie: „Ich habe dich angelogen Tiron, es tut mir leid. Ich habe es nicht böse gemeint, bitte glaube mir das“ Gefasst und würdevoll stand sie auf und verließ zum Erstaunen ihres Sohnes den Raum. Er starrte ihr nach und verstand mit jedem Moment weniger, was hier vor sich ging. Kaum hatte Hildegard de Varro die Tür hinter sich geschlossen, begannen heiße Tränen ihr die Wangen herabzulaufen. Nur einen kurzen Moment, versuchte sie sich einzureden, nur ihren Gefühlen kurz Luft machen und dann würde sie wieder zurückgehen und alles in Ruhe erklären und sich entschuldigen. Sie wollte nur nicht, dass ihr Sohn sie so erlebte. Wo war jetzt eigentlich ihr Mann, der sie überhaupt erst in diese Situation gebracht hatte? Warum war er nicht da, um sie dort wieder herauszuholen? Wäre es nicht seine Aufgabe an ihrer Seite zu sein, sie in den Arm zu nehmen und zu trösten? Sollte nicht ihr Ehemann ihr eine Stütze sein, die starke Schulter an der sie sich getrost ausweinen durfte, wenn sie sich danach fühlte? Wo war er jetzt, der um dessentwillen sie log, der wegen dem sie auch zwei Augen zudrückte und den sie verteidigte, obwohl sie sich einbildete den Duft anderer Frauen an ihm zu riechen? Hildegard schluchzte auf und hielt sich erschrocken über sich selbst beide Hände vor den Mund. Die Tränen trübten ihr die Sicht. Amaro de Varro sah seinen Onkel fragend an. „Weißt du was los ist?“ Eigentlich hätte der Junge genug Einfühlungsvermögen besitzen sollen, aber es sah seiner Mutter so gar nicht ähnlich einfach den Raum zu verlassen, vor allem nicht, wenn es um eine Diskussion ging. Tiron de Varro seufzt tonlos, als Hildegard den Raum verließ. Er hatte das verräterische Glitzern in ihren Augen gesehen und bei dem Anblick hatte sich sein Herz verkrampft. Aber ihr jetzt nachzugehen kam nicht in Frage, sicher brauchte die stolze Geweihte nur einen Moment, um sich zu sammeln und würde gleich wieder zurück sein. Deshalb wandte er sich seinem Neffen zu. "Ja. Deine Mutter hat versucht, Narsil in Schutz zu nehmen, aber zum einen kenne ich meinen Bruder und zum anderen ist sie eine schlechte Lügnerin. Und was den Umgang von Erwachsenen mit der Wahrheit angeht, junger Mann, so rührt der meist daher, dass Erwachsene wissen, dass Wahrheit ein scharfes Schwert ist. Manchmal ist ein sauberer Schnitt nötig, um zu heilen" - und er wusste noch nichtmal, wie Recht er damit haben könnte "aber manchmal sollte man sich gut überlegen, ob man diese Klinge überhaupt zieht. Was nicht heißen soll, dass du nicht die Wahrheit sagen sollst, Amaro. Aber mit etwas mehr Respekt, wenn ich bitten darf", ermahnt er streng und hielt dann inne. War das gerade ein Schluchzen gewesen? Hatte Amaro das auch gehört? Weinte Hildegard etwa? Amaro hatte seinem Onkel interessiert zugehört, doch jetzt wandte sich sein Blick doch besorgt Richtung Türe. Er wandte sich noch einmal an seinen Onkel. „Bitte entschuldige mich Onkel Tiron, aber ich glaube ich würde doch gerne kurz nach meiner Mutter sehen.“ Er schob seinen Stuhl zurück und folgte seiner Mutter. Was er auf der anderen Seite der Tür vorfand, traf ihn wie ein Schlag. Niemals zuvor hatte er seine Mutter weinen gesehen und gerechnet hatte er damit auf keinen Fall. Seine Mutter, die Personifikation des erhobenen Zeigefingers stand wie ein Häufchen Elend im Raum und versuchte ihr Schluchzen zu unterdrücken. Unwillkürlich drehte sie sich von ihrem Sohn weg, als ob sie irgendetwas dadurch verbergen könnte. Instinktiv nahm Amaro seine Mutter in den Arm. Sie war eine große Frau, fast auf Augenhöhe mit ihrem Sohn. Aber in diesem Augenblick wirkte sie so zerbrechlich wie nie und verletzlicher als ihr Sohn sich hätte vorstellen können. „Was ist denn los Mutter?“ er streichelte ihr sanft über den Rücken. „Wenn es wegen dem ist, was ich gerade gesagt habe tut es mir leid.“ Jetzt mischte sich ein glucksendes Lachen zwischen das Schluchzen und Amaro sah noch viel verwirrter aus als zuvor. Tiron de Varro nickte nur. Natürlich sollte Amaro nach seiner Mutter sehen, das war nur anständig und richtig. Er sollte einfach abwarten. Sollte. Aber jeder Herzschlag seit dem Schluchzen kam ihm so lang vor wie eine ganze Stunde und kurz nachdem Amaro Hildegard gefolgt war, hielt er es doch nicht mehr aus, stand auf und ging leise bis zur Tür hinüber. Amaro hatte einen Arm um Hildegard gelegt, spendete seiner Mutter Trost. Der Kleine war eben, trotz seines aufbrausenden Temperaments, ein guter Junge, stellte Tiron fest. Und er schien die Situation im Griff zu haben. Die Situation, in der Hildegard eigentlich ihren Mann gebraucht hätte, nicht ihren Sohn. Amaro war zwar fast erwachsen, trotzdem sollte er noch nicht der Mann im Haus sein müssen, nur weil sein nicht-viel-nutziger Vater sich herumtrieb. Tiron wollte schon wieder zum Tisch zurückkehren, als er glaubte, Lachen zu hören. Verwirrt blieb er in der Tür stehen. Hildegard fuhr mit der rechten Hand durch das Haar ihres Sohnes und lies die langen weichen Locken durch die Finger gleiten. „Nein du Dummerchen, das ist es nicht!“ brachte sie zwischen Weinen und Lachen hervor. „Es geht um deinen Vater und mich, wir..“ und da unterbrach eine erneute Welle von Tränen sie. Amaro wartete geduldig bis seine Mutter in der Lage war weiterzusprechen und hielt sie einfach fest. Diese Geste war fast zuviel für Hildegard die dachte, dass ihr Sohn ihr gerade eine bessere Stütze war als ihr Mann in den letzten zehn Jahren. „Wir...wir sind schrecklich“ setzte sie schließlich fort. „Wir streiten uns und machen dir damit das Leben schwer und uns selbst genauso. Ständig treibe ich ihn von mir fort und ich will das alles gar nicht!“ Sie drückte ihren Sohn an sich und lies die Tränen einfach laufen. Es hatte keinen Sinn sie weiter unterdrücken zu wollen, diese Trauer wollte sie verlassen, genauso wie diese Wahrheit einmal ausgesprochen werden musste. „Ich weiß du leidest darunter Amaro und das tun wir auch. Es tut mir ehrlich leid und ich wünsche mir nichts mehr, als dass es wieder so wäre wie früher, als du noch klein warst. Ich vermisse meine fröhliche Familie genauso wie du.“ Amaro vergrub das Gesicht im Haar seiner Mutter. Nicht nur war dieses Geständnis mehr als er erwartet hätte, es wurde ihm auch schmerzlich bewusst wie egoistisch er gedacht hatte. Nie hatte er sich gefragt wie die Situation für seine Eltern war, nur darüber wie sehr ihr Streit ihn belastete hatte er sich aufgeregt. Der Jugendliche war mehr als betreten. Eine Weile standen sie so und hielten sich im Arm um sich gegenseitig Nähe zu geben. Worte waren nicht nötig. Tiron de Varro wurde schnell klar, dass diese Aussprache nicht für ihn gedacht war und auch wenn er gerne mehr gehört hätte, kam es ihm doch falsch vor. Mit leisen Schritten kehrte er also ins Zimmer zurück, auch wenn er zu unruhig war, um sich wieder hinzusetzen. Schließlich versiegten die Tränen Hildegards und Amaro holte seiner Mutter ein Tuch und ein Glas Wasser. Als sie in die Stube zurückkehrten, hielten sie sich an den Händen und Tiron fragte sich, wer jetzt wen hielt. An ihren Augen konnte er sehen, dass Hildegard geweint hatte. Sie sah ihren Schwager an und sagte :“Ich habe dich angelogen Tiron und es tut mir ehrlich leid. Amaro hatte Recht, Narsil ist seit zwei Wochen weg und zwar weil wir Streit hatten. Es war mir peinlich, bitte verzeih mir. Tiron de Varro sah man seine Sorgen sicherlich deutlich ins Gesicht geschrieben, der aufmerksame Blick der blauen Augen, die angespannte Kieferlinie. Und er war sich der großen Distanz zu Hildegard schmerzlich bewusst. Tulander oder Barenor könnten sie in den Arm nehmen und es wäre nichts dabei. Aber er? Wohl kaum. Aber zumindest ihre Sorgen konnte er zerstreuen. "Das ist schon in Ordnung." Und er verkniff sich, dass er von Narsil - leider - nichts besseres erwartet hatte. „Wenn du deinen Bruder immer noch suchen möchtest...“ Hildegard warf Tiron einen bittenden Blick aus goldenen Augen zu, „dann richte ihm bitte aus, dass es mir leid tut. Ich würde mich gerne mit ihm versöhnen, allein schon Amaros wegen“ und sie streichelte sanft die Hand ihres Sohnes. „Wir werden eine Lösung finden, denn so kann es ja nicht gehen.“ und jetzt sah sie Amaro liebevoll an und dachte, dass sie bereit wäre mehr Abstriche zu machen. Und wenn sie Narsil weniger Vorwürfe machte, dann würden sie sich vielleicht auch endlich wieder näher kommen und sich wirklich aussprechen können. Und möglicherweise würde es dann doch noch gut werden. Tiron de Varro musterte Hildegard einmal von oben bis unten. Sie wollte sich versöhnen? Und wie sollte das aussehen? Narsil würde sich sicher nicht ändern. Und Hildegard, was wollte sie tun? Noch mehr von sich aufgeben? Und wie oft konnte sie das noch machen, bis nichts mehr von der Frau über blieb, die er - und die Narsil sicher auch mal geliebt hatte. "Nein, so kann es nicht weitergehen", stimmte er ihr zu, ohne ihr das andere zu versprechen. „Danke Tiron“ Ein Lächeln stahl sich zurück auf Hildegards Gesicht. Sie hatte neue Hoffnung geschöpft und war dankbar für die Unterstützung, die sie in diesem Moment der Schwäche gewährt bekommen hatte und glücklich, dass sie einige Lasten weniger zu tragen hätte jetzt, wo ein paar Dinge einfach gesagt waren. „Nach all diesen Jahren immer noch der Ritter auf dem weißen Pferd, nicht wahr Tiron?“ Sie lachte ihn an und gab ihm einen Kuss der Dankbarkeit auf die linke Wange. Amaro de Varro drehte sich derweil unauffällig zur Seite weg, um möglichst nichts mitansehen zu müssen. „Ich... „ nicht, dass er überhaupt eine Ahnung gehabt hatte, was er hätte sagen wollen, aber als Hildegards Lippen seine Wange streiften, war Tirons Sprachzentrum erst einmal komplett lahm gelegt. Und er war froh, dass Amaro in eine andere Richtung schaute. Denn wenn sein Gesichtsausdruck ihn verriet, dann musste er das jetzt wenigstens nicht sofort Amaro erklären. Hildegard zu sagen, dass sie das, bei der Gnade der Götter, vor allem ihrer Gottheit nicht tun soll, fiel mit ihrem Sohn im Raum auch weg, also blieb ihm nur, flehentlich zu schauen und zu hoffen, dass sie das stumme Leiden in seinem Blick richtig deutete. Noch immer lächelnd trat Hildegard wieder zurück, geriet dann aber ins Stocken als sie ihren Schwager ansah. Er konnte doch nicht...? Sie blinzelte ein wenig verunsichert. Amaro bemerkte von ihrem Stutzen nichts, als er vorsichtig mit einem Auge herübersah, ob es jetzt ungefährlich wäre wieder in Richtung der Erwachsenen zu schauen, oder ob er seinen Blick lieber noch ein wenig abgewandt halten sollte, um verfrühte Blindheit zu vermeiden. Oder schlimmeres... Aber die Situation schien entschärft zu sein und er musste nicht länger die Luft im Raum spielen. „Na dann, wäre das nicht eine gute Gelegenheit auf die Zukunft anzustoßen? Was meint ihr? Und mit einem charmanten Lächeln auf den Lippen und einer galanten Bewegung beförderte er die Flasche Wein zutage, die er aus dem Korb vom Einkauf in der Küche genommen hatte. Tiron de Varro war froh über die Ablenkung, die Amaro brachte. Hildegard schien zumindest einen Teil der Andeutung zu verstehen, auch wenn er sich nicht sicher war, ob sie die ganze Dimension verstanden hatte. "Das klingt nach einer ausgezeichneten Idee. Dann schenk mal ein, Zukunft." Zu so etwas lies sich Amaro de Varro nicht lange bitten. Er entkorkte die Flasche, stellte sie auf den Tisch und schickte sich an Weingläser zu holen. „Aber dass ihr mir die Flasche stehen lasst, bis ich wieder da bin“ hinterließ er ihnen mit einem Zwinkern als Order. Seine Mutter stand derweil einen Moment verloren im Raum und wusste nicht, ob sie besser im Gesicht ihres Schwagers und früheren Liebhabers nach Hinweisen suchen, oder alles als Irrtum abtun und auf sich beruhen lassen sollte. Schließlich senkte sie den Blick scheu zu Boden und schritt in ihrem raschelnden Leinenkleid an ihrem Schwager vorbei zum Tisch. 'Nein, das muss ich mir eingebildet haben. Er wird wohl kaum fünfzehn Jahre einer verlorenen Liebe nachtrauern. Ich bitte dich Hildegard, sei nicht so töricht.' und sie lachte leise über ihre dumme Idee. Tiron de Varro beobachtete Hildegards Minenspiel sehr genau. Es würde sie sicher belasten, wenn er ihr die Wahrheit sagte - ein scharfes Schwert, fürwahr. Aber sich die ganze Zeit zu verstellen, würde mehr Situationen wie die gerade heraufbeschwören und Tiron war sich nicht sicher, wie gut er das verkraften würde. Also musste er zumindest langsam und vorsichtig Hildegard an den Gedanken gewöhnen, dass er ihr nicht nur ein guter Freund und Schwager sein konnte. Jedenfalls nicht, ohne sein eigenes Herz zu verleugnen. "Sag mir, wenn ich gehen soll, ja?" Meinte er halblaut, als er sich ihr gegenüber wieder an den Tisch setzte und auf ihr Lachen mit einem unbewussten Schmunzeln reagierte. Er liebte dieses Lachen, genau so sehr, wie er nach all diesen Jahren noch immer diese Frau liebte. „Warum sollte ich wollen, dass du gehst Tiron? Fragte sie süß. „Ich bin froh, dass du überhaupt hergekommen bist.“ Sie hatte sich offensichtlich entschlossen nichts gesehen zu haben. „Außerdem holt Amaro gerade Gläser für den Wein und wäre wohl untröstlich, wenn ich nach seinem Vater auch seinen Onkel vertrieben hätte, oder?“ Sie faltete die Hände auf dem Tisch und wartete auf die Rückkehr ihres Sohnes. „Ich möchte einfach nicht, dass die Situation für dich unangenehm wird. Es ist dein Haus.“ Dein Leben, hätte er auch sagen können. Er fühlte sich im Moment als Gast in beidem und wollte auf keinen Fall irgendwelche Unannehmlichkeiten verursachen.Und er, im Gegensatz zu Amaro, hatte das Stocken gesehen und wusste auch, dass es gerade für eine Klerikerin der Sehanine keine einfache Situation war, wenn das Credo beinhaltete, nicht mit den Gefühlen Liebender zu spielen. „Aber ich bleibe gerne auf ein Glas Wein.“ „Was soll das heißen Tiron?“ fragte sie ihn , zugleich hoffend, dass es gar nichts heißen sollte und schon gar nicht das, was sie vermutet hatte. Fünfzehn Jahre waren eine lange Zeit und sie hatte gehofft, dass er ihnen mittlerweile verzeihen könnte. Vor allem jetzt, wo er Amaro kennen gelernt hatte. Sie war nicht froh über alles was passiert war, aber darüber sich für ihren Sohn entschieden zu haben schon. „So, da bin ich wieder. Ich hoffe es ist noch Wein da?“ fragte Amaro munter in die Runde, als er mit drei Weingläsern erschien, die er auf dem Tisch absetzte. Er begann einzuschenken und schob dann ein Glas für jeden über den Tisch. Zuerst für Lord de Varro, dann seine Mutter und zuletzt nahm er eines für sich, lehnte sich mit überschlagenen Beinen auf seinem Stuhl zurück und schien sich wohl zu fühlen. Amaro warf Tiron ein Lächeln zu „Danke dir.“ Dann wandte er sich wieder Hildegard zu, griff nach dem Weinglas und hob es, ihr zuprostend, ein Stück weit an „Es ist nur die Wahrheit, Hildegard.“ Ein scharfes Schwert. Aber nichts, woran er etwas ändern konnte. Dabei käme ihm gar nicht in den Sinn, dass es etwas zu verzeihen gäbe - oder wenn, dann doch auf beiden Seiten. Sie hatte sich für ihr Kind entschieden, das schien ihm nur natürlich. Hildegard war eine Löwin, was das anging, sie hätte sich gegen alles und jeden für ihr Kind entschieden. Das war Teil der Frau, die er liebte. Hildegard schluckte, noch immer unsicher worauf Tiron eigentlich hinauswollte. Sie prostete erst ihm und dann ihrem Sohn zu ohne zu wissen, worauf sie denn jetzt eigentlich konkret anstieß. Dennoch murmelte sie ein „Auf die Zukunft“ dahin und war sich sicher, damit zumindest nichts falsches gesagt zu haben. Denn wer wusste schon was die Zukunft brachte? „Auf die Zukunft“ stimmte Lord de Varro ihr zu, auch wenn er nicht so sicher war, was davon erstrebenswert war. Er würde Narsil finden, ja. Und ... er hatte eine vage Vorstellung davon, was er dann tun würde. Aber er war sich beim besten Willen nicht sicher, ob es das richtige war. Der einzige im Raum der sich einer glücklichen Zukunft gewiss wähnte war Amaro de Varro, fast fünfzehn Jahre alt und frisch ausgesöhnt mit einem Teil seiner Eltern. Da konnte das Leben doch nur besser werden. "Amaro, ich würde sehr gerne auch zu deiner Geburtstagsfeier kommen, wenn du magst. Und... gibt es irgendwas, was du dir wünschst?" „Natürlich Onkel, ich würde mich freuen! Und ich glaube es gibt nichts was du mir schenken könntest. Außer du hast eine Art Zauberstab um Mütter dazu zu bringen weniger streng mit ihren fast erwachsenen Söhnen zu sein.“ Er lachte belustigt, auch als seine Mutter ihn mit einem lauten „Hey““ neckisch in die Seite knuffte und anschließend noch zur Strafe seine Lockenpracht durcheinanderbrachte, bis er aussah wie ein aufgeplatztes Kissen. Doch er wehrte sich nur spielerisch gegen die Angriffe seiner Mutter. Zusammen wirkten die beiden wie spielende Kinder und man merkte ihnen an wie glücklich sie waren, dass etwas was vorher zwischen ihnen Stand plötzlich verschwunden war. Tiron de Varro musste beinahe schlucken, so anrührend war die spielerische Eintracht zwischen Mutter und Sohn. "Ich fürchte, einen solchen Zauber gibt es nicht. Und wenn, dann verfüge ich nicht über diese Macht. Was ich dir anbieten könnte ist eine kleine Flucht vor dem Drachen... ähm, pardon, ich wollte was anderes sagen. Wie klingt jedenfalls ein paar Flaschen Wein und etwas ordentliches zu essen und ein Abend unter Männern?" Hildegard de Varro tat beleidigt und zeigte ihre beste Interpretation eines Schmollmundes, während sie ihren Sohn auf die Frage seines Onkels antworten lies. „Na das ist doch mal ein Angebot auf das ich gerne zurückkommen werde Onkel!“ richtete dieser das Wort an Lord de Varro, nicht ohne einen belustigten Blick auf seine Mutter zu werfen, die er nicht so locker und amüsant in Erinnerung hatte, soweit er zurückdenken konnte. Er bedeutete seinem Onkel mit einer Geste sein Erstaunen über die witzige Einlage seiner Mutter, die jetzt mit gespielter Entrüstung den Kopf zur Seite warf und weiter schmollte. „Hast du sie so schonmal erlebt Onkel?“ fragte er Tiron de Varro und genehmigte ihnen allen noch etwas von dem Wein, bis die Flasche geleert war. Tiron de Varro legte die Hand ans Kinn und verzog das Gesicht zu einer übertrieben nachdenklichen Grimasse. "Die Wahrheit in allen Ehren, Amaro, aber wenn du wüsstest..." Dabei griff er nach der leeren Flasche, legte sie kurz auf den Tisch und gab ihr einen Stoß, so dass sie sich drehte. Aber noch bevor die Drehbewegung zur Ruhe kam, fing er sie wieder und stellt sie ordentlich zur Seite. "Kurz gesagt: ja, und noch schlimmer." Hildegard brach schlagartig in lautes Gelächter aus, als sie erkannte auf welche längst vergangene Anekdote Tiron anspielte. Sie stützte die Hände auf die Knie, bis der Lachanfall nachließ und versuchte dann ihrem völlig entgeisterten Sohn zu erklären, dass sie ihm das vielleicht irgendwann mal erklären würde. Dann, wenn er einmal alt genug wäre, setzte sie dahinter und zwinkerte Tiron verschwörerisch zu. Tiron de Varro stimmte in das Lachen mit ein und meinte, als Hildegard Amaro versprach ihm das irgendwann zu erklären "Und wann genau soll das sein? Wir sind heute noch nicht alt genug, um darüber zu reden, meine Liebe." Das war ihm nur so herausgerutscht und er beruhigte sich gleich damit, dass es ja auch als vertrauliche Anrede gelten mochte. Nicht als das, was er gesagt hatte. Die so angesprochene kicherte nur.. Also war es an Amaro in gespielter Schmollhaltung auszuharren und sich über seine gackernde Mutter und ihren Mitverschwörer zu beschweren. Doch er beschloss diesen Abend als guten Aufbruch zu betrachten und sich das Bild seiner kichernden Mutter genau einzuprägen um sie immer so in Erinnerung behalten zu können. „Aber setz dem Jungen keine Flausen in den Kopf an dem Abend! Und untersteh dich...ach, pass einfach auf was du ihm erzählst Tiron de Varro!“ ermahnte Hildegard ihren Schwager neckisch und mit erhobenem Zeigefinger, den sie in einer gespielten Drohung vor sein Gesicht hielt. Sie hoffte ihn gut genug zu kennen um einschätzen zu können, dass er ihrem Sohn nichts erzählen würde, was dieser wirklich besser nicht wissen sollte. Amaro hingehen wurde tatsächlich neugierig durch die Andeutungen, auch wenn er sich nicht im Traum hätte vorstellen können, von was für einer Begebenheit sein Onkel sprach und welche Rolle seine Mutter dabei gespielt hatte. Damals, vor vielen Jahren, als die beiden noch jung und unverheiratet waren... Jung waren sie heute beide nicht mehr, aber unverheiratet immerhin einer von ihnen. Tiron bedachte den Finger, der vor seiner Nase geschwenkt wurde, mit einem müden Lächeln. Immerhin war er erwachsen und ein Lord, da musste man keine Angst mehr haben, wenn einem mit dem Finger gedroht wurde. "Oh, Amaro ist doch schon fast erwachsen, der wird die Wahrheit vertragen", zwinkert er dann zurück. „Lord de Varro, unterstehen sie sich!“ entrüstete sich Hildegard und stütze in einer übertriebenen Geste die Hände in die Hüften. „Ihr seid aber auch unfair!“ brüskierte sich Amaro „Erst so viele Andeutungen machen und dann nicht mit der Sprache rausrücken wollen.“ Er schlang in einer eleganten Bewegung, die er nur von seinem Vater geerbt haben konnte, die Beine übereinander und schlug vor eine weitere Flasche Wein aus dem Keller zu holen. Tiron de Varro lachte Hildegard für ihre gespielte Entrüstung freundschaftlich aus, schob dann aber seinen Stuhl zurück. "Für mich nicht mehr, fürchte ich. Ich muss langsam aufbrechen, immerhin bin ich ein bisschen zu alt dafür, im ersten Frühlicht nach Hause zu kommen", meinte er zu Amaro "Aber ich bin sicher, ihr schafft die Flasche auch ohne mich." „Warte Tiron, ich meine natürlich Lord de Varro“ Hildegard sprang lachend von ihrem Stuhl auf und vollführte einen ungalanten Knicks vor ihrem adligen Besuch. „Ich geleite euch noch zur Tür!“ und sie hakte sich freundschaftlich bei ihm unter und bedeutete ihrem Sohn sich anständig von seinem Onkel zu verabschieden. Dieser verbeugte sich mit ausgesuchter Eleganz und klopfte seinem Onkel dann einfach wohlwollend auf die Schulter. „Vielen Dank für deinen Besuch Onkel. Und vergiss nicht deinen Mantel.“ Er reichte den von Tiron de Varro ordentlich gefalteten und über die Stuhllehne gehängten Kurzmantel rüber. „Ich freue mich darauf dich zu meinem Geburtstag wiederzusehen.“ „Danke, Amaro.“ die zwei Gläser Wein bewirkten immerhin, dass er entspannt blieb, obwohl er sich Hildegards Nähe an seiner Seite sehr bewusst war. Und da man an Amaros Frisur nach dem Übergriff seiner Mutter ohnehin nichts mehr retten konnte, wuschelte er seinem Neffen auch kurz wohlwollend durch die Locken „Ich freue mich auch. Pass mir gut auf deine Mutter auf.“ meinte er noch, bevor er sich von Hildegard zur Tür begleiten ließ.Sie verließen die Stube Richtung Haustür, während Amaro, ganz der Goldjunge seiner Mutter, schon das Geschirr zusammenräumte und überlegte, ob er wirklich noch eine Flasche Wein nur für sich und seine Mutter holen sollte. Hildegard ließ Tiron erst an der Haustür los und griff zum Abschied nach seinen Händen und drückte diese freundschaftlich. „Vielen Dank für deinen Besuch Tiron. Bitte pass auch du auf dich auf und komm heil nach hause. Mögen die Götter deine Wege beschützen. Und dass du ja bald wiederkommst!“ sie zögerte seine Hände loszulassen und lächelte ihn noch einen Moment an, bevor sie ihn gehen ließ. Dann überlegte sie es sich anders, umarmte ihn kurz und wollte sich dann schnell wieder auf Abstand fallen lassen. Doch als sie ihn umarmte, schloss Tiron die Arme um sie und schien nicht gewillt, sie sofort wieder loszulassen. Wenigstens diesen einen Moment auf der Schwelle kostete er aus, hielt sie fest und senkte den Kopf gerade soweit, dass er den Duft ihrer Haare einatmen konnte. Starke Arme, ein warmer, sicherer Ort, aber eben nicht ihr angetrauter Ehegatte. "Es war schön, dich wiederzusehen", meinte er, als er sie schließlich losließ. "Ich bin spätestens zu Amaros Geburtstag wieder da. Und wenn ich dir irgendwie helfen kann, egal womit, wenn du irgendetwas brauchst, lass es mich wissen." „Hab Dank Tiron. Für alles“ Das Sternenlicht glitzerte in ihren Augen, als sie ihm sanft über die Wange strich und noch einen Moment in der Tür stehend zurückblieb, während er den Weg zum Stall einschlug um seinen Heimweg anzutreten. Als sie begann in der Nachtluft zu frösteln schloss sie nachdenklich die Tür und ging zurück zu ihrem Sohn in die geheizte Stube. Kapitel 4: Wiedersehen der Brüder --------------------------------- „Narsil! Schön, dass du es geschafft hast.“ Lord Tiron de Varro erhob sich von seinem Platz und ging seinem Bruder entgegen. „Tiron, meine Güte! Ich dachte schon, das sei ein Scherz. Es ist... ewig her!“ '15 Jahre', dachte Tiron, als er seinem Bruder auf Armeslänge gegenüber stand. '15 Jahre und er hat sich so wenig verändert.' Narsils Haar war noch immer dunkel, seine blauen Augen leuchteten und auf den Lippen lag die Andeutung eines Lächelns, das in Gedankenschnelle gewinnend aufblitzen konnte. Und Narsil schien, wie Tiron mit Erstaunen und ein bisschen Neid feststellte, weniger befangen als er. Er schien sich über die Einladung, die sie in diesem Gasthaus zusammengebracht hatte ernsthaft zu freuen. Aus einem Impuls heraus machte Tiron noch einen Schritt nach vorne und umarmte seinen Bruder. Als er zurücktrat, strahlte der Barde über das ganze Gesicht. „Heißt das, du hast mir meine Hochzeit endlich verziehen?“ „Nein“, Tirons Antwort brachte kurzzeitig einen Ausdruck des Entsetzens auf Narsils Gesicht, der aber rasch gemildert wurde, als Tiron fortfuhr: „Aber du bist mein Bruder. Irgendwie wird sich daran nie etwas ändern.“ Mit einer einladenden Geste bat er Narsil an den Tisch, den er in dem Gasthaus, also auf neutralem Boden, reserviert hatte. Wein und Essen wurden bestellt, was Tiron kurzzeitig an seine Begegnung mit Amaro erinnerte und die Zwillinge sprachen eine Weile über andere Dinge, bevor Tiron das Gespräch behutsam wieder auf Narsils Ehe lenkte. Der Besuch bei Hildegard hatte ihm endgültig bestätigt, dass die Ehe seines Bruders nur noch auf dem Papier bestand. Und Tiron de Varro hatte den festen Vorsatz gefasst, auch das noch zu ändern. „Weißt du, ich hätte nie gedacht, dass du tatsächlich 15 Jahre mit einer Frau zusammen bleibst. Du warst sonst immer so auf deine Unabhängigkeit bedacht.“ „Ich wollte Amaro eben ein guter Vater sein.“ Tiron nickte. „Das war wirklich sehr anständig von dir . Und jetzt, wo der Junge aus dem Gröbsten raus ist, kannst du ja auch wieder ein bisschen streunen.“ Die beiden grinsten sich über den Tisch hinweg an. Ein bisschen war untertrieben, aber Tiron hatte sehr darauf geachtet, dass seine Worte nicht wie ein Vorwurf klangen. Narsil war eben so, er brauchte seine Freiheit. Das wusste er und das wusste letztendlich auch Hildegard, ob es ihr nun weh tat oder nicht. „Hildegard nutzt das sicher auch, oder?“ Narsil zuckte mit den Schultern. „Ich glaube nicht. Irgendwie läuft es in letzter Zeit auch nicht so gut. Hilde sieht einfach nicht ein, dass ich meine Freiheit brauche, dass ich das nicht für immer aufgeben kann. Ich brauche einfach Luft zum Atmen, verstehst du?“ Tiron nickte mitfühlend. Er würde nie nachempfinden können, was Narsil meinte, aber er wusste, dass es für Narsil stimmte. Für ihn selbst war Hildegard die Luft zum Atmen. „Ja, sicher. Du brauchst deine Freiheit und eigentlich sie ihre auch, ja? Ich frage mich wirklich... obwohl, nein, so etwas wäre auch nicht gut.“ Narsils fragender Blick hätte Tiron beinahe ein Lachen abgerungen. Trotzdem führte er mit ernster Miene weiter aus: „Es ist ja für Kinder nie gut, wenn die Eltern sich trennen, ihr müsst beide auch an Amaro denken.“ „Tiron, ganz ehrlich, ich glaube, das wäre sogar besser für Amaro. Besser jedenfalls als wenn seine Mutter und ich so oft streiten. Der Junge ist ja kein kleines Kind mehr, er versteht das schon. Wenn ich zehn Jahre jünger wäre, dann wäre ich schon weg.“ „Oh komm schon, Narsil, du hast doch selbst die Zeit um den Finger gewickelt!“, kommentierte Tiron das Aussehen seines Bruders, der sich mit einer angedeuteten Verbeugung bedankte. „Dir steht Grau ja auch besser als mir. Aber ernsthaft, Tiron: Es ist zwar romantisch, einen Sommerregen unter den ausladenden Ästen einer Eiche abzuwarten, während man mittellos und ungebunden durchs Land zieht, aber in unserem Alter, mein Lieber, ist es auch nass und ziemlich kühl. Und ich will weder Hildegard noch Amaro zu sehr zur Last fallen.“ Tiron dachte einen Moment nach. „Du bist natürlich eine persona non grata, Narsil...“ - „Na besten Dank!“ - „Bitte, bitte. Daran kann ich nicht zu viel ändern. Aber als Oberhaupt der Familie sehe ich nicht ein, warum ich meinen Bruder oder meinen Neffen, deinen Sohn, noch länger bestrafen sollte... vor allem nicht, wenn du ohnehin vorhast, dich von Hildegard zu trennen. Habe ich das richtig verstanden?“ Narsil stockte kurz. „Vielleicht“, meinte er dann gedehnt und versuchte in Tirons Gesicht zu lesen, was dieser dachte. Aber die Miene des Lords war wie in Stein gehauen. „Wenn ich mich also scheiden ließe, Tiron, was dann?“ „Ich würde Vaters Entscheidung, dich anlässlich deiner Hochzeit zu enterben zurücknehmen. Du müsstest natürlich auf den Titel und alles Land verzichten, als persona non grata, aber ich würde dir deinen Erbteil auszahlen. Du wärst unabhängig und Amaro... wäre, wenn ich das richtig sehe, sogar der Erbe.“ Narsil staunte nicht schlecht, aber so langsam kam ihm doch der Verdacht, dass Tiron ihm etwas verschwieg. „Was hast du davon?“ Sein Zwilling lächelte, ein bisschen schief und ein bisschen resigniert. „Das Gefühl, dich wieder als Bruder zu haben. Und, vergib einem alternden Narren, aber zumindest die Möglichkeit, noch einmal um Hildegard zu werben.“ „Und deshalb versuchst du, mich zu bestechen?“ Narsils eher amüsierter als entrüsteter Tonfall gab Tiron Grund zur Hoffnung. „Und deshalb mache ich dir einen Vorschlag, der für alle Beteiligten Vorteile bringt. Denk darüber nach.“ „Weiß Hildegard davon?“ Tiron schüttelte den Kopf. Das wäre ihm wie Verrat an seinem Bruder vorgekommen, eine solche Idee auch nur ansatzweise vorher mit Hildegard zu besprechen. „Nein, ich wollte erst mit dir sprechen. Und... das ist vermutlich auch nicht, was sie von mir erfahren sollte, meinst du nicht auch?“ Kapitel 5: Scheiden tut weh --------------------------- Die Aussöhnung Amaros mit seinem anderen Elternteil ließ leider ein wenig länger auf sich warten. Narsil de Varro tauchte zwar nur wenige Tage später überraschend in seinem eigenen Zuhause auf, doch sein Sohn war zu diesem Zeitpunkt leider in Weyersdorf. Die Geschäftsbriefe seiner Mutter enthielten ein paar zu klärende Angelegenheiten, die Amaro allerdings anbot für seine Mutter zu erledigen, da ihre Anwesenheit nicht unbedingt erforderlich war und er sie nicht die ganze Strecke zu Fuß zurücklegen lassen wollte. Amüsiert und erfreut über die nicht zuvor gekannte Ritterlichkeit ihres Sohnes ließ sie ihn gewähren. Sicherlich würde es ihm auch nicht schaden noch einmal ein wenig mit Erlaubnis rauszukommen und seine Familie in Weyersdorf zu besuchen. Schließlich hatte er dort auch einige fast gleichaltrige Cousins und Cousinen die er sicher gerne sehen wollte. Hildegard de Varro hatte einige Zeit gehabt sich die Ereignisse der letzten Tage durch den Kopf gehen zu lassen, aber klarer sah sie nicht. Sie hoffte einfach auf eine schnellstmögliche Klärung mit ihrem Ehemann und eine glücklichere Zukunft für sie alle, die von dem schönen Abend mit Tiron de Varro und ihrem Sohn eingeläutet sein sollte. So dürften alle ihre Tage enden, dachte sie. Doch seit Tiron und jetzt auch ihr Sohn weg war, saß sie abends allein zuhause und wartete sehnsüchtig auf Narsils oder Amaros Rückkehr, je nachdem wer von ihren beiden Männern schneller den Weg zurück zu ihr fände. Narsil de Varro ließ tatsächlich überraschend kurz nur auf sich warten, aber auch Narsil hatten die letzten Tage viel Stoff zum Nachdenken gegeben. Auf der einen Seite hatte er ausgezeichnete Laune wegen der in Aussicht gestellten Versöhnung mit seinem Bruder - verflucht, ihm war gar nicht bewusst gewesen, wie sehr ihm Tiron gefehlt hatte - zum anderen mischten sich darin aber auch Zweifel. Fünfzehn Jahre war er mit Hildegard verheiratet, aber es stimmte, die Luft war raus. Ohne spektakulären Auftritt kam der Weltenbummler also heim, brachte das Pferd in den Stall und spazierte ins Haus. Hildegard saß mal wieder alleine in der Küche, wo sie sich bereits einen kleinen Platz eingerichtet hatte. Dort konnte sie schnell frischen Tee aufsetzen und bei Kerzenlicht noch Briefe lesen und schreiben. Vor allem wenn sie alleine war, fand sie es weniger unangenehm in der kleinen Küche zu sitzen, als die ganze Stube für sich allein zu beanspruchen. Sie nippte an ihrem bereitgestellten Glas Wein und besah sich noch einmal die letzten Korrespondenzen, als sie die Haustür zuschlagen hörte. Sie hob den Kopf und entschied sich Papier Papier sein zu lassen und zur Tür zu eilen um nachzusehen. Wer auch immer da käme, würde sich sicherlich über ihre Begrüßung freuen. „Narsil? Oh, wie schön, dass du wieder da bist!“ und sie fiel ihrem Mann um den Hals und drückte ihn kurz an sich. „Hat Tiron dich gefunden?“ Mit wem auch immer sie gerechnet haben mochte, jetzt musste sie wohl mit ihrem Gatten Vorlieb nehmen, der im Flur stand und gerade mit einer eleganten Bewegung Mantel und Hut ablegte. Dann hatte er auch schon Hildegard am Hals und wunderte sich ein bisschen, dass diese so schnell im Flur war. Hatte sie jemand anderen erwartet? Aber den Gedanken schob er gleich wieder von sich, drückte Hilde kurz und trat dann einen Schritt zurück, um sich das Wams gerade zu ziehen. "Ja, ich bin wieder da und ja, Tiron hat mich gefunden - weiß der Himmel, wie." Hildegard de Varro kicherte. „Das ist schön! Dann hat er dir sicher auch ausgerichtet, dass es mir leid tut und ich gerne noch einmal mit dir über alles sprechen möchte.“ Sie lächelte ihren Ehemann freundlich an und berührte ihn sanft am Arm. „Und diesmal ganz in Ruhe, ohne Vorwürfe, okay?“ Sie drehte sich um und machte einen Schritt zurück ins Haus hinein. „Ich habe mir vorhin eine Flasche Wein aufgemacht, möchtest du auch welchen? Oder vielleicht etwas frischen Tee?“ „Wein wäre ganz wunderbar... „ Narsil war froh, dass Hildegard in dem Moment, in dem sie ihm voran in die Küche ging, seinen Gesichtsausdruck nicht sehen konnte. Nein, davon hatte Tiron absolut nichts erwähnt. Und eigentlich sah das seinem Bruder nicht besonders ähnlich. “Ja, sicher hat er das gesagt. Glaube ich. Wir haben über so viel geredet, du weißt ja, nach all der Zeit“ fuhr er aber in überschwänglichem Plauderton fort „Ich war auch total überrascht, als Tiron eines Tages plötzlich hier in der Tür stand, das kannst du mir glauben!“ gab seine Frau lachend mit einem Blick über die Schulter zurück. „Aber es freut mich unaussprechlich, dass wir diesen alten Streit endlich beilegen können. Amaro ist auch überglücklich.“ In der Küche angekommen schenkte sie ihrem Mann ebenfalls ein Glas Wein ein. „Und, sollen wir uns in die Stube setzen, oder hierbleiben?“ Sie sah ihn mit einem freundlichen Lächeln und ihren Bernsteinaugen an, die im Kerzenlicht so warm leuchteten. „Wir können es uns ja ruhig gemütlich machen. Ich hoffe ja, dass wir es diesmal schaffen nicht direkt wieder zu streiten. Ich werde mir zumindest Mühe geben!“ schwor sie mit erhobener Hand und gespielt ernstem Blick. „Vielleicht die Polsterbank, was meinst du? Ich glaube wir haben lange nicht mehr zusammen dort gesessen.“ „Ganz, wie du möchtest.“Narsil ließ ihr mit einer eleganten Verbeugung den Vortritt, die aber vor allem dazu diente, seine Bestürzung zu überspielen. Hildegard schien ja gerade, beflügelt von Tirons Besuch, alles an eine große Aussöhnung zu setzen und er trug sich mit ganz anderen Gedanken. Und wusste auch, dass er derjenige sein würde, der ihre Hoffnungen auf eine glückliche Zukunft zunichte machen würde, egal, was er tat. Sagte er heute nichts, würde sein nächster "Ausflug" sie nur wieder verletzen, selbst wenn sie sich noch so viel Mühe gab. „Ja, es hat gut getan, mit Tiron zu sprechen. Auch über die guten alten Zeiten und all das...“ Hocherfreut und voller Optimismus verließ Hildegard, gefolgt von Narsil, die Küche und machte es sich mit angezogenen Füßen und dem Glas Wein in ihrer Hand bequem auf der gepolsterten Bank. Sie schaute ihren Ehemann erwartungsvoll an. „Irgendwie hat Tiron mit seinem ersten Schritt neuen Wind herein geweht, denke ich. Und ich dachte, wenn selbst dort etwas passiert und die Fronten sich öffnen, dann könnten wir beide vielleicht auch etwas neues schaffen. Ich weiß, dass Amaro ebenfalls sehr unter unseren ewigen Streitereien leidet und ich, um einmal ganz offen zu sprechen, mich nimmt es auch sehr mit. Ich weiß, dass lasse ich mir nicht unbedingt anmerken...“ und sie legte ihre Hand vorsichtig auf den Arm ihres Mannes „ich weiß durchaus Narsil, dass ich dich auch von mir weg treibe. Und das will ich einfach nicht. Und ich wäre froh, wenn wir eine Lösung finden könnten.“ Sie endete ihren Monolog in der Hoffnung, dass ihr Ehemann ihr beipflichten würde und sie endlich den Stein ins Rollen gebracht hätten. Narsil de Varro stimmte ihr voll und ganz zu. "Vielleicht hast du Recht und es ist tatsächlich Zeit, etwas wirklich Neues anzufangen, Hildegard. Ich merke ja auch, dass Amaro darunter leidet, dass wir so oft streiten und ich weiß, dass es keine Lösung ist, wenn ich nicht heimkomme, damit wir nicht streiten." Er seufzte leise, stellte das Weinglas kaum angerührt bei Seite und legte seine Hand auf Hildegards. "Und ich weiß jetzt auch, wie sehr ich dir damit Unrecht tue. Du hast alles Recht, mir Vorwürfe zu machen, du bist schließlich diejenige, die sich um alles kümmert, die so viel von ihrer Freiheit geopfert hat für diese Familie..." Hildegard bekam glänzende, feuchte Augen bei dieser Ansprache und drückte die Hand ihres Ehemannes, doch Narsil de Varro versuchte, sich von Hildegards feuchten Augen nicht beirren zu lassen. Letztendlich, versuchte er sich selbst zu überzeugen, tat er das Richtige. Sie als Heilerin würde das verstehen. Besser ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende. "Ich bekomme so viel mehr Verständnis von dir, als ich verdient habe und ich kann dir nicht genug dafür danken. Wirklich." Er drückte ihre Hand und sah ihr, plötzlich sehr ernst, tief in die Augen "Du weißt, dass ich mich anders verhalten würde, wenn ich könnte, oder?" Hildegard schluckte und drehte sich langsam näher zu ihm hin. „Ich...ich denke, ja.“ stimmte sie zögerlich zu. „Und ich sehe langsam ein, dass ich dir wirklich viele Vorwürfe gemacht habe und dich womöglich zu sehr unter Druck gesetzt. Aber ich denke, dass wir es auch anders schaffen können, wenn wir wollen. Ich... ich dachte daran wie schön es am Anfang mit uns war.“ Sie blickte traurig zu Boden, schluckte und fuhr sanft mit dem Daumen über Narsils Handrücken. „Wir waren früher mal sehr glücklich Narsil. Wir können die Zeit nicht einfach zurückdrehen, das weiß ich. Aber können wir nicht irgendetwas tun? Irgendetwas, dass uns zurückbringt auf den Weg und wir wieder Glück miteinander empfinden? Ich versuche in Zukunft verständnis- und rücksichtsvoller zu sein.“ Sie machte eine kurze Pause und setzte dann leise hinterher „Aber ich würde mich auch freuen, wenn wir wieder mehr Zeit miteinander verbringen könnten.“ Sie stockte und sah ihrem Mann fragend in die Augen. „Ich habe auch daran gedacht. Wir können die Zeit nicht zurückdrehen, aber das heißt nicht, dass wir nicht jeder glücklich sein können.“ Einen Moment noch sah er ihr in die Augen, dann schlug er den Blick kurz nieder. Als er wieder aufblickte, lächelte Narsil amüsiert „Ich glaube nicht, dass du noch verständnisvoller sein könntest, Hildegard. Du reißt dir ja so schon ein Bein aus.“ Dieser ehrlichen Feststellung konnte Hildegard nur mit einem schiefen Lächeln begegnen. „Naja... „ Sie seufzte. „Ich versuche mir wirklich Mühe zu geben, Narsil.“ „Ich weiß, ich weiß...“ Er hob die Hand seiner Frau kurz an die Lippen. „Und es ist mehr als überfällig, dass ich dir diese Bürde abnehme. Amaro wird bald fünfzehn, er ist fast erwachsen und du musst nicht mehr den ganzen Tag auf ihn aufpassen.“ Hildegard de Varro blinzelte ein paar Tränen weg, drückte die Hand ihres Mannes und lehnte sich spontan vor, um ihm einen Kuss zu geben. Etwas, was sie schon viel zu lange nicht getan hatte. Aber er hatte es jetzt mit Sicherheit verdient. Narsil de Varro fing den Kuss mehr oder weniger ab, indem er Hildegard in seine Arme zog aber so, dass ihr Kopf an seiner Schulter zu liegen kam. So ganz lief das nicht, wie er sich das vorgestellt hatte. Da half offenbar wirklich nur ein sauberer Schnitt. "Du hast etwas besseres verdient, als Tag für Tag auf einen Mann zu warten, der es einfach nicht schafft, an einem Ort heimisch zu werden. Vielleicht.... ist es besser, wenn wir uns trennen", murmelt er in ihr Ohr und wappnete sich gedanklich schonmal auf den Ausbruch. „Vor Schrecken blieb Hildegard die Luft weg. Hatte sie da gerade richtig gehört? Das konnte doch nicht sein Ernst sein, oder? Sie redeten doch von Versöhnung, nicht von Trennung. Oder? Sie blinzelte ein paar Momente mit den Augen, bevor sie tief Luft holte. Vielleicht hatte sie sich das nur eingebildet. Sie musste ihn Fragen. „Was hast du gesagt?“ kam es aus ihrem Mund, als würde dieser gar nicht ihr gehören. Genauso wenig wie diese Ohren oder diese belegte Stimme. Alles war ihr fremd. Narsils Schulter hob und senkte sich einmal unter ihrem Kopf, als er tief durchatmete „Ich habe gesagt, dass es besser wäre, wenn wir getrennte Wege gehen, Hildegard. Wenn wir diese Verpflichtungen lösen, die mich zwingen, ein schlechtes Gewissen zu haben für Dinge, die ich nicht ändern kann und die dich zwingen, hier zu sitzen und zu warten und dich zu Recht zu grämen und die außerdem nur dazu führen, dass unsere dauernden Streitereien unserem Sohn das Leben hier verleiden.“ Sie schluchzte auf und schloss die Arme um ihren Mann, schmiegte sich an seinen Hals, atmete seinen vertrauten Geruch ein und weinte. Narsil de Varro legte behutsam die Arme um Hildegard und ließ sie sich ausweinen, streichelte dabei ab und zu über ihre Haare und die bebenden Schultern und schaute vor sich ins Leere. Irgendwann versiegten die Tränen und ihr brannten einige Fragen auf dem Herzen, die sie Narsil am liebsten alle gleichzeitig gestellt hätte. Sie schniefte und wischte sich die letzten Tränen weg, bevor sie ihrem Ehemann ins Gesicht sah. „Narsil.. diese Entscheidung ist endgültig, oder? Egal was ich sage, ich werde dich nicht umstimmen können? Ich meine...wir sind einen Bund eingegangen, vor Menschen und Göttern. Und du hast mir deine Liebe gestanden, damals. Wir haben einen gemeinsamen Sohn. Ich trage deinen Namen und deinen Ring, ich... „Sie schluchzte noch einmal kurz auf, fasste sich dann aber wieder. Noch einmal sog sie tief Luft in ihre Lungen und versuchte sich zu entspannen. „Ich kenne nur noch dieses Leben Narsil und ich will kein anderes mehr. Ich kann nicht wie du einfach etwas anderes, neues anfangen. Ich bin zu alt um wieder in mein...voriges Leben zurückzukehren. Und unser Sohn ist zwar fast alt genug, kann aber keineswegs schon alleine für sich sorgen, das weißt du auch. Er kennt das Leben da draußen nicht, so wie wir es tun.“ Umso mehr sie sagte, umso schneller sprudelte jetzt alles aus ihr heraus. „Es scheint mir wirklich das Beste - für uns alle.“ Er streckte die Hand aus und wischte ein paar Tränenspuren von Hildegards Wange „Und es heißt ja nicht, dass ich auf nimmerwiedersehen verschwinde. Es heißt, dass du nicht warten musst., dass wir einander zu nichts mehr verpflichtet sind. Wir haben beide alles getan, was wir konnten. Vielleicht hat es einfach nicht gereicht. Und du bist stärker als du glaubst, du findest einen Neuanfang!“ versichert er ihr dann. „Manche Dinge ändern sich nicht.“ Dabei musste er an etwas anderes denken und bemühte sich vergebens, nicht zu grinsen. Hildegard begriff sein Grinsen als Aufmunterungsversuch und gab sich Mühe es zu erwidern, konnte aber nicht so recht. „Ich..ich weiß nicht Narsil. Aber...“ und sie suchte nach Argumenten, die nicht lauteten 'aber mir ist nicht wohl dabei, ich will, dass du bei mir bleibst' Denn das, soviel wusste sie, war kein wirkliches Argument und würde ihn auch nicht überzeugen. Sie gestikulierte ein wenig unmotiviert und ließ dann die Arme hängen, zog die Beine wieder näher an sich und senkte den Blick auf ihre Knie. Sie brauchte jetzt einen Moment um sich zu sammeln. Narsil de Varro ließ ihr Zeit, Zeit Argumente zu finden und zu verwerfen, Zeit sich mit der Situation anzufreunden. Aber letztendlich hatte sie Recht gehabt, seine Entscheidung war gefallen. Sie legte die Arme um ihre Beine und sah zu ihrem angetrauten Ehemann herüber. Ob sie ihn überhaupt mit Argumenten würde umstimmen können? Er wirkte sehr überlegt und hatte diesen Entschluss sicher nicht erst gerade eben gefasst, dachte sie. Ob sie vielleicht...? „Narsil..?“ „Ja?“ Der Barde hob den Kopf und sah zu ihr herüber. Am liebsten wäre er dem Gespräch ausgewichen oder jetzt verschwunden, aber da musste er durch und das würde er auch bis zum letzten Wort durchstehen. Wenigstens soviel war er Hildegard ja wohl schuldig. „Würdest du mich nochmal festhalten. Bitte?“ Sie sah ihn leidend aus tränenfeuchten Augen an und hoffte, dass er ihr diesen Wunsch nicht abschlagen würde. Narsil de Varro schluckte schwer und zog Hildegard dann in seine Arme, wiegte sie leicht vor seiner Brust hin und her, wie man ein weinendes Kind halten würde. "Es tut mir so leid, Hildegard", wisperte er in ihre Haare und das war noch nicht einmal gelogen. Sie schlang noch einmal die Arme um ihn, hinterließ einen feuchten Kuss und einige Tränen an seinem Hals und begann Abschied zu nehmen. Abschied von ihrer Familie, ihrem Leben und dem Mann den sie vor mehr als 15 Jahren geheiratet hatte. Die nächsten Tage verbrachten sie zusammen in einer seltsamen Stimmung, die geprägt war von nostalgischen Anekdoten, kurzen Intermezzos einträchtiger Freundschaft und immer wiederkehrenden Weinanfällen seiner Frau. Doch Narsil de Varro bewies, dass er kein schlechter Mensch war und man sich durchaus auf ihn verlasse konnte, nur eben nicht als treusorgenden Familienvater. Er wollte seine noch-Ehefrau nicht im Stich lassen und es ihr alleine überlassen ihrem Sohn von der Trennung zu erzählen. Also hielt er durch und stand es gemeinsam mit ihr durch, auch wenn es bedeutete, dass er sie immer wieder trösten und Aufbauen musste, sie daran erinnern, dass ihr Leben ja nicht vorbei sei und sie sich wiedersehen würden, nur unter anderen Umständen. Im Grunde würden sie seine Familie bleiben, nur ohne die niederdrückenden Verpflichtungen, dachte er. Hildegard de Varro vermisste ihren Mann hingegen schon jetzt. Nicht, dass sie ihn in den letzten Jahren gehabt hätte, abgesehen von dem ehelichen Band, dass sie beide aneinander festhielt. Das war ihr ebenfalls klar. Aber ihr fielen zu Ende nur noch die schönen Dinge ein, was sie an ihrem Mann liebte und was sie vermissen würde. Sie hatte auch versucht herauszufinden, ob die Flamme endgültig erloschen war. Aber als sie ihren Mann küsste wusste sie, dass die Trennung endgültig war. Nichtsdestotrotz stand er ihr jetzt bei und sie plauderten zwischendurch über das eine oder das andere Thema, machten sich lose Gedanken über die Zukunft und wie sie Amaros nächsten Geburtstag jetzt gestalten sollten. Als dieser von seinem Ausflug nach Weyersdorf zurück kam und seiner Mutter von den Erfolgen berichten wollte, fand er seine Eltern ungewohnt einträchtig auf der Polsterbank sitzend vor. Narsil hatte sich seitlich auf dem Polster positioniert und die langen Beine ausgestreckt, ein Arm lag auf der Lehne und der andere streichelte beiläufig das Haar von Amaros Mutter, die mit angezogenen Beinen und einem Glas vor Narsil auf der Bank saß, den Rücken zu ihm gedreht und den Kopf auf seiner Brust abgelegt. Sie schienen jeder für sich ins Leere zu starren und sich dabei leise zu unterhalten. Sie unterrichteten Amaro von ihren Beschlüssen und ihr Sohn nahm die Entscheidung seiner Eltern besser auf, als sie befürchtet hatten, doch alles andere als erfreut. Sie versicherten ihm beide, dass sie ihn liebten und immer lieben würden, völlig unabhängig von der Scheidung. Amaro entschied sich die kommenden Tage vor allem in seinem eigenen Reich zu verbringen und sich zurückzuziehen, wobei ihn seine Eltern gewähren ließen. Sie wollten ihrem Sohn die Zeit lassen sich an den Gedanken zu gewöhnen und dachten sich, dass er schon zu ihnen kommen würde, wenn er wolle. Als der Termin der Scheidungszeremonie feststand, den sie auf Wunsch von Hildegard von einem Geweihten durchführen lassen wollten, fragten sie ihren Sohn, ob er sie zu der Zeremonie begleiten wolle. Er lehnte ab und wirkte dabei so unglücklich, dass seine Mutter ihn erst einmal eine lange Zeit in den Arm nahm, bevor sie das Zimmer wieder verließ. Am Abend wollte Narsil dann einige Zeit mit seinem Sohn verbringen. Nach einer Stunde zusammen hörte Hildegard schon wieder Gelächter von ihren beiden Männern und lächelte beruhigt in ihren Tee. In dieser Nacht kuschelte sie sich tatsächlich nach langer Zeit und vermutlich zum letzten mal im Schlaf an ihren Mann an. Die Scheidung selbst war eine recht kurze, aber traurige Zeremonie. Beide Ehepartner versicherten unabhängig voneinander dem zuständigen Kleriker, dass es eine reiflich überlegte Entscheidung war und im beidseitigen Einvernehmen. Er hörte sich ihre Geschichte an und nickte, band das Paar mit der zeremoniellen Schnur an den Armen zusammen, sprach ein paar Worte zu den Göttern und eventuell anwesenden sterblichen Zuhörern und löste das Band der Ehe dann offiziell auf, zusammen mit dem zeremoniellen Knoten. Am Ende war Hildegard erleichtert, dass sie es hinter sich hatten und bemühte sich optimistisch in die Zukunft zu schauen. Kapitel 6: Familienzusammenführung ---------------------------------- Tiron de Varro hatte tagelang nicht wirklich gut geschlafen, was einer Mischung aus einem schlechten Gewissen und Aufregung geschuldet war. Hatte er Narsil nicht eingeredet, sich scheiden zu lassen? Hätte er Hildegard nicht eher damit geholfen, wenn er versucht hätte ihre Ehe zu retten? War da überhaupt etwas zu retten gewesen? Und er hatte keinen dieser Gedanken zu Ende denken können, ohne dass er am Ende bei einem winzigen Detail des Nachmittags bei Hildegard gestrandet war. Ihre Augen. Ihre Haare. Die Spuren der Tränen auf ihren Wangen. Die Sommersprossen, ihr Lachen. Hildegard von Weyersdorf beherrschte seine Träume wie sie das seit Jahren nicht mehr getan hatte und Tiron ertappte sich förmlich dabei, wie er grundlos in die Gegend starrte und sich ein Lächeln auf seine Züge stahl. Und an diesem Morgen hatte er es nicht mehr ausgehalten, hatte sein Pferd satteln lassen und sich eingeredet, dass es ganz normal war, wenn man unangekündigt zu einem Spontanbesuch bei seinem Bruder aufbrach. Die erste Zeit ritt er scharf, so dass der Wind ihm um die Ohren pfiff und der Umhang hinter ihm herflatterte, um sich selbst daran zu hindern, nachzudenken und umzudrehen, aber auf dem letzten Stück ließ er den Hengst locker auf der Straße traben und entdeckte um sich herum allenthalben die ersten Anzeichen, dass es jetzt wirklich Frühling wurde. Narsil de Varro hatte selbstverständlich versprochen, auch nach der Zeremonie, die seine Ehe offiziell beendet hat, noch zu bleiben und zu helfen, Amaros Geburtstag vorzubereiten. Außerdem sollte Amaro nicht das Gefühl haben, dass sich sein Vater nach dem Pflichttermin gleich wieder aus dem Staub machte, auch wenn Narsil selbst vorgeschlagen hatte, ab sofort auf der Küchenbank zu schlafen. Und auch wenn Narsil kein überragender Handwerker und Hausmann war, machte er sich doch zumindest nützlich. Ein paar Dachpfannen austauschen oder Balken neu vernageln konnte ja selbst der ewig wanderlustige Barde. Und selbst in Küche und Garten half er zumindest nach Kräften, wenn Hildegard ihm sagte, was zu tun war. Belustigt, aber erfreut über die plötzliche Hilfsbereitschaft ihres geschiedenen Mannes erledigte Hildegard die Reparaturarbeiten in alter Klerikermanier selbst. 'Eine gute Hausfrau hat immer ein paar solcher Sprüche vorbereitet' sagte sie mit einem Zwinkern und übertrug Narsil lieber ein paar Gartenarbeiten. Amaro zog es mal wieder vor den Vormittag alleine zu verbringen, was seine Eltern ihm nicht verübelten. Die Scheidung ging ihm Nahe und die Veränderungen nahmen ihn sehr mit. Er hatte schweren Herzens geholfen das alte Gästezimmer wieder in Schuss zu bringen, damit sein Vater nach der Scheidung dort einziehen konnte und nicht wie ursprünglich befürchtet auf der Küchenbank schlafen musste, doch danach hatte er sich wieder zurückgezogen um all das zu verarbeiten. Seine Eltern hofften derweil, dass er sich bis zu seinem Geburtstag in der nächsten Woche soweit gefasst hatte, dass er trotz allem einen schönen Tag würde verbringen können. Um unangenehme Überraschungsmomente auf Amaros Geburtstagsfeier zu vermeiden, hatte das frisch geschiedene Paar sich dazu entschieden die Geburtstagsgäste wenigstens vorab zu informieren. Am Nachmittag wollten sie gemeinsam ein paar Briefe aufsetzen, sowohl an die Geburtstagsgäste, als auch an andere ihnen Nahestehende und Freunde. Tiron de Varro hatte unterwegs nicht viel Pausen gemacht, nur eine, um eine Kleinigkeit aus dem Brotbeutel zu essen und dem Pferd Gelegenheit zu geben, am Wegrand ein paar grüne Triebe zu knabbern und etwas zu saufen. Entsprechend schnell hatte er die Strecke bis zu Hildegards und Narsils Haus zurückgelegt und kam mit klappernden Hufen auf den Hof geritten. Hildegard de Varro, gerade auf dem Dach ihres Hauses befindlich, sah Tiron zuerst und rief etwas erstaunt zu ihrem geschiedenen Gatten in den Garten hinunter: „Narsil? Dein Bruder ist gerade auf den Hof geritten.“ „Echt? Moment, ich bin sofort da!“ Narsil war nicht allzu böse darum, das Unkraut Unkraut sein zu lassen, warf die kleine Gartenharke mit Schwung ins nächste Beet und wischte sich mit dem halbwegs erdfreien Handrücken eine Strähne aus dem Gesicht, die dem Zopfband im Laufe des Vormittages entkommen war. Dann war er auch schon auf dem Weg ums Haus herum und auf den Hof, wo Tiron mittlerweile abgestiegen war und sich wunderte, wieso er Hildegards Stimme von oben gehört hatte, die Klerikerin selbst aber auf der anderen Seite des Dachfirstes nicht sehen konnte. Und Narsil nutzte die Gelegenheit auch gleich, seinen Bruder herzlich zu umarmen und sich dabei die Hände an dessen Wams abzuwischen - mit einem breiten Grinsen, versteht sich. „Narsil schön dich zu.... sag mal, hackt's?!“ Wurde dieser verdammte Barde eigentlich nie erwachsen? Überhaupt, das war ein gutes Wams, auch wenn Narsil das sicher anders sehen würde, weil bei diesem gute Sachen bunt und mit aufwendigen Stickereien versehen sein mussten, um sich als gut zu qualifizieren. Aber es war ein weicher Wollstoff und eine ordentliche Farbe und jetzt hatte er zwei interessante Erdstreifen auf den Schultern. „Kannst du dir die Hände nicht vorher abwaschen wie jeder normale Mensch? Da steht eine Regentonne, verdammt“ schimpfte der Lord, auch wenn er seinem Bruder, wenn er so breit Grinste, nicht wirklich böse sein konnte. Es war ja nur ein bisschen Erde. Hildegard erwischte sich derweil bei der Frage, ob es in Ordnung wäre ihren Schwager, ehemaligen Schwager... Tiron in Arbeitskleidung begrüßen zu können. Selbstverständlich hatte sie trotz der Fähigkeit per Klerikerzauber auf einer Treppe aus Luft auf das Dach des Hauses steigen zu können darauf verzichtet es ausgerechnet in ihrem besten Kleid zu tun. Sie musste nicht viel tun außer ein paar Zauber dort oben zu sprechen, hatte aber trotzdem vorsichtshalber zu einer alten Hose mit Tunika gegriffen. Die einzigen Gründe für sie heute noch nach ihrer alten Reiseausrüstung zu greifen, waren solche Arbeiten. Sie wischte sich nervös und völlig unnötig die Hände an der Hose ab und schritt dann erhobenen Hauptes über das Dach. Wenn sie es nur mit genug Selbstverständlichkeit täte, würde Tiron sicherlich nicht groß über ihren unpassenden Aufzug nachdenken, glaubte sie. So ging sie bis zum gegenüberliegenden Dachfirst und winkte dann aus einem Impuls heraus doch ganz undamenhaft zu den Männern am Boden herunter. „Hallo Tiron! Was verschafft uns die Ehre? Ach warte, ich komme runter, dann müsst ihr nicht so laut rufen.“ „Hildegard!“ nachdem Narsil ihn so alles andere als förmlich begrüßt hatte, störte sich Tiron überhaupt nicht an der Kleidung, die Hildegard trug. Auch wenn er der Meinung war, dass Kleider mit schwingenden Röcken ihr gut zu Gesicht standen, hatte er sie doch gerade in solcher Reisekleidung kennen gelernt und winkte so gut gelaunt aufs Dach hinauf, wenn auch ein bisschen besorgt, wie sie da jetzt herunter kommen wollte. Und die Ablenkung kam seinem Bruder, der heute zum Frühstück offenbar einen Narren gehabt hatte, gerade recht, um brav zur Regentonne zu schleichen und Tiron von da aus nass zu spritzen. Wenn diser schon so Oberlehrerhaft auf das Wasser verwies... Nur wenige Momente später war Hildegard dank göttlicher Magie wieder auf dem Boden angelangt und fragte die Männer „Sagt mal, was tut ihr da?“ Sie schaute zweifelnd und verschränkte die Arme über der Brust. „Narsil, du benimmst dich wie ein Kind heute.“ Tiron reagierte gerade noch schnell genug. Anstatt sich auf seinen Bruder zu stürzen und diesen in die Regentonne zu stecken, verschränkte er die Arme hinter dem Rücken und während seine Augen Narsil deutlich sagten, dass das ein nasses Nachspiel haben würde, nickte er nur sehr zustimmend zu Hildegards Feststellung. Narsil dagegen lachte, wischte sich die mittlerweile sauberen Hände an der Hose trocken und meinte nur achselzuckend "Ich habe ein bisschen was nachzuholen, oder? Ich durfte meinen allerliebsten Bruder immerhin die letzten Jahre nicht ärgern. Und schau, was aus ihm deswegen geworden ist!" Hildegard de Varro schüttelte nur den Kopf und sagte halblaut, mehr zu sich selbst „Und dieser Mann hat einen fast fünfzehnjährigen Sohn...“ Sie seufzte und ließ die Arme locker. „In Ordnung Jungs, dann schicke ich euch gleich mal einen gleichaltrigen Spielgefährten raus. Ich wollte sowieso gleich anfangen das Mittagessen vorzubereiten. Du isst doch mit, nicht wahr Tiron?“ sie sah ihn fragend an. „Was aus ihm... na warte, Brüderchen.“ Vielleicht sollte er Hildegard doch bitten, Amaro im Haus zu lassen, das würde hier gleich nicht jugendfrei werden. „Ähm, nur, wenn es keine Umstände macht.“ meinte er dann höflich wie eh und je. Immerhin war er unangekündigt erschienen und hatte fast damit gerechnet, den Hof erst nach der Mittagszeit zu erreichen. „Für dich mitzukochen? Das macht mir keineswegs Umstände“ Hildegard lächelte schwach. „Gibt es denn einen bestimmten Grund für deinen Besuch? Oder wolltest du einfach deine Familie so bald wiedersehen? Ich hoffe nur, es treiben dich keine schlechten Nachrichten her. Ich fürchte mehr möchte ich Amaro zurzeit nicht zumuten, deshalb frage ich. Aber so oder so“, sie tat einen Schritt vor und gab Tiron zwei flüchtige Begrüßungsküsse auf die Wangen „willkommen Tiron. Ich denke du bist bereits von Narsil ins Bild gesetzt worden? “ Sie überschlug abermals die Arme. „Ansonsten wird er es sicher jetzt tun, nicht wahr?“ Sie schaute zu Narsil herüber und nickte ihm zu, bevor sie den Hof verließ und ins Haus ging. Tiron de Varro hatte kaum Zeit Hildegard zu versichern, dass er nur gekommen war um zu sehen, wie es ihnen geht, dass es keine schlechten Neuigkeiten gäbe und dass Narsil ihn auch schon in Kenntnis gesetzt hatte, bevor Hildegard im Haus verschwand und die beiden Brüder somit ohne Aufsicht ließ. Das ebenfalls unbeaufsichtigte Pferd knabberte währenddessen ungerührt weiter den Blumenkasten leer, während Narsil Tirons Blick, der zwischen der Regentonne und dem Barden hin und her ging, durchaus bemerkt hatte. Wie auf ein geheimes Kommando warf sich der Barde herum und floh, genau in dem Moment, in dem auch Tiron losstürmte. Es ist eben nicht leicht, seinen Zwilling zu überraschen, auch nach 15 Jahren nicht. "Das kannst du nicht machen. Du musst dich benehmen! Du bist Lord", rief Narsil noch lachend, während er um die erste Ecke des Hauses verschwand. Hildegard verschwand etwa zeitgleich in ihrem Schlafzimmer um sich schnell umzuziehen und dann am Zimmer ihres Sohnes anzuklopfen. „Amaro, hörst du mich? Es ist Besuch gekommen, dein Onkel Tiron ist da. Ich werde jetzt das Mittagessen für uns vorbereiten.“ sagte sie und verzog sich in ihrem deutlich eleganterem Leinenkleid mit passender Schürze in die Küche um ein Mittagessen für sie alle vorzubereiten. Amaro derweil entschied sich ein braver Junge zu sein und seinen Onkel freundlich zu begrüßen, obwohl ihm gar nicht so recht nach Gesellschaft war zurzeit. Außerdem erinnerte die Ankunft seines Onkels ihn nur an das letzte Treffen vor kurzer Zeit, als sie alle noch an Aufbruch und Verbesserung glaubten. Und das nicht im Sinne der Scheidung seiner Eltern. Aber Amaro lastete diese unerwartete Entwicklung nicht seinem Onkel an, er wollte nur einfach nicht daran erinnert werden. Langsam strich er sich die Jacke glatt, warf sie sich über und verließ sein Zimmer. Auf der Suche nach seinem Onkel steuerte er zuerst die gute Stube an und fragte dann doch seine Mutter in der Küche nach dem Verbleib seines Onkels, den er im Haus nicht finden konnte. „Oh, die beiden sind draußen Amaro! Warte, ich lass dich eben durch die Küchentür raus“ Hildegard unterbrach kurz ihre Arbeit um die Tür für ihren Sohn zu öffnen und ihn vorbeizulassen. Dabei erhaschte sie einen Blick auf die erwachsenen Männer, die wie kleine Jungs um das Haus herumtobten. Sie blieb ungläubig wie angewurzelt in der Tür stehen, bis Amaro sich an ihr vorbeidrängte. „Was ist denn los Mutter? Lass mich mal sehen..“ Die Zeiten, in denen Narsil de Varro regelmäßig um sein Leben rennen musste, weil man ihn im falschen Schlafzimmer erwischt hatte, waren vorbei. Selbst zu den Zeiten, in denen er edle Jungfrauen verführt hatte, hatte man ihn selten in flagranti erwischt und mittlerweile war er verheiratet - gewesen - und hatte eher eine hübsche Schankmaid oder eine ansehnliche Witwe beglückt. Und er hatte nicht damit gerechnet, dass Tiron an der Akademie eben auch andere Aufgaben hatte als einen Stuhl warm zu halten. Der Anblick, der sich Amaro bot war also mittlerweile keine Jagd mehr, sondern ein brüderliches Gerangel, bei dem es Tirons erklärtes Ziel war, den zappelnden und sich windenden Narsil zumindest mehr oder weniger weit in die Regentonne zu befördern, während Narsil ganz nach dem Miltonschen Satz "What -if not victory - is still revenge" versuchte, das zu verhindern oder Tiron dabei wenigstens ebenfalls klatschnass zu bekommen. Das alles unter freundlichsten Beschimpfungen, wer ein Windbeutel war und wer einen Besenstiel im Hintern hätte. Plötzlich prustete Hildegard de Varro und hielt sich die Hände vor den Mund, um nicht schallend loszulachen. Das Küchenmesser entglitt ihren Händen und vor Anstrengung liefen ihr Tränen die Wange herunter. Aus irgendeinem Grund schien ihr dieses Schauspiel auf einmal das lustigste zu sein, dass sie jemals zu Gesicht bekommen hatte. Als ihr Sohn sich dann noch fragend nach ihr umdrehte, verlor sie endgültig die Beherrschung und lachte laut los, bis sie nach Luft schnappen musste. Amaro kam sich vor wie der einzige erwachsene Mensch in diesem ganzen Haus. Tiron de Varro schaute zur Tür, als Hildegard anfing zu lachen, drückte dann Narsils Kopf einmal mit Nachdruck unter Wasser und ließ dann los, um seinem Neffen gutgelaunt und triefend zu winken. "Hallo Amaro." Was sagte man jetzt? Es ist nicht so, wie es aussieht, wir haben nicht den Verstand verloren? Oder sowas wie tut mir leid, dass deine Eltern sich scheiden lassen? - Außer, dass nicht?! Zum Glück erlaubten ihm zwei Hände voll Wasser von der Seite einfach nur entrüstet zu gucken, bevor Narsil sich den Zopf auswrang und Tiron kameradschaftlich auf die Schulter schlug. "Verdammt will ich sein, wieso bist du so schnell?" Amaro de Varro zog eine Augenbraue hoch, winkte seinem Onkel ein wenig zögerlich zurück und drehte dann auf dem Absatz um und ging zurück ins Haus. Er hatte seine Schuldigkeit getan und seinen Onkel begrüßt, dachte er. Wenn dieser und seine Eltern meinten nun gemeinschaftlichen den Verstand verlieren zu müssen, dann war es weder seine Aufgabe sie daran zu hindern, noch sein Wunsch irgendwie daran teilzuhaben. Sollten sie doch tun was sie wollten. Das taten sie doch eh immer. Ihn fragte doch sonst auch keiner. Also ging er zurück in sein Zimmer, zog die Tür hinter sich zu und setzte sich mit überschlagenen Beinen auf sein Bett und schlug irgendein Buch auf. 'Theorie der religiösen Praktiken verschiedener Völker und ihr Ursprung, Teil 2... oh Mutter' Amaro seufzte und schlug das Buch wieder zu. Nach wissenschaftlicher Lektüre stand ihm nun wirklich nicht der Kopf. Irgendetwas unterhaltsames musste her. Dabei waren die Zwillinge doch gerade sooo unterhaltsam. Und nass. Ziemlich nass. Noch immer dämlich grinsend und leise lachend kamen die beiden auf die Küche zu, aber Tiron bremste seinen Bruder knapp vor der Tür. So konnte man doch nicht ins Haus. "Hildegard, kannst du uns ein Handtuch oder sowas rausgeben, bitte?" - "und zwei trockene Hemden, ja?" Setzte Narsil hinzu. Narsils Hemden würden Tiron schon noch irgendwie passen. Auch wenn es seltsam war, die beiden zum ersten Mal nach all der Zeit direkt nebeneinander zu sehen. Vor 15 Jahren hatte es gereicht, dass Narsil sich die Haare abschnitt, um wochenlang als Tiron durchzugehen, während dieser mit ungeschnittenen Haaren selbst Hildegard eine Weile hatte täuschen können. Das würde heute nicht mehr funktionieren, dafür hatten die beiden de Varro Brüder zu unterschiedliche Leben gelebt. Trotzdem fielen die Gemeinsamkeiten ins Auge, die Farbe der Augen, das Blitzen darin, wenn sie beide lachten, die Linie des Haaransatzes, der Knochenbau im Gesicht... und die Tatsache, dass beide blinzeln mussten, weil ihnen das Wasser in die Augen lief. Noch immer lachend nickte Hildegard den Brüdern zu und machte sich auf den Weg, um zwei von Narsils Hemden und einige trockene Tücher zu holen. Auf dem Rückweg hatte sie sich bereits wieder einigermaßen im Griff, wischte sich noch ein paar Tränen aus den leuchtenden Augen und reichte den Männern die Tücher durch die geöffnete Küchentür an. „Hier Jungs. Und die nassen Sachen werft ihr am besten direkt hier rein.“ und sie schob einen Waschbottich vor, den sie hinter sich her bis zur Küche gezogen hatte. „Ich habe zwei trockene Hemden für euch hier, ihr könnt euch aber auch gern im Bad komplett umziehen, wenn ihr wollt. Nicht, dass sich noch einer von euch vor Amaros Geburtstag erkältet. Es wird zwar Frühling, aber warm ist es noch lange nicht.“ Tiron de Varro würde schon allein deshalb das Bad vorziehen, weil er nicht vorhatte, sich ausgerechnet vor Hildegard frei zu machen. Das fühlte sich nicht wirklich richtig an. "Danke dir. Wir sind gleich zurück." Notdürftig trocknete er sich die Haare ab, klemmte sich dann das trockene Hemd und das Handtuch unter den Arm und verschwand, gefolgt von Narsil, im Bad. Kurz bevor die Tür zuging, hörte man ihn noch sticheln. "wie, wolltest du nicht die Muskeln spielen lassen..." und ein paar Atemzüge später "Du lieber Himmel, Tiron! Was hast du denn... dreh dich mal um. Meine Güte." Still lächelnd schaute Hildegard ihnen nach, zutiefst dankbar für diese Aufheiterung, die sie aus ihrer schwermütigen Stimmung herausholte. Dieses heiter-unbedarfte war es gewesen, was sie an ihrem Mann immer geliebt und bewundert hatte. Ebenso an seinem Bruder, der schon als sie ihn kennen lernte ein ausgesprochen ernster Bursche war und dennoch so liebenswert treuherzig... Doch was sie glaubte aus Richtung des Bades zu hören, ließ sie kurz stutzen. Ihr Mann, Ex-Mann, klangt ungewöhnlich besorgt. Nach all diesen Jahren kannte sie ihn gut genug, um den Tonfall auch aus einigen Metern Entfernung als einen ernsten identifizieren zu können. Langsam ging sie den Männern nach zum Bad und klopfte zurückhaltend an die Tür. „Ist alles in Ordnung bei euch? Soll ich euch noch etwas holen oder reinreichen?“ "Nein!" Wenn irgendetwas Hildegard noch deutlicher machen konnte, dass es ernst war als Narsils Tonfall, dann die Tatsache, dass dieses Nein unisono von beiden kam und nach einem kurzen Moment hinter der geschlossenen Tür geschäftiges Gemurmel einsetzte. Was immer los war, die "Jungs" wollten das offenbar unter sich regeln. Erschrocken zog Hildegard die Hände zurück und rief nach dem ersten Schreckmoment gegen die geschlossene Tür „In Ordnung.... Aber wenn ihr irgendetwas braucht... ich bin in der Küche und mache euer Essen. Ruft einfach nach mir, okay?“ Besorgt und nachdenklich zog sie sich zurück, nur um festzustellen, dass sie den Topf auf dem Herdfeuer hatte stehen lassen, als ihr das Messer aus der Hand gefallen war. Fluchend zog sie ihn herunter und hoffte noch irgendetwas retten zu können. Im schlimmsten Falle müsste sie wohl wieder auf Magie zurückgreifen und ein völlig unappetitliches, aber nahrhaftes Essen auf den Tisch zaubern. Nein, soweit wollte sie es nicht kommen lassen! Sie setzte alles daran ihren drei de Varro Männern im Haus ein möglichst wohlschmeckendes Gericht zu zaubern, völlig egal was sie dafür noch aus den Schränken hervorholen musste. Vielleicht würde ein bisschen Rotweinsoße helfen, und ein paar Gewürze hier und da... den angebrannten Teil würde sie wegtun müssen, aber sicherlich gäbe es dafür auch Ersatz. Die ehemalige Klerikerin legte sich kräftig ins Zeug und nach einer Weile dampfte ein Gericht vor ihren Augen, dessen sie sich nicht zu schämen brauchte. Voller Erwartung holte sie ein paar Teller um das Essen anzurichten. Tiron de Varro streifte sich, nachdem er seinen Bruder endlich halbwegs davon überzeugt hatte, dass die alten Narben weder lebensbedrohlich waren, noch auf eine Dummheit zurückgingen noch zur Erheiterung der Familie herumgezeigt werden mussten, endlich mit einem Seufzen das Hemd über den Kopf. Dass Narsil mittlerweile seinen Humor wiedergefunden hatte und ihm erzählte, mit einem hübschen Wams dazu sähe er sogar aus wie ein Mensch, überhörte er schlichtweg, fuhr sich nochmal durch die Haare und ging dann in die Küche, wo er ungefragt beim Decken des Tisches half. Erst hinter ihm trat Narsil ein, lehnte sich lässig in den Türrahmen und sah, noch immer ein bisschen blass um die Nase, den beiden entspannt beim Arbeiten zu, bevor er nach seinem Sohn rief "Amaro, Essen!" Die unerwartete Hilfe nahm Hildegard dankbar an und zu zweit hatten sie den Tisch zügig gedeckt und das Essen auf dem Tisch. Sie konnte aber nicht umhin Tiron wenigstens kurz zu fragen, ob wirklich alles bei ihnen in Ordnung sei, was dieser mit einem Nicken bejahte. Sie nahm es hin und bat ihren Mann, geschiedenen Mann, der dort so lässig in der Tür lehnte freundlich aber keck doch wenigstens eine Flasche Wein zu holen, wenn er schon den Weg bis zum Zimmer seines Sohnes nicht fände. Amaro hatte indes sein Buch beiseite gelegt und stand auf um dem Ruf seines Vaters zum Essen nachzukommen. Narsil de Varro verbeugte sich ein bisschen spöttisch "Wie ihr wünscht..." Zwinkerte Hilde aber dabei zu und klopfte auf dem Weg zur Kellertreppe nochmal im Vorbeigehen bei Amaro, um sicherzugehen, dass der Junge ihn auch gehört hatte "Hopp, wir benehmen uns jetzt auch wieder." „Danke für deinen spontanen Besuch Tiron, was auch immer dich dazu verleitet haben mag.“ Sie sah ihn freundlich an, als sie die letzten Teller am Esstisch platziert hatte. „Du bist das Beste, was mir in diesen letzten Tagen passiert ist. Was uns passiert ist. Narsil und ich kommen schon irgendwie klar, auch wenn es... so seltsam ist. Aber Amaro zieht sich seit der Scheidung nur noch mehr zurück und die Stimmung war schon sehr gedrückt. „ Sie seufzte. „Ich hoffe wir haben ihm damit nicht endgültig den Geburtstag ruiniert.“ Er nickte mitfühlend. „Ja, für Amaro ist das sicher nicht leicht. Ich wollte vor allem sehen, wie es euch geht. Und ich muss noch ein bisschen Papierkram mit Narsil regeln.“ Einen Moment stand er ein bisschen unsicher neben dem Tisch, dann schien er sich darauf zu besinnen, dass er auch in Narsils Hemd, dass an den Schultern ein bisschen zu eng saß, immer noch Lord de Varro war und setzte sich hin. „Das sieht lecker aus“ lobte er sogar das etwas zusammengewürfelte Essen. „Danke Tiron“ Hildegard lächelte etwas unbeholfen. „Wie es uns geht..“ sie schluckte „ Ich wünschte ich könnte offen reden. Aber dies ist weder der richtige Moment, noch der richtige Ort dafür“. Sie senkte den Blick auf den Tisch und ihre Hände, die darauf zu liegen kamen. Sie betrachtete abwesend ihre Hände, ihre Finger, die so unberingt waren. Ihre eigenen Hände wirkten fremd auf sie. So stand sie abwesend am Tisch, bis ihr Sohn sie aus ihren Gedanken hochschreckte als er das Zimmer betrat und sich auf seinem Stammplatz niederließ. „Vater sagte etwas von Essen?.. Hmm, riecht nicht schlecht Mutter.“ Er griff nach dem Essen um sich selbst zu bedienen, doch seine Mutter klopfte ihm missbilligend auf die Hände. „Finger weg, Amaro! Warte bitte, bis dein Vater mit dem Wein da ist. Und lass deinen Onkel nicht glauben wir hätten dir gar kein Benehmen beigebracht. Lord de Varro ist unser Gast, was sagt dir das Amaro?“ Der Junge murmelte vor sich hin, zog aber die Hände zurück und wartete ab. Narsil de Varro ließ glücklicherweise nicht zu lange auf sich warten, entkorkte die Weinflasche und stellte sie schwungvoll auf den Tisch, bevor er sich elegant auf seinen Platz gleiten ließ. Einen Moment schaute er ob der seltsamen Stille zwischen Tiron und Hildegard zwischen den beiden hin und her, zuckte dann aber die Schultern und schenkte reihum Wein ein. Dann bekam Tiron, als Gast, das erste Stück Braten, was Narsil allerdings mit einem freundlichen "Hier, du bist unser Versuchskaninchen", erklärte. Was seine ehemals angetraute Ehefrau mit einem gespielten Schmollmund quittierte. „Soviel hältst du also von meinen Kochkünsten, ehemals geliebter Göttergatte? Möchtest du vielleicht das Geburtstagsessen für unseren Sohn vorbereiten?“ Sie zwinkerte ihn mit übertriebenem Augenaufschlag an. „Nicht schon wieder, bitte“ kommentierte Amaro diese Unterhaltung mit einem lauten Seufzen, aus Angst, dass seine Eltern schon wieder einen Streit vom Zaun brechen würden. „Keine Sorge Amaro, wir wollten gar nicht streiten“ gab seine Mutter in freundschaftlichem Ton zurück, als hätte sie seine Gedanken geahnt. „Nichts für ungut, Hildegard, aber ich glaube, ich bin lieber Versuchskaninchen als Staatsbesuch“ Tiron griff beherzt nach dem Besteck, schmunzelte über den kleinen Schlagabtausch zwischen Hildegard und Narsil und meinte nur „Na, es sind weder Maden noch Bohnen mit Speck, es wird also schon schmecken.“ Und Augenblicke später nickte er kauend sein Einverständnis zu dem Braten. „Genau, niemand will streiten und garantiert will auch niemand, dass ich koche an deinem Geburtstag. Aber wenn du brav warst, bringt Lady Makam vielleicht Pflaumenkuchen mit.“ sagte Narsil zu seinem Sohn. Was Hildegard wiederum veranlasste ihr Besteck niederzulegen und Narsil fragend anzusehen. „Die Makams kommen vorbei? Ich hatte nur mit Leopold und Adalgund samt Familien gerechnet. Ohje... Narsil, ich fürchte wir müssen schleunigst ein paar Briefe aussenden. Und ich muss ein wenig großzügiger kalkulieren um alle bewirten zu können... Gibt es vielleicht noch etwas, über dass du mich gern informieren würdest?“ Oh hups, hatte er das vergessen zu erwähnen? Oder hatte er jetzt am Ende sogar die Überraschung verdorben? Ein bisschen kleinlaut schaute der Ex-Ehegatte ja schon, aber dann versuchte er es wie immer mit einem gewinnenden Lächeln. „Na, ich dachte, es wird Zeit, dass Amaro auch den Rest der Familie kennen lernt.“ Was sicher nicht die Makams waren, aber vielleicht achtete da ja niemand drauf. „Tulander und Elena kommen auch und ich habe Samuel eingeladen...“ um Amaro für sich zu gewinnen, setzte er an seinen Sohn gerichtet noch hinzu „also mehr Gäste gleich mehr Kuchen und mehr Geschenke.“ Hildegard de Varro fasste sich an die Stirn. Wie sie DAS logistisch regeln sollte, war ihr gerade fraglich. Ja, sie freute sich auch über die lieben Freunde die unerwarteterweise dazukommen wollten, sogar über Narsils jüngeren Bruder, zu dem sie keinen wirklichen Kontakt gehabt hatten, vergleichbar zu Narsils Zwillingsbruder Tiron. Aber... Hildegard seufzte leise. Glücklicherweise hatte Narsil sich gerade noch rechtzeitig verplappert, so dass sie wenigstens einige Tage Zeit zur Vorbereitung hätten. Amaro schaute nur fragend zwischen einem Ende des Tisches zum anderen hin- und her und wusste nicht so recht, was nun vorging und von ihm erwartet wurde. Sollte er sich freuen? Wenn ja, wie? Seine Eltern hatten sich vor gerade einmal zwei Tagen scheiden lassen, wie bei allen Göttern sollte er jetzt schon zu einer solchen Riesenfeier stehen?? Tiron de Varro beobachtete aufmerksam Hildegards Reaktion. Es sah Narsil ähnlich, in seinem Überschwang seine Ex-Frau mit solchen Einladungen zu überfahren und er hatte einen Moment befürchtet, Hildegard würde das ein bisschen zu viel, vor allem, wenn auch noch Narsils Seite der Familie dazu kam, die zumindest teilweise die letzten 15 Jahre dieses Haus gemieden hatte, als hätten seine Bewohner Aussatz. Aber Hildegard schien sich ernsthaft zu freuen und er zweifelte nicht daran, dass sie mit ein paar Gästen mehr auch zurecht kommen würde. "Wenn euch das zu viel wird, kann ich die Meute auch zurückpfeifen", bot er trotzdem an, vor allem, nachdem er Amaros Gesicht gesehen hatte. Nun war es an den Erwachsenen Amaro fragend anzustarren, der ein wenig überfordert war und nicht wusste, wie er reagieren sollte. „ Ich... eh... ich weiß nicht so recht. Ich weiß diese Überraschung war gut gemeint Vater und es freut mich wirklich, aber... meint ihr nicht, dass es irgendwie komisch ist so ein großes Fest ausgerechnet dann zu planen, wenn ihr euch gerade habt scheiden lassen?? Ich mein' ja nur...“ Seine Mutter blickte traurig auf den Tisch herab und überlegte, wie man diese empfindliche Situation noch ins Lot würde bringen können. Die Gäste auszuladen kam gar nicht in Frage und sie wusste, dass Amaro sich schon freuen würde, wenn sie einmal hier wären. Ihr Sohn war einfach unter Menschen in seinem Element, das wussten sie beide, Narsil und sie. Deshalb hatte er wohl auch die zusätzlichen Gäste eingeladen. Aber sie wollte ihn auch nicht überfordern. „Das eine hat mit dem anderen wenig zu tun.“ merkte Tiron an „Tulander und Elena werden sicher früher oder später ohnehin vorbeischauen, schon allein um zu sehen, wie es euch geht. Und ich denke, das gilt auch für Barenor. Aber es ist natürlich dein Geburtstag und deine Entscheidung.“ „Mein Schatz, wir wollen nicht, dass du zu kurz kommst, nur wegen unserer Entscheidung uns scheiden zu lassen. Ich weiß, dass diese neue Situation dir unangenehm ist. Glaube mir, uns ist es auch nicht leicht gefallen. Aber wir hielten es für das beste und tun das nach wie vor.“ Dabei sah sie zu ihrem geschiedenen Mann herüber. „Wenn es dir damit besser geht keine Feier zu haben, oder eine kleinere Feier, dann ist das völlig in Ordnung Amaro. Womit immer du dich besser fühlst Liebling. Das ist dein Tag und wir wollen ihn nicht kaputt machen, auch wenn wir in deinen Augen sicherlich schon einiges zerstört haben.“ Und dabei sah sie ihrem Sohn ins Gesicht. „Denk einfach darüber nach.“ Amaro nickte betreten und dachte kurz über die Worte seiner Mutter nach. Was wollte er denn, fragte er sich? Glückliche Eltern und eine fröhliche Familie. Amaro seufzte. Was könnte er denn bekommen, fragte er sich dann. Die Entscheidung seiner Eltern war nicht rückgängig zu machen, aber jetzt immerhin fragten sie nach seiner Meinung. Und über seinen Geburtstag könnte er bestimmen. Wollte er wirklich, dass alles ins Wasser fiel um seiner schlechten Laune Ausdruck zu verleihen? Irgendwie schon... aber seinen letzten unbekannten Onkel kennen zu lernen und seine lang vermissten Tanten wiederzusehen war trotzdem eine Vorstellung die ihn ungemein freute. Nein, eine Feier wäre schon in Ordnung. Aber bitte etwas ohne großes Tamtam. Entspannt und ruhig, das würde er sich wünschen, kein großes Trara diesmal bitte. Das wäre ihm wirklich unangenehm und erschien ihm unangebracht. Und genau so teilte er seine Entscheidung mit, in klaren, ruhigen Worten. Seine Mutter nickte verständnisvoll. Manchmal klang ihr Sohn so unheimlich erwachsen, dachte sie. Narsil de Varro nickte zustimmend "Ohne großes Tamtam, versprochen. Und vor allem ohne Streit, Amaro", versichert er seinem Sohn und warf ein kurzes, warmes Lächeln zu Hildegard hinüber. Beide Elternteile sahen sich an und waren sich ohne Worte einig. Sie legte wie zur Zustimmung ihre Hand auf seine, um mit dieser Geste zu versichern, dass sie verstanden hätte. Dann nahm sie ihren Teller und brachte ihn wortlos in die Küche. Tiron de Varro schob seinen Teller zurück und nickte Narsil zu. "Hast du dann einen Moment, Narsil. Dann können wir den Papierkram erledigen." Dass das die beste Gelegenheit war, Narsil abzugreifen, ahnte Tiron schon. Sein Bruder würde sicher ohnehin versuchen, sich vor dem Spülen zu drücken. "Wir sind gleich wieder da, Hildegard. Und helfen dann mit dem Abwasch, ja?", rief er noch in die Küche, bevor er aufstand und Narsil den Vortritt ins Arbeitszimmer ließ. Hildegard ignorierte die Männer, setzte ihren Teller in der Küche ab, atmete einmal tief durch und ließ den Moment vorbeiziehen, in dem sie wehmütig daran dachte wie alt ihr kleiner Junge jetzt schon wurde. Viel zu alt, dachte sie. Beinahe schon erwachsen. Nur an Amaro hatte wieder keiner gedacht, der plötzlich allein am Tisch sitzen blieb. Aber es machte ihm nichts aus. Er wartete noch einen Moment ab, bevor er seiner Mutter in die Küche folgte und ihr beim Abwasch zur Hand ging, wofür er einen feuchten Kuss von ihr in Empfang nehmen musste. Die beiden Männer brauchten tatsächlich nicht lange, den entsprechenden Text hatte Tiron seinem Bruder schnell zweimal in die Feder diktiert und durch beide Unterschriften und das Siegel der Familie beglaubigt. Schon eine knappe Viertelstunde später kamen die beiden also in brüderlicher Eintracht wieder in die Küche und schienen gar nicht so unglücklich, dass der Abwasch schon erledigt war. Ein kurzer Blickwechsel zwischen den Brüdern, dann legte Narsil seinem Sohn die Hand auf die Schulter. "Ich muss mal kurz mit dir reden." Amaro sah seinen Vater fragend an „Ja? Was ist denn?“ Hildegard räumte derweil das gespülte Geschirr wieder weg. „Nichts wirklich wichtiges“ die Aussage brachte ihm einen strengen Blick von seinem Bruder ein „Ich wollte dir nur schnell das hier zum lesen geben. Aber nicht mit Spülwasserhänden“ bevor Tiron einen Schlaganfall bekam „und am besten drüben am Tisch.“ Tiron de Varro ließ Narsil und Amaro durch in die Stube und reichte Hildegard dann das gespülte Geschirr an, da er ja beim Wegräumen keine große Hilfe wäre, wenn er sich nicht in der Küche auskennt. Diese bedankte sich artig und sah ihren vormaligen Schwager dann wortlos an. Ihr Gesicht verriet mit keiner Miene was sie gerade dachte, aber dann sah sie kurz in Richtung der Stube und richtete dann eine Frage an Tiron. „Magst du mir sagen um was für einen geheimnisvollen Text es hier geht?“ Amaro nahm das Papier entgegen, nachdem er sich die Hände an seiner Hose abgetrocknet hatte und ging der Anweisung folgend zum Tisch um dort zu Lesen. Er überflog den Text, runzelte die Stirn und las noch einmal. Dann sprach er seinen Vater an „Liebster Vater, wärst du so nett mir den Inhalt dieses Schreibens kurz zu erläutern?“ „Ähm...“ in offizielle Schreiben erläutern war Narsil nicht so gut. Eigentlich wollte er so etwas sagen wie: es bedeutet, dass du jetzt Junker bist und die Leute hauen darfst, die was anderes behaupten, aber er war sich nicht so ganz sicher, ob Tiron außer Hörweite war. „Kurz zusammengefasst heißt es, dass du Tirons rechtmäßiger Erbe bist. Das Gut, der Titel, alles.“ „Aha.“ Antwortete Amaro nur sehr kurz angebunden. Dann setzte er ein fragendes „Warum?“ dahinter. Als sein Vater ihm nicht sofort antwortete, zeigte sich eine gewisse Tendenz zu einem eigenartigen Humor bei seinem Sohn.“ Warte Vater, lass mich zusammenfassen. Hier steht du verzichtest auf deinen Titel, was du sowieso seit 15 Jahren tust. Dafür bekomme ich den Titel der dir zugestanden hätte und den du verloren hast, als du Mutter geheiratet hast. Richtig?“ „Nur eine kleine Formalität bezüglich der Erbfolge.“ für Tiron wirklich keine große Sache, jedenfalls vernachlässigbar gegenüber dem Umstand, dass er mit Hildegard allein in der Küche war und allein davon klamme Hände bekam. „Also nichts geheimnisvolles. Und ihr... kommt klar?“ Hildegard hob skeptisch die Brauen und sah Tiron forschend an. „Erbfolge? Soso...“ im Grunde sagte ihr das nichts in diesem Moment, absolut gar nichts. „Und ja, wir kommen klar. Müssen wir doch, oder?“ Und dabei klangen die letzten Worte weitaus bitterer als beabsichtigt. Sie seufzte. „Beinahe. Ich bekomme mein Geburtsrecht, das mir vor 15 Jahren abgesprochen wurde zurück unter der Auflage, es nicht zu nutzen. Und deshalb bekommst du den Titel.“ Narsil grinste schief, wie schnell der Junge doch gewisse Dinge auffasste. Aber er wollte nicht, dass der Eindruck entstand, dies hänge mit der Scheidung seiner Eltern zusammen. „Zugestanden hätte der Titel eher Tirons Kindern, aber so... und da wir uns ja auch wieder vertragen haben...“ „Aha. Und Mutter und du..?“ Er ließ die Frage in der Schwebe in der Annahme, dass sein Vater schon verstand worauf er hinauswollte. „Ja, müsst ihr wohl... „ Tiron schaute etwas betreten zur Seite. Wieder flackerte der Gedanke auf, ob er nicht etwas zerstört hatte, was er nie hätte anrühren dürfen, wurde aber gleich ausgelöscht von Hildegards verzweifelten Lügen, als er das letzte Mal hier war. „Hildegard, ich... '... kann das nicht sagen, weil es der völlig falsche Zeitpunkt ist und schon gar nicht mit Amaro und Narsil im Nebenzimmer' also, wenn ich irgendwas für dich tun kann... und wenn du nur ein bisschen Gesellschaft haben möchtest...“ Hildegard atmete tief durch und ging dann einfach wortlos auf Tiron zu und lehnte sich an seine Brust. Weder umarmte sie ihn, noch suchte sie anderweitig seine Nähe. Sie brauchte nur einen kurzen Moment lang die Versicherung, dass jemand für sie da wäre. Jemand, mit dem sie reden könnte, wenn nicht ihr Mann, Ex-Mann, und ihr Sohn gerade im Nebenzimmer wären. Nicht zu dieser Zeit und in diesem Moment, wusste sie. Aber wenn sie wollte, dann könnte sie mit ihm reden. Und das beruhigte sie schon. „Sind gut versorgt.“ versicherte Narsil seinem Sohn „Deine Mutter hat immer noch die Anteile an den Geschäften ihres Bruders und das Haus und ich habe meinen Erbteil - außer Titel und Gut.“ Narsil wunderte sich, wie ruhig und erwachsen er mit Amaro sprach. Sicher mussten solche Dinge geklärt werden, aber bis vor ein paar Tagen hätte er angenommen, dass er sowas mit Hildegard besprechen würde und auf keinen Fall mit seinem Sohn. Wieso sollte sich ein Kind auch dafür interessieren? „Aha“ Wieder nur ein Aha von seinem Sohn.“Und ihr habt nach wie vor keinen Titel, richtig? Sprich ich werde urplötzlich in den Adel erhoben und meine Eltern nicht, oder wie soll ich das verstehen?“ Amaro zuckte mit den Schultern. „Nun gut, als ob irgendwer sich davon etwas kaufen könnte.“ Narsil de Varro nickte zustimmend. "Eben. Ich brauche ihn nicht, deine Mutter braucht ihn nicht, vielleicht kann er dir ja von Nutzen sein. Und wenn nur", Narsil beugte sich verschwörerisch vor und meinte leise "um die Ladies zu beeindrucken." Tiron de Varro zögerte einen kurzen Moment, aber dann konnte er der Versuchung doch nicht widerstehen, leicht die Arme um Hildegard zu legen. ansonsten aber blieb er ganz ruhig stehen, der Fels in der Brandung, eine stumme Versicherung, dass sie immer auf ihn würde zählen können. Amaro lachte kurz auf. „Verstehe. Ja, das würde mich nicht überraschen. Man kann es nicht sehen, nicht anfassen und nicht essen. Aber den Damen gefällt es bestimmt trotzdem. Aber sag Vater... hat es bei dir nicht auch gut ohne deinen Titel funktioniert in den letzten Jahren?“ und bei der letzten Frage lehnte Amaro sich vertraulich vor zu seinem Vater und schaute ihm ins Gesicht. Narsil de Varro hörte das Eis förmlich unter sich Knirschen. In den letzten Jahren, also solchen Jahren, in denen er eigentlich Amaros Mutter Treue geschuldet hätte.Aber der Junge war fast 15, hatte sich so verständig gezeigt die letzten Tage über. Trotzdem machte sich Narsil keine Illusionen darüber, dass Amaro die Antwort weh tun würde. Wenn auch vielleicht weniger als eine Lüge, die der Junge als solche erkennen würde. Also zwang er sich, den Blick seines Sohnes zu erwidern, auch wenn sich sein typisches halbes Lächeln auf die Züge stahl. "Ein offenes Geheimnis, hm? Ich wollte deiner Mutter nicht wehtun und falls sie keine Gewissheit hat bis jetzt, ist es vielleicht auch besser, das bleibt unter uns." „Aha. Gut, das dachte ich mir schon Vater. Ich werde es ihr jedenfalls nicht brühwarm auftischen, das kannst du mir glauben“ und Amaro besah sich konzentriert seine schlanken Finger. „Das hatte ich auch nicht von dir erwartet. Aber du bist ganz schön aufmerksam.“ Narsil langte herüber und verwuschelte Amaro zärtlich die Haare. Verdammt, er war schon stolz auf seinen Kleinen. Und warf dann einen halben Blick zur Küchentür. Apropos aufmerksam, ob Amaro da auch schon wusste, was Sache war? „Danke Tiron.“ und kurz darauf fügte sie halblaut hinzu „Ich weiß, dass du dein Bestes getan hast, als ich dich um den Gefallen bat mit Narsil zu reden. Aber diese Ehe war offensichtlich nicht mehr zu retten.“ Sie seufzte und löste sich sanft von ihm. „Ich wünschte wir hätten mehr Gelegenheit zum Reden, aber der Moment ist schlecht.“ und dabei warf sie einen Blick gen gute Stube, wo Narsil und ihr Sohn sich gerade befanden. „Ich denke Amaro hat schon genug zu verarbeiten.“ Tiron de Varro schaute einen Moment getroffen. Er hatte... vermutlich das ziemliche Gegenteil von dem getan, was Hildegard als sein Bestes erwartet hätte, hatte seinem Bruder nicht den Anstand einer treuen Ehe eingeredet, sondern "nur" den eines sauberen Schnittes. "Hildegard, ich..." an dieser Stelle muss er erstmal schlucken und nickt dann doch nur kurz "... würde mich auch freuen, wenn wir mehr Zeit zum Reden hätten. Vielleicht nach Amaros Geburtstag." Mehr durfte er im Moment wohl kaum erhoffen. Auch wenn er zugeben musste, dass in den letzten Tagen mehr als einmal seine Tagträume mit ihm durchgegangen waren. Kurz darauf öffnete sich die Tür und ein Jüngling mit braunen Locken lehnte lässig in der Tür, wie es zuvor schon sein Vater getan hatte. „Habe ich da etwa meinen Namen gehört?“ er zwinkerte und lächelte seine Mutter an. Dann wandte er sich an seinen Onkel“ Hey, danke Onkel Tiron. Ich denke ein Dankeschön ist hier schon angebracht, schließlich ist das weitaus mehr, als ich erwartet hätte.“ und er verwies auf das Schriftstück in seiner Hand. „Ein bisschen Kontakt ist alles was ich mir gewünscht habe. Aber hey, ein Titel ist sicher auch gut.“ Amaro lachte ein warmes Lachen. „Ein Titel? Würdest du mir bitte doch noch genauer auseinandersetzen, was das bedeutet?“ Hildegard schaute ein wenig verwirrt in die Runde. Tiron de Varro musste bei dem warmen Lachen, das ihn sehr an Amaros Vater erinnerte, unwillentlich lächeln. "Von Herzen gern geschehen, aber eigentlich nichts, wofür du mir danken musst, Amaro. Es ist ja keine Sonderregelung oder sowas." Tiron zuckte leicht mit den Achseln um zu bestätigen, dass der Titel für Amaro quasi nur ein Nebenprodukt der Versöhnung mit Narsil darstellt. Dann wandte er sich Hildegard zu und diesmal war das Grinsen doch ein bisschen breiter. "Es bedeutet, dass Junker Amaro das Gut und die Ländereien erben wird. Irgendwann." Hildegard musste Lachen. „Junker Amaro, soso.“ Sie grinste noch immer breit, als sie weitersprach. „Das bedeutet also, dass unser Sohn dein Erbe sein wird, solange du keine eigenen Kinder hast, ja? Nicht, dass der Junkerstitel Amaro nicht wunderbar zu Gesicht stände, aber ich hoffe für dich trotzdem, dass du noch eigene Kinder bekommen wirst. Ihr Männer habt da ja was mehr Zeit als wir Frauen.“ Sie klopfte Tiron freundschaftlich auf die Schulter. „Du wärst sicher ein guter Vater Tiron.“ Und dann schaute sie ihren einzigen Sohn an und strich ihm liebevoll über die Wange. „Es ist schön dich zu haben, Amaro. Auch wenn ich mir gewünscht hätte, dass du nicht unbedingt immer ein Einzelkind hättest bleiben müssen.“ Sie stellte sich auf die Zehenspitzen um ihrem Sohn einen Kuss auf die Stirn zu geben und lachte, als dieser sich gegen die Liebkosung wehrte. „Mutter, bitte!“ „Entschuldige Amaro, ich weiß Mütter tun manchmal peinliche Dinge“ Sie lachte und gab ihrem Sohn einen freundschaftlichen Klaps. „Ich werde jetzt aufhören meinen fast erwachsenen Sohn, den Junker, vor seiner Familie zu blamieren, in Ordnung?“ Die Klerikerin im Ruhestand zwinkerte ihrem Sohn zu. Tiron de Varro bekam mit dem Moment, in dem Amaro sich gegen die peinliche Zärtlichkeit seiner Mutter wehrte, immerhin die Chance, sich ein bisschen zu fassen, nachdem Hildegards Bemerkung ihm einen Stich versetzt hat, den er körperlich so stark gespürt hatte, dass er zumindest der Meinung war, jeder im Umkreis von 10m hätte mitbekommen müssen, wie sein Herz einen Schlag aussetzte. Vielleicht war der Gedanke immerhin tröstlich, dass Hildegards Sohn sein Erbe würde, auch wenn er nicht Amaros Vater war. Der krampfhafte Versuch, tapfer und freundlich zu sein, wurde zu einem "Ich würde mir das sicherheitshalber vor deinem Geburtstag schriftlich geben lassen, Amaro." „Ach, Tiron! Jetzt setz dem Jungen doch keine Flausen in den Kopf, sonst darf ich als Mutter nachher doch gar nichts mehr! Nichtmal mehr meinen kleinen Sohn ins Bett bringen, ihm heiße Milch bringen, ihn....“ „Also Mutter, bitte! Was erzählst du denn da?“ Entrüstet stemmte Amaro die Hände in die Hüften. Seine Mutter brach nur in Lachen aus „Entschuldige Amaro, die Versuchung war zu groß!“ Sie grinste breit und signalisierte dann ab jetzt wirklich still sein zu wollen. Tiron de Varro schmunzelte, auch wenn sich in seinen Augen dabei im Moment Schmerz mit einem warmen Leuchten mischte. Hildegard hatte sich so wenig verändert. Sie hatte ja schon vor 15 Jahren alle bemuttert. Und sie war eine hervorragende Mutter, humorvoll, voller Verständnis. Und für ihn war klar: die Chance, dass er Kinder haben würde, war verschwindend gering und die Mutter seiner Kinder wäre Hildegard oder niemand. "Verzeih", bat er sie und verneigte sich tief, vielleicht nicht zuletzt, um ihr nicht in die Augen sehen zu müssen. Sie tätschelte ihm munter den Arm, während Amaro seinen Onkel ein wenig skeptisch ansah. Trotz der Albernheiten seiner Mutter war ihm der Ausdruck im Gesicht seines Onkels nicht ganz entgangen. Zuordnen konnte Amaro ihn aber nicht, es ergab keinen Sinn für ihn was er sah. Also hakte er es ab und entschied sich schnell zu anderen Themen überzugehen, bevor seiner Mutter doch noch etwas ähnlich witziges einfiel. „Gut. Und nun? Einen kleinen Toast auf den Erben vielleicht? Oder auf den armen Jungen, der mit einer übermäßig humorvollen Mutter gesegnet ist? Oder beide?“ Tiron de Varro stimmte ihm zu „Ich glaube, die haben beide ein Glas verdient, meinst du nicht auch, Hildegard?“und er ließ beiden den Vortritt in die Stube. Narsil de Varro winkte indes vom Tisch aus schon mit der Weinflasche „Endlich sagt er was gescheites“ „Setzt euch schonmal, ich hole noch Gläser“ antwortete Hildegard und streckte sich zum Geschirrschrank um ein paar Weingläser hervorzuzaubern. „Ach, Tiron? Wenn du zurückreitest, könntest du eventuell ein paar Briefe für uns mitnehmen? Oder sind unsere alten Freunde um Verlest schon informiert, Narsil? Wenn du sie schon eingeladen hast...“ und sie sah ihren Ex-Mann fragend an. „Ich wollte nicht alles auf einmal an die große Glocke hängen...“ Narsil machte eine vage Handbewegung, die vermutlich bedeutete, dass er teilweise Andeutungen gemacht hatte und teilweise darauf verzichtet hatte, aber Tiron nickte auch bereits brav und versicherte, dass er die Briefe gerne mitnähme. „Danke Tiron.“ Hildegard nickte ihm zu. „Dann setzen wir besser gleich mal ein paar Schriftstücke auf, oder Narsil?“ Sie setzte sich zu den Männern an den Tisch, verteilte Gläser und ließ sich einschenken.“Dann lasst uns zusammen anstoßen. Darauf wieder eine Familie zu sein. Wenn auch anders als erwartet.“ Tiron de Varro hob ein bisschen zögerlich sein Glas, stimmte aber dann doch in den Trinkspruch mit ein. Danach blieb er eher zurückgezogen am Tisch, trank langsam und ließ die beiden an ihren Briefen feilen. Amaro unterdessen ließ seine Eltern tun, was sie tun mussten, lehnte sich entspannt und mit überschlagenen Beinen zurück und ließ den Blick schweifen. Nicht ohne dabei ab und zu unauffällig das Gesicht seines Onkels zu erforschen. Zumindest versuchte er es. Hin- und wieder warf er einen Blick auf die Schriftstücke seiner Eltern oder führte ein wenig Smalltalk. Tiron de Varro wahrte die meiste Zeit eine verschlossene Mine, nur ab und zu, wenn sein Blick längere Zeit auf Hildegard ruhte und diese mit etwas anderem beschäftigt war, legte sich ein ganz sachtes Lächeln auf seine Züge, wenn er etwa beobachtete, wie sie immer wieder eine störrische Strähne zurückstrich, die ihr beim Schreiben nach vorne fiel oder abwesend zwischendurch nach dem Weinglas tastete. Amaro warf immer mal wieder einen kurzen Blick zu seinen Eltern herüber, die meist ziemlich konzentriert die Köpfe über dem Schreibzeug zusammensteckten und konnte nicht umhin eine Regung im Gesicht seines Onkels zu bemerken, wann immer dieser sich unbeobachtet wähnte. Amaro glaubte, dass dessen verklärtes Lächeln seiner Mutter galt, nur aus welchem Grund war ihm nicht ganz klar. Er hoffte, dass es nichts mit dem zu tun hätte, was seine Mutter ihm über seinen Onkel und eine frühere Beziehung gesagt hatte. Aber ausschließen konnte er es nicht. Schließlich war die erste Weinflasche geleert und einige Briefe an alte Freunde versandfertig. Tiron de Varro streckte die eine Hand nach den Briefen aus und hielt die andere flach über das Weinglas, um Narsil am Nachschenken zu hindern. "Ich glaube, ich sollte mich dann auch langsam wieder auf den Weg machen. Vielen Dank für das Mittagessen...." Dass Amaro ihn beobachtet hatte, hatte er nicht bemerkt, trotzdem wollte er nicht zu lange bleiben, weil er sich selbst kaum vertraute in Hildegards Gegenwart. Und noch eine Flasche Wein wäre sicher auch keine besonders gute Idee. "Ich komme dann pünktlich zu Amaros Geburtstag. Bis dahin sollte das Geschenk auch fertig sein. Das über das wir gesprochen haben, Hildegard", mit einem Zwinkern, bevor er noch hinzusetzte "Und das andere wird er jetzt auch brauchen... aber das können wir ja danach in Ruhe klären." „So ist das also Tiron!“ gab Hildegard in einem Moment ehrlich entrüsteter Überraschung zurück. Dann musste sie schmunzeln. „Jetzt sag mir nicht, dass du diesen Plan schon längst gefasst hattest, bevor wir darüber gesprochen haben!“ sie kreuzte die Arme und sah Tiron erwartungsvoll an. Amaro hingegen verstand kein Wort und beschloss einfach so zu tun, als sei er nicht da. Schließlich ging es um ein Geschenk für ihn, soviel hatte er der Unterhaltung entnehmen können. „Was? Nein, natürlich nicht.“ Jetzt war es an Tiron, einigermaßen entrüstet zu schauen, aber er fasste sich sehr schnell wieder und lächelte höflich „Dein Einwand dagegen war ja völlig richtig und berechtigt und ich halte mich daran. Und ich habe dabei noch nicht daran gedacht, dass er ja der logische Erbe ist. Aber als Junker... du musst schon zugeben, ohne wäre das ein bisschen unangemessen. Meinst du nicht?“ Hildegard seufzte. „Nun gut Tiron, sollt ihr Männer doch alle euren Willen haben.“ Sie stand auf um ihren Gast noch bis zur Tür zu geleiten. „Diesmal gebe ich ja gern nach, denn du hast im Endeffekt recht Tiron.“ Dies war auch für Amaro das Signal sich höflich zu erheben. Narsil de Varro sprang ebenfalls auf, stellte gerade noch rechtzeitig das Weinglas ab, damit Tiron nicht nach der Erde als Begrüßung zum Abschied Wein über das frische Hemd geschüttet bekam und umarmte seinen Bruder herzlich, bevor er ihn ziehen ließ und es Hilde überließ, den Gast zur Tür zu bringen "Lass dich bald mal wieder sehen! Und ich will wissen, was du da für Geheimnisse vor meinem Sohn hast, klar?! Na los, Amaro, verabschiede dich von deinem Onkel und dann müssen wir immer noch diesen Garten zu Ende umgraben!" „Was, im Ernst? Du willst, dass wir den Garten umgraben Vater??“ Amaro schaute seinen Vater ein wenig erstaunt an. Dieser Arbeitseifer war eher unüblich. Und dann direkt den ganzen Garten umgraben? Jetzt? Das kam ihm ein wenig übertrieben vor. Hildegard de Varro lachte. „Ihr müsst doch nicht direkt den ganzen Garten umgraben Jungs! Aber höre bitte auf deinen Vater und verabschiede dich noch Amaro.“ Ihr Sohn schaute sie pikiert an. „Aber das wollte ich doch tun! Also Onkel Tiron... vielen Dank für alles! Und ich freue mich dich so bald wiedergesehen zu haben. Vor allem, wo du doch in ein paar Tagen wieder hier sein wirst“ Jetzt grinste Amaro ihn an. „Ich freue mich wirklich!“ und er umarmte seinen Onkel zum Abschied, bevor er sein Glas Wein leerte und ankündigte sich eben noch etwas anderes anziehen zu wollen für die Gartenarbeit. „Na ja, nicht den ganzen... aber mit dem einen Beet habe ich angefangen, bevor Tiron kam und wenn das bis heute Abend fertig sein soll, brauche ich ein bisschen Hilfe...“ gestand Narsil. Ja, genau, Tiron war Schuld, der hatte ihn bei der Arbeit gestört. Eigentlich sollte der graben müssen, aber der musste ja los. Tiron de Varro erwiderte Amaros Umarmung kurz, aber herzlich „Ich freue mich auch. Bis bald, Amaro.“ Er schaute dem Jungen nach, als dieser zum Umziehen verschwand „Und dann kann ich ja auch mein Hemd mitnehmen beim nächsten Mal und dieses hier sauber zurückbringen...“ „Oh, mach dir keine Umstände Tiron. Du bekommst deine eigenen Sachen beim nächsten mal sauber wieder und mein Mann... Ex-Mann wir die Finger von ihnen lassen.“ Sie biss sich kurz auf die Lippen bei diesem Versprecher. Es war alles noch zu ungewohnt für sie. Hildegard nahm ihren Gast am Arm und brachte ihn bis zur Tür. „Dann bis in ein paar Tagen Tiron. Und die Sache mit dem Pferd können wir dann nach Amaros Geburtstag noch in Ruhe besprechen.“ Sie lächelte ihn freundlich an. „Ich denke so schnell wird sich hier auch noch nichts tun, wir werden mit Sicherheit nicht so bald hier weg sein.“ „Was heißt "wieder weg sein"?“, erkundigte er sich überrascht. “Hast du etwa Pläne? Du willst doch nicht wieder auf Wanderschaft, oder?“ Ein bisschen erschrocken schien er bei dem Gedanken schon. „Ich meine... ich hatte gehofft, wir hätten mehr Zeit... zum Reden....“ was nie Tirons Stärke gewesen war, aber die Bitte in seinem Blick war ernst gemeint. „Tiron..“ beschwichtigend legte sie ihm die Hand auf den Arm. „Keine Sorge, ich hätte zwar gut Lust einmal rauszukommen und den Kopf wieder etwas freizukriegen, aber ich hatte eigentlich nicht vor selbst noch einmal auf Wanderschaft zu gehen. Zumindest war das nicht mein Plan... Ich wollte nur mit meinem Bruder sprechen, ob ich Amaro für eine Weile zu ihm schicken könnte um ihm ein wenig über die Schulter zu sehen und ihn auf einer Reise zu begleiten. Vielleicht liegt das dem Jungen ja? Und möglicherweise werde ich auf Dauer auch wieder zurück nach Weyersdorf ziehen, falls Amaro dieser Beruf zusagen sollte. Hier haben wir zwar unser Zuhause, aber jetzt ist es auch nicht mehr was es einmal war und langfristig werden die Nachbarn wohl auch anfangen zu reden“ Sie zuckte mit den Schultern. „Es ist irgendwie... seltsam, weißt du. Ich sehe dieses Haus und denke nur daran was früher einmal war. Ich sehe wie Narsil und ich für Amaro Schattenspiele im Garten aufgeführt haben.“ Und jetzt huschte doch ein wehmütiges Lächeln über ihr Gesicht. „Oh, es waren wirklich fantastische Aufführungen Tiron! Mit Spezialeffekten die wohl kaum viele Kinder sich rühmen könnten gesehen zu haben bei einem Schattenspiel.“ Sie kicherte. „Da immerhin waren ein Barde und eine Klerikerin ein wunderbares Paar.“ Sie seufzte. „Aber das sind wir jetzt nicht mehr und waren es auch schon lange nicht mehr. Verstehst du was ich meine?“ „Ja, das... kann ich verstehen“ Tiron brauchte einen Moment, um über den kleinen Stich hinweg zu kommen. Ein wunderbares Paar? Ja, aber wirklich schon lange nicht mehr. Und wer weiß, in wie vielen anderen Betten Narsil seit dem kleine Zaubertricks vorgeführt hatte? Aber bevor er so etwas sagte, biss er sich auf die Zunge, das war nicht fair und das hatte Narsil nicht verdient. „Wenn du einen Tapetenwechsel brauchst, bist du bei mir auch jederzeit willkommen“ Schlug er stattdessen spontan vor. „Du und Amaro selbstverständlich, wenn der nicht gerade auf Reisen ist. Wobei das sicher eine gute Idee ist, wenn er bei deinem Bruder ein bisschen was lernen kann - Verwaltungsaufgaben werden ihm dann später leichter fallen.“ Sie starrte nachdenklich in die Luft und an Tiron vorbei, während sie ihre Gedanken in die Luft sprach als sei er nur ein zufälliger Zuhörer. „Danke Tiron. Ich glaube ich brauche irgendeine Beschäftigung, jetzt wo der Junge groß ist und ich mir weniger Sorgen um Erhalt und Ernährung der Familie machen muss. Jetzt, wo wir nur nur noch zwei sind... Ich werde nicht in ein Kloster gehen, dafür bin ich nicht geschaffen. Das habe ich schon als junges Mädchen gewusst, als ich in einem lebte. Ich kann aber auch nicht immer einsam zuhause sitzen und warten, dass der Rest meines Lebens an mir vorbeizieht... Nein, ich glaube wir werden noch viel Zeit zum Reden haben. Nur wo das sein wird, das steht noch nicht sicher fest. Vielleicht komme ich wirklich eine Weile mit Amaro vorbei“ und sie richtete ihren Blick wieder auf den Bruder ihres ehemaligen Ehemannes. „Bitte entschuldige diesen plötzlichen Redeschwall“ Sie zuckte mit den Schultern. „Ich fürchte das musste ich einfach irgendwem sagen und da ich die letzten Tage nur mit Amaro und Narsil zusammen war, hat es jetzt dich getroffen. Ich hoffe das war in Ordnung...“ Sie schaute ein wenig schuldbewusst, da sie sich im klaren war, dass sie sich in gewissem Sinne beim Bruder des Mannes beschwerte, wegen dem sie sich gerade in dieser Situation befand. „Natürlich ist es in Ordnung“ mit einem halben Lächeln berührte er kurz ihren Arm, zog die Hand aber schnell wieder zurück „DU kannst so viel reden, wie du willst und wie du musst und ich werde da sein und zuhören. Immer.“ „Danke Tiron. Du bist ein Schatz!“ Sie lächelte ihn dankbar an, nahm sein Gesicht in beide Hände und gab ihm einen Kuss auf jede Wange, bevor sie ihn gehen ließ. „Ein wahrer Ritter wie eh und je Tiron.“ Sie lachte „So verständnisvoll, ruhig und hilfsbereit... ich habe wirklich keine Ahnung, wie du es angestellt hast noch nicht die Richtige zu finden und selbst einige Kinder in die Welt zu setzen. Ganz ehrlich, ich hätte es getan. Aber ich bin wirklich froh Amaro zu haben, auch wenn sicher alles anders gekommen wäre, wenn ich damals nicht schwanger gewesen wäre. Aber so spielt das Leben eben und ich würde ihn nicht missen wollen.“ Sie lächelte und warf einen Blick zurück, nach ihrem Sohn suchend der zu diesem Zeitpunkt doch ganz woanders steckte. „Du würdest sicher das gleiche sagen, wenn du Kinder hättest Tiron.“ Lieber nochmal 100 Orks vor den Toren von Weißenturm, bitte, jetzt. Tirons Blick wandelte sich von dem milden Lächeln, als sie sein Gesicht losließ immer mehr zu einer steinernen Maske, je länger Hildegard sprach. Selbst der Schmerz in den Augen schien beinahe zu verlöschen, als wäre nicht einmal dafür mehr genug Energie geblieben. Nur kalte Asche. Dann verneigte er sich halb, eine Bewegung, die steifer wirkte als noch vor Minuten und Tiron älter wirken ließ als er war. "Vielleicht fällt dir ja noch etwas dazu ein, ob ich die Richtige gefunden habe, wenn du in den nächsten Tagen etwas Ruhe hast." Hildegards Augen weiteten sich vor Entsetzen und sie hielt sich unwillkürlich die Hand vor den Mund und glaubte in diesem Moment im Boden versinken zu müssen. Ihr Herz sank schwer in ihrer Brust nach unten. „Tiron... du meinst doch nicht...?“ Tiron de Varro tat im nächsten Moment schon leid, dass er das so hart und kalt ausgesprochen hatte. Impulsiv griff er nach Hildegards Hand, führte diese kurz an die Lippen und meinte "Verzeih mir. Ich meine.. Ich kann nicht anders. Aber ich muss los, wir reden ein andermal darüber. Nicht so, zwischen Tür und Angel. Bitte." Zurück blieb eine Frau die zitternd und taub den Weg zurück in ihr eigenes Haus fand, nur um dort auf einem Stuhl zusammen zu sinken, wo ihre Familie sie entgeistert und bleich vorfand. Narsil de Varro schaute reichlich erstaunt, als er nach der Gartenarbeit, die mit Hilfe von Amaro schnell von der Hand gegangen war, in die Stube zurückkam und Hildegard in dieser Verfassung vorfand. Wollten ihn heute eigentlich alle nur erschrecken? "Meine Güte, Hilde, was ist denn los?", fragte er, als er sich neben sie auf die Bank sinken ließ und nach ihrer Hand griff. Auch wenn sie nicht mehr Mann und Frau waren, war Narsils Umgang doch noch immer vertraulich - wie es auch anders nicht sein könnte nach all den Jahren. Sie starrte in die leere Luft und fragte sich, wie sie nur so dumm sein konnte. Nach allem was Tiron de Varro in der letzten Zeit für sie alle getan hatte, war sie der Annahme verfallen, dass er über ihre Hochzeit hinweg sei. Eine Annahme, die falscher kaum hätte sein können. Und statt freundlicher Worte hatte sie ihm nur Salz in die alten, unverheilten Wunden geschüttet. Als Narsil nach ihrer Hand griff, drehte sie sich zu ihm um und sah ihn mit einem verzweifelten Gesichtsausdruck an. „Narsil... war dir bewusst, dass Tiron uns noch immer nicht verziehen hat? Ich... ich dachte wirklich, dass er mittlerweile darüber hinweg sei. Und ich habe offensichtlich Salz in seine Wunden gestreut mit allem was ich im guten Willen sagte. Wie konnte ich nur so dumm und herzlos sein?“ Beruhigend strich er über ihre Hand „Schhht.“ was zur Hölle konnte Tiron denn angestellt haben? Dass er die Sache nicht einfach verziehen hatte, hatte er sicher nicht gesagt, das war zu... brutal. „Das ist sicher nicht einfach für Tiron, aber ich glaube nicht, dass er dir böse ist“ Narsil vielleicht noch, aber Hildegard sicher nicht! War er ihr je böse gewesen? Konnte er das überhaupt? „Was hat er denn gemacht?“ „Er... er sagte.. ach, das kann ich so eigentlich gar nicht sagen Narsil! Aber ich habe völlig gedankenlos auf ihn eingeredet, warum er denn noch nicht die richtige gefunden und Kinder bekommen habe und so etwas. Du weißt, wie ich ihm vorhin auch unter die Nase gerieben habe wie glücklich ich über unser Kind sei... Naja, und dann hat er mich eben daran erinnert noch einmal darüber nachzudenken und mich daran erinnert... du weißt schon, dass es damals auch wirklich ganz anders hätte laufen können. Und wie er es sagte, Narsil! So... hart. Ich fürchte ich habe wirklich einen wunden Punkt getroffen. Denkst du nicht?“ Sie lehnte sich an Narsils Schulter und suchte dort nach Geborgenheit. „Ich bin eine dumme Kuh, Narsil. Es tut mir leid. Ich fürchte ich habe deinen Bruder nur gequält. SO habe ich mir die Familienversöhnung nicht vorgestellt.“ Sie seufzte und drückte seine Hand, die ihre hielt. „Du hast das ja nicht ahnen können...“ Er strich ihr mit der freien Hand leicht über die Haare „Es ist nicht deine Schuld. Und so schlimm wird es schon nicht sein, oder? Er musste sich ein paar Sachen anhören, die er nicht hören wollte, du musstest dir etwas anhören, was du nicht hören wolltest, so ist das mit Familien, fürchte ich. Er ist eben schrecklich stur.“ Hildegard hielt kurz die Luft an, um zu vermeiden wegen solcher Kleinigkeiten noch Tränen zu vergießen. Narsil hatte recht. Sie hatte es nicht ahnen können und Tiron würde es schon überleben. Und sie erst recht. Sie hoffte nur ihn nicht zu sehr gekränkt zu haben. „Meinst du Narsil? Ich hoffe, er ist nicht wirklich böse. Ich hätte mich gerne entschuldigt, aber er war dann doch sehr plötzlich weg und ich hatte keine Gelegenheit mehr dazu. „Sie sah Narsil etwas flehend an, in der Hoffnung auf eine positive Bestätigung. Aber seine sanften Worte und seine lieben Zärtlichkeiten taten bereits ihre Wirkung. „Ich glaube nicht, dass Tiron dir jemals wirklich böse sein könnte.“, meinte Narsil für seine Verhältnisse ungewöhnlich ernst. „Danke Narsil.“ sie lächelte ihn tapfer an und musste dann kurz lachen. „Es tut mir leid, ich sollte darüber nicht lachen. Aber ich dachte gerade nur, dass du mir wirklich eine große Hilfe bist zurzeit. Und naja, es ist schon eine seltsame Situation, oder? Ich habe das Gefühl so nahe und vertraut waren wir uns schon seit... Jahren nicht mehr.“ Narsil de Varro schaute gespielt ertappt und ließ ein bisschen den Kopf hängen. "Ich funktioniere ohne Verpflichtungen besser, wie's aussieht." Erneut strich er ihr über die Haare und drückte sie dann kurz fester an seine Schulter. "Und du kannst ruhig darüber lachen, lach, lach nur!" Forderte er sie auf, ein Schmunzeln auf den Zügen. Und tatsächlich fing sie an zu Lachen. Erst nur ein leises Kichern, dann hielt sie sich die Hand vor den Mund um das Kichern zu unterdrücken, was erst recht in einem Ausbruch von Lachen endete. Sie lachte das weg, was sie sonst zum Weinen gebracht hätte. Dann umarmte sie ihren Ex-Mann und kam mit ihrem Kopf in seiner Halsbeuge zu liegen. Auch wenn sie nun kein Paar mehr waren, sein Geruch war ihr immer noch vertraut und beruhigte sie. Seine Nähe war etwas, was sie die letzten Jahre gebraucht hätte, aber nicht bekam. Jetzt wo sie sie bekam, empfand sie darüber aber keine Bitterkeit mehr. Was vorbei war, war vorbei. Immerhin war er jetzt für sie da und dafür war sie ihm wirklich dankbar. Hildegard drückte ihren Ex-Mann an sich und schmunzelte. „Ach Narsil“ „Ach Hildegard“ echote er amüsiert und setzte dann hinzu „Dich und Tiron, euch kann man wirklich keine zwei Minuten alleine lassen... schrecklich. Und dabei wollte ich gerade fragen, ob du mich die nächsten Tage dauernd brauchst - ich wollte ein paar Sachen recherchieren.“ Amaro hatte die letzten Gartengeräte im Schuppen draußen auf dem Hof verstaut und kam durch die Eingangstür zurück ins Haus, um sich wieder aus der schmutzigen Arbeitskleidung zu schälen. Dass er seine Eltern mal wieder einträchtig in der Wohnstube vorfand, wunderte ihn ein wenig. Wieso hatten sie sich überhaupt scheiden lassen, wenn sie nun nichts anderes mehr taten als zusammen zu hängen, fragte er sich. Er räusperte sich, um auf seine Anwesenheit aufmerksam zu machen. „Ich bin dann mal in meinem Zimmer. Mich umziehen, falls ihr mich fragt. Und da werde ich auch eine Weile bleiben. „Er sah sie skeptisch an. „Eine ganze Weile, bevor ihr fragt. Okay?“ Ohne eine Antwort abzuwarten setzte er sich in Bewegung. „In Ordnung Amaro. Ich rufe dich dann zum Abendessen? Oder möchtest du später noch einen Tee mit uns trinken?“ „Ja, danke. Nein, kein Tee Mutter, vielen Dank“ Und weg war ihr Sohn auch schon wieder. Sie sah ihm nach, bevor sie sich wieder Narsil zuwandte. Er hatte ihr doch soeben eine Frage gestellt, richtig? „Etwas recherchieren? Was willst du denn recherchieren Narsil? Irgendetwas, bei dem ich dir behilflich sein könnte? Im Grunde brauche ich dich nicht die ganze Zeit hier, ja. Was ich brauche ist wohl ein mittelgroßes Wunder um all die neuen Gäste zu verköstigen, oder eine Depesche zu meiner Schwester um diese um Hilfe zu bitten. Oder hast du zufällig in der letzten Zeit irgendwann Kochen gelernt Liebster?“, setzte sie mit einem süßen Lächeln hinterher, das von einem offenen Grinsen abgelöst wurde. Sie konnte irgendwie nicht mehr ernst bleiben jetzt. „Nein, damit kann ich nicht dienen. Aber ich kann deiner ausgezeichnet kochenden Schwester, die ja ohnehin seit Jahren den Verdacht hegt, es gäbe hier nur herbeigezaubertes Essen, eine Depesche vorbeibringen. Und ich bin auch nicht lange weg, vielleicht eine Nacht und ein oder zwei halbe Tage dazu.“ Er winkte mit einer Hand halb ab „Ich muss eine Schlacht recherchieren. Den Orkeinfall in Weißenturm.“ „Den Orkeinfall in Weißenturm?“ Hildegard sah den Barden etwas überrascht an. „Ich... bitte nimm es mir nicht übel Narsil, aber warum willst du jetzt ausgerechnet etwas über die Schlacht von Weißenturm recherchieren? Das liegt mehr als fünfzehn Jahre zurück und ich sehe gerade nicht, warum du ausgerechnet diese Schlacht ausgraben willst und das ausgerechnet jetzt. Wobei... waren nicht Tulander und Gahmuret auch dabei? Unsere Freunde werden dir sicher in ein paar Tagen auch noch etwas interessantes dazu erzählen können. Insoweit ist es natürlich nur vernünftig dir vorab schon einmal grundlegende Informationen zu holen... Ich weiß nur noch, dass ich damals diese Prophezeiung gemacht habe und Gahmuret und Tulander als erste aufgebrochen sind. Das war kurz nach meinem 22. Geburtstag und nicht lange vor unserer Hochzeit, wenn ich mich richtig erinnere.“ Schweigend verlor sie sich in alten Erinnerungen. Narsil de Varro überlegte kurz, überschlug die Ereignisse. Tiron war mit Barenor nach Weißenturm gegangen, kurz nachdem seine Freunde aufgebrochen waren. Und wenige Wochen danach hatte er Tiron gesehen. Kaum ein Kratzer. Narsil schüttelte den Kopf. "Das muss beim zweiten Mal passiert sein", meinte er halb zu sich selbst. "Und aus den anderen, die dabei waren, kann ich nur etwas herausquetschen, wenn ich eh schon das meiste weiß. Die haben ja bisher auch nichts davon verlauten lassen....", fast klingt es so, als sei Narsil wütend, dass die Freunde seines Bruders, seine Jugendfreunde, ihm was auch immer verschwiegen hatten. Hildegard hörte ihrem langjährigen Partner instinktiv eine gewisse Verstimmung an und legte ihm beschwichtigend eine Hand auf den Arm und streichelte mit der anderen seine Wange. „Hey, was ist denn passiert Narsil?“ Besorgt sah sie ihm in die blauen Augen. „Irgend so ein gottverdammter Ork hat versucht, Schaschlik aus meinem Bruder zu machen und ich erfahre das erst jetzt!“ aufgebracht lässt Narsil die geballte Faust auf die hölzerne Armlehne der Sitzbank krachen, was sofort dazu führt, dass er zischend die Luft zwischen den Zähnen einzog und die schmerzende Hand ausschüttelte. „Meine Güte Narsil!“ unverzüglich griff Hildegard nach seiner Hand um nach etwaigen Verletzungen zu sehen und in klassischer Muttermanier darauf zu pusten. Während sie ihren ehemaligen Mann verarztete, forderte sie sanft aber mit Nachdruck ihr doch bitte nun auch die ganze Geschichte zu erzählen. Narsil de Varro zog die Hand weg und schaute beleidigt, als wollte er sagen, er sei doch kein kleines Kind mehr. Dann biss er sich kurz auf die Unterlippe "Tiron lyncht mich, wenn ich das so weiterplauder. Und eigentlich sollte ich auch erstmal rausfinden, was genau passiert ist... außer, dass er sich offenbar mit einem Oger oder etwas ähnlich wuchtigem angelegt hat." Narsil zuckte mit den Achseln "Ich bin ja kein Heiler, ich kenne mich nicht aus, aber..." er setzte einen Finger wie einen Pfeil auf seine linke Körperseite, etwa auf Höhe des Endes des Brustbeins und dann den Zeigefinger der anderen Hand korrespondierend knapp über die Niere auf den Rücken. Die gedachte Linie zwischen einer Ein- und einer Austrittswunde. Dann schüttelte er sich "Das hat ausgesehen, als hätte man da die Hand durchgesteckt haben können." Entsprechend erschrocken schaute seine vormalige Frau nach dieser Aussage drein. „Wie bitte? Bist du dir da sicher Narsil?“ Als ausgebildete Heilerin kamen ihr Bilder vor Augen, die ihr die Farbe aus dem Gesicht trieben. Und sie war damals nicht dabei gewesen und hatte kaum etwas von dieser zweiten Angriffswelle mitbekommen. Nur, dass alle ihre Freunde die Orkangriffe überstanden hatten, was sie ihr im Nachhinein ausgerichtet hatten. Wäre sie zu diesem Zeitpunkt nicht bereits in der fortgeschrittenen Schwangerschaft gewesen, sie hätte sich garantiert als Freiwillige gemeldet und als Heilerin gewirkt, aber so... Aber offensichtlich hatten sie damals auch andere fähige Heiler gehabt, ansonsten wäre Narsils Bruder wohl kaum mit einer solchen Wunde und seinem Leben davongekommen. „Also zumindest müssen die Heiler gute Arbeit geleistet haben“, versuchte sie Narsil gut zuzureden. „Die Narbe mag vielleicht gruselig aussehen, aber er hat es ganz offensichtlich überstanden und ist heute guter Gesundheit. Oder etwa nicht?“ „Doch, doch“ beeilte er sich Hildegard zu versichern „Es geht ihm gut. Ich war nur erschrocken. Und vor allem - wieso hat mir das keiner gesagt? Er ist immerhin mein Bruder. Tulander hätte etwas sagen können, oder Gahmuret - oder Elena!“ mit einem ärgerlichen "meh" stützte Narsil das Kinn in die Hände und starrte einen Moment brütend vor sich hin. Dann wandte er den Blick wieder zu Hildegard. "Hattest du nicht etwas von Tee gesagt?" Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)