Eine zweite Chance von Verlest (Still a better Lovestory than Twilight) ================================================================================ Kapitel 3: Der Besuch --------------------- Es war ein angenehmer Morgen und sie hatte die Türe der Küche ein wenig zum Hof hin geöffnet, um frische Luft und den Duft des Frühlings hereinzulassen. Auf dem Tisch vor ihr standen frisch gepflückte Frühlingsblumen, die ihr Sohn ihr vorbeigebracht hatte, bevor er mit dem Pferd ins Dorf geritten war. Manchmal war er wirklich ein Goldjunge, ihr Amaro. Hildegard de Varro pustete ein paar Dampfwölkchen von ihrem frischen Tee. Sie nippte kurz und entschied dann in der Geschäftskorrespondenz zu blättern, die ihr Bruder ihr hatte zukommen lassen. Noch keine Nachricht von ihrem Ehemann. Zwei Wochen war es jetzt her, aber er ließ selten zwischendurch von sich hören. Hildegard hatte sich in den letzten Jahren daran gewöhnt, aber sie hoffte dennoch jedesmal. Hoffte, dass ein Wunder geschähe, alles Gut werden würde und sie ihre Fehler irgendwie wieder rückgängig machen könnte. Wenn sie sich nur besser beherrschen könnte, ihm nicht immer wieder so eine Szene machen würde... Eigentlich wollte sie das auch nicht, sie wollte ja Verständnis zeigen. Aber dieses selbstzufriedene Grinsen von Narsil, wenn er sich nach wochenlanger Abwesenheit wieder zuhause zeigte... Ihre schlanken Finger verkrampften sich kurz um die Teetasse. „Ruhig“, ermahnte sie sich, „entspann dich Hildegard..“ Zwei Wochen war es auch her, dass ihr Sohn berichtete seinen Onkel getroffen zu haben. Zwei Tagesmärsche von hier, in einer Verlester Gaststätte. Sie konnte es erst gar nicht glauben, aber offensichtlich hatte er eine Art Friedensangebot gemacht, ihrem Sohn ein Pferd geliehen, mit dem dieser schneller zu ihr zurückkehren konnte, und dann noch versprochen sie hier besuchen zu kommen. Nach all den Jahren, schmunzelte sie, noch immer der Ritter auf dem weißen Pferd. Ob er sich sonst verändert hätte? Fünfzehn Jahre sind eine lange Zeit, dachte sie. Die ersten Tage nach dieser Ankündigung war sie nervös durch das Haus geflattert, hatte sich Sorgen gemacht über dieses und über jenes. Er würde zweifellos Fragen stellen, dachte Hildegard, und sie konnte ihm unmöglich die Wahrheit sagen. 'Wie geht es dir Hildegard?' 'Oh, fantastisch! Seit ich vor fünfzehn Jahren den Fehler machte, vor dem du mich so eindringlich gewarnt hast, hat sich viel verändert. Ja, anfangs waren wir glücklich. Aber jetzt? Unsere Ehe ist eine Katastrophe, Narsil ein unverbesserlicher Schwerenöter der Zuflucht in jedem Bett sucht, außer dem seinen, ich habe ihn vertrieben durch meine Bitterkeit und die vielen Beleidigungen, die ich ihm an den Kopf warf. Unser Sohn ist so unglücklich mit seinem kaputten Elternhaus, dass er regelmäßig ausreißt.' Und das wäre nur der Anfang, finge sie erst einmal mit der Wahrheit an. Nein, auf keinem Fall würde sie ihm diesen Scherbenhaufen zu Füßen legen können, nach dem was zwischen ihnen Stand. Sie hatten ihn schwerer verletzt als irgendjemand geahnt hatte und ihres Wissens gab es bis heute keine Lady de Varro, die ihn die Kränkung vergessen lies. Er beobachtete sie schon eine Weile durch die geöffnete Tür der Küche. Sie stand dort drüben, nur wenige Meter vor ihm. Er sah, wie sie an ihrem Tee nippte, durch Briefe blätterte und an den Blumen vor ihr schnupperte. Die Jahre sind kaum merklich an dieser Frau vorbeigezogen, stellte Tiron verwundert fest. Ja, es lagen feine Linien auf ihrem Gesicht. „Lachfalten hat sie!“ dachte er erfreut. Das könnte heißen, dass er sich schlimmeres ausgemalt hatte, als der Wahrheit entsprach. Ein langer, fester Zopf, leuchtende Augen und diese neckischen Sommersprossen auf der Nase. Tiron glaubte fast das gleiche Mädchen vor sich zu haben wie früher. Das Mädchen, nun, eher die Frau, die er liebte. Tiron de Varro war seit langem nicht mehr so nervös gewesen wie an diesem Tag. Hätte er doch Blumen mitbringen sollen? Hätte er etwas weniger förmliches anziehen sollen? Das Problem ziviler Ausgehkleidung hatte sich in den letzten Jahren so gut wie nie gestellt, es gab immer eine zum Anlass passende Uniform. Vermutlich sah er aus, als wolle er jemanden vor ein Militärgericht schleifen - und vermutlich würde Hildegard darüber schmunzeln können, dass er so aussah. Bei dem Gedanken schlich sich ein kleines Lächeln auf Tirons Züge. Wenn er noch länger hier stand, würde er zudem erklären müssen, wieso er nichts sagte. Tiron räusperte sich halblaut in die geschlossene Faust. "Hallo, Hildegard." Mehr brachte er kaum hervor, denn trotz der wenigen Worte schlug ihm das Herz bis zum Hals. Wie würde sie reagieren? War Narsil da? Amaro? Hildegard schreckte von ihren Briefen hoch als hätte sie die Stimme des Bane persönlich gehört und stand schlagartig auf, wobei sie die Teetasse umwarf, die sich über die soeben gelesenen Korrespondenzen ergoss. Im Versuch die Tasse noch aufzufangen, bevor sie weiter Richtung Fußboden segelte, realisierte Hildegard überhaupt erst wer dort in der Küchentür stand, was wiederum sie dermaßen aus der Bahn warf, dass die schöne Tasse nur noch am Boden zerschellen konnte, während Hildegard versuchte irgendwie Fassung wiederzuerlangen. Was sie hingegen erlangte waren Teeflecken auf ihrem Leinenkleid und ein schiefes Lächeln, dass in einem völlig hoffnungslosen Versuch ihr Erstaunen überdecken sollte. „Tiron.“ So wenig und doch so fiel lag in diesem einen Wort, dass sie sagte. Ihre schlanken Finger strichen eine verirrte Strähne verlegen hinters Ohr und ein Paar Armreifen klingelten dabei an ihrem Arm. Silber, stellte er fest. Zweifelsfrei zwergische Arbeit. Aber warum sollte Dvalinn Dornssohn Armreifen aus Silber für Hildegard machen? „Ich...ich habe nicht mit dir gerechnet. Also ich meine ich habe schon mit dir gerechnet, aber nicht ausgerechnet jetzt. Amaro hat mir natürlich von eurem Treffen erzählt. Willst...willst du reinkommen?“ Das Herz schlug ihr bis zum Hals und sie hoffte inständig, dass man ihr die Nervosität nicht aus zehn Meilen Entfernung würde ansehen können. Dieses Willkommen war ihr zumindest schon völlig entglitten. „Wenn du nicht zu beschäftigt bist.“ Mit einer Hand deutete er dabei auf die in Tee schwimmenden Briefe, aber er machte einen Schritt in die Küche hinein. Ein rascher Blick glitt durch den Raum, ganz General, der das Gelände in Augenschein nimmt, die einfache, aber gemütliche Einrichtung, der Hausaltar, den er erwartet hatte, aber dann kehrte seine Aufmerksamkeit zu Hildegard zurück. Hatte er sie erschreckt? Hätte er sich ankündigen sollen? "Nein nein! Ich sollte das nur kurz abwischen.." gesagt getan, ein paar Handgriffe später wellten sich die Briefe nur noch vor Feuchtigkeit und die Teetasse hatte sich nach ein paar gemurmelten Worten auch wieder zusammengesetzt. Hildegard stellte sie zurück auf den Tisch, bevor sie sich wieder ihrem Gast zuwandte. Sie brauchte ein paar Sekunden Zeit um sich zu sammeln, die Situation war noch immer äußerst ungewohnt für sie. Jetzt nach fünfzehn Jahren stand Tiron de Varro plötzlich in ihrem Haus. Sie versuchte die gute Gastgeberin zu spielen und sich nichts anmerken zu lassen, während sie im Geiste noch eine Liste abhakte, ob alles aufgeräumt und geputzt sei. „Möchtest du etwas trinken Tiron? Ich habe vorhin frischen Tee aufgesetzt, der noch immer heiß sein dürfte. Oder möchtest du erst etwas ablegen?“ Sie musterte ihn kurz, denn noch war es Anfang März und nicht zu spät für Mäntel. Vor allem, sofern man zu Pferde reist. „Bist du geritten?“ Es war ungewohnt, Hildegard so unruhig zu sehen. Die Frau in seiner Erinnerung hatte stets mit Nachdruck gewusst, was sie wollte, hatte scheinbar kein Hindernis gefürchtet. Das hier fühlte sich falsch an. "Tee wäre wirklich sehr aufmerksam, danke. Darf ich?" Er deutete auf einen Stuhl und löste gleichzeitig den halblangen Reitermantel, der zwar noch aus festem Wollstoff war, aber dem frühlingshaften Wetter angemessen. Einmal ordentlich zusammengelegt, hängte er den Mantel einfach über die Lehne. "Ja, ich bin geritten. Um zu laufen ist es ja doch etwas zu weit", beantwortete er ihre Frage, setze sich und legte die Hände ruhig auf der Tischplatte zusammen. Innerlich war er mehr als dankbar für den Tisch, immerhin würden seine Hände so nicht zittern und er wusste, wo er sie lassen konnte. Im Gegensatz zu seinen Augen, die er nur deshalb auf die Teetasse lenkte, weil es unhöflich gewesen wäre, Hildegard die ganze Zeit anzustarren als wäre sie die vom Himmel herabgestiegene Sehanine. Oder Sune persönlich. "Praktisch, Geweihte zu sein, ja?" „Eine gute Hausfrau hat immer ein paar solcher Zauber vorbereitet“ antwortete sie und lachte. „Ich nehme an dann hast du bereits alles gefunden und dein Pferd versorgt. Ich hole dir dann mal einen Tee“ Dann ging sie um Tiron eine Tasse frischen Tees zu holen und sich in der Küche kurz sortieren zu können. Hildegard war betroffen. Er hatte sich verändert, war älter geworden und ...seltsam kühler. Das Leben hatte Tiron de Varro gezeichnet, aber nicht verdorben, hoffte sie. Er hatte mitnichten seine Attraktivität verloren, aber sein jungenhafter Charme war dahin. Dieser Mann wirkte streng und fast älter als er war. Welten trennten ihn von dem jungen Mann, den sie vor fünfzehn Jahren zuletzt gesehen hatte. Es schauderte sie innerlich, aber sie hoffte mit ihrer Einschätzung diesmal weit daneben zu liegen. Als sie mit zwei Teetassen zurück kam, lag ein leichtes Lächeln auf ihren Lippen und sie wirkte wieder völlig gefasst. „Hier dein Tee Tiron. Ich würde dir liebend gerne noch etwas anderes anbieten, aber Amaro ist noch mit deinem Pferd im Dorf um ein paar Besorgungen für mich zu machen. Hätte ich gewusst, dass du jetzt kommst, hätte ich noch etwas vorbereitet. Bitte entschuldige.“ und sie setzte sich gegenüber auf einen der Stühle. „Schön dich wiederzusehen.“ Und das meinte sie ernst. „Ich möchte dir nicht zu viele Umstände machen...“ meinte er und winkte ihre Bedenken mit der Hand fort. Immerhin war er ja geradezu überfallartig aufgetaucht. Nicht nur heute, sondern in ihrem Leben generell. Und es war ihm schmerzlich bewusst, dass er in dieser Küche, in diesem Haus ein Eindringling war. „Die Freude ist ganz meinerseits.“ Das klang selbst in seinen Augen viel zu förmlich, aber er wusste nicht, was er sonst sagen sollte. Worte waren nie seine Stärke gewesen und die Förmlichkeit diente ihm als Schild, um zu verbergen, wie unsicher er war. Besser, er blieb defensiv, denn offensiv würde bedeuten, Hildegard all das zu sagen, was mehr als unangebracht war. Immerhin war sie seine Schwägerin, auch wenn er das Wort nicht einmal in Gedanken formulieren konnte, wenn er sie ansah. Die hellen Haare, die warmen Augen, diese Lippen... „Und wie... geht es dir?“ Sie musterte ihn amüsiert. „So förmlich Tiron? Ist das hier ein Anstandsbesuch, den du uns nach so vielen Jahren abstattest?“ und kurz flackerte ihr altes, kämpferisches Selbst in ihr auf, das kein Blatt vor den Mund hätte nehmen wollen. 'Du bist steif geworden alter Haudegen!' wollte sie ihm am liebsten lachend ins Gesicht schleudern und ihn dann umarmen wie in alten Zeiten. Stattdessen lehnte sie sich damenhaft zurück in ihrem Stuhl und antwortete auf seine Frage. „Gut geht es mir Tiron. Ein Haus, ein Kind, was sollte ich mehr wollen?“ und es klang nicht einmal mehr ironisch aus ihrem Mund. Die reifere Hildegard hatte gelernt wenig zu verlangen vom Leben. Dass sie instinktiv ihren Mann vergessen hatte zu erwähnen, war ihr gar nicht bewusst in diesem Moment. „Ich weiß, es ist nicht ganz so luxuriös wie mein Elternhaus, aber das habe ich nie gebraucht wie du weißt. Und wie ist es dir ergangen? Viel habe ich nicht mitbekommen, außer, dass du deiner Karriere mit Ehrgeiz - und dass sehr erfolgreich - gefolgt sein sollst.“ Vor dem Hintergrund dessen, was Amaro erzählt oder auch nur angedeutet hatte, fiel Tiron das Fehlen des Gatten in der Aufzählung durchaus auf, aber er kommentierte es nicht. Stattdessen senkte er mit einem schuldbewussten, ertappten Lächeln den Kopf. "Nein, kein Anstandsbesuch. Vor allem Neugier. Es ist... lange her." Verdammt lange. Und trotzdem leuchtete die wilde, ungezähmte Hildegard noch durch, ein kleiner Ausbruch, für den Tiron ihr am, liebsten um den Hals gefallen wäre. "Es ist schön hier, gemütlich. Größer müssen Häuser gar nicht sein, glaub mir. Und wie mir scheint, weißt du alles, was es zu wissen gibt", er zuckt kurz mit den Achseln. "Ich habe eben getan, was ich konnte. Und ich habe viel zu tun, vor allem mit der Akademie. Ich glaube, das wäre etwas, was dir auch Freude machen würde, Wissen weiter zu geben an so viele hoffnungsvolle junge Geister." Hildegard stützte sich gedankenverloren auf dem Tisch ab und fuhr mit der rechten Hand nachdenklich über die Tischplatte. „Ich habe einen Jungen erzogen wie du weißt. Oder zumindest habe ich mein Bestes versucht“ Sie seufzte. Nicht ganz so erfolgreich wie du, wie ich fürchten muss. Amaro macht mir manchmal Sorgen in letzter Zeit. Ich weiß leider nicht wirklich, was aus dem Jungen werden soll. Früher war er so ein aufgeweckter, lieber Junge. Und jetzt...“ Da sprach die besorgte Mutter aus ihr. „Du weißt, dass er von zuhause weggelaufen war?“ Tiron de Varro nickte andeutungsweise. "Ja. Aber mach dir deswegen nicht zu viele Sorgen, in seinem Alter ist das ganz normal, dass man ein bisschen herumstreift." Na, von wem er das mit dem Weglaufen wohl hatte? Narsil war in dem Alter schon rastlos gewesen, aber Hildegard musste wohl eher Angst haben, dass ihr Sprössling nach ihr schlug und sich jahrelang nicht zu Hause blicken ließ. "Aufgeweckt scheint er mir aber immernoch zu sein - soweit ich das nach unserem kurzen Gespräch einschätzen kann, versteht sich." Hildegards Miene hellte sich auf. „Findest du?“ Sie lächelte. „Dennoch... Amaro kennt meine Vergangenheit nicht, du aber schon. Du weißt was ich meine. Und außer meiner Ausbildung und...Narsils, hat Amaro keine erhalten. Ich habe wohl ein wenig Sorge, dass er auch das rastlose Leben ergreift, aber ohne vorher wirklich einen Beruf erlernt zu haben.“ Hildegard zuckte ratlos mit den Schultern und es blieb offen, ob das „auch“ sich auf sie, oder ihren Mann bezog. Tiron de Varro war im ersten Moment so derart von ihrem Lächeln eingenommen, dass die Wörter eine Ehrenrunde drehen mussten, bevor er ihren Sinn verstand. "Er ist eben doch euer Sohn. Aber ich bin mir sicher, dass du dafür gesorgt hast, dass er alles wichtige weiß", bekräftigte er dann. Narsil vermutlich auch, auch wenn Tiron an dieser Stelle nicht eingestehen mochte, dass sein Bruder irgendetwas wertvolles zu lehren hatte. "Wo ist Narsil eigentlich?" Hildegard fror das Lächeln im Gesicht ein ob dieser Frage, auch wenn sie unausweichlich hatte kommen müssen. Doch leider war ihr bis jetzt keine rettende Idee gekommen. „Narsil? Er ist....nicht da.“ Hildegard blickte hilflos auf die Teetasse vor sich. Sie schluckte und griff nach der Tasse um Zeit zu schinden. Nichts davon half. Hildegard seufzte leise auf, denn sie wollte Tiron einfach keine so blatanten Lügen auftischen wie dass Narsil nur kurz weg sei. Ganz rein zufällig, irgendwo anders. Weit genug weg, als dass man ihn nicht herholen könnte, aber nicht so weit, als dass es unschicklich gewesen wäre. Also versuchte sie sich in die Lügen zu retten, die ihr halbwegs leicht von den Lippen gingen. Ähnliches wie sie auch ihrem Bruder oder ihren alten Freunden auftischte. „Narsil ist ein paar Tage weg. Er ist einfach kein Hausmann und genießt das Reisen einfach zu sehr um immer nur zuhause zu sein. Es entspricht nunmal nicht seiner Natur, du kennst ihn. Also habe ich ihn gebeten doch bitte nach einem Geschenk für Amaros fünfzehnten Geburtstag Ausschau zu halten. Damit ist uns beiden genutzt.“ und sie lächelte Tiron gewinnend an, während sie sich wie ein dressiertes Tier vorkam. „Es wird ihm sicher leid tun wenn er hört, dass er dich gerade verpasst hat. Du fehlst ihm und dieses Zerwürfnis nagt an uns allen.“ Eigentlich gemein, einem Mann, der nie ein Freund von Winkelzügen gewesen ist, so einfach ins Gesicht zu lügen. Wie sollte Tiron denn wissen, dass hinter ihren Worten etwas ganz anderes stand, zumal sie so plausibel klangen? So war Narsil eben. Ergo konnte der fast bitter zu nennende Zug um Tirons Mund in diesem Moment und der harte Ausdruck in seinen Augen auch nichts mit Hildegards Lüge zu tun haben, die er mit einem Nicken schluckte. "Das ist wirklich schade, ich hätte ihn gern gesehen. Richte ihm Grüße aus, wenn er wieder da ist, ja? Mir liegt wirklich viel daran, diese Sache ins Reine zu bringen." „Das freut mich Tiron. Ich werde es ihm ausrichten, wenn ich ihn das nächste mal sehe.“ Sie trank ihren Tee aus, doch die Lüge schmeckte bitter. Sie konnte Tiron kaum noch ins Gesicht sehen. „Möchtest du vielleicht noch etwas Tee, Tiron? Oder kann ich dir irgendetwas anderes anbieten? Amaro sollte hoffentlich auch bald wieder hier sein, aber er war noch nicht lange weg, bevor du kamst.“ Hildegard überlegte wie sie sich kurz in die Küche davonstehlen könnte, bevor sie Tiron noch mehr Lügen ins Gesicht warf. Es tat ihr so leid, nach all diesen Jahren machte er einen Schritt auf sie zu und wie dankte sie es ihm? Zumindest nicht damit, ihm einen Scherbenhaufen vor die Füße zu werfen, versuchte sie sich die Sache schön zu reden. Abgesehen von dem der Teetasse, erinnerte sie sich und musste kurz Auflachen. Schnell fasste sie sich wieder und stand auf. „Ich zumindest hätte gern noch etwas zu trinken. Und du?“ Eine Fülle an gestärktem Leinen ergoss sich auf den Boden. Das lange Kleid war seitlich geschnürt, da sie meist nur auf Kleider zurückgriff, die sie ohne Hilfe anpassen konnte. Aber im Vergleich zu ihrer früheren Garderobe war es ungewohnt weiblich und der weite Rock raschelte, wenn sie sich bewegte. „Wenn noch etwas Tee da ist...“ 'nehme ich gerne noch einen', hätte der Satz enden sollen, aber Hildegards Bewegung, das Schwingen des Rocksaumes, überhaupt ihre Nähe im gleichen Raum machten es dem Lord nicht gerade einfacher, seine Gedanken beisammen zu halten. Als Hildegard in der Küche verschwand nutzte auch Tiron die Gelegenheit, tief durchzuatmen und sich mit allen zehn Fingern durch die vormals so ordentlichen Haare zu fahren - eine Geste, die offenbar alle Männer der Familie gemeinsam hatten. Was tat er hier eigentlich? Die Ehe seines Bruders zerstören? Konnte er denn sicher sein, dass es da nichts mehr zu kitten gab? Müsste er nicht eher nach einem Weg suchen, die Eheleute wieder miteinander zu versöhnen? Stattdessen konnte er nicht einmal dafür garantieren, dass er Hildegard nicht nochmal völlig überrumpelte und ihr auf Knien seine Liebe gestand. „Das Kleid steht dir übrigens.“ Wie entwaffnet stand Hildegard de Varro in der Tür, zwei Tassen Tee in der Hand. „Oh...danke Tiron. Dabei ist es nur ein einfaches Hauskleid.“ Hildegard de Varro schaute verlegen zur Seite, als sie Tiron eine neue Tasse Tee hinstellte und sich mit ihrer zurück auf ihren Platz begab. Er sah auch gut aus, reifer und markant: Aber sein früherer Charme fehlte ihr. Nur würde sie sich hüten ihm das zu sagen. Stattdessen lächelte sie ihn nur wortlos an. Langsam schlichen sich ungewollte Gedanken in ihren Kopf. Was wäre gewesen, wenn sie nicht schwanger geworden wäre? Wenn sie nicht Narsil geheiratet hätte? Wie wäre ihr Leben dann verlaufen? Sie zwang sich diese Gedanken mit aller Kraft beiseite zu schieben. Sie hatte Amaro gewollt und auch Narsil, sie hatte sich entschieden. Die Stille wurde langsam unangenehm und ihr wurde klar, dass sie wohl sehr dümmlich aussehen musste, wie sie so in Tirons Richtung vor sich hinstarrte und nutzlos grinste. „Also...“ setzte sie an. „So sieht es aus bei uns.... und bei dir gibt es nichts neues?“ Dabei sah sie Lord de Varro fragend an. Sie wirkte fast hilflos auf der Suche nach irgendeinem Thema und seufzte schließlich. „Das ist es also. Fünfzehn Jahre haben wir uns nicht gesehen und dann weiß ich nicht einmal etwas zu erzählen.“ Ein leicht verbitterter Zug zeigte sich auf ihrem Gesicht. „Gut, seit ich mich zur Ruhe gesetzt habe gibt es auch nicht mehr viel zu erzählen aus meinem Leben“. Seit sie sich aufgegeben hatte, hätte sie sagen können. „Aber wie sieht es bei dir aus? Hast du auch vor dich in Zukunft mal zur Ruhe zu setzen, oder wie sehen deine Pläne aus? Und wie geht es eigentlich deiner Familie?“ Dem Teil zumindest, von dem ich selten etwas höre setzte sie für sich noch in Gedanken dahinter. Sie wusste nicht, ob Tiron sich im klaren war, dass seine Schwestern sie ab und an heimlich besucht hatten und sie wollte nicht diejenige sein, die ihre Schwägerinnen verriet. Tiron de Varro zuckte, ein bisschen maulfaul wie eh und je, mit den Schultern. "Es gibt nichts wirklich spannendes aus der letzten Zeit zu berichten, fürchte ich. Irgendwann werde ich mich zur Ruhe setzen, aber noch nicht jetzt. Es ist... einfacher, wenn man weiß, womit man seine Zeit verbringen soll." Ein kleines, schiefes Grinsen an dieser Stelle, wo eigentlich eine Familie als Lebensmittelpunkt hätte sein sollen. "Und meiner Familie geht es gut. Elena ist wieder schwanger, aber ich nehme an, dass du das schon weißt. Wenn nicht von Ela, dann von Tulander." Viel ließ er sich nicht in die Karten schauen, aber das verriet er dann doch, vielleicht gerade, weil er ahnte, dass Hildegard sonst versucht hätte, seine Schwestern in Schutz zu nehmen. "Und Samuel macht sich wirklich gut. So langsam könnte der sich auch mal nach einer Braut umsehen." „Oh, das freut mich zu hören!“ Hildegard wirkte erleichtert. „Du weißt also, dass wir in Kontakt geblieben sind? Es beruhigt mich, dass du uns das nicht übel zu nehmen scheinst. Ich denke du weißt, dass wir es nicht böswillig hinter deinem Rücken getan haben, sondern um dich nicht zu belästigen. Warum wir keinen Kontakt mehr hatten ist ja selbstverständlich, aber ansonsten ging es ja hauptsächlich von deinen Eltern aus. Und deine Schwestern sträubten sich wie ich dagegen, dass Narsil und Amaro keinerlei Kontakt zu ihrer Familie sollten haben dürfen.“ Damals war sie noch kämpferisch gewesen.Und wenn schon nicht für sich, würde sie es zumindest für ihren Sohn auch heute jederzeit wieder sein. Tiron de Varro schaute jetzt sogar ein bisschen betreten. Sicher, Narsil war von seinen Eltern für die nicht standesgemäße Heirat bestraft worden, aber Tiron hatte weder damals etwas für seinen Bruder getan, noch hatte er sich nach dem Tod der Eltern darum bemüht, seinen Zwilling zu rehabilitieren. Aber Hildegard hatte Recht, sie wussten beide, warum, es keinen Kontakt gegeben hatte. "Ich bin froh, dass die Mädchen den Kontakt zu euch gehalten haben", erklärte er mit einem schwachen Lächeln. "Auch, wenn sie mir nicht viel erzählt haben. Aber", und dabei setzte er sich entschlossen etwas aufrechter hin "Das wird sich jetzt ändern. Und wo wir gerade bei Amaros Geburtstag waren... meinst du, es wäre in Ordnung, wenn ich ihm etwas schenke?" Für einen Moment blitzte Unsicherheit in Tirons Gesicht auf. Er wollte sich nicht mit Gewalt in das Familienleben einmischen. Hildegard de Varro schenkte ihrem Schwager einen warmen Blick und sagte sanft „Tiron, eigentlich wollte ich dich fragen, ob du zu seinem Geburtstag kommen möchtest. Meine Familie wird aus Weyersdorf zum Essen kommen. Aber ich war etwas unsicher, ob du dir das zumuten möchtest. Falls nicht, hätte ich vollstes Verständnis dafür. Aber was ein Geschenk angeht...er würde sich riesig über etwas Aufmerksamkeit von seinem verlorenen Onkel freuen. Aber ich wäre dir dankbar, wenn du dich nicht zu einer großen Investition hinreißen lassen würdest. Das würde Amaro sicher den Kopf verdrehen. Mir wäre es eigentlich lieber, du würdest dem Jungen einmal den Kopf waschen Tiron.“ Hildegard zwinkerte ihrem Gegenüber verschwörerisch zu. „Ich hoffe eigentlich, dass du einen guten Einfluss auf den Jungen haben könntest und ihn nicht zusätzlich verwöhnst. Sein Vater setzt ihm schon lauter Flausen in den Kopf, fürchte ich. Ich halte mich extra damit zurück Geschichten aus meiner aufregenden Vergangenheit zu erzählen, die Amaro zu irgendwelchen Dummheiten animieren könnten. Nicht, bevor er kein solides Handwerk gelernt hat und sich zuverlässig selbst verteidigen kann. Solange seine alte Mutter ihn noch beim Training überlisten kann, ist er einfach nicht soweit.“ und Hildegard versteckte ihr Lachen damenhaft hinter einer Hand, während sie an die letzten Trainingseinheiten dachte, bei denen sie ihren Sohn getestet hatte. Tiron de Varro wirkte ein bisschen ertappt. "Ähm... ich komme natürlich gerne zum essen. Was genau wäre denn eine zu große Investition? Ich hatte eigentlich überlegt, Amaro kurz nach seinem Geburtstag für ein oder zwei Tage abzuholen und mit ihm zu einem Freund" er überlegte kurz und sah Hildegard an "Ich glaube, du hast Atanir de Nivisz nie kennen gelernt, oder? Wie dem auch sei, jedenfalls hat Atanir eine ausgezeichnete Pferdezucht und ich dachte..." Tiron ließ den Satz in der Schwebe, aber es war ja wohl auch so klar genug, was das Geschenk sein sollte. "Was will der Junge denn lernen? Ich werde natürlich gerne behilflich sein. Aber ich bin mir auch sicher, Amaro wird ein braver Bürger, wie seine Mutter, die noch gar nicht so alt ist." Braver Bürger, in dem Ausdruck lag, auch wenn Tirons Blick Hildegard dabei nur kurz streifte, bevor er ihn auf den Tisch und seine Hände senkte, eine ganz eigene, von einem leisen, fast ein wenig wehmütigen Lächeln begleitete Zärtlichkeit. „Tiron de Varro“ sie beabsichtigte tadeln zu klingen, doch man hörte ihr an, dass sie im Grunde amüsiert war über ihren alten Freund und Gefährten. „Ein Pferd, wirklich? So stellst du dir also eine nicht zu große Investition vor? Und wie sollen die Eltern dann am Ende dastehen, die ihrem Sohn kein neues Pferd bieten können?“ Sie lachte, griff über den Tisch und drückte Tiron kurz sanft die Hand. „Du kannst Amaro gerne mitnehmen, aber ein Pferd ist vielleicht doch ein bisschen viel des Guten, findest du nicht?“ Sie sah Lord de Varro nachsichtig, wie einen unerfahrenen Jungen an. „Du verwöhnst Amaro sonst mehr als seine eigenen Eltern. Und er weiß doch jetzt schon nicht, was er mit sich anfangen soll. Und ich bin auch etwas ratlos.“ Sie hob die Schultern um diese Aussage zu unterstützen, wirkte dabei aber gelassen und erstaunlich heiter. Die Situation hatte sich für sie sehr entspannt entwickelt und sie fühlte sich nicht mehr unter Druck gesetzt. Es war, als würde die Verkrampfung langsam von ihr abfallen. Tiron de Varro erstarrte für einen Moment zu einer Salzsäule, als Hildegard seine Hand berührte und wagte nicht zu blinzeln, geschweige denn zu atmen. "Für ein kleines Pferd ist er aber mittlerweile zu groß. Und immerhin habe ich fünfzehn Jahre aufzuholen." Er lächelte, seufzte dann gespielt und gab sich geschlagen "Gut. Kein Pferd also. Ich komme also zum Essen und ... " eine vage Geste in der Luft zeigte, dass Tiron offenbar wenig Ahnung hatte, was er mit dem Heranwachsenden unternehmen könnte. Wenn man keine eigenen Kinder hat... „Ich weiß Tiron. Ich verstehe das ja.“ zeigte sich Hildegard ganz verständnisvoll für den überforderten Ritter. „Aber wenn da ein neuer Onkel in sein Leben tritt und direkt mit einem Pferd aufwartet... das halte ich nicht für eine gute Idee. Du hast jetzt alle Zeit die du willst um die vergangnen Jahre aufzuholen. Gib ihm lieber die Möglichkeit darauf hinzuarbeiten. Denn im Grunde hast du Recht, er könnte ein eigenes Pferd gebrauchen. Narsil ist ständig mit dem anderen weg.“ Das Lächeln fror ihr kurz im Gesicht ein als ihr klar wurde, dass sie kurz davor stand sich zu verplappern. Beinahe...hoffentlich hatte sie nicht zu viel gesagt, dachte sie. Aber dass Narsil manchmal weg war, hatte sie ja bereits zugegeben und gut begründet. Sie lachte um über die unglückliche Formulierung hinwegzutäuschen. Gerade, wo es so schön war wollte sie die Stimmung nicht wieder kippen lassen. Sie entschied sich einfach in die Offensive zu gehen. „Weißt du was vielleicht ein vernünftiges Geschenk wäre Tiron?“ und sie ergriff wieder wie beiläufig seine Hand „Eine gute Waffe und ein paar Übungsstunden um richtig damit umgehen zu lernen. Von mir kann er niemals so eine gute Technik lernen wie von dir!“ Und sie ließ seine Hand wieder los, schaute ihn dafür aber erwartungsvoll an. Wie bitte sollte er sich auf das konzentrieren, was sie sagte, wenn ihre Finger auf seiner Haut lagen? Und seine Hand ganz von alleine Anstalten machte, ihre festzuhalten? Es dauerte also einen Moment, bevor der Ritter wie aus tiefem Wasser wieder an die Oberfläche kam und langsam nicken konnte. "Das klingt nach einer vernünftigen Lösung." Vernünftig, ja, das sollte er auch sein. Er sollte gehen, sagen, er würde das Pferd ein andermal holen, irgend etwas in der Art. Aber ein paar Sachen musste er doch noch genauer wissen, auch wenn er sich nicht sicher war, ob er sie wissen wollte. "Mich mit Narsil auszusprechen scheint ja schwieriger zu werden, als gedacht. Er hat sich wirklich nicht verändert, oder?" Hildegard biss sich unbewusst ein wenig auf die Lippe. „Wie meinst du das Tiron?“ sie zögerte seine Frage direkt zu beantworten, da sie sich nicht sicher war, worauf er anspielte. Auf seine Rastlosigkeit? Sie könnte auch einfach alles bejahen, viel verändert hatte er sich wirklich nicht. Und sie war ein Dummkopf gewesen das überhaupt von ihm erwartet zu haben. Er konnte unmöglich alles meinen, was sie bejahen würde. Und dann müsste sie ihn wenigstens nicht anlügen. Sie lächelte großmütig, ganz die Dame die aus ihr geworden war. „Nein Tiron, da hast du Recht. Er hat sich wirklich nicht viel verändert. Aber spätestens zu Amaros Geburtstag wirst du ihn auf jeden Fall antreffen. Wohl auch früher, aber ich weiß nicht, ob du dich dann direkt wieder auf den Weg machen möchtest. Aber wenn du willst, können wir dir eine Nachricht zukommen lassen, sobald er zurück ist.“ Du könntest auch einfach in ein paar Tavernen nachfragen, irgendwo wird man ihn schon gesehen haben, dachte sie. Und dann lässt du mir mal eine Nachricht zukommen, damit ich mich selbst mit meinem Mann aussprechen kann. Und das möglichst noch vor Amaros Geburtstag... Tiron de Varro suchte einen Moment in Hildegards Augen nach der ganzen Tragweite von "nicht viel" und fand bestätigt, was er befürchtet hatte. Nicht nur Narsils Rastlosigkeit also. "Ich denke, ich werde versuchen, ihn vorher irgendwo aufzutreiben. Bisher habe ich meinen Bruder noch immer gefunden, wenn ich das wirklich wollte." Und in dem Versuch, daraus einen kleinen Scherz zu machen "Vor allem, wenn er nicht damit gerechnet hat." „Ach, mach dir doch nicht solche Umstände Tiron! Du hast sicher anderes zu tun als nach Narsil zu suchen. In ein paar Tagen ist er wieder hier und wir werden dich informieren.“ Ihr schiefes Lächeln machte keinen Hehl daraus, dass sie es nicht für eine gute Idee hielt, dass Tiron sich tatsächlich anschicken wollte nach Narsil zu suchen. „Nachher verpasst ihr euch nur und du hast deine Zeit verschwendet. Zeit, die Lord de Varro sicher mit anderen, sinnvollen Dingen zubringen sollte, nicht wahr?“ Sie zwinkerte ihm zu. „Ich denke man würde dich an der Akademie vermissen, oder nicht?“ Jetzt versuchte sie es also schon über diese Schiene, schämte sie sich. Tiron wäre garantiert zu verantwortungsvoll um seinen Pflichten nicht nachzugehen um stattdessen in der Weltgeschichte herumzureisen. „Das wäre aber ein Armutszeugnis für unsere stolze Akademie, wenn sie nicht ein paar Tage ohne einen kleinen, menschlichen Lord auskäme“ hielt er dagegen. „Außerdem liegen mir gewisse gemeinsame Freunde von uns ohnehin dauernd in den Ohren, ich sollte mehr raus und etwas unternehmen - nur deshalb bin ich ja auch über Amaro gestolpert.“ Hildegard seufzte. Wie könnte sie Tiron jetzt noch davon abbringen? „Und eine möglicherweise fruchtlose Suche nach deinem Bruder ist deine Art etwas zu unternehmen?“ fragte sie ihn. „Du hast so viele Jahre gewartet und kannst jetzt keine paar Tage mehr auf eine Nachricht warten?“ Sie versuchte spöttisch und jovial zu klingen, fühlte sich dabei aber eher verzweifelt. Sie hatte keine Angst, dass er Narsil womöglich verpassen könnte, ganz im Gegenteil. Sie fürchtete Tiron würde ihn finden und dass im schlimmsten Falle in einer verfänglichen Situation. Und dann wären ihre Lügen umsonst gewesen. Sie tat das für ihn, versuchte sie sich zu erinnern. Sie hatte sich vorgenommen Tiron das zu ersparen. 'Also lass dir etwas einfallen, Hildegard!' ermahnte sie sich. „Ich dachte gerade du würdest verstehen, dass man nach einem einmal gefassten Entschluss nicht zögert, ihn auch in die Tat umzusetzen.“ Gab er ihr zu bedenken, auch wenn er wusste, dass es nicht gerade fair gespielt war die ohnehin in Erklärungsnöte geratene Frau damit noch an das zu erinnern, was sie für Mann und Kind geopfert hatte. „Und es ist immerhin besser als die Abende zu Hause herum zu sitzen.“ „Wenn es dir nur darum geht, bist du herzlich eingeladen noch ein paar Tage hier zu bleiben und auf deinen Bruder zu warten.“ Hildegard lächelte ihn gewinnend an. Sie wusste, dass dies ihre letzte Chance war Tiron zu überzeugen, sofern nicht plötzlich ein Eilreiter mit einer dringenden Botschaft vor der Tür stand, die besagte, dass Lord de Varro schleunigst irgendwo gebraucht würde. So einen alten Sturkopf wie Tiron konnte man mit seichten Argumenten nicht aufhalten. „Ich habe ebenfalls keine besondere Beschäftigung, außer für meine Familie zu Sorgen. Und so lange die Hälfte nicht zuhause ist, lastet mich das nicht gerade aus. Ein wenig Abwechslung und Gesellschaft würde mir sehr gut tun. Was meinst du Tiron, könntest du einer alten Freundin diesen Gefallen tun? Ich würde mich freuen die verlorene Zeit ein wenig aufzuholen und mit Geschichten zu füllen. Außerdem könnte ich dir die Gegend zeigen und nicht nur das Haus, wenn du magst.“ Und sie setzte ihr allerfreundlichstes Gesicht mit dem steinerweichenden Augenaufschlag auf, dass ihr Sohn von ihr geerbt hatte. Sie griff nicht gerne in die Trickkiste, die eigentlich nur jungen Mädchen zugeschrieben wurde. Sie stand auf, eilte enthusiastisch zu Tiron herüber und griff mit beiden Händen nach den seinen. „Das wäre wirklich toll, was meinst du? Na komm schon, sag ja.“ Sie zwinkerte ihm verschmitzt zu „Bitte?“ „Hildegard...“ Tiron war von ihrer Großoffensive so überrumpelt, dass ihm sogar die Stimme stockte. Ein Teil von ihm wollte nichts lieber, als diesen Augen und diesem Zwinkern voll und ganz nachgeben. Ein paar Tage mit Hildegard, lange Spaziergänge, abends die Geschichten des anderen hören, das war mehr als er noch vor Tagen in seinen wildesten Träumen erwartet hätte. Aber ihre Berührung durchfuhr ihn erneut wie ein elektrischer Schlag, der ihm auch klar machte, dass er das nicht ertragen würde. Im Moment war sie seine Schwägerin und er würde nicht in aller Freundschaft mit ihr unter einem Dach schlafen können. Dabei traute er sich selbst nicht über den Weg - und was sollte sie von ihm halten, wenn er versuchte, die Frau seines Bruders zu verführen. Allein der Gedanke, dass er irgendjemanden verführen könnte, war ja schon absurd! „Ich kann nicht“ als einzigen Impuls erlaubte er sich, ihre Hände kurz an die Lippen zu heben, eine Geste, die bei Hofe noch als Bitte um Verzeihung durchgegangen wäre, zumindest, wenn er die Finger statt mit den Lippen gerade mit der Nasenspitze berührt hätte. So hoffte er nur, dass Hildegard die Etikette und der feine Unterschied fremd waren. „Es tut mir leid.“ Ihre Augen blickten traurig. Ein wenig hatte sie wirklich gehofft er würde ihrer Bitte nachgeben. Sie hätte es sich wirklich so schön vorgestellt... Aber es war ja auch verständlich, dass Lord de Varro sich nicht so einfach von ihr zu so etwas spontan überzeugen lassen würde. Sie waren schließlich beide keine Zwanzig mehr und sie auch noch nie ein Wunder an Verführung gewesen. Somit hatte sie ihre letzte Chance vertan. Sie lies die Hände sinken und blickte zu Boden, damit er nicht sehen konnte, dass diese höfliche, aber intime Geste sie erröten lies wie ein junges Mädchen. „Ich verstehe Tiron.“ sagte sie niedergeschlagen und ergab sich in ihre Niederlage. Tiron hatte zwar den Verdacht, dass Hildegard bestenfalls einen Bruchteil von dem verstand, was er hatte sagen wollen, aber ihm fehlten - wie so oft - die Worte. Stattdessen versuchte er sich auf irgendeinen sicheren Boden zurück zu retten "Wir haben sicher auch nach Amaros Geburtstag noch Zeit, Geschichten auszutauschen. Außerdem kann ich mir zwar ein paar Tage frei nehmen, aber ich sollte das doch vorher ankündigen." Genau, das war doch eine wunderbare Entschuldigung, nicht spontan da zu bleiben, oder? „Na hallo, wen haben wir denn da?“ kam es flapsig von der Seite, wo Amaro de Varro lässig in der Tür lehnte. „Und ich habe mich schon gefragt wer hier zu Besuch ist, als ich das Pferd im Stall gesehen habe. Vater konnte es ja wohl kaum sein.“ „Amaro!“ ermahnte ihn seine Mutter, schärfer als sie es eigentlich beabsichtigt hatte. „Na wieso, ist doch wahr, oder? Wäre doch sehr überraschend, wenn er schon wieder auftauchen würde. Und das dann noch mit einem anderen Pferd...“ gab der so zurechtgewiesene locker zurück und verschränkte die Arme. „Die Einkäufe habe ich übrigens alle mitgebracht Mutter, stehen in der Küche. Und auch Hallo Onkel Tiron“ er nickte kurz in dessen Richtung und schaute dann direkt wieder weg, als wäre es ihm unangenehm seinen Onkel direkt anzusehen. „Danke Amaro..“ kam es etwas zögerlich von Hildegard, die sich in dieser neuen Situation erst zurechtfinden musste und davor zurückscheute die beiden Männer direkt alleine zu lassen. Doch sie nahm an, dass sie es nicht verhindern konnte. Es wäre seltsam, wenn sie jetzt noch lange hier stehen bliebe und ihrem Gast nichts von den Einkäufen anbot, wie sie es zuvor versprochen hatte. „Ich gehe dann mal und bringe uns allen etwas Gebäck“ sagte sie und verschwand raschelnd in die Küche. Was macht ein de Varro, wenn er verlegen ist? Genau, er fährt sich durch die Haare, genau wie Tiron jetzt. "Ich sehe, du bist gut nach Hause gekommen", meinte er dann, bevor er sich wieder auf den Stuhl setzte, ohne diesen wieder ordentlich an den Tisch zu rücken. Eine feine Balance zwischen entspanntem Sitzen als Gast und eben nicht an einem fremden Tisch zu sitzen, sondern nur im Raum zu sein. Mit einem anderen Pferd nach Hause zu kommen, klang aber, wie er fand, durchaus wie Narsil. „Ja, bin ich. Danke nochmal für's Leihen Onkel.“ Amaro blickte noch immer angestrengt knapp an Tiron de Varro vorbei. Vielleicht auf sein Ohr, oder die Kommode schräg hinter ihm.. „Wegen letztens, Onkel Tiron..:“ er klang deutlich höflicher als er sich bei seinem ersten Treffen gegenüber Tiron de Varro verhalten hatte. „Ich... ich möchte mich entschuldigen.“ Diese plötzliche Höflichkeit erstaunte Tiron doch ein wenig. Er wusste nicht, dass Hildegard ihrem Sohn gebeichtet hatte, dass eine frühere Beziehung zwischen ihr und Tiron de Varro bestand, bevor sie seinen Bruder geheiratet hatte und Amaro geboren wurde. In diesem Moment wollte Amaro nichts sehnlicher als ein Loch im Boden, in das er versinken konnte. Nicht nur, dass sämtliche Informationen über das Privat- und Liebesleben seiner Mutter ihm zuviel waren, er schämte sich auch fürchterlich für die Dinge die er Tiron de Varro an den Kopf geworfen hatte. Im Lichte dieser Informationen strahlten sie einen ganz anderen, deutlich unangenehmeren Schatten aus. Selbst für ihn waren diese Treffer weit unter der Gürtellinie gewesen. „Dein Pferd steht im Stall, ich habe es gut behandelt. Und zumindest hatten wir so die Möglichkeit die letzten zwei Wochen bequem ins Dorf zu kommen, während Vater mit dem Pferd unterwegs ist.“ Amaro zuckte mit den Schultern, als wäre dies die natürlichste Information auf der Welt. Doch in diesem Moment stand leider seine Mutter schon mit einem Teller voller Gebäck und einem entsetzten Gesichtsausdruck im Raum. 'Ausgerechnet das!' dachte sich Hildegard. Erst setzte sie alles daran diese Information zu verschleiern und dann kam ihr Sohn daher und plapperte leichtfertig alles aus. Sie entschied sich erst einmal so zu tun, als ob sie nichts mitbekommen hätte, ging zum Tisch und stellte das Gebäck ab. Dann blickte sie ihren Sohn so unauffällig, aber so strafend wie möglich an und hoffte,dass er ihre Signale verstehen würde. Tiron de Varro warf einen kurzen Blick zu Hildegard und schaute betont überrascht, als Amaro von zwei Wochen sprach. Nicht, dass das für ihn wirklich überraschend kam. Was ihn dagegen überraschte und worauf er sich keinen Reim machen konnte, war die plötzliche verlegene Höflichkeit des Jungen. Dass Hildegard ihm ausgerechnet diese Details aus ihrer gemeinsamen Vergangenheit gebeichtet hatte, konnte er ja nun nicht ahnen. Also versuchte er den Jungen wenigstens ein bisschen zu beruhigen "Es ist nichts passiert, was nicht schon verziehen wäre, Amaro." Das sollte ja wohl hoffentlich alles, was er meinen könnte, abdecken, hoffte der Lord. Amaro nickte Tiron dankbar zu, ignorierte dabei aber geflissentlich die Signale seiner Mutter. Er lies sich den Mund nicht verbieten, nicht einmal von seiner Mutter. Schließlich tat er nichts anderes als die Wahrheit auszusprechen. „Und, was machen wir jetzt? Zusammen Gebäck essen und heile Familie spielen?“ lies er grob in Richtung seiner Mutter verlauten. Ich nehme an jeder hat so seine Geheimnisse..“ Amaro ließ den letzten Satz vorwurfsvoll in der Schwebe, als ob er alles meinen und jeden ansprechen könnte. Er ließ seine aggressive Haltung nicht fallen, aber griff zumindest demonstrativ nach einem Keks. Hildegard de Varro sah hingegen so aus, als ob es ihr gründlich die Lust auf Gebäck verschlagen hätte. „Wir könnten auch Gebäck essen und dabei üben, seiner Mutter gegenüber den richtigen Ton zu treffen, junger Mann.“ eigentlich hätte das für Tiron eher das Zeichen zum Aufbruch sein sollen, aber irgendwie funktionierte Hildegard in Schutz zu nehmen wie ein Reflex. Einmal Ritter... Trotzdem gelang es ihm, die Stimme dabei nicht zu heben, es klang mehr nach einer trockenen Feststellung. Gleichzeitig schob er einen Stuhl vom Tisch zurück, damit Amaro sich setzen konnte. „Du also auch, Onkel?“ Amaro seufzte verzweifelt. „Sind Erwachsene wirklich alle so, was das Thema Wahrheit angeht?“ Hildegards Fassade begann zu bröckeln, als sie die Ellbogen auf den Tisch stütze und mit leerem Blick die Wand gegenüber fixierte. Sie versuchte sich zu beherrschen, doch langsam traten ihr Tränen in die Augen. Ihr Sohn hatte vollkommen Recht, was sie hier tat war ein schlechtes Schmierentheater und sie schämte sich dafür. „Lass ihn Tiron, im Grunde hat er Recht.“ sagte sie tonlos. Amaro sah sich dieses Schauspiel verständnislos an, dann nahm er dort Platz, wo Tiron einen Stuhl für ihn zurechtgerückt hatte. Wenn er schon nicht weiter wusste, konnte er sich wenigstens setzen und nach einem weiteren Keks greifen. Hildegard de Varro blinzelte die Spur von Feuchtigkeit auf ihren Augen weg. Dann sagte sie: „Ich habe dich angelogen Tiron, es tut mir leid. Ich habe es nicht böse gemeint, bitte glaube mir das“ Gefasst und würdevoll stand sie auf und verließ zum Erstaunen ihres Sohnes den Raum. Er starrte ihr nach und verstand mit jedem Moment weniger, was hier vor sich ging. Kaum hatte Hildegard de Varro die Tür hinter sich geschlossen, begannen heiße Tränen ihr die Wangen herabzulaufen. Nur einen kurzen Moment, versuchte sie sich einzureden, nur ihren Gefühlen kurz Luft machen und dann würde sie wieder zurückgehen und alles in Ruhe erklären und sich entschuldigen. Sie wollte nur nicht, dass ihr Sohn sie so erlebte. Wo war jetzt eigentlich ihr Mann, der sie überhaupt erst in diese Situation gebracht hatte? Warum war er nicht da, um sie dort wieder herauszuholen? Wäre es nicht seine Aufgabe an ihrer Seite zu sein, sie in den Arm zu nehmen und zu trösten? Sollte nicht ihr Ehemann ihr eine Stütze sein, die starke Schulter an der sie sich getrost ausweinen durfte, wenn sie sich danach fühlte? Wo war er jetzt, der um dessentwillen sie log, der wegen dem sie auch zwei Augen zudrückte und den sie verteidigte, obwohl sie sich einbildete den Duft anderer Frauen an ihm zu riechen? Hildegard schluchzte auf und hielt sich erschrocken über sich selbst beide Hände vor den Mund. Die Tränen trübten ihr die Sicht. Amaro de Varro sah seinen Onkel fragend an. „Weißt du was los ist?“ Eigentlich hätte der Junge genug Einfühlungsvermögen besitzen sollen, aber es sah seiner Mutter so gar nicht ähnlich einfach den Raum zu verlassen, vor allem nicht, wenn es um eine Diskussion ging. Tiron de Varro seufzt tonlos, als Hildegard den Raum verließ. Er hatte das verräterische Glitzern in ihren Augen gesehen und bei dem Anblick hatte sich sein Herz verkrampft. Aber ihr jetzt nachzugehen kam nicht in Frage, sicher brauchte die stolze Geweihte nur einen Moment, um sich zu sammeln und würde gleich wieder zurück sein. Deshalb wandte er sich seinem Neffen zu. "Ja. Deine Mutter hat versucht, Narsil in Schutz zu nehmen, aber zum einen kenne ich meinen Bruder und zum anderen ist sie eine schlechte Lügnerin. Und was den Umgang von Erwachsenen mit der Wahrheit angeht, junger Mann, so rührt der meist daher, dass Erwachsene wissen, dass Wahrheit ein scharfes Schwert ist. Manchmal ist ein sauberer Schnitt nötig, um zu heilen" - und er wusste noch nichtmal, wie Recht er damit haben könnte "aber manchmal sollte man sich gut überlegen, ob man diese Klinge überhaupt zieht. Was nicht heißen soll, dass du nicht die Wahrheit sagen sollst, Amaro. Aber mit etwas mehr Respekt, wenn ich bitten darf", ermahnt er streng und hielt dann inne. War das gerade ein Schluchzen gewesen? Hatte Amaro das auch gehört? Weinte Hildegard etwa? Amaro hatte seinem Onkel interessiert zugehört, doch jetzt wandte sich sein Blick doch besorgt Richtung Türe. Er wandte sich noch einmal an seinen Onkel. „Bitte entschuldige mich Onkel Tiron, aber ich glaube ich würde doch gerne kurz nach meiner Mutter sehen.“ Er schob seinen Stuhl zurück und folgte seiner Mutter. Was er auf der anderen Seite der Tür vorfand, traf ihn wie ein Schlag. Niemals zuvor hatte er seine Mutter weinen gesehen und gerechnet hatte er damit auf keinen Fall. Seine Mutter, die Personifikation des erhobenen Zeigefingers stand wie ein Häufchen Elend im Raum und versuchte ihr Schluchzen zu unterdrücken. Unwillkürlich drehte sie sich von ihrem Sohn weg, als ob sie irgendetwas dadurch verbergen könnte. Instinktiv nahm Amaro seine Mutter in den Arm. Sie war eine große Frau, fast auf Augenhöhe mit ihrem Sohn. Aber in diesem Augenblick wirkte sie so zerbrechlich wie nie und verletzlicher als ihr Sohn sich hätte vorstellen können. „Was ist denn los Mutter?“ er streichelte ihr sanft über den Rücken. „Wenn es wegen dem ist, was ich gerade gesagt habe tut es mir leid.“ Jetzt mischte sich ein glucksendes Lachen zwischen das Schluchzen und Amaro sah noch viel verwirrter aus als zuvor. Tiron de Varro nickte nur. Natürlich sollte Amaro nach seiner Mutter sehen, das war nur anständig und richtig. Er sollte einfach abwarten. Sollte. Aber jeder Herzschlag seit dem Schluchzen kam ihm so lang vor wie eine ganze Stunde und kurz nachdem Amaro Hildegard gefolgt war, hielt er es doch nicht mehr aus, stand auf und ging leise bis zur Tür hinüber. Amaro hatte einen Arm um Hildegard gelegt, spendete seiner Mutter Trost. Der Kleine war eben, trotz seines aufbrausenden Temperaments, ein guter Junge, stellte Tiron fest. Und er schien die Situation im Griff zu haben. Die Situation, in der Hildegard eigentlich ihren Mann gebraucht hätte, nicht ihren Sohn. Amaro war zwar fast erwachsen, trotzdem sollte er noch nicht der Mann im Haus sein müssen, nur weil sein nicht-viel-nutziger Vater sich herumtrieb. Tiron wollte schon wieder zum Tisch zurückkehren, als er glaubte, Lachen zu hören. Verwirrt blieb er in der Tür stehen. Hildegard fuhr mit der rechten Hand durch das Haar ihres Sohnes und lies die langen weichen Locken durch die Finger gleiten. „Nein du Dummerchen, das ist es nicht!“ brachte sie zwischen Weinen und Lachen hervor. „Es geht um deinen Vater und mich, wir..“ und da unterbrach eine erneute Welle von Tränen sie. Amaro wartete geduldig bis seine Mutter in der Lage war weiterzusprechen und hielt sie einfach fest. Diese Geste war fast zuviel für Hildegard die dachte, dass ihr Sohn ihr gerade eine bessere Stütze war als ihr Mann in den letzten zehn Jahren. „Wir...wir sind schrecklich“ setzte sie schließlich fort. „Wir streiten uns und machen dir damit das Leben schwer und uns selbst genauso. Ständig treibe ich ihn von mir fort und ich will das alles gar nicht!“ Sie drückte ihren Sohn an sich und lies die Tränen einfach laufen. Es hatte keinen Sinn sie weiter unterdrücken zu wollen, diese Trauer wollte sie verlassen, genauso wie diese Wahrheit einmal ausgesprochen werden musste. „Ich weiß du leidest darunter Amaro und das tun wir auch. Es tut mir ehrlich leid und ich wünsche mir nichts mehr, als dass es wieder so wäre wie früher, als du noch klein warst. Ich vermisse meine fröhliche Familie genauso wie du.“ Amaro vergrub das Gesicht im Haar seiner Mutter. Nicht nur war dieses Geständnis mehr als er erwartet hätte, es wurde ihm auch schmerzlich bewusst wie egoistisch er gedacht hatte. Nie hatte er sich gefragt wie die Situation für seine Eltern war, nur darüber wie sehr ihr Streit ihn belastete hatte er sich aufgeregt. Der Jugendliche war mehr als betreten. Eine Weile standen sie so und hielten sich im Arm um sich gegenseitig Nähe zu geben. Worte waren nicht nötig. Tiron de Varro wurde schnell klar, dass diese Aussprache nicht für ihn gedacht war und auch wenn er gerne mehr gehört hätte, kam es ihm doch falsch vor. Mit leisen Schritten kehrte er also ins Zimmer zurück, auch wenn er zu unruhig war, um sich wieder hinzusetzen. Schließlich versiegten die Tränen Hildegards und Amaro holte seiner Mutter ein Tuch und ein Glas Wasser. Als sie in die Stube zurückkehrten, hielten sie sich an den Händen und Tiron fragte sich, wer jetzt wen hielt. An ihren Augen konnte er sehen, dass Hildegard geweint hatte. Sie sah ihren Schwager an und sagte :“Ich habe dich angelogen Tiron und es tut mir ehrlich leid. Amaro hatte Recht, Narsil ist seit zwei Wochen weg und zwar weil wir Streit hatten. Es war mir peinlich, bitte verzeih mir. Tiron de Varro sah man seine Sorgen sicherlich deutlich ins Gesicht geschrieben, der aufmerksame Blick der blauen Augen, die angespannte Kieferlinie. Und er war sich der großen Distanz zu Hildegard schmerzlich bewusst. Tulander oder Barenor könnten sie in den Arm nehmen und es wäre nichts dabei. Aber er? Wohl kaum. Aber zumindest ihre Sorgen konnte er zerstreuen. "Das ist schon in Ordnung." Und er verkniff sich, dass er von Narsil - leider - nichts besseres erwartet hatte. „Wenn du deinen Bruder immer noch suchen möchtest...“ Hildegard warf Tiron einen bittenden Blick aus goldenen Augen zu, „dann richte ihm bitte aus, dass es mir leid tut. Ich würde mich gerne mit ihm versöhnen, allein schon Amaros wegen“ und sie streichelte sanft die Hand ihres Sohnes. „Wir werden eine Lösung finden, denn so kann es ja nicht gehen.“ und jetzt sah sie Amaro liebevoll an und dachte, dass sie bereit wäre mehr Abstriche zu machen. Und wenn sie Narsil weniger Vorwürfe machte, dann würden sie sich vielleicht auch endlich wieder näher kommen und sich wirklich aussprechen können. Und möglicherweise würde es dann doch noch gut werden. Tiron de Varro musterte Hildegard einmal von oben bis unten. Sie wollte sich versöhnen? Und wie sollte das aussehen? Narsil würde sich sicher nicht ändern. Und Hildegard, was wollte sie tun? Noch mehr von sich aufgeben? Und wie oft konnte sie das noch machen, bis nichts mehr von der Frau über blieb, die er - und die Narsil sicher auch mal geliebt hatte. "Nein, so kann es nicht weitergehen", stimmte er ihr zu, ohne ihr das andere zu versprechen. „Danke Tiron“ Ein Lächeln stahl sich zurück auf Hildegards Gesicht. Sie hatte neue Hoffnung geschöpft und war dankbar für die Unterstützung, die sie in diesem Moment der Schwäche gewährt bekommen hatte und glücklich, dass sie einige Lasten weniger zu tragen hätte jetzt, wo ein paar Dinge einfach gesagt waren. „Nach all diesen Jahren immer noch der Ritter auf dem weißen Pferd, nicht wahr Tiron?“ Sie lachte ihn an und gab ihm einen Kuss der Dankbarkeit auf die linke Wange. Amaro de Varro drehte sich derweil unauffällig zur Seite weg, um möglichst nichts mitansehen zu müssen. „Ich... „ nicht, dass er überhaupt eine Ahnung gehabt hatte, was er hätte sagen wollen, aber als Hildegards Lippen seine Wange streiften, war Tirons Sprachzentrum erst einmal komplett lahm gelegt. Und er war froh, dass Amaro in eine andere Richtung schaute. Denn wenn sein Gesichtsausdruck ihn verriet, dann musste er das jetzt wenigstens nicht sofort Amaro erklären. Hildegard zu sagen, dass sie das, bei der Gnade der Götter, vor allem ihrer Gottheit nicht tun soll, fiel mit ihrem Sohn im Raum auch weg, also blieb ihm nur, flehentlich zu schauen und zu hoffen, dass sie das stumme Leiden in seinem Blick richtig deutete. Noch immer lächelnd trat Hildegard wieder zurück, geriet dann aber ins Stocken als sie ihren Schwager ansah. Er konnte doch nicht...? Sie blinzelte ein wenig verunsichert. Amaro bemerkte von ihrem Stutzen nichts, als er vorsichtig mit einem Auge herübersah, ob es jetzt ungefährlich wäre wieder in Richtung der Erwachsenen zu schauen, oder ob er seinen Blick lieber noch ein wenig abgewandt halten sollte, um verfrühte Blindheit zu vermeiden. Oder schlimmeres... Aber die Situation schien entschärft zu sein und er musste nicht länger die Luft im Raum spielen. „Na dann, wäre das nicht eine gute Gelegenheit auf die Zukunft anzustoßen? Was meint ihr? Und mit einem charmanten Lächeln auf den Lippen und einer galanten Bewegung beförderte er die Flasche Wein zutage, die er aus dem Korb vom Einkauf in der Küche genommen hatte. Tiron de Varro war froh über die Ablenkung, die Amaro brachte. Hildegard schien zumindest einen Teil der Andeutung zu verstehen, auch wenn er sich nicht sicher war, ob sie die ganze Dimension verstanden hatte. "Das klingt nach einer ausgezeichneten Idee. Dann schenk mal ein, Zukunft." Zu so etwas lies sich Amaro de Varro nicht lange bitten. Er entkorkte die Flasche, stellte sie auf den Tisch und schickte sich an Weingläser zu holen. „Aber dass ihr mir die Flasche stehen lasst, bis ich wieder da bin“ hinterließ er ihnen mit einem Zwinkern als Order. Seine Mutter stand derweil einen Moment verloren im Raum und wusste nicht, ob sie besser im Gesicht ihres Schwagers und früheren Liebhabers nach Hinweisen suchen, oder alles als Irrtum abtun und auf sich beruhen lassen sollte. Schließlich senkte sie den Blick scheu zu Boden und schritt in ihrem raschelnden Leinenkleid an ihrem Schwager vorbei zum Tisch. 'Nein, das muss ich mir eingebildet haben. Er wird wohl kaum fünfzehn Jahre einer verlorenen Liebe nachtrauern. Ich bitte dich Hildegard, sei nicht so töricht.' und sie lachte leise über ihre dumme Idee. Tiron de Varro beobachtete Hildegards Minenspiel sehr genau. Es würde sie sicher belasten, wenn er ihr die Wahrheit sagte - ein scharfes Schwert, fürwahr. Aber sich die ganze Zeit zu verstellen, würde mehr Situationen wie die gerade heraufbeschwören und Tiron war sich nicht sicher, wie gut er das verkraften würde. Also musste er zumindest langsam und vorsichtig Hildegard an den Gedanken gewöhnen, dass er ihr nicht nur ein guter Freund und Schwager sein konnte. Jedenfalls nicht, ohne sein eigenes Herz zu verleugnen. "Sag mir, wenn ich gehen soll, ja?" Meinte er halblaut, als er sich ihr gegenüber wieder an den Tisch setzte und auf ihr Lachen mit einem unbewussten Schmunzeln reagierte. Er liebte dieses Lachen, genau so sehr, wie er nach all diesen Jahren noch immer diese Frau liebte. „Warum sollte ich wollen, dass du gehst Tiron? Fragte sie süß. „Ich bin froh, dass du überhaupt hergekommen bist.“ Sie hatte sich offensichtlich entschlossen nichts gesehen zu haben. „Außerdem holt Amaro gerade Gläser für den Wein und wäre wohl untröstlich, wenn ich nach seinem Vater auch seinen Onkel vertrieben hätte, oder?“ Sie faltete die Hände auf dem Tisch und wartete auf die Rückkehr ihres Sohnes. „Ich möchte einfach nicht, dass die Situation für dich unangenehm wird. Es ist dein Haus.“ Dein Leben, hätte er auch sagen können. Er fühlte sich im Moment als Gast in beidem und wollte auf keinen Fall irgendwelche Unannehmlichkeiten verursachen.Und er, im Gegensatz zu Amaro, hatte das Stocken gesehen und wusste auch, dass es gerade für eine Klerikerin der Sehanine keine einfache Situation war, wenn das Credo beinhaltete, nicht mit den Gefühlen Liebender zu spielen. „Aber ich bleibe gerne auf ein Glas Wein.“ „Was soll das heißen Tiron?“ fragte sie ihn , zugleich hoffend, dass es gar nichts heißen sollte und schon gar nicht das, was sie vermutet hatte. Fünfzehn Jahre waren eine lange Zeit und sie hatte gehofft, dass er ihnen mittlerweile verzeihen könnte. Vor allem jetzt, wo er Amaro kennen gelernt hatte. Sie war nicht froh über alles was passiert war, aber darüber sich für ihren Sohn entschieden zu haben schon. „So, da bin ich wieder. Ich hoffe es ist noch Wein da?“ fragte Amaro munter in die Runde, als er mit drei Weingläsern erschien, die er auf dem Tisch absetzte. Er begann einzuschenken und schob dann ein Glas für jeden über den Tisch. Zuerst für Lord de Varro, dann seine Mutter und zuletzt nahm er eines für sich, lehnte sich mit überschlagenen Beinen auf seinem Stuhl zurück und schien sich wohl zu fühlen. Amaro warf Tiron ein Lächeln zu „Danke dir.“ Dann wandte er sich wieder Hildegard zu, griff nach dem Weinglas und hob es, ihr zuprostend, ein Stück weit an „Es ist nur die Wahrheit, Hildegard.“ Ein scharfes Schwert. Aber nichts, woran er etwas ändern konnte. Dabei käme ihm gar nicht in den Sinn, dass es etwas zu verzeihen gäbe - oder wenn, dann doch auf beiden Seiten. Sie hatte sich für ihr Kind entschieden, das schien ihm nur natürlich. Hildegard war eine Löwin, was das anging, sie hätte sich gegen alles und jeden für ihr Kind entschieden. Das war Teil der Frau, die er liebte. Hildegard schluckte, noch immer unsicher worauf Tiron eigentlich hinauswollte. Sie prostete erst ihm und dann ihrem Sohn zu ohne zu wissen, worauf sie denn jetzt eigentlich konkret anstieß. Dennoch murmelte sie ein „Auf die Zukunft“ dahin und war sich sicher, damit zumindest nichts falsches gesagt zu haben. Denn wer wusste schon was die Zukunft brachte? „Auf die Zukunft“ stimmte Lord de Varro ihr zu, auch wenn er nicht so sicher war, was davon erstrebenswert war. Er würde Narsil finden, ja. Und ... er hatte eine vage Vorstellung davon, was er dann tun würde. Aber er war sich beim besten Willen nicht sicher, ob es das richtige war. Der einzige im Raum der sich einer glücklichen Zukunft gewiss wähnte war Amaro de Varro, fast fünfzehn Jahre alt und frisch ausgesöhnt mit einem Teil seiner Eltern. Da konnte das Leben doch nur besser werden. "Amaro, ich würde sehr gerne auch zu deiner Geburtstagsfeier kommen, wenn du magst. Und... gibt es irgendwas, was du dir wünschst?" „Natürlich Onkel, ich würde mich freuen! Und ich glaube es gibt nichts was du mir schenken könntest. Außer du hast eine Art Zauberstab um Mütter dazu zu bringen weniger streng mit ihren fast erwachsenen Söhnen zu sein.“ Er lachte belustigt, auch als seine Mutter ihn mit einem lauten „Hey““ neckisch in die Seite knuffte und anschließend noch zur Strafe seine Lockenpracht durcheinanderbrachte, bis er aussah wie ein aufgeplatztes Kissen. Doch er wehrte sich nur spielerisch gegen die Angriffe seiner Mutter. Zusammen wirkten die beiden wie spielende Kinder und man merkte ihnen an wie glücklich sie waren, dass etwas was vorher zwischen ihnen Stand plötzlich verschwunden war. Tiron de Varro musste beinahe schlucken, so anrührend war die spielerische Eintracht zwischen Mutter und Sohn. "Ich fürchte, einen solchen Zauber gibt es nicht. Und wenn, dann verfüge ich nicht über diese Macht. Was ich dir anbieten könnte ist eine kleine Flucht vor dem Drachen... ähm, pardon, ich wollte was anderes sagen. Wie klingt jedenfalls ein paar Flaschen Wein und etwas ordentliches zu essen und ein Abend unter Männern?" Hildegard de Varro tat beleidigt und zeigte ihre beste Interpretation eines Schmollmundes, während sie ihren Sohn auf die Frage seines Onkels antworten lies. „Na das ist doch mal ein Angebot auf das ich gerne zurückkommen werde Onkel!“ richtete dieser das Wort an Lord de Varro, nicht ohne einen belustigten Blick auf seine Mutter zu werfen, die er nicht so locker und amüsant in Erinnerung hatte, soweit er zurückdenken konnte. Er bedeutete seinem Onkel mit einer Geste sein Erstaunen über die witzige Einlage seiner Mutter, die jetzt mit gespielter Entrüstung den Kopf zur Seite warf und weiter schmollte. „Hast du sie so schonmal erlebt Onkel?“ fragte er Tiron de Varro und genehmigte ihnen allen noch etwas von dem Wein, bis die Flasche geleert war. Tiron de Varro legte die Hand ans Kinn und verzog das Gesicht zu einer übertrieben nachdenklichen Grimasse. "Die Wahrheit in allen Ehren, Amaro, aber wenn du wüsstest..." Dabei griff er nach der leeren Flasche, legte sie kurz auf den Tisch und gab ihr einen Stoß, so dass sie sich drehte. Aber noch bevor die Drehbewegung zur Ruhe kam, fing er sie wieder und stellt sie ordentlich zur Seite. "Kurz gesagt: ja, und noch schlimmer." Hildegard brach schlagartig in lautes Gelächter aus, als sie erkannte auf welche längst vergangene Anekdote Tiron anspielte. Sie stützte die Hände auf die Knie, bis der Lachanfall nachließ und versuchte dann ihrem völlig entgeisterten Sohn zu erklären, dass sie ihm das vielleicht irgendwann mal erklären würde. Dann, wenn er einmal alt genug wäre, setzte sie dahinter und zwinkerte Tiron verschwörerisch zu. Tiron de Varro stimmte in das Lachen mit ein und meinte, als Hildegard Amaro versprach ihm das irgendwann zu erklären "Und wann genau soll das sein? Wir sind heute noch nicht alt genug, um darüber zu reden, meine Liebe." Das war ihm nur so herausgerutscht und er beruhigte sich gleich damit, dass es ja auch als vertrauliche Anrede gelten mochte. Nicht als das, was er gesagt hatte. Die so angesprochene kicherte nur.. Also war es an Amaro in gespielter Schmollhaltung auszuharren und sich über seine gackernde Mutter und ihren Mitverschwörer zu beschweren. Doch er beschloss diesen Abend als guten Aufbruch zu betrachten und sich das Bild seiner kichernden Mutter genau einzuprägen um sie immer so in Erinnerung behalten zu können. „Aber setz dem Jungen keine Flausen in den Kopf an dem Abend! Und untersteh dich...ach, pass einfach auf was du ihm erzählst Tiron de Varro!“ ermahnte Hildegard ihren Schwager neckisch und mit erhobenem Zeigefinger, den sie in einer gespielten Drohung vor sein Gesicht hielt. Sie hoffte ihn gut genug zu kennen um einschätzen zu können, dass er ihrem Sohn nichts erzählen würde, was dieser wirklich besser nicht wissen sollte. Amaro hingehen wurde tatsächlich neugierig durch die Andeutungen, auch wenn er sich nicht im Traum hätte vorstellen können, von was für einer Begebenheit sein Onkel sprach und welche Rolle seine Mutter dabei gespielt hatte. Damals, vor vielen Jahren, als die beiden noch jung und unverheiratet waren... Jung waren sie heute beide nicht mehr, aber unverheiratet immerhin einer von ihnen. Tiron bedachte den Finger, der vor seiner Nase geschwenkt wurde, mit einem müden Lächeln. Immerhin war er erwachsen und ein Lord, da musste man keine Angst mehr haben, wenn einem mit dem Finger gedroht wurde. "Oh, Amaro ist doch schon fast erwachsen, der wird die Wahrheit vertragen", zwinkert er dann zurück. „Lord de Varro, unterstehen sie sich!“ entrüstete sich Hildegard und stütze in einer übertriebenen Geste die Hände in die Hüften. „Ihr seid aber auch unfair!“ brüskierte sich Amaro „Erst so viele Andeutungen machen und dann nicht mit der Sprache rausrücken wollen.“ Er schlang in einer eleganten Bewegung, die er nur von seinem Vater geerbt haben konnte, die Beine übereinander und schlug vor eine weitere Flasche Wein aus dem Keller zu holen. Tiron de Varro lachte Hildegard für ihre gespielte Entrüstung freundschaftlich aus, schob dann aber seinen Stuhl zurück. "Für mich nicht mehr, fürchte ich. Ich muss langsam aufbrechen, immerhin bin ich ein bisschen zu alt dafür, im ersten Frühlicht nach Hause zu kommen", meinte er zu Amaro "Aber ich bin sicher, ihr schafft die Flasche auch ohne mich." „Warte Tiron, ich meine natürlich Lord de Varro“ Hildegard sprang lachend von ihrem Stuhl auf und vollführte einen ungalanten Knicks vor ihrem adligen Besuch. „Ich geleite euch noch zur Tür!“ und sie hakte sich freundschaftlich bei ihm unter und bedeutete ihrem Sohn sich anständig von seinem Onkel zu verabschieden. Dieser verbeugte sich mit ausgesuchter Eleganz und klopfte seinem Onkel dann einfach wohlwollend auf die Schulter. „Vielen Dank für deinen Besuch Onkel. Und vergiss nicht deinen Mantel.“ Er reichte den von Tiron de Varro ordentlich gefalteten und über die Stuhllehne gehängten Kurzmantel rüber. „Ich freue mich darauf dich zu meinem Geburtstag wiederzusehen.“ „Danke, Amaro.“ die zwei Gläser Wein bewirkten immerhin, dass er entspannt blieb, obwohl er sich Hildegards Nähe an seiner Seite sehr bewusst war. Und da man an Amaros Frisur nach dem Übergriff seiner Mutter ohnehin nichts mehr retten konnte, wuschelte er seinem Neffen auch kurz wohlwollend durch die Locken „Ich freue mich auch. Pass mir gut auf deine Mutter auf.“ meinte er noch, bevor er sich von Hildegard zur Tür begleiten ließ.Sie verließen die Stube Richtung Haustür, während Amaro, ganz der Goldjunge seiner Mutter, schon das Geschirr zusammenräumte und überlegte, ob er wirklich noch eine Flasche Wein nur für sich und seine Mutter holen sollte. Hildegard ließ Tiron erst an der Haustür los und griff zum Abschied nach seinen Händen und drückte diese freundschaftlich. „Vielen Dank für deinen Besuch Tiron. Bitte pass auch du auf dich auf und komm heil nach hause. Mögen die Götter deine Wege beschützen. Und dass du ja bald wiederkommst!“ sie zögerte seine Hände loszulassen und lächelte ihn noch einen Moment an, bevor sie ihn gehen ließ. Dann überlegte sie es sich anders, umarmte ihn kurz und wollte sich dann schnell wieder auf Abstand fallen lassen. Doch als sie ihn umarmte, schloss Tiron die Arme um sie und schien nicht gewillt, sie sofort wieder loszulassen. Wenigstens diesen einen Moment auf der Schwelle kostete er aus, hielt sie fest und senkte den Kopf gerade soweit, dass er den Duft ihrer Haare einatmen konnte. Starke Arme, ein warmer, sicherer Ort, aber eben nicht ihr angetrauter Ehegatte. "Es war schön, dich wiederzusehen", meinte er, als er sie schließlich losließ. "Ich bin spätestens zu Amaros Geburtstag wieder da. Und wenn ich dir irgendwie helfen kann, egal womit, wenn du irgendetwas brauchst, lass es mich wissen." „Hab Dank Tiron. Für alles“ Das Sternenlicht glitzerte in ihren Augen, als sie ihm sanft über die Wange strich und noch einen Moment in der Tür stehend zurückblieb, während er den Weg zum Stall einschlug um seinen Heimweg anzutreten. Als sie begann in der Nachtluft zu frösteln schloss sie nachdenklich die Tür und ging zurück zu ihrem Sohn in die geheizte Stube. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)