High Angle – B-Side von Atsusa ================================================================================ Kapitel 19: Matsch und Mordio -----------------------------  „Sting! Einkreisen und Inferno!“ Das neue Jahr hatte für Wendy in der Schule gut angefangen. Nicht nur, dass sie endlich einen neuen Drachen hatte, der dem alten Cleaver bis auf die Skorpion-Zeichnung und die lange, rosa-schwarz gestreifte Windfahne mit einem stilisierten Skorpionstachel gar nicht mal so unähnlich war, was die Aerodynamik anging, sondern auch ihre schlechte Laune war wie weggeblasen. „Nie! Niet!“ Zeph riss die Leinen von Aquila herum und stolperte ein paar Schritte zur Seite. Der matschige Boden schmatzte unter seinen Schuhsohlen und hatte ihn selbst schon lange bis zu den Knien mit braunen Dreckkrusten dekoriert. „Gerade noch mal Glück gehabt, nie!“ Erleichtert betrachtete er seinen Drachen, der außer einer Rußspur unversehrt geblieben war, konzentrierte sich dann aber sofort wieder auf das Drachenduell und stürzte mit einem lauten „Chaa!“ auf Wendy und Sting, um sie mit einer Rammattacke aus dem Ring zu werfen. Die Rothaarige kniff die Augen zusammen und fixierte Zeph, um jede einzelne seiner Bewegungen in sich aufzunehmen und nach Fehlern zu suchen. Ein zufriedenes Lächeln schlich sich auf ihre Lippen. „Na also!“ Kaum, dass er drei Schritte vor ihr war und seine Arme mit allerhöchster Kraft und Anspannung nach vorne warf, als wollte er „Hau den Lukas“ spielen, machte sie einen Ausfallschritt zur Seite, so dass Sting aus der Schussbahn geriet. Zeph geriet ins Stolpern, fing sich aber ab. Sein Kirit ließ einen gellenden Vogelschrei verlauten und stabilisierte den Drachen kurz über der Erde. Das war der Moment, auf den Wendy gewartet hatte. Sie lief einen engen Halbkreis, bis sie Zephs Rücken vor sich hatte, rief „Das ist die letzte Attacke! Feuerschweif!“ und leitete einen Schub pinken Feuers über die Drachenleinen hinauf, so dass sich ihr eigener Drachengeist voll und ganz manifestieren konnte. Die Konturen des Drachen verschwammen. Dort, wo die gestreifte Windfahne hinter der Tragfläche flatterte, erschien plötzlich ein langer Skorpionschwanz aus rosafarbener Energie, der sich weit über die eigentliche Länge des Drachen ausdehnte und mit unbarmherziger Gewalt auf Zephs Unterschenkel zielte. Der Brünette konnte gar nicht so schnell reagieren, da lag er auch schon mit der ganzen Vorderfront im Matsch außerhalb des Ringes und spuckte Erde aus. „Das Duell ist beendet! Sieger ist Wendy mit Sting!“ Angelo ließ die Fahne nach unten schnellen, um den Kampf abzuschließen und zog anschließend ein Stofftaschentuch hervor, um sich die ebenfalls durch Schlamm verdreckte Brille zu putzen. „Ju-huu! Schon wieder gewonnen!“ Glücklich summend holte Wendy die Drachenleinen ein und wandte sich dann Zeph zu, dem Hayate – wie es auch nicht anders zu erwarten war – prompt ein Handtuch gereicht hatte. „Das war ein spannendes Duell! Ich hätte ja nie gedacht, dass drei Wochen Intensivtraining dazu führen, dass du so etwas wie eine Kondition entwickelst!“, witzelte sie und klopfte ihm respektvoll auf die Schultern. Zeph lächelte gequält. „Ist besser, als ständig einen neuen Drachen bauen zu müssen, weil du sie immer verbrennen musst, nie?“ Das stimmte. In den zwei Wochen, in denen sie nun schon zurück aus Italien waren, hatte Wendy bereits geschafft Icarus einmal schwer zu beschädigen, Shinigami einmal zu pulverisieren und Aquila ganze dreimal ins Nirvana zu befördern. Sie errötete und kratzte sich nervös an der Wange. „Es tut mir leid. Nur... Es macht mir einfach so viel Spaß, meinen Kirit laufen zu lassen, dass ich mich einfach nicht beherrschen kann!“ Sie nickte Angelo entschuldigend zu. „Vielleicht sollte unser ganzes Team in Zukunft feuerfeste Materialien verwenden? Ich möchte ungern darauf verzichten mit voller Kraft zu kämpfen!“ Sie gähnte herzhaft und rieb sich die Augen. „Wenn mich das nur nicht immer so müde machen würde, würde ich gerne noch mehr Feuer raus lassen. Ach, wenn ich dann nur nicht wieder fünf Tage am Stück schlafen müsste... oh, danke!“ Hayate reichte ihr eine Dose Energydrink. Volle Leistung dank Taurin und Koffein – mit höchster Konzentration an Vitaminen und Spurenelementen, selbstverständlich gesponsort von Balotelli Pizza. Ja, so ließ sich ein Schultag selbst nach einer anstrengenden Trainingseinheit noch durchstehen. „Dein Optimismus in Ehren, aber die finanzielle Lage des Clubs lässt es momentan nicht zu das Equipment aufzustocken. Wer soll das nur bezahlen?“ Angelo setzte die frisch geputzte Brille auf. Er war nicht nur der Techniker des Teams, sondern außerdem noch der Schatzmeister. Und wenn er sagte, dass es nicht ging, dann hieß es wohl in Zukunft vorsichtiger zu sein und... „Ich mache das!“ Tornados strahlendes Siegerlächeln passte heute mal wieder perfekt zum wolkenlosen blauen Himmel, doch als er sich genauer in der Umgebung umsah, wurde sein Gesichtsausdruck ernüchternd. „Was habt ihr denn mit dem Kampfring angestellt? Der ist ja total verwüstet!“ Er hob abwechselnd einen Fuß und betrachtete mit hochgezogener Augenbraue den Schlamm unter seinen Sohlen. Ertappt zuckte Wendy zusammen. „Es tut mir furchtbar leid!“ Sie zog die Schultern hoch und senkte bereuend den Kopf. Aber andererseits... Was konnte sie schon dafür, dass ihr Drachengeist mit Hitze funktionierte, die nun mal den Schnee in der Umgebung schmolz und den Boden darunter auftaute? Sting hätte ja auch wie Aquila sein und nur ein bisschen Wind machen können, aber wer wusste schon, was sie damit wohl angestellt hätte? Kühe und Gartenmöbel durch die Luft wirbeln? „Das ist also euer Trainingsgelände? Ziemlich ramponiert! Mit deiner Zerstörungswut kannst du ja fast schon mit Vald mithalten!“ Wendy blickte irritiert auf, weil sich der blauhaarige Japaner einmal mehr lautlos wie ein Ninja herangepirscht hatte. Stimmt ja! Heute war ja der Tag, an dem sich die beiden Streithähne Balotelli und Ethan einen Übungskampf liefern wollte. „Ein Skorpion, ja?“ Ethan nickte anerkennend. „Das passt wirklich außergewöhnlich gut zu dir!“ Wendy legte den Kopf schief und verschränkte die Arme. „Ich weiß ja nicht, ob ich das jetzt als Kompliment oder als Beleidigung auffassen soll...“ Sie seufzte und nippte am Energydrink. „Ist ja auch egal. Was wollt ihr jetzt eigentlich machen? Dank Zephs und meiner Einlage könnt ihr das Duellfeld vergessen, wenn ihr nicht gerade Schlammcatchen betreiben wollt...“ Ethan rümpfte die Nase. „Das will ich auch hoffen! Beim nächsten Mal sollten wir uns gleich am alten Deich treffen!“ – „Damit ich wieder im Fluss lande? No, materialmente impossibile!“ Tornado fröstelte es noch immer, wenn er nur an die kalte und neblige Halloweennacht zurückdachte, die so ein abruptes Ende für ihn genommen hatte. Grübelnd legte er die Hand ans Kinn, starrte auf den Boden und machte schließlich eine ausschweifende Geste. „Ah! Ich habe eine Idee! Gleich neben der Schule ist eine eingefallene Steinkapelle! Wenn wir den Grundriss als Begrenzung nehmen und dir Steinhaufen im Kampffeld nichts ausmachen, dann können wir dort das Duell austragen. Meine Nase sagt mir, dass die Bedingungen dort heute optimal sind!“ Ethan zuckte mit den Schultern. „Der Ort, an dem deine Niederlage stattfinden wird, ist absolut belanglos.“ Er schob seinen Ärmel leicht zurück und blickte auf die Uhr. „Nur sollte es nicht zu lange dauern, denn mein Chauffeur und Harriet warten im Auto auf mich.“ Tornado nickte entschlossen. „So leicht werde ich es dir heute nicht machen, Batman! In den letzten sechs Wochen habe ich hart trainiert, damit ich nicht wieder so alt aussehe, wie ich es gegen den Drachenmeister getan habe!“ Er zwinkerte ihm zu und ließ seine weißen Zähne blitzen. „Dieses Duell wird auf jedem Fall spannend werden! Und danach kannst du gerne für ein bisschen „Sugo di Balotelli“ in der Pizzeria vorbeikommen!“ – „Sugo di... Balotelli..?“ Ethans Gesicht wurde aschfahl. Er räusperte sich. „Vielen Dank für das Angebot, aber ich esse lieber allein.“ Wendy wurde knallrot. So wie sie Ethan kannte, war ihm nicht einmal bewusst, dass er gerade sehr unanständig auf etwas Unanständiges geantwortet hatte. „Ihr geht euch duellieren und ich werde duschen und dann auch was essen, nie!“ Zeph rieb sich zitternd die Oberarme. „Bin doch etwas feucht geworden! Gut, dass wir jetzt Trainingsanzüge haben und dass es nicht die Schuluniform war, die vollgespritzt wurde, nie!“ Angelo dachte nach. „Ich werde wie gewohnt der Schiedsrichter sein. Wenn Zeph nicht die Drachenkamera steuert, wer macht es dann?“ Er blickte zwischen der noch immer schwer atmenden und tiefroten Wendy und Hayate, der auf Tornados Flirtversuche mit Ethan nur mit einem müden Lächeln reagiert hatte, hin und und her. Hayate schob sein violettes Haar hinter das Ohr und verneinte. „Ich werde gleich das Frühstück zubereiten gehen, also muss ich passen!“ Er legte den Kopf schief und zwinkerte Ethan und Tornado zu. „Ich wünsche euch viel Vergnügen. Treibt es nicht zu hart miteinander!“ Ha, ha, ha! ZU VIEL! Warum musste sie auch gesunde sechzehn Jahre alt und eine blühende Fantasie haben, die ihr suggerierte, dass diese mit Sicherheit ganz unschuldig und normal gemeinten Sätze einen obszönen Kontext hatten? „Wendy?“ Angelo zog an ihrem Arm. „Hörst du nicht zu? Wendy?“ – „Was? Wie?“ Ertappt! Jetzt hatte sie sich auch noch ablenken lassen! „Deine Konzentration lässt gerade zu wünschen übrig! Ich wollte dich bitten mir Sting kurz auszuleihen, damit ich die Drachenkamera befestigen kann.“ Oh nein! Jetzt hatte sie gar nicht gemerkt, wie die beiden Drachenduellanten schon zu der alten Kapelle gegangen waren. Ach, sie sollte sich wirklich einmal einen Freund suchen! Nur gab es in ihrem Bekanntenkreis niemanden, der zu ihr passte! Ethan konnte manchmal eine echte Schlaftablette sein, auch wenn das wohl eher daran lag, dass sie nicht verstand, was in seinem Kopf vorging. Julius interessierte sich nur für den Anbau und den Konsum exotischer Kräuter und mit Balotelli und Hayate hätte sie höchstens in eine Schwulenbar gehen und dort ein paar Frauen in Holzfällerhemden aufreißen können. Angelo war einfach zu jung und nicht ihr Typ – obwohl... wenn er endlich mal einen Wachstumsschub hätte, würde er sicher ein interessanter Mann werden! – Zeph interessierte sich Nachts nur für das Knacken von Autos und Ladenschlössern und Vald... Erstens wollte sie nicht mehr mit ihm reden und zweitens hätte das sicher wieder in einem sinnlosen Besäufnis mit anschließendem Vandalismus geendet. Warum hatte sie nicht einfach eine liebe und nette Freundin, die mit ihr um die Häuser zog? Ach, da war ja was! Harriet war schon immer eine doofe selbstverliebte Ziege gewesen und die anderen Mädchen hatten Angst vor ihr, seitdem sie in der Grundschule wild um sich geschlagen hatte. „So, fertig!“ Angelo gab ihr Sting zurück. Ja, es stimmte. Eigentlich war er ein wirklich hübscher Junge, nur nicht unbedingt jemand, mit dem man viel zu lachen hatte. Sie nickte. „Wie steht der Wind heute? Also wo soll ich mich am besten hinstellen?“ Er holte die Clubfahne heraus und hielt sie prüfend nach vorne. „Kontinuierlicher Westwind.“ Er deutete auf die Ruine. „Wenn du dich auf die Arkade über den Eingang stellst, sollten wir eine gute Aufzeichnung bekommen!“ Wendy erschauderte. „Und du bist dir sicher, dass das stabil ist?“ – „Die Wahrscheinlichkeit einer ungewollten Erosion liegt selbst bei exzessivem Usus der Kirits bei unter fünf Prozent!“ Sie winkte ab. „Schon gut, ich setze mich einfach hin, sobald Sting in der Luft ist. Dann kann ich theoretisch auch nicht runter fallen!“ Sie rollte die Drachenleinen wieder aus und stellte Sting mittels Anlauf in der Luft auf. Jetzt bloß noch auf die Mauerreste hochkommen... „Ey, was ist das denn für ein Mist?“ Natürlich gab es von außerhalb kaum eine niedrige Stelle, von der sie nicht mehrere Meter über einen Abgrund hätte springen müssen. Und an Reingehen und von innen nach einem Aufgang suchen war nicht zu denken, da Sting bereits flog und so nicht mehr durch den Torbogen passte, ohne dass sie ihn hätte wieder einholen müssen. Sie seufzte genervt und wandte sich Angelo zu, der inzwischen den Halbkreis im Osten der Ruine betreten hatte, an dem früher einmal die Apsis gewesen war. „Na gut, dann muss ich eben klettern. Funktioniert die Kamera auch richtig?“ Angelo hob den Daumen. Auch Ethan und Tornado hatten sich inzwischen in der Kirchenruine positioniert und waren bereit ihre Drachen steigen zu lassen. Na toll. Alles wartete also nur auf sie! Mit wackeligen Beinen arbeitete sich Wendy auf den Mauerresten voran, das sich als gar nicht so leicht erwies, da sie ihre Hände nicht ausgleichend zur Hilfe nehmen konnte. Sie erinnerte sich vage, dass auch bei der Weltmeisterschaft zuweilen unebenes Terrain als Kampffeld zum Einsatz kam. Jetzt also schon ins Straucheln zu kommen war keine Option! Und hopp! Noch ein paar Meter. Sie fühlte schon jetzt förmlich die Anspannung, die von den beiden Kontrahenten ausging. Sand knirschte unter ihren Schuhen und rieselte auf den Boden, doch das Gemäuer hielt stand. Schließlich hatte sie ihren Endpunkt erreicht und nahm platz. „Stimmt die Position der Kamera so?“ Ihre Stimme hallte laut zwischen den Sandsteinbrocken. „Noch etwas weiter nach links drehen!“, rief Angelo. „Ja, so ist es gut! So bekomme ich ein optimales Bild und korrekte Messdaten!“ Er tippte ein paar Befehle auf seinem Smartphone und steckte es darauf in eine um seinen Hals baumelnde Tasche. Dann nickte er entschlossen und blickte ernst erst zu Tornado und dann zu Ethan. „Sind die Duellanten bereit?“ Der blonde Italiener schob sein Stirnband zurück. „Si! Heute wird ein denkwürdiger Tag! Heute werde ich mir und unserem Drachenclub ein Denkmal setzen!“ Ethan schnaubte gehässig. „Dem muss ich widersprechen! Diese Kamera wird heute nichts anderes als deine Niederlage gegen Bat und mich aufzeichnen! Mach dich auf die bisher größten Schmerzen deines Lebens gefasst, Balotelli!“ Sein Blick verfinsterte sich zusehends, während Tornados Grinsen immer breiter wurde. Angelo hob die Fahne und stellte eine Stoppuhr. „Da das Terrain sehr uneben ist, erhöht sich die Lift-Phase auf vierzig Sekunden, beginnend in drei, zwei, eins...“ ... „LIFT 'EM UP!!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)