High Angle – B-Side von Atsusa ================================================================================ Kapitel 6: Geschwindigkeit ist alles! ------------------------------------- Neue Nachricht verfassen: Empfänger: Real_Batman Absender: ThePirateBride Betreff: Windgeister »Habe heute zum erstem Mal Bekanntschaft mit einem Kirit gemacht. Kaum zu fassen, dass es sie wirklich gibt! Dachte, ihr habt mich verarscht, als ihr gesagt habt, dass Julius das mal geschafft hat. Genaueres über sie steht in dem „Manifest der Drachen“. Habe im Anhang einen Auszug beigefügt. Vielleicht können wir gemeinsam das Geheimnis entschlüsseln. Die neue Schule ist seltsam. Wäre jetzt viel lieber bei euch. Kommen die Planungen für einen Drachenclub voran? Wie geht es den anderen? Bis bald, Wendy « Entwurf speichern. Löschen. Senden. Klick. Nachricht wurde gesendet. Weiterleitung zum Posteingang. Wendy klappte den Rechner zu und zog die Beine an sich heran. Seufzend vergrub sie den Kopf zwischen den Knien. Das war gar nicht gut. Sie hatte sich falsch verhalten und war einfach davongelaufen. Dabei war der ganze Drachenclub so freundlich zu ihr gewesen! Hatten ihr geholfen, als sie ohnmächtig war, sich ihr vorgestellt und ihr zugehört, als sie aus dem Buch vorgelesen hatte. Und was hatte sie getan? Sie angeblafft, weil sie insgeheim kalte Füße bekommen hatte, anstatt sich für neue Erfahrungen zu öffnen und den Dingen ihren Lauf zu lassen. Durch die Augenwinkel musterte sie das kleine in Leder gebundene Buch, welches auf ihrem Schreibtisch lag. „Vom Wesen der Windgeister“ lautete das letzte Kapitel, welches sie gelesen hatte. „Windgeister werden von der Kraft des Herzens genährt. Gespeist durch die Energie des Himmels wird eine Brücke zwischen ihnen und ihrem Träger geschaffen, die es ihnen erlaubt aus der unsichtbaren Sphäre in die Menschenwelt überzutreten. Ihre Erscheinung wird bestimmt von der Seele ihres Trägers. Sie sind wie Schutzengel, die von Geburt an einen jeden Menschen begleiten, doch nur die wenigsten unter uns können ihre leise Stimme vernehmen und ihre wahres Erscheinungsbild erkennen. Ihre Stärke hängt nicht von der körperlichen Kraft des Trägers ab, sondern einzig und allein von der Kraft dessen Seele.“ Wenn das so war, dann war ihr Kirit bestimmt eine hässliche kleine Kreatur, ganz schwach und unnütz. Ganz im Gegenteil zu Balotellis geflügeltem Krieger Icarus. Sie streckte den Arm aus und musterte ihre gespreizte Hand. Was hatte Zeph gesagt? Icarus war nur ein Kirit der Stufe 3? Und trotzdem hatte sie die Wucht seiner Attacke von den Socken gehauen und ihr einen großen Teil ihrer Energie entzogen. Sie fröstelte. Was wohl jenseits der Stufe 3 auf sie wartete? Kaum vorzustellen, dass es noch größere und Furcht einflößendere Windgeister als Icarus geben sollte. Wenn sie jetzt schon nicht mithalten konnte, wie sollte dann erst die Zukunft werden? Wendy ließ sich zur Seite fallen und starrte die Pinnwand an. Alte Fotos aus ihrer Mittelschulzeit hingen dort. Lachende Gesichter, skurrile Situationen, alles aus und vorbei. So gesehen kein schöner Anblick. Aber da war noch mehr. Leere Stellen an ihrer Pinnwand, die noch mit Fotos gefüllt werden wollten. Fotos von ihrer neuen Schule. Und von ihrem neuen Drachenclub. Tau spiegelte sich im Morgenlicht. Es roch nach frisch gemähtem Gras. Letzte Nacht hatte es geregnet, so dass die Luft frisch und kristallklar war. Zeph zog den Reißverschluss seiner – selbstverständlich Nachts zufällig vor einem schicken Designerladen auf der Erde gefundenen und ganz und gar nicht geklauten – Jacke noch weiter zu und kratzte sich den Hinterkopf. „Und du bist dir wirklich sicher, dass sie kommen wird?“ Tornado nickte. „Si! Wendy ist wie eine Feder im Wind, das weiß ich.“ „Wenn du damit ausdrücken willst, dass meine Meinung äußerst instabil ist und sich jederzeit ändern kann, dann muss ich dir zur Abwechslung einmal Recht geben!“ Wendy hob die Hand zum Gruß. „Ich habe nachgedacht...“. Sie holte tief Luft und seufzte. „Ich habe zwar keine Ahnung, wohin mich dieses Abenteuer noch bringen wird, aber wenn ich mich nicht mit dem Wind treiben lasse, dann werde ich es nie erfahren.“ Tornado hielt ihr die Hand hin und lächelte. „Buon giorno!“ Wendy schlug ein. „Also Jungs!“, begann sie und stimmte in das Lächeln des blonden Anführers ein, „zeigt mir, wie das mit den Kirits funktioniert!“. „Leichter Aufwind aus nordwestlicher Richtung! Anlauf im Uhrzeigersinn! Die 30 Sekunden zum Aufsteigen der Drachen beginnen in... Fünf. Vier. Drei. Zwei. Eins. Und Start!“ Wieder einmal ließ Angelo die mit dem Clubwappen verzierte Fahne nach unten schnellen. Dieses Mal würde sie sich nicht so leicht unterbuttern lassen! Cleavers Winden lagen fest in ihren Händen, bereit entfesselt zu werden und den Lenkdrachen in die Luft zu erheben. „Eins! Zwei!“ Wendy rannte, was ihre Füße hergaben, ließ die Leinen locker und erzeugte einen Gegenwind, der den schwarzen Drachen nach oben katapultieren sollte. „Drei! LIFT 'EM UP!“ Sie schwang ihre Arme herum. Seltsamerweise war ihr der Spruch heute nicht mehr ganz so peinlich wie noch vor zwei Tagen. Ganz im Gegenteil. Irgendwie war er ja doch cool. Ließ sie gleich ganz taff wirken. Oder zumindest in dem Glauben lassen, dass sie etwas gänzlich lässiges und hippes tat. Der Zug an den beiden Nylonfäden nahm zu. Cleaver legte sich auf die Luftströmung und wog leicht hin und her. Keine großen Reden. Keine Experimente. Einfach nur das gute Gefühl mit dem Himmel verbunden zu sein. Zeph keuchte erschöpft, schlug ein paar Haken und schaffte es schließlich mittels großer Schritte Aquila in die Lüfte zu erheben. Auch er hatte Gefallen an dem Spruch gefunden, auch wenn sein „Lift 'em up!“ unter schnappenden Atemzügen hervor gepresst war. Wendy hob skeptisch eine Augenbraue. „Sonderlich sportlich bist du aber nicht!“ Zeph grinste verlegen. „Gibt wichtigere Dinge als Sportlichkeit! Werde ich dir gleich zeigen, pass auf!“ Mit einem langgezogenem „Chaa~!“ stürzte er nach vorne und ließ Aquila krachend auf den deutlich kleineren Cleaver stürzen. Wendy biss die Zähne zusammen und umklammerte die Spulen fester. Nur keinen Schritt zurückweichen. Balotelli und die anderen beobachteten ganz genau, was sie tat. Volle Konzentration. Eins sein mit Himmel und Erde. Vielleicht gelang es ihr ja dann einen ebenso coolen Kirit hervorzubringen wie ihr Anführer. Zeph legte ein weiteres Mal sein gesamtes Körpergewicht in eine Rammattacke, doch das Gras unter ihren Füßen bremste den Stoß ab. Cleavers Halteleinen schwangen wie Gitarrensaiten, doch der Lenkdrachen blieb stabil. „Nicht schlecht!“, rief der Brünette zu ihr herüber. „Dachte nicht, dass du stehen bleibst. Dachte mehr so an Rennen wie aufgescheuchtes Huhn, nie.“ Wendy schmunzelte. „Und ich dachte nicht, dass so ein Schlaffi wie du doch Kraft in den Armen hat!“ Ihr Blick verfinsterte sich. „Aber damit ist jetzt Schluss! Ich werde dich vom Himmel fegen!“ Zeph legte den Kopf schief. „Viel zu klein, der Drachen! Aber versuche es doch mal!“ Wendy nickte. „Und ob!“ Sie begann Anlauf zu nehmen, kreuzte einmal das Feld, schwang herum und ließ Cleaver in hohem Bogen auf die Leinen Aquilas stürzen. Es war eine riskante Taktik, die sie ausspielte. Nur einen Moment zu langsam und Zeph würde ausweichen. Nur einen Moment zu spät die Richtung geändert und die Drachen würden sich verhaken. Doch Wendys Strategie ging auf. Der plötzliche Zug an den Steuerleinen brachte Zeph ins Trudeln. Er machte ein paar Schritte rückwärts, stolperte dann über seine eigenen Füße und fiel auf sein Hinterteil. Schnell zog Wendy die Arme zurück und ließ Cleaver eine Linkskurve fliegen. Das hatte gesessen. Damit Zeph jetzt noch gewinnen konnte, musste ein Wunder geschehen, denn so wie er selbst zurückgeworfen wurde, musste auch sein Drachen zwangsläufig in Richtung Boden geflogen sein. Tornado verschränkte die Arme und schloss die Augen. „Subito! Gleich kommt es...“ Er konnte es spüren. Ein leichtes Kribbeln auf seiner Haut, den Hauch einer Fährte in seiner Nase. Und er sollte Recht behalten. Ein Vogelschrei ertönte. Für einen Moment verdunkelte ein Schatten die Morgensonne, dann erschien ein brauner Adler, spreizte seine Flügel und zielte im direkten Sturzflug auf Zeph hinab. Wendy traute ihren Augen nicht. „Warum greift der mich nicht an?“ Der Adler rauschte an ihr vorbei und wehte ihren Rock nach oben, doch keine Unterhose blitzte auf. Nur ein paar eng anliegende Shorts waren zu sehen. Grashalme wurden aufgewirbelt und formten kleine Windteufel hinter dem Drachengeist, der jeden Augenblick sein Ziel erreichte. Kurz über dem Boden fing er den stürzenden Lenkdrachen ab, schlug ein paar Mal kräftig mit den Flügeln und hob ihn anschließend erneut hoch in die Luft. Dann verschwand er. Zeph grinste und richtete sich wieder auf, die Hände noch immer gen Himmel gestreckt. „Hättest du nicht gedacht, nie?“ Wendy schüttelte den Kopf. „Das war...“, sie suchte nach den passenden Worten, „...total abgefahren!“ Ihre Wangen röteten sich vor Aufregung. „Ich wusste gar nicht, dass man einen Kirit auch so benutzen kann!“ Der Brünette nickte. „Kann man alles mit machen. Wirst du auch noch erfahren. Und jetzt... Tut mir leid, aber ich muss meine Ehre als Mann retten!“ Wieder stieß er heroisches Kampfgebrüll aus und stürzte sich auf Wendy. Doch sie war zu schnell. Wich kurz vor dem Aufschlag Aquilas zur Seite aus und schwang die Arme so herum, dass Cleaver hinter den Adlerdrachen befördert wurde und ihm einen Rammangriff von hinten verpasste. Doch Zeph zuckte nicht einmal mit der Wimper und reagierte sofort. Er wiederholte seinen Angriff und schaffte es tatsächlich zu treffen, doch Wendy hielt tapfer stand. Sie wusste, dass sie eine Chance hatte, wenn sie nur lange genug durchhalten konnte. Zephs Kondition war nicht die beste und er pfiff bereits jetzt aus dem letzten Loch. Nur noch ein bisschen länger. Wieder sprang sie zur Seite, schlug einen Haken und lief in die entgegengesetzte Richtung, um das Kampffeld erneut zu öffnen. Zephs Schritte gingen schwerfällig, doch die Wucht seiner Attacke machte dies wieder wett. Schweiß stand ihm auf der Stirn und ließ einzelne Haarsträhnen zusammenkleben. „Du bist wirklich schnell, Wendy!“ Er nickte ihr zu. „Doch hast du leider etwas übersehen!“ Wendy hielt in der Bewegung inne und geriet ins Schlittern. Was hatte er gerade gesagt? „Du redest Stuss, mein Lieber!“ Wieder stürzte sie im Eilschritt auf ihn zu und ließ Cleaver auf Aquila hinabsausen. Fast kam es ihr so vor, als hätte Zeph seinen Kampfgeist begraben, so träge reagierte er auf ihre Attacke. Ein weiterer Angriff. Und noch einmal. Wenn schon kein Kirit aus ihren Händen entwuchs, dann musste es eben die klassische Handarbeit erledigen. Zeph kam der Begrenzung des Kampffeldes immer näher. Und noch näher. Noch zwei Schritte. Ein Schritt. Eine letzte Rammattacke. Doch plötzlich ging alles so schnell, dass Wendy hinterher nicht mehr genau sagen konnte, was überhaupt passiert war. Wieder ertönte ein Vogelschrei und wieder sauste der braune Adler vom Himmel herab. Doch diesmal galt sein Sturzflug nicht der Errettung des Lenkdrachen, sondern zielte direkt auf Wendys Füße. „Tut mir leid!“ entschuldigte sich Zeph und zwinkerte. „Jetzt kommt Aquilas Spezialattacke: Windschnitt!“ Der Drachengeist schrammte Wendys Waden entlang und hinterließ eine Spur brennenden Schmerzes, der sie in die Knie zwang. Darauf hatte Zeph gewartet. Bevor Wendy auch nur monieren konnte, holte er weit aus und schlug mit der vollen Breitseite seines Drachen gegen die Leinen Cleavers. Das war zuviel für den kleinen schwarzen Lenkdrachen. Ein Schnipsen ertönte, direkt gefolgt von einem weiterem. Dann hatte Wendy die losen Leinen des Drachen in der Hand. „Das Duell ist entschieden! Sieger ist Zeph durch Zerstörung des gegnerischen Drachen!“ Wendy starrte auf die Reste der Halteleinen in ihren Händen. Es war ein komisches Gefühl. Es wurmte sie nicht wirklich, dass sie verloren hatte, doch der Anblick ihres führerlosen und lädierten Drachen dort drüben im Gras machte sie seltsam traurig. Sie wischte sich über das Gesicht. Nein, sie würde jetzt sicher nicht das Heulen anfangen! Zeph bückte sich und lächelte sie an. „Deinen Füßen geht es gut?“ Wendy tastete nach ihren Waden und nickte stumm. „Ist nicht so stark wie Icarus, nie?“ Es stimmte. Der Kirit mochte sie zwar überrascht haben, doch im Vergleich zu den Schmerzen, die sie nach Icarus' Lichtpfeil verspürt hatte, war es kaum wahrzunehmen. Er klopfte ihr auf die Schulter. „Hast mich fast gekriegt! Bin nicht so schnell wie du, musste also kreativ sein, nie.“ Wendy sah ihn fragend an. „Tut mir leid wegen deines Drachen. Kann man aber wieder reparieren, alles kein Thema!“ Er deutete auf Angelo, der sich in ein Notizbuch vertieft hatte und wild mit dem Stift vor sich hinschrieb. „Macht Angelo schon wieder heil. Und dann ist er besser als zuvor!“ Er streckte sich ausgiebig. „Hat mir Spaß gemacht, Wendy. Und jetzt... Frühstück?!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)