High Angle – B-Side von Atsusa ================================================================================ Kapitel 35: Von Krokodilen und LKWs ----------------------------------- Neil schnappte nach Luft. Wahrlich, er konnte sich nichts Schöneres vorstellen, als darauf zu warten, von einem Drachen überrollt zu werden, während er den Schritt eines alten Mannes, der mit ihnen unter einen großen Holztisch gekrochen war, im Gesicht hatte. Eigentlich liebte er fantastische Abenteuer. Er liebte es, in die fernen Welten einzutauchen und Helden dabei zu begleiten, wie sie in großen Schlachten kämpften, immer auf der Jagd nach magischen Artefakten und auf der Suche nach höheren Idealen. Aber eigentlich liebte er sie nur, wenn er dabei mit einer heißen Tasse Tee mit Honig auf dem Fenstersims hocken konnte, während draußen der Regen gegen die Scheiben trommelte. Selbst einmal Teil einer Geschichte zu werden und von einem echten Drachen verfolgt zu werden, entsprach so gar nicht seiner Vorstellung von einem gelungenen Nachmittag. Und erst Recht nicht, wenn man noch einen alten Zausel dabei hatte, der einem mit seiner Hüfte die Luft abdrückte. „Mff-hff!“, versuchte Neil sich bemerkbar zu machen, doch das Brüllen des Drachen übertönte seine Stimme bei Weitem. Er hatte nicht so ganz gehört, was Kermad eben zu Angelo gesagt hatte, doch da keiner der anderen Kite Knights auch nur einen Ton von sich gab, war er sich sicher, dass es nichts Gutes gewesen sein konnte. „Runter von mir, runter!“ Kermad wimmerte leise, als man ihm keifend einen Stoß gegen die Rippen verpasste. Mit gekrümmtem Bauch rollte er sich zur Seite und wischte sich über die tränenden Augen. Ah, endlich wieder Platz und Luft! Danke, Wendy, danke! „Sterben?“, Balotelli hob ratlos eine Augenbraue. Kermad nickte. „Der Torwächter lässt niemanden aus unserer kleinen Anderswelt hier hinaus, wenn er sich nicht als jemand, der den Göttern geweiht wurde, ausweisen kann. Und euer kleiner Freund hier“, er klopfte Angelo mitleidig auf die Schulter, „hat scheinbar so gar keine Resonanz bei den Göttersäulen hervorgerufen, nicht?“ Angelo schüttelte den Kopf. „Ich habe es den anderen gleichgetan und eine der Säulen berührt, doch es erfolgte bedauerlicherweise keine Reaktion.“ Kermad strich sich grübelnd über den langen, weißen Bart. „Hmm... Das ist nicht gut, wirklich nicht gut!“ Inzwischen war vor der schweren Holztür Stille eingekehrt. „Wahrscheinlich war die Resonanz deiner fünf Mitstreiter so groß, dass das Chaos die Schranke zwischen den Welten auch für dich geöffnet hat. In der Regel kann kein Normalsterblicher diesen Ort hier betreten.“ Er kroch wieder unter dem Tisch hervor und lachte. Es war ein hilfloses Lachen, das im Unterton den Wahnsinn mit sich schwingen ließ. Die anderen lauschten erst nach dem Drachen, dann kamen auch sie skeptisch unter der Holztafel hervor und klopften sich den Staub von der Kleidung und aus den Haaren. Schweigend legte Kermad seinen Zeigefinger an die Lippen und deutete mit der anderen Hand zum Fenster. Er brauchte allerhöchste Vorsicht, um möglichst lautlos zwischen den Schuttresten und dem zerbrochenen Inventar zum Fenster zu gelangen und allen blieb fast das Herz stehen, als dessen Scharniere beim Öffnen leise knarrten. Einer nach dem anderen stiegen sie auf den Sims und sprangen die anderthalb Meter nach unten. Erst Wendy, dann Angelo, dann Neil, dann Balotelli. Als sich Zeph und Costas gerade ebenfalls auf den Weg nach draußen machen wollte, packte Kermad sie an den Oberarmen. „Halt!“, formten seine Lippen stumm. Der schlaksige Osteuropäer und der korpulente Südeuropäer nickten stumm. Kermad winkte zuerst Costas ganz nahe an sein Gesicht heran und tat dies anschließend auch mit Zeph. Er hatte ihnen Anweisungen ins Ohr geflüstert. Während Costas sofort die Fäuste ballte und grinsend nickte, schüttelte Zeph den Kopf und hob abwehrend die Hände. Die Falte zwischen den Augenbrauen des Greises verstärkte sich und er redete noch einmal im Flüsterton auf den braunhaarigen Polen ein, dann zuckte dieser resignierend mit den Schultern und fügte sich seinem Schicksal. Costas trat auf das Fensterbrett und sprang hinab. „Was dauerte das eben solange? Ich dachte, wir sollen abhauen!“, presste Wendy leise zischend hervor und verschränkte die Arme. „Kommt Zeph jetzt noch?“ Als Costas mit dem Kopf schüttelte, breitete sich ein mulmiges Gefühl in den vier Kite Knights aus, doch noch bevor sie ihn nach dem Warum fragen konnten, hob er zuversichtlich den Daumen. „Kermad hat gesagt, dass wir schon einmal vor in den Wald gehen sollen. Er meint, dass Zeph das schon schafft, uns den Drachen für einige Zeit vom Leib zu halten, zumindest solange, bis wir Angelo außer Sichtweite gebracht haben und und in Ruhe überlegen können, wie wir alle wieder unbeschadet nach Hause zurückkommen können.“ Er knetete nervös seine Finger und leckte sich über die Lippen. „Und damit uns der Drache nicht bemerkt, meint er, dass ich Folgendes machen soll...“ Er atmete einmal tief durch und hob die linke Hand. „Oh Göttin Tailtiu, du Mutter der Erde, die du mir deinen Segen hast zuteil werden lassen! Ich schenke dir nun einen Teil meiner Kraft im Angesicht des Äolus, auf dass mein Sandschleier ein schützender Mantel für uns alle werde! Diogenes, erscheine!“ Ein leiser Windzug raschelte in den Rosenhecken, die das Grundstück umgaben. Wenige Meter entfernt rollte ein kleiner Dornbusch von links nach rechts, doch nichts geschah. Kein Kirit erschien und kein Sandschleier machte sie unsichtbar. Und zum ersten Mal in seinem Leben war Costas Nixas etwas so peinlich, dass er errötete. Wendy klatschte unbeeindruckt in die Hände. „Wow, ganz toll. Einen schönen Spruch hast du da aufgesagt. Und weiter?“ Costas schluckte seine aufkommende Nervosität herunter. „Dann eben noch einmal von Vorne! Oh Göttin Tailtiu, du Mutter der Erde, die...“ Wendy grunzte vergnügt und auch der Rest des Teams fand Costas' Versuche, eine epische Beschwörung zu vollziehen, ziemlich lächerlich. „B-braucht man, u-um seinen Ki-kirit zu beschwören, ni-nicht eigentlich einen Lenkdrachen?“ Jetzt war es zu spät! Neil hatte es gesagt! Neil hatte es einmal wieder gewagt, einfach unverblümt und unschuldig eine Frage zu stellen, nur diesmal war sie nicht ihm selbst, sondern dem dunkelhaarigen Griechen mit dem Anglerhut ziemlich peinlich. „Kirit... Drachen... Kirit... OH MANN! Jetzt habe ich den Faden verloren.“ Costas schürzte die Lippen und blickte verlegen zur Seite. „Wisst ihr was? Kermad kann mich mal mit seiner doofen Beschwörung! Ich mach's einfach wie immer!“ Er stellte sich breitbeinig hin, ballte noch einmal die linke Faust, ließ seinen Arm zum Himmel schnellen und brüllte so laut wie er konnte: „LIFT 'EM UP!“ ... WUSCH! Die aufkommende Druckwelle war so stark, dass sie die vier Kite Knights fast von den Füßen riss. Mit einem Mal wurde soviel Kraft in Costas' Handfläche gepumpt, dass diese hell zu strahlen begann. Mit überraschtem Blick sah der Vertrauenslehrer der Kite Knights nach oben und fühlte, wie die Energie ausgehend von seiner linken Hand in den Himmel schoss, dort eine unsichtbare Tür zu öffnen schien und schließlich Diogenes direkt vor seinen Füßen erscheinen ließ. Das erdfarbenene Krokodil brüllte laut und schlug mit seinem Schwanz so heftig auf den Boden, dass die Erde in der Dimensionsblase einmal mehr zu beben begann. Wendy sprang vor Schreck hinter Balotelli und griff nach seinem Arm. Beim letzten Mal war Diogenes noch ihr Gegner gewesen und hatte ihrem Selbstbewusstsein einen herben Dämpfer verpasst. Und jetzt stand dieses riesenhafte Krokodil vor ihr, noch größer und realer als am Tag ihres Duells mit Costas und starrte ihr direkt in die Augen. Costas' Blick wanderte überrascht zwischen seiner Hand, dem Himmel und Diogenes hin und her. Der Windmarker leuchtete hell und schien nicht zu verschwinden, egal wie oft er die Faust schloss und wieder öffnete, gegen die Handfläche blies oder versuchte ihn abzuwischen. „Wow...“, raunte er sprachlos, „einfach wow!“ – „Und das alles ohne Lenkdrachen?“, fragte Neil skeptisch. Costas nickte. „Scheint so!“ Wieder sah er erstaunt auf seine Handfläche, dann musste er grinsen. „Wendy?“ – „W-was willst du, du S-spast?“ Es war ihr so peinlich zuzugeben, dass ihr die Anwesenheit von Costas' riesigem Kirit Angst machte, dass sie nicht anders konnte, als mit trotzigen Sprüchen zu kontern. Dagegen war Sting ja echt ein Baby! „Hast du etwa Angst?“ Costas und Diogenes gingen ein paar Schritte auf die Rothaarige zu, die ihre Hände so fest in Balotellis Oberarm gegraben hatte, dass diesem schmerzhaft das Blut abgedrückt wurde. Costas winkte ab und lachte schallend, als Diogenes mit seinem Krokodilsmaul leicht gegen die Nummer Eins und Zwei der Kite Knights stupste. „Mein guter Freund hier sagt, dass ich dir ausrichten soll, dass es ihm leid tut, dass er dich das letzte Mal so auseinandergenommen hat!“ Der Klammergriff und Balotellis Arm ließ nach. Der Blonde verformte den Mund zu einem nervösen Lächeln. Wendys Fingerkuppen hatten tiefrote Druckstellen hinterlassen.„Ma si? Für mich sieht das eher so aus, als würde er uns gleich fressen wollen!“ Diogenes schnurrte und bleckte die Zähne, dann hob er die rechte Vorderpfote und stampfte einmal kräftig auf den Boden, sodass sich eine Wand aus Sand schützend um sie herum erhob. Costas legte seinem Kirit die Hand auf die Stirn und ging voran. „Ehrlich gesagt“, er kratzte sich verlegen am Hinterkopf und sprach, ohne sich umzusehen, „war das von mir nicht sehr nett, dich so auseinanderzunehmen, Wendy! Lass dich davon bloß nicht unterkriegen und gib nicht auf, dann bist du irgendwann bestimmt sogar stärker als ich!“ Die Rothaarige schloss kurz die Augen und schüttelte den Kopf, dann eilte sie neben Costas und streichelte skeptisch Diogenes Schnauze. „Glaub mir, Herr Lehrer, wenn ich an deiner Stelle gewesen wäre, hätte ich genauso gehandelt!“ Schweigend entfernten sie sich langsamen Schrittes von dem Anwesen der Túatha Dé Danann, stets umgeben von einem Sandschleier, der sie unsichtbar machte. Als sie das kleine Waldstück in der Nähe der Windmühle erreicht hatten, löste Costas die Beschwörung auf und ließ Diogenes wieder in seinem Körper verschwinden. Erschöpft ließ er sich auf einen Baumstumpf fallen und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Der Windmarker auf seiner linken Handfläche verschwand. „Teil Eins wäre damit erledigt.“ Balotelli lehnte sich gegen einen moosbewachsenen Baum und verschränkte lässig die Arme. Sein Blick ging in Richtung des Anwesens. Das Loch, welches der Drache im Dach hinterlassen hatte, war von ihrem Aufenthaltspunkt kaum noch zu erkennen. „Jetzt bleibt bloß noch zu hoffen, dass Zeph in der Lage ist, den Drachen zu beruhigen...“ Als der Sandschleier Costas und seine vier Teamkameraden unsichtbar gemacht hatte, wandte sich Zeph vom Fenster ab. Nun lag es also einzig und allein an ihm, den Drachen dazu zu bringen, wieder zurück zu dem Grabhügel jenseits des kleinen Waldstückes zu fliegen, um dort das Tor in die Außenwelt zu öffnen. „Hör zu, Junge!“, hatte Kermad ihm ins Ohr geflüstert. „Ich weiß, dass du Zweifel hast. Aber jetzt, da ich die Windmarker von euch allen überprüft habe, weiß ich, dass du der Einzige bist, der in der Lage ist, ein Bollwerk zu errichten, an dem selbst ein Drache sich die Zähne ausbeißen würde. Wenn du es schaffst, ihn nur lange genug von dir fernzuhalten, dann wird er ganz von alleine die Lust verlieren und sich zurückziehen, glaub mir!“ So oder so ähnlich hatte es der alte Mann gesagt, auch wenn bei Zeph im Grunde nur so etwas wie „sei eine Mauer und halte ihn hin“ im Gedächtnis haften geblieben war. Auch den Spruch, den er aufsagen sollte, war schon wieder aus seinem Gehirn verschwunden und er erinnerte sich nur noch an „Gobban, Gott der Schmiede“ und ein paar Wortfetzen. Kermad war zur Holztür geschlichen und drückte vorsichtig die Klinke herunter. Das Scharnier quietschte so laut wie ein Ferkel auf der Schlachtbank. Draußen hob der Drache träge seinen Kopf und blies ein paar Rauchwolken aus seinen Nüstern. Hungrig lauernd wie ein Raubtier fixierten seine glutroten Augen die Tür, die sich einen Spalt geöffnet hatte. Ein schmaler Lichtstreif fiel nach Innen und offenbarte ein Bild der Zerstörung. Es wunderte ihn ein bisschen, dass dort drinnen alles kaputt war, hatte er doch nur ein bisschen im Dach herumgestochert, in der Hoffnung, der unwillkommene Besucher würde sich freiwillig ergeben und sich von ihm fressen lassen. Und noch mehr verwunderte es ihn, dass der Raum, in dem er eben doch noch sieben Personen gezählt hatte, plötzlich leer war. Leer! Einfach so! Ein tiefes Grollen drang aus seiner Kehle, welches fast wie große und kleine Felsbrocken klang, die einen Abhang hinabrollten. Zeph dachte an das, was ihm Costas nach seinem viel zu zeitigem Ausscheiden aus dem Battle Royale gesagt hatte. „Wenn einer in diesem Team die undurchdringbare Mauer sein soll, dann bist wohl du das. In dir steckt mindestens die Standhaftigkeit von Stahlbeton!“ Stahlbeton. Stahl. Gobban, der Gott der Schmiede. War es das, was Costas gemeint hatte? Zeph fuhr sich durch den Zopf und zog sein Haargummi fester. Dann straffte er die Schultern, dehnte seinen sehnigen Hals einmal nach links und einmal nach rechts, legte die Hände an die beiden Türflügel und öffnete mit einem kräftigen Schubser das Portal. Nun stand er ihm gegenüber, Angesicht zu Angesicht. Und zum ersten Mal konnte er sehen, wie groß der Drache wirklich war. Sein Rumpf war mindestens so lang wie ein LKW mit Anhänger. Der Schwanz, der wütend auf den Boden peitschte, machte ihn so lang wie … ein LKW mit zwei Anhängern. Und seine Flügelspannweite war, sofern Zeph es einschätzen konnte, so weit wie … ein LKW mit Anhänger zur Linken und ein LKW mit Anhänger zur Rechten. Wahrlich, im Beschreiben von Dingen war Zeph wirklich nicht gut! Kurzum: der Drache war riesig und hockte einfach im Innenhof zwischen Orangenbäumen, die wie Streichholz umgeknickt waren, gebeugt über den Springbrunnen, der seltsamerweise noch intakt und noch immer von Quietscheentchen und Plastikspielzeug bevölkert war. „Ich hab dich gefunden!“ Der Drache sog tief die Luft ein und kostete den Duft einer frischen Markierung durch einen der zehn Götter. Dann knurrte er erneut. Nein, dieser Mensch war definitiv nicht der Unwürdige, der sich in den heiligen Hallen der Túatha Dé Danann aufhielt. Dieses Exemplar hier war absolut ungenießbar. Nicht nur sehnig und knochig, sondern auch viel zu haarig. Nichts, was man sich danach von den Zähnen kratzen wollte. Der Drache setzte sich auf und zeigte, dass er nicht nur lang wie mehrere LKWs, sondern auch hoch wie ein Haus war. Zeph erschien es rätselhaft, wie so ein großes Monster nur auf das Dach von Kermads Anwesen gepasst hatte, ohne dass sofort der gesamte Dachstuhl zusammengebrochen war, aber zum Nachdenken darüber war nun keine Zeit. Das Ungetüm breitete seine grünlich-erdigen Schwingen aus und machte Anstalten, sich in die Luft zu erheben, um sich auf die Suche nach dem entwischten Normalsterblichen zu machen, doch Kermads Stimme schwoll an zu einem Dröhnen, das den gesamten Innenhof ausfüllte: „DU! KANNST NICHT! VORBEI!“ Zeph spürte den Schuh des Alten in seinem Rücken, der ihn rabiat von sich stieß, direkt auf den Drachen zu. Kermad lachte. „Ach, ich wollte das schon immer einmal sagen! Aber jetzt, husch husch, mach es, wie ich es dir vorhin gesagt habe, junger Padawan!“ Zephs Blick ging ratlos zwischen dem Drachen und dem Greis hin und her. Sollte er wirklich? Am Ende tat er sich noch so weh, wie Wendy damals, als sie ihren Kirit das erste Mal gerufen hatte. Wollte er wirklich, dass man ihm einen Stahlhammer über die Rübe zog? Er plötzlich innerlich zu einem Metallmann wurde? „Jetzt mach hinne, Junge, und puller dich nicht ein! Denkst du, der Torwächter wartet ewig auf dich? Ist ja nicht so, als wäre er schrecklich in dich verliebt und stirbt hier vor Sehnsucht, wenn du ihn so schmoren lässt!“ Warum in aller Welt war der Alte plötzlich wieder so mutig? Gefiel ihm ja gar nicht. Nein, eigentlich wollte er gar nichts machen. Aber was würde der Chef dann sagen? 'Sfaticato, du hast es verbockt! Was für eine Schande!' Costas würde ihn auslachen, Wendy ihm eine reinhauen, Neil sich netterweise zurückhalten und Angelo – Angelo wäre mausetot. Und das nur, weil er, Zeph, aus Bequemlichkeit nichts getan hatte! Oder aus Angst, zu versagen? Wieder einmal der unschönen Wahrheit ins Gesicht zu blicken, dass er absoluter Durchschnitt, wenn nicht sogar unterer Durchschnitt war und es mit niemandem aus dem Team – nicht mal mit dem Neuen – aufnehmen konnte? Wenn hier drinnen also alles ein bisschen verrückt und anders als draußen war, dann wollte er jetzt bitte auch, im Gegensatz zu draußen, endlich einmal nicht zu den Versagern gehören. Das hier war kein Leistungstest in der Schule und wenn er es vermasselte, dann würden es bloß ein verrückter alter Mann und ein Drache, von dem er sich nicht einmal sicher war, dass dieser überhaupt existierte und kein Produkt eines eventuellen Rauschzustandes war, erfahren. Und wenn Angelo dann immer noch ins Gras beißen musste, dann konnte er, Zeph Sokolewsky, sich wenigstens guten Gewissens sagen, dass er es versucht hatte! „Boah, Mann, jetzt beeil dich endlich mal!“ Kermad stampfte genervt mit den Füßen auf und zeterte vor sich hin. „Dass du nicht ganz Helle bist, war mir ja schon klar, als ihr bei mir zur Tür reinkamt, aber dass du auch noch extrem langsam bist, hätte ich ja nicht gedacht. So ein großer starker Kerl wie du sollte sich echt schämen, so träge zu sein!“ Das war zuviel! Der Alte wetterte fast schon so schlimm herum wie Aquila! „Sei still, du nervst!“ Mit einer eindeutigen Handbewegung schnitt er jegliche Wiederworte Kermads ab. Doch anstatt, dass dieser beleidigt war, grinste er ihn nur zufrieden an. „Na dann wollen wir mal! Sprich mir nach, junger Padawan!“ Er rieb sich erwartungsvoll die Hände. „Oh Gott Gobban, du Patron der Schmiede!“ – „Oh Gott Gobban, du Patron der Schmiede!“ – „Der du mir hast deinen Segen zuteil werden lassen!“ – „Der du mir hast deinen Segen zuteil werden lassen!“ Während er die Worte des Greises wiederholte, spürte er ein warmes Kribbeln auf seiner linken Handfläche. Wie zuvor Costas, streckte auch er nun die Hand zum Himmel und sprach: „Ich schenke dir nun einen Teil meiner Kraft im Angesicht des Äolus! Aquila, erscheine!“ … KA-BUMM! ... Der Energieausbruch war so heftig, das der Drache brüllend zurückwich und mit seinem Schwanz auch noch die letzten heilen Orangenbäume nieder fegte. Zeph konnte spüren, wie eine nie zuvor gekannte Kraft durch seinen gesamten Körper floss. Seine Muskeln spannten sich an und er fühlte sich einerseits hart und undurchdringlich wie eine Wand, andererseits aber doch flexibel wie Schilfrohr im Wind. Erstaunt sah er nach oben und beobachtete, wie eine Säule aus flüssigem Metall das Firmament durchbrach und irgendwo im unsichtbaren Nirgendwo eine Verbindung mit einer göttlichen Macht einging. Und dann war es soweit: Aquila, der braune Steinadler, stieg zum allerersten Mal in seiner wahren Gestalt vom Himmel herab... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)