Als die Schlange ihm den Apfel gab
Hier saß er nun also. Vor ihm eine Akte des Bezirksstaatsanwaltes und in den Händen
hielt er die Ergebnisse des Unfallgutachtens.
Kirishima sagte ihm schon, dass der Herr etwas Eigenartiges dazu gesagt hatte, doch
wollte er es mit eigenen Augen lesen.
Der Bericht schilderte ihm, dass der Unfall nur so glücklich ausgehen konnte, da
geschickt eingegriffen worden war.
Das Lenkrad war eingeschlagen, die Handbremse, sowie der Schlüssel gezogen worden.
Jemand hatte also professionell auf die Situation reagiert.
Asami wusste, dass nur zwei Personen im Wagen gesessen hatten.
Der Fahrer, Akiba, welcher durch den Herzinfakt nicht mehr dazu in der Lage war den Wagen zu steuern und
Akihito auf der Beifahrerseite.
Aber wenn der Blonde das schwere Auto so kontrolliert dazu gebracht hatte zu bremsen, warum
hatte er nichts gesagt?
Was verschwieg ihm sein kleiner Fotograf?
Der Yakuza ließ mit einem leisen Aufschlag die Akte auf den Tisch fallen und stemmte die
Ellbogen auf die dunkle Eichenholzplatte.
Seine Finger verkeilten sich ineinander und das Kinn legte er darauf ab.
Mit den Schneidezähnen kratzte er sanft an den Fingern entlang, während seine Gedanken
den Vorfall immer und immer wieder durchgingen.
Hatte Akihito einfach nur ein wahnsinnig hohes Reaktionsvermögen oder hatte ihm
wirklich jemand diesen Kniff beigebracht?
Egal wie oft er es durchkaute, es brachte ihn keine Antwort ein. Sein Blick fiel auf
den Aktenordner des Staatsanwaltes.
Asami hatte sich alle Informationen geben lassen, welche mit Akihito und seiner Vergangenheit
zu tun hatten.
Seine Pupillen wanderten in die Richtung eines weiteren Ordners und seine Händen lösten sich aus
ihrer Erstarrung und griffen nach diesem, wie eine Schlange nach ihrer Beute.
Achtlos wurde er auf den anderen, bereits offenen Ordner geklatscht und aufgeschlagen.
Auch hier widerum keine Änderung. Die Buchstaben waren die selben wie schon vor wenigen
Stunden, als er darin herum geblättert hatte.
Mit 12 Jahren war Akihito nach Tokio gekommen, mit Detektiv Yamazaki als eingeschriebenen
gesetzlichen Vormund.
Er ging hier zur Schule, baute sich seinen Freundeskreis auf und nach dem Tod des Großvaters,
erbten seine Eltern eine beachtliche Summe Geld.
Sie wollten ihrem einzigen Sohn davon etwas zukommen lassen, doch Akihito lehnte es ab.
Alleine das ließ Asami ein Grinsen auf den schmalen Lippen erscheinen. Das hörte sich
absolut nach dem Fotografen an.
Sorgsam blätterte er um und kam zu einer beachtlichen Aufzählung von Jugendstrafen.
Einbruch, Körperverletzung, Urkundenfälschung und Autodiebstahl.
Wenn man Akihito nun kannte und damit seinen stark ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit,
war es kaum vorstellbar, dass er dies alles wirklich getan hatte.
Wenn er über die Daten sah, fiel Asami jedoch auf, dass das wilde Leben mit Erreichen des 18. Lebensjahres ein jähes Ende nahm.
Ab da ließ sich Akihito im Fotojournalismus ausbilden und ging einem gewöhnlichen
bürgerlichen Leben nach.
Zudem hat er niemals für seine Taten im Jugendknast gesessen. Nur eine Verurteilung vor
Gericht, welche jedoch nur zur Bewährung ausgesetzt worden war.
Asami wusste das dies nicht alles war. Es steckte viel mehr dahinter, doch mehr war
einfach nicht auf zu finden.
Was hatte Kuroda gesagt gehabt? Das alles hatte lange vor seiner Zeit als Bezirksstaatsanwalt
statt gefunden und Detektiv Yamazaki hatte viele Delikte unter den Tisch fallen lassen - Akihito zuliebe.
Nachdenklich trommelten seine Finger auf der Tischplatte herum und tanzten elegant darüber.
Er griff nach dem Glas mit einer goldig glänzenden Flüssigkeit darin und die Eiswürfel klackerten leise,
als er es anhob. Das Gefäß führte er ruhig an seine Lippen, nahm einen Schluck und genoss den
scharfen Geschmack einige Sekunden auf seiner Zunge, bevor er es hinunter schluckte und ein
warmes Gefühl sich in Hals und Bauch ausbreitete.
Dann stellte er das Glas vorsichtig zurück auf seinen Platz.
Den Detektiv würde er wohl nicht mehr danach fragen können, was das alles auf sich hatte.
Nachdem er vor etwas über zwei Jahren verhaftet worden war, hatte er sich kurz danach im
Gefängnins erhangen.
Der alte Mann schien es nicht ertragen zu haben, dass er mit der Waffe tatsächlich auf seinen Schützling
gezielt hatte und nur seiner eigenen Kinder wegen in Drogengeschäfte gerutscht war.
Wenn nun aber niemand mehr übrig blieb, den man danach befragen konnte, musste er
irgendwie Akihito dazu bringen, selbst mit der Sprache heraus zu rücken. Nur wie?
Ergeben seufzte Asami, schob die Akten ein Stück von sich weg und stand vom ledernen
Stuhl auf. Seine Schritte führten ihm zu dem großen Fenster, welches ihm die Stadt zeigte,
die sich so sehr vor seinem Namen fürchtete.
Wie ruhig und liebevoll ihre Lichter in der Nacht wirkten, als könnte nichts und niemand diese
Stille zerstören.
*~*~*
Ein Handtuch umschlang fest seine Hüfte und mit einem anderen Tuch rubbelte er in dem
strubbig feuchten Haar herum.
Die paar Stunden Schlaf hatten wirklich gut getan und halfen über das Geschehen des
Tages hinweg.
Akihito fand es zwar schade, dass Asami nicht mehr bei ihm war, jedoch war es nicht
vollkommen ungewöhnlich. Vielleicht hatte er noch mit den Auswirkungen des
Unfalls zu tun. Wer konnte das schon sagen.
Aus seinem Zimmer spielte leise eine Melodie und sofort erkannte er, dass es sich
um sein Handy handeln musste.
Mit tappsigen Schritten eilte er durch die Flure und huschte durch die Türe in sein
Zimmer. Auf dem Schreibtisch verbrierte das Plastikteil lustig vor sich hin, als er mit
der Hand danach griff und auf das Display sah.
Er lächelte sanft, als ein Piepen ihm verriet, dass er den Anruf entgegen genommen hatte.
"Hey Kou, alles klar bei dir?"
"Hallo Akihito..."
Der Fotograf schmiss das eine Handtuch achlos über den Schreibtischstuhl und ging
auf sein Bett zu, um sich auf dieses zu werfen.
"Alles okay? Du hörst dich nicht gut an."
"Akihito, du musst dich mit uns treffen!", hörte man eine zweite Stimme durch den
Hörer brüllen.
"War das Takato? Ist er bei dir?"
Kou seufzte schwer, suchte anscheinend nach Worten und flüsterte nunmehr.
"Akihito, bitte. Kannst du dich mit uns treffen? Wir sollten das nicht am Telefon
besprechen..."
Langsam hob er den Oberkörper vom Bett hoch und saß nun auf der Bettkante. Sein
Blick war ernster denn je. Die Notwendigkeit war aus der Stimme Kous heraus zu hören und
zudem schien es ein schwerwiegendes Problem zu sein, wenn Takato auch da war.
"Wo treffen wir uns?"
-~-~-
Egal wie sehr Akihito darauf bestanden hatte, der Wachhund von Asami hatte nicht
locker gelassen. Er bestand darauf den jungen Mann zu begleiten, da es ja eine
direkte Anweisung von Asami-sama wäre.
Um nicht noch mehr wertvolle Minuten zu verschwenden, hatte Akihito ihm nachgegeben,
jedoch mit Nachdruck darauf hingewiesen, dass er sich nicht in sein Privatleben einmischen sollte.
Also hatte sich Akihito seine Vespa samt Helm aus der Tiefgarage gekrallt, welcher
ruhig auf dem Sitz gelegen hatte und fuhr los. Hinter ihm immer ein schwarzes Auto
welches jeder seiner Schritte verfolgte.
Die Fahrt hatte ihn nach Kabukichō geführt, in eine kleine Straße voller Cafés, Bars
und anderen ominösen Clubs.
Wenn der Wachhund von Asami sagen würde, wo er sich befand und sich dort auch noch
mit den Jungs traf, würde das sicherlich einen eleganten Eindruck machen.
Doch Akihito schüttelte die Gedanken von sich, brachte den Motor der Vespa zum Schweigen
und setzte den Helm ab, welchen er wie eine kleine Tasche unter dem Arm trug.
Kurze Blicke nach links und rechts und schon rannte er über die Straße, direkt rein
in die Bar, mit dem lustigen roten Neoncocktailglas über der Tür.
Sein suchender Blick ging über Köpfe hinweg, als auch schon ein Arm von Takato in die Luft gerissen wurde, welcher ihn ranwinkte.
Akihito schlängelte sich durch einige Jugendliche hindurch, zischte ein paar mal das
Wort "Entschuldigung", bis er endlich am hinteren Tisch ankam.
Er nahm sich einen Stuhl gegenüber von Beiden, setzte sich und legte den Helm auf
dem Tisch ab.
Seine Augen musterten die Beiden, welche unnatürlich ernst wirkten und wollte
gerade ansetzten, als die Bedienung kam.
"Guten Tag. Was darf es sein?"
"Für uns Beide noch ein Bier, bitte. Und für unseren Freund -"
"Eine Cola", mischte Akihito sich ein.
Die junge Dame nickte sanft und verschwand hinter den Tresen.
Der Fotograf klopfte mit den Fingern beider Hände spielerisch auf dem
Holz herum und zog leicht eine Augenbrauen nach oben.
"Redet mit mir."
"Warte...", meinte Kou leise.
Sie schwiegen bis die Getränke da waren, die Frau sich von Neuem
entfernte und jeder einen Schluck genommen hatte.
Nervös begann Kou sich am Kopf zu kratzen, biss sich auf die Unterlippe und blickte
immer wieder suchend zu Takato. Dieser nickte ihm nur zu, worauf Kou leise seufzte.
"Ich sitz' in der Scheiße."
Akihito piekste mit dem Strohhalm im Getränk rum und schob die Eiswürfel von
einer Seite zur Nächsten.
"Ich übrigens auch, wenn Asami erfährt wo wir uns gerade befinden."
Takato hustete leicht und konnte sich trotz der Situation ein kleines Grinsen nicht
verkneifen.
"Uhm, Akihito...ohne Scheiß'. Ich brauche wirklich deine Hilfe..."
Kou knibbelte an seinen Fingernägeln herum, den Blick auf die Hände gerichtet.
Er konnte seinen Freund gerade nicht in die Augen sehen.
Der blonde Mann hörte auf mit den Eiswürfeln zu spielen und legte den Kopf ein wenig
schief.
"Was hast du angestellt?"
"Hör' mal. Ich...Ich muss die Crew wieder..., also ich brauch' zwei Fahrer und.."
Abwehrend hob Akihito die Hände vor die Brust, seine Gesichtszüge entglitten.
"Oh, Scheiße. Nein. Nein! Oh, Kou, nein. Was zur Hölle!? Alles, nur das nicht!"
Der Fotograf griff nach seinem Helm, als die Hand von Takato vor schoss und die Hand des Blonden fest in seine nahm.
"Hör' dir wenigstens die Geschichte ganz an", meinte dieser ruhig aber bestimmend.
Die Augen des Blonden weiteten sich, während sie sich einige Sekunden anstarrten.
Akihito seufzte leise, schloss seine Lider und atmete tief durch. Seine Finger zog er langsam aus dem Griff Takatos zurück.
Sein Blick schwenkte in eine andere Richtung, wo er den Bodyguard ausmachen konnte.
Zum Glück sah er gerade nicht zu ihnen. Vielleicht hatte er diese kleine Meinungsverschiedenheit nicht mit bekommen und er wäre keine Erklärungen schuldig.
"Ich bin ganz Ohr."
Nervös fuhr sich Kou nun mit den Fingern durch die Haare und beugte sich ein wenig über den
Tisch.
"Heute Morgen habe ich einen Anruf erhalten. Ein Typ Namens Shin war dran und hat mir erzählt,
dass er meinen kleinen Bruder in seiner Gewalt hat."
Akihitos Augen weiteten sich ein wenig.
"Katou-kun? Geht es ihm gut?"
Ein Nicken als Antwort.
"Ja, noch. Katou hat sich wohl ein Beispiel an unserer Vergangenheit genommen und ist in
die Straßenszene eingedrungen. Das Problem an der Sache ist: Er hat einige Rennen verloren
und schuldet Shin nicht nur eine ganze Stange Geld, sondern auch ein paar Wagen."
Der Fotograf ließ, aufgrund der neuen Informationen, einen leisen Pfeifton über die Lippen gleiten.
Dann lehnte er sich zurück, überschlug die Beine und sah Kou fragend an.
"Und jetzt?"
"In zwei Monaten startet das nächste Saisonrennen. Shin meinte, ich soll mir eine Crew meiner
Wahl zusammenstellen und die Kohle, inklusive Fahrzeugbriefe, rausholen."
"Und was wenn nicht?"
Kou riss die Augen auf, worauf Akihito sofort abwedelte.
"Vergiss die Frage, sie war dumm."
Sein Freund nickte und schluckte schwer, als er die Bierflasche zu seinen Lippen führte.
Akihito nahm sein Glas in die Hand, besah sich das Getränk wie es leicht hin und her schwappte
und dachte über die Informationen nach, welche er erhalten hatte.
"Wieso zwei Fahrer?"
Interessiert suchten Akihitos Augen die Antwort, als Takato sich zu Wort meldete.
"Ich hab mich ein wenig umgehört und die Regeln wurden geändert. Früher durften es mindestens
zwei Fahrer einer Crew sein. Heute müssen es Zwei sein."
Ein leises Ploppen erklang, als Akihito vom Strohhalm abließ und das Getränk zurück stellte.
"Gesetz dem Falle ich steige wieder ein, habt ihr euch ernsthaft Gedanken darüber gemacht, dass ich nicht aussreichen werde?
Woher sollen wir einen zweiten Fahrer bekommen? Was ist mit den Wagen? Woher sollen wir
die Renneinladungen nehmen?"
Seine Stimme war schärfer als er wollte, worauf beide Freunde ein wenig zusammen zuckten.
"Uhm..."
Kou begann in seiner Jeanstasche herum zu graben und holte einen kleinen, säuberlich gefalteten
Zettel heraus und schob ihn unauffällig über den Tisch.
Akihito griff danach, faltete ihn auf und überflog ihn.
Dann wedelte er mit dem kleinen Stück Papier in der Luft herum.
"Eine Autowerkstatt in Shibuya?"
Takato zündete sich eine Zigarette an und folgte den Rauch mit den Augen.
"Ich hab' mich mal schlau gemacht. Dadurch, dass ich Mechaniker bin, komme ich da eher an die Informationen. Du wirst nicht glauben wem sie gehört."
Akihito zerknitterte den Zettel mit einer Hand.
"Wem?"
"Hiros kleiner Bruder."
Der zerknüttelte Zettel landete im Aschenbecher und Akihito griff nach Takatos Feuerzeug.
Er drehte zwei Mal am Rädchen, bis eine Flamme erschien und fackelte eine Ecke des
Papiers an.
Es knisterte und zische leise, bis es komplett Feuer fing und die Flammen spiegelten sich
in den blauen Augen wieder und ließen sie erstrahlen.
Ein Lächeln huschte über die Lippen des Fotografen, als er dabei zusah, wie der Haufen
Papier zu schwarzer Asche verglühte.
Dann leckte er sich über die Lippen, sah zu seinen beiden Freunden und nickte.
"Es wird Zeit das jemand seine Schulden bezahlt..."
Takato und Kou wussten sofort wovon er sprach.