Tal der Tränen von Shunya (Wenn Träume wahr werden) ================================================================================ Prolog: Verloren im Nirgendwo ----------------------------- Ich weiß nicht wo ich bin. Ich laufe immer weiter und finde doch zu keinem Ende. Meine Beine fühlen sich schwer an, als wäre ich schon tagelang unterwegs. Atemlos bleibe ich stehen und starre in den dunkelblauen Himmel, an dem die Sterne glitzern und funkeln und fühle mich einsam. Es ist als würde ich einen Pfad entlanglaufen, der niemals enden wird. Langsam sehe ich mich nach allen Seiten um, doch ich bin alleine. Gefangen in einem Traum, dem ich nicht mehr entrinnen kann. Zu meinen Füßen die Tränen aller, denen ich wichtig bin und zu denen ich nicht mehr zurückkehren kann. Einen Fuß vor den anderen setzend kämpfe ich mich Stück für Stück voran, nur um wieder Pause zu machen und auszuharren. Ich höre ihr Wehklagen von weit her, doch jedes Mal, wenn ich in die Richtung laufe, erlischt es und ertönt an anderer Stelle von neuem. Ich höre ein Geräusch und sehe wie sich ein Stern löst, immer größer wird und scheinbar in Zeitlupe herunter fällt. Ich weiche aus und kurz neben mir schlägt der Stern, einer Träne gleich, auf den harten Boden, zerspringt in Millionen kleiner Scherben, die wie Vögel, in alle Himmelsrichtungen fliegen. Die Traumwelt stirbt, mit jedem Stern der am Himmel erlischt. Kapitel 1: Untergang -------------------- „Acavi, was siehst du?“ „Ich bin mir nicht sicher...“, murmele ich und schaue zu dem schneeweißen Hirsch mit dem riesigen Geweih, welches die dreifache Größe von dem Wesen hat. Das Tier schaut zu uns, rennt los, springt ein paar mal ungestüm, ehe es sich plötzlich, mitten im Sprung, in tausende kleine Wassertröpfchen auflöst und prasselnd einem Regenschauer gleich zu Boden fällt. „Wie lange noch?“, fragt Mareit mich ängstlich. „Nicht mehr lange...“ Ich ziehe den weichen Stoff meines Umhanges über meinen Mund, verdecke ihn damit, so dass nur noch meine dunklen Augen herausblicken, von denen ich gehört habe, dass sie genauso blau sein sollen wie der Himmel. Ich starre hinauf und sehe wie in weiter Ferne erneut ein Stern fällt. Mir wird schwer ums Herz. Meine Welt zerbricht und mit ihr werden auch wir zugrunde gehen. „Acavi, kommst du?“, fragt Mareit, die schon voraus geritten ist. Ich lenke mein Pferd in ihre Richtung und reite ihr hinterher. Olo schreitet mit seinen Beinen kräftig vorwärts. Weißer Rauch steigt aus seinen Nüstern, sein pechschwarzes Fell glänzt fiebrig. Die roten Male am Bauch und den Beinen werden heller und auch über die Mähne und durch den Kopf sickert der Fluch. „Mareit, wir haben nicht mehr viel Zeit!“, rufe ich ihr zu. Sie treibt ihr Pferd an und steigert das Tempo. Diese Welt ist verflucht, man kann sie nicht mehr retten. „Die Götter haben uns längst verlassen...“, murmele ich leise. Ein Stich in meinem Kopf lässt mich inne halten. Ich zerre unsanft an den Zügeln, so dass Olo abrupt zum Stehen kommt und heftig schnaubt. „Acavi! Was ist los?“ Mareit schaut zu mir zurück und hält ihr Pferd an. Sie lässt es umdrehen und kehrt zu mir zurück. „Ich weiß nicht, mein Kopf...“, ich halte meine Hand an die Stirn. Der Schmerz war nur kurz da, aber er war echt. „Der Fluch! Hat er nun auch dich befallen?“, fragt Mareit besorgt. Ich schüttele den Kopf. Nein, das kann nicht sein. Das ist nicht der Fluch. Es ist etwas völlig anderes. „Kann uns denn niemand retten?“, frage ich leise und schaue mich um. Irgendjemand muss uns doch helfen. Oder kommt jede Hilfe zu spät? „Lass uns heimkehren!“, fordere ich Mareit auf und drücke Olo die Schenkel in die Flanken. Sofort setzt er sich in Bewegung. Mareit folgt mir und so steigern wir das Tempo, reiten zurück, während ich spüre, wie das Gras unter Olo's Hufen matschiger und wässriger wird. In einigen Stunden wird davon nichts mehr zu sehen sein, denn dann wird das ganze Gebiet unter säurehaltigem Wasser stehen. Nach einiger Zeit nähern wir uns einer kleinen Stadt. Die Häuser sind aus rötlichem Lehm und stehen dicht beieinander. Einige Leute stehen an den Fenstern und schauen uns entgegen oder verstecken sich hinter Vorhängen. Man sieht ihnen die Angst und Misstrauen an, dass seit geraumer Zeit herrscht. Die Pferde traben durch die engen Gassen. Man hört das Echo ihrer Schritte, während sie über den steinigen Boden laufen. Eine Ansammlung von Menschen hat sich in der Mitte der Stadt gebildet und je näher wir ihnen kommen, desto mehr zusammenhanglose Gesprächsfetzen vernehme ich. „Was ist hier los?“, frage ich und ziehe leicht an den Zügeln, so dass Olo stehen bleibt und nervös auf der Stelle tänzelt. Ein junger Mann in einfachen Gewändern dreht sich zu uns herum. „Es heißt ein merkwürdiger Junge soll hier in der Gegend aufgetaucht sein. Er spricht nicht, aber wir kriegen schon noch heraus, was er hier will! Er trägt seltsame Kleidung und kam wie aus dem Nichts!“ „Wie aus dem Nichts?“, wiederhole ich fragend und treibe Olo unbarmherzig durch die Menge, so dass einige Leute zur Seite gestoßen werden und andere hastig das Weite suchen. „Wo ist dieser Junge? Ich will ihn sehen!“ „Er ist nicht hier, dein Vater hat ihn bereits in Gewahrsam genommen!“, erzählt mir eine betagte Frau, mit vor der Brust verschränkten Armen und leicht gebeugter Haltung. „Acavi! Wir sehen uns morgen! Ich muss jetzt heim!“, ruft Mareit eindringlich. Ich hebe kurz die Hand und winke ihr zu. Sie wendet ihr Pferd und verschwindet in einer engen dunklen Seitengasse. Olo bringt mich zu dem größten Haus der Stadt, welches am Stadtrand steht. Durch einen Rundbogen, einem Tor ähnlich, reite ich in einen Innenhof. Ich schaue zum Sternenhimmel auf und sehe erneut wie ein Stern fällt. Das ist bereits der zweite heute. Besorgt steige ich ab und überreiche Olo's Zügel einem kleinen Jungen, der dem großen Pferd noch nicht einmal über den Rücken schauen kann. „Es ist das Fieber! Der Fluch... Reibe ihn ab und sorge dafür, dass er genug Wasser bekommt!“, fordere ich den Jungen auf, der hastig nickt und mein Pferd zu den Stallungen führt. Nicht mehr lange und auch dieses Pferd wird qualvoll verenden. Ich betrete das Gebäude und weiche einen Schritt zurück als ein leuchtend greller Fisch an mir vorbei schwimmt. Die Welt stirbt nicht nur, sie verändert sich auch. Es gibt Tiere, die es vorher nie gab. Einfach so, wie aus dem Nichts kommen sie! Wie dieser Junge... Ich lehne mich an eine Säule und hole tief Luft. Der Schmerz in meinem Kopf ist schier unerträglich. Es ist nicht der Fluch, aber was dann? Ich stemme mich mit der Hand von der Säule ab und laufe an einem Dienstmädchen vorbei, welches mich besorgt ansieht. Zielstrebig laufe ich durch die vielen Gänge, in denen man sich leicht verlaufen kann. Die einzigen Anhaltspunkte sind ab und an eine braune Holzbank oder bestimmte gemusterte Vorhänge an den Fenstern, farbenfrohe Blumen in hohen Vasen oder bunt verzierte Wandteppiche. Vor einem Eingang bleibe ich stehen. Es gibt keine Tür, nur einen runden Bogen. Ein Vorhang verbirgt, was sich dahinter versteckt. Ich schiebe den schweren dunkelbraunen Vorhang mit einer Hand zur Seite und betrete den Raum, welchen nur selten jemand betritt. Im Eingang bleibe ich jedoch stehen, sehe erstaunt in die Mitte des Zimmers und ignoriere den Rest des Raumes. In einem schwebenden Glaskasten sitzt ein nackter Junge. „Ist er das? Ist das der Junge?“, murmele ich erstaunt. „In der Tat, mein Sohn!“, vernehme ich die gebrechliche Stimme meines Vaters, der geschäftig mit einem dicken staubigen Buch auf dem Arm herum läuft und wie wild darin blättert ohne auch nur aufzusehen. Ein Wunder, dass er noch nirgends gegen gelaufen ist. „Wieso ist er nackt?“, frage ich ihn und gehe fasziniert näher auf den Glaskäfig zu. „Oh, er war angekleidet, aber es sah so merkwürdig aus, da habe ich die Dinge, die er bei sich trug einigen Wissenschaftlern im Untergrund gegeben, damit sie sie untersuchen. Vielleicht sind da schädliche Stoffe dran oder so... Man kann ja nie wissen!“, meint er und schiebt seine Brille auf der Nase zurecht. Ich bleibe vor dem Glaskasten stehen und sehe mir den verschreckten Jungen an, der mich mit weit aufgerissenen Augen mustert, ähnlich einem Tier, das in eine Falle geraten ist. Er rutscht in eine Ecke, weit von mir und lässt mich zu keiner Sekunde aus den Augen. „Sein Haar ist wunderschön...“, murmele ich. So gelbliches Haar habe ich noch nie gesehen. Die Leute hier haben nur dunkle Haare, braun oder schwarz. „Seine Haut ist so blass.“ „Ja, erstaunlich nicht wahr? Allerdings hat er alle Körpermerkmale wie wir!“ „Ich habe gehört, er kann nicht sprechen?“, frage ich meinen Vater, der sich neben mich stellt und stirnrunzelnd zum Glaskasten aufsieht. „Stimmt, aber ich habe noch nicht herausgefunden woran das liegt. Vielleicht stammt er aus einem anderen Volk?“, vermutet er. „Vater! Wir sind weit und breit das einzige Volk hier in der Umgebung! Seit meiner Geburt habe ich hier keine fremde Person gesehen!“ „Nun, da magst du Recht haben...“ Ich sehe mir den Jungen eingehender an. Er hat schlanke, aber dennoch männliche Beine. Er scheint nicht so durchtrainiert zu sein, wie die Männer hier, die schwer arbeiten müssen. An seinen Armen und dem Oberkörper zeichnen sich eindeutig die Ansätze von Muskeln ab, was ihn für die hier lebenden jungen Frauen sicher sehr attraktiv macht. Seine Augen faszinieren mich beinahe noch mehr als seine hellen Haare, denn die hellblauen Augen, sehen aus wie Seen, die hier schon seit Jahren vertrocknet sind. In seinen Augen kann man regelrecht versinken. Ich schlucke und sehe zu meinem Vater, der bereits von Neuem munter in seinem Buch blättert. „Wie lange gedenkst du ihn hierzubehalten? Ich meine, in dem Käfig? Er sieht mir recht harmlos aus. Ich glaube nicht, dass er in der Lage sein könnte, jemanden zu überwältigen.“ Mein Vater brummt mürrisch, wie immer, wenn er gerade etwas für seine Verhältnisse wichtiges tut und dabei gestört wird. „Nun, das weiß ich noch nicht.“ „Ich könnte ihn mit auf mein Zimmer nehmen? Da habe ich auch ein Auge auf den Jungen!“, schlage ich vor. Er interessiert mich. Ich möchte mehr über ihn erfahren. „Er riecht komisch, ein Bad würde ihm sicher nicht schaden!“, erwidert mein Vater zustimmend „Gut, nimm ihn mit, aber lass ihn nicht laufen! Selbst für einen Gefangenen ist es hier sehr gefährlich.“ Ich nicke zufrieden und berühre den Glaskasten, der sich sofort in Luft auflöst, als wäre er nie dagewesen. Der Junge sieht mich entsetzt an und landet mit einem Poltern auf dem Boden. Stöhnend liegt er auf dem gemusterten Teppich und gewährt mir einen guten Blick auf seinen nackten Körper. Mein Vater reicht mir Fußketten und so sehr es mir auch widerstrebt sie zu benutzen, es ist immer noch besser als ihn, einem Vogel gleich, in dem Glaskasten sitzen zu lassen. Ich gehe in die Hocke, schaue ihm ungeniert zwischen die Beine und bemerke wie er rot im Gesicht wird und hastig die Gliedmaßen zusammenpresst. Ungerührt lasse ich die Ketten an seinen Füßen zuschnappen. Sein Blick verdüstert sich, als ich ihn noch einmal ansehe. Ich helfe ihm auf die Beine und öffne meinen Turban. Der Stoff ist kurz, aber es wird reichen, um ihn in mein Zimmer zu bringen, ohne Gefahr zu laufen, die vielen Dienstmädchen hier in Ohnmacht fallen zu lassen. Geschäftig binde ich den Stoff um seine schmale und zierliche Hüfte. Ich trete einen Schritt zurück und runzele die Stirn. Das macht ihn nur noch hübscher, wie ich feststellen muss. „So wird es gehen. Komm mit!“, fordere ich ihn auf. Der Junge macht ein paar unsichere Schritte und folgt mir langsam. Wir verlassen das Zimmer meines Vaters und laufen einen Gang entlang. Weit gehen müssen wir nicht. Nach einigen Gängen bleibe ich vor einem Vorhang stehen, der schon bessere Tage gesehen hat. Ich schiebe ihn zur Seite und trete einen Schritt zurück. „Geh hinauf!“ Der Junge sieht mich mit großen Augen an, ehe er vorsichtig in den Gang lugt, in dem sich lediglich eine Treppe befindet, die nach oben führt. Zögernd setzt er einen Schritt auf die erste Stufe und klettert mühevoll herauf, drückt die Luke mit den Händen auf und sieht sich in meinem Gemach um. Ich folge ihm, schließe die Luke wieder und greife nach einem Buch in einem der vielen Regale. Der Junge schaut mir interessiert zu und seine Augen leuchten regelrecht, als er sieht, dass dem Buch zwei kleine Kinder entsteigen, fröhlich lachen und spielerisch über die Buchseite laufen, den Buchrand nicht beachten und plötzlich einfach durch die Luft weiter tanzen. Ihre Kleider wehen beim Laufen und flink umkreisen sie den Jungen, der staunend und mit offenem Mund zu ihnen sieht. Ich lege das Buch wieder weg, nachdem die beiden Kinder zurück in ihre Seite geschlüpft sind und entnehme dem Regal ein weiteres Buch. Ich reiche es ihm und als er es öffnet, entsteht ein Wirbel, Nebel versperrt ihm die Sicht und mit einem unheimlichen Geräusch entsteigt der Buchseite ein kräftiger Drache, aber in sehr kleiner Form. Er schlägt mit den Flügeln, erhebt sich langsam in die Luft und fliegt aus dem Raum heraus, durch das Fenster und verschwindet in die Dunkelheit. „Du hast ihn entkommen lassen.“ Ich nehme dem Jungen das Buch weg und lasse es in meiner Hand verbrennen. Entsetzt sieht er zu mir und schlägt mir das Buch aus der Hand. Besorgt greift er nach meiner Hand. „Es ist alles in Ordnung!“, beruhige ich ihn gelassen und lasse eine kleine Flamme in meiner Handinnenfläche aufflackern, ehe sie verglüht. Der Junge sieht mich mit einem seltsamen Blick an, ehe er ruhelos zu meinem Diwan läuft, auf dem lauter Kissen und Decken liegen. Dort bleibt er stehen, dreht um und geht auf den kleinen Balkon, auf dem am Boden ein niedriger Tisch steht, vor dem sich ein paar rote Sitzkissen mit bunten Quasten befinden. Das verzierte Fenster zeigt auf den Innenhof, wo sich Bedienstete und Pferde tummeln. In der Mitte befindet sich ein Brunnen, der schon lange nicht mehr benutzt worden ist. Der Junge setzt sich auf eines der Sitzkissen und schaut mit einem melancholischem Blick hinaus. Ich betrachte ihn eine Weile. Wie kann ich mehr über ihn erfahren, wenn er nicht mit mir sprechen kann? Ob er schreiben kann? Durch Zeichnungen vielleicht? Mein Blick gleitet über seinen Körper und so gehe ich zu einer Kiste, öffne den Deckel und nehme ein paar Kleidungsstücke heraus, die ich zu ihm bringe. Er schaut auf und nimmt die Kleidung an sich. Ich setze mich im Schneidersitz vor ihn und gucke zu, wie er den Stoff von seiner Hüfte abnimmt und sich die weite schwarze Hose, die um die Knöchel enger wird und an der Stelle an beiden Beinen goldfarben ist, überzieht. Der Junge zieht sich ein ärmelloses blaues Shirt über, dessen Farbe ein wenig verblichen ist. Ich beuge mich vor und binde ihm eine Kette mit einem goldenem Tropfen um den Hals. Verwundert sieht er auf das Schmuckstück auf seiner Brust. „Sie ist aus den Überresten eines Sternes gemacht worden. Sie wird dich vor dem Fluch beschützen.“ Ich ziehe den Umhang von meinen Schultern und greife nach Feder und Papier, welche auf dem Tisch liegen. Ich schiebe ihm die Sachen auffordernd zu. „Wenn du nicht reden kannst, dann schreibe.“ Abwartend sehe ich ihn an, doch er tut nichts. Der Junge sieht auf die Utensilien und wendet den Blick ab. Ich knabbere auf meiner Unterlippe. Vorsichtig, um ihn nicht er erschrecken, tippe ich ihm mit dem Zeigefinger auf die Schulter. Er dreht sich mir wieder zu. „Mein Name ist Acavi. Acavi. Wie heißt du?“, frage ich ihn und zeige zuerst auf mich, dann auf ihn. Er greift nach der Feder, taucht sie tief in die Tinte ein und setzt zum Schreiben an. Ein Tropfen schwarzer Tinte fällt auf das weiße unbenutzte Papier, als er die Feder unsicher über dem Blatt hält, sie dann jedoch sinken lässt. „Kannst du dich nicht an deinen Namen erinnern?“, frage ich ihn. Der Junge steht auf und läuft quer durch den Raum. Er greift nach einem Buch und öffnet es. Ein hübsches Mädchen sitzt auf einer Buchseite. Sie verbirgt ihr Gesicht in den Händen. Ihre Schultern zucken unter den Weinkrämpfen. Dem Jungen rinnt eine Träne die Wange entlang, tropft auf die Buchseite und schreckt das Mädchen auf. Sie greift mit beiden Händen nach der Träne und hält sie ihm hoch, will sie ihm zurückgeben, doch sie erreicht nur, dass er hemmungslos weint und in die Knie sinkt. Er sackt in sich zusammen, lässt das Buch zu Boden gleiten und umschlingt seinen Körper mit den Armen, während er tonlos heult. Ich gehe zu ihm, umarme den Jungen und ziehe ihn an mich. Sein Körper ist warm und verspannt sich ein wenig. Vorsichtig wische ich ihm eine Träne von der Wange, während er sein Gesicht gegen meinen Oberkörper presst und mein Hemd mit Tränen durchnässt. „Wer bist du nur?“, flüstere ich leise in sein Ohr. Kapitel 2: Tala --------------- Von meinem Gemach aus beobachte ich den jungen Mann, der langsam über den Innenhof läuft, sich alles genau ansieht und zögernd zu einer Bank geht, wo er sich hinsetzt und die Hände in den Schoß legt. Den Unterarm auf das Fensterbrett gestützt, lehne ich meinen Kopf an die Handinnenfläche und mustere ihn. Er ist wirklich hübsch, viel schöner als so manche Männer hier, die als gutaussehend gelten. Der junge Stallbursche geht neugierig auf den Jungen zu, doch als er näher kommt, steht der Blondschopf auf und geht hastig ein paar Schritte rückwärts, stolpert und fällt auf den Hintern. Besorgt läuft der Stallbursche zu ihm und hilft dem Jungen auf. Lächelnd beobachte ich die beiden. Die letzte Nacht war schon seltsam. Es war ein komisches Gefühl mein Bett mit einem Fremden zu teilen. Mein Blick gleitet hinauf zum Himmel. Egal zu welcher Zeit, er verändert sich niemals, bleibt dunkel und mit Sternen übersät. Heute ist noch keiner gefallen, was nicht bedeutet, dass das etwas Gutes ist. Ich stehe vom Sitzkissen auf und verlasse mein Zimmer. Durch die vielen Gänge laufe ich direkt zu einem kleinen Gang, durch den man den Innenhof betreten kann. Kurz vor dem Ausgang bleibe ich stehen und beobachte den Jungen und den Stallburschen. Wie es scheint, hat er einen neuen Freund gefunden. Ich gehe nach draußen und laufe direkt zu ihnen. Der Stallbursche erblickt mich und macht sich schleunigst aus dem Staub, versteckt sich hinter der Bank und scheint sich zu denken, ich würde ihn da nicht sehen. Den Gefallen tue ich ihm. „Komm mit! Du brauchst ein Bad!“, meine ich und strecke dem Jungen die Hand entgegen. Seine blauen Augen gucken erst auf meine Hand, dann in mein Gesicht, ehe er sie zögernd ergreift und sich von der Bank erhebt. Ich gehe mit ihm hinter die Stallungen und spüre, wie uns jemand folgt. Der kleine Stallbursche hat wohl ein Auge auf ihn. Keine Sorge Kleiner, deinen Spielgefährten nehme ich dir nicht weg. Hinter den Stallungen befindet sich das Badehaus. Dank des Wassermangels wird es kaum noch benutzt und sieht inzwischen entsprechend heruntergekommen aus. Ich schiebe einen blass roten Vorhang zur Seite und lasse den Jungen neben mir eintreten. Er sieht sich neugierig um, auch wenn alles ein wenig zerfallen und verwildert aussieht und das große Bad leer ist. Ich führe ihn in einen Raum weiter hinten, wo sich einige Bänke an den Wänden befinden. In der Mitte ist ein alter brüchiger Brunnen. Ich schaue hinein und sehe dann nach oben, zu dem Loch an der Decke. Ich hoffe es regnet bald wieder. Ich ziehe mich ungeniert aus und sehe ihn abwartend an, ehe der Junge es mir gleichtut, nachdem ich ihm die Fußketten entfernt habe und die nun in einer Ecke vergammeln dürfen. Nackt stehen wir einander gegenüber. Ich greife nach dem Seil und ziehe einen vollen Wassereimer hoch. Ich zerre ihn auf den Rand des Brunnens, ehe ich den schweren Eimer zu Boden stelle. „Das muss reichen. Wir müssen sparsam sein!“, erkläre ich ihm. „Benutze und trinke niemals das Wasser außerhalb! Es würde dich innerhalb von Minuten töten!“, warne ich ihn und zeige mit dem Finger nach oben. „Das Regenwasser ist das einzige, was wir noch benutzen können.“ Der Junge geht vor mir in die Hocke und schaut in den Eimer. Ich gehe zu einer Ecke und hole eine kleine Flasche hervor. Es ist nicht mehr viel drin. Ich greife nach seiner Hand und flöße die Flüssigkeit darauf, gebe ein paar Tropfen auf meine Handinnenfläche und reibe mich damit ein. Langsam beginnt auch er die wenige Flüssigkeit über seinen Körper und die Haare zu verteilen. Ich greife nach dem Eimer und halte ihn über den Jungen, der überrascht aufsieht und hastig den Kopf senkt, als ich die Hälfte über ihm ausschütte. Den Rest gieße ich mir selber über den Körper. Ich greife in einem Regal nach ein paar Handtüchern und reiche ihm eines davon. Beim Abtrocknen lassen wir uns Zeit und ich beobachte ihn dabei. „Du brauchst einen Namen!“, meine ich nach einigen Minuten. Was für ein Name würde zu ihm passen? „Gefällt dir Tala?“, frage ich ihn nachdenklich. Er zuckt mit den Schultern und rubbelt sich die Haare trocken. „Klingt gut. Ich werde dich Tala nennen.“ Ich stehe auf, werfe das Handtuch in eine Ecke und ziehe mich wieder an. „Tala?“, frage ich beim Hinausgehen. Der Junge schaut neugierig zu mir. „Das ging ja schnell.“ Lachend verlasse ich den Raum, während Tala sich hastig die Kleidung überstreift und mir folgt. Gemächlich gehe ich über den Innenhof zu den Stallungen. Ich kann die struppigen Haare von dem Stallburschen sehen, der sich in einer der Boxen versteckt und uns heimlich beobachtet. Neugieriges Kind... Ich kann nur hoffen, dass er uns keinen Ärger machen wird. Ich laufe zielstrebig zu Olo's Box und erschaudere. Mein einst schwarzes Pferd ist beinahe am ganzen Körper feuerrot geworden, zittert vom Fieber und schaut mich mit glasigen Augen an. Nur mit Mühe kann Olo sich auf den Beinen halten und schlägt immer wieder mit den Hufen nach seinem Bauch. Tala greift nach meinem Ärmel und zeigt besorgt auf das Pferd. „Das ist der Fluch. Er frisst ihn von innen heraus auf. Nicht mehr lange und Olo wird zu Staub zerfallen...“, erkläre ich mit leiser Stimme. Ich greife mit der Hand nach Olo's Gesicht, gleite über die Nüstern und ziehe sie hastig zurück, als der untere Teil des Gesichts sich plötzlich verzieht und abbricht, zu Boden fällt und zu Staub zerbröselt. Mit entsetztem Gesicht schaut Tala zu dem Pferd, dem die Hälfte des Mauls fehlt. Es blutet stark und man sieht das helle Fleisch, die verzogenen Zähne und die Zunge, welche halb heraushängt. Olo wiehert laut und bereitet mir eine Gänsehaut. Ich schiebe Tala unsanft von der Box weg, raus aus den Stallungen und lasse ihn erst wenige Meter dahinter los. „Der Fluch wird uns alle umbringen...“, murmele ich leise. „Wir können nichts dagegen tun.“ Ich lasse ihn stehen und gehe zurück in den Stall. Als Tala mir folgen will, schiebe ich ihn zurück. „Bleib draußen!“ Brüsk schubse ich ihn zurück und gehe zu Olo's Verschlag. Ich bleibe davor stehen und kralle meine Finger in die Kette. „Keine Sorge, ich lasse dich nicht länger leiden.“ Ich halte meine Hand hoch und lasse die Flamme in meiner Hand erscheinen. Sie flackert leicht, durch den Wind und wird immer größer. Olo's Augen sind weit aufgerissen. Er geht einen Schritt zurück, tänzelt nervös in der Box und schlägt aufgeregt mit dem Schweif um sich. Ich gehe ein paar Schritte zurück und puste die gewaltige Flamme in Olo's Richtung. Das Feuer wird größer und umschlingt das Pferd wie eine Schlange. Sie schmiegt sich heiß um seinen kranken Leib und entreißt ihm einen letzten qualvollen Laut, ehe das Flammenmeer mein Pferd verschlingt und kurz darauf nichts mehr zu sehen ist, als schwarzer Ruß auf dem Stroh. Ein paar Minuten bleibe ich reglos vor dem Verschlag stehen und atme tief durch. Als ich wieder hinaus gehe, hockt Tala vor dem Eingang und schaut zu mir auf. Ich gehe neben ihm in die Hocke und lehne meinen Kopf an seine Schulter. Ich spüre seine Finger in meinen Haaren und für einen Moment sind die Kopfschmerzen, die mich sonst stundenlang quälen, wie weggeblasen. Wenn ich mir vorstelle, dass uns allen dasselbe Schicksal blüht wie Olo, fühle ich mich nur noch hilfloser. Ich sehe zu Tala, spüre seinen warmen Atem an meinem Gesicht und lehne meine Stirn an seine. „Ich hoffe, du bleibst von dem Fluch verschont, kleiner Stern.“ Abrupt stehe ich auf und sehe wie der Stallbursche schnell das Weite sucht. Er rennt quer über den Hof und verschwindet in einem der vielen Eingänge. Ich sehe auf Tala herunter, der nun ebenfalls aufsteht. „Acavi!“ Ich drehe mich um und erkenne von Weitem Mareit, die auf uns zukommt. Sie winkt mir zu und kommt eilig näher. Erstaunt bleibt sie stehen und mustert Tala. „Ist er das? Ist das der Junge, von dem alle reden?“, fragt sie mich neugierig. „Ja, ich nenne ihn Tala, bis er wieder sprechen und mir seinen richtigen Namen nennen kann.“ Mareit nickt und greift ehrfurchtsvoll in Talas helles Haar. „Es ist so weich!“, ruft sie erstaunt aus. „Ich wünschte mein Haar wäre so schön!“ Tala zieht ruppig seinen Kopf weg und geht auf Abstand. „Was ist? Habe ich etwas falsch gemacht?“, will sie verwirrt wissen. „Er wird sich schon noch dran gewöhnen.“ Mareit grinst breit, stemmt die Hände in die Hüften und wendet sich an mich. „Kommst du heute zum Fest?“, fragt sie mich grinsend. „Bring ihn mit!“ „Einen Gefangenen? Der fällt doch sofort auf!“, murre ich und zeige auf sein Äußeres. „Dann verkleide ihn! Wehe, ihr kommt nicht! Meine Mutter verkauft wieder wunderbares Fleisch!“, meint sie und dreht sich auf dem Absatz um, um zu gehen. Sie bleibt stehen und sieht mich an. „Man riecht das Feuer. Hat er sehr gelitten?“ Ich schüttele den Kopf und höre einen lauten dumpfen Knall. Erschrocken sehen wir zum Horizont und hastig drücke ich Tala heftig gegen die Stallwand. Mareit tut es uns gleich, drückt sich eng an die Wand und mit großen Augen sehen wir zu, wie die Scherben eines Sternes mit hoher Geschwindigkeit durch die Luft zischen. Einer fällt in den Innenhof, reißt den Boden auf und vergräbt sich tief in den lehmigen Grund. Eine Staubschicht wirbelt auf und versperrt uns für kurze Zeit die Sicht. „I-ich muss nach Hause! Meine Familie!“, ruft Mareit panisch, greift in den Stoff ihres bunten Kleides und zieht es hoch. So schnell sie kann, rennt das Mädchen vom Hof und hinaus auf die Straße, von der aus man die Schreie der Stadtbewohner hört. Ich sehe zu Tala, der seine Finger in meiner Kleidung vergräbt und verängstigt auf die Scherbe sieht, die doppelt so groß ist wie wir. Wir warten noch einen Moment, ehe ich von ihm ablasse. Staunend läuft Tala zu der Scherbe, die im Boden feststeckt und berührt sie vorsichtig. Erschrocken zieht er seine Hand zurück, sieht wie sie sich blutrot färbt und tritt hastig einige Schritte rückwärts. Ich gehe schnell zu ihm und sehe mir die verwundete Hand an. Die Haut ist aufgerissen. „Fass sie nicht noch einmal an!“, murre ich. Als ich eine Regung neben mir wahrnehme, steht auf einmal der Stallbursche neben mir und hält mir ein Tuch entgegen. Ich nehme es und wickele den weißen Stoff um Talas Hand, woraufhin es sich sofort rot färbt. „Mein Vater sollte es sich besser noch mal ansehen...“, murmele ich besorgt. Tala besieht sich wieder fasziniert die Scherbe. Ich sehe über den Innenhof und gehe eilig hinaus auf die Straße. Hoffentlich geht es Mareit's Familie gut?! Ich sehe auf das Desaster. Ein paar Scherben haben die Häuser regelrecht zerfetzt, die Wände eingerissen und stecken noch immer halb in den Hauswänden. Ratlos stehen die Stadtbewohner davor und wissen nicht weiter. Einige Männer bluten. Scheinbar haben auch sie die Scherben berührt. Ich renne zurück in den Innenhof, hinein ins Haus und suche das Zimmer meines Vaters auf. Ich höre Schritte hinter mir, blicke kurz zurück und sehe wie Tala mir folgt. Vor dem braunen Vorhang halte ich an und warte auf ihn, um mit Tala ins Zimmer zu gehen. Der Raum ist verlassen. „Dann wird er im Untergrund sein.“ Ich greife nach einem spitzen Stab am Eingang und öffne eine Luke in der Mitte des Zimmers, die sich unauffällig unter dem Teppich befindet. „Bleib hier! Da unten kann ich dich nicht beschützen.“ Ich steige die Treppe herunter. „Mach die Luke zu und bleib hier oben, wenn dir dein Leben lieb ist!“ Ich gehe die Treppe herunter und höre das Knarzen der Luke über mir. Vorsichtig und leise laufe ich herunter, spähe nach links und rechts und lausche angestrengt in die Dunkelheit. Ich spüre wie sich etwas um meinen Knöchel schlingt. Es ist schleimig und nass. Hastig schüttele ich den Fuß und was auch immer das eben war, es verschwindet. Langsam, den Stab griffbereit in meiner Hand, schleiche ich dicht an der Wand entlang, durch die Katakomben der Stadt. Ich höre ein schabendes Geräusch und bleibe angespannt stehen, halte die Luft an und lausche erneut. Das Geräusch nähert sich mir. Verdammt! Ich ziele mit dem Stab in die Richtung und lehne mich eng an die Wand. Ich höre einen ohrenbetäubenden Lärm. Ein Kreischen, das in den Ohren schmerzt und mir durch Mark und Bein fährt. Ein schleimiges Wesen erscheint in dem Gang vor mir von rechts. Der Kopf ist rund und das Maul ist riesig. Der Speichel tropft heraus, als es noch einmal diesen schrillen Ton von sich gibt. Seine Augen huschen in alle Richtungen, sehen sich aufmerksam um und ertasten begierig die Wände. Seine lange Zunge hängt aus dem Maul. Mit trägen Schritten zieht es sich durch den Gang, hinterlässt eine Schleimschicht hinter sich auf dem matschigen Boden und zieht seinen schweren Körper hinter sich her. Die Hinterläufe sind abgetrennt worden. Die Wunden sind zugewachsen, aber schlecht verheilt. Auf dem Wesen lastet der Fluch. Rote Male zieren die glatte, schmierige Haut, die im spärlichen Licht grünlich leuchtet. Es kommt direkt auf mich zu. Ob es mich bemerkt hat? Fahrig sehe ich mich um. Der schrille Schrei lässt mich zu der Bestie sehen. Es hat meine Bewegung gesehen und krabbelt mir schnell und geschmeidig entgegen. Ich stolpere ängstlich ein paar Schritte zurück, drehe mich um und renne, pralle gegen etwas und sehe auf. Ein starker Arm schlingt sich um mich und zieht mich an die Wand. Ich sehe zu dem Monster und bemerke wie lauter kleine Lichter auf das Vieh zufliegen. Irritiert bleibt das Monster stehen, wirft den Kopf hin und her, doch die kleinen Lichter lassen nicht von ihm ab. Sie umschwirren es, wie lästige Fliegen und setzen sich auf seine Haut, nagen daran und qualvoll brüllt das Wesen. Es schmeißt sich gegen die Wände, so dass einige Lichter matt zu Boden fallen und erlöschen. Es dauert nur wenige Sekunden, dann ist kaum noch etwas von dem Monster übrig. Die Hälfte der Haut ist weggefressen und nur die Augen flackern unruhig umher. Polternd fällt es zu Boden und bleibt schwach atmend auf dem Boden liegen. Mir wird der Stab grob aus der Hand gerissen. Der Fremde drängt sich an mir vorbei und geht ruhig auf die Bestie zu. Er flüstert leise in einer fremden Sprache, einem Singsang und jagt dem Tier den Stab zielsicher ins Herz. Das Auge, das ihn eben noch beobachtet hat, wird trübe. Der Mann reißt den blutigen Stab wieder heraus und kommt zu mir. Misstrauisch weiche ich ein paar Schritte zurück. „Was machst du hier, Egra?“, frage ich lauernd und blicke auf seine Kleidung. Sein ganzer Körper ist mit bräunlichen Stoffen verhüllt, die ziemlich dreckig sind. An seiner Tasche am Rücken, sind lauter verschiedene Dinge befestigt, die ich noch nie zuvor gesehen habe. Federn stecken an der ledernen Tasche und aus Egras Kopf ragen zwei Hörner hervor. Ruhig steht er vor mir. „Du darfst nicht hier sein! Du bist ein Verstoßener!“, entfährt es mir mit zitternder Stimme. Kapitel 3: Die verstoßenen Toten -------------------------------- „Ich habe dir eben das Leben gerettet!“, meint Egra belustigt und streckt den Arm seitlich aus. Die vielen Lichter fliegen zu ihm, setzen sich auf den Stoff und krabbeln darunter. „Du gehörst nicht mehr hierher! Nicht zu uns!“, murmele ich und schüttele den Kopf. Egra kommt näher und bleibt etwa einen halben Meter vor mir stehen. Ich sehe auf sein verhülltes Gesicht und schlucke. Zögernd hebe ich meine Hand, doch Egra packt sie grob und hält sie mitten in der Bewegung fest. „Ich wollte dir das nicht antun, aber du hast mich damals dazu gezwungen!“, murre ich. Egra ignoriert meine Worte. „Wo willst du hin?“, fragt er mich forsch. Ich weiche seinem Blick aus. „Zu meinem Vater. Ein Stern hat die Stadt zerstört. Die Menschen sind verletzt!“ Egra lässt mich los. Er sieht an mir vorbei. Ich folge seinem Blick und sehe meinen Vater. „Batu...“, murmelt Egra. „Fass den Jungen noch einmal an und ich werde dich töten! Verschwinde, Geist!“, ruft mein Vater Egra mit drohender Stimme zu. „Siehst du es nicht, alter Mann? Ich bin längst tot!“, meint Egra höhnisch lachend. Ich sehe in seine intensiven roten Augen. „Du hast den Fluch!“ Hastig gehe ich auf Abstand und sehe ihn entsetzt an. Egra streckt die Hand nach mir aus. „Du hast mir immer viel mehr bedeutet, als dieses Gesindel in der Stadt!“, murmelt er leise, so dass nur ich es hören kann. Mir rinnt ein Schauder über den Rücken. Egras Hand zuckt zurück, als eine rötliche Flamme sie plötzlich in Brand setzt. Wütend sieht er zu meinem Vater. „Batu!“, brüllt er außer sich und hält seine verletzte Hand an seinen Körper. „Verschwinde!“, ruft mein Vater entschlossen und hebt die Hand. Eine neue Flamme lodert hoch auf. Egra geht einige Schritte zurück, dreht sich um und verschwindet eilig in einem der vielen Gänge hier unten in den Katakomben. Ich laufe zu meinem Vater und stütze ihn. „Du bist zu schwach, um noch Magie einzusetzen!“, meine ich besorgt. Er schüttelt den Kopf. „Wenn er wieder hier ist, muss das heißen, es gibt keinen anderen Ort für ihn. Das heißt, diese Orte sind auch schon zerstört worden.“ „Waren das auch die Sterne oder war sie das?“, frage ich ängstlich. „Ich weiß es nicht.“ Mein Vater sieht mir direkt in die Augen. „Wenn sie es war, dann wird Egra sie direkt zu uns geführt haben!“ Mir sackt das Herz in die Hose. „Dann sind wir verloren!“ Ich helfe meinem Vater die Treppe hinauf und als ich die Luke anhebe, ist Tala sofort zur Stelle und hebt sie hoch. Er hilft meinem Vater nach oben und bringt ihn zu einem Stuhl. Ächzend lässt der alte Mann sich nieder und bemerkt Talas verletzte Hand. Ich schließe die Luke und geselle mich zu den beiden, während mein Vater die Wunde untersucht. „Ich habe die Erschütterung bemerkt. Wer hätte gedacht, dass die Scherben so scharf sind?“, murmelt mein Vater und verbindet die Wunde wieder. „Wir haben sie noch nie richtig untersucht.“ Er schaut zu mir auf. „Verkünde den Leuten, dass sie die Scherben nicht anfassen dürfen. Lass Wachen aufstellen!“ Ich nicke, auch wenn ich glaube, dass die meisten Leute schon selber auf die Idee gekommen sind sie nicht mehr anzufassen, nachdem einige Schaulustige sich bereits verletzt haben. „Ich muss all das untersuchen!“ Batu steht auf und wühlt in seinen Büchern, die wild verstreut auf seinem Tisch herumliegen. Ich greife nach Talas Arm und ziehe ihn mit mir aus dem Zimmer. Wenn mein Vater erst einmal in Fahrt ist, gibt es kein Halten mehr für ihn. Vor dem Gang bleibe ich stehen und mir fällt auf, dass Egra noch den Stab hat, aber daran kann ich jetzt auch nichts mehr ändern. Tala sieht abwartend zu mir. Ich kann nur hoffen, dass Egra ihn nicht finden wird. Tala darf nichts passieren! „Lass uns zu Mareit gehen. Vielleicht können wir ihr irgendwie helfen?“, schlage ich vor und zerre Tala in mein Gemach. Dort angekommen wühle ich in der Kiste herum und suche nach passender Kleidung, mit der ich ihn verkleiden kann. Mein Blick fällt auf den Jungen, wie er interessiert auf den Schreibtisch guckt und eine verschlissene Kinderzeichnung hochhebt. „Meine Mutter. Sie ist vor wenigen Monaten am Fluch gestorben. Eine verlorene Seele, die noch immer manchmal nachts durch das Haus streift...“, erzähle ich. Ich ziehe ein paar Gewänder hervor und gehe damit zu Tala. Einen Umhang lege ihm um die Schultern, während er mir in die Augen sieht. Ich verschnüre das Gewand und ziehe ihm noch einen langen Stoff um den Kopf, einer Kopfbedeckung ähnlich und wickele den restlichen Stoff mehrmals um seinen Hals. Ein paar vorwitzige Haarsträhnen schiebe ich unter den Stoff und zupfe ihn hier und da noch mal zurecht. „So wird dich keiner erkennen!“, meine ich zufrieden. Tala lächelt und legt die Zeichnung zurück. Ich binde mir ebenfalls einen Umhang um und verlasse mit dem Jungen das Haus. Ich starre auf eine der Scherben, die beinahe dreimal so groß ist, wie die in unserem Innenhof. Sie hängt zur Hälfte in einem Haus. Tala schiebt seine Hand in meine und so umgreife ich sie fest und beschützend. Wir gehen weiter über den staubigen Sand und biegen in einer düsteren Gasse ein. Verkommene Gestalten liegen am Boden und greifen jammernd nach unseren Umhängen und Beinen. Forsch gehe ich durch die Passage und zerre Tala hinter mir her. Wir biegen links ab, folgen einer langen engen Seitengasse, in der unsere Schritte widerhallen. In einigen Hauseingängen stehen Leute und beobachten uns argwöhnisch. Tala läuft dicht an mich gedrängt hinter mir her, senkt den Kopf und hält meine Hand krampfhaft fest. Beruhigend streiche ich ihm flüchtig mit der freien Hand über den Handrücken. Wir erreichen ein heruntergenommenes Haus und ohne mich vorher anzukündigen, betrete ich es. Es ist düster und so müssen wir uns vorsichtig voran tasten, was nicht schwer ist, da uns nur wenige Möbel den Weg versperren. „Mareit?“, rufe ich laut. Durch einen Hintereingang kommt sie zu uns und hebt kurz die Hand. „Kommt mit!“, meint sie ernst und so folgen wir ihr nach draußen. Das Haus nebenan ist vollkommen zertrümmert. Kaum eine Hauswand steht noch. „Furchtbar!“, murmle ich bestürzt. Mareit hockt sich auf den Boden und erhitzt Fleisch auf einem kleinen selbstgemachten Steingrill. „Geht es deiner Familie gut?“, frage ich sie, hocke mich neben Mareit und lege ihr meine Hand auf die Schulter. „Sie waren bei unseren Nachbarn...“, murmelt sie leise, kaum hörbar und dreht das Fleisch auf die andere Seite. Ich sehe zu dem zertrümmerten Haus. „Sind alle...?“ Ich wage es kaum den Satz zu beenden. Mareit nimmt ein Stück Fleisch, das fertig gebraten ist und es hält es Tala entgegen, der sich hinter meine Schulter kauert. Ich sehe zu ihm, wie er langsam den Fetzen Fleisch entgegen nimmt. „Es schmeckt wirklich gut! Meine Mutter hat es heute morgen für das Fest vorbereitet.“ Mareit lächelt ihm matt zu und legte neues Fleisch auf die erhitzten Steine. Tala knabbert daran. Ich schaue zu dem Haus nebenan und spüre auf einmal etwas auf meinem Arm. Ein kleiner Tropfen rinnt über meinen Handrücken. Ein weiterer fällt auf meine Haut. Ich hebe langsam den Blick und schaue zum Himmel. Mareit und Tala tun es mir gleich. „Der Himmel weint...“, flüstere ich. Ich sehe zu Tala, der die Hand ausstreckt und beobachtet, wie der Regen sich langsam in seinem Handteller sammelt, während er munter und unbekümmert das Fleisch isst. „Bleibst du hier oder kommst du mit uns?“, frage ich Mareit besorgt. Sie sieht zu mir auf und ihrem Gesicht merkt man nicht im Geringsten an, dass sie gerade ihre Familie verloren hat. Sie scheint noch unter Schock zu stehen. „Ich hole Jonjud. Wartet auf mich!“, meint sie und zieht sich ihr rosafarbenes Tuch aus den braunen Haaren, mit dem sie diese zusammenhält. Sie legt das Fleisch hinein, wickelt den Stoff darum und reicht es mir, dann steht sie auf und rennt ins Haus. „Komm mit!“, fordere ich Tala auf, erhebe mich und verlasse mit ihm das Gebäude. Draußen warten wir auf Mareit, die kurz darauf mit ihrem Gepäck und einem Rotfuchs mit gelockter Mähne und Schweif auf dem Rücken aus dem Haus kommt. Sie führt ihn an den Zügeln und befestigt ihr Gepäck am Sattel. Zusammen laufen wir durch die engen Durchgänge, verlassen das Viertel und erreichen wieder die offene Hauptstraße. Noch immer stehen Leute in Gruppen herum und unterhalten sich lautstark und angeregt über das was geschehen ist. „Es wird immer schlimmer, nicht wahr?“, vermutet Mareit und guckt sich um. „Egra ist auch wieder da!“, erzähle ich ihr ohne mich umzudrehen. Mareit schweigt, aber nur kurz. „Dann ist sie auch nicht weit. Glaubst du es geht hier alles zugrunde, weil sie näher kommt?“, fragt sie bestürzt. „Ich denke, Egra hat ihr den Weg gewiesen. Sessy wird herkommen, mit Sicherheit!“, stelle ich fest. Wir erreichen mein Haus und bringen Jonjud zu den anderen Pferden in den Stall. Ungerührt über den neuen Platz macht er sich sofort über das Heu her. Wir sehen Jonjud eine Weile beim Fressen zu und wie er sich mit der Stute im Verschlag neben sich anfreundet. „Wir haben genug freie Zimmer im Haus, du kannst dir eines aussuchen und solange bleiben wie du willst!“ Mareit sieht zu mir und lehnt sich mit der Schulter gegen mich. „Danke!“ Ich schaue zu Tala, der fasziniert das Pferd beobachtet. „Man kann ihn schnell für etwas begeistern, nicht wahr?“, meint Mareit. Ich nicke. „Ja, aber ich habe immer noch nichts über ihn herausgefunden. Ich weiß nicht, was ich machen soll...“, gebe ich deprimiert zu. „Wenn er nicht sprechen kann, dann bringe es ihm doch bei?“, schlägt Mareit vor. „Ich kann dir helfen! Bei meinen Geschwistern habe ich das auch gemacht!“ Dankbar nicke ich und sehe wieder zu Tala, der meinen Blick erwidert. „Lasst uns schlafen gehen!“ Ich trete einen Schritt zurück und gehe dann vor zum Haupthaus. Wir betreten es durch einen Seiteneingang und suchen mein Zimmer auf. „Der Raum nebenan ist frei!“ Ich zeige mit der Hand dorthin und lächelnd geht Mareit hinein. Ich sehe ihr kurz nach, ehe ich Tala nach oben folge. Seufzend lege ich mich auf meinen Diwan und lege die Hand auf meine Stirn. Tala hockt sich neben mich. Inzwischen hat er sich von den Gewändern befreit. Lächelnd lege ich meine Hand an seine Wange. Er lehnt sich dagegen und schließt die Augen. „Mein kleiner Stern...“, murmele ich sanft. Tala steht wieder auf und geht zu unserem Schlafplatz, auf dem lauter Kissen und Decken liegen. Er zieht sich nackt aus, legt die Kleidung ordentlich zurecht und kuschelt sich in das Kissenparadies. Ich beobachte, wie er sich eine der vielen Decken überzieht und setze mich auf. Langsam schleiche ich mich zu Tala, gehe neben ihm in die Knie und streiche durch seine blonden Haare. Er schlägt die Augen auf und lässt es zu, dass ich ihn berühre. Ich sinke neben ihn und ziehe mir ein Laken über den Körper. Ich drehe mich auf die Seite und einige Zeit sehen wir uns einfach nur an. Seine Augen nehmen mich gefangen und so merke ich kaum, wie ich mich ihm nähere. Sein Atem streift mein Gesicht. Ich öffne meine Lippen einen Spalt breit und drücke sie ihm sachte, um ihn nicht zu verschrecken, auf den Mund. „Mhm...“ Tala schließt die Augen und lässt sich von mir küssen. Mit der Hand greife ich unter seine Decke und berühre ihn zwischen den Beinen. Tala stöhnt und löst erschrocken den Kuss, geht auf Abstand und dann höre ich die Luke, sehe dorthin und höre eilige Schritte, die sich entfernen. „Mareit?“, rufe ich verwundert. War sie das eben? Ich sehe zu Tala, der mich mit geröteten Wangen mustert und sein Gesicht unter der Decke beinahe komplett versteckt. „Verzeih mir, ich wollte dich nicht erschrecken...“, entschuldige ich mich. Tala regt sich nicht, lässt mich aber auch nicht aus den Augen. Seufzend drehe ich mich auf den Rücken und starre an die Decke. Ein leiser Gesang, weckt mich mitten in der Nacht. Müde öffne ich die Augen, strecke mich ausgiebig und gähne herzhaft. Im Bett aufsetzend, lasse ich den Blick schweifen. Tala sitzt im Schneidersitz auf einem Kissen auf dem Balkon, in eine Decke gewickelt und schaut auf ein Buch. Es ist das Buch, mit dem weinenden Mädchen. Sie singt leise ein Lied und wiegt ihren Körper im Takt dazu. Tala lächelt versonnen und lauscht ihr, versucht sich selber ab und an an einem Summen. Ich ziehe die Beine an, umschlinge sie mit meinen Armen und lege den Kopf auf den Knien ab. Mit geschlossenen Augen lausche ich den beiden. Ich merke kaum wie die Zeit vergeht, hänge meinen Gedanken nach und schrecke auf, als mich etwas am Arm berührt. Abrupt öffne ich die Augen und ziehe den Kopf ruckartig zurück, als ich bemerke, wie nahe Tala vor mir sitzt. Tala lächelt mich an und drückt mich zurück in die Kissen. Er legt sich auf mich und mit einem kribbeln im Bauch spüre ich sein Gewicht auf mir. Tala kuschelt sich an mich und seufzend ziehe ich die Decke über uns. Er summt leise vor sich hin. Meine Hand greift in seine weichen Haare und krault ihn sachte, bis wir beide schläfrig werden und einschlafen. Kapitel 4: Die Seherin ---------------------- Als ich am Morgen aufwache, liegt Tala noch immer nahe an meinen Körper gepresst und schläft friedlich. Ich höre von draußen Geräusche von Pferden, Hufgetrappel und Stimmen. Müde und gähnend setze ich mich auf. „Kriegen wir Besuch?“, frage ich und kratze mich am Kopf. Ich ziehe mich hastig an und laufe zum Eingang des Innenhofs, wo mein Vater mit einigen Wachen spricht. Fast ein Dutzend Pferde steht dort, wird von Stallburschen entgegen genommen und weggeführt. Einer der Wachen hilft einem jungen Mädchen von einem schneeweißen Pferd herunter. Ihr braunes Haar umspielt sanft ihr Gesicht und ihre intensiven Augen scheinen jeden Winkel abzutasten als würde ihr nichts entgehen. Sie schlägt die blaue Kopfbedeckung ihres Umhanges zurück. Ihre Stirn ziert eine Kette mit zwei bunten sternartigen Anhängern. Ihr Blick streift mich nur kurz, ehe sie wieder herzlich mit meinem Vater spricht. Neugierig trete ich näher heran. „Vater?“ Batu schaut zu mir und winkt mich heran. „Ihr habt euch lange nicht gesehen. Das ist mein Sohn Acavi! Erinnerst du dich noch an die Seherin Mala?“, stellt er uns einander vor. Ich lächele und reiche ihr die Hand, doch Mala nimmt sie nicht an. Sie dreht sich um und wird von meinem Vater, der ihr hinterher eilt, ins Haus geleitet. Einige Wachen folgen ihnen. Wenn die Seherin hier ist, muss es wirklich schlimm um unsere Welt stehen. Ich sehe ihnen nach und als ich den Blick hebe, sehe ich wie Tala von meinem Zimmer aus, herunter schaut. Ich erwidere seinen besorgten Blick hilflos. „Wie steht es um unsere Welt?“, frage ich Mala am späten Nachmittag. Sie seufzt und schaut herunter zum Brunnen. Ich sitze ihr gegenüber auf dem Balkon. Tala leistet uns Gesellschaft und liest wieder in einem meiner magischen Bücher. Die scheinen es ihm wirklich angetan zu haben. Belustigt hält er einen kleinen meckernden Jungen hoch in die Luft, der wild am zappeln ist. „Sie stirbt...“, murmelt Mala und beobachtet Tala einen Moment lang. „Und auch ich sterbe...“ Sie streckt ihren Arm aus, zieht ihren Ärmel zurück und zeigt mir ihre roten Male an den zierlichen Armen. „Sie sind am ganzen Körper. Es fällt mir schwer meine Magie zu benutzen. Der Fluch wird mich töten. Ebenso Egra, der aus einem bestimmten Grund hier zu sein scheint.“ „Also hat Vater dir bereits von ihm erzählt?“ Mala nickt. „Eine umherirrende Seele. Wenn sie niemand auf den richtigen Pfaf führt, leben sie für immer unter uns und sind genauso verloren wie wir.“ Nachdenklich schaue ich hinauf in den Himmel. Die Sterne funkeln und glitzern, wirken so harmlos, dass es nur schwer vorstellbar ist, dass sie eine Stadt zertrümmern und Menschenleben auslöschen können. Ich halte meine Hand an den Kopf und mal wieder lassen die Schmerzen mich leiden. Ich sehe auf als Tala, in eine Decke eingewickelt, zu mir kommt. Schläfrig setzt er sich zu mir, lehnt sich an mich und ist sofort wieder am einschlafen. Ich fahre ihm durch die blonden Haare. Ob ich jemals herausfinden werde wo er herkommt und wer er ist? Wie er in mein Land gekommen ist und warum er nicht sprechen kann? Ich halte ihn in den Armen, schmiege mich an ihn und schlafe kurz darauf, ermattet von den Schmerzen, ein. Die Sterne funkeln und leuchten am blauen Himmel. Wir befinden uns weit außerhalb der Stadt. Mala entfernt sich langsam von uns, läuft eine Sanddüne hinauf und bleibt dort stehen. Sie hebt langsam beide Arme in die Höhe und vor ihr erscheint ein gleißender Lichtstrahl, scheint mitten aus dem Boden zu kommen und irgendwo weit oben im Himmel zu verschwinden. Es ist uns beinahe unmöglich in dieses helle Licht zu sehen, wo wir doch die Dunkelheit gewöhnt sind. Ich wende den Blick ab und halte mir den Arm vor mein Gesicht. Als ich zu Tala sehe, schaut er fasziniert zu dem Licht. Er wirkt wie in trance. Ich riskiere erneut einen Blick und bemerke, dass sich etwas aus dem Lichtstrahl heraus bewegt. Es ist hell und kaum klar zu erkennen. Fast wie Arme, aber ohne Finger. Mala schließt die Augen und lächelt, als sich das Wesen über sie beugt. Das Licht wirkt wie eine Heilquelle. Heilung für die Seele. Nur am Rande bemerke ich, wie Tala zur ihr geht und von der Lichtquelle angezogen wird, als würde er schlafwandeln. Ich laufe ihm hinterher, umgreife ihn und halte den Jungen zurück. Tala streckt die Hand aus, als würde er danach greifen wollen. Plötzlich löst er sich mitten in meinem Griff auf. Mit aufgerissenen Augen, starre ich auf den Jungen der sich langsam in winzige kleine Lichtpartikel materialisiert. In der Mitte davon schwebt etwas Größeres, entfernt sich rasend schnell von mir, verfolgt von den Lichtpartikeln, ähnlich einer Sternschnuppe und umkreist mehrmals den Lichtstrahl von oben nach unten, als wäre es ein Spiel. Atemlos verfolge ich das Schauspiel, als das Wesen aus dem Lichtstrahl den kleinen verspielten Stern einfängt und ihn Mala überreicht. Ich verstehe nicht, was da vor sich geht, aber der Anblick fasziniert mich ebenso wie meinen Vater, der sprachlos neben mir steht. Ehrfürchtig beobachte ich diesen Moment. Mala hält den Stern fest in einer Umarmung, nahe an ihrem Körper, als wäre er ein Trostspender. Er erleuchtet ihr Gesicht. Dann lässt sie ihn frei und er fliegt in meine Richtung. „Tala?“, flüstere ich staunend. Der Stern umschwirrt mich wie ein Insekt. Ich drehe mich und versuche ihn im Blickfeld zu behalten. „Tala, bist du das?“, frage ich. So wunderschön dieser Anblick auch ist, niemand ahnt welche Katastrophe noch auf uns wartet. Kapitel 5: Licht ---------------- Gerade als ich meine Hand nach Tala ausstrecken will, fällt mein Blick zum Himmel. Mit aufgerissenen Augen starrre ich dorthin und verharre in der Bewegung. „Acavi, was ist los?“, fragt mein Vater, doch ich bin unfähig auch nur ein Wort zu sagen. Batu folgt meinem Blick und erstarrt. Ein Stern. Langsam, wie in Zeitlupe fällt er zu Boden. Dieser Stern ist größer als die anderen. Sehr viel größer. Angst überkommt mich, ich erstarre. Ich muss hier weg! Einfach nur weglaufen, aber meine Beine bewegen sich nicht vom Fleck. Der Boden unter meinen Füßen scheint mich zu verschlingen. Ich sehe herunter und stelle fest, dass dem wirklich so ist. Der Sand zieht mich herunter. Treibsand. „Vater!“, schreie ich panisch und versuche mich zu bewegen, doch ich kann mich nicht befreien. Ich sehe in den Himmel. Der Stern fällt immer tiefer. Mala ist noch in ihrer eigenen Welt und mein Vater scheint mich nicht wahrzunehmen. „Vater!!!“, brülle ich so laut ich kann. Er schaut zu mir und sieht mich erschrocken an. Ich bin bereits bis zur Hüfte im Sand. Mein Vater kommt zur mir, greift nach meinen Armen und zieht, doch es bringt nichts. Er kann mich nicht befreien. „Hilf mir! Bitte!“, flehe ich ihn an. Immer tiefer sacke ich hinein, habe keinen Halt mehr unter den Füßen und kann mich kaum noch bewegen. „Acavi!“ Mein Vater sieht mich voller Furcht an. Wieder sehe ich hinauf zum Himmel. Der Stern berührt den Boden. Ein lange Riss zieht sich durch seine gesamte Länge. Zerreißt ihn förmlich und löst den Stern in Millionen von Splittern. Das letzte was ich noch sehe, sind die riesigen Scherben, die alles um sich herum zerstören. Sie fliegen messerscharf durch die Luft und vernichten alles, was ihnen im Weg steht. Eine Scherbe rast direkt auf uns zu. „Mala!“ Ich versuche die Seherin zu warnen, doch als sie zu mir sieht, lächelt sie nur sanft. Im nächsten Moment werde ich komplett unter den Sand gezogen. Ich habe das Gefühl zu ersticken, als würde sich mein Körper mit dem Sand füllen. Meine Innereien wehren sich dagegen, versuchen mich am Leben zu erhalten, während ich immer tiefer eingesogen werde. Auf einmal fühle ich mich nass. Meine Kleidung klebt an meinem Körper. Ich fühle mich beinahe schwerelos und kann mich wieder frei bewegen. Langsam öffne ich meine Augen. Wasser. Ich befinde mich in Wasser. So viel Wasser. Um mich herum schwimmen Fische in allen Arten, Farben und Größen. Ich spüre wie mir die Luft ausgeht, wie ich ohnmächtig werde. Ich muss am Leben bleiben! Ich will noch nicht sterben! Mit letzter Willenskraft schwimme ich, suche einen Ausgang, finde jedoch nichts. Ich schwimme immer weiter, bis ich plötzlich durch eine Oberfläche breche. Nach Luft schnappend halte ich mich am Grund fest und ziehe mich an die Oberfläche. Ich huste und ringe nach Atem. Erschöpft falle ich zu Boden und schließe die Augen. Was war das? Wie sehr kann sich eine Welt verändern? Haben Mala und mein Vater es überlebt? Was ist mit der Stadt und Mareit? „Tala...“, flüstere ich matt. Ich öffne die Augen einen spaltbreit und bemerke, wie der Boden unter mir leuchtet. „Tala?“ Ich setze mich auf und sehe herunter. Es ist nicht Tala, der so scheint. „Was...?“ Ich bemerke, dass ich nicht einfach nur auf einer Oberfläche bin. Unter mir ist das Meer. Überall. Als würde ich auf einer Glasplatte stehen. Unter mir schwimmen große und kleine Fische in allerlei leuchtenden Farben vorbei. Plötzlich brechen sie durch die Schicht, die mich von ihnen trennt und springen aus dem Boden direkt an mir vorbei, nur um wieder platschend im Untergrund zu landen. Die geöffnete Oberfläche verschließt sich wieder, sobald ein Fisch zurück im Wasser ist. Fasziniert beobachte ich die Tiere. Irgendetwas umfliegt mich und als ich den Blick hebe, sehe ich den kleinen Stern. „Tala!“, rufe ich und stehe hastig auf. Er fliegt vor mir weg und so folge ich ihm hastig. „Tala, warte!“, schreie ich und versuche ihn nicht aus den Augen zu verlieren. Den Blick auf dem Stern haftend, renne ich so schnell ich kann. „Tala!“, rufe ich erneut. Der Stern umfliegt mich, die hellen Lichtpartikel erleuchten alles um mich herum. „Du bist mein Licht. Du führst mich durch die Dunkelheit!“, flüstere ich bewegt. Doch wohin? Ich drehe mich in alle Himmelsrichtungen. Überall ist dieselbe Dunkelheit zu sehen. Wo ist meine Stadt, mein Zuhause? Ziellos laufe ich los. „Tala, wo müssen wir hin?“, frage ich ihn, doch der Stern weicht nicht von meiner Seite. Wo soll ich hingehen? Irritiert bleibe ich stehen. „Ich bin allein...“ Ich merke wie meine Lippen zittern. Meine Hände balle ich zu Fäusten. Ich muss bei Verstand bleiben. Panik hilft mich jetzt nicht weiter. Ich atme langsam tief ein und aus, während ich meine Augen schließe. Das dürfte keiner überlebt haben. Die Scherben waren zu groß. Es waren zu viele. Wieso habe ich das überhaupt überlebt? Ich umschlinge meinen Körper mit meinen Armen und sinke auf die Knie. „Vater...“, flüstere ich mit brüchiger Stimme. „Was soll ich machen? Wo soll ich hingehen?“ Ich weiß nicht, wie lange ich an dieser Stelle verharre. Hier hat man kein Zeitgefühl. Tala fliegt um mich herum. Mein einziger Gefährte. „Bist du ein Stern?“, frage ich ihn. „Konntest du deswegen nicht sprechen? Was ist mit deiner menschlichen Gestalt?“ So viele Fragen mir auch durch den Kopf schwirren, keine von ihnen wird beantwortet. Erneut sehe ich mich um und lasse den Blick schweifen. „Okay, dann muss ich hier wohl auf mein Ende warten...“, murmele ich resigniert. Hier gibt es kein Entkommen. „Gibst du schon auf?“ „Ja, was soll ich sonst machen?“, erwidere ich leise. „Hier führt kein Weg raus.“ „Du bist ein Kämpfer. Das warst du schon immer.“ „Nein, ich bin kein Kämpfer. Ich habe nie für etwas kämpfen müssen.“ „Dann wird es langsam mal Zeit, meinst du nicht?“ Ich drehe mich langsam um und erkenne Egra in einiger Entfernung. „Bist du echt?“, frage ich ihn. Egra beobachtet mich. „Ob ich echt bin? Bist du denn echt?“ „Ich bin ein Mensch. Ich lebe, natürlich bin ich echt!“, erwidere ich höhnisch. „Aber du nicht oder? Du bist vom Fluch befallen. Er frisst dich bei lebendigem Leibe auf.“ „Wie jeden von euch auch.“ „Sie sind alle tot oder nicht?“, frage ich ihn und stehe langsam auf. Tala weicht mir nicht von der Seite. „Möglich...“ Ich sehe zu Egra. „Du wirst mich hier nicht herausführen. Du willst meinen Tod, immerhin hätte ich dich bereits beinahe umgebracht.“ Egra kommt langsam auf mich zu. Schritt für Schritt. „Was bringt mir dein jämmerlicher Tod? Du weißt genau, wonach ich mich verzehre!“ „Meinen Körper wirst du niemals bekommen!“, erwidere ich wütend. „Nicht meinen Körper!“ Egra bleibt dicht vor mir stehen. „Als ob es das erste Mal wäre...“, murmelt er belustigt und fährt mit seiner rauen Hand langsam über meinen Hals. „Nur noch einmal... Gib mir deinen Körper.“ Egra beugt sich vor, zieht seinen Verband von seinem Gesicht und legt seine Lippen an meine Haut. Ein Schauder rinnt über meinen Leib. „Egra, lass mich los!“ Ich versuche mich zu bewegen, aber es ist mir nicht möglich. Als wäre ich festgewachsen, muss ich mich seinem Willen beugen. Aufgeregt schwirrt Tala um uns herum. Ich merke, wie sich Egras Atem beschleunigt und meinen Hals streift. Er presst sich eng an mich und zieht mir die Kleidung vom Körper. Ein Stück nach dem anderen fällt zu Boden und versickert im Wasser. Wenn ich mich doch nur bewegen könnte... Egra schubst mich zu Boden, drückt mich fest auf den Grund. Er erforscht meinen nackten Körper, streichelt ihn und lässt keinen Millimeter aus. Mein Blick fällt nach oben. Ich zwinge mich dazu, Tala zu beobachten. „Mein kleiner Stern...“, flüstere ich. Wieso kann er mir nicht helfen? Egra entkleidet sich und legt sich auf mich. Ich sehe seinen entstellten Körper, die Verletzungen, die ich ihm zugefügt habe. „Gib mir deinen Körper!“, murmelt er und presst sich eng an mich. Meine Atmung beschleunigt sich. Ich spüre, wie er sich mit mir vereint. Ich versuche mich unter ihm zu winden, aber mein Körper ist starr wie ein Brett. Ich sehe, wie der Fluch langsam auf mich übergeht, wie er mit mir verschmilzt und beginnt sich an mir zu laben. Egras Geist dringt in mich und raubt mir meinen Körper. Mein Gefäß. Als ich zu mir komme, bin ich allein. Auf dem Boden liegt Egras schlaffer geschundener Körper. Ich sehe an mir herunter. Nichts. Ich bin nicht da. Er hat mir meinen Körper genommen. „Tala?“, flüstere ich leise. Bin ich jetzt ganz allein? Hier im Nichts? Bin ich für immer verloren? Verdammt umherzuirren ohne einen Körper? „War es das jetzt wirklich?“ Die Welt stirbt und jetzt auch ich? Bin ich nicht längst tot? Ich bewege mich frei im Raum, in der Dunkelheit. Ich kann endlich überall hin und doch gibt es nirgends einen Ausweg für mich. Ich sehe ein schwaches Leuchten in der Ferne. „Tala? Tala?!“ So schnell es geht, nähere ich mich ihm. Er liegt in seiner menschlichen Gestalt am Boden. Sein Leib leuchtet schwach. Tala öffnet die Augen und dreht sich langsam mit Mühe auf den Rücken. „Was hat er mit dir gemacht?“ Tala atmet schwer und hält die Hand an seinen blutenden Bauch. „Ich brauche deinen Körper, Tala! Du musst ihn mir leihen!“, flüstere ich ihm zu. Tala lächelt erschöpft und nickt kraftlos. Ich lasse mich auf ihm nieder, vereine mich mit ihm und spüre, wie mich die Lebenskraft von Tala umgibt. Er ist nur ein Stern, aber umso viel mehr Energie steckt in ihm als in einem Menschen und trotzdem ist er nun geschwächt und verletzt. Langsam erhebe ich mich und bewege meinen neuen Körper. Ich starre auf Talas schmale Finger. Seine Gliedmaßen fühlen sich so fremd und doch vertraut an. Ich erhebe mich vom Boden und sehe mich um. Wo muss ich jetzt hin? Welchen Weg hat Egra genommen? Mit der Bauchverletzung kämpfe ich mich voran, laufe immer weiter und versuche nicht zu denken. Einfach nicht denken. Nur laufen. Immer weiter und weiter. Der Schmerz bleibt. Verwirrt bleibe ich irgendwann stehen, blinzele ein paar Mal und sehe angestrengt in die Finsternis. „Das sieht aus wie Stufen? Ist das eine Treppe?“ Ich gehe darauf zu, halte meinen schmerzenden Bauch und je näher ich komme, desto größer wird meine Hoffnung. „Eine Treppe! Tala, das ist eine Treppe!“, rufe ich triumphierend aus. Erfreut bleibe ich davor stehen, sacke in mich zusammen und berühre die erste weiße Stufe, die scheinbar in der Luft schwebt. Ich lache leise und spüre die Müdigkeit in mir. Lange hält dieser Körper es nicht mehr aus. „Ich muss meinen Körper finden...“, murmele ich und stütze mich an der Stufe ab. Ich erhebe mich und sehe wie das Blut herunter tropft. Angestrengt erklimme ich die einzelnen Stufen, gelange immer höher und sehe doch kein Ende. Mein Körper wird immer schwächer. Ich verliere einfach zu viel Blut. Kapitel 6: Kleiner Stern ------------------------ Erschöpft halte ich inne. „Das kann nicht sein...“ Den Tränen nahe, sehe ich direkt vor mir auf den Ausgang. So schnell ich kann, kämpfe ich mich aus der Dunkelheit und befinde mich wieder in der Freiheit. Weit und breit nichts. Sand. Nur Sand ist zu sehen. Ich befinde mich in einer Wüste. „Nicht schon wieder.“ Ich sehe mich angestrengt um und erblicke einen Körper im Sand. Ist das meiner? Hastig stehe ich auf und gehe dorthin. Egra blickt misstrauisch zu mir auf. Irgendetwas hat ihn wohl geschwächt. Nackt liegt er am Boden. Ich betrachte meinen Körper, aber er scheint unversehrt zu sein. „Was ist passiert?“, frage ich. Ich lasse mich neben ihn zu Boden sinken. „Kommst du nicht mit meinem Körper klar?“ Ich fahre über die schwarzen Tätowierungen, die meinen Leib zieren und die ich immer unter meiner Kleidung verberge. „Er nimmt dich also nicht an?“ Egra erwidert wütend meinen Blick. „Du bist auch nur ein umherirrender Geist.“ Egra reißt plötzlich die Augen auf und krallt die Hände in den heißen Sand. Der ganze Körper ist angespannt, schwitzt und krümmt sich wie in einem Fieberwahn. „Gah!“, brüllt er und verzieht schmerzerfüllt sein Gesicht. „Argh~! Hngh...“ Kurz darauf fällt er ermattet in sich zusammen. „Egra?“, frage ich und rüttele an der Schulter. Nichts passiert. Erneut rüttele ich unsanft. Langsam öffnen sich die Augen. Der Blick wirkt sanfter als zuvor. Die Hand greift nach meiner. Zitternd ergreife ich sie. „Tala?“, frage ich hoffnungsvoll. Er nickt. Ich schniefe und lachend beuge ich mich über ihn. „Du hast dir einfach meinen Körper geholt!“ Ich ziehe ihn fest an mich und Tala schlingt sofort seine Arme um mich. „Mein kleiner Stern...“ Tala sieht lächelnd zu mir auf und beugt sich hoch. Seine Lippen berühren meine sanft, üben mehr Druck aus und küssen mich. Ich erwidere es und presse ihn eng an mich, auch wenn meine Verletzung schmerzt. Ich bin nur froh, dass Egra weg ist, wo auch immer er sich jetzt befinden mag und ich nicht mehr alleine bin, auch wenn ich es im Grunde nie gewesen bin. Mein Körper erwacht zu neuem Leben, auch wenn er immer noch geschwächt ist. Ich habe meinen Lebensmut wiedergefunden. Ich drücke Tala zurück in den Sand und küsse ihn stürmisch, während er an meiner Kleidung zerrt. Ungeduldig ziehe ich sie mir vom Leib, lasse mich auf ihn nieder und störe mich nicht weiter daran, dass es eigentlich mein Körper ist. Talas Hände scheinen überall zu sein. Hitze durchflutet meinen Leib. Unsere Gliedmaßen verschlingen sich miteinander, vereinen sich und geben sich gegenseitig halt. Ich spüre Tala tief in mir, auf mir und lasse keine Sekunde von ihm ab. Sein heißer Atem streift meine Haut. So fest ich kann, umschlinge ich ihn mit meinen Armen und Beinen, will ihn nie wieder loslassen. Ich schließe meine Augen und lausche seinem Stöhnen und Keuchen, während das Blut langsam aus meinem Körper strömt. Meine Welt ist dem Untergang geweiht und ich bin es auch. Ich gehe mit ihr zugrunde. Mit meinem Liebsten. Wie lange es wohl her ist? Eng aneinander gepresst liegen wir im Sand. Die Stille um mich herum ist erdrückend. Langsam öffne ich meine Augen. Ich sehe Tala unter mir liegen. Irritiert setze ich mich auf. Wann haben wir die Körper getauscht? Er sieht so zufrieden aus. Mit den Fingerspitzen gleite ich über seinen kalten Körper. „Tut mir leid, dass ich dich nicht retten konnte...“, flüstere ich heiser. Wäre er doch nur in meinem Körper geblieben. Ich schlucke mehrmals aber der Kloß in meinem Hals will nicht verschwinden. Es schnürt mir die Luft ab und ich spüre in den Augenwinkeln, wie sich die Tränen ihren Weg hinaus suchen. „Mein kleiner Stern...“ „Du lässt ihn also sterben?“ Ich drehe mich überrascht um. Mein Magen krampft sich zusammen. Ängstlich sehe ich die Person vor mir an und halte Talas leblosen Körper beschützerisch an mich gepresst. Der Himmel um mich herum färbt sich langsam in ein unheilvolles Schwarz. „E-er ist doch schon tot...“, erwidere ich stammelnd. „Es ist dein Traum. Nur du kannst ihn beeinflussen. Oder ist dein Wille zu schwach?“, fragt Sessy mich verächtlich. Ihre Haare leuchten fast silbern, so unwirklich. Ihr makelloser Körper ist in schwarzer Kleidung verhüllt. Ich wende den Blick von ihr ab und sehe auf den Himmel, der von grauen düsteren Wolken übersät ist. Gefesselt starre ich hinauf, während mein Körper langsam von einer schwarzen flüssigen Substanz verschlungen wird. Ich fühle mich kalt und zittere am ganzen Leib. Ist das ihr Werk? Ihre Magie? Ist das der Fluch? Ich sehe Sessy an und lache leise. „Du bist wirklich ein Alptraum.“ Sie erwidert meinen Blick ungerührt. „Ja... Aber durch Alpträume wacht man auf. Kehre zurück in deine Welt, Fremder.“ Die Flüssigkeit umschlingt meinen Kopf, bis ich nicht mehr atmen kann. Um mich herum ist alles schwarz und finster. Ich bekomme kaum noch Luft und mein Körper verkrampft sich. Es tut weh, ich schnappe nach Luft, aber es geht nicht. Mein Körper kämpft einen Kampf, den er längst verloren hat, noch ehe er überhaupt angefangen hat. Epilog: Lichtblick ------------------ Die Dunkelheit schwindet. Ein paar Mal blinzele ich, spüre das wärmende Sonnenlicht auf meinem Gesicht und bedecke es, als ich geblendet werde. „Hey, hast du gut geschlafen? Ich war doch nur kurz einkaufen.“ Ich hebe meinen Arm und sehe verwirrt zur Tür. „Tala...“, murmele ich und spüre in mir das Verlangen ihn zu umarmen und nie wieder los zu lassen. „Tala? Ich heiße Andrew! An welche Typen denkst du wieder, wenn du schläfst? Hm?“, meint er kopfschüttelnd und kommt zu mir. „Hattest du wenigstens einen schönen Traum?“ Ich lächele und setze mich im Bett auf. Andrew lässt sich neben mir nieder und sofort ziehe ich ihn in meine Arme. „Nicht so stürmisch!“, meint er lachend und lässt sich von mir auf die Wange küssen. „Ich habe von dir geträumt.“ Andrew sieht mir in die Augen. „Waren wir angezogen?“ „Am Schluss nicht!“, erwidere ich grinsend und befreie ihn von seiner Kleidung. „Was jetzt?“, meckert Andrew lachend und zieht mich mit sich ins Bett. Er sieht zu mir auf und streicht mir einige Haarsträhnen aus dem Gesicht. Zum Glück war es nur ein Traum. Grinsend beuge ich mich herunter und küsse meinen kleinen Stern. Hosted by Animexx e.V. 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