Misfits: Herzkönig von Hushpuppy ({boyxboy}) ================================================================================ Kapitel 16: Süßer Winter ------------------------ Donnerstag waren Noah und Kaito wieder in der Schule. Letzterer hatte noch dunklere Augenringe wie ohnehin schon und schlief ein keine fünf Minuten nach dem die erste Stunde, Physik, begonnen hatte. Er wachte wieder auf als Gaara und Samantha schallend loslachten und wollte sofort wissen, was los war, also erzählte Noah den Samstag Abend noch einmal. Ich lachte ebenfalls und fühlte mich unglaublich gut. Am Ende der Stunde fragte Noah nach meiner Handynummer und drängte mich im selben Zug mir WhatsApp herunterzuladen. „Ich habe kein Smartphone“, sagte ich. „Außerdem kann man doch auch so SMS versenden.“ „Nein, WhatsApp ist anders, das ist die beste App überhaupt, glaub mir“, widersprach Noah als wir durch den Flur gingen und Sam sagte neben mir: „Noah ist davon süchtig.“ „So schlimm ist es gar nicht“, meinte Noah trotzig, doch Sam und die beiden anderen Jungen lachten nur. Selbst ich wusste, dass Noah ständig an seinem Handy hing. Wenn es in den anderen Fächern auch nur halb so schlimm war wie in Physik, dann musste er vom Unterricht kaum etwas mitbekommen. Meine Mittagspausen und Freistunden verbrachte ich mit den Jugendlichen aus dem zweiten Gebäudeflügel. Scherzte mit Samantha herum, unterhielt mich mit Noah, lernte, dass Gaara und Kaito wie zweieiige Zwillinge waren, mental miteinander verbunden und kaum voneinander zu trennen, mit Kiaro sprach ich über Politik, Geschichte und Philosophie, diskutierte Themen, die unser Land betrafen. Ich lernte auch andere Jugendliche kennen mit denen ich mit gut verstand und welche mit denen ich nichts anfangen konnte. Kaito gehörte leider dazu. Ich wusste nicht, was mir an ihm nicht gefiel. Wenn ich darüber nachdachte, kam ich auf mehrere Sachen. Die meiste Zeit erzählte er Geschichten davon wie er sich mit irgendwem betrunken hatte und er stand offen dazu, dass er sich alle möglichen Arten von Drogen einwarf, womit sein blasses Gesicht, die tiefen Augenringe und die Tatsache, dass er ständig krank war, erklärt wurde. Er kam mir furchtbar oberflächlich vor und ich hatte Angst, dass es auf Gaara umschlagen könnte. Gaara war intelligent, er beteiligte sich ebenfalls an den Gesprächen von Kiaro und mir und hatte die Eigenart immer das letzte Wort haben zu wollen. Einmal war er in eine verheerende Diskussion mit einem Mädchen aus ihrer Stufe geraten und Gaara hatte seine Meinung solange verteidigt, bis sie fluchend aufgegeben hatte und zum heillosen Beleidigen übergegangen war. Dann war Kaito an der Reihe und stutzte sie mit seiner verbalen Art zurecht, er war nicht intelligent. Noah war Gaara und Kiaro ebenfalls intellektuell unterlegen, doch er glänzte durch andere Charaktereigenschaften. Mit niemandem konnte man so gut lästern wie mit Noah. Als wir einmal zusammen auf die Idioten zu sprechen kamen, taten seine Worte so gut und brachten mich so zu lachen, dass ich gut gelaunt aus der Schule ging. Das passierte mir normalerweise nie. „Schau dir doch mal Marvin an“, zischte Noah als wir gemeinsam auf dem Schulhof saßen und die Idioten beobachteten. „Ich wette er trägt ständig diese Mütze, weil ihm die Haare ausfallen und er schon eine Halbglatze hat.“ „Darauf wette ich“, lachte ich. „Und ich sag dir der hatte noch nie ne Andere wie Lena gehabt, aber dafür hatte sie alle Drei“, sagte Noah hinter hervor gehaltener Hand. „Nur weil sie aussieht wie eine Schlampe, muss sie ja keine sein.“ Hatte ich gerade Lena in Schutz genommen? „Nein, sie ist wirklich ein“ , versicherte mir Noah. Wieder etwas, was ich an ihm gut leiden konnte. Noah wusste einfach alles. Egal, was in der Stufe passierte und wie geheim man es auch halten wollte, Noah erfuhr es von irgendwem, weil er der schwule Junge war, den alle Mädchen für ihren schwulen besten Freund hielten, den alle niedlich fanden und dem man einfach nichts Böses konnte. Aber Noah war nicht der unschuldige, niedliche Junge für den ihn alle hielten. Er hatte es faustdick hinter den Ohren, um mal ein Sprichwort meiner Mutter aufzugreifen. „Pass auf.“ Noah begann bestimmt siebzehn Jungen aus unserer Schule aufzulisten mit denen Lena zu hundert Prozent Sex hatte, dazu noch ein paar weitere Namen von Jungen, die nicht auf unsere Schule gingen und noch weitere Jungen, bei denen es nur ein Gerücht war. Am Ende des Tages war ich glücklich, weil ich endlich etwas gegen die Idioten in der Hand hatte. Wenn ich mich traute, könnte ich Lena Schlampe nennen und damit nicht einmal falsch liegen. In der letzten Woche vor den Weihnachtsferien fing mich Gaara ab als ich gerade durch den Hauptflur im ersten Gebäudeflügel ging. Etwas verwundert blickte ich ihn an, denn er hatte in diesem Teil des Gebäudes keinen Unterricht. Wir stellten uns an den Rand, um anderen Schülern nicht im Weg zu stehen und ich spürte wie mir heiß wurde. Warum war ich aufgeregt? „Am 19. Januar werde ich 18, das ist ein Samstag und ich werde bei mir Zuhause feiern und ich möchte, dass du auch kommst“, teilte Gaara mir mit, seine Hände waren lässig in den Hosentaschen verstaut und er lehnte mit einer Schulter gegen die Spinde. Seine Augen funkelten in grün und braun und er sah so gut aus. „Ehm.“ Mich überkam ein Wall von Glücksgefühlen, ich tat mein bestes es nicht zu zeigen. Gaara wollte mich auf seinem Geburtstag haben, auf seinen Geburtstag lud man nur Freunde ein und ich war ihm wichtig genug, dass er mich als Freund bezeichnen könnte. Ich hatte Freunde in Berlin. „Ja oder nein?“, fragte Gaara mit einem Grinsen auf den blassen Lippen. „Ja, höchstwahrscheinlich kann ich“, sagte ich und versuchte so gelassen wie möglich zu klingen, aber ich wusste, dass meine Augen mich verrieten. Ich war wie ein offenes Buch, in dem jedermann lesen und blättern konnte, um die Dinge herauszufinden, die er wissen wollte. „Du musst mir nur sagen, wo du wohnst, damit ich schauen kann wie ich hinkomme.“ „Kaito holt dich mit“, sagte Gaara prompt. „Seine Halbschwester kommt im Januar und fährt euch, sie holen auch noch zwei andere Leute mit. Du kannst ja dann noch mal Kaito fragen, wo genau sie dich abholen kommen sollen.“ „Okay...“ Das gefiel mir weniger. Mit Kaito verstand ich mich nicht so gut, bisher hatten wir vielleicht fünf Worte direkt miteinander gewechselt und die Art wie Gaara diese Worte gesprochen hatte, ließ mich mal wieder nachdenken. Meine Glücksgefühl entschwanden mir langsam und Zweifel machte sie breit. Lud er mich wirklich ein, weil er mich mochte oder weil er für seinen 18. einen möglich vollen Geburtstag haben wollte? So viele Leute wie möglich für eine große, geniale Party. Ich schüttelte den Gedanken ab. Wahrscheinlich machte ich mir wieder zu viele Gedanken. Außerdem würde Gaara Zuhause feiern und wie viele Leute passten da schon rein? Abgesehen davon würden seine Eltern es sicherlich nicht gut heißen, wenn fünfzig Jugendliche durch ihr Haus oder ihre Wohnung hüpften. „Wer kommt denn alles?“, fragte ich. „Noah und Fynn, Kaito, Samantha, ein paar aus meiner Stufe, aber die meisten die kommen, kenne ich außerhalb der Schule. In unserer Stufe sind nicht so viele mit denen ich außerhalb etwas zu tun haben möchte“, antwortete Gaara. Aber mit mir, ging es mir sofort durch den Kopf. Aber mich lud er ein, mich wollte er außerhalb der Schule haben. Ich war wieder glücklich. „Kommt auch Kiaro?“ „Ich habe ihn eingeladen, aber er hat schon gesagt, dass er wahrscheinlich nicht kommen wird“, sagte Gaara schulterzuckend. „Du kennst ihn doch, er hält nichts von Alkohol, Drogen und Partys.“ „Drogen?“, fragte ich stutzend. „Jaa...“ Gaara lachte als er meinen Gesichtsausdruck sah. „Mach dir keinen Sorgen, Süßer, Heroin oder so etwas wird es nicht geben. Nur ein bisschen Marihuana, Koks und Ecstasy.“ Mein Gesicht verwandelte sich in eine Tomate. Zumindest musste es danach aussehen, in mir wallte eine Hitze, die sich gleichzeitig gut und scheußlich anfühlte. Süßer. Ich vergaß seine Worte über die Drogen vollkommen. Erst als ich wieder Zuhause war und den restlichen Tag mit Grinsen verbracht hatte, wurde mir bewusst wie wenig mir die Sache mit dem Koks und dem Ecstasy gefiel. Was soll's. Ich musste davon ja nichts nehmen und auch nichts von dem Marihuana. Die eine Erfahrung hat mir eigentlich gereicht. Als ich abends glückselig einschlief, fragte ich mich noch, warum es mir gefiel wenn Gaara mich Süßer nannte, aber wenn Mädchen es taten, hasste ich es... ich war seltsam. Hast du schon Weihnachtsgeschenke? Noahs erste SMS an mich. Es waren nur noch drei Tage bis zum Fest. Das Zeugnis würde es erst nach den Ferien geben, doch Notenschluss war bereits vorgestern gewesen. Gerade stand ich mit meiner Mutter im Supermarkt und half ihr bei den Einkäufen. Entgeistert ließ ich den Sack Mehl aus meiner Hand mit einem lauten Rumms in den Einkaufswagen fallen, als ich die SMS las. Nein, ich hatte noch keine Weihnachtsgeschenke! Ich antwortete ihm und kurz darauf rief Noah mich an. „Ich habe auch keine“, sagte er als ich abhob. „Gehen wir zusammen welche kaufen?“ „Klar, wann denn?“ „Heute.“ „Oh.“ Ich schaute zu Mum auf, die gerade mit Soßenbinder um die Ecke bog und sie in den Wagen fallen ließ. „Du hast ja gar nicht alles besorgt, was du holen solltest“, stellte sie klagend fest. „Ich weiß nicht, ob ich heute Zeit habe“, sagte ich, Mum merkte erst jetzt, dass ich am Telefonieren war und presste sich überrascht einen Finger auf Lippen. „In drei Tagen ist Weihnachten, wenn du heute keine Zeit hast, hast du ein Problem“, sagte Noah. „Warte kurz.“ Ich drückte das Handy gegen meine Schulter, damit Noah nichts hörte und wandte mich zu meiner Mutter: „Weißt du wie lange wir noch brauchen? Ich würde mich heute gerne mit jemandem treffen.“ „Wie heißt sie?“, fragte Mum. „Und warum weiß ich nichts von ihr?“ „Nein, es ist kein Mädchen“, sagte ich genervt. „Er ist aus meiner Schule und ich verstehe mich ganz gut mit ihm, wir wollten zusammen in die Stadt.“ „Du kannst ruhig gehen, ich mache das hier alleine“, lächelte Mum. „Wenn du endlich mal aus dem Haus kommst und was mit anderen Jugendlichen unternimmst, kann ich es dir nicht verbieten. Alex kann mir beim Auspacken helfen, wenn ich nach Hause komme.“ „Ja, wenn du sie dann mit Julian unterbrechen musst“, murrte ich düster. „Die Beiden haben noch gar nicht miteinander geschlafen“, sagte Mum und wurde leiser, als ob es jemand Fremdes interessieren würde, ob meine Schwester mit ihrem blöden Freund geschlafen hatte oder nicht. „Alex hat Angst davor, aber wehe du erzählst ihr, dass ich das gesagt habe, dann erzählt sie nie wieder was.“ „Keine Angst, ich sag nichts“, grinste ich und ging wieder ans Telefon, um Noah Bescheid zu sagen, dass ich heute Zeit hatte. Dass Alex und Julian noch nicht miteinander geschlafen hatten, freute mich. In letzter Zeit freute mich ziemlich viel. In wenigen Wochen war meine Laune so viel besser geworden und die konnte mir nicht mal Julian verderben, den ich letzte Woche kennen lernen durfte. Größer wie ich, mit dunkelbraunen Haaren, die in der typischen Emofrisur geschnitten waren und schlankem Körper. Er hatte ein paar Piercings und erinnerte mich ein wenig an Fynn, aber Fynn war cool und außerdem schwul und wollte nicht meine Schwester vögeln. Wenn er solange auf Sex wartete, lag ihm vielleicht doch etwas an ihr und er wollte mehr wie nur Sex. Abgesehen von den Idioten trübte noch etwas meine Laune und zwar Simon. Und das war viel schlimmer wie die Idioten, denen ich kaum noch Beachtung schenkte. Sie machten mich nur noch wütend, aber Simon machte mich traurig. Bei einem Gespräch mit seiner Mutter, hatte diese Simon vor den Kopf gestoßen, selbst Schuld daran zu sein, dass sein Stiefvater ihn geschlagen hatte. Und später hatte sein Stiefvater ihm gesagt, er hätte es nicht anders verdient. Verzweifelt hatte Simon versucht seinen Vater im Unwissenden zu lassen, doch Martina hatte die Verletzungen gesehen und so kam alles heraus. Seine Eltern stritten sich heftiger denn je und konnten sich nicht mehr unter die Augen treten und sein Vater hatte darauf bestanden den Stiefvater anzuzeigen. Unendliches Flehen von Simons Seite hatte ihn noch davon abhalten können, dabei wusste Simon nicht einmal selbst, warum er nicht wollte, dass sein Stiefvater angezeigt wird. So hatte er es mir zumindest erzählt, er wollte es nur vergessen. Mittlerweile hatte sich der Stress wieder ein wenig gelegt, doch Simon wollte nun gar nichts mehr mit seiner Mutter zu tun haben. „Nie wieder, sie ist für mich gestorben“, hatte Simon gestern Abend noch gesagt. Ich konnte es ihm nicht verübeln. Ich hasste es, nicht bei ihm sein zu können, wenn es ihm so schlecht ging und fragte mich oftmals, ob es Simon genauso mit mir ging. Ich musste wieder an ihn denken als ich den Supermarkt verließ, um mit der nächsten Straßenbahn in die Stadt zu fahren. Noah und ich wollten uns dort treffen und ich war gespannt, was der Tag uns bringen wird. 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