Misfits: Herzkönig von Hushpuppy ({boyxboy}) ================================================================================ Kapitel 15: Die andere Seite ---------------------------- Am Mittwoch war Gaara wieder in der Schule und kam pünktlich zu Physik. Scheinbar konnte er nur in Kombination mit Kaito zu spät zum Unterricht kommen. Als sich Sam auf ihren Platz neben mich setzte, merkte ich sofort, dass sie immer noch sauer auf mich war. Sie fragte nicht „Na Bambi? Wie geht’s?“ und schenkte mir auch keinen einzigen Blick ihrer bernsteinfarbenen Augen. Noch bevor der Unterricht wirklich anfing, fasste ich mich ans Herz und sagte: „Tut mir Leid wegen Montag. Manchmal verkompliziere ich Sachen und denke zu viel darüber nach.“ „Ja und du hast keinerlei Selbstwertgefühl“, fügte Sam schroff hinzu. Die Aussage traf mich, weil sie stimmte. „Aber gut, ich bin nicht mehr sauer auf dich. Du hast eben überreagiert und ich kann es dir nicht einmal übel nehmen.“ „Noch etwas“, sagte ich leise. Aus dem Augenwinkel sah ich, dass Gaara aufmerksam zuhörte. Seine schmalen, grün-braunen Augen beobachteten mich und es bereitete mir eine Gänsehaut. „Nenn mich nie wieder Lukas.“ „Was?“ Samantha begann zu lachen. „Ich mag es nicht, wenn du mich beim Namen nennst“, gestand ich und lächelte schief während ich schon wieder rot wurde. „Ich soll dich immer Bambi nennen?“, fragte Sam nach und ich nickte. Auch Gaara lachte und das Mädchen sagte: „Bambi, du bist niedlich.“ Das hörte ich zum zweiten Mal in dieser Woche, aber nicht erst zum zweiten Mal in meinem Leben und das gefiel mir nicht besonders gut. Wenn es eine Sache gab, die Jungen nicht sein wollten, dann war es niedlich. Abgesehen davon, war ich noch nicht einmal niedlich. Bisher hatte ich nur einen niedlichen Jungen kennen lernen dürfen und das war Noah und der war wirklich niedlich. Die Stunde verlief ohne große Vorfälle. Nach der sechsten Stunde überlegte ich nach Hause zu fahren und den Rest des Tages zu schwänzen. Mittwoch Nachmittag hatte ich nur in der zehnten und elften Stunde Sport, dementsprechend drei Freistunden, in denen ich nichts zu tun hatte. In meinen Freistunden und in der Mittagspause verzog ich mich meistens auf den Spielplatz, der nicht weit von der Schule entfernt war, machte dort auf den Bänken Hausaufgaben und hörte Musik. Aber drei Stunden lang konnte ich mich damit auch nicht beschäftigen, außerdem wurde es dafür langsam zu kalt. Bereits nach einer Stunde fühlten sich meine Glieder steif und gefroren an. Hier in Berlin ging immer ein besonders starker Wind und er war eiskalt. Andererseits konnte ich jedoch nicht schon wieder Sport schwänzen, mir fehlten Noten und ich hatte schon so viele Fehlstunden, dass ich mir bei der Oberstufenleiterin Frau Beyl-Schüller eine neue Tabelle hatte holen müssen. Während ich so herum überlegte, ging ich auf den Schulhof und stieß beinahe mit Gaara zusammen. Noch rechtzeitig hielt der Junge mich mit einer Hand an der Schulter fest, damit ich ihn nicht über den Haufen lief, wobei ich vermutlich eher gegen ihn gerannt und nach hinten umgefallen wäre, denn er überragte mich um einige Zentimeter und ich wusste, dass sein Körper gezeichnet von Ansätzen von Muskeln waren. Wegen der Kälte trug er jedoch eine graue Winterjacke, die teuer aussah und seine braunen Haare waren von einer schwarzen Wollmütze verdeckt. Einige Strähnen fielen ihm verwegen auf die Stirn. Er sah gut aus. Meine Schulter, die er mit seiner Hand berührte, brannte süßlich. Ich war überrascht von diesem Gefühl und ging einen Schritt zurück und murmelte eine Entschuldigung, sofort ließ er mich wieder los, doch das Gefühl blieb noch eine Weile. Obwohl ich es mochte, erschreckte es mich, denn ich konnte es nicht unterordnen. Aber was wunderte es mich, dass ich Gefühle hatte, die ich nicht verstand, wo ich doch ohnehin so gut wie nichts in meinem Leben verstand. Ich war einfach immer so schrecklich verwirrt und wusste nicht einmal wieso. „Wohin geht’s?“, fragte Gaara. „Weiß nicht“, antwortete ich wahrheitsgemäß und der Junge lachte. Ich senkte den Blick und war froh, dass es so kalt war. Meine roten Wangen konnte ich auf den kalten Wind schieben, der mir fast die Kapuze vom Kopf wehte. „Dafür bist du aber ziemlich schnell gegangen“, sagte Gaara. Ich zuckte bloß mit den Schultern. Aus irgendeinem Grund konnte ich ihn nicht ansehen, dabei sah ich Gaara gerne hat. Ich mochte es, dass seine Wimpern so blass und dünn waren, dass man sie kaum sehen konnte und ich mochte seinen perfekten Nasenrücken und seine blutleeren, schmalen Lippen. Wenn Gaara schwarz trug, sah er aus wie ein Geist, denn dann wirkte seine Haut um ein vielfaches blasser. „Willst du vielleicht mitkommen? Ich wollte gerade in die Raucherecke und danach zurück in den Aufenthaltsraum von unserer Stufe. Du könntest ruhig mitkommen.“ Ich wollte gerne mit Gaara mitgehen, aber in der Raucherecke waren immer die Idioten. Ich war noch nie in der Raucherecke gewesen, doch ich wusste, dass sie groß war und vielleicht stand Gaara mit seinen Freunden weit genug von ihnen weg. Doch alleine die Aussicht darauf sie noch einmal sehen zu müssen, machte mir zu schaffen. „Ich weiß nicht“, murmelte ich. Sollte ich ihm meine Bedenken erzählen? Wenn doch laut Sam ohnehin alle wussten, dass ich gemobbt wurde? Nein. Gaara sollte mich nicht für so schwach halten. „Komm doch einfach mit“, sagte Gaara. „Wir werden dich schon nicht fressen.“ Im Grunde ließ er mir keine andere Wahl als mitzukommen. Ich folgte ihm über den windigen Schulhof und konnte kaum noch was sehen, weil mir mein Pony wie ein Vorhang die Augen verdeckte. Bisher hatte mir das gefallen, doch langsam sollte ich mein Pony wirklich schneiden. Das konnte unmöglich gut aussehen. Ich fragte mich in einem seltsamen Moment, ob Gaara es wohl gefallen würde, wenn ich mir die Haare schnitt. Warum sollte es mich interessieren, ob es Gaara gefiel? Ich schüttelte den Kopf und war schon wieder verwirrt. Die Raucherecke war überdacht und windgeschützt. Sie zog sich längs neben dem Schulhof entlang und ich stellte fest, dass die Idioten soweit weg standen, dass sie nicht einmal merkten, dass ich da war. In der Ferne konnte ich sie beobachten, doch sie würden mich nicht sehen, denn es waren so viele Oberstufenschüler in der Raucherecke, dass sie mich alle verdeckten. Gaara führte mich mitten in den Tumult. Fremde Menschen. Ich hasste es, aber einen Rückzieher würde ich bestimmt nicht mehr machen. Wenn es mir zu unangenehm wurde, konnte ich immer noch mit einer Ausrede verschwinden... meine Schwester! Ich musste meine kleine Schwester von der Schule abholen und ich hatte zwei Freistunden, die diese Geschichte logisch machten. Ja, genau diese Ausrede würde ich benutzen. Steinbänke standen an der Wand, die bis zum Dach reichte, daneben waren auf bloßen Eisenstangen, die aus dem Boden ragten überfüllte Aschenbecher platziert. Ich spürte die Blicke anderer Jugendlichen auf mir liegen, doch sie unterbrachen ihre Gespräche nicht. Überall war Lachen und Gaara brachte mich in einen etwas größeren Kreis aus Jugendlichen. Auf einer Steinbank saß Samantha neben einem Jungen mit kurzen Dreads, wie sie Genesis hatte, und einer Akustikgitarre in den Händen auf denen er bekannte Rocklieder spielte. „Uh, Bambi!“, erkannte mich Sam, der Junge hörte auf zu spielen und verneigte sich vor mir. „Guten Tag“, grüßte er freundlich. Er streckte eine Hand aus und ich ergriff sie verwirrt. Seit wann gab es so freundliche und gut erzogene Jugendliche? „Hi“, grüßte ich zurück. „Ich bin Kiaro“, stellte sich der Junge vor. „Lukas“, sagte ich leise. „Und du nennst ihn Bambi?“, fragte Kiaro an Sam gewandt, die eifrig nickte. „Und ich verrate dir was: Er will sogar, dass ich ihn so nenne, ich darf ihn auf gar keinen Fall bei seinem richtigen Namen ansprechen.“ Ich wurde schon wieder rot. Während sie alle hier zusammen standen und miteinander redeten, hielt ich mich die meiste Zeit aus den Gesprächen raus und stand nur schweigend neben Gaara, der eine Zigarette nach der anderen rauchte. Er war in der Sache so schlimm wie Genesis. Kiaro rauchte gar nicht und Sam teilte sich eine Zigarette mit einem Mädchen aus ihrer Stufe. Als sich die Gruppe ein wenig lichtete, weil einige wieder ins Gebäude gingen, fing Kiaro erneut an zu spielen und er war ein Zauberer auf der Gitarre. Seine Finger glitten über die Saiten und erzeugten sanfte Töne und Melodien, die in meinen Ohren pure Schönheit waren. Ich könnte ihm den ganzen Tag lang zu hören und dabei zu schauen, wie seine braunen Augen seine eigenen Finger beobachteten. Seine Haut war von einem gesunden braunen Farbton und sein Gesicht schmal und lang. Pferdegesicht, würden ihn vielleicht die Idioten nennen und sie würden ihn auslachen, weil er diese geflickte, braune Stoffhose trug und darüber ein kariertes Hemd, das ihm zu groß war. Seine Jacke war dunkel und mit weißem Fell gefüttert. Er sah in allen Punkten seltsam und cool aus und gehörte zu einer Art von Jugendlichen, die ich noch nicht kennen lernten durfte. Er war so anders. Vollkommen individuell. Wir blieben die gesamte Mittagspause hindurch, dann mussten wieder einige zum Unterricht unter anderem auch Sam, die von einer Doppelstunde Kunst Leistungskurs erwartet wurde. Gaara hatte ebenso wie Kiaro und ich und eine Hand voll anderer Jugendlicher ihrer Stufe zwei Freistunden. „Was hast du eigentlich für Leistungskurse, Lukas?“, fragte Kiaro als ich mich auf den freien Platz neben ihn setzte, auf dem vorher Sam gesessen hatte. „Deutsch und Geschichte“, antwortete ich. „Und du?“ „Deutsch und Mathe“, sagte er. „Aber ich hatte überlegt Geschichte zu nehmen, ich finde das Fach ziemlich interessant und auch sehr wichtig.“ Mir fiel ein, dass ich nicht wusste welche Leistungskurse Gaara hatte. Ich fragte den Jungen frei raus, der sich schon wieder eine neue Zigarette anzündete. Seine Packung neigte sich langsam ihrem Ende zu. „Englisch und Mathe“, antwortete Gaara knapp. „Igitt, Englisch“, verzog ich das Gesicht. Gaara und Kiaro lachten. Die anderen Jugendlichen hatten sich ihren eigenen Gesprächen zugewandt und ließen uns in Ruhe. Darüber war ich froh. „Das war tatsächlich ein Fehler“, gab Gaara zu. „Aber es liegt weniger am Fach und mehr an der Lehrerin. Wir nennen sie den Endgegner.“ „Aber nichts geht über unsere Lehrerin im Geschichte Grundkurs“, sagte Kiaro und klimperte dabei auf seiner Gitarre die Weiße Hai – Musik. „Die rote Furie.“ Gaara tat als müsse er schaudern. Wir unterhielten uns noch eine Weile über Lehrer und den Unterricht, bis Gaara sich wieder eine neue Zigarette anzündete und es mich nervte. „Deine wievielte ist das jetzt?“, fragte ich und versuchte beiläufig zu klingen. „Keine Ahnung“, zuckte Gaara die Schultern. „Du rauchst ziemlich viel“, stellte ich fest. „Zu viel“, sagte Gaara und setzte dabei dieses Grinsen auf, das mir so gut gefiel. Dabei sah er so verschlagen und frech aus, dass man ihm gerne eine Backpfeife verpassen würde und gleichzeitig stand ihm das Grinsen so gut, dass es mich in seinen Bann zog. „Aber wirklich“, murmelte ich. „Irgendwann hast du Lungenkrebs und stirbst dran und dann wünschst du dir, du hättest nicht so viel geraucht.“ „Du klingst wie Sam“, sagte Gaara und lachte. „Ja aber sie hat doch Recht, wenn sie dasselbe sagt!“ Ich klang zu heftig, das wusste ich als ich Gaaras verdutzten Gesichtsausdruck sah. Und ganz sicher wusste ich es als er fragte: „Warum interessiert es dich, ob ich irgendwann an Lungenkrebs sterbe?“ Weil ich dich mag. „Ich weiß nicht.“ Ich zuckte die Schultern und versuchte wieder beiläufig zu klingen. Ja, mir war es total egal wie es Gaara ging, ich kannte ihn schließlich kaum. Um schnell das Thema zu wechseln, fragte ich nach Noah und Kaito. Etwas, was mich ohnehin interessierte. „Sind beide krank“, antwortete Gaara knapp. Ich wagte nicht zu fragen, was sie hatten, denn seine Antwort hatte den 'Das geht dich nichts an' – Unterton. „Gehen wir nach der Zigarette rein? Ich erfriere so langsam.“ „Können wir machen“, sagte Kiaro und ich stimmte ebenfalls zu. Als ich mich umwandte, erkannte ich die Idioten von der Raucherecke weggehen und Michael sah mich. Er stupste die Anderen an und sie alle sahen herüber und mich neben einem Jungen sitzen, den sie überhaupt nicht kannten und der mit seinen Dreads und seiner Gitarre so cool rüber kam und mit Gaara. Ich wusste nicht, was mich plötzlich überkam, doch ich setzte ein breites Lächeln auf und winkte den Idioten. Von ihren verwirrten, unbeholfenen Blicken hätte ich ein Foto machen und es überall herum schicken sollen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)