Geheimnisse eines Stars von Atina ================================================================================ Kapitel 1: Akt 1 ---------------- Berlin, 30.Juli Die Konzerthalle war ausverkauft. Die Fans der Girlband Laverna sangen die Lieder mit oder schwenkten LED-Stäbe über ihren Köpfen. Knapp zwei Stunden ging das Konzert nun schon und die Fans bekamen nicht genug. Die letzten Klänge des Songs verhallten und der Vorhang schloss sich. „Zugabe! Zugabe! Zugabe!“ Die Rufe des Publikums wurden immer lauter. Die drei Sängerinnen nickten sich zu und gingen auf ihre Positionen. Der Vorhang öffnete sich erneut und ohrenbetäubendes Jubeln schlug ihnen entgegen, als die Melodie ihres Abschlussliedes erklang. Ich machte Fehler und glaubte, du wüsstest es nicht. Ich machte Fehler und tat dir damit weh. Ich habe gehört, dass Liebe alles vergibt. Ich habe gehört, dass Liebe alles vergisst. So please don’t go, don’t let me alone. Please turn around And stay, stay the night. Ich hätte dir davon erzählen müssen, ich hätte es dir nicht verschweigen dürfen. Doch ich konnte nicht, es hätte dir zu weh getan. Aber nun habe ich dein Herz gebrochen. Der Vorhang schloss sich zum zweiten Mal und langsam ebbte der Applaus ab. Ada Richardson griff nach dem Handtuch, das hinter der Bühne auf einem Hocker lag, und trocknete sich das Gesicht damit ab. Anna Cooper und Rachel Adams nahmen einen Schluck aus ihren Wasserflaschen. „Wieder mal ein super Konzert.“ „Ja, die Fans waren heute richtig gut drauf“, meinte Anna. Die Drei gingen in ihre Garderobe, zogen sich um und verließen die O2-Arena, eine der großen Konzert- und Eventhallen Berlins, über den Mitarbeiterausgang. Es warteten noch einige Fans auf sie, die ein Autogramm ergattern wollten, und sie erfüllten diesen Wunsch nur zu gern. Mit einem Wagen wurden sie zu ihrem Hotel gebracht. „Wollen wir uns noch eine Weile in die Hotelbar setzen?“ „Gern. Etwas entspannen vor dem Schlafen gehen, kann ja nicht schaden.“ Die Bar befand sich im Erdgeschoss des Hotels und war trotz der späten Uhrzeit noch gut besucht. Sie fanden jedoch noch einen gemütlichen Platz in einer ruhigeren Ecke, eine grüne Ledercouch und passende Sessel luden zum langen Verweilen ein. „Ich weiß noch, wie ich früher mit meinen Schulfreunden Cocktails trinken war. Man konnte in Ruhe reden und lachen.“ „Ja, das waren noch Zeiten als man nicht erkannt wurde.“ „An sich ist es ja schön, wenn die Fans uns begrüßen und uns zeigen, dass sie uns toll finden. Aber gerade wenn man etwas Ruhe braucht und ausspannen möchte, kommen sie in Scharen auf einen zu.“ „Ich hoffe, dass es im Urlaub nicht ganz so schlimm wird. Ich habe mir extra eine eher unerschlossene Insel der Malediven ausgesucht“, meinte Anna. „Na ja, und im Notfall helfen auch schon einmal Sonnenbrille und Kopftuch.“ Kurz nach Mitternacht machten sich die Drei auf den Weg in ihre Zimmer. Sie lagen alle nebeneinander im zehnten Stockwerk. „Wann wollen wir uns morgen zum Frühstück treffen?“ „Der Flug geht um 12.30 Uhr. Das heißt, wir sollten gegen zehn hier aufbrechen. Frühstück also um halb neun?“, meinte Ada. „Klingt gut.“ „Okay, dann bis morgen. Schlaft gut.“ „Du auch.“ „Gute Nacht.“ Es war bereits zwei Uhr nachts, als Ada sich noch einmal auf den Weg machte. Sie verließ das Hotel über den Hinterausgang, wodurch sie sich erhoffte, weniger Aufmerksamkeit zu erregen. Sie fuhr mit den öffentlichen Verkehrsmitteln nach Wannsee hinaus, in den Süden Berlins. Leichtfüßig lief sie durch das Villenviertel, bis sie die richtige Villa gefunden hatte. Sie eilte die Steinmauer entlang, die das Grundstück umrundete und kletterte auf einen Baum, dessen Krone über die Mauer ragte. Gekonnt sprang sie von dem Ast auf den Rasen und rollte sich ab. Sie wusste, dass es keine Kameras oder anderweitige Sicherheitsvorkehrungen gab und schlich sich im Schatten der Nacht zur Terrasse. Aus der Gürteltasche, die sie trug, nahm sie einen Glasscheider und schnitt damit ein kreisrundes Loch in die Scheibe der Terrassentür. Vorsichtig legte sie das Stück auf dem Fußboden ab, griff durch das Loch und drückte die Türklinke hinunter. Keine Alarmanlage ging los. Sie atmete kurz auf und betrat dann das Haus. Die Bewohner waren nicht zuhause. Laut ihren Informationen befand sich der Safe im Arbeitszimmer im Obergeschoss. Vorsichtig und auf jede Bewegung bedacht lief sie die Treppe hinauf und öffnete die erste Tür auf der linken Seite. Vor ihr lag das Arbeitszimmer. Hinter einem großen Mahagoni-Schreibtisch hing ein Gemälde, das eine Sommerlandschaft an der französischen Küste darstellte. Sie griff nach dem Rahmen und hob das Bild von den beiden Nägeln, auf denen es hing. Dahinter kam ein Safe zum Vorschein. Mit flinken Fingern und einem guten Gehör bekam sie innerhalb weniger Minuten die Kombination heraus und öffnete die Safetür. In einem blauen Samtsäckchen, in das sie zur Sicherheit vorher hineinsah, befand sich das Objekt, das sie gesucht hatte. Die Akten und der Schmuck interessierten sie nicht. Sie schloss die Tür, hing das Bild davor und verließ das Haus so leise wie sie gekommen war. Mit etwas Anlauf überwand sie die Mauer und machte sich auf den Rückweg zum Hotel. Berlin, 31.Juli „Guten Morgen, Berlin! Es ist acht Uhr und hier sind die aktuellen Nachrichten…“ Die gut gelaunte Stimme des Radiomoderators weckte Ada aus einem tiefen, traumlosen Schlaf. Halb fünf war sie erst wieder zurück gewesen. Gegen ihre Gewohnheit blieb sie noch fünf Minuten liegen, schlug dann die Bettdecke zurück und stand auf, um in das Badezimmer zu gehen und zu duschen. Sie war gerade fertig angezogen, als es an der Tür klopfte. Rachel und Anna standen davor. „Bist du fertig?“ „Ja, einen Moment. Meine Strickjacke und meine Tasche brauche ich noch“, meinte Ada, holte die Sachen vom Stuhl und verließ ihr Hotelzimmer. Gemeinsam liefen die Drei die fünf Stockwerke ins Erdgeschoss hinunter und betraten den Speisesaal. Sie suchten sich einen freien Tisch, bevor sie sich am reichhaltigen Frühstücksbuffet bedienten. „Wo fliegen wir heute nochmal hin?“ „Nach London. Dass du das nicht weißt, wo es doch unser letztes Konzert dieser Tour ist.“ „Stimmt. Danach haben wir endlich mal drei Wochen Urlaub“, sagte Rachel. Plötzlich klingelte Adas Handy. „Entschuldigt mich bitte kurz.“ Sie stand auf und verließ den Speisesaal, bevor sie den Anruf annahm. „Was gibt’s? … Ja, gestern lief alles gut. Ich habe es geschafft. … Wo ist der neue Übergabeort? … Okay, ich werde da sein. … Ein neuer Auftrag? … Eine Party, das ist natürlich die Gelegenheit. Ich werde versuchen, die beiden dazu zu überreden. … Na klar, das bekomme ich hin. Kennst mich doch. … Gut, dann bis demnächst.“ Ada legte auf und ging zurück zu ihren Freundinnen, die nichts von ihrem Doppelleben wussten. „Was sagt ihr dazu, wenn wir nach dem Konzert heute Abend noch zwei oder drei Tage länger in London bleiben, uns etwas die Stadt ansehen und gemeinsam die ersten Urlaubstage genießen?“, fragte sie, als sie sich setzte und nach der Kaffeetasse griff. „Eigentlich hatte ich meinen Eltern gesagt, dass ich nach der Tour sofort nach Hause komme.“ „Ach komm schon.“ „Warum möchtest du das unbedingt?“ „Erst mal würde ich auch gern mal einige Tage ganz in Ruhe, ohne Stress mit euch verbringen und zum zweiten wurden wir auf eine Party eingeladen“, erklärte Ada. „Was denn für eine Party?“ „Na ja, das ist so. Ein Partygirl aus der High Society Londons findet uns ganz toll und sie feiert morgen ganz groß ihren 25.Geburtstag. Eine Freundin von ihr hat gefragt, ob wir sozusagen als Überraschung für sie auftreten wollen. Wir könnten uns dann dort amüsieren und vorher eben ein paar Songs zum Besten geben. Bitte sagt ja…“ Sie sah die beiden mit einem bettelnden Blick in den Augen an und wusste sofort, dass es funktionierte. „Meinetwegen. Ich wollte schon immer mal den Tower of London sehen“, sagte Anna. „Rachel?“ „Okay, ich bin dabei.“ „Super, danke schön!“ Nach dem Frühstück holten die Drei ihre Sachen aus ihren Zimmern, checkten an der Hotelrezeption aus und ließen sich ein Taxi rufen. Wieder stiegen sie in ein Taxi, das sie zum Flughafen Berlin-Schönefeld brachte, wieder stiegen sie in ein Flugzeug, das sie in eine fremde Stadt brachte, wieder würden sie in einem Hotel übernachten, das völlig unpersönlich war. Das Prozedere war ihnen bereits in Fleisch und Blut übergegangen, Koffer abgeben, Bordkarten vorlegen, am Gepäckband warten, Personalausweise zum Einchecken im Hotel vorlegen und nebenbei immer Autogramme schreiben für die Fans, die sie erkannten. Die Blitzlichter der Fotoapparate der Journalisten hatten sie gelernt auszublenden. London, 31.Juli In London Heathrow gelandet ließen sich die Drei gleich zur Konzerthalle bringen, während ihr Gepäck ins Hotel gefahren wurde. Sie wollten den Soundcheck durchführen, bevor sie ein vorerst letztes Interview geben sollten. Reporter: Ihr gebt heute euer letztes Konzert. Wie fühlt ihr euch dabei? Anna: Es ist schade, dass die Tour vorbei ist, aber wir sind auch froh, dass wir jetzt ein paar Tage frei haben werden. Reporter: Werdet ihr in den Urlaub fahren? Rachel: Jeder hat seine eigenen Pläne. Ich fahre nach Hause, meine Eltern und Freunde besuchen. Anna: Das mache ich zunächst auch, aber der Urlaub ist bereits gebucht. Reporter: Darf man fragen, wo es hingeht. Anna: Man darf, aber braucht keine Antwort erwarten. Ich möchte ja schließlich meine Ruhe haben. Reporter: Ada, was machen Sie denn in der freien Zeit? Ada: Ich bin noch unentschlossen. Wahrscheinlich werde ich an einem See ausspannen. Reporter: Was steht denn nach der Pause an? Neues Album oder andere Projekte? Ada: Wir werden wahrscheinlich ein neues Album aufnehmen. Rachel: Allerdings wissen wir noch nicht genau, wie es aussehen soll. Vielleicht bringen wir einige neue Musikrichtungen hinein, die wir bisher nicht angeschnitten haben. Anna: Rap, RnB, so etwas in der Art haben wir uns überlegt. Reporter: Das klingt gut. Wir freuen uns darauf. … Beruflich läuft alles glänzend. Wie sieht es aber im Liebesleben aus? Ada: Sie versuchen es immer wieder, oder? Wir haben doch gesagt, dass wir Fragen zu unserem Privatleben nicht beantworten werden. Reporter: Na ja, es hätte ja klappen können. Sie beendeten das Interview und begaben sich aus dem Besprechungszimmer der Konzerthalle in die Garderobe. Dort war ein kleines Buffet aufgebaut worden, an dem sich die Drei bedienten. Nach dem Essen und einer kurzen Entspannungsphase zogen sie sich für das Konzert um. Kurz nach halb neun betraten sie die Bühne, spielten ihre Show, begeisterten die Fans. Zu ihrem letzten Konzert gaben sie sogar zwei Zugaben, sehr zur Freude der Fans. London, 01.August Der nächste Morgen brach an und die aufgehende Sonne tauchte London in ein rötliches, helles Licht. Ada war bereits zeitig aufgewacht und stand nun im Morgenmantel auf dem Balkon des Zimmers. Mit einem sanften Lächeln auf den Lippen genoss sie den Anblick der erwachenden Stadt. Nur noch dieser eine Abend, nur noch ein Abend, an dem alles glatt gehen musste, dann hatten sie endlich frei. Zwar waren es nur drei Wochen, aber sie waren seit über einem halben Jahr in ganz Europa unterwegs. Immer nur in fremden Hotelzimmern, sie sehnte sich nach ihrem eigenen Bett. Nachdem Anna und Rachel ausgeschlafen waren, hatten sie sich in den Speisesaal zu einem ausgiebigen Frühstück begeben. „Was wollen wir bis heute Abend unternehmen?“ „Na, Sightseeing.“ „Das ist mir schon klar, aber wir können uns schließlich nicht alles an einem Tag ansehen.“ Ada, die ungern ohne Plan unterwegs war, hatte aus der Hotelmappe einen Stadtplan mitgenommen und sie entschieden sich für einige Punkte, die man unbedingt sehen musste. In einem der roten Doppeldeckerbusse fuhren sie in das Stadtzentrum und stiegen an den Haltestellen aus, die sie interessierten. Trafalgar Sqaure, Piccadilly Circus, Parlament mit dem Big Ben, St. Patricks Church, Westminster Abbey, Buckingham Palace und viele weitere Sehenswürdigkeiten. Das London Eye, das große Riesenrad am Ufer der Themse, besuchten sie am Nachmittag. Die Aussicht über London war überwältigend, denn in der sonst nebligen oder zumindest stark bewölkten Stadt schien die Sonne. Immer wieder wurden sie von Fans erkannt, die ihre Stimmbänder nicht schonten und aus voller Kehle kreischten. Sie schrieben Autogramme, posierten für Fotos, immer ein Lächeln auf den Lippen. Nach dem Sightseeing hatten sie noch etwa zwei Stunden Zeit, die sie für eine Shoppingtour nutzten, bei der sie etliche Kleidungsstücke erwarben. In einem kleineren Geschäft fand Ada ein knielanges, grünes Abendkleid aus Satin, das in der Taille eine diamantenartige Bestickung aufwies. Es gefiel ihr unglaublich gut und sie nahm es sofort mit. Ich werde es heute Abend tragen. Gegen 19 Uhr ließen sie sich von einem Taxi zurück ins Hotel bringen. „Wer genau ist eigentlich das Geburtstagskind, bei dem wir heute singen?“ Die Drei hatten sich in das Wohnzimmer der gemeinsamen Suite gesetzt und sich einen Kaffee auf das Zimmer bringen lassen. In etwa einer Stunde wollten sie zu der Feier aufbrechen, doch vorher noch einmal für einige Augenblicke die Beine hochlegen. „Ich habe mich bereits über sie erkundigt. An sich ist sie die Tochter eines reichen Vaters, hat aber eine eigene Modelinie herausgebracht, nachdem sie als Model ihre Karriere angefangen hatte“, antwortete Ada. „Okay. Können wir uns also auf ein verwöhntes Modepüppchen einstellen.“ „Wer weiß, vielleicht ist sie ganz nett.“ Die Feier war bereits in vollem Gange und die riesige Geburtstagstorte wurde eben angeschnitten, als ein Tumult im Foyer entstand. „Was ist denn los?“, wollte Judy wissen und legte das Messer beiseite. „Laverna sind hier!“ „Wie? Wirklich?“ Die Gastgeberin konnte es nicht fassen und lief mit schnellen Schritten zu der Stelle, an der sich bereits etliche Gäste versammelt hatten. Und wirklich, dort direkt vor ihr standen die Mädchen ihrer Lieblingsband. Als Ada das Geburtstagskind entdeckte, stimmt sie Happy Birthday an, Rachel und Anna setzten mit ein. „Wir wünschen dir alles, alles Gute zu deinem Geburtstag und hoffen, die Überraschung ist gelungen“, sagte Anna zu Judy, während der Applaus für den Song langsam abebbte. „Ich freue mich so wahnsinnig, dass ihr hier seid. Das ist wirklich unglaublich! Darf ich euch umarmen?“ Lachend stimmten die Drei zu. Danach ließen sie Judy zunächst die Torte weiter verteilen, bevor sie einige ihrer eigenen Songs zum Besten gaben. „Das ist das schönste Geschenk, das ich bekommen konnte. Ihr bleibt doch noch, oder?“ „Gern, wir haben nichts weiter vor“, sagte Rachel. „Und nach unserer Europatour haben wir uns eine tolle Party wie diese verdient.“ „Fühlt euch wie zuhause.“ An der Wand neben dem großen Tisch, der für Geschenke gedacht war und sich langsam aber sicher füllte, lehnte ein junger Mann, ein ehemaliger Schulfreund von Judy. Er hatte die Neuankömmlinge interessiert betrachtet, er kannte diese Mädchen oder ihre Band nicht, fand es allerdings faszinierend, welche Euphorie sie auslösten. Die drei Mädchen, oder eigentlich ja die drei, jungen Frauen, waren hübsch, jede auf eine eigene, besondere Art und Weise. Sein Blick blieb aber bei der jungen Frau im grünen Kleid hängen, immer wieder musste er zu ihr hinüber sehen. Die nächsten zwei Stunden amüsierten Ada, Rachel und Anna sich mit Judy und ihren Gästen, erzählten von den Pannen, die auf der Tour passiert waren, schrieben auch einige Autogramme. In einem passenden Moment, Rachel gab gerade eine ihrer Geschichten zum Besten und alle Umstehenden lauschten ihr aufmerksam, stahl Ada sich aus der Gruppe. Ohne sich noch einmal umzusehen, lief sie die Stufen zum ersten Obergeschoss hinauf. Schlendernd betrachtete sie die Bilder und Gemälde im Flur, während sie sich langsam dem Arbeitszimmer näherte. Sie öffnete die Tür und schaltete das Licht an, bevor sie weiter in den Raum trat. Die Tür ließ sie einen relativ großen Spalt offen. „Was tun Sie hier?“ Ada drehte sich überrascht um. „Ich wollte mir die Gemälde in diesem Zimmer ansehen. Judy hatte erzählt, dass ihr Onkel einen echten Picasso in seinem Arbeitszimmer hat und davon wollte ich mich selbst überzeugen. Ich weiß, ich hätte vorher fragen sollen“, antwortete sie mit fester, unschuldig klingender Stimme. Sie war selbst überrascht von sich, saß ihr der Schreck doch tief in den Knochen. Warum hatte sie ihn nicht kommen gehört? „Der Picasso ist wirklich wunderschön. Manchmal ist es mir unerklärlich, wie ein einziger Mensch solch ein Genie auf einem Gebiet sein kann“, sagte der junge Mann, der sich inzwischen neben sie gestellt hatte. „Ich wäre froh, wenn ich nur einen Bruchteil seines Talentes hätte.“ „Aber Sie können doch wunderschön singen. Sie haben jeden Ton perfekt getroffen, während Ihre Kolleginnen zwei oder drei Mal daneben lagen.“ „Das haben Sie gehört?“ „Auch wenn ich selbst wahnsinnig unmusikalisch bin, so habe ich doch ein absolutes Gehör“, erläuterte der junge Mann. „Entschuldigen Sie bitte, ich habe mich noch gar nicht vorgestellt. Mein Name ist Lucas Holmes.“ Er reichte ihr die Hand und lächelte. „Sehr erfreut, Ada Richardson. … Und das Holmes so wie Sherlock Holmes?“ „Ja, genau.“ „Entschuldigen Sie, das bekommen Sie sicher nicht zum ersten Mal zu hören.“ „Aber wissen Sie, was das Lustige daran ist? Ich wohne wirklich in der Baker Street.“ Beide mussten lachen und gemeinsam verließen sie das Arbeitszimmer. „Darf ich Sie auf einen Drink einladen?“ „Gern, aber Ihnen ist doch klar, dass eigentlich Judy mich einlädt.“ „Schon, aber wir können ja einfach so tun als ob“, erwiderte Lucas und zog sie mit seinem charmanten Lächeln in seinen Bann. Sie setzten sich an die Bar und er bestellte für sie beide, einen Pina Colada für Ada und einen Cuba Libre für sich. „Woher wussten Sie, dass ich auf Kokos stehe?“ „Reine Intuition, Sie sahen irgendwie so aus. Genauso süß wie dieser Cocktail.“ „Vielen Dank“, sagte sie und ihre Wangen verfärbten sich leicht. Er ließ sie doch tatsächlich ihren Auftrag vergessen. „Und wie ist es so, berühmt zu sein?“ „Es kann wirklich anstrengend sein. Ständig ist man an einem anderen Ort, gestern haben wir hier in London ein Konzert gegeben, vorgestern waren wir noch in Berlin.“ „Man kommt also in der Welt herum.“ „Aber man sieht nicht besonders viel davon. Man ist ja ständig nur auf Konzerten, bei Interviews, am Songs aufnehmen oder am Video drehen“, meinte Ada. „Das klingt ja nicht so toll. Viel Arbeit…“ „Das schon, aber wenn man dann die begeisterten Fans sieht oder Fanpost liest, weiß man, dass sich die ganze Arbeit gelohnt hat. Einfach nur, weil man jemanden glücklich gemacht hat.“ Ihr ganzes Gesicht begann zu strahlen und er konnte die Augen nicht mehr von ihr lassen. Eine Haarsträhne war ihr ins Gesicht gefallen und am liebsten hätte er sie zurückgestrichen. Ich möchte sie küssen, einfach nur ihre Lippen berühren, ihre Wärme und Sanftheit spüren. „Ist alles in Ordnung?“, fragte sie. Er schüttelte die Gedanken ab. „Ja, warum nicht?“ „Na ja, Sie sahen so abwesend aus.“ „Ich habe mich einfach nur in Ihren Augen verloren.“ „Wo ist eigentlich Ada?“ „Ich habe sie auch schon eine Weile nicht mehr gesehen“, meinte Anna und begann sich umzusehen. Der große Saal war voller Menschen, die sich unterhielten, lachten oder zu der Musik des DJs tanzten. Die Beleuchtung war abgedunkelt, weshalb es etwas länger dauerte, bis sie beiden ihre Freundin an der Bar entdeckten. „Sie hat ja gesagt, wir sollen uns amüsieren“, sagte Rachel. „Warum sollte sie es also nicht auch tun?“ „Aber ganz ehrlich, den Typen hätte ich auch nicht ignoriert.“ Anna begann zu grinsen und brachte Rachel damit zum Lachen. „Na los, holen wir uns noch etwas zu trinken.“ „Entschuldigen Sie mich bitte kurz.“ „Selbstverständlich. Solange Sie mir versprechen wieder zu kommen.“ „Liebend gern. Aber ich muss jetzt wirklich telefonieren“, erwiderte Ada. „Doch aber hoffentlich nicht mit Ihrem Freund.“ Sie musste lachen. „Nein. Nur mit einem Bekannten.“ Immer noch mit einem Lächeln auf den Lippen verließ sie den großen Saal und begab sich in den Garten. Mit schnellen Schritten, aber doch darauf bedacht, dass niemand sie sah, lief sie um das Haus und suchte nach einer Möglichkeit, anderweitig in das Obergeschoss zu gelangen. An der Hauswand an der Seite fand sie ein Holzgitter, an dem Efeu rankte. Ein Balkon lag am oberen Ende. Ada raffte ihr Kleid zusammen, fixierte es mit einer großen Haarspange und begann an dem Gitter hinaufzuklettern. Sie schwang sich über die Brüstung des Balkons und stellte mit Entzücken fest, dass die Tür offen stand. Sie lief zügig durch das Schlafzimmer zum Flur und dann zurück in das Arbeitszimmer. Dieses Mal ließ sie das Licht ausgeschaltet, ihr Handydisplay war hell genug, um sich zu orientieren. Der Safe befand sich nicht hinter einem Gemälde, wie es zumeist der Fall war, sondern im Schreibtisch. Sie öffnete die Holztür, fingerte dann geschickt an dem Zahlenrad herum und öffnete den Safe damit in einer Rekordzeit. Schnell schnappte sie sich das blaue Samtsäckchen, brachte alles in den Ausgangszustand und ging zurück, wie sie gekommen war. Bevor sie sich zurück in den großen Saal begab, schaute sie im Gäste-Badezimmer vorbei, richtete die Frisur, strich das Kleid glatt. Ein letzter Blick in den Spiegel, bei dem sie sich selbst zuzwinkerte, dann machte sie sich auf den Weg zurück zur Bar. „Da sind Sie ja wieder.“ „Ich hoffe, ich habe Sie nicht zu lang allein gelassen“, erwiderte Ada charmant und nahm einen Schluck von ihrem Cocktail. „Keineswegs.“ Der Abend nahm seinen Lauf. Die Party war immer noch in vollem Gange, auch wenn sich einige Gäste bereits verabschiedet hatten. Es war bereits nach ein Uhr, als auch Rachel und Anna zurück ins Hotel wollten. „Ada, wir haben ein Taxi bestellt. Es wird gleich hier sein. Kommst du mit?“, Rachel war zu Ada an die Bar getreten. „Ja, ich komme mit“, antwortete sie ihrer Freundin. „Okay.“ Rachel ging zurück zu Anna, um sich die Jacken von der Garderobe holen, während Ada vom Barhocker rutschte und ihre Handtasche von der Bar nahm. Lucas sah sie mit einem Lächeln an, das jedoch einen traurigen Eindruck machte. „Der Abend hat mir wirklich sehr gefallen.“ „Mir auch. Vielen Dank für Ihre Gesellschaft“, bedankte sich Ada und reichte ihm die Hand. „Werden wir uns wiedersehen?“ „Nun, mich sieht man ziemlich oft im Fernsehen oder in Zeitschriften.“ „Wenn ich nur sagen könnte, dass mir das ausreicht.“ Immer noch hielt er ihre Hand, nur ungern wollte er sie loslassen, doch auch Ada zeigte kein Bedürfnis, sie ihm zu entziehen. „Ada, kommst du? Das Taxi ist da!“, rief Rachel ihr zu. „Ich muss jetzt los.“ „Ich weiß. … Auf Wiedersehen.“ „Ja, hoffentlich auf Wiedersehen“, sagte Ada, zog ihre Hand sanft aus seiner und ging. Mit einem verträumten Blick sah er ihr hinterher, bis sie aus der Tür war. „Lucas.“ Jemand legte seine Hand auf seine Schulter. „Judy“, sagte er überrascht. „Du bist doch sonst nie so lang auf meinen Partys. Hast du etwa jemanden gefunden, der dich die Zeit hat vergessen lassen?“ „Ehrlich gesagt, ja.“ „Na, dann solltest du dir das Mädchen schnappen. Du brauchst auch mal etwas Privatleben, du lebst ja fast nur für deine Arbeit.“ „Ich glaube nicht, dass ich sie wiedersehe. Und selbst wenn, sie ist unerreichbar.“ Kapitel 2: Akt 2 ---------------- New York, 22.August Die drei freien Wochen vergingen wie im Flug und in den nächsten Wochen und Monaten wollten Ada, Rachel und Anna ihr neues Album aufnehmen und auf Promotiontour dafür gehen. Das erste Tonstudio, das sie aufsuchen wollten, befand sich in New York, wo sie sich nach dem Urlaub wiedertrafen. In New York Concrete jungle where dreams are made, oh There’s nothing you can’t do Now you’re in New York These streets will make you feel brand new Big lights will inspire you Let’s hear it for New York, New York, New York Anna trällerte den Song von Jay-Z und Alicia Keys vor sich hin, während sie durch die Straßen schlenderten. Vom Hotel aus war das Tonstudio nicht weit entfernt und bei dem regen Verkehr, der sich nur langsam durch die Straßen schob, hatten sie beschlossen zu laufen. „Wie habt ihr eigentlich eure freie Zeit verbracht?“ „Ich war auf den Malediven, das war traumhaft schön. Schneeweiße Strände, türkisblaues Meer und leckere Cocktails und Männer.“ „Anna war also auf Männerfang. Hast du wenigstens jemand gefunden?“ „Na ja, geflirtet schon, aber mehr auch nicht“, meinte sie. „An sich schade.“ „Das glaube ich dir. Dass ich das letzte Mal eine Beziehung hatte, ist schon ewig her. Uns fehlen einfach die Männer in unserem Leben.“ „Du sagst es, Schwester!“, sagte Rachel und hielt Ada ihre Hand hin, in die ihre Freundin einschlug. „Ist eigentlich etwas aus dem Typen von dieser Geburtstagsparty geworden?“ „Wen meinst du?“ „Na, der Typ, mit dem du die ganze Zeit an der Bar saßt. Was ist aus ihm geworden?“ „Was soll geworden sein? Wir haben keine Nummern ausgetauscht oder so.“ „Was? Wie konntest du so dumm sein? Er war ja mal der heißeste Typ, den ich je gesehen habe. Wenn du nicht schon mit ihm geflirtet hättest, hätte ich ihn mir geschnappt“, meinte Anna. Ada sah sie halb entsetzt, halb belustigt an. „Meinst du das ernst?“ „Selbstverständlich. Oh, ich könnte dich ohrfeigen für diese Dummheit!“ „Reicht es, wenn ich dir sage, dass es mir leid tut?“ „Nicht wirklich…“ „Ich habe es doch selber bereut, aber wie hätte es etwas werden können? Er lebt in London und ich bin ständig in der Weltgeschichte unterwegs.“ „Wenigstens siehst du deinen Fehler ein“, meinte Anna und stupste sie lachend in die Seite. Fünf Minuten später trafen sie im Tonstudio ein, in dem die Crew bereits auf sie wartete. Die ersten Tage verbrachten sie mit Songschreibern und Komponisten, die Songs für sie geschrieben hatten, welche nun aber nach den Wünschen der Band umgearbeitet wurden. Dann begannen die ersten Aufnahmen. New York, 28.August Es war am Ende der ersten Woche, fünf neue Songs waren bereits aufgenommen. Ada, Anna und Rachel sowie die Mitarbeiter des Tonstudios saßen im Pausenraum zu einer Mittagspause, sie hatten sich Pizza und Pasta von einem Restaurant in der Nähe bringen lassen. Plötzlich klopfte jemand an den Türrahmen. Alle sahen auf. „Was tun Sie denn hier? Interessieren Sie sich etwa doch für unsere Musik?“, fragte Ada überrascht, als sie Lucas im Türrahmen des Pausenraumes stehen sah. In New York hatte sie nun absolut gar nicht mit ihm gerechnet, geschweige denn ihn überhaupt je wieder zu sehen. „Wie man es nimmt.“ Er trat in den Raum und sie stand auf, um ihn zu begrüßen. „Aus welchem Grund sind Sie denn dann hier?“, fragte Ada und zog ihn wieder hinaus in den Flur. Hatte sie doch die neugierigen Blicke und Ohren der Anwesenden im Nacken. „Nun ja, meine Mutter spielt am Broadway in einem Musical. Sie hat mir zwei Karten zugeschickt und nachdem ich den Zeitungen entnehmen konnte, dass Sie ebenfalls in der Stadt sind, wollte ich fragen, ob Sie Lust hätten, mit mir hinzugehen.“ „Ist das Ihr Ernst?“ „Sehe ich aus, als würde ich scherzen?“ „Eigentlich nicht“, antwortete Ada lächelnd. „Gehen Sie nun mit mir hin? Heute Abend?“ „Sehr gern.“ Kurz vor 19 Uhr betrat Lucas die Hotelhalle. Er sah sich um, doch Ada war noch nicht da. Ich bin ja auch zu zeitig hier. Er setzte sich auf eines der dunkelgrünen Sofas und schaute sich im Foyer um. Die Rezeption war mit zwei Mitarbeitern besetzt, einer telefonierte, während der andere mit einem Gast sprach. Ein Page rollte mit einem goldfarbenen Kofferwagen zum Personalfahrstuhl, um sie den angereisten Gästen auf die Zimmer zu bringen. Geschäftsmänner mit schwarzen Aktenkoffern und Damen mit vielen Einkaufstüten der erlesensten Geschäfte durchschritten die Halle. Als sich die Fahrstuhltür öffnete und Ada in die Halle trat, verschlug es ihm den Atem. Sie sieht fantastisch aus. Lucas stand auf und ging ihr entgegen. „Hallo.“ Sie lächelte. „Hallo.“ „Sie sehen wunderschön aus!“ „Vielen Dank. … Aber wollen wir uns nicht vielleicht duzen? Das Sie wird langsam merkwürdig.“ „Einverstanden.“ Er reichte ihr seinen Arm und sie hakte sich nur zu gern unter. Selbst in dem Vier-Sterne-Hotel erregten sie Aufmerksamkeit, er in seinem eleganten schwarzen Anzug und sie in ihrem bodenlangen, blass rosafarbenen Chiffonkleid. Bewundernde und auch neidische Blicke folgten ihnen. Sie fuhren mit einem Taxi zum Broadway. Ada stieg aus und betrachtete staunend den Time Square mit seinen vielen Lichtern, Reklametafeln und Menschen. „Wow!“ „Und ich dachte, als Weltstar kann man nicht mehr beeindruckt werden“, sagte Lucas. Gemeinsam liefen sie zu dem Theater hinüber. Lucas legte die Karten am Einlass vor und sie betraten das Gebäude. Bis zur Vorstellung war noch Zeit, weshalb sie durch das Gebäude schlenderten und sich einen Drink an der Bar gönnten. „Du weißt ja nun schon einiges über mich, aber ich weiß so gar nichts über dich.“ „Reicht es dir etwa nicht aus, meinen Namen zu kennen und zu wissen, dass ich in der Baker Street wohne?“, fragte Lucas und grinste sie schelmisch an. „Na ja, ein paar Infos mehr könnten nicht schaden.“ „Nun gut, was möchtest du gern wissen.“ „Was würdest du auf eine einsame Insel mitnehmen?“ „Ist das dein Ernst?“ Lucas sah sie fragend an, doch sie nickte nur. „Ich würde zwei Gläser einpacken, eine Flasche Sekt oder Champagner und dich.“ „Und wie würdest du uns ernähren?“, fragte sie weiter und musste über seine Antwort schmunzeln. „Wenn es eine tropische Insel ist, gibt es sicher Ananas und Kokosnuss. Fisch bekommen wir aus dem Meer. Klingt doch gut, oder nicht?“ „Ja, das klingt fantastisch.“ Der erste Gong riss die beiden aus ihrem Gespräch, die Zeit war wie im Flug vergangen. „Na, dann lass uns mal auf unsere Plätze gehen.“ Sie betraten den Zuschauersaal, begaben sich auf ihre Plätze in der fünften Reihe und wenige Minuten später begann bereits die Vorstellung. Lucas sah während des Stücks immer wieder zu Ada, beobachtete ihr Gesicht. Die Freude, die Überraschung, die Rührung – jede Regung nahm er wahr und freute sich darüber. Sie sieht so schön aus, wenn sie sich freut. Zum Glück konnte ich sie wieder treffen. „Hallo Mutter!“ „Lucas, schön, dass du kommen konntest. Hat es dir gefallen?“ „Ja, ging schon.“ „Lucas!“, erwiderte seine Mutter empört und stemmte die Arme in die Seite. „Es war wirklich wunderschön. Sie waren fantastisch!“ Ada war vorgetreten und versuchte, die Situation zu beruhigen. „Vielen Dank“, sagte sie und sah ihren Sohn fragend an. „Darf ich vorstellen, das ist Ada Richardson, sie ist Mitglied der Band Laverna.“ „Oh wirklich? Die Musik gefällt mir. Nett, Sie kennen zu lernen.“ „Ebenso. Das Stück ist wirklich toll gewesen.“ „Hörst du, Lucas? Solche Komplimente möchte ich hören!“ Er verdrehte nur die Augen und erwiderte: „Dafür habe ich dir einen Strauß Rosen schicken lassen.“ „Ich weiß, danke.“ Stolz küsste sie ihn auf die Wange. Lucas hatte Ada zum Hotel begleitet und als sie in der großen Empfangshalle standen, wollte sie sich nur ungern von ihm verabschieden. „Hast du vielleicht noch Lust auf einen Drink in der Hotelbar?“ „Gern.“ Sie stiegen in den Fahrstuhl und fuhren in die oberste Etage des Hotels, in welcher sich die Bar befand. Die beiden fanden einen freien Zweiertisch direkt am Fenster und setzten sich. „New York bei Nacht sieht einfach fantastisch aus.“ „Man kann sich fast nicht satt sehen. Bist du eigentlich auch zum ersten Mal hier?“ „Ich war bereits zwei Mal für Konzerte hier, allerdings hatte ich damals nie Zeit, mir die Stadt anzusehen. Und auch dieses Mal werde ich nicht besonders viel zu sehen bekommen.“ „Wie lang bist du denn in der Stadt?“, wollte Lucas wissen. „Noch zweieinhalb Tage, dann fliegen wir weiter nach Rio.“ „Dann bleiben uns also noch sechzig Stunden.“ „Nur, dass ich von 8 bis 18 Uhr im Tonstudio sein werde“, warf Ada ein. „Ach ja, du bist ja zum Arbeiten hier. – Aber wir haben immer noch zwei Abende.“ „Ja, zwei Abende.“ Wehmütig wandte sie ihren Blick ab und sah aus dem Fenster. Das kurze Schweigen wurde von der Bedienung unterbrochen, die die Getränkewünsche entgegen nehmen wollte. „Ich hätte Lust, mir das Empire State Building anzusehen. Soweit ich weiß haben sie bis 2 Uhr morgens geöffnet. Wollen wir das morgen Abend in Angriff nehmen? Damit du wenigstens etwas von New York gesehen hast?“ „Ich würde mich freuen.“ „Schön. Ich würde dich dann wieder hier abholen. 19 Uhr?“, meinte Lucas. Ada nickte nur und lächelte. New York, 29.August Der Fahrstuhl brachte sie in das 102.Stockwerk, in welchem sich die Aussichtsplattform befand. Selbst für die abendliche Uhrzeit war die Plattform noch voller Menschen. Nicht umsonst war das Empire State Building eine der meistbesuchten Sehenswürdigkeiten New Yorks. Lucas griff nach Adas Hand, um sie in der Menge nicht zu verlieren, doch bei der Berührung durchströmte ihn eine wohlige Wärme, dass er sie am liebsten nie wieder losgelassen hätte. „Hast du Schlaflos in Seattle gesehen?“, fragte Lucas, als die beiden am Geländer standen und die abendliche Stadt betrachteten. „Ich liebe diesen Film. Ich habe ihn bestimmt schon zwanzig Mal gesehen und muss doch jedes Mal weinen.“ „Das ist süß“, meinte er und musste lachen. „Mach dich doch nicht über mich lustig!“ „Mach ich ja gar nicht.“ „Doch…“ Er schlang seine Arme um sie, als sie sich beleidigt zur Seite drehte. „Morgen Abend findet im Central Park die Filmnacht statt und es läuft Schlaflos in Seattle. Darf ich dich dazu einladen?“ „Ich weiß nicht.“ „Wieso weißt du das nicht? Hast du etwa keinen Spaß mit mir?“ „Na ja, wenn du so fragst. Ich wollte ja eigentlich nichts sagen, aber…“ Ada konnte den ernsten Ton nicht beibehalten und musste einfach anfangen zu lachen. „Ich bin unglaublich gern mit dir zusammen.“ Sie wandte sich zu ihm um und hatte das Gefühl, dass sie ganz mit ihm allein war. Die Menschen um sie herum hatte sie einfach ausgeblendet. Und auch er hatte nur Augen für sie. Immer noch waren seine Arme um ihren Körper geschlungen, nie wieder wollte er sie loslassen. „Ada! Da ist wirklich Ada Richardson!“ Die Stimme riss die beiden aus ihrer Trance und holte sie zurück in die Wirklichkeit. Sie entzog sich seinem Griff und drehte sich in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war. „Ada, kann ich bitte ein Autogramm bekommen? Ich bin dein größter Fan!“ Das junge Mädchen sah sie großen, strahlenden Augen an. „Selbstverständlich“, sagte Ada, griff in ihre Tasche und holte eine Autogrammkarte heraus. „Wie heißt du denn?“ „Miley.“ Ada schrieb einige Worte auf die Karte und reichte sie ihr mit einem Lächeln. „Vielen, vielen Dank!“ „Soll ich noch ein Foto von euch beiden machen?“, fragte Lucas, der die Kamera in Mileys Hand bemerkt hatte. „Das wäre toll.“ „Na klar.“ Ada legte ihren Arm um Miley und beide lächelten in die Kamera, während Lucas den Auslöser betätigte. „Danke, danke, danke. Das ist der beste Tag meines Lebens!“ Sie umarmte ihr Idol noch einmal und verschwand dann zwischen den Umstehenden. „Entschuldige bitte.“ „Ist doch kein Problem, so ist das eben mit einem Star“, meinte Lucas und grinste. „Wollen wir etwas essen gehen?“ „Ja“, sagte Ada. Er legte seinen Arm um sie und führte sie zurück zum Fahrstuhl. Den restlichen Abend verbrachten die beiden bei einem romantischen Essen in einem kleinen italienischen Restaurant. „Die Zeit mit dir vergeht immer wie im Flug, dabei wäre ich gern viel länger mit dir zusammen“, gab Ada nach einem Blick auf die Uhr zu. Er lächelte nur und nickte. „Ich werde dich noch zum Hotel bringen.“ „Ach nein, das wäre doch nur ein Umweg für dich. Ich komme schon allein zurück. Aber trotzdem vielen Dank.“ Zum Abschied küsste er sie auf die Wange, bevor sie in das Taxi stieg. Sie winkte ihm, bis er nicht mehr zu sehen war und drehte sich dann zu dem Fahrer, um die Adresse zu ändern. Sie hatte noch einen Auftrag zu erledigen. New York, 30.August „Heute ist unser letzter Aufnahmetag in New York. Wir haben der Crew versprochen, dass wir am Abend etwas mit ihnen zusammen unternehmen. Du bist doch dabei, oder?“ Rachel war gemeinsam mit Ada zum Kaffeeautomaten im Flur gegangen, als sie eine kurze Pause während der Aufnahmen machten. „Ehrlich gesagt habe ich bereits etwas vor und das kann und will ich nicht absagen“, antwortete Ada und warf eine Münze in den Automaten. „Bist du etwa die letzten Abende mit diesem jungen Mann unterwegs gewesen? Der vor zwei Tagen hier aufgetaucht ist?“ Ada nickte und reichte Rachel den Kaffeebecher, bevor sie eine zweite Münze einwarf und auf den Knopf für heiße Schokolade drückte. „Meint er es ernst mit dir?“ „Warum nicht?“ „Naja, vielleicht will er mit dir bloß ins Rampenlicht“, meinte Rachel. „Nein, so ist er nicht. Überhaupt nicht. … Aber falls es dich beruhigt, ich gehe der Presse aus dem Weg, wenn ich mit ihm zusammen bin.“ Es war kurz vor halb sechs. Die Aufnahme des letzten Songs war früher beendet gewesen als gedacht. Während die Crew, Rachel und Anna Abendessen gingen, machte Ada sich zurück auf den Weg ins Hotel. Sie duschte ausgiebig, föhnte sich die Haare und zog sich an. Eine enganliegende Jeans und eine längere, dunkelblaue Bluse, schlicht, unauffällig und trotzdem attraktiv. Sie schlang sich noch ein Tuch mit Blütenmuster um den Kopf, nahm ihre Handtasche und verließ das Hotelzimmer. Mit schnellen Schritten durchquerte sie die Hotelhalle und trat auf die viel befahrene Straße. Voller Vorfreude machte sie sich auf den Weg zum Central Park, sie wollte sich mit Lucas am Metropolitan Museum of Art treffen. Als sie davor stand, war Lucas noch nicht da. Sie sah sich um, beobachtete die Passanten. Es waren Spaziergänger, Jogger, aber auch Besucher des Filmfestivals. Sie trugen Decken oder Klappstühle. „Hey!“ Lucas war von hinten an sie herangetreten. Er trug ebenfalls eine Decke unter dem Arm und hielt einen kleinen Picknickkorb in der Hand. „Hey!“ Die Freude war ihr ins Gesicht geschrieben. „Wie war dein Tag?“ „Im Gegensatz zu dir konnte ich etwas Sightseeing betreiben. Hab mir die Freiheitsstatue angesehen, war in Soho und Greenwich Village. Aber mit dir hätte es mir noch mehr Spaß gemacht“, antwortete er. Ada lächelte, ihre Wangen erröteten. Ich bekomme das Lächeln gar nicht mehr von meinen Lippen. Warum nur? Warum bedeutet es mir nur so viel, dass er mich mag? „Lass uns aber erst einmal hinübergehen, sonst verpassen wir noch den Filmbeginn.“ Während sie durch den Park schlenderten, berichtete Ada von den Aufnahmen und dass Rachel sich Sorgen um sie machte. „Warum sollte ich in den Fokus der Öffentlichkeit rücken wollen? Ich kannte euch vor Judys Party ja noch nicht einmal.“ „Das habe ich ihr auch gesagt“, sagte Ada und lachte. Sie suchten sich einen freien Platz mit guter Sicht, von denen zwar nicht mehr besonders viele, aber doch noch ausreichend vorhanden waren. Lucas breitete die Decke aus, setzte den Korb ab und warf sich dann so elegant wie es ihm nur möglich war auf den Boden, was Ada erneut zum Lachen brachte. „Hast du Hunger?“ „Eher Durst.“ „Na, dann schauen wir doch mal, was sich so alles in meinem Korb versteckt hat“, meinte Lucas und öffnete den Deckel des Picknickkorbes. Er brachte zwei Gläser und eine Sektflasche zum Vorschein. „Und falls du doch noch Hunger bekommst“, sagte er und stellte Baguette, Käse, Weintrauben sowie Erdbeeren mit Schokoladenüberzug auf die Decke. „Du hast dir ja richtig was einfallen lassen.“ „Für die Beste nur das Beste.“ Verlegen sah sie zur Seite, als auch schon der Projektor angeworfen wurde und der Vorspann begann. Als der Abspann des Films lief, blickte Ada zu ihm und lächelte. Sie wollte ihn fragen, wie er den Film fand, doch seine Hand berührte ihre Wange und streichelte sie sanft. Sie durchfuhr ein warmer Schauer, sodass sie ihre Frage vergaß. Dann beugte er sich über sie, Ada ließ sich auf die Decke sinken und seine Lippen berührten die ihren. Sie schlang ihre Arme um seinen Hals und genoss den Kuss. „Ich…“ „Psst.“ Er legte seinen Finger auf ihre Lippen und küsste sie erneut, als Wassertropfen ihre Gesichter berührten. Beide sahen auf und blickten zu tausenden Regentropfen hinauf. „Lass uns verschwinden!“ Lucas sprang auf, nachdem er alles in den Korb geworfen hatte, und Ada griff nach der Decke, bevor sie aufstand. Der Regen wurde immer stärker und sie schwangen die Decke über ihre Köpfe, um nicht ganz nass zu werden. Sie rannten durch den Park, über die 59th Street und auf das Appartementhaus zu, in dem sich die Wohnung von Lucas‘ Mutter befand. Der Portier hielt die Tür auf und sie betraten das Gebäude. Trotz Decke waren sie klitschnass geworden und tropften den Fußboden voll. Mit dem Fahrstuhl fuhren sie in die 16. Etage, liefen über den Flur und Lucas schloss die Wohnungstür auf. Als diese hinter ihnen wieder ins Schloss fiel, umarmte Lucas Ada und küsste sie leidenschaftlich. Er hob sie hoch, wirbelte sie herum und trug sie in das Gästezimmer, in dem er während seines Aufenthalts schlief. „Wir sollten langsam aus den nassen Klamotten raus, sonst erkälten wir uns noch…“, meinte Ada. „Ganz deiner Meinung.“ Während er sie nochmals küsste, zog er ihr die Strickjacke aus und begann die Knöpfe ihrer Bluse zu öffnen. Ihre Hände wanderten unter sein nasses Shirt, erkundeten seinen Oberkörper, die weiche, wenn auch kühle Haut. In einem Moment des Luftholens zog er es sich über den Kopf aus. „Ich will dich! Ich wollte dich schon, als ich dich das erste Mal sah.“ Seine Küsse wanderten ihren Hals entlang, während seine Hände ihren BH öffneten und zu Boden fallen ließen. Sie genoss die Berührung seiner warmen Lippen und öffnete gleichzeitig seinen Gürtel und die Hose. Begierig erkundeten sie den Körper des anderen, streichelten ihn, küssten ihn, berührten ihn einfach nur. Als alle Kleidungsstücke auf dem Boden verteilt lagen, hob er sie erneut hoch und trug sie zum Bett. Sanft setzte er sie darauf ab, beugte sich über sie, küsste sie. Sie zog ihn an sich heran, wollte ihn nur noch fühlen, ihn spüren. „Ich gehöre ganz dir“, hauchte sie ihm ins Ohr. „Warte kurz.“ Er kletterte vom Bett, suchte seine Hose und zog sein Portemonnaie aus der Tasche. Er öffnete es, nahm ein Kondom heraus und war mit einem Satz zurück bei ihr. „Und du wirst es auch nicht bereuen?“ „Warum sollte ich?“, fragte sie, stieß ihn sanft, wodurch er auf dem Rücken zu liegen kam und setzte sich auf ihn. Er lächelte und zog ihren Kopf zu sich hinunter um sie zu küssen, dann schlang er seine Arme um ihren Körper und rollte sich zur Seite. Als er wieder über ihr lag, drang er vorsichtig in sie ein. „Bleibst du über Nacht bei mir?“ Sie nickte nur. Wann werden wir uns wiedersehen? Ich wünschte, diese Nacht würde nie vergehen. Sie rutschte noch näher an ihn heran, wollte ihn spüren, seine Wärme fühlen. „Ich habe dich unglaublich lieb.“ „Ich habe dich auch lieb.“ Sanft streichelte er ihre Wange, küsste sie auf die Stirn. „Ich fühle mich so wohl in deiner Nähe“, sagte sie, schmiegte sich an ihn und er legte seinen Arm um sie. Mit einem zufriedenen Lächeln schloss sie die Augen und schlief nach einiger Zeit ein. Als Lucas sich sicher war, dass sie schlief, stand er leise auf, sammelte die Kleidungsstücke vom Boden und hängte sie im Badezimmer über der Handtuch-Heizung auf. Oh man, ich habe dich mehr als nur lieb. Er betrachtete ihr Antlitz im Schein der Lichter der New Yorker Nacht, der durch das Fenster in das Zimmer fiel. Er lächelte. Bei unserem ersten Treffen hätte ich mir das nie träumen lassen. Du und ich. Er legte sich zurück ins Bett. Sie lag nun mit dem Rücken zu ihm, er kuschelte sich an sie, legte den Arm um sie und griff nach ihrer Hand. Ihr Haar roch nach tropischen Früchten, er musste schmunzeln. Das darf nicht unser letzter Abend gewesen sein… New York, 31.August Als Ada am nächsten Morgen aufwachte, spürte sie Lucas’ Arm auf ihrem Körper und genoss seine Berührung. Es könnte schließlich die letzte für lange Zeit, wenn nicht sogar für immer sein. Sie blieb noch einige Minuten liegen, bevor sie vorsichtig seinen Arm anhob und sich vom Bett schob. Auf Fußspitzen lief sie in das Badezimmer. Ada machte sich kurz frisch und zog sich an. In ihrer Handtasche kramte sie nach Zettel und Stift und hinterließ ihm eine Nachricht, die sie auf das freie Kopfkissen legte. Mit einem wehmütigen Blick betrachtete sie Lucas, doch dann verließ sie den Raum. Sie setzte sich ihre Sonnenbrille auf und schlang sich das schalartige Tuch um Kopf und Hals, um beim Verlassen des Hauses nicht erkannt zu werden. Es tut mir leid, dass ich ohne Abschied gegangen bin, aber ich hasse Abschiede. Ich habe die Zeit mit dir sehr genossen und ich werde dich vermissen. Ich hoffe, wir sehen uns bald wieder. Fühl dich geküsst. Lucas las den Zettel, der auf dem Kopfkissen gelegen hatte und schlug mit der Faust auf das Bett. Er konnte sie doch nicht einfach so gehen lassen. Nach einem Blick auf die Uhr rappelte er sich auf, schlüpfte in Shirt, Hose und Schuhe und verließ das Appartement. Das erste Taxi hielt und er stieg ein. „Zum JFK! Schnell!“ Am Flughafen rannte er zur Informationstafel und suchte den Flug nach Rio de Janeiro, er startete an Gate 17. Sofort machte er sich auf den Weg, er musste sie einfach noch einmal sehen. „Ada!“ Sie war bereits durch die Sicherheitskontrolle gegangen, drehte sich aber um, als sie ihren Namen hörte. Ein Lächeln erschien auf ihren Lippen, nachdem sie ihn erkannt hatte. Mit einem melancholischen Blick warf sie ihm eine Kusshand zu und verschwand in den Gang, der in den Abflugbereich führte. Kapitel 3: Akt 3.1 ------------------ New York – Rio de Janeiro, 31.August „Ist alles in Ordnung, Ada?“ Rachel hatte bemerkt, dass ihre Freundin sich vereinzelte Tränen aus dem Gesicht wischte. „Ja, ich… Es ist alles okay“, antwortete sie. Ich werde ihn so unglaublich vermissen. „Zu welchem Gate müssen wir?“ „17. Aber wir haben noch etwa eine Stunde Zeit.“ „Okay. Dann werde ich mir noch eine Zeitschrift kaufen gehen.“ Ada ging langsam auf den Pressekiosk zu und Rachel sah ihr misstrauisch hinterher. Von wegen alles okay, sie ist doch total niedergeschlagen. Hat sie sich etwa ernsthaft in diesen Typen verguckt? „Anna.“ „Ja?“ „Ich glaube, wir müssen uns um Ada kümmern.“ „Wie meinst du das?“ „Sie wirkt niedergeschlagen. Ich glaube, dass es wegen diesem Mann ist“, sagte Rachel. „Okay, wir werden sie im Auge behalten.“ Die Drei bestiegen das Flugzeug, kehrten New York den Rücken zu. „Wie war eigentlich euer Abend?“ „Ganz lustig.“ „Was habt ihr gemacht?“, wollte Ada wissen. „Nach dem Essen waren wir in einer tollen Cocktailbar und danach noch in einem Club. Du hättest die Jungs vom Tonstudio mal sehen sollen, die sind total abgegangen auf der Tanzfläche.“ „Zurück im Hotel waren wir dann so gegen halb drei. Ich hoffe, wir haben dich nicht geweckt.“ „Eigentlich war ich die Nacht gar nicht im Hotel, sondern bin erst heute Morgen zurück gekommen.“ „Ada!“, sagte Anna vorwurfsvoll. „Was denn? Ist doch nichts Schlimmes. Ihr hattet euren Spaß und ich hatte meinen Spaß. Also, was soll’s?“ „Was wäre gewesen, wenn dich jemand gesehen hätte?“ „Darf ich jetzt kein Privatleben mehr haben?“ „Doch, aber ich mach mir Sorgen um dich. Was ist, wenn er dich nur ausnutzen will?“ „Du warst doch selber scharf auf ihn und jetzt plötzlich willst du ihn nur noch loswerden?!“ „Jemanden heiß finden und jemanden vertrauen sind zwei verschiedene Dinge. Kannst du ihm wirklich vertrauen? Weißt du genau, dass er dich um deinetwillen mag?“ „Ich… Natürlich kann ich das nicht zu hundert Prozent sagen, aber wer kann das schon nach so kurzer Zeit.“ „Du hast mit ihm geschlafen!“ „Das geht dich gar nichts an! Ich kann in meiner Freizeit tun und lassen, was ich will und wenn ich mich mit jemandem treffen will, dann tue ich das und brauche dazu nicht deine Erlaubnis.“ Ada schnallte sich ab und verließ ihren Sitzplatz. „Ada, warte!“ Doch sie reagierte nicht, sondern lief weiter zu den Toiletten. Sie machte sich kurz frisch und betrachtete dann ihr Spiegelbild. Warum macht es mich so fertig, dass ich gehen musste, dass ich ihn zurückgelassen habe? Ich kann diese Gefühle nicht zulassen, es kann einfach nichts werden aus uns. Ich muss ihn vergessen. Es war eine große Aufgabe, die sie sich vornahm und doch wusste sie, dass es bereits zu spät war. New York, 31.August Lucas war zurück zur Wohnung seiner Mutter gefahren. Du wirst mir fehlen, Ada. Er schmiss sich auf das ungemachte Bett und musste feststellen, dass das Kopfkissen nach ihrem Shampoo roch. Sehnsüchtig nahm er den Geruch der tropischen Früchte in sich auf. Den restlichen Tag verbrachte er mit fernsehen. Es hätte noch so viel zu sehen gegeben in dieser riesigen Stadt, die nie schlief, doch er konnte sich nicht dazu aufraffen. „Lucas!“ „Mum?“ „Komm doch mal bitte.“ Seine Mutter stand im Wohnzimmer und war im Begriff zu gehen. „Musst du ins Theater?“ „Ja. Wann fliegst du morgen?“ „Erst am Abend“, antwortete er. „Schön. Dann haben wir ja noch etwas Zeit für uns. Nimm dir also bitte nichts vor.“ „Okay.“ „Ist deine Bekannte, wie hieß sie gleich…Ada noch in der Stadt?“ „Nein, sie ist heute Mittag bereits abgereist.“ „Schade, ich hätte sie gern näher kennen gelernt“, meinte sie. Es war ja schon überraschend, dass du wirklich jemanden zu der Veranstaltung mitgebracht hast. Ich hätte nicht damit gerechnet. „Na gut, ich muss jetzt los. Bis heute Abend, mein Schatz.“ „Bis dann.“ London, 02.September Im Büro herrschte wie immer reges Treiben, denn wenn das Verbrechen nie schlief, musste auch die Polizei immer wachsam sein. „Holmes, gut, dass Sie da sind. Es gab erneut einen Einbruch.“ „Wann und wo?“ „Vor fünf Tagen in New York.“ „Warum habt ihr mich nicht angerufen? Ihr wusstet doch, dass ich in New York im Urlaub war“, erwiderte Lucas vorwurfsvoll. „Ja, daran haben wir überhaupt nicht mehr gedacht.“ Lucas griff nach den Akten, warf einen kurzen Blick hinein und nahm sie dann mit in sein Büro. An einer großen Pinnwand hingen Fotos und Notizzettel zu den einzelnen Fällen, die mit Pfeilen aus roter Schnur miteinander verbunden waren. Über jedem Foto klebte ein Zettel mit einem Städtenamen, inzwischen waren es um die fünfzig Städte in Europa und wenige in Nordamerika, in denen Einbrüche mit demselben Schema geschehen waren. Jedes Mal wurden Einbruchspuren festgestellt, doch die Besitzer beharrten darauf, dass nichts entwendet worden war. Lucas war sich jedoch sicher, dass ihnen etwas gestohlen wurde. Sie konnten es nur nicht zugeben, da sie es selbst unrechtmäßig besessen hatten. „New York. Und davor London und Berlin… Ada war mit ihrer Band zu diesen Zeitpunkten in den Städten“, überlegte er laut, verwarf den Gedanken aber schnell wieder als Zufall. Als Lucas am Abend nach Hause kam, wurde er bereits erwartet. Miss Harver, seine Vermieterin, hatte ein warmes Abendessen für ihn vorbereitet. „Miss Harver, das war doch nicht nötig.“ „Ich weiß, ich weiß, aber ich wollte doch so gern hören, wie es in New York war.“ Lucas musste lächeln. „Na dann, kommen Sie.“ Während die beiden am kleinen Küchentisch saßen und aßen, berichtete Lucas von seinem Urlaub in der Metropole auf der anderen Seite des Ozeans. „Ich soll Ihnen übrigens auch schöne Grüße von meiner Mutter bestellen.“ „Oh, vielen Dank! Hast du ihren Auftritt gesehen?“ „Ja, sie war natürlich fantastisch, aber die Geschichte des Stücks war nicht wirklich meine. Aber was tut man nicht alles, um seiner Mutter eine Freude zu bereiten“, meinte er und grinste. „Ach, ich hätte sie gern gesehen. Hat sie gesagt, ob sie wieder Arrangements in London annehmen wird?“ „Ich hatte Ihnen angeboten, dass Sie mitkommen, ich hatte schließlich zwei Karten.“ „Ich weiß, aber der lange Flug. In meinem Alter wäre das zu viel gewesen“, antwortete Miss Harver. „Ich hatte allerdings das Gefühl, dass meine Mutter gern wieder nach Hause kommen würde. Wenn der Vertrag für das Stück ausläuft, wer weiß, spielt sie vielleicht wieder hier.“ „Schade, dass deine zweite Karte verfallen ist.“ „Wer sagt denn, dass sie verfallen ist?“, fragte er verschmitzt. „Lucas, hört, hört!“ Bevor er Fragen zu seiner Begleitung beantworten musste, wurde das Gespräch durch das Klingeln des Telefons unterbrochen. Während Miss Harver telefonierte, räumte Lucas den Tisch ab und verschwand dann mit einem wortlosen Gruß in die obere Etage, die sein Reich darstellte. London, 07.September „Als ich die Pflanzen gießen war, habe ich auf deinem Schreibtisch verschiedene Zeitungsartikel gesehen. Und in allen ging es um diese Musikgruppe. Interessierst du dich neuerdings für Popmusik? Sonst laufen doch immer nur die Violinen-Stücke.“ „Nein, ich… Die liegen da ohne Grund“, versuchte Lucas sich herauszureden, doch Miss Harver merkte es selbstverständlich. „Welche von den Dreien ist die Glückliche?“ „Wie meinen Sie das?“ „Jetzt stell dich doch nicht dümmer als du bist. Warum solltest du die Artikel sammeln, wenn es dir nicht um die Musik geht? Du sammelst sie wegen einem der Mädchen, das in dieser Band ist. Welche ist es?“ „Miss Harver, ich bin beeindruckt. Sie haben tatsächlich die Sherlock-Holmes-Methode angewandt. … Es ist Ada Richardson. Ich habe sie auf Judys Party vor einem Monat kennengelernt.“ „Sie ist wirklich hübsch und wirkt sympathisch.“ „Ja, sie ist unglaublich.“ Rio de Janeiro, 14.September Zwei Wochen blieben Laverna in Brasilien. Sie beendeten die Aufnahmen ihrer neuen CD und gönnten sich einige Stunden an den Stränden Rios. Die Auseinandersetzung auf dem Flug wurde zwischen den Bandmitgliedern nicht mehr angesprochen, weshalb die Arbeit reibungslos vonstattenging. An dem Nachmittag, an dem sie sich das fertige Album anhörten, saßen die Drei mit ihrem Management zusammen und besprachen den Ablauf der nächsten Monate. Zum Einen sollten das neue Album und eine Singleauskopplung veröffentlicht werden, zum Anderen sollte eine Promotiontour durch Asien stattfinden mit anschließender Konzerttour bei Erfolg. „Habt ihr eine Idee für das Video?“, wollte ihr Manager wissen. „Es sollte ausgeflippt und sehr farbig sein.“ „Vielleicht in einem Club…“, meinte Anna. „Und abwechselnd dazu Szenen aus dem Tagesgeschehen“, ergänzte Rachel. „Klingt eigentlich ganz gut. Ich werde einen Autor engagieren. Bleibt nur noch der Ort, aber an sich ist das ja egal.“ „Lasst uns das Video in London drehen!“, warf Ada ein. „London?“ „Ja, warum nicht? In dem Song geht es darum Spaß zu haben und Party zu machen. London ist doch optimal“, sagte Ada. Ich will zu ihm. Auch wenn es noch so kurz ist. „Na gut, dann drehen wir das Video in London. Ich werde alles arrangieren und denke, dass wir in drei Tagen beginnen können. Flüge für übermorgen werden gebucht sein.“ Nach der Besprechung packte Ada ein Handtuch in ihre Tasche und zog einen Bikini unter ihren Rock und das Shirt, dann machte sie sich auf den Weg zum Strand. Es war zwar schon früher Abend, doch sie wollte den Tag am Strand ausklingen lassen. Nach einem Bad im Atlantik lag Ada eine ganze Weile auf ihrem Handtuch, beobachtete die Menschen um sie herum. Die meisten packten bereits ihre Sachen zusammen und machten sich auf den Heimweg. Als es kühler wurde, zog sie sich an und schlenderte den Strand entlang. Ihre Füße wurden immer wieder von den Wellen umspült, der Sonnenuntergang spiegelte sich im Wasser und sah wunderschön aus. „Ja?“ „Hallo Lucas.“ „Ada.“ „Tut mir leid, dass ich dich jetzt noch anrufe, ich weiß, bei dir ist es schon zwei Stunden später, aber ich wollte einfach deine Stimme hören.“ „Ist kein Problem, ich bin sowieso noch auf Arbeit. Der Fall lässt mir keine Ruhe.“ „Willst du darüber reden?“ „Nein, ist schon okay. Ich dürfte dir auch gar nicht davon erzählen. Wie war dein Tag?“ „Das Album ist großartig geworden. Wir werden auf eine Werbetour in Asien gehen und danach Konzerte geben. Übermorgen geht es los.“ „Klingt toll.“ „Ich wünschte, du wärst hier.“ „Das wünschte ich auch. Du fehlst mir.“ Ada hatte distanziert bleiben wollen, sie hatte die Gefühle nicht zulassen wollen, doch sie konnte es nicht. Er war ihr wichtig, so unglaublich wichtig. Sie hatten nur wenige Tage, ja nicht einmal, Stunden mit ihm verbringen dürfen und trotzdem, sie hatte sich in ihn verliebt. London, 17.September Der neue Song lief in voller Lautstärke über Lautsprecher in der Großraumdiscothek. Die Mitglieder von Laverna hatten zunächst Einzelszenen gedreht, in denen sie ihre jeweiligen Strophen sangen und im Hintergrund Partygäste tanzten, und nun waren sie bei den Gemeinschaftsszenen angelangt, in denen sie gemeinsam mit den anderen Gästen tanzten und lachten. „Cut!“ Die Musik wurde ausgestellt und die Statisten begaben sich in den Aufenthaltsraum. „Mädels, das war super! Wir schauen kurz über die Szenen und sagen euch dann bescheid, ob wir noch einmal welche wiederholen müssen“, meinte der Produzent und schickte sie damit in die Garderobe. „Oh man, ich habe das Gefühl, ich brauche schon wieder Urlaub, dabei ist es gerade vier Wochen her, dass ich auf den Malediven war“, meinte Anna und ließ sich auf das Sofa fallen. „Du hast recht. Das nächste Mal sagen wir, wir brauchen mindestens drei Monate Pause“, stimmte auch Rachel zu. Eine halbe Stunde später kam der Assistent des Produzenten zu ihnen in die Garderobe, um ihnen mitzuteilen, dass keine weiteren Szenen gedreht werden brauchten. „Sehr schön, dann können wir endlich zurück ins Hotel.“ Die Drei packten ihre Sachen zusammen und fuhren dann gemeinsam in einem Taxi zum Hilton Hotel am Südufer der Themse. Ada öffnete die Tür und trat in ihr dunkles Hotelzimmer. Die Lichter der Nacht fielen durch das Fenster. Sie trat auf den Balkon hinaus und betrachtete die Stadt. Wir werden morgen die Tagesszenen drehen und dann wird es auf jeden Fall zu spät sein, um noch weiter zu fliegen. Wir werden also noch eine Nacht hier bleiben. Dann werde ich zu ihm gehen. Ich muss ihn einfach wiedersehen. Sie atmete noch einmal tief ein, ging zurück in das Zimmer und schaltete das Licht an, bevor sie anfing sich auszuziehen. Die Sachen wurden einfach auf den Boden fallen gelassen. Ada lief ins Badezimmer, stieg unter die Dusche und genoss das prickelnde, warme Wasser auf ihrer Haut. Ich kann nicht zu ihm gehen. Das wird so bedürftig wirken, als ob ich es nötig hätte. Ich bin ein Superstar, die Leute kommen zu mir. Sie trocknete sich ab und wickelte sich ein Handtuch um den Körper. Aber ich bin doch nur ein Mensch, ein Mensch, der Liebe braucht. Ich muss einfach zu ihm. Oder besser doch nicht? Was ist, wenn Anna mit ihren Behauptungen recht hat? Argh! Ich hasse es, so unentschlossen zu sein. London, 18.September „Okay, die Szenen des Videos, die ich gesehen habe, sind super geworden. Es wird jetzt zusammengeschnitten und ich gehe davon aus, dass es am Ende der Woche fertig ist. Apropos Ende der Woche, wir werden am 23. nach Hongkong fliegen, um die Promotiontour zu beginnen. Die Tage bis dahin habt ihr nochmal Zeit, auszuspannen und euch vorzubereiten. Ich schicke euch die genauen Daten für den Flug noch per Mail zu. … Tolle Arbeit, Mädels.“ Ada bezahlte den Taxifahrer, stieg aus und stand auf der Baker Street. Sie hatte sich vor dem Sherlock Holmes Museum absetzen lassen und schlenderte von dort aus zu Lucas‘ Wohnung. Als sie davor stand, zögerte sie kurz. Soll ich wirklich klingeln? Ich will ihn wiedersehen. Doch haben wir überhaupt eine Chance? Sie verdrängte den letzten Gedanken und drückte den Klingelknopf. Nur wenige Augenblicke später öffnete eine ältere Dame die Haustür. „Guten Tag! Was kann ich für Sie tun?“ „Guten Tag! Ich wollte zu Lucas Holmes. Bin ich hier richtig?“ „Ja, kommen Sie herein. Seine Wohnung liegt im Obergeschoss. Gehen Sie doch einfach hinauf, er ist zuhause“, sagte die Dame und zeigte auf die Treppe. „Vielen Dank.“ Ada betrat die erste Stufe der schmalen Treppe, die mit einem alten, ursprünglich mal rotem Teppich ausgelegt war, und ihr Herz begann schneller zu schlagen mit jeder Stufe, die sie erklomm. Sie klopfte an die geschlossene Tür und hörte ein „Herein!“, woraufhin sie die Tür öffnete und eintrat. Der Raum war klein, wirkte aber noch viel kleiner, da er mit allen möglichen Gegenständen zugestellt war. Unter dem Fenster stapelten sich mehrere Bücherhaufen, während auf dem Schreibtisch Akten und lose Zettel lagen. Vor einem Kamin stand ein runder Couchtisch, auf dem eine Tasse sowie eine kleine Stehlampe standen, daneben ein großer, grüner Ohrensessel, in dem Lucas saß und ein Buch las. „Findest du nicht, dass es hier etwas unordentlich ist?“ Überrascht drehte er sich um und sprang auf, als er Ada erkannte. „Ada!“ Ein Strahlen erschien in seinen Augen, während er auf sie zuging und in den Arm nahm. „Mit dir habe ich überhaupt nicht gerechnet. Ich dachte, ihr seid schon auf Werbetour in Asien für euer neues Album.“ „Erst ab der nächsten Woche. Wir haben das Video für die erste Single hier gedreht und den Rest der Woche haben wir frei. Und ich musste dich einfach wiedersehen“, antwortete sie und küsste ihn. Sie fuhr mit ihrer Hand durch sein Haar, genoss es, von seinen starken Armen gehalten zu werden. Ich will nie wieder gehen. Nie wieder aufhören, dich zu küssen. Sie hatten sich etwas vom Italiener zum Abendessen kommen lassen und in der kleinen, aber doch gemütlichen Küche gegessen. Nun saßen sie mit einem Glas Wein auf den Sesseln vor dem Kamin. „Ich habe mir vorgenommen, mehr von den Orten zu sehen, in denen wir uns aufhalten. In Rio habe ich mir deshalb abends die Zeit genommen und bin durch die Stadt gezogen“, erzählte Ada. „Ich habe mir den Zuckerhut angesehen, war bei der Christusstatue und an einigen bekannten Plätzen mit Kneipen, in denen man gute Margarithas trinken konnte.“ „Du hast allein Margarithas getrunken?“ „Wer sagt denn was von allein? Ich war immer in Gesellschaft netter Menschen.“ Sie sah ihn verschmitzt an und wartete auf seine Reaktion, doch er sah weiter in die Flammen des Kamins. „Bist du gar nicht eifersüchtig?“ Er blickte auf. „Warum sollte ich eifersüchtig sein? Ich meine, wir sind ja nicht offiziell zusammen, oder?“ „Was bedeutet denn offiziell für dich? Muss ich erst der Presse bekannt geben, dass ich einen Freund habe, damit du es auch glaubst?“ „Nein, natürlich nicht. Aber wir haben nicht darüber geredet, was genau das mit uns ist.“ „Und du denkst, dass du für mich so etwas wie ein Groupie, ein Geselle fürs Bett bist?“ „Ich... ich weiß es nicht“, antwortete Lucas. „Super. Wenn du das von mir denkst, dann kann ich ja auch gehen!“ Ada stand auf und sah sich nach ihrer Tasche um. „So habe ich das doch gar nicht gemeint. Ada...“ Sie lief durch den Raum, entdeckte ihre Tasche auf dem Schreibtisch und griff danach. „Wenn du mir zutraust, dass...“, begann sie, doch dabei spürte sie, wie sich seine Hand um ihr Handgelenk legte und sie sanft und gleichzeitig bestimmend herumzog. Ehe sie den Satz beenden konnte, legten sich seine Lippen auf die ihren. Seine Hand ließ sie los, nur um sie auf ihren Rücken zu legen und sie noch näher an sich heranzuziehen. Ihre Tasche fiel beinahe lautlos zu Boden. Sie genoss die Nähe, die Wärme und ließ ihre Augen noch für einige Augenblicke geschlossen, als sich seine Lippen wieder von den ihren lösten. „Ich habe mir nicht zugetraut, dass ich für dich interessant sein könnte. Ada, ich...“ Lucas sah direkt in ihre Augen. „...ich habe mich in dich verliebt.“ „Oh Lucas... Es tut mir leid. Ich... du gehst mir nicht mehr aus dem Kopf und ich hatte Angst, dass du nicht so fühlst.“ Und erneut berührten sich ihre Lippen. Kapitel 4: Akt 3.2 ------------------ London, 19.September Ring, ring, ring, ring… Der Wecker riss die beiden aus dem Schlaf. „Was…“ „Tut mir leid, das ist mein Wecker“, sagte Lucas und stellte ihn aus. „Heißt das, du musst jetzt auf Arbeit?“ Ada kuschelte sich an ihn. „Schon.“ „Willst du nicht lieber hier bleiben?“ Ihre Hand streichelte seinen nackten Oberkörper. „Ich werde einfach anrufen und mir die Woche freinehmen“, sagte er, zog sie zu sich heran und küsste sie. „Und das geht so einfach?“ Ihre Finger strichen durch sein weiches Haar. „Ich glaube, mit meinen Überstunden kann ich drei Monate frei nehmen.“ „Du bist also ein Workaholic“, sagte sie und lachte. „Als ob du nicht genauso wärst.“ „Erwischt.“ Sie lachte und zog die Bettdecke über ihre Köpfe. „Was wollen wir heute unternehmen?“ Ada und Lucas saßen gemeinsam beim Frühstück. Er hatte die Tageszeitung aufgeschlagen und ganz beiläufig seine Frage gestellt. „Also, die großen Sehenswürdigkeiten habe ich mir bei unserem letzten Besuch angesehen. Als wir uns diesen freien Tag nach unserem letzten Konzert genommen haben“, meinte sie. „Deshalb hoffe ich, dass du mir die Plätze zeigst, die nicht so touristisch überlaufen sind, aber trotzdem sehenswert.“ „Okay, kein Problem.“ Während sie den Tisch abräumten, klingelte Adas Telefon. „Entschuldige mich bitte kurz“, sagte sie und ging ins Wohnzimmer. „Hallo? ... Tut mir leid, aber dafür habe ich leider keine Zeit. ... Ich weiß, aber kann nicht einfach jemand anders gehen? Das klingt so simpel, das kann jeder. ... Es ist mir egal, welche Konsequenzen das haben wird. Ich gehe nicht und damit basta.“ Im nächsten Moment hatte sie aufgelegt. „Ist alles in Ordnung? Du klangst aufgebracht.“ „Ja, war nicht weiter wichtig.“ „Wie wäre es, wenn wir zum Globe Theater fahren? Ich weiß, es ist ein beliebtes Ziel für Londonbesucher, aber so wahnsinnig sehenswert. Und du bist ja auch ein bisschen Schauspieler, wenn du auf der Bühne stehst, weshalb ich dachte, du würdest es vielleicht interessant finden“, sagte Lucas. „Sein oder Nichtsein, das ist hier die Frage“, erwiderte Ada nur. Ein knappe Stunde später standen sie am Globe Theater - das auch Shakespears Globe genannt wurde. Ada hatte sich wieder ein Tuch um den Kopf geschlungen, das sie bei Bedarf ins Gesicht ziehen konnte, sie wollte nicht erkannt werden. „Das originale Theater war 1613 durch einen Brand zerstört wurden - die Stücke wurden zu dieser Zeit mit möglichst realen Gegenständen gespielt und so sorgte das Abfeuern einer Kanone für den Brand. Es wurde schnell wieder aufgebaut, doch wenige Jahre später wurden alle Vergnügungsstätten durch die Regierung geschlossen. Man riss das Theater ab und baute Mietshäuser. Erst vor zwanzig, fünfundzwanzig Jahren wurden die Fundamente wiedergefunden und man baute es wieder auf. Bis heute kennt man noch nicht alle Einzelheiten des Aufbaus.“ „Woher weißt du das alles?“, fragte Ada bewundernd. „So was weiß man eben als Londoner.“ „Ich bin wirklich beeindruckt.“ Anerkennend lächelnd griff sie nach seiner Hand und lief auf den Eingang zu. Sie sahen sich die Ausstellung zur Bedeutung und Geschichte des Globe an und nahmen dann an einer Probevorstellung teil. London, 20.September Am Vormittag spazierten sie durch Mayfair bis zur Bond Street, von Lucas‘ Wohnung aus waren es nur etwa zwanzig Minuten. Auch in London war man zu Fuß oder mit der U-Bahn schneller unterwegs als mit dem Auto. Es war ein wunderbar warmer Tag, der Spätherbst zeigte sich von seiner besten Seite. „Es hat wirklich schon lange keinen Sonnentag mehr gegeben. Manchmal sieht man sie für ein paar Augenblicke, aber die meiste Zeit ist es bewölkt oder regnet sogar“, berichtete Lucas. „Und kaum bin ich in der Stadt scheint die Sonne.“ „Das ist wohl wahr.“ Lucas drückte ihre Hand noch etwas fester, beugte sich im Gehen zu ihr hinüber und küsste sie auf die Wange. „Du bist eben ein Sonnenschein.“ „Du bist süß“, antwortete Ada und lächelte verlegen. „Wo gehen wir eigentlich hin?“ „Na ja, ich dachte, du als Weltstar möchtest vielleicht ein Foto mit anderen Weltstars - allerdings auf der politischen Ebene.“ „Wie meinst du das?“ „In der Bond Street gibt es eine Bank, auf der bereits zwei Statuen sitzen - eine stellt Roosevelt dar, die andere Churchill. Diese Statue war ein Geschenk der Geschäfte und Unternehmen in der Bond Street an die Stadt zum 50 Jahre währenden Frieden nach dem zweiten Weltkrieg. Du merkst, die Statue ist schon etwas älter, aber immer noch ein Geheimtipp.“ „Klingt nicht schlecht. Meinst du, man kann Fotos mit ihnen machen?“ „Auf jeden Fall. Es ist ein Platz zwischen beiden frei.“ Auf der Bond Street herrschte reges Treiben, aber es waren nur wenige Touristen oder Einkäufer, sondern eher Geschäftsleute auf dem Weg zu Treffen oder auf die Arbeit. Die Statue wurde von allen links liegen gelassen, weshalb Ada es sich zwischen den beiden Staatsmännern gemütlich machen konnte. Lucas ging mit dem Handy in der Hand einige Schritte rückwärts, um die ganze Szene auf das Foto zu bekommen. Ada beugte sich zu Roosevelt hinüber und machte einen Kussmund. Es wirkte durch die Anordnung der Statuen so, als würde sich Roosevelt über den Kuss freuen und Churchill sich eifersüchtig nach vorn beugen. „Super. Sieht fantastisch aus“, meinte Lucas und trat wieder zu ihr. „Darf ich den Kuss bekommen, den Roosevelt nur angedeutet bekommt?“ „Aber sicher doch.“ Ada stelle sich auf die Zehenspitzen und schlang ihre Arme um seinen Hals, bevor sie ihn lang und innig küsste. Nach einem kleinen Mittagessen machten sie sich auf den Weg zu den Roman Baths. Südlich des Victoria Park in der Nähe der Roman Street gelegen waren die Bäder eine Kuriosität Londons. „Wir wissen nicht, ob die Bäder wirklich auf die Römer zurückzuführen sind, aber die Vermutung liegt auf jeden Fall nahe.“ Die Führung durch die Bäder wurde durch eine Dame geleitet, die die historischen Fakten mit den Mythen verknüpfte. „Bekannt sind die Bäder aber vor allem durch Charles Dickens - in David Copperfield werden sie häufiger erwähnt, da die Hauptfigur hier baden geht.“ „Sie macht das echt gut“, flüsterte Lucas Ada zu. „Ja, wer hätte gedacht, dass uralte Bäder interessant sein könnten.“ „Hey!“ „Entschuldige. Ich weiß, dass du mir die Geheimtipps zeigen willst und natürlich auch sollst.“ Auf dem Rückweg zur Baker Street erstanden sie bei einem Straßenhändler frisches Gemüse und in einem Lebensmittelgeschäft Hähnchen und Tiramisu. „Und du bist dir sicher, dass du Reis zuhause hast? Deine Küche sah wirklich schlecht ausgestattet aus.“ „Ja, ich habe Reis. Der wird nämlich nicht wirklich schlecht. Und sollte ich wirklich keinen haben, dann fragen wir Miss Harver, okay?“ „Na gut“, antwortete Ada, sah ihn aber mit einem misstrauischen Blick an. Eine halbe Stunde später standen sie in der Küche und bereiteten das Abendessen vor. Lucas schnitt das Hähnchenfilet und begann es zu braten, während Ada sich das Gemüse vornahm und nach einiger Zeit ebenfalls in die Pfanne gab. Der Reis wurde in einen Topf mit kochendem Wasser gegeben. „Kommst du allein klar?“ „Traust du mir etwa nicht zu, dass ich richtig umrühren kann?“, erwiderte Lucas. „Schon, ich wollte nur wissen, ob ich dich allein lassen kann. Ich würde gern meinen Teil unserer Internetseite aktualisieren und das Foto mit den Statuen einstellen.“ „Mach ruhig. Du kannst gern meinen Laptop nutzen, er steht auf dem Schreibtisch.“ „Danke.“ Sie küsste ihn auf die Wange und ging dann in das kleine Wohnzimmer. Der Laptop war bereits hochgefahren und Ada rief zunächst ihre Mails ab, bevor sie auf die Internetseite Lavernas ging. Nach dem Videodreh für unsere neue Single, die am 25.09. veröffentlicht wird, verbringe ich noch einige Tage in London und sehe mir die unbekannteren Sehenswürdigkeiten an. Heute war ich an der Bond Street und habe Roosevelt geküsst. Aber seht selbst. ;-) Sie lud das Foto hoch und musste grinsen. Es sah wirklich toll aus. Den Fans würde es gefallen, sie waren durch diese persönlichen Statements näher an ihren Idolen und sahen gleichzeitig, dass sie auch nur einfache Menschen waren, die sich wie andere Touristen auch verhielten. „Schatz, das Essen ist fertig.“ „Bin schon da“, antwortete Ada und schmunzelte über den Kosenamen. Das Essen war bereits angerichtet. Lucas hatte den Reis in eine Tasse gegeben und diese dann auf den Teller gestürzt. Es war dadurch ein schön geformter Berg aus Reis entstanden, um den herum die Gemüse-Hähnchen-Pfanne angerichtet war. „Das sieht wirklich lecker aus.“ „Hoffentlich schmeckt es dir auch.“ Sie lächelte und bevor sie den ersten Bissen nahm, küsste sie ihn. „Deinem Gesichtsausdruck nach schmeckt es also.“ „Hast du also doch etwas von Sherlock Holmes“, erwiderte Ada. „Vielleicht.“ „Nun, dann bist du eben mein Sherlock. Und im Gegensatz zum richtigen Sherlock bist du zum Glück zu Gefühlen fähig.“ „Du siehst wirklich sexy aus, wenn du den Abwasch machst“, meinte Ada. „Wer kann, der kann.“ „Aha, du bekommst solche Komplimente also öfter?“ „Nun, wenn es nicht stimmen würde, würde ich nicht mit einem Weltstar zusammen sein, oder?“, erwiderte er grinsend. Ada schüttelte lachend den Kopf und schlug ihn mit dem Geschirrtuch. Er griff reflexartig danach und zog daran. Sie war so überrascht darüber, dass sie sich mit dem Tuch mitziehen ließ. Er legte seinen Arm um sie, drückte sie fest an sich. „Ich will dich.“ „Lucas...“, es war mehr ein Hauchen. Seine Hände glitten über ihren Rücken, seine Küsse waren voller Leidenschaft. Ada fuhr mit ihren Händen über seinen Oberkörper, begann, sein Hemd aufzuknöpfen. Wenige Augenblicke später landete es auf dem Fußboden der Küche. „Du bist so heiß.“ Lucas‘ Lippen begannen ihren Hals zu küssen, saugten an ihrer weichen Haut. Ada griff an ihren Rücken, zog den Reißverschluss auf und streifte das Kleid ab. „Lass uns ins Schlafzimmer gehen“, flüsterte sie, griff nach seiner Hand und zog ihn mit sich. Sie lagen dicht beieinander, hielten sich an den Händen fest. „Weißt du noch, wie unsere Hände sich nicht loslassen wollten? An unserem ersten Abend?“ „Es hatte etwas Elektrisierendes.“ „Genau wie jetzt“, sagte er und küsste sie auf den Handrücken. „Ich bin so glücklich, dass du bei mir bist.“ Moskau, 26.September Ada saß in ihrer Garderobe und machte sich bereit für den Fernsehauftritt. Als sie sich gerade die Wimpern tuschte, klingelte ihr Handy. Sie nahm den Anruf an und stellte sofort auf den Lautsprecher um. „Wir haben neue Aufträge für dich“, hörte sie die bekannte Stimme sagen. Wie immer gleich bei der Sache. So viel zu einem Hallo. „Das habe ich mir bereits gedacht, sonst hättet ihr keine Tour durch Asien geplant“, erwiderte Ada und schminkte sich weiter. „Wann und wo soll es losgehen?“ „Direkt heute Abend nach eurem Auftritt. Wir haben ganz überraschend erfahren, dass die betreffende Person nicht im Land ist. Alle Informationen schicken wir dir per Mail.“ „Verstanden.“ Ohne ein weiteres Wort wurde das Gespräch beendet. Da gibt man sich die größte Mühe und bekommt kein freundliches Wort zu hören. Warum mache ich das eigentlich noch, wo doch mein Alibi-Job viel mehr Anerkennung einbringt? ... Ach ja, Gerechtigkeit. Sie seufzte und drehte die Wimperntusche zu, bevor sie sich zu ihren Bandkolleginnen in den gemeinsamen Aufenthaltsraum ging. Moderator: Euer neues Video ist in London entstanden. Auch das Abschlusskonzert der letzten Tour fand in London statt. Was verbindet ihr mit dieser Stadt? Rachel: Nun ja, London ist einfach eine hippe, moderne Stadt - so wie wir. Anna: Die Städte unserer Konzerte werden übrigens von unserem Management geplant, da hatten wir gar kein Mitspracherecht. Ada: Das Video in London zu drehen, war meine Idee. Ich mag die Stadt. Wir waren nach unserer Tour noch länger dort, haben uns einige Sehenswürdigkeiten angesehen. Ich fand, das Flair passt ganz gut zu unserer neuen Single und etwas Eigennutz war auch dabei - ich hatte schließlich erst einen Bruchteil dieser großartigen Stadt sehen können. Moderator: Ich hoffe, dass es euch mit Moskau auch so gehen wird und ihr schnellstmöglich wieder herkommen werdet. Ada: Wir werden sehen [lacht]. Moderator: Die erste Single ist in Russland und in vielen anderen Ländern ebenfalls gleich auf Platz 1 der Singlecharts eingestiegen. Habt ihr damit gerechnet? Anna: Sicher doch! Rachel: Na ja, Scherz beiseite. Wir hoffen natürlich bei jeder Single, dass sie bei den Fans gut ankommt, bangen aber immer bis zum Schluss. Wir sind stolz darauf, dass uns unsere Fans treu geblieben sind und auch unsere musikalischen Experimente mitmachen. Moderator: Wie sehen die Pläne für die nächsten Wochen aus? Ada: Die nächsten zwei, drei Wochen sind wir auf Werbetour durch Asien - geben also Interviews im Radio oder Fernsehen, stellen unsere Single vor. Rachel: Danach werden wir dann die nächste Tour starten - ebenfalls hier in Asien. Alle großen Städte sind mit dabei. Moskau wieder zum Konzert, Seoul, Tokio, Jakarta, Peking und viele weitere. Anna: Wir freuen uns schon sehr auf die nächsten Wochen - auch wenn es sehr anstrengend wird. Rachel: Doch die Freude in den Augen unserer Fans wird uns die Anstrengungen vergessen lassen. Seoul, 10.Oktober Es war bereits weit nach Mitternacht, als Ada mit der U-Bahn zurück zum Hotel fuhr. Sie trug dunkle Kleidung, hatte einen kleinen Rucksack auf dem Rücken. Um weniger aufzufallen, hatte sie ihre Haare unter einer schwarzen Perücke versteckt. Normalerweise verzichtete sie auf Perücken und nahm lieber Tücher oder Sonnenbrillen, doch in Asien waren dunkle Haare weitaus verbreiteter. In der Hosentasche war das kleine Beutelchen aus Samt. Um es ja nicht zu verlieren, hatte sie die Hand in der Hosentasche versenkt und hielt es fest. An der Haltestelle Chungmuro stieg sie aus und machte sich auf die Suche zum Anschlussbahnsteig - auf dem Weg dorthin kamen ihre unzählige Menschen entgegen - selbst noch um diese Uhrzeit. Ein Mann trug eine rote Rose, er sah nicht auf und stieß deshalb mit Ada zusammen, die durch den Menschenstrom nicht ausweichen konnte. „I’m so sorry! Please take this rose! Sorry!“ „No problem“, erwiderte Ada, nahm die Rose lächelnd an und lief weiter. Der Beutel aus Samt hatte unbemerkt von der Umgebung den Besitzer gewechselt. „Hey Sherlock!“ „Ada, hallo.“ Sie hatte geduscht und sich ins Bett gelegt, einschlafen konnte sie aber nicht. Nach einem Blick auf die Uhr wusste sie, dass es in London achtzehn Uhr war. Sie hatte sich ihr Handy gegriffen und Lucas‘ Nummer gewählt. „Ich musste unbedingt deine Stimme hören.“ „Das freut mich. Aber warum schläfst du nicht? Bei dir müsste es doch etwa zwei Uhr nachts sein“, fragte Lucas. „Eigentlich ist es schon drei Uhr. ... Ich weiß auch nicht, nach dem Auftritt heute Abend waren wir mit den Mädels noch etwas trinken und jetzt kann ich irgendwie nicht schlafen. Und ich vermisse dich.“ „Du fehlst mir auch.“ Jedes Mal, wenn es ihnen möglich war, telefonierten sie, was durch die Zeitunterschiede und Auftritte nicht oft der Fall war. Doch sie nutzten alle Möglichkeiten, um in Kontakt zu bleiben – SMS, E-Mail, soziale Netzwerke. Sie wollten es schaffen, zusammen zu bleiben. London, 15.Oktober Ada: Ich bin heute Abend in London. Lucas: Was ist mit der Asientour? Ada: Rachel ist krank, alle Termine für die Woche abgesagt. Lucas: Ich muss länger arbeiten, aber Miss Harver ist da. Ada: Okay. Ich freue mich. Lucas ließ das Handy in der Hosentasche verschwinden und sah auf seine Pinnwand, die noch voller geworden war in den letzten Wochen. Sein Verdacht verhärtete sich immer mehr. Die Tourdaten Lavernas stimmten mit den Daten und Orten der Einbrüche überein. Es musste einen Zusammenhang geben, auch wenn er es nicht wahrhaben wollte. Seit sie in Asien unterwegs waren, wurden auch Einbrüche von diesem Kontinent gemeldet. Es konnte einfach kein Zufall mehr sein. Ich muss sie darauf ansprechen. Vielleicht kann sie es erklären. Vielleicht weiß sie auch gar nichts davon und eine von den anderen beiden ist diejenige welche. Ada darf einfach nichts damit zu tun haben. Ada landete am Abend in London Heathrow. Sie nahm sich ein Taxi zu seiner Wohnung, wo sie sich treffen wollten. „Guten Abend, Miss Harver“, begrüßte sie Lucas‘ Vermieterin, als sie ihr die Tür öffnete. „Ada, schön Sie zu sehen. Kommen Sie doch herein. Lucas ist auch vor wenigen Minuten nach Hause gekommen.“ „Vielen Dank.“ Ada lief zügig die Treppe hinauf und öffnete die Tür zu Lucas‘ Wohnung. „Hey Lucas!“ „Ada, hallo.“ Er umarmte und küsste sie, doch die Begrüßung fiel kühler aus als gewohnt. „Ist alles in Ordnung? Du wirkst heute so anders.“ „Ich habe da einen Fall, der mich ziemlich beschäftigt. … Ich verfolge eine Reihe von Einbrüchen, die sich auf drei Kontinenten ereignet haben. Aus irgendeinem Grund stimmen die Zeitpunkte mit den Aufenthalten deiner Band in diesen Orten überein.“ Ada schluckte, als sie das hörte. „Habt ihr… hast du etwas mit diesen Einbrüchen zu tun?“ Er packte sie am Handgelenk und sah sie ernst an. „Lucas, bitte lass das.“ „Nein! Ich muss wissen, ob du an dem Ganzen beteiligt bist!“ Sie befreite sich aus seinem festen Griff und drehte sich von ihm weg, damit er ihre Tränen nicht sah. „Ich muss wissen, ob du etwas mit den Einbrüchen zu tun hast! Hörst du? Sag mir einfach, dass du nichts davon weißt!“ Er griff nach ihrem Arm und zog sie zu sich herum. Die Tränen in ihren Augen sagten alles. „Du hast also… du bist also die Einbrecherin.“ „Ich kann dir das erklären.“ „Wie willst du das noch erklären?!“ „Ja, ich breche bei Leuten ein und bestehle sie, aber ich bin auf der guten Seite. Wirklich, du musst mir glauben.“ „Ich muss dir gar nichts glauben! Du kannst froh sein, dass ich nicht die Befugnis habe, jemanden festzunehmen.“ Sie sah ihn entsetzt an. Wie kann er mir so etwas ins Gesicht sagen? Ich arbeite doch auf seiner Seite. Ada griff nach ihrer Tasche. „Gut, du willst mir nicht zuhören. Dann kann ich ja auch gehen.“ Langsam lief sie auf die Tür zu, sie öffnete diese und trat hindurch. „Auf Wiedersehen.“ Ada wartete noch einen Augenblick auf eine Erwiderung, doch Lucas sagte nichts mehr. Sie schloss die Tür und lief die Treppe hinunter. Tränen vernebelten ihr die Sicht. Ich liebe dich, Lucas. Aber ich werde dich wohl nie wiedersehen. Leb wohl, mein Schatz, leb wohl. Schluchzend verließ sie das Haus und lief die Baker Street hinauf. Die klare, kalte Luft schlug ihr ins Gesicht, doch sie spürte die Kälte überhaupt nicht. Der Schmerz in ihrem Herzen übertönte alles. Kapitel 5: Akt 4.1 ------------------ London, 15.Oktober „Lucas?“ Miss Harver lief die Treppe hinauf. Sie hatte die Auseinandersetzung und das Gehen Adas mitbekommen. „Ist alles in Ordnung?“ Sie trat in die Wohnung und sah, wie Lucas vor dem Fenster stand, sich auf dem Fensterbrett abstützend. „Lucas?“ „Es ist alles in Ordnung, Miss Harver.“ „Aber ich habe gehört, dass Ada gegangen ist. Sie schien geweint zu haben.“ „Bitte gehen Sie.“ „Aber Lucas…“, versuchte sie es noch einmal. „Miss Harver, bitte lassen Sie mich jetzt allein.“ Seine Stimme war lauter geworden und sie zog sich leise wieder zurück. Als er hörte, dass sich die Tür geschlossen hatte, schlug er mit der Faust auf das Fensterbrett. Wieso musste es so enden? Wieso musst ausgerechnet du diejenige sein? Ich liebe dich doch, Ada. Genf, 16.Oktober „Ich will aussteigen!“ Noch in derselben Nacht war Ada nach Genf geflogen. Am nächsten Morgen um Punkt acht Uhr saß sie im Büro ihres Vorgesetzten. „Warum?“ „Ich kann das einfach nicht mehr. Durch diesen Job habe ich alles verloren. Ich habe ihn verloren.“ „Ada, du kannst nicht einfach so aussteigen. Du hast einen Vertrag unterschrieben“, warf ihr Boss ein. „Aber ich will das nicht mehr!“ „Du wurdest jahrelang ausgebildet, du gehörst zu den Besten, die wir haben.“ „Ja, warum gehöre ich wohl zu den Besten? Weil du mich schon als Kind zu den Trainingscamps geschleppt hast.“ „Und trotzdem kannst du das nicht hinschmeißen.“ „Er wird mich anzeigen und dann wandere ich ins Gefängnis, da kann ich auch gleich aufhören“, erwiderte sie trotzig. „Bleib doch mal realistisch. Du hast nichts falsch gemacht und du wirst nicht ins Gefängnis gehen, schließlich arbeitest du für eine Regierungsorganisation. Es war richtig, dass du ihm nicht gesagt hast, für wen du arbeitest. Du hast schließlich eine Schweigeklausel unterzeichnet. Aber wenn er dir nicht vertraut, dann war er nicht der Richtige für dich. Vergiss ihn einfach und mach deinen Job. Mach das, das du kannst!“ „Wie soll er mir auch vertrauen? Er weiß, dass ich eine Verbrecherin bin und er arbeitet bei der Polizei. Er denkt, ich stehe auf der falschen Seite.“ „Ada, jetzt reiß dich mal zusammen. Du machst deine Arbeit und damit ist die Diskussion beendet!“ „Aber…“, wollte sie einwerfen. „Kein Aber!“ „Wie du befiehlst, Vater!“, sagte sie und verließ das Büro. Mit schnellen Schritten lief sie die Treppe hinunter und trat aus dem Gebäude. Als sie endlich draußen war, schrie sie laut auf. Sie musste einfach ihren Frust hinaus lassen. Sie schrie und schrie und fühlte sich nach einer Weile besser. Als sie wieder das Gebäude betrat, wurde sie von den Mitarbeitern, die sie beobachtet hatten, verwundert angesehen, doch es war ihr egal. Ich habe die Person verloren, die ich liebe. Ich habe jedes Recht, mir meinen Frust von der Seele zu brüllen. Lasst mich doch alle in Ruhe. London, 16.Oktober Etwa zur gleichen Zeit saß Lucas in seinem Büro und rang mit sich. Sollte er seinem Vorgesetzten von seinen Ergebnissen berichten oder doch noch warten? Sie hatte ihm die Einbrüche gestanden, sie war schuldig. Aber konnte er wirklich verantworten, dass sie festgenommen und eingesperrt wurde? „Ich muss es melden!“ Er begann einen Bericht zu schreiben, fügte alle Hinweise und Fotos hinzu, die er für entscheidend erachtete, und machte sich auf den Weg zu dem Büro seines Vorgesetzten. Als er vor der Tür stand und klopfen wollte, hielt er noch einmal kurz inne. Ich kann doch die Anzeige nicht hinauszögern, nur um sie zu schützen. Ich kann meinen Vorgesetzten nicht vorgaukeln, dass ich noch keine Spur habe. Das wäre der falsche Weg. Er klopfte und wurde hineingebeten. Zurück in seinem Büro begann Lucas, die Fotos und Notizzettel von der Pinnwand zu nehmen und in einen Ordner einzuheften. Als er das Bild von Ada in die Hand nahm, betrachtete er es eine Weile. Es tut mir leid. Dann legte er es zu den anderen Bildern. Als Lucas am Abend nach Hause kam, stand das Abendessen bereits auf dem Tisch. Miss Harver hatte es auf seinem kleinen Küchentisch angerichtet. Das hat sie ja schon lange nicht mehr gemacht. Er sah die Post durch, die neben dem Teller lag, doch es schienen nur Rechnungen zu sein. Piep, piep. Sein Handy zeigte an, dass eine Kurzmitteilung empfangen wurde. Ach ja, ich hatte das Handy heute Morgen vergessen. Lucas griff nach einem Stück Tomate und lief zu seinem Schreibtisch hinüber. Das Display zeigte 5 Anrufe in Abwesenheit und 3 Kurzmitteilungen an. Er klickte auf die Anrufe, alle waren von Ada, und als er die Mitteilungsübersicht öffnete, musste er feststellen, dass die Nachrichten ebenfalls von Ada waren. Er markierte sie als gelesen und legte das Handy wieder zur Seite. „Lucas.“ „Miss Harver. Hallo.“ „Du hast ja noch gar nichts gegessen“, meinte sie vorwurfsvoll. „Ich bin ja auch gerade erst rein. … Aber vielen Dank!“ „Na komm, setz dich schon und iss. Du siehst ganz hungrig aus.“ Er lächelte, auch wenn ihm nicht danach zumute war. Sie setzte sich mit ihm an den Tisch. „Wie war dein Tag heute?“ „Anstrengend.“ „Hast du deinen Fall gelöst?“ Er schluckte. „Ja.“ „Na, das ist doch schön. Seit Monaten sitzt du daran, arbeitest viel zu lang, bis spät in die Nacht. Vielleicht bekommst du nun leichtere Aufgaben“, sagte Miss Harver. „Mal sehen.“ Woher soll sie auch wissen, dass Ada die Schuldige ist? Er seufzte und biss erneut von dem mit Käse belegten Brot ab. „Warum ist Ada eigentlich nicht da?“ „Sie konnte nur kurz vorbeischauen, die Arbeit eben. Sie haben hier einen Termin gehabt.“ „Ach so, ich hatte mich schon gewundert, dass sie so schnell wieder weg war. Ehrlich gesagt hatte ich Angst, dass ihr euch gestritten habt.“ Lucas antwortete darauf nichts mehr, er wollte einfach nicht lügen. Stattdessen aß er die Brote, die auf noch auf dem Teller lagen. Miss Harver hätte schließlich nicht zugelassen, dass auch nur ein Krümel übrig blieb. „Vielen Dank für das Essen.“ „Ich mache das doch gern für dich, Lucas.“ „Trotzdem.“ Sie sammelte das Geschirr zusammen, stellte es auf ein Tablett und wandte sich zum Gehen. „Ich wünsche dir eine gute Nacht.“ „Ihnen auch, Miss Harver.“ Als sie am Ende der Treppe angekommen war, schloss Lucas die Tür. Er ließ sich in seinen Ohrensessel fallen, stützte den Kopf in beide Hände, schloss die Augen. Ich vermisse sie so. Bangkok, 01. November In den frühen Morgenstunden landete das Flugzeug in Bangkok. Es war noch dunkel, als die Passagiere aus dem Flugzeug in die Ankunftszone strömten. Sie liefen die langen Gänge entlang bis zu den Gepäckbändern. Ada sah durch die große Fensterfront nach draußen. Ich wünschte, ich könnte bei Lucas sein. Ich möchte ihn so gern in den Arm nehmen und einfach nur halten. Und von ihm gehalten werden. Es stahlen sich Tränen in ihre Augen, so wie jedes Mal, wenn sie an ihn dachte. Ständig waren ihre Gedanken bei Lucas, sie fragte sich, was sie hätte anders machen können, was sie hätte sagen können. „Ada, alles klar? Du siehst so traurig aus“, fragte Anna. „Ja, alles okay. Ich bin nur müde. ... Haben wir im Hotel noch einmal Zeit, um uns hinzulegen?“ „Um 11 Uhr ist der erste Termin, für den wir um 10 abgeholt werden, also ja.“ „Gut. Im Flugzeug schlafe ich immer so schlecht...“ Hoffentlich kann ich in einem Bett besser schlafen... ohne immer von ihm zu träumen. London, 05. November „Lucas, hast du heute Abend Zeit?“ „Hallo Judy! Wie wäre es mit einer Begrüßung?“ „Entschuldige. ... Hallo Lucas. Wie geht es dir?“ „Judy, schön von dir zu hören. Mir geht es ganz gut - viel Arbeit“, antwortete er und schmunzelte über das Verhalten der Freundin. So war sie schon immer gewesen. „Du arbeitest sowieso zu viel. Nimm dir doch den Abend frei und unternimm etwas mit mir. Bitte!“ Judy zog das Bitte ganz lang. „Komm schon! Bitte, bitte, bitte. Du sagst sonst immer ab.“ „Ich habe doch noch gar nichts gesagt.“ „Aber auch nicht zugesagt!“ „Wann und wo wollen wir uns treffen?“ „Wirklich, Lucas?“ „Schnell, bevor ich es mir anders überlege.“ „Ich hole dich um sieben ab, trage einen Smoking oder Anzug. Und keinen billigen!“ „Judy, was hast du...“, doch bevor er die Frage beenden konnte, hörte er das Tuten, das anzeigte, dass der Anrufer aufgelegt hatte. Judy, das kann doch nicht dein Ernst sein! Aber dann legte er lächelnd auf. Als ob ich ihr absagen würde. Und es wird mir gut tun, mal unter Leute zu kommen. Singapur, 06. November Anna, Rachel und Ada saßen mit ihren Tablets und Laptops im Wohnzimmer ihrer Suite. Rachel ging ihrem Interesse nach und surfte auf Internetseiten, die sich mit Berühmtheiten aus Musik, Film und Fernsehen beschäftigten. „Gestern war der Winterball zur Unterstützung der Elton John AIDS Foundation - seht euch mal die Fotos an. Fantastische Kleider. Warum gehen wir eigentlich nie auf solche Bälle?“ Sie drehte den Laptop herum, damit die anderen beiden die Fotos sehen konnten und klickte nach einigen Sekunden weiter in der Show. „Das rote Kleid ist wirklich fantastisch.“ „Ja, zu den blonden Locken wirkt es als toller Kontrast.“ „Oh wow, das ist ja fast durchsichtig. Sie wollte wohl jemand aufreißen.“ „Oder unbedingt auffallen, damit der Stern nicht sinkt.“ Sie amüsierten sich köstlich über die anderen Berühmtheiten, so wie sich vermutlich andere Menschen auch über sie unterhielten. Beim nächsten Foto setzte Adas Herz für einen Moment aus - dort stand Lucas und lachte in die Kamera. Seinen Arm hatte er um Judy gelegt, die in ihrem saphirblauen Kleid wunderschön aussah. Anna und Rachel erkannten die beiden nicht wieder und sie klickten weiter. Als sie alle Fotos durchgesehen hatten, setzte sich Ada wieder an ihr Tablet und öffnete die Fotoshow erneut. Sie suchte das Foto mit Lucas und starrte es einfach nur an. Er sieht so gut aus. Und so glücklich. Ich hätte nicht gedacht, dass er mich so schnell vergisst. Ob sie zusammen sind? Wir sind noch nicht einmal einen Monat getrennt. ... Obwohl ich seine Wahl verstehen könnte, sie wohnt in London, sie kennen sich schon seit der Schule, sie sieht großartig aus. ... Er fehlt mir so schrecklich. Sie blinzelte mehrmals, damit die Tränen nicht die Wangen hinunterlaufen konnten. Warum musste es nur soweit kommen? Was hätte ich tun können, um das zu verhindern? Kapitel 6: Akt 4.2 ------------------ London, 06. November Es war bereits später Vormittag, als Lucas wach wurde. Er blinzelte in Richtung Fenster und schloss die Augen mit einem Seufzen wieder - es regnete. Nach einer Weile rappelte er sich auf, ging ins Bad und holte sich danach in der Küche etwas Obst und eine Schale Cornflakes. Während er sich die Apfelstücke in den Mund schob, fuhr er den Laptop hoch und sah nach seinen Mails. Was will denn Mary von mir? Er öffnete die Mail seiner Arbeitskollegin und musste lachen, als er sie las.   Date: 06 Nov 201x  10:02:12 From: mary.mary@london.com To: lucas.holmes@london.com Subject: Nächstes Mal nimmst du mich mit!   Wenn du an Karten für solche Veranstaltungen kommst, warum besorgst du mir dann keine? Siehst echt toll aus. Wer hätte gedacht, dass man dich auf einer Party entdeckt?!   Liebe Grüße, Mary     Es war noch ein Link angefügt, der auf die offizielle Website der AIDS Foundation führte, die Fotos der gestrigen Gala zeigte. Sie haben uns im richtigen Moment erwischt. Judy hatte mich grad zum Lachen gebracht und ich hatte sie dafür zum Tanzen aufgefordert. Mit einem wehmütigen Lächeln dachte Lucas an den Abend.     „Wie kommt es eigentlich, dass du mich gefragt hast, ob ich dich begleite? Hatten deine Verehrer schon etwas vor?“ „Lucas, ich hätte mit jedem hier sein können, aber ich wollte, dass du mitkommst. Wir haben uns seit meiner Geburtstagsfeier nicht mehr gesehen und ich wollte einfach wissen, was bei dir so los ist. Und warum nicht einen festlichen Anlass dafür nutzen?“ „Du bist wirklich einmalig!“ „Danke!“, sagte sie und lachte. „Also, was hast du seit August getrieben? Und jetzt erzähl mir nicht, du warst arbeiten!“ „Natürlich war ich nicht nur arbeiten. Ende August war ich zum Beispiel für ein paar Tage in New York. Meine Mutter spielt zurzeit in einem Broadway-Stück mit und hatte mich eingeladen. Zudem habe ich dort deine Lieblingsband wiedergetroffen.“ „Echt jetzt? Du hast Laverna getroffen?“, fragte Judy mit einem Glitzern in den Augen. „Ja, ich hatte im Internet gelesen, dass sie in der Stadt sind, um ihr neues Album aufzunehmen und ich bin einfach zum Tonstudio.“ „Du bist von dir aus zu ihnen? Und die haben dich da rein gelassen?“ „Was soll ich sagen - ja. Ich wollte...“, für einen kurzen Moment hielt er inne und versuchte den Schmerz zu verdrängen, „Ada so gern wiedersehen.“ „Stimmt ja, du hattest dich auf meiner Party mit ihr unterhalten.“ „Ich hatte gedacht, dass sie mich gar nicht sehen will und auch meine Einladung ablehnt, doch sie hat zugesagt und am Abend sind wir gemeinsam in dem Stück meiner Mutter gewesen.“ „Du warst mit Ada Richardson aus?!“, Judys Stimme war eine Oktave höher als sonst und sie packte ihn am Arm. „Du musst mir alles über sie erzählen!“ „Ich glaube, du weißt schon so ziemlich alles über sie. Sie ist herzlich, humorvoll und einfach liebenswert. Ich hatte mich bereits auf deinem Geburtstag in sie verliebt.“ „Oh mein Gott, Lucas!“ „Sie war noch zwei Abende in New York und wir waren an beiden aus...“ Er erzählte von ihren Verabredungen und dass er geglaubt hatte, sie würden sich nie wiedersehen. „Und dann stand sie an einem Abend plötzlich in meiner Wohnung.“ „In deiner Wohnung? In der Wohnung, in der ich dich vor einer Stunde abgeholt habe? In der Wohnung, die nie aufgeräumt ist?“ „Genau in der“, antwortete Lucas und lachte, bevor er weiter berichtete. „Na ja, und im letzten Monat habe ich etwas herausgefunden, das mein Bild von ihr zerstörte. Ich kann dir leider nicht sagen, worum es sich handelt, aber ich konnte die Beziehung nicht weiterführen.“ „Lucas, es tut mir leid. Warum hast du dich nicht bei mir gemeldet, ich hätte dich doch versucht zu trösten“, sagte Judy und nahm ihn in den Arm. „Das ist lieb von dir, das zu sagen, aber mir kann nichts helfen. Ein gebrochenes Herz ist ein gebrochenes Herz. Egal, wie kitschig das gerade klingt.“ „Und es gab keine Möglichkeit, euch zu einigen?“ „Leider nicht.“ „Und hast du danach noch einmal mit ihr gesprochen?“ „Nein, sie schreibt mir zwar Mails und SMS, aber ich habe sie nicht beantwortet geschweige denn überhaupt gelesen.“ „Ach Lucas...“ „Ich weiß, vielleicht sollten wir uns noch einmal treffen und uns aussprechen, aber ich kann es nicht - sie hat mich damit zu sehr verletzt.“ „Na ja, das wird schon wieder. ... Und sieh es mal so, du hast sie kennen gelernt, als du auf meiner Party warst. Heute bist du wieder mit mir unterwegs - das kann doch nur gut ausgehen, oder?“, meinte Judy und lachte. Lucas blieb gar nichts anderes übrig, als in ihr herzerwärmendes Lachen mit einzustimmen. „Ja, es kann nur gut ausgehen. ... Lass uns tanzen gehen!“ Er schob seinen Stuhl zurück, stand auf und reichte ihr seine Hand. Lächelnd legte sie ihre Hand in die seine. „Miss Monroe, ein Foto bitte!“ Ein Reporter war auf die beiden zugetreten und nachdem Judy zustimmend genickt hatte, posierten sie gemeinsam für das Foto.     Jakarta, 03. Dezember Die Werbekampagne in Asien war so erfolgreich verlaufen wie geplant und aus diesem Grund fand auch direkt im Anschluss die Konzerttour statt. Tokio, Osaka, Hongkong, Shanghai, Singapur, Jakarta, Mumbai, alle großen Städte Asiens standen auf der Liste. Der Band blieb keine Pause zum Verschnaufen, doch Ada war froh darüber. Die ersten Tage hat sie immer wieder versucht, ihn anzurufen, hatte ihm Kurzmitteilungen geschrieben, Mails. Doch alles blieb unbeantwortet und sie begann, aufzugeben. Mit der Arbeit lenkte sie sich ab, ständig waren sie unterwegs, ständig mussten sie Interviews geben, ständig gaben sie Konzerte vor begeisterten Fans. „Gehen wir heute nach dem Konzert noch etwas Trinken?“ „Gern“, meinte Rachel. „Ada?“ „Ich glaube nicht, dass ich mitkomme. Irgendwie geht es mir nicht so gut“, antwortete sie. „Ach komm schon! In den letzten Wochen machst du gar nichts mehr mit uns. Von den Bandterminen mal abgesehen.“ „Ich… ich werde darüber nachdenken. … Entschuldigt mich bitte.“ Sie lächelte und lief dann in Richtung Garderobe. Ihre Freundinnen sahen ihr betrübt hinterher. „Meinst du, sie ist noch wegen diesem Typen traurig?“ „Denke schon.“ „Noch fünf Minuten bis zum Auftritt!“, rief eine Stimme durch den Raum und die beiden begaben sich auf ihre Positionen. Kurz bevor der Vorhang sich öffnete, kam Ada auf ihren Platz gelaufen. Das Konzert verlief wie erwartet, sie mussten sogar zwei Zugaben geben. Noch bevor Rachel und Anna sich umgezogen hatten, war Ada bereits weg. Sie hatte sich ein Taxi genommen und war in ein Vorstadtviertel gefahren. Es war viel zu tun, auch neben dem Singen. In fast jeder Stadt gab es einen neuen Auftrag für sie. Sie musste sich konzentrieren, den ganzen Tag über, nur nachts, wenn sie allein in ihrem Hotelzimmer lag, überfiel der Kummer sie. Jede Nacht war das Kopfkissen tränennass, jede Nacht weinte sie sich in den Schlaf.     Tokio, 11.Dezember „In einer Stunde werden wir den Flughafen von Tokio erreichen“, sagte der Kapitän des Flugzeugs durch. „Das Wetter ist freundlich, wenn auch kalt.“ „Warum bist du gestern eigentlich so schnell verschwunden?“ „Entschuldigt, mir ging es wirklich nicht so gut“, antwortete Ada. „Dann hättest du uns das ruhig sagen können. Wir hätten dich doch ins Hotel begleitet.“ „Der Taxifahrer war sehr nett, er hat mich bis zur Lobby begleitet. … Wie sieht eigentlich unser Ablauf für heute aus?“ Anna und Rachel sahen sich an. Sonst wusste Ada doch immer alles auf die Minute genau. „Nach der Ankunft fahren wir ins Hotel, haben kurz Zeit uns umzuziehen und geben dann gleich eine Pressekonferenz. Im Anschluss gibt es einen kleinen Imbiss, bevor wir zu einem Radiointerview müssen. Um 17 Uhr ist Soundcheck und 20 Uhr beginnt das Konzert.“ „Okay. Danke.“ „Ist alles in Ordnung mit dir?“ „Ja, warum nicht?“ „Du wirkst in letzter Zeit nur so abwesend und nicht bei der Sache. Schläfst du nachts überhaupt?“, wollte Anna wissen. „Ja, mir geht es gut. Was sollen diese ganzen Fragen?“ „Schon gut, wir machen uns nur Sorgen“, warf Rachel ein. „Braucht ihr aber nicht.“ Den restlichen Flug über schwiegen die Drei, auch auf dem Weg zum Hotel sagten sie nichts. Erst zu der Pressekonferenz, die im großen Saal des Hotels stattfand, mussten sie wieder reden. Die Reporter machten unzählig viele Fotos, während sie Fragen über Fragen stellten. „Ada, Sie wirken in letzter Zeit so abgespannt. Ist alles in Ordnung mit Ihnen?“ Warum lasst ihr mich nicht einfach in Ruhe? Was sollen ständig diese Fragen? Ich will doch nur für mich allein sein mit meinem Schmerz. „Es sind einfach nur viele Auftritte gewesen in den letzten Wochen. Ich glaube, nach dieser Tour brauchen wir einen längeren Urlaub“, antwortete sie. „Das ist schon alles.“ Sie lächelte ihr erfrischendes Lächeln, doch ihr war überhaupt nicht danach zumute. Nach der Pressekonferenz ging Ada auf ihr Zimmer, während sich die anderen auf den Weg zum Mittagessen machten. Sie setzte sich an den Schreibtisch, fuhr ihren Laptop hoch und öffnete das E-Mail-Programm.   Date: 11 Dec 201x  14:49:22 From: ada.richardson@laverna.com To: lucas.holmes@london.com Subject: Goodbye   Ich liebe dich. Jede Nacht liege ich wach und weine. Ich vermisse dich so unglaublich, doch du meldest dich einfach nicht. Ich kann das nicht mehr. Ich will dich so gern wiedersehen, dich küssen, mit dir zusammen sein, aber du scheinst es nicht zu wollen. Deshalb werde ich dich in Ruhe lassen. Ich werde dir nicht mehr schreiben, dich nicht mehr anrufen. Ich werde einfach versuchen, dich zu vergessen. Ich lass dich los… für immer. Und doch wirst du für immer in meinem Herzen sein.   Ihre Augen füllten sich mit Tränen, als sie auf Senden klickte. Ich liebe dich für immer. Sie schloss das Programm, schaltete den Computer aus und machte sich im Bad frisch. Niemand sollte sehen, dass sie geweint hatte. Den restlichen Tag nahm sie wie in Trance wahr. Über allem lag eine Art Schleier, es wirkte wie in einem Traum. Man bekommt alles mit, ist aber doch nicht anwesend. Das Konzert war fast zu Ende. Der Vorhang war bereits einmal gefallen, jetzt stand nur noch die Zugabe an. Neben den Zugabe-Rufen konnte man auch immer wieder Stay the night hören. „Lasst uns doch Stay the night singen. Wenn die Fans den Song gern hören wollen“, meinte Rachel. „Von mir aus.“ Sie sagten dem Musikverantwortlichen Bescheid und dann öffnete sich der Vorhang erneut. Die ersten Klänge des Songs ertönten und die Fans begannen noch lauter zu kreischen.   Ich habe gehört, dass Liebe alles vergibt. Ich habe gehört, dass Liebe alles vergisst. So please don’t go, don’t let me alone. Please turn around And stay, stay the night.   Normalerweise sang Ada einfach nur den Text, er war ihr schon in Fleisch und Blut über gegangen, sie achtete überhaupt nicht mehr auf die Worte. Doch heute, heute war etwas anders. Während sie sang, wurde ihr bewusst, wovon sie eigentlich sang. Ihre Stimme brach weg und ohne, dass sie es wollte, liefen Tränen über ihre Wangen. Ich kann nicht mehr. Ich kann einfach nicht mehr. Sie ließ das Mikrofon fallen, sank zu Boden und weinte. Die Maske, die sie die letzten Wochen aufgesetzt hatte, war abgefallen. Sie zeigte ihr wahres Gesicht, sie zeigte ihre Trauer, ihre Verletzbarkeit.     London, 12.Dezember Lucas setzte sich während der Mittagspause zu seinen Kollegen in den Pausenraum. Üblicherweise machte er keine Pause, doch an diesem Tag war ihm nach etwas Abwechslung zumute. Vor gut acht Wochen hatte er seinem Vorgesetzten den Bericht über die Einbrüche überreicht, doch bis heute hatte es keine Festnahme oder anderweitige Schritte gegeben. Das Warten zermürbte ihn, denn selbst der neue Fall konnte ihn nicht ablenken. Er wollte endlich wissen, wie der Fall seinen Abschluss finden würde. Er wollte wissen, was aus ihr wurde. Auf dem Tisch lagen die einzelnen Teile der Tageszeitung verteilt, die Schlagzeile des Kulturteils fiel Lucas jedoch sofort ins Auge. Sofort griff er nach der Zeitung und überflog den Artikel.   Ada Richardson – Zusammenbruch während Live-Show Gestern Abend brach Ada Richardson (25), Mitglied der Band Laverna, während eines Konzerts in Tokio auf der Bühne zusammen. Die Band performte gerade ihren Nummer-1-Song „Stay the night“, als die Sängerin in Tränen ausbrach und auf der Bühne zusammensank. Crew-Mitglieder brachten sie in den Backstage-Bereich, während Rachel Adams und Anna Cooper das Konzert fortsetzten. Das Management dementierte Fragen nach einem Nervenzusammenbruch oder einem Burnout, obwohl Ada in ein Krankenhaus gebracht wurde. Den Grund für Adas Zusammenbruch nannten sie allerdings nicht. Jedoch scheint ein Nervenzusammenbruch wahrscheinlich. Bereits in den letzten Wochen wirkte sie bei den Auftritten und Interviews müde und ausgelaugt. Die Augen waren meist verquollen, als ob sie geweint hätte. Was ist der Grund für ihre Traurigkeit? Was lässt sie nachts nicht mehr schlafen? Ist es Liebeskummer? Ein Crewmitglied berichtete, dass Ada von ihrem Freund, den sie der Öffentlichkeit vorenthalten hatte, verlassen wurde. Oder ist es doch nur der Stress der Asien-Tour?Wir werden Sie auf dem Laufenden halten.   Oh mein Gott! Hoffentlich geht es ihr gut. Er betrachtete das Foto, das von ihr abgebildet war. Sie wirkt wie ein Schatten ihrer selbst. Soll das wirklich wegen mir sein? Soll ich ihr so viel bedeutet haben? Ich muss sie unbedingt anrufen. Lucas riss den Artikel aus der Zeitung und ging zurück in sein Büro. Unter den verstreuten Akten auf seinem Schreibtisch suchte und fand er sein Handy und wählte ihre Nummer. „Der gewünschte Teilnehmer ist derzeit nicht erreichbar. Bitte versuchen Sie es zu einem späteren Zeitpunkt erneut.“ Enttäuscht legte er auf. Verdammt! Kapitel 7: Akt 5.1 ------------------ Tokio, 12.Dezember „Wie geht es ihr?“ Rachel und Anna waren nach dem Konzert sofort ins Krankenhaus gefahren, waren von den Ärzten allerdings ins Hotel geschickt worden. Am nächsten Morgen waren sie erneut im Krankenhaus, sie hatten Adas Gepäck mitgebracht. „Wir haben ihr ein leichtes Schlafmittel verabreicht. Sie war stark übermüdet und soll sich nun erst einmal ausschlafen. Immer wieder ist sie in Tränen ausgebrochen, hat dabei nach einem… ähm… Lucas gerufen. Wissen Sie, wer das ist?“ „Ja.“ „Vielleicht sollten Sie ihn anrufen. Falls es ihm möglich ist, sollte er herkommen. Sie hat Anzeichen einer Depression gezeigt und ich glaube, dass es an ihm liegt“, sagte der Arzt und verabschiedete sich von den beiden. Sie betraten das Zimmer, in dem Ada lag, und betrachteten ihre Freundin. „Wir hätten früher handeln müssen. Ich habe die ganze Zeit gedacht, dass sie sich wieder fangen wird, dass sie ihn vergessen wird.“ „Was hätten wir denn tun sollen? Liebeskummer kann man nicht heilen.“ „Okay. Hast du die Nummer von Lucas?“ „Nein, aber vielleicht finden wir sie in Adas Handy“, überlegte Rachel. Sie griff nach der Handtasche, die sie mitgebracht hatten und suchte nach dem Telefon. „Abgeschaltet.“ „Mach es an, das Passwort bekommen wir schon heraus.“ Rachel schaltete das Handy ein und kam direkt zur Eingabe des Passworts. „Versuch ihren Geburtstag.“ „Nein.“ „Dann Lucas‘ Namen.“ „Auch nicht.“ „Versuch unseren Bandnamen.“ „Fehlanzeige. … Wie heißt dieser Lucas mit Nachnamen?“ „Warte… es war wie eine Romanfigur. … Holmes. Sherlock Holmes. Sie hat mal erwähnt, dass sie ihn deshalb immer Sherlock nennt.“ „Probieren wir es aus.“ Rachel gab den Vornamen des Detektivs ein und das Handy wurde freigegeben. „Super.“ Sie suchte nach der Nummer von Lucas, doch sie fand keinen Eintrag. Weder unter seinem Namen, noch unter Sherlock, noch unter einem anderen Kosenamen. „Vermutlich hat sie die Nummer gelöscht.“ „Oder sie konnte sie auswendig.“ „Ach Ada… Warum hast du uns nichts gesagt? Wir hätten dir vielleicht helfen können.“        London, 12.Dezember „Wieso geht sie nicht an ihr Handy?“ Wütend warf Lucas sein Telefon auf den Schreibtisch. Inzwischen ging wieder ein Ruf raus, doch Ada nahm nicht ab. Will sie nicht mit mir sprechen? Oder kann sie nicht? Er stand auf und machte sich auf den Weg zu seinem Vorgesetzten. „Ich wollte nachfragen, was aus meinem letzten Fall geworden ist. Ich meine, ich habe keine weiteren Informationen bekommen oder von einer Festnahme gehört.“ „Ich habe Ihren Bericht gelesen. In Absprache mit anderen Behörden wurde er versiegelt“, antwortete sein Vorgesetzter. „Was soll das heißen?“ „Dass der Fall zu den Akten gelegt wurde.“ „Ja, aber… warum denn?“ „Leider besitzen Sie nicht die nötige Sicherheitsstufe, um weitere Informationen zu erhalten.“ „Aber…“ „Es gibt kein aber! Bitte gehen Sie jetzt.“ Wütend verließ Lucas das Büro. Warum wurde die Akte versiegelt? Er lief durch die Flure. Das kann doch nur heißen, dass die Einbrüche im Auftrag einer Regierungsorganisation begangen wurden. Er nahm die Treppe zu seinem Büro statt den Fahrstuhl. Dann ist Ada keine gewöhnliche Verbrecherin? Ich muss das unbedingt herausfinden! Er klappte seinen Laptop auf, schaltete ihn an und konnte das Hochfahren kaum erwarten. Als es endlich soweit war, öffnete er das Mailpostfach und suchte die Mails heraus, die Ada ihm geschrieben hatte. Er hatte sie nicht gelöscht, aber auch nicht gelesen.     Date: 16 Oct 201x  09:49:22 From: ada.richardson@laverna.com To: lucas.holmes@london.com Subject:   Ich liebe dich! Bitte glaube mir, ich bin nicht so, wie du denkst. Ich habe einen Auftrag. Lass uns bitte darüber reden.     Date: 18 Oct 201x  17:23:56 From: ada.richardson@laverna.com To: lucas.holmes@london.com Subject:   Warum antwortest du mir nicht? Ich liebe dich.     Date: 22 Oct 201x  19:42:12 From: ada.richardson@laverna.com To: lucas.holmes@london.com Subject:   Du fehlst mir. Ich wollte dich nicht belügen, aber ich darf niemanden etwas sagen. Ich musste eine Geheimhaltungsklausel unterschreiben.     Date: 23 Oct 201x  23:15:33 From: ada.richardson@laverna.com To: lucas.holmes@london.com Subject:   Bitte antworte mir doch. Mir geht es so schlecht. Ich will nicht mehr arbeiten als was ich arbeite, doch ich darf nicht aufhören. Mein Chef hat es mir verboten. Ich gehöre zu den Besten, die sie haben. Und doch will ich es nicht mehr sein…     Date: 28 Oct 201x  06:19:22 From: ada.richardson@laverna.com To: lucas.holmes@london.com Subject: Sorry   Lucas. Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Es tut mir leid. Du weißt gar nicht, wie leid mir das alles tut. Wenn du die Tränen, die ich bisher geweint habe, sammeln würdest, du hättest einen ganzen Ozean.     Date: 01 Nov 201x  15:27:02 From: ada.richardson@laverna.com To: lucas.holmes@london.com Subject:   Du bist doch ein guter Polizist, du bist doch mein Sherlock. Du bekommst bestimmt heraus, für wen ich arbeite, ohne dass ich es dir direkt sagen muss. Bitte versuch es, dann wirst du alles verstehen. Von London aus fliegt man etwa eine Stunde und 45 Minuten. Vom Büro meines Chefs kann man auf einen See sehen, der zu zwei europäischen Staaten gehört.     Date: 12 Nov 201x  02:04:52 From: ada.richardson@laverna.com To: lucas.holmes@london.com Subject:   Willst du es denn nicht herausfinden? Habe ich dir denn nichts bedeutet?     Date: 14 Nov 201x  18:43:49 From: ada.richardson@laverna.com To: lucas.holmes@london.com Subject: Ich liebe dich   Warum willst du mich nicht? Ich liebe dich! Ich will dich zurück. Bitte antworte mir… Ich fühle mich so verloren ohne dich.   Lucas lehnte sich in seinen Stuhl zurück und schlug die Hände über dem Kopf zusammen. Ich hätte ihre Nachrichten sofort lesen sollen. Ich… ich bin so ein Idiot! Okay, ein See, der in zwei Staaten liegt. Er suchte im Internet danach und wurde schnell fündig. Genf, gut. Welche Organisationen haben dort ihren Sitz?   Tokio, 12.Dezember „Und Sie sind sich sicher, dass unser Psychologe nicht bei Ihnen vorbeischauen soll?“ „Ja, ganz sicher“, sagte Ada. Ich will nur noch nach Hause. Der Arzt war zu seiner morgendlichen Visite vorbeigekommen und Ada hatte ihn gebeten, das Krankenhaus verlassen zu können. Obwohl er sich nicht sicher war, ob die Patientin bereits in der Verfassung war, musste er sie gehen lassen, es geschah auf eigenen Wunsch. „Gut, dann gebe ich Ihnen ein pflanzliches Schlafmittel mit, das Sie bitte nehmen, wenn Sie nicht einschlafen können.“ „Danke.“ Eine Krankenschwester brachte wenige Minuten später die Entlassungspapiere, die Ada ausfüllte. Danach zog sie sich an, verließ das Krankenhaus und fuhr mit einem Taxi direkt zum Flughafen. Sie bekam noch einen freien Platz für den nächsten Flug nach Genf.   Das kleine, moderne Haus direkt am See lag im Dunkeln. Ada bezahlte den Taxifahrer und betrat das Grundstück über die hölzerne Gartenpforte. Sie zog die Schlüssel aus der Handtasche und öffnete die Haustür. Endlich daheim. Das Gepäck ließ sie einfach im Flur stehen und ging direkt in das Schlafzimmer, das sich im ersten Obergeschoss befand. Das Licht schaltete sich hinter ihr über einen Bewegungsmelder von selbst aus, sie hatte beim Bau des Hauses Wert darauf gelegt, dass es umweltfreundlich und energiesparend wird. Alles sauber wie immer. Und die Pflanzen leben auch noch. Wirklich zuverlässig die Frau Fuhrer. Sie zog ihren Pullover und die Hose aus, warf sich dann auf ihr Bett. Im Gegensatz zu den Nächten vor dem Krankenhausaufenthalt schlief sie sofort ein.     Tokio, 13.Dezember „Wir wollten zu Ada Richardson, aber ihr Zimmer ist leer.“ „Ja, sie hat gestern Abend das Krankenhaus auf eigene Verantwortung verlassen“, antwortete die Oberschwester. „Wissen Sie, wo sie hinwollte? Ins Hotel ist sie nämlich nicht zurückgekommen.“ „Nein, tut mir leid.“ „Okay, vielen Dank.“ Anna und Rachel verließen verwirrt das Krankenhaus. „Wo kann sie nur hin sein?“ „Lass uns sie gleich anrufen“, meinte Anna und holte ihr Handy aus der Handtasche. Sie wählte Adas Nummer, doch es war ausgeschaltet. „Sie hat das Handy aus.“ „Verdammt!“     Genf, 13.Dezember Am frühen Nachmittag klingelte es an der Haustür. Wer kann das denn sein? Es weiß doch niemand, dass ich hier bin. Ada lief die Treppe hinunter und öffnete die Tür. „Ada.“ „Vater.“ Sie trat zur Seite und ließ ihn eintreten. „Wie geht es dir?“ „Gut.“ „Was war in Tokio los?“ „Was soll los gewesen sein?“, fragte sie. „Jetzt komm mir nicht so! Warum warst du im Krankenhaus?“ „Weil ich nachts nicht mehr schlafen kann. Weil ich für dich ständig irgendwo einbrechen muss. Weil ich jede Nacht geweint habe.“ „Trauerst du immer noch diesem Jungen hinterher? Das ist jetzt doch schon zwei Monate her.“ „Du verstehst es nicht, oder?“ Ada sah ihren Vater kopfschüttelnd an. „Ich liebe ihn. Ich will mit ihm leben, mit ihm alt werden. Er ist für mich wie Mum für dich war. Aber du siehst das ja nicht. Für dich bin ich nur die Maschine, die deine Befehle befolgt.“ „Ada!“ „Aber es ist doch so!“, schrie sie. Warum bin ich so schwach? Sie konnte das Schluchzen und die Tränen nicht mehr zurückhalten. „Ada…“ Er ging auf sie zu, nahm sie in den Arm, versuchte ihren zitternden Körper zu halten, sie mit seiner Berührung zu beruhigen. „Ada, es tut mir leid. Ich wusste nicht, dass es dir wirklich so ernst ist. … Ich dachte, du magst deinen Job, du hast immer mit Freude die Aufträge übernommen. Deinen Besuch vor zwei Monaten hatte ich nicht ernst genommen. Ich dachte, es ist eine Überreaktion. Ich… es tut mir leid, meine Kleine. Bitte weine nicht mehr.“   Kapitel 8: Akt 5.2 ------------------ London - Genf, 14.Dezember Es war früh am Morgen. In London Heathrow war es schon voller Menschen und trotzdem lag über allen eine unglaubliche Ruhe. Die meisten Passagiere saßen in der Wartezone und dösten vor sich hin, bis ihr Flug aufgerufen wurde. Lucas saß zwischen ihnen, er hielt die Tageszeitung vor sich hoch und las mit Erschrecken einen Artikel.   Ada Richardson – spurlos verschwunden Die Sängerin der Band Laverna hat gestern eigenmächtig das Krankenhaus in Tokio verlassen, doch niemand weiß, wo sie nun ist. Weder ihr Management, noch ihre Bandkolleginnen konnten sagen, wo sie sich aufhält. Auch der Grund für den Krankenhausaufenthalt blieb verschwiegen. Wo ist Ada? Und vor allem, was ist mit ihr los? Sie ist als zuverlässige und organisierte Person bekannt, doch dieses spontane, unvorhersehbare Verhalten ist völlig untypisch. Aus einer zuverlässigen Quelle wissen wir, dass sie während der Album-Aufnahmen in New York mit einem jungen Mann unterwegs war. Angeblich haben sie sich in den Monaten danach immer wieder gesehen. Scheinbar ist sie in diesen Mann verliebt, doch in den letzten Wochen hat sich ihr Verhalten verändert. Sie wirkt müde, abgespannt und als Höhepunkt der Zusammenbruch auf der Bühne. Hat er sie etwa verlassen? Oder liebt er sie einfach nicht? Was ist nur los mit ihr? Die Fans machen sich große Sorge um ihr Idol. „Ada, komm zurück!“, fordern sie.     Ich muss unbedingt herausfinden, wo sie ist. Hoffentlich bekomme ich in Genf mehr Informationen. Ihr Boss wird schon wissen, wo sie sich aufhält. Er muss es einfach wissen. Er ließ die Zeitung sinken und atmete tief ein, als sein Flug aufgerufen wurde. Lucas faltete die Zeitung zusammen und steckte sie in die Innentasche seines Jacketts.     In Genf gelandet holte Lucas sein Gepäck und fuhr mit einem Taxi zu seinem Hotel. Er checkte ein, stellte seinen Koffer auf dem Zimmer ab und verließ es dann gleich wieder. Er ließ sich vom Angestellten der Rezeption eine Wegbeschreibung geben und mit einem Stadtplan in der Hand machte er sich auf den Weg. Das Gebäude aus Stahl und Glas stand direkt am Genfer See und ragte weit in den grauen Himmel. Lucas betrat es über den Haupteingang und ging direkt auf den Empfangstresen auf. „Guten Tag.“ „Guten Tag. Was kann ich für Sie tun?“ „Mein Name ist Lucas Holmes, Interpol London“, er zeigte seinen Dienstausweis vor, „Ich möchte gern mit dem Chef von Ada Richardson sprechen.“ „Meinen Sie diesen Popstar? Sie arbeitet nicht für uns.“ „Ich weiß ganz genau, dass sie für jemanden aus diesem Gebäude arbeitet. Es kann ja sein, dass Sie zu klein sind, die Abteilung zu kennen, aber ich weiß es und ich muss jetzt ihren Boss sprechen!“ Lucas war lauter geworden, seine Hände hatten sich in den Tresen gekrallt. Normalerweise war er ein ausgeglichener Mensch, doch die Situation überforderte ihn. „Beruhigen Sie sich bitte oder ich muss den Sicherheitsdienst rufen!“ erwiderte die Empfangsdame, obwohl sie eingeschüchtert wirkte. „Entschuldigen Sie bitte. Ich muss nur unbedingt wissen, ob es diese Abteilung gibt und wenn ja, ob sie dort arbeitet! Ich muss es einfach wissen!“ „Warten Sie bitte einen Moment, ich spreche mit jemanden.“ Sie ging in den kleinen Raum hinter dem Empfang und griff zum Telefon. Einige Augenblicke später legte sie wieder auf und trat zu Lucas. „Sie werden gleich abgeholt.“ „Danke! Und entschuldigen Sie bitte meinen Ausbruch.“ „Schon in Ordnung.“ Nach einigen Minuten trat eine weitere Dame an Lucas heran, begrüßte ihn freundlich, begleitete ihn zum Fahrstuhl und dann in die fünfte Etage. „Mein Vorgesetzter erwartet Sie“, meinte sie und hielt ihm die Bürotür auf. „Vielen Dank.“ Lucas betrat das Büro und ging auf den großen Schreibtisch zu. „Guten Tag, Sir. Mein Name ist Lucas Holmes. Ich arbeite für Interpol London.“ „Guten Tag, Mister Holmes. Setzen Sie sich doch bitte.“ Lucas zog den Besucherstuhl zurück und setzte sich. „Möchten Sie etwas zu trinken? Einen Kaffee, Wasser?“ „Nein, danke.“ „Warum sind Sie hier?“ „Ich habe an einem Fall gearbeitet, monatelang. Und ich habe herausgefunden, dass dieser Fall im Zusammenhang mit der Band Laverna steht. Ich war mit einer der Sängerinnen liiert und fragte sie danach. Sie bestätigte meinen Verdacht. Mein Vorgesetzter bestätigte mir nun, dass der Fall zu den Akten gelegt wurde. Das bedeutet, dass Ada Richardson für eine Regierungsorganisation arbeitet - und ich vermute für Sie. Ich will einfach wissen, ob das stimmt und was sie genau tut.“ „Nun, Mister Holmes, leider kann ich Ihnen dabei nicht weiterhelfen.“ „Wenn es nicht stimmen würde, dann hätte man mich nicht zu Ihnen gelassen“, erwiderte Lucas. „Dann haben Sie doch bereits Ihre Antwort.“ „Ich... es ist doch verrückt. Warum will mir niemand sagen, was hier eigentlich los ist?“ „Es tut mir leid, aber dafür müssten Sie mindestens zwei Dienstgrade höher stehen als jetzt.“ „Aber wenn Ada für Sie arbeitet, können Sie mir dann bitte sagen, wo ich sie finden kann. Sie geht nicht an ihr Telefon und keiner scheint zu wissen, wo sie sich aufhält.“ „Lieben Sie sie?“ Mit dieser Frage hatte Lucas nicht gerechnet. „Ähm, ich... ja, ich liebe sie. Ich habe mich durch diese ganze Sache von ihr abgewandt, aber nun bin ich hier und ich will sie zurück.“ „Dann sind Ihre Absichten ehrlich?“ „Ja, selbstverständlich. Aber ich weiß nicht so richtig, warum Sie das interessiert.“ „Weil Ada meine Tochter ist.“ „Dann können Sie mir sagen, wo ich sie finde?“ „Sie ist hier, hier in Genf. Ich schreibe Ihnen die Adresse auf.“ Während Adas Vater die Adresse auf einen Zettel schrieb, sagte er: „Sie vermisst Sie. Bitte machen Sie sie wieder glücklich. Ich will mein Kind nicht mehr weinen sehen.“ Lucas schluckte. Ich habe ihr so weh getan. Und es tut mir wahnsinnig leid.     Direkt nach dem Gespräch machte sich Lucas auf den Weg zu Adas Haus. Vor der Gartenpforte blieb er kurz stehen und betrachtete das Haus. Was soll ich ihr nur sagen? Ich habe mich so dumm verhalten. Dann stieß er die Pforte auf und lief zur Haustür. Er klingelte, klingelte erneut, doch es öffnete niemand. Er wartete, wartete bestimmt zwei Stunden. Es war bereits dunkel geworden. Als er seine Finger durch die Kälte nicht mehr spüren konnte, beschloss er, es am nächsten Tag erneut zu versuchen.     Genf, 15.Dezember Die Tage vergingen, Weihnachten rückte immer näher. Wenn Ada in der Stadt unterwegs war, blieb sie manchmal mitten auf dem Weg stehen und beobachtete die Menschen. Wie sie an ihr vorbeihetzten, wie sie ihre Einkäufe unter dem Arm trugen, aber auch die Kinder mit ihren strahlenden Gesichtern. Es heiterte sie auf, diese fröhlichen Gesichter zu sehen. „Ada!“ Sie hörte ihren Namen und sah sich um. Als sie Lucas auf sich zukommen sah, drehte sie sich um und lief weiter. Ich will dich nicht sehen. Was tust du überhaupt hier? Sie erhöhte die Schrittgeschwindigkeit. „Ada, warte doch!“ Nein! „Ada“, er hatte sie am Arm gepackt und zurückgehalten. Sie sah ihn nicht an, sie konnte es einfach nicht. „Ich will dich nicht sehen.“ „Aber Ada, ich dachte…“ „Du hast gar nichts gedacht und auch nicht geschrieben. Lass mich bloß in Ruhe! Ich will dich nur noch vergessen!“ Sie entzog sich seinem Griff und lief die Straße weiter hinunter. Ohne sich auch nur einmal umzudrehen, verschwand sie in der Menschenmenge, während Lucas sich in dieser Menge verloren vorkam. Wie ein Schiff im Bermuda-Dreieck. Ada…Es begann zu schneien und leise fielen die weißen Flocken auf ihn.   Ich kann nicht glauben, dass er hier ist. Wie konnte er mich nur finden? Mit schnellen Schritten lief sie durch die Stadt zum See. Erst am Ufer blieb sie stehen und atmete tief ein. Die kalte Luft schnitt ihr in der Lunge und der körperliche Schmerz übertönte den des Herzens.     Genf, 16.Dezember Es klingelte an der Haustür. Ada hatte keine große Lust, aufzumachen, doch dann erhob sie sich doch von der Couch und öffnete die Tür. Vor ihr stand ein Kurierbote, der einen großen Strauß roter Rosen im Arm hielt. „Ada Richardson?“ „Ja.“ „Ich habe diese Blumensendung für Sie.“ Er überreichte ihr den Strauß und zog ein elektronisches Gerät aus der Hosentasche. „Eine Unterschrift bräuchte ich noch.“ Ada nahm den Stift und unterschrieb. „Vielen Dank. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag!“, sagte der Bote und lief durch den Vorgarten zurück zur Straße. „Danke, Ihnen auch.“ Verwirrt blickte sie auf den Strauß. In der Mitte steckte ein kleiner, weißer Briefumschlag. Sie nahm ihn heraus und stellte die Blumen zunächst in eine Vase. Mit einem Brieföffner schlitzte sie den Umschlag auf und nahm die Karte heraus.     Ada, ich war ein Idiot. Bitte vergib mir. Ich liebe dich!   Ich bin heute Abend um acht Uhr im Café de Banques. Bitte leiste mir Gesellschaft und lass uns über alles reden.                                 Lucas     Sie las die Nachricht, warf die Karte dann aber achtlos auf den Schreibtisch. Was gibt es da noch zu reden? Ada legte sich zurück auf die Couch, griff nach der Fernbedienung und zappte durch die Fernsehprogramme.     Lucas wurde zu dem reservierten Tisch begleitet und setzte sich. Die Kellnerin zündete die Kerze an und fragte dann nach seinem Getränkewunsch. „Danke, erst einmal nichts. Ich warte noch auf meine Begleitung.“ Er sah sich im Raum um und entdeckte viele Paare, aber auch Familien, die hier ihr Abendessen zu sich nahmen. Alle schienen zufrieden zu sein, glaubte man den Gesichtern. „Darf es jetzt etwas zu trinken sein?“ Die Kellnerin war nach zwanzig Minuten erneut an seinen Tisch getreten. „Ein Wasser bitte.“ „Gern.“ Wenige Augenblicke später stand ein gefülltes Glas vor ihm. Er sah auf die Uhr. Schon gleich halb neun. Bitte komm doch, Ada. Die Minuten verrannen, doch Ada tauchte nicht auf. „Der arme Kerl. Er wird scheinbar versetzt. Kann einem echt leid tun“, meinte die Kellnerin zu ihrer Kollegin. „Die Frau, die ihn versetzt, muss einen wirklich guten Grund haben.“ „Ja, er sieht wirklich attraktiv aus.“ „Kannst ihm ja deine Nummer auf die Rechnung schreiben.“ „Gute Idee“, erwiderte sie und ging zu Lucas‘ Tisch hinüber. „Darf es inzwischen etwas sein? Das Risotto ist heute die Empfehlung des Küchenchefs.“ „Nein danke. Ich würde aber die Rechnung nehmen.“ Er lächelte, doch sie spürte, dass es nur gestellt war. Sie druckte die Rechnung an der Kasse aus und schrieb mit einem Kugelschreiber ihre Handynummer darauf. Einen kurzen Moment lang überlegte sie, ob sie das wirklich tun sollte, doch dann legte sie die Rechnung in eine kleine Mappe und brachte sie zu Lucas. Sie wurde an einen anderen Tisch gerufen und als sie die Bestellung bearbeitet hatte, war Lucas bereits gegangen. Mit schnellen Schritten lief sie zu dem leeren Tisch und öffnete die Mappe, doch unter dem Geld lag die Rechnung. Schade, aber wenn er zwei Stunden auf sie wartet, muss sie ihm viel bedeuten.     Genf, 20.Dezember „Ada, warum verstecken Sie sich hier?“ „Warum sind Sie in Tokio zusammengebrochen?“ „Stimmt es, dass Ihr Freund Sie verlassen hat?“ „Hatten Sie überhaupt einen Freund?“ „Werden Sie die Band verlassen?“ Ada lief die Straße hinunter, ignorierte die Reporter, doch sie folgten ihr, stellten ihr immer mehr Fragen. Lasst mich in Ruhe! Ich will nicht mit euch reden. Geht doch einfach weg. Sie lief weiter, sie lief gegen den Schneesturm an, sie lief gegen den Sturm der Reporter an. Auf der Straße fuhren die Autos vorbei, doch eins wurde langsamer, bis es in Schrittgeschwindigkeit neben ihr fuhr. Das Fenster wurde hinunter gelassen. „Ada, steig ein!“ Sie wandte sich um und sah Lucas in dem Auto sitzen. Lucas! … Soll ich mitfahren? Lieber nicht… aber besser als die Reportermeute. Sie lief zum Straßenrand und öffnete die Beifahrertür. „Ada, ist das Ihr Freund?“ „Wann kehren Sie zurück zur Band?“ „Ada!“ Sie sah sich noch einmal um und schloss dann die Beifahrertür. Lucas fuhr los und sie ließen die Reporter hinter sich. Ada atmete auf. „Danke.“ „Für dich tue ich alles“, antwortete Lucas und lächelte ihr zu, doch sie wandte sich ab und blickte aus dem Fenster. „Soll ich dich nach Hause bringen?“ „Ja bitte.“ „Okay.“ Seine Stimme klang entmutigt. Sie fuhren durch die Stadt und die Scheibenwischer arbeiteten auf höchster Stufe, um den Schnee von der Windschutzscheibe zu entfernen. Alles wirkte ganz ruhig, der Schnee erstickte jedes Geräusch. Lucas bog in eine kleine Straße ein und fuhr bis zu Adas Haus. Vor der Gartenpforte hielt er an und stellte den Motor aus. „Danke“, meinte Ada und wollte aussteigen, doch die Tür ließ sich nicht öffnen. „Was soll das? Lass mich raus.“ „Erst, wenn du mit mir gesprochen hast.“ „Du spinnst doch!“ „Dann spinne ich eben, aber ich liebe dich!“ „Du liebst mich? Und hast mir trotzdem nicht geglaubt? Ich dachte, Liebe basiert auf Vertrauen.“ „So versteh mich doch! Was hätte ich denn denken sollen? Seit einem Jahr verfolge ich diesen Fall, es wurde in Häuser eingebrochen und Leute wurden bestohlen. Das sind Verbrechen! Was hätte ich denn denken sollen?“ „Ich habe dir gesagt, dass wir auf der gleichen Seite sind, aber du hast mir nicht geglaubt! Du hast nicht auf meine Anrufe reagiert oder meine Mails. Du wolltest überhaupt nicht wissen, wie die Wahrheit aussieht.“ „Ada, es tut mir leid. Ich war enttäuscht, ich wollte nichts von dir hören, nichts lesen. Ich weiß, dass das dumm und kindisch war, aber ich liebe dich und ich will dich zurück.“ Sie sah ihn direkt an. „Aber ich habe mit dir abgeschlossen. Lies deine Mails, ich kann nicht mehr. … Und jetzt lass mich endlich raus!“ „Und warum versteckst du dich dann hier? Bestimmt nicht, weil es dir gut geht.“ „Lass mich raus.“ „Ada…“ „Nein! Warum lässt du mich nicht in Ruhe? Ich will nicht mehr, also lass mich gehen.“ „Dann fliege ich also nach Hause, geh wieder meinem Leben nach und vergesse dich einfach?“ „So ist es am besten“, antwortete sie. „Na gut, wenn du das so siehst. … Du sollst nur wissen, dass ich dich liebe.“ Er entriegelte die Tür und Ada stieg ohne ein weiteres Wort aus. Traurig sah er ihr hinterher, doch durch das Schneegestöber konnte er nicht einmal sehen, ob sie an der Haustür angekommen war. Er startete den Wagen und fuhr los. Zurück zum Hotel, um seine Sachen zu packen und zurück nach Hause zu fliegen. In ein Zuhause, das nie mehr sein würde wie früher. In ein Zuhause, in dem er die Erinnerungen an die schöne Zeit ständig vor Augen haben würde.     Ada schloss die Haustür auf, trat in den Flur und zog ihren Mantel aus. Er landete auf dem Fußboden neben der Handtasche. Sie lief in die Küche, holte sich ein Glas aus dem Schrank und goss Wasser hinein. Erst als das kalte Wasser ihre Hand berührte, merkte sie, dass das Glas bereits überlief. Verdammt! Hastig griff sie nach einem Lappen und wischte das Wasser weg. Warum tut er mir das an? Warum kommt er her und tut mir damit nur noch mehr weh? Seufzend ließ sie den Lappen sinken und schloss die Augen. Und warum liebe ich ihn immer noch? Alle möglichen Gedanken schwirrten durch ihren Kopf und sie wusste nicht, ob es richtig war ihn wegzuschicken oder ob sie den größten Fehler ihres Lebens gemacht hatte. Wieder liefen ihr Tränen über die Wangen, doch sie nahm sie gar nicht mehr wahr. Verdammt, verdammt, verdammt! Ich darf ihn nicht gehen lassen.     „Lasst mich durch, bitte. Ich muss nur jemanden sehen und bin gleich zurück! Lasst mich doch!“ Ada redete auf die Sicherheitsbeamten des Flughafens ein, doch sie wollten sie ohne Ticket nicht in die Wartezone vor lassen. „Kaufen Sie ein Flugticket, dann können Sie auch in den Wartebereich!“, erwiderte der Beamte und zeigte mit seinem Arm in Richtung der Verkaufsschalter. Ohne ein weiteres Wort rannte Ada zu den Schaltern hinüber. Sie hatte Glück, der letzte Kunde verließ den Schalter in dem Moment, in dem sie ankam. „Guten Tag. Was kann ich für Sie tun?“ „Ich brauche ein Flugticket, irgendeins, völlig egal. Hauptsache, ich komme in die Wartezone.“ „Okay“, die Dame wirkte etwas irritiert, rief dann aber das Buchungsprogramm auf. „Wir haben noch einen Platz in der nächsten Maschine nach Berlin frei. Der Flug geht in einer Dreiviertelstunde.“ „Nehme ich.“ „Haben Sie Gepäck?“ „Nein“, Ada klopfte mit den Fingerspitzen nervös auf den Tresen. Immer wieder sah sie auf die Uhr, in zehn Minuten würde das Boarding für den Flug nach London beginnen. „Wie möchten Sie bezahlen?“ „Mit Karte.“ Sie fingerte das Portemonnaie aus ihrer Handtasche und zog die Kreditkarte heraus. Der Bezahlvorgang dauerte nur wenige Minuten, doch Ada kam es vor wie eine Ewigkeit. „Es kann sein, dass sich die Abflugzeit etwas verschiebt. Durch den Schneesturm ist die Sicht sehr schlecht und die Landebahnen sind verschneit. Wir arbeiten daran.“ „Okay.“ Als Ada endlich das Ticket in der Hand hielt, rannte sie zur Sicherheitsschleuse und ließ sich durchleuchten. Sie atmete kurz auf, als der Apparat keinen Ton von sich gab und sie ihre Tasche greifen und weiter zur Wartezone gehen konnte. Sie blickte sich um und las auf den Schildern, in welche Richtung sie zum Gate 7 musste. Ihre Schritte wurden schneller, immer schneller. Ihre Blicke wanderten durch die Reihen, suchten die Gesichter nach seinem ab. Lucas, wo bist du? Den vielen Menschen, die durch die verspäteten Flüge noch in den Wartezone waren, musste sie ausweichen, rempelte jedoch ständig jemanden an. „Lucas!“ Verzweifelt rief sie seinen Namen, immer wieder. „Lucas!“ Ihr Atem ging schwer, als sie endlich stehen blieb. Am Gate 7 standen und warteten jede Menge Passagiere, die auf das Boarding warteten. Auf der Anzeige wurde eine Verspätung des Fluges aufgrund des Schneesturms angekündigt. Wo bist du nur? Ada stützte ihre Hände auf ihren Oberschenkeln ab und atmete tief ein. „Ada?“ Sie sah auf. Vor ihr stand Lucas, er hielt einen Kaffeebecher in der Hand. „Lucas, ich... es tut mir leid. Ich will es versuchen, ich will wieder mit dir zusammen sein. Bitte verzeih mir.“ Tränen sammelten sich in ihren Augen, als sie ihn ansah. Er reagierte einige Augenblicke überhaupt nicht, sein Blick war einfach nur auf sie gerichtet. „Okay.“ „Okay?“ „Okay, wir versuchen es“, antwortete Lucas. Ohne ein weiteres Wort legte er seinen Arm um sie, zog sie an sich und küsste sie.   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)