Blutgift von MariLuna ================================================================================ Kapitel 3: ----------- 3. Kapitel Bevor er sich mit dem Problem Joker auseinandersetzt, genießt Bruce Wayne erst einmal sein Frühstück und die Morgenzeitung. Dann hackt er sich am Laptop in die Aufnahmedaten der Gothamer Krankenhäuser ein. Aber keiner der ehemaligen Vampiropfer ist dort vorstellig geworden. Darüber ist er wirklich erleichtert. Aber noch ist nicht aller Tage Abend. Er wird das im Auge behalten müssen. Schließlich geht er seine Geschäftsmails durch.  Es ist gegen neun Uhr, als ihm die Ausreden ausgehen. Außerdem werden Alfreds Blicke immer strenger. Beinahe bereut er es, Alfred davon abgehalten zu haben, derjenige zu sein, der den Joker zum ersten Mal ins Bad begleitet. Aber Alfred ist nicht mehr so jung wie er, und Bruce würde es sich nie verzeihen, wenn ihm etwas zustieße, also beugt er sich der Notwendigkeit und geht zu seinem Gefangenen hinunter. Er tröstet sich damit, dass er ja spätestens in zwei Stunden in seiner Firma zu einem Geschäftsessen mit ausländischen Partnern erscheinen muss. Er hat also gar nicht die Zeit, sich mehr als nötig mit dem Joker zu befassen. Nicht, dass er das will - Himmel, nein! Aber so - mit diesem Termin im Nacken - muss er auch nicht die Geduld mitbringen, die Sperenzien des Jokers zu ertragen. Wenn der Typ ihm Schwierigkeiten macht, wird er also nicht erst lange mit ihm herumdiskutieren. Er erwartet manisches Gelächter und spöttische Bemerkungen, aber alles, was ihn begrüßt, als er aus dem Lift in die Bathöhle tritt, ist - Stille. Absolute Stille. „Joker?" Der Name kommt ihm über die Lippen, bevor er richtig darüber nachdenken kann und es klingt erschreckend unsicher. Zum Glück scheint ihn der Angesprochene nicht gehört zu haben und als Bruce näher an die Zelle tritt, sieht er auch, warum: der Joker schläft. Wieder einmal. Er liegt in einer Ecke der Zelle, unter einer Decke zusammengerollt, und alles, was Bruce von ihm erkennen kann, ist sein grüner Haarschopf. Das Bild ist so harmlos, so friedlich, dass Bruce‘ Ärger sofort verfliegt und einem ganz anderen Gefühl Platz macht. Aber er kann diese Wärme, die in seinem Magen beginnt und sich von dort über den Rest seines Körpers ausbreitet, nicht einordnen. Das verunsichert ihn, und mit der Unsicherheit kehrt der Ärger zurück.  Aber diesmal beherrscht er sich. Anders als das letzte Mal ist er nicht grob, als er den Joker weckt. Und er gibt sich Mühe, ihn nicht zu erschrecken. Aber genau wie das letzte Mal sind Jokers rote Augen blank und leer, wie bei einem Schlafwandler, doch er nickt, als Bruce ihm erklärt, was nun folgen wird und gibt mit einem leisen „okay" sein Einverständnis. Bruce gibt sich damit zufrieden, packt ihn am Oberarm und hilft ihm, aufzustehen. Seine Finger weiterhin um Jokers linken Oberarm, führt er ihn aus der Zelle hinüber zum Lift. Dabei ist er bemüht, nicht allzu tief einzuatmen, denn Alfred hatte recht, als er meinte, der Joker rieche, als wäre er gerade erst aus dem Gotham River gekrochen. Das, was Bruce bisher in den letzten sechsunddreißig Stunden nie so intensiv wahrgenommen hat, sticht ihm nun geradezu schmerzhaft in die Nase. Der Gotham River ist ein kränkelnder Fluss, jahrzehntelang verunreinigt durch Chemieabfälle und andere Abwässer, und obwohl Wayne Industries inzwischen teure Filteranlagen hat bauen lassen und die Wasserqualität langsam Grund zur Hoffnung gibt, ist der Gestank noch immer nasenbeleidigend. Die Tatsache, dass Bruce genau weiß, wie und wann und durch wessen Schuld der Joker im Gotham River gelandet ist, macht das Ganze nicht besser. Er würde sich gerne entschuldigen, aber er weiß nicht, wie. Jokers Passivität, sein andauerndes Schweigen, sein abwesender Blick - all das ist so untypisch, dass ihm jegliches freundliche Wort im Halse stecken bleibt. Knappe, präzise Anweisungen dagegen fallen ihm leicht. Das ist die Art, wie er es gewohnt ist mit ihm zu reden und die einzige Möglichkeit, nicht ebenfalls in Schweigen zu verfallen. Der Joker benimmt sich so fügsam, als wäre diese Behandlung nicht das erste Mal in seinem Leben. Und hätte Bruce ihn gefragt, hätte der Joker ihm erzählt, dass er es aus Arkham her gewohnt ist, mehrmals täglich zu festgelegten Zeiten auf die Toilette geführt zu werden. Für ihn ist es nicht erniedrigender als die üblichen Leibesvisitationen oder von feixenden Wärtern mit einem Wasserschlauch abgespritzt zu werden. Es berührt ihn nicht, hat es noch nie. Diejenigen, die auf der anderen Seite stehen, haben damit viel mehr Probleme als er, und auch jetzt steht es Bruce deutlich ins Gesicht geschrieben, wie unangenehm ihm das alles hier ist. Joker findet das lustig, aber er lacht nicht, denn dazu fehlt ihm die Kraft. Sein Körper fühlt sich an, als gehöre er jemand anderem, zwischen ihm und seiner Umgebung scheint eine dicke Watteschicht zu liegen, jedes Geräusch, alles, was er sieht oder fühlt, erreicht ihn nur in abgeschwächter Form. Das ist nicht wirklich schlecht, denn so hat er die Zeit, seinen Gedanken nachzuhängen, herauszufinden, was eigentlich passiert ist. Wieso er hier ist. Das letzte, woran er sich deutlich erinnert, ist der Gothamer Friedhof, aber er weiß, da ist noch mehr, ganz tief verborgen, er muss es nur finden. Bruce Waynes rauhe Stimme reißt ihn schließlich aus seinem tranceähnlichen Zustand. „Hier sind wir." Verdutzt bemerkt der Joker, dass sie vor einem großzügig eingerichteten Badezimmer stehen. Sehr luxuriös, sehr aquamarinfarben, sehr ... schön. Wow. Er hat mit etwas kleinerem, zweckmäßigerem gerechnet. Aber andererseits - sie befinden sich hier mitten im Wayne Manor, nicht wahr? „Wenn du aus dem Fenster klettern willst, vergiss es gleich", warnt ihn Bruce. „Die Gitter sind aus bestem Stahl." Der Joker nickt nur. Er hat nicht vor zu fliehen, nicht bei diesem Traumbad! Bruce hat ihn losgelassen und er nutzt die Gelegenheit und inspiziert sofort interessiert die riesige Wanne. Bruce lässt ihn gewähren. „Du hast vierzig Minuten Zeit. Ich stehe vor der Tür." Wieder nickt der Joker nur. Er fackelt nicht lange und beginnt sofort, sich auszuziehen. Bruce beobachtet ihn einen Moment lang und trifft dann eine weitere Entscheidung. „Dort in der Ecke ist eine Wäscherutsche. Schmeiß deine Klamotten da rein, sie werden dann gewaschen." Wieder ein stummes Nicken. Bruce schließt die Tür hinter sich, als er geht. Er hat keine Lust, dem Joker dabei zuzusehen, wie dieser sich auszieht. Außerdem muss er mit Alfred reden, dass dieser ein paar alte Klamotten von Bruce heraussucht, die dem Joker passen könnten. Natürlich kein Armani-Anzug, ein paar einfache Jeans und ein T-Shirt sollten reichen. Und Unterwäsche. Bruce schaudert leicht. Er ist wirklich erleichtert, diese Aufgabe in Alfreds erfahrene Hände übergeben zu können. *** Entgegen dem was andere von ihm halten mögen, besitzt der Joker durchaus einen Sinn für Hygiene. Er hat nur nicht oft die Gelegenheit, ihr zu frönen. In seinen Verstecken gibt es meist nicht einmal so etwas wie fließendes Wasser, geschweige denn eine funktionierende Toilette, und in Arkham ist alles zeitlich streng reglementiert. Vierzig Minuten, sagte Bruce. Das ist eine Ewigkeit. Eine Ewigkeit im Himmel. So erledigt Joker das Nötigste im Schnellverfahren, bevor er sich den angenehmen Dingen zuwendet: einem entspannenden, heißen Bad. Er sieht sogar darüber hinweg, dass er Badelotion, die nach grünem Apfel riecht, normalerweise nicht bevorzugt.  Das ist immer noch besser als L’Eau de Gotham River. Und als er dann seinen ermatteten Körper langsam ins heiße Wasser gleiten lässt, kann er einen wohligen Seufzer nicht zurückhalten. Die Nässe hat zeitweise sogar eine belebende Wirkung, doch nur so lange, bis sich sein Kreislauf an die Veränderung angepasst hat. Doch weder  das wattige Gefühl in seinem Kopf noch das harte Vibrieren seines Herzschlages in seinen Knochen vermag es, ihn aus seinem derzeitigen Himmelreich zu vertreiben. Träge lässt er seine Finger durch den Schaum auf seinem Körper gleiten, während seine Gedanken auf Wanderschaft gehen. Seine Erinnerungen an sein Leben vor seinem Chemieunfall sind wie Fische in einem trüben Teich. Manchmal schwimmen sie dicht unter der Oberfläche und blitzen verlockend auf, aber immer, wenn er sie zu fangen versucht, glitschen sie ihm zwischen den Fingern davon. Es ärgert ihn, wenn sein Gehirn seinen Körper auf diese Art betrügt. Deshalb denkt er auch selten darüber nach und lebt lieber im Hier und Jetzt. Es ist daher beängstigend, plötzlich in einer Zelle aufzuwachen, in Batmans grimmiges Gesicht zu starren und wieder im Trüben zu fischen. Er weiß nicht, wie viele Stunden oder Tage – vielleicht gar Wochen oder Jahre … lieber Himmel, bitte nicht! – er verloren hat. Dass niemand daran denkt, ihn aufzuklären, verstärkt das beklemmende Gefühl nur noch. Das letzte, woran er sich klar und deutlich erinnert, ist dieser angebliche Schatz auf dem Friedhof, der Pinguin und so ein komischer Typ in einem Sarg. Danach … Fische im trüben Teichwasser. Leise aufstöhnend massiert er sich die schmerzenden Schläfen. Allein der Versuch, sich zu erinnern, jagt eine Schwadron Düsenjäger durch seinen Kopf. Doch er spürt, dass diese Gedächtnislücken anders sind. Diesmal wird er sich erinnern. Irgendwann. Also gibt er es auf, etwas mit Gewalt erreichen zu wollen, was ihm sowieso irgendwann in den Schoss fällt und lässt seine Gedanken einfach wieder treiben und genießt das warme, nach Apfel duftende Wasser, diesen Luxus. Er döst tatsächlich ein. Zehn Minuten lang treibt er ruhig im Wasser, und dieses Gefühl löst eine völlig andere Erinnerung in ihm aus. Lose Fäden verbinden sich und eine Frage, die schon seit Tagen in seinem Unterbewusstsein auf ihre große Chance wartet, springt ihm mitten ins Gesicht. Er schnappt nach Luft, reißt die Augen auf und schießt in die Höhe. Die Beantwortung dieser Frage ist so dringlich, dass ihm gar nichts anderes übrig bleibt als die Wanne, seinen Hort der Gemütlichkeit, sein Himmelreich, zu verlassen. „Warum?" keucht er atemlos, als er die Tür aufreißt und direkt in Bruce Waynes verdutztes Gesicht blickt. „Warum..." er stockt, bemüht, die Worte, die wie aufgeregte Kolibris in seinem Kopf herumschwirren, zu einer sinnvollen Frage zusammen zu fügen. „Warum hast du mich nicht gerettet? Damals? Als ich vom Aquädukt fiel? Als ich im Fluss landete? Die Joy-Buzzer waren schnell kaputt, sie gaben keine Elektrizität mehr ab. Als es keine Elektroschocks mehr gab ... als keine Gefahr mehr bestand ... wieso bist du dann nicht hinterhergesprungen? Und seit wann kümmert es dich, wie gefährlich es für dich ist, wenn du jemanden retten willst?" Er trifft einen Nerv, er erkennt es daran, wie Bruce das Gesicht verzieht. Merkwürdig, wie gut er seine Miene beherrscht, wenn er als Batman unterwegs ist und wie wenig er als Bruce darauf achtet. Joker weiß nicht, wie einschüchternd er in diesem Moment auf Bruce wirkt. Eben dachte der Millionär noch an nichts Böses, vertieft in seine Börsenberichte auf seinem Smartphone, und plötzlich steht dieser tropfnasse, nackte Mann vor ihm, einem Derwisch gleich, und genauso schnell redet und gestikuliert er auch. Nachdem er stundenlang so schweigsam und ruhig war, ist das hier jetzt doppelt erschreckend. Und er stellt ihm ausgerechnet diese Frage! Bruce versucht, über eine angemessene Antwort nachzudenken, doch das fällt ihm schwer, Jokers unmittelbare Präsenz ist zu ablenkend. Während ihrer Kämpfe fällt es ihm nicht oft auf, aber diesmal ist es nicht zu übersehen, dass der Joker eine gute Handbreit größer ist als er - und noch eine weitere wegen seiner Haare. Er wirkt nur immer kleiner, weil er nicht so massig ist wie Bruce. Er hat die sehnige Statur eines Tänzers und Bruce die eines Boxers. Bruce versucht wirklich, nicht allzu sehr zu starren, vor allem ist er bemüht, seinen Blick nicht unter Jokers Gürtellinie rutschen zu lassen. Wie gesagt, er ist nackt! Und Bruce will nicht, dass dieser Mann mit den wilden roten Augen, den grünen Dreadlocks und dieser schneeweißen Haut, dieses gefährliche ... Wesen, plötzlich zu einem verwundbaren Menschen wird. Er ist nicht verwundbar. Er ist stark, schnell und gerissen, und auf alle Fälle gefährlich, aber niemals so verwundbar wie jeder andere Mensch auch. „Batsy?" Jokers ungeduldige Stimme reißt ihn aus seinen Gedanken. Richtig, er wartet ja noch auf eine Antwort. „Ich weiß es nicht", erwidert der Millionär ehrlich und schuldbewusst zugleich. Er wird nicht gerne daran erinnert, denn er schämt sich deswegen zutiefst. Joker mag diese Antwort nicht. Sie ist nicht ausreichend. Wenn es nach ihm ginge, würde er es dabei belassen, aber da ist dieser Drang, tiefer zu bohren. Weil Bruce es braucht. Weil es wichtig ist, damit das Gleichgewicht wieder hergestellt ist. Er steht für das Chaos, aber Batman - Bruce - für die Ordnung, es ist nicht hinnehmbar, dass in Bruce so viele chaotische Dinge passieren. Wie von selbst gleiten ihm die nächsten Worte von der Zunge. „Du warst wie gelähmt, genau wie damals, als deine Eltern starben." Zwei Schüsse, die durch die Nacht hallen, das Geräusch von zwei Körpern, die leblos auf dem Boden aufprallen. Perlen, die im Licht der Straßenlaterne weiß aufleuchten und dann klirrend in den Rinnstein fallen. Und ein kleiner Junge, der schockiert daneben steht. Joker sieht es, als wäre er dabei gewesen. Doch er war es nicht. Er war damals selbst noch ein Kind. Schmerz explodiert hinter seiner Stirn, weiß und blendend, instinktiv drückt er den Handballen gegen seine Stirn, um den Schmerz einzudämmen. Doch er gibt nicht auf und hält diesen Gedanken fest. „Du fühltest dich so hilflos. Damals bei ihnen. Und auch bei mir. Damals warst du ein Kind, du konntest gar nichts tun, aber du hast dich trotzdem wie ein Versager gefühlt. Als ich fiel und im Fluss versank ... da war es dasselbe Gefühl. Und du fühltest dich doppelt als Versager, weil du inzwischen kein Kind mehr bist und weißt, was zu tun ist. Weil du es jetzt kannst. Helfen. Anderen helfen. Sie beschützen. Gotham. Die ganze Welt." Der Schmerz wird zu stark, er verliert den Faden. Die Welt um ihn herum beginnt zu schwanken wie ein Schiff im Sturm, doch es ist zu spät. Er erkennt die Wahrheit. Sie liegt vor ihm, strahlend hell wie Gold. Und sie ist so simpel und zugleich so essenziell, dass er nur darüber lachen kann. Bruce ist schockiert und entsetzt zugleich über Jokers Worte - sie spiegeln genau seine eigenen Gedanken und Empfindungen wider, aber wie kann Joker das alles wissen? - aber auch über dieses so wohlbekannte, irre Gelächter, das so urplötzlich und völlig sinnlos aus dem anderen hervorbricht. Trotz seiner ebenso schnell aufkeimenden Wut - wie kann er es wagen, so mit ihm zu reden? - hält er ihn fest, als er zu taumeln beginnt und zu fallen droht. Sein Griff ist allerdings härter als nötig. Seine Finger graben sich so tief in Jokers Oberarme, dass er fast auf den Knochen stößt. Trotz seiner Gleichgewichtsprobleme hört der Joker nicht auf zu lachen. Bruce, der nicht weiß, wie er auf das alles reagieren soll, schiebt seine Ungeduld und seinen Ärger beiseite und wartet erst einmal geduldig ab. Er weiß aus Erfahrung, dass die Stimmungen des Jokers schneller wechseln als ein flüchtender Hase die Richtung. Es dauert nicht lange, da geht Jokers Gelächter in ein Kichern über. Und dann, völlig unvermittelt, läuft alles furchtbar falsch. Plötzlich lehnt sich der Joker zu ihm vor, und Bruce spürt weiche, warme Lippen, die sich fest auf seine pressen, und während er regelrecht erstarrt, gesellt sich zu diesen Lippen eine gierige Zunge. Bruce‘ Gedanken rasen und stehen dann plötzlich still, als er sich am Handgelenk gepackt fühlt. Verdächtig warme Finger dirigieren seine rechte Hand nach unten, zwischen ihre Körper; und Bruce, dessen gesamte Konzentration auf diesem unerwünschten Kuss gerichtet ist, bemerkt es erst, als diese langen Finger seine eigenen zwingen, sich um hartes, pochendes Fleisch zu legen. Es dauert eine geraume Weile, bis er begreift, aber dann trifft ihn die Erkenntnis wie ein Schlag. Erschrocken reißt er die Augen auf, von denen er gar nicht wusste, dass er sie geschlossen hatte. Joker starrt ihn unter halb gesenkten Lidern an, und in seinen Augen, in seinem gesamten Gesicht, leuchtet eine Lebensgier, die auf ihre Art noch wesentlich erschreckender ist als sein üblicher Wahnsinn. Bruce möchte schreien, ihn von sich stoßen, ihm seine Faust ins Gesicht rammen, vor allem aber seine Hand von dort wegnehmen, doch stattdessen …  beginnen seine Finger dort unten völlig von selbst mit einer zärtlichen Massage. Er ekelt sich vor sich selbst, aber er kann nicht damit aufhören. Fasziniert beobachtet er, wie Jokers Körper ein Zittern durchläuft und ja, er genießt die Macht, die ihm diese kleine Berührung über den anderen gibt. Er genießt diesen Anblick, wie die Augenlider des Jokers zu flattern beginnen, während er sich  gequält auf die Unterlippe beißt, sie sich blutig beißt, in dem vergeblichen Versuch,  ein Keuchen zurückzuhalten. Wie er den Kopf zurückwirft und wie das Blut eine schmale Spur über sein spitzes  Kinn zieht. Scharlachrot auf schneeweiß. Für einen Moment starrt er fasziniert darauf, doch dann erkennt er, dass es sich um Blut handelt, und das löst die Starre. Er zieht seine Hand zurück und weicht einen großen Schritt nach hinten. Joker gibt einen enttäuschten Laut von sich, es klingt wie eine Mischung aus Knurren und Schluchzen. Bruce derweil hat endlich wieder zu sich selbst zurückgefunden. Schuld und Reue und Scham treiben ihm das Blut in die Wangen. Noch während er um die richtigen Worte ringt, wird der Joker ganz still. Die Arme jetzt locker an seiner Seite baumelnd, steht er da, nackt und immer noch erregt. Doch das Feuer in seinen Augen ist erloschen, jetzt glänzen sie kalt und hart. Seine Mundwinkel zucken, verziehen sich zu dem gefürchteten Grinsen. Just in dieser Sekunde betritt Alfred, mit einem Stapel sorgfältig zusammengelegter Kleidungsstücke im Arm, den Raum und rettet Bruce aus dieser peinlichen Situation. Der junge Millionär ergreift die Chance zu einem geordneten Rückzug und eilt an dem ihm irritiert nachstarrenden Butler vorbei, hinaus aus der Tür, bestrebt, so viel Abstand wie möglich zwischen sich und den Joker zu bringen. Aber er ist nicht schnell genug. Das an- und abschwellende Gelächter des Jokers folgt ihm wie der Schatten eines Alptraumes. *** Bruce Wayne fühlt sich wie ein erbärmlicher Feigling. Er ist einfach davongerannt wie ein eingeschüchtertes Kind. Und warum? Nur, weil ihm der Joker eine weitere, kranke Seite von sich gezeigt hat? Nein, das ist es nicht, und das weißt du auch. Ach, halt die Klappe. Über Bruce‘ Miene huscht ein schwaches Grinsen. wenn er schon anfängt, mit sich selbst zu streiten, ist er wohl auch bald reif für eine Therapie, oder? Er holt einmal tief Luft und versucht, sich zu beruhigen. Himmel, das Ganze ist fünfundzwanzig Minuten her, allmählich sollte er darüber hinweg sein. Es war sein eigener Fehler. Er hat den Joker nie als ein sexuelles wesen betrachtet, und das rächt sich jetzt. Er muss diese Erkenntnis endlich hinnehmen, dass unter all diesem abartigen Benehmen und dem wilden Aussehen jenseits aller Blutlust und  Kriminalität ein mindestens genauso abartiger, wilder Mann steckt mit denselben Bedürfnissen wie alle anderen Männer auch. Ja, sogar wie er selbst. Der Joker ist krank, es ist nicht seine Schuld. Und jetzt sollte ich mich wirklich um mein Leben kümmern. Ein Geschäftsessen wartet auf ihn. Er schlüpft gerade in seinen Mantel und greift nach den Autoschlüsseln, als Alfred hinter ihm auftaucht. „Es tut mir leid, Alfred“, murmelt Bruce zerknirscht. Der ältere Mann nickt nur und streicht sich kurz über seinen Schnurrbart. „Ich dachte mir nur, es interessiert Sie zu hören, dass ich den Joker wieder zurück in die Zelle gebracht habe.“ Bruce nickt einmal und fährt sich verlegen mit den Fingern durchs Haar. „Hör zu, was da vorgefallen ist…“ „Oh, keine Sorge, Master Bruce. Mir ist durchaus bewusst, dass der Joker über eine sprunghafte, teilweise erschreckend schamlose Persönlichkeit verfügt. Neben allem anderen“, fügt er dann noch trocken hinzu. „Es tut mir leid, dich mit ihm allein lassen zu müssen…“ „Auch darüber machen Sie sich bitte keine Sorgen.“ Es scheint kurz, als wolle er noch etwas dazu sagen, doch dann zuckt er nur mit den Schultern. „Darf ich Sie heute Abend zum Dinner zurückerwarten, Sir, oder haben Sie noch etwas anderes vor?“ Bruce zögert mit der Antwort. Aber so wenig wie er sich den Launen des Jokers aussetzen will, so wenig will er sich auch mit dem hohlen Geschwätz der Gothamer High Society auseinander setzen. Er hat keine Lust, seine Zeit in einem der zahlreichen Clubs für Superreiche zu verschwenden. Und sein Date mit Vicky Vale ist erst morgen Abend. Also wählt er das kleinere Übel. „Nein, Alfred, ich habe nichts vor. Ich bin also zum Dinner wieder zurück.“ *** Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)