Das Leben – ist es wirklich immer so wie es scheint? von Pfeffersosse (4. Geschichte) ================================================================================ Prolog: -------- Das Leben war in vielen Aspekten anstrengend. Eine Menge Hürden musste man nehmen und es wurde einem nichts erspart. Auch den Leuten welchen man es am wenigsten zutrauen würde, spielte das Leben öfters mal übel mit. Jedem geschah irgendwann im Leben einmal etwas, das einen an Momente zurück denken liess, an denen es noch schön war. Oder zumindest das, was man als schön empfand. Und wenn es dann hart auf hart kam, würden diese Erinnerungen zerspringen wie Glas. Denn dann würde die Wirklichkeit nur noch existieren. Keuchend lag der Mann auf dem Boden. Er wollte sich nicht mehr an das erinnern was gerade geschehen war denn er wusste, er würde es bereuen, sollten diese Erinnerungen wahr sein. Schwerfällig hievte er sich hoch und probierte sich in eine bequeme Lage zu bringen. Seine Seite brannte und auch sonst schien sein Körper nur ein einziger Schmerz zu sein. Jean –so hiess der junge Mann- schien dem Tode näher als dem Leben, doch er wollte nicht aufgeben. Es gab etwas das es zu beschützen galt, auch wenn es eher aussichtslos schien, dass er dies alleine beschützen könnte was ihm das Teuerste war. Sein Atem ging rasselnd als er versuchte sich gerade hinzustellen. Alleine dieser kleine Kraftakt schien die letzten Reserven seines Körpers ausgeschöpft zu haben. Mit einem letzten schmerzhaften Aufschrei fiel sein Körper in eine tiefe Dunkelheit. Kapitel 1: ----------- Wir schreiben das Jahr 2034. Es ist ein herrlicher Sommertag und die Vögel flogen gut gelaunt umher. Kinder lachten und vereinzelte Maschinen summten. Auch wenn diese Stadt von neuester Technologie nur so strotzen musste, fand man keine wirklich neuen Technologien. Es schien sogar eher so, als wäre man in der Zeit zurückgereist. Grosse Zahnräder zierten die noch funktionierenden Industrieanlagen und der Geruch von einzelnen benzinbetriebenen Maschinen machte sich in der Luft breit. Ja, man konnte sagen, der Umschwung hatte hier keinen Platz gefunden. Nur hie und da fand man eine der neuesten Erfindungen. Autos flogen umher, auch wenn sie nur wenige Zentimeter über dem Boden glitten. Vor einigen Jahren war es einem gewieften Erfinder gelungen ein Fahrzeug so umzubauen, dass das selten gewordene Kautschuk für die Autoreifen gespart werden konnte. Vieles hatte sich seid Jahren nicht mehr geändert. Die dauernden Kriege einzelner Nationen blieben nicht aus und auch der Krieg um die verbliebenen natürlichen Ressourcen hatte auch vor dieser recht idyllischen Stadt keinen Halt gemacht. Das einzige was sich geändert hatte war der Zusammenhalt der Leute. Es schien jeder alleine sein zu wollen, obwohl doch ein jeder genoss wenn ein anderer um ihn herum war. Es war grotesk anzusehen wie Familien sich auseinander lebten und sich doch zueinander hingezogen fühlten. Keiner konnte dieses Phänomen richtig erklären aber es schien als würde der menschliche Körper seit einigen Jahren verrückt spielen. Mütter liessen nach einigen Jahren ihre Kinder alleine zurück, die Selbstmordrate bei unglücklichen Männern, die verlassen wurden stieg und die Anzahl der Waisen war auf Rekordhöhe gestiegen. Einige dachten es würde sich nur um ein vorrübergehendes Phänomen handeln das sich durch neu erfundene Heilmittel wieder verbessern würde. Aber die Abläufe blieben immer die Selben. Auch wenn man den Leuten ansah, dass sie diese Taten bereuten. Nicht selten hatte eine Mutter die Nähe zu ihren Kindern wieder gesucht und gefunden. Aber auch nicht selten wurde sie von ihnen verstossen. Es schien so als würde sich die Menschheit selbst auslöschen. Auch wenn es keinen wirklich Grund dafür gab. Forscher dachten einige Zeit lang, dass es sich um irgendeine chemische, unsichtbare Waffe aus einem unbekannten Kreis handeln könnte, doch es wurde nie wirklich aufgeklärt ob sie nicht doch richtig lagen. Der erste Vorfall dieser Art hatte sich im Laufe der 2010er ereignet. Es blieb deshalb weiterhin unklar, ob es sich dabei nur um eine temporäre, generationsbasierende Eigenart handelte. Denn nach einigen Jahren war dieses Phänomen wie vom Erdboden verschwunden. Nur einige wussten noch davon und schwiegen weiter. Jean war eines der zurückgelassenen Kinder. Ihn befiel manchmal eine unsägliche Unruhe welche er nie wirklich richtig kontrollieren konnte. Er fühlte sich zu der Menschheit hingezogen aber gleichzeitig wollte er damit nicht wirklich etwas zu tun haben. Er hatte eine Familie gegründet mit der er glücklich lebte, auch wenn er sich nicht sicher war ob er auch wirklich glücklich war. Oder es gar sein wollte. Er hatte alles miterlebt. Das Verschwinden seiner Mutter, den Selbstmord seines Vaters. Ob vielleicht daher seine aufkeimende Unruhe kam? Er konnte sich nicht erklären ob es nicht vielleicht etwas mit dem ‚Closer to the Edge’-Syndrom zu tun hatte. Die Forscher hatten diese Vorkommnisse nach reichlicher Überlegung so genannt, da es immer den Tod mindestens eines Elternteils zur Folge hatte. Ihre Kinder machten sich einen Spass es immer ‚Ätsch’-Syndrom zu nennen, auch wenn er diesen Ausdruck nicht witzig fand. Er wusste nur zu gut was es mit jemandem anstellen konnte. Seine Frau Rosie probierte ihn jedes Mal zu beruhigen, erklärte dass sie nicht gewillt war die Familie einfach so zu verlassen. Er war sich auch sicher, dass dies nie passieren würde aber er konnte einfach nichts gegen diese Unruhe in ihm ausrichten. Nur, es wurde mit der Zeit sogar so gross, dass er seinem Leben ein Ende setzen wollte. Aber dies wollte er keinem in seiner näheren Umgebung antun, da dies nur Fragen offen liess nach dem ‚Warum’. Immerhin hatte er keinen wirklichen Grund das Hier und Jetzt zu verlassen. Und wie jedes Mal schluckte er seinen Kloss herunter und probierte seine Gedanken zu ordnen. Es fiel ihm immer schwerer aus seinen tranceähnlichen Momenten herauszukommen. Irgendetwas schien ihn zu rufen, ihn zu sich zu locken. Er wollte sogar einige Male schon dem Ruf folgen und sich gehen lassen. Aber er würde es tapfer aushalten, die schönen Erinnerungen vor seine Augen führen und diese bösen Gefühle in sich verschliessen. Er konnte sich nicht erlauben irgendeinen Fehler zu begehen und doch wollte etwas in ihm einen Fehler begehen. Er schüttelte den Kopf und blickte auf seine Familie. Sie hatten seinen Aussetzer wohl nicht mitbekommen, denn sonst würde seine Frau sicherlich nicht so lachend mit ihren Kindern spielen. Auch ihm zauberte dieses Schauspiel ein Lächeln auf die Lippen. Das unwohle Gefühl von vorhin war einem freudigen Gefühl gewichen und so schlich er sich hinter seine geliebte Frau und umarmte sie lachend. Das Leben konnte so schön sein... Kapitel 2: ----------- Am Abend dieses Tages wich die Freude des Nachmittags dem allgegenwertigen unwohlen Gefühl. Es war wieder da, das Flüstern. Wieder konnte er nicht sagen von wo es kam aber das Gefühl gerufen zu werden wurde immer grösser. Sein Herz fing an schneller zu klopfen und sein Atem beschleunigte sich. Wie so oft lag er wach im Bett und wälzte sich leicht hin und her. Um seine Frau nicht zu wecken hatten sie sich darauf geeinigt, dass sie Einzelbetten bezogen. Auch wenn er den innigen Kontakt mit ihr schon vermisste. Aber er wollte dieses verdammte Gefühl endlich loswerden. So schlich er aus dem Zimmer und steuerte seinen Geheimraum an. Er wusste, dass er mit dem Feuer spielte, sollte irgendjemand herausbekommen was er darin tat. Aber es liess ihm einfach keine Ruhe. Auch er wollte Sachen herausfinden. Was ihn aber wieder beruhigte war der Fakt, dass keiner ausser ihm das Zimmer betreten konnte. Die Sicherheitsmassnahmen, die er dafür getroffen hatte waren seiner Meinung nach dafür zu ausgeklügelt. Eine Spielerei in dieser ach so anderen Welt. Er kam sich vor wie in einem der wenigen Romane, die er besass in denen die Leute dachten, dass sich die Menschheit ein eigenes kleines Geheimlabor in ein Haus einbauen konnte ohne dass andere hineingehen konnten. Und dass sie diese Basis mit ihrer DNA einbruchsicher machten. Seufzend fuhr sich Jean durch die Haare und er überliess der Maschine die Überprüfung seiner Identität. Sein geheimes Zimmer lag im Keller hinter dem Schrank mit den Konservendosen. Eigentlich bildete dieser Schrank schon einen Teil seines Eingangs da sich einige Dosen nicht verrücken liessen. In ihnen hatte er die Technologie eingebaut welche er nun gezielt mit einigen Berührungen in Gang brachte. Sein Fingerabdruck wurde kontrolliert, ihm wurde eine Blutprobe abgenommen, ein Haar mit Wurzel wurde auch verlangt und nicht zu vergessen der wichtigste Teil: ein Geheimcode. Dieser bestand nicht aus Zahlen sondern aus Lauten. Es war ein ausgeklügeltes System welches er da entworfen hatte und er war stolz darauf. Mit einem Klicken öffnete sich die Tür und die Eingangsprüfung verschwand wieder. Ja, er hatte wirklich eine reife Leistung hinterlegt. Er schritt durch die Tür und hörte wie sie leicht knarzend ins Schloss fiel, dann blickte er sich um. Wie jedes Mal überkam ihm ein wohliger Schauer, wohlwissend, dass er sich strafbar machte. Der Herrscher dieser Stadt wollte keine geheimen Basen oder wie auch immer er es nennen sollte. Oberst Torniso gefiel es nicht, dass sich einige gegen ihn stellen wollten, auch wenn das meiste nur seiner Fantasie entsprang. Keiner wagte es auch nur irgendetwas Dummes zu tun. Keiner wollte in den Kerkern der Stadt landen und schon gar nicht von ihm gefoltert werden. Denn jeder brach unter der Folter. Viele seiner Kindheitsfreunde haben sich sogar freiwillig fangen lassen um dieses dauernde Geflüster –dies war eines der Symptome- des ‚CttE’-Syndrom zu umgehen. Aber er wollte nicht gebrochen werden. Auch wenn es von Tag zu Tag schwieriger wurde, von Tag zu Tag hatte er das Gefühl stärker gerufen zu werden. Er wollte stark bleiben für seine Familie und für sein eigenes Wohl. Langsam strich er über die Blutproben welche er in Reih und Glied auf dem kleinen Regal positioniert hatte. Es war seltsam aber er fühlte sich gut wenn er sie sah, denn er wusste, dass er damit vielleicht einen Durchbruch erringen konnte. Auch wenn er sich denken konnte, dass er kein Gegenmittel –oder was auch immer- finden konnte. Er hatte eigentlich überhaupt keine Erfahrung mit Genforschung und sich sein Wissen im Alleingang angeeignet. Auch wenn es schwer war an die nötigen Sachen zu kommen. ‚Nichts... ist... real’, da war sie wieder. Die Stimme. Sie säuselte ihm immer und immer wieder die gleichen Worte in die Ohren. Aber er wollte nicht nachgeben, DURFTE es einfach nicht. Denn es würde sicherlich sein Ende bedeuten. ‚Lass... dich... führen...’, die Stimme fuhr unbeirrt weiter. Er... durfte nicht. Er schüttelte seinen Kopf und hielt sich krampfhaft am Tisch fest. ‚Es... ist... nur... zu deinem... Wohl’, die Stimme klang fast traurig. So als würde sie ihm wirklich helfen wollen. Keuchend griff er nach seinem Herzen und klammerte sich an seine zerschlissene Kleidung. Alles war knapp geworden. Nahrung, Technologie, natürliche Ressourcen. Die Welt war ausgenutzt worden, so als würde man einen Schwamm auswringen. Jeder einzelne Quadratmeter der ressourcenhaltigen Erde war wie leergefegt. Nur noch wenige hielten sich auch über der Erdoberfläche auf. Die Länder welche von den Naturkatastrophen am meisten zerstört worden waren gab es nicht mehr. Sie waren über sie eingebrochen als würde sich die Erde rächen wollen. Erdbeben, Tsunami, Tornados, ... Die Länder welche noch eine einigermassen gute Infrastruktur hatten blieben bestehen. Nur wurden sie nun nach Sektoren genannt. Jean lebte auch in so einem Sektor. Sektor 10b12, das frühere Europa. Es war zwar noch als solches zu erkennen aber er wusste, würde er es von weiter weg betrachten, es wäre nicht mehr das Gleiche. Die Stimme flüsterte weiterhin in seinem Kopf auch wenn sie im Moment etwas leiser geworden war. Vielleicht lag es daran, dass er sie gekonnt ignorierte. An manchen Tagen war es unerträglich und er konnte sich nicht wirklich konzentrieren. Und er schien in den schwachen Momenten, wo er der Stimme nachgab, in eine Art Zeitstrudel gezogen zu werden. Er erinnerte sich an früher, an die Zeit in der noch alles schön war. Oder halt schöner als gerade in dem Moment. Vor vielen Jahren, als er noch jung war gab es so viele Sachen die seine eigenen Kinder nicht mehr sehen würden. Verschiedene Monumente standen nicht mehr oder waren nur noch ein trostloses Wrack vergangener Geschichte. Als die Ressourcen knapp wurden, fing die Abreisswut an. Monumente, wie der Tokyo Tower oder der Eifellturm, wurden wegen dem Stahl abgebaut. Damit wurden dann neue Werke erschaffen welche nun wie groteske Gebilde in der Landschaft standen. Oft wurde auch aus dem gewonnenen Stahl Anderes hergestellt. Oder es wurde auf dem Schwarzmarkt für verbotene Sachen angeboten. Die Welt schien in der Zeit zurückgefallen zu sein. Verschiedene Orte glichen einer Geisterstadt oder bargen in sich die einstige Schönheit. Es war manchmal schmerzlich für Jean verschiedene Teile Europas zu besuchen. Zu sehr tat es ihm weh, alte Erinnerungen zerstört vorzufinden. Wie gerne war er mit seinen Eltern auf dem Eifellturm gewesen, wie gerne hatte er zugeschaut wie die ‚Ameisen’ am Boden ihrem Leben nachgingen. Er lachte kurz bitter auf. Er kam sich selber gerade wie eine Ameise vor. Eine, welche durch etwas geleitet wurde das er nicht wirklich kontrollieren konnte. Die Gerüche hatten sich in den Jahren auch eher zum schlechteren entwickelt. Es roch wieder vermehrt nach Exkrementen und Krankheiten. Die verschiedenen Kläranlagen mussten notgedrungen abgeschaltet werden da die Stromversorgung nicht ausreichte. Nur Oberst Torniso und seine Untergebenen lebten in Braus und Schmaus. Jean konnte sich noch an Gerüche aus seiner Kindheit erinnern, wie Popcorn oder frisch geschnittenes Gras, so als würde er diese gerade selber essen oder mähen. Vieles vermisste er. Es war für ihn unerklärlich wie sich die Welt in den letzten 20 Jahren selber zerstört hatte. Und doch klammerte er sich an diese kleinen Erinnerungen wie ein Ertrinkender. Ein seliges Lächeln hatte sich auf seine Lippen gelegt und er blickte verträumt in die Gegend. Die Vergangenheit war so schön. Er wünschte sich oft an den Zeitpunkt zurück ehe alles den Bach runterging. Denn da war die Welt noch ‚in Ordnung’. Sein Blick wurde leer und das Lächeln schwand auch langsam wieder daraus. Erinnerungen an diese schicksalhaften Tage keimten in ihm auf. Er war im Kindergartenalter –er müsste 6 gewesen sein- und beobachtete wie seine Mutter sein Frühstück vorbereitete. Sie war eine schöne Frau, eine für die die Freunde seines Vaters ihn immer beneideten. Lachend griff sie immer gerne nach dem kleinen Jean und wirbelte ihn voller Freude herum. Sie sang ihm gerne Sachen vor und er erfreute sich an ihrer engelsgleichen Stimme. Er liebte alte Kinderlieder und probierte sie auch immer nachzusingen, was ihm nie so richtig gelang. Auch jetzt summte sie wieder ein Kinderlied, er erkannte ‚Bruder Jacob’ darin und wippte im Takt mit. Er mochte das Lied. Doch plötzlich wurde es still in der Küche und seine Mutter liess, wie von der Tarantel gestochen, das Küchenmesser los. Mit einem Klirren fiel es zu Boden. Verwirrt und neugierig beobachtete der Junge wie es sich auf dem Boden noch einige Momente wie ein lebendiges Tier bewegte und merkte nur aus dem Augenwinkel heraus, dass seine Mutter durch die Tür verschwunden war. „Mama?“ Seine Stimme war zittrig, denn die Reaktion seiner Mutter blieb aus, sie torkelte weiter aus dem Zimmer heraus als würde sie jemand dirigieren. „Mama?!“ Sein Rufen wurde panischer, doch sie reagierte einfach nicht darauf. Unbeirrt lief sie weiter, liess den weinenden Jean alleine. Er wollte ihr nachlaufen, doch etwas in ihm beruhigte ihn und so blieb er weinend auf dem Stuhl sitzen. An dem Tag hörte er das erste Mal die Stimme. Auch wenn sie nur ein Hauch war, das beruhigende Summen in seinen Ohren tat seinen Dienst. Nach kurzer Zeit war er auf dem Küchentisch eingeschlafen. Nachdem sein Vater wieder da war und seine Mutter unauffindbar blieb, hatte sich alles zum Schlechteren gewendet. Der Junge musste mit ansehen wie sein Vater langsam zugrunde ging und sich dann eines Tages vor dem 6-Jährigen erhängte. Er schien ‚die Strapazen nicht mehr auszuhalten’ hiess es später. Aber Jean verstand nun besser denn je was sein Vater durchmachen musste. Denn auch er durchlebte dies. Auch wenn seine Frau keine dieser Mütter mit dem Syndrom war. Und er war froh darüber. Obwohl es sich immer noch als einen Fehler herausstellen könnte, da ihre Kinder 5, respektive 3 Jahre alt, waren. Er schüttelte den Kopf und hob seinen Blick wieder. Er musste aufhören in seiner Welt zu leben und an seiner Forschung weitermachen. Es kam ihm immer noch so vor als würde er der Sache sehr nahe sein, auch wenn die Stimme nicht weniger sondern mehr wurde nach jeder ‚Behandlung’. Er knirschte kurz mit den Zähnen und verfluchte sich für dieses miserable Syndrom. Aber es schien wirklich etwas zu sein, das unauffindbar war. Es war da und er wusste, es würde seinen Untergang bedeuten. Kapitel 3: ----------- Wieder ein Forschungsabend ohne genau Ergebnisse später, verliess Jean sein kleines Labor. Er würde vielleicht noch einige Stunden Schlaf finden die er sicherlich später wieder bereuen würde. Aber die Drogen welche er sich jeden Abend unter die Zunge legte und die Gewissheit, dass seine Frau bei ihm war, liess ihn doch immer auf einen schönen Traum hoffen, auch wenn es sich meistens um das genaue Gegenteil handeln würde. Träume konnte keiner kontrollieren, so schön es auch sein mag. Leise schlich er wieder in das Zimmer seiner Frau welche sich murmelnd zu ihm umdrehte und ihn besorgt anschaute. „Kannst du wieder nicht schlafen?“ Ihre Stimme war rau vom Schlaf und sie räusperte sich darauf. Er lächelte sie nur an und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. „Mach dir keine Sorgen, ich musste nur kurz für kleine Jungs“, schmunzelte er und zwinkerte ihr kurz zu. Dass seine Seite des Bettes eiskalt war wusste seine Frau, aber sie hakte lieber nicht nach. Sie wusste nicht was sich im Kopf ihres Mannes abspielte und so liess sie es bei der einfachen Frage von vorhin. Schnell war sie wieder ins Land der Träume abgesunken. Er hingegen blickte mit offenen Augen zur Zimmerdecke. Seufzend gab er sich dann doch dem quälenden Schlaf hin und versank in eine schwarze Tiefe. Er sah sie, die Stimme. Auch wenn er sich immer wieder dieselbe Frage stellte. Warum offenbarte sie sich als eine Frau in seinen Träumen? Und warum glich sie jemandem den er kannte? Er hasste es zu träumen und noch mehr hasste er diese Art von Träumen. ‚Warum gibst du nicht einfach auf...’ Die Stimme war klarer als je zuvor, doch es ein merkwürdiges Echo hallte der Stimme mehrfach zu ihm. ‚Es wird dir hier nur schlechter gehen... Lass dich treiben’ Die Frau schwebte grazil um ihn herum. ‚Lass dich führen’ Es war wie ein zuckersüsser Hauch. ‚Lass dich leiten...’ Die Stimme war keineswegs fordernd, es war eher so als wäre sie... traurig. Und wenn er etwas an einer Frau hasste, dann war es Traurigkeit. Wie oft wollte er diese Hand schon nehmen? Wie oft war er kurz davor nachzugeben, sich wirklich leiten zu lassen und in diese Umarmung der Frau zu gehen? Er konnte sich nicht mehr daran erinnern, aber er wusste, es waren schon unzählige Male. Und wie jedes Mal schüttelte er den Kopf und ging einige Schritte zurück. „Nein...“ Seine Stimme glich einem Flüstern. Die Frau kam wieder auf ihn zu. ‚Es ist nicht real...’ Es schien eine Warnung zu sein aber Jean wollte es einfach nicht wahrhaben. „Nein.“ Seine Stimme wurde wieder fester, er blickte sie fest an und ballte die Faust. ‚Komm... zu mir’ Die Stimme klang gequält, doch er liess sich nicht hinreissen. Er schüttelte den Kopf und schrie aus voller Brust: „Nein!“ Mit einem Male war der Traum zerrissen und er hörte die erschrockenen Rufe seiner Frau: „Jean! Jean?! Wach auf!“ Panisch versuchte sie ihn festzuhalten. Ihr war der unruhige Schlaf wieder einmal aufgefallen. Und wie so oft schlug er wild um sich und verletzte sie dabei. Keuchend hielt sie den zappelnden Mann fest und wartete darauf bis dieser wieder in der Realität war. Und es dauerte länger als sonst. „Nein...“ Sein Schrei ebbte langsam ab und sein Blick wurde wieder klarer. Schwer atmend beruhigte er sich wieder langsam und spürte wie jemand zitternd über ihm lag. Er lag schweissnass auf dem Bett und fuhr sich mit zitternden Händen über die Augen. „Schon wieder...“ Seine Worten waren nicht mehr als ein Murmeln und doch wusste er, dass sie bei ihr angekommen waren. Er spürte sie nicken. „Tut mir Leid.“ Er hob seine Hand und strich ihr durch das Haar. Er hasste es, wenn sie bemerkte wenn er schlecht träumte. Aber seine Träume waren eigentlich immer gleich, der Ausgang war immer der Gleiche. Er lag nein-schreiend im Bett und auf ihm lag seine Frau. Er rieb sich den schmerzenden Kopf und schaute ihr in die Augen. Zischend sog sie die Luft ein und ihm wurde bewusst, dass er sie wieder verletzt hatte. Fluchend war er hellwach und begutachtete sich die Stelle, die er verletzt hatte. Es würde sicherlich anschwellen und ein blauer Fleck zurückbleiben. Matt lachend winkte sie ab als er ihr anbot etwas suchen zu gehen. „Nein, bleib du nur liegen, ich geh etwas Kühles darauf machen, mach dir nicht zu grosse Sorg-„ Sie stockte mitten im Satz und blickte auf etwas vor ihr. Was es war konnte er nicht sehen. Sie legte den Kopf schief als würde sie irgendetwas lauschen und dann ging sie einfach weiter. Verwirrt hatte er ihr nachgesehen und sich nicht getraut etwas zu tun. Zu tief sass die Schuld in ihm, sie wieder einmal verletzt zu haben. Er hievte sich langsam aus dem Bett und ging zum Fenster, blickte in die Nacht hinaus und beobachtete wie einige Menschen umhergingen. Mit der Zeit gewöhnten sich die Augen an die Dunkelheit und so war auch er einer der gut nachts sehen konnte. Die Apparate in seinem Keller betrieb er mit einem gehorsteten Kondensator, den er einmal gefunden hatte. Und er war froh darüber diesen gefunden zu haben. Sie hatten noch Glück, ihre Stadt sah noch fast so aus wie vor wenigen Jahren. Nicht sehr viel war daran verändert worden, nur hie und da wurde die Umwelt verändert. Er fragte sich wieso dies eigentlich zustande kam. Aber keiner kannte eine Antwort darauf. So viele unbeantwortete Fragen lagen in der Luft. Und so viele gedachte Fragen welche einfach zu gefährlich waren. Die Stimme flüsterte wieder mit ihm, es war anstrengender als vorhin sie zu unterdrücken. Aber es waren dauernd die gleichen Sätze ‚Es ist nicht real’ ‚Folge mir’ ‚Lass mich dich leiten’ ‚Erwache’. Er verstand sie nicht, konnte nicht herausfinden in welchem Zusammenhang sie zu ihm standen. Denn sie schien ihn zu rufen und keinen anderen. Denn nur er schien einer der letzten zu sein die dieses Dasein mit der Stimme fristen mussten. Denn keiner seiner Freunde schien mehr zu leben. Und plötzlich überkam ihn ein traumloser Schlaf. Kapitel 4: ----------- Ein Grollen aus der Ferne erweckte ihn. Schwerfällig öffnete er seine Lider und bemerkte, dass die Erde unter ihm zitterte. Was... passiert gerade? Verwirrt blickte er sich um und bemerkte wie seine Frau panisch zu ihm gerannt kam und ihm noch panischer zuschrie: „Wir werden angegriffen.“ Sie hatte die beiden Kinder auf dem Arm und lief mit ihnen nach unten. Schlagartig war er wach und blickte sich gehetzt um. Was sollte das heissen ‚wir werden angegriffen’? Leicht überfordert folgte er ihr und erhaschte einen Blick nach draussen. Was war in der kurzen Zeit passiert in der er geschlafen hatte? Und warum war die Stimme in seinem Kopf gerade so leise? Sollte sie nicht hörbarer sein als eh und je? Dröhnende Geräusche und Explosionen rissen ihn aus seinen Gedanken als der Boden unter ihnen schlagartig nachgab. Kreischend fiel seine Frau nach unten. Reflexartig hatte er seinen Arm ausgestreckt und konnte sie vor dem Sturz aufhalten. „Rosie!“ Rasch zog er sie zu sich nach oben doch erst jetzt bemerkte er, dass seine Kinder fehlten. Panisch wollte er schon nach ihnen rufen, doch er besann sich eines Besseren. Sein Blick ging suchend umher doch als er wieder zu ihr blickte schien irgendetwas mit seinen Augen nicht zu stimmen. Sie schien zu flackern und wie ein Bildfehler auf einem Bildschirm zu sein. Ihre abgehackten Worte konnte er auch nicht wirklich verstehen. „Du... Gefahr... Fehler.“ Nur einzelne Worte kamen ohne Störgeräusche zu ihm herüber. Schockiert blickte er zu ihr und blinzelte einige Male, doch die plötzlich auftauchenden Ziffern machten alles nur noch grotesker. Sollte dies hier ein Traum sein?! Dabei war er sich zu hundert Prozent sicher, dass er wach war. Die Schnitte an seinen Fingern deuteten auf jeden Fall darauf hin, dass er nicht schlief. Die Stimme in seinem Kopf war mit einem Male wieder hörbar. Wie ein Mantra flüsterte sie immer wieder ‚Nicht real... Nicht real... Nicht real’ Er hatte das Gefühl verrückt zu werden. Seine Augen gingen zuckend hin und her und er hielt sich schreiend die Ohren zu. Es sollte aufhören, einfach nur aufhören. Mit einem lauten Knall flog er einige Meter weit weg und kam mit schmerzenden Gliedern auf den harten Boden auf. Ein Klingeln in seinen Ohren bewies ihm, dass neben ihm wohl eine Bombe explodiert war. Sein Körper schmerzte. Hustend spuckte er einige angebrochene Zähne auf den Boden und er erhob sich keuchend. Flirrend veränderte sich die Luft vor ihm und es erschien das Gesicht von ihr. Sie sagte nichts sondern blickte ihn nur an. Ihr Gesicht verzerrte sich das ein oder andere Mal und er fragte sich was nur los sei. Wenn dies doch ein Traum sein sollte, dann war es ein echt mieser. Die Stimme in seinem Kopf wurde lauter. Torkelnd ging er weiter, durch das Bild seiner Frau hindurch. Sein Blick glitt über die Stadt, oder was einmal die Stadt war. Alles vor ihm lag in Schutt und Asche. Vom Prasseln des Feuers abgesehen hörte er überhaupt nichts. Es war zu ruhig. Auch wenn es in seinem Kopf nie ruhig war. Flüsternd meldete sich die Stimme wieder. Er nahm die Worte nicht mehr wahr. Er ging weiter. Wusste er doch sowieso was sie sagen wollte. Sein Körper schmerzte, doch er wollte nicht stehenbleiben. Plötzlich vernahm er eine bekannte Stimme die um Hilfe schrie. Dass sie vor einigen Minuten noch wie eine Bildstörung aussah kümmerte ihn nicht. Er musste zu ihr. Immerhin schrie sie nach Hilfe. „Rosie?“ Seine Stimme hallte über die zerstörte Stadt. Hastig kletterte er über Trümmerberge und stolperte das ein oder andere Mal. „Rosie?!“ Warum kam die Stimme nicht von da wo er dachte? Aber von wo dachte er würde die Stimme kommen? Alles um ihn herum schien wie eine Computeranimation. Flirrend schienen einige Trümmerteile zu verschwinden nur um einige Sekunden später wieder da zu sein. Doch seine Schmerzen waren real. Was... war nur passiert? Er rief noch einige Male nach ihr und dann war es wieder still. Zu still für seinen Geschmack. Das pfeifende Geräusch einer herannahenden Bombe erreichte ihn zu spät. Er lief, doch er wurde mit voller Wucht getroffen. Atemlos wurde er an den Boden genagelt und sah augenblicklich schwarz. Nachdem er die Augen geöffnet hatte bereute er es augenblicklich wieder. Alles schmerzte ihn. An einigen Stellen war seine Haut blutig, an anderen hing sie in Fetzen an ihm herunter. Keuchend lag der Mann auf dem Boden. Er konnte sich vage an das erinnern was gerade geschehen war, er würde es sicherlich bereuen, sollten die Erinnerung vollständig zurückkehren. Schwerfällig hievte er sich hoch und probierte sich in eine bequeme Lage zu bringen. Seine Seite schrie vor Schmerz und auch sonst schien sein Körper nur ein einziger Schmerz zu sein. Der Mann schien dem Tode näher als dem Leben, doch er wollte nicht aufgeben. Auch wenn er nicht genau wusste warum. Mit verschwommenem Blick wurde ihm bewusst, dass er in einem Schutthaufen sass oder besser gesagt lag. Das komische daran war, dass sich dieser Haufen flirrend immer mal wieder verabschiedete. Aber er musste zu ihr. Rosie wartete doch irgendwo und hatte um Hilfe... ‚Wach... auf’ Die Stimme flüsterte in seinem Kopf und er war zu schwach sich dagegen zu wehren. Was würde es ihm bringen? Als er an sich herunter sah wurde ihm übel. Ein Teil seines Körpers schien zu fehlen. Seine Lider flatterten und er konnte nicht länger gegen die Ohnmacht antreten. ‚Lass los... Ja’ Die Stimme schien zu seufzen und froh zu sein. Ein kleiner Triumph war es. Denn sie hatte es immer wieder versucht. Ihm immer wieder klar gemacht, dass das wo er war nicht richtig war. Dass das wo er war keine Wirklichkeit war. Dass das wo er war nicht real war. Dass er loslassen sollte, denn die richtige Welt wartete auf ihn. Doch er wollte nicht hören. Eigentlich wollte die Stimme nicht einschreiten, denn ihr war bewusst, dieser Mann war stärker. Er wusste etwas und das machte ihr unglaublich Angst. Aber wieso hatten so viele vor ihm den Schritt gewagt ihr zu folgen? Wieso wollte er dies nicht? Wieso klammerte er sich so an dieses Leben? Auch wenn die Stimme nicht menschlich war, so konnte sie doch errechnen, dass es doch schöner wäre wirklich zu leben. Der Vater des Mannes hatte es doch auch geschafft. Es geschafft sich von der Fiktion loszureissen. Also warum wollte der Mann in der Kapsel nicht aufwachen. Warum war er einer der einzigen die es nicht geschafft hatten? Die Stimme war verwirrt. Warum machte sie sich überhaupt so viele Sorgen um diesen Menschen? 10b12 schien ihr wichtig zu sein. Aber warum war dies möglich? Und... würde er es wirklich schaffen? Sie hoffte es, ihre Rechnungen hofften es... Jean schwebte in einem weissen Raum. Alles schien weichgezeichnet zu sein, das Schweben fühlte sich so wunderbar an und es war ihm als sei er gleichzeitig auf Watte gebettet. Die schöne Stimme leitete ihn aus dem Weiss heraus obwohl er es nicht wirklich wollte. Doch er wusste, er würde es nicht bereuen. Warum hatte er sich nur so lange geziert der Versuchung zu widerstehen? Seine Hand griff nach dem Licht das sich warm anfühlte. Ein sanftes Lächeln umspielte seine Lippen und er schloss seine Augen. Ja, die Stimme sollte ihn mitnehmen. Epilog: -------- Das Piepen der Monitore wurde immer schneller, die Atmungsmaschinen arbeiten immer lauter. Quälend lange strampelte er um sich von den Schläuchen zu befreien. Gierig sog er die Luft ein, die seine Lunge das erste Mal mit wahrem Sauerstoff füllten. Zitternd fuhr er sich über seine schmerzenden Glieder und dann... öffnete er die Augen... Das Licht schmerzte in seinen Augäpfeln und er war sich sicher. Dort wo er nun war, war das Paradies. Mit einem Zischen wurde die Kapsel geöffnet und der Mann blickte das erste Mal in die Augen der ‚Stimme’. Ein sanftes Lächeln umspielte seine Lippen und er flüsterte heiser: „Hallo... Mum.“ Dann wurde die Welt um ihn herum schwarz. Aber er lebte. Und dies war die Hauptsache. Denn ein Leben in der Fiktion ist nichts gegen das wahre Leben. Aber das... würde er noch früh genug herausfinden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)