Sie hat Cupcakes mitgebracht von _Delacroix_ ================================================================================ Sie hat Cupcakes mitgebracht ---------------------------- Effie hatte keine Wahl. Eine halbe Stunde schon hatte sie klopfend und wartend vor dem Haus gestanden, hatte hölzerne Fensterrahmen bewundert und Haymitch innerlich verflucht, weil er die Unverfrorenheit besaß, sie nach allem was geschehen war, einfach zu versetzen. Jetzt aber konnte sie nicht mehr warten. Die pinken Cupcakes, die sie als Gastgeschenk aus dem Kapitol mitgebracht hatte, kochten in ihrer Pappschachtel vor sich hin und wenn Effie ehrlich war, tat sie das auch. Es war heiß unter ihrer Perücke, die sie farblich genau auf die Törtchen abgestimmt hatte und auch wenn sie wusste, dass es sich nicht gehörte, sie musste einfach in den kühlenden Schatten dieses Hauses. Haymitch würde es schon verstehen. Ihm waren sonst doch auch alle Regeln des guten Benehmens egal. Etwas, was man sehr gut daran erkannte, dass er sie hier warten ließ. Und sie wollte ja nicht bei ihm einbrechen. - Im Gegenteil, sie hatte sich angekündigt. Vor über einer Woche hatte sie ihm eine hübsche Karte mit Rüschen und Blümchen geschickt, damit er genau wusste, dass sie heute kommen würde um mit ihm zu reden. Sie hatte ihm sogar eine Antwortkarte beigelegt. Eine Antwortkarte, die zugegebenermaßen nie wieder bei ihr angekommen war, aber Effie hatte es sich mit den Zuständen Panems erklärt, nicht damit, dass Haymitch sie eventuell nicht sehen wollte. Warum sollte er auch? Nachdem er sich so für sie eingesetzt hatte, als - Effie schluckte die Erinnerung an die vergangenen Monate herunter und griff nach dem Türknauf. Eigentlich sollte sie das wirklich nicht tun, aber was blieb ihr übrig, wenn sie nicht draußen zerschmelzen und sich dann von Haymitch auslachen lassen wollte, weil sie sich nicht hatte überwinden können sein Haus ohne Erlaubnis zu betreten? Die Tür war noch nicht ganz offen, da hätte Effie sie am allerliebsten schon wieder zugeschlagen. Es stank in diesem Haus. Sie konnte nicht sagen nach was, aber es war eine widerlich süße Mischung, die ihr so in dieser Form noch nie untergekommen war. Sie brannte in ihrer Lunge. Mehr als es die Zigaretten taten, die eine Zeit lang im Kapitol schick gewesen waren und sie stank schlimmer als es in den Zellen - Effie schüttelte den Kopf und setzte mutig einen Fuß über die Schwelle. Hatte Haymitch sich je die Mühe gemacht diese Dielen zu säubern? Vermutlich nicht und auch „Lüften“ musste so etwas wie ein Fremdwort für ihn sein. Vielleicht hätte sie anstelle der Cupcakes lieber ein Wörterbuch als Gastgeschenk mitbringen sollen, oder besser noch eine Putzfrau. „Hallo?“, rief sie in die Dunkelheit hinein, erhielt aber zu ihrer eigenen Enttäuschung keine Antwort. Offensichtlich war Haymitch ausgegangen. Unter anderen Umständen hätte Effie ihn jetzt gesucht, aber sie kannte sich in Distrikt 12 nicht sonderlich gut aus und Katniss oder Peeta wollte sie nun wirklich nicht mit ihrer unangekündigten Anwesenheit belästigen. Es blieben ihr also nur zwei Möglichkeiten: Die Erste hieß zum Bahnhof zurückzukehren und den nächsten Zug in Richtung Kapitol zu nehmen, was unhöflich gewesen wäre. Immerhin hatte sie Haymitch ihren Besuch angekündigt und er hatte sich sicher schon auf sie gefreut, auch wenn er sie scheinbar vergessen hatte und sein Antwortschreiben irgendwo in der Post versumpft war. Die Zweite war die wesentlich Unangenehmere. Sie bedeutete in diesem Saustall auf ihn warten zu müssen. Seufzend stellte Effie ihre Kuchenschachtel auf den riesigen Esstisch und beobachtete wie sie zwischen Tellern, Flaschen und anderen Dingen quasi unterging. Das war eine Katastrophe! Nicht nur, dass sie den Tee mindestens zwei Stunden später als gewöhnlich würde einnehmen müssen, sie würde auch die Cupcakes nicht mehr wiederfinden, weil Haymitchs alte Socken sie bestimmt verschlingen würden, sobald sie den Blick von der Schachtel abwandte. Effie starrte eine der Socken an und diese starrte auf eine Art zurück, die ihrer Vermutung ziemlich Recht gab. Wie konnte man so etwas nur auf seinen Esstisch legen? Wie konnte man überhaupt etwas anderes als Geschirr auf einen Esstisch legen? Sie verstand das alles nicht und sie wollte es auch nicht verstehen. Mit spitzen Fingern griff sie nach der Socke und musterte sie mit angewidertem Blick. So etwas gehörte – Ja, wohin denn eigentlich? Im Kapitol hätte sie ohne zu zögern „In die Reinigung“ gesagt, aber das hier war nicht das Kapitol. Hier gab es keine Reinigung und das bedeutete, dass die Leute hier noch selbst wuschen. Effie verzog unzufrieden das Gesicht, während sie ihr Opfer zur nächsten Tür trug. Wenn Haymitch schon nicht da war, konnte sie ihren Terminplan auch umschreiben und schauen ob sie es schaffte dieses Ding zu reinigen bevor er nach Hause kam. Konnte so schwer ja nicht sein, das mit der Wascherei. Die in der Reinigung konnten es schließlich auch. Es hatte sie eine halbe Stunde gekostet, das ganze, benutzte Geschirr aus dem Waschbecken zu räumen. Aber inzwischen lief es gut. Sie hatte klares, heißes Wasser in das Becken gefüllt, Spülmittel hineingekippt und ganz professionell und mit langen Fingern die Socke hinzugegeben. Jetzt schwamm sie in der schaumigen Brühe herum und Effie sah ihr einfach dabei zu. Warum? Nun, kurz hatte sie überlegt dem Ding mit dem Topfkratzer zu Leibe zu rücken, dann war ihr eingefallen, dass das sicher nicht gut für das Gewebe war und außerdem wusste sie gar nicht ob Haymitch so etwas wie einen Topfkratzer überhaupt besaß. Also hatte sie sich für Einweichen entschieden. Eine Methode für die man nichts anderes brauchte als Geduld und davon hatte sie inzwischen jede Menge. Außerdem glänzte der weiße Schaum so hübsch im Becken und lenkte prima von dem ganzen, dreckigen Geschirr ab, das sich inzwischen auf dem Boden stapelte. Ordentlich sortiert nach Art des Geschirrs und Widerlichkeit der Verschmutzung, natürlich. Effie warf der Socke einen zufriedenen Blick zu. Bestimmt war sie inzwischen schon viel sauberer und stank nicht mehr nach Wein, so wie Haymitch es immer tat. Vielleicht sollte sich Jemand erbarmen und ihn auch mal abwaschen. Natürlich nicht mit dem Geschirrspülmittel, das war nicht gut für die Haut, aber mit so einer hübschen, blauen Badekugel aus ihrem Lieblingsladen konnte man es eventuell versuchen. Es wäre sicherlich förderlich für seinen Geruch. Effie gluckste. Haymitch mit Fliederaroma, das war irgendwie falsch, selbst wenn sie nur daran dachte. Vorsichtig streckte sie den Finger nach dem weißen Schaum im Waschbecken aus. Ob es schon an der Zeit war die Socke wieder herauszunehmen? Ob sie - Plötzlich wurde sie nach vorne gestoßen und beinahe wäre sie mit dem Kopf voran im Waschbecken gelandet, doch nur Millimeter vor der weißen Schaumschicht riss sie etwas zurück. Die Perücke rutschte ihr über die Augen. Alles wurde dunkel, noch dunkler als es in diesem Haus ohnehin schon war und dann - „Effie?“ Der Griff um ihre Schulter lockerte sich ein wenig, aber Effie spürte noch genau wo die Finger zugedrückt hatten. Sie schwankte, was sicher nicht an ihren Stöckelschuhen lag, aber sie fiel wenigstens nicht um, auch wenn sie guten Grund dazu gehabt hätte. Eilig versuchte sie sich ihre Perücke wieder zu richten. Haymitch musste das Ding hassen, so oft wie er irgendwelche Anschläge darauf verübte. „Was suchst du hier“, hörte sie ihn fragen und sie war sich sicher, dass das jetzt Ärger geben würde, weil sie die Küche nicht hätte betreten sollen und das Haus wahrscheinlich auch nicht. Sie konnte es an seinem Tonfall erkennen. Schwer schluckend drehte sie sich um, versuchte in seiner Miene etwas zu lesen, doch da war nichts und als er den Mund endlich öffnete und sie das Donnerwetter schon hören zu können glaubte, da kam nur ein verwirrtes „Ertränkst du etwa gerade meine Socke?“, aus ihm heraus, das sie spontan zum Kichern brachte. Er hat zu tief ins Glas geschaut -------------------------------- Haymitch hing in der Luft und das war wörtlich zu verstehen, schob er sich doch gerade durch ein offenes Fenster in eine der angeblich so fortschrittlichen Kapitolswohnungen. Sehr fortschrittlich, eine Wohnung in die er nach drei Flaschen Rotwein noch einbrechen konnte. Mit einem dumpfen Poltern landete er auf dem Parkett, aber es machte ihm nichts aus. Er war schon schlimmer gestürzt und immerhin war er jetzt drin und das ganz ohne vorher Ewigkeiten mit dem Portier zu verhandeln. Eigentlich wusste er gar nicht, warum er überhaupt hier war. Er hatte das Ganze zwar ausgiebig in der Zugbar durchdacht, während er daran gearbeitet hatte seinen Alkoholpegel wieder auf die erwähnten drei Flaschen zu heben, aber zu einem befriedigenden Ergebnis war er dabei nicht gekommen. Mochte an dem Wein liegen, dessen Alkoholgehalt ihm eigentlich zu niedrig war, oder vielleicht auch daran, dass niemand mit einem verbliebenen Rest Verstand losgezogen wäre um ausgerechnet bei Effie Trinket Ruhe und Frieden zu suchen. Hätte sich die bunte Welt um ihn herum nicht gedreht, er hätte vermutlich über sich gelacht. Es wäre ein freudloses Lachen gewesen, halb geprägt von dem Alkoholentzug, den er hatte ertragen müssen, halb geprägt von seiner wachsenden Abscheu gegenüber der Idee. Vielleicht hätte er Katniss doch nicht anschreien sollen. Vielleicht hätte er zulassen sollen, dass sie sein Haus auf den Kopf stellten. Wobei, streng genommen hatte er es ihnen nicht einmal verboten. Er war lediglich geflohen als Katniss und Peeta darüber diskutiert hatten ob es nötig war, ihn ebenfalls einer Generalüberholung zu unterziehen. Und dann - Wohin hätte er gehen sollen? Auf den Schwarzmarkt im neuen Hob, der sich aus der Asche des alten Verbrannten erhoben hatte? Sie hätten ihn dort gefunden und selbst wenn nicht, die Nacht hätte ihn zurückgetrieben. Zurück in das Haus, in dem sie einfach nur auf ihn hätten warten müssen. Nein, so dumm war er nicht. Hier würden sie nie nach ihm suchen, das wusste er. Und selbst wenn sie es versuchen würden, er konnte sich einfach hinter all dem Kram verstecken, den Effie in diesen Raum gequetscht hatte. Hinter diesen blauen Kasten zum Beispiel oder dort unter den Tisch mit den komischen Mustern an den Beinen, oder auch hinter dem Portier mit seinem Federhut. Ohne Ankündigung würde der die Beiden doch nie hereinlassen. Nein, sie würden ihn nie finden und Effie würde ihn nicht vor die Tür setzen. Leute vor die Tür zu setzen war unhöflich, vor allem nachdem man sich selbst zwei Wochen lang bei ihnen einquartiert hatte, das wusste er und wenn Effie irgendetwas nicht konnte, dann war es bekanntlich unhöflich sein. Haymitch schnaubte und beobachtete für einen Moment einfach nur das dunkle Parkett vor seiner Nase. Eigentlich war es hier gar nicht so schlecht. Es war warm im Zimmer, der Lufthauch, der vom Fenster kam, hielt sich in Grenzen und vermutlich hätte er auch unbequemer liegen können. Immerhin, er konnte alle Glieder ausstrecken, was vielleicht wirklich für die Kapitolswohnung sprach. In seinem Haus stieß er beim Ausstrecken immer gegen irgendetwas Hartes. In der Regel waren es Flaschen, die dann klirrend umfielen und mit dem Geräusch seinem Kopf zusetzten. Hier dagegen war es ruhig. So ruhig wie es sein konnte, wenn die Straßen des Kapitols nur eine Mauer weit entfernt waren. Aber he, der großen, breiten, belebten Straße verdankte er es, dass er die Adresse überhaupt nur gefunden hatte. Da würde er sich jetzt nicht über sie beschweren. Eigentlich wollte er sich überhaupt nicht beschweren, er wollte viel lieber – Haymitch spürte, wie seine Augenlieder sich schlossen. Die ganze Herumlauferei hatte ihn müde werden lassen. Effie öffnete die Tür zu ihrer Küche. Es war schon später Nachmittag, aber richtig wach fühlte sie sich immer noch nicht. Vielleicht hätte sie am Vorabend doch früher ins Bett gehen sollen, vielleicht war es immer noch der Besuch in Distrikt 12, der in ihren Gliedern steckte. Sie wusste es nicht und eigentlich war es ihr auch egal. Sie brauchte lediglich einen Kaffee, bevor sie damit beginnen konnte, sich für den Abend zurechtzumachen und sie würde sich zurechtmachen, immerhin wollte sie heute auf eine Wiederaufbauparty. Es hatte so lange gedauert, aber jetzt, nach endlosen Monaten war ihr Lieblingsmodehaus so gut wie wieder eröffnet. Alle würden da sein und alle würden sich amüsieren und es würde ganz, ganz toll werden. Fast so wie vor dem Krieg und ihrer Zeit in dieser trostlosen Zelle. Ein Lächeln erschien auf ihren Lippen, während sie zur Theke tippelte. Sie hatte sich auf diesen Abend seit Tagen gefreut und natürlich hatte sie ihn ganz genau durchgeplant. Ihre Hand griff nach einer hellgrünen Tasse mit Blättermuster, die sie besonders schick fand, doch ihre Finger sollten sich nie vollständig um den Griff schließen. Da, direkt unter ihrem Fenster, da lag doch – Effie schnappte nach Luft, blies die Backen auf wie ein Fisch, doch das Bild vor ihren Augen verschwand einfach nicht. Wieso um alles in der Welt lag da Haymitch in ihrer Küche? Und wieso auf dem Fußboden? Innerlich schon mal all ihre Pläne über den Haufen werfend, schlich sie näher an ihn heran. Wenn sie in den letzten Wochen etwas über ihn gelernt hatte, dann, dass sie ihn besser nicht wecken sollte. Sie sah zwar keines, aber er hatte ganz bestimmt ein Messer irgendwo und sie wollte es wirklich nicht riskieren in ihrer eigenen Küche durchlöchert zu werden, weil sie einen „Einbrecher“ aufgeweckt hatte. Wie war er überhaupt reingekommen? Hatte der Portier wieder einmal während der Arbeit geschlafen oder – Ihre Augen weiteten sich. Dieser unmögliche Mann war doch nicht etwa durch ihr Fenster gestiegen? Oh Gott, was würden nur die Nachbarn denken? Wie sollte sie das den Leuten erklären und was – Effie hielt in ihrer Panik inne. Konnte sie ihn eigentlich da so einfach liegen lassen? War es auf dem Boden nicht viel zu kalt? Sie kniff die Lippen zusammen, bis sie kaum mehr als ein hellblauer Strich waren. Das war wieder einmal typisch Haymitch. Er kam aus dem Nichts, ruinierte alle Planungen, die man sorgsam gemacht hatte, rollte sich dann auf dem Fußboden zusammen, schlief ein und man konnte sehen was man mit ihm anfing. Das war doch wirklich – Sie ballte die Hände zu Fäusten, während sie im Nebenraum verschwand um dort eine violette Blümchendecke vom Sofa zu zerren. Wenn er aufwachte, würde sie ihm etwas erzählen! Er konnte schließlich nicht einfach ohne Anmeldung bei ihr auftauchen, ihre Nachbarn verängstigen, ihre Pläne ruinieren und dann – Immer noch verärgert, ließ sie die Decke über ihn fallen. So war es besser, auch wenn sich das Violett mit der Farbe ihres Parketts biss und ihre Wiederaufbauparty sich endgültig zu verabschieden schien. Sie konnte ihn hier ja schlecht alleine lassen. Am Ende wachte er auf und hatte vergessen wo er war. Nein, das ging nun wirklich nicht. Aber wenigstens konnte er schlafend nicht noch mehr anstellen, um – Unter der Decke gab Haymitch ein zufriedenes Schnarchen von sich, das dafür sorgte, das Effie spontan die Augen verdrehte. War ja klar, wenn Jemand einen Weg fand ihr selbst schlafend noch auf die Nerven zu gehen, dann musste es Haymitch Abernathy sein. Vermutlich hatte sie ihn in den letzten Tagen deshalb so vermisst. Sie hat offensichtlich ein Problem ---------------------------------- Effie drückte den Rücken durch um in ihrem Sitz größer zu wirken und schwieg. Ersteres war nicht ungewöhnlich, aber Zweiteres kam eher selten vor. Zumindest in seiner Gegenwart. Haymitch tat als würde er es nicht bemerken und nahm lieber noch einen Schluck von seinem Cognac. Wenn sie immer noch wegen dem Fenster beleidigt war, tat es ihm leid. Immerhin war es schon über eine Woche her und er hatte sich dafür entschuldigt. Nun, zumindest hatte er es vorgehabt. Dann war er abgelenkt worden, von Rüschen, Kosmetikspiegeln und weiß bezogenen Kissen, die wenn es nach Effie gegangen wäre, eine Extraschutzhülle gebraucht hätten. Er verstand das nicht. Bislang hatte er immer geglaubt Kissen hätten Hüllen, eben weil sie dreckig werden konnten. Effie dagegen schien Kissenhüllen zu haben, die noch weniger dreckig werden durften als das Kissen das darin steckte – Aber na ja, so war Effie eben. Sie hatte noch nie sonderlich viel Sinn ergeben. Wenngleich sie in der letzten Woche noch weniger Sinn ergeben hatte als normal und dann hatte sie auch noch darauf bestanden ihn unter allen Umständen bis nach Distrikt 12 zu begleiten. Haymitch wusste nicht wieso. Er war alleine bis ins Kapitol gekommen, er konnte auch alleine wieder zurückkehren. So schwer war das nicht. Man stieg am Bahnhof in einen Zug, suchte sich den Speisewagen, bestellte einen Drink und wartete schlicht, bis der Zug irgendwann wieder anhielt und wenn der Drink zwischenzeitlich ausgetrunken war, dann bestellte man sich eben noch einen. Kinderkram, auch wenn er zugeben musste, dass Effie mit dem Cognac gute Arbeit geleistet hatte. Vielleicht war sie ja doch nicht sauer auf ihn und ihr Schweigen lag an irgendetwas anderem. Passte der Vorhang am Waggonfenster nicht zu ihrer Perücke? Möglicherweise. Er hatte keine Ahnung, aber irgendwas musste da ja sein. Irgendwas das sie scheinbar ziemlich beschäftigte. „Soll ich sie anzünden?“, bot er mit einem schiefen Blick auf die Vorhänge an, doch es dauerte viel zu lange bis Effie überhaupt auf seine Frage reagierte. „Wie bitte?“, fragte sie und das sie fragen musste, war ein eindeutiges Zeichen dafür, dass er recht hatte. Effie träumte schließlich nicht einfach so in den Tag hinein. Sie war sicher mit irgendwas beschäftigt. Irgendwas, dass sie ihm entweder nicht erzählt hatte oder das ihm nicht wichtig genug erschienen war um ernsthaft darüber nachzudenken. Haymitch stürzte den restlichen Cognac herunter. „Ich fragte ob du das noch trinken willst“, log er und deutete auf den Rotwein, den Effie seit ihrer Bestellung noch keines Blickes gewürdigt hatte. Grün lackierte Fingernägel glitzerten im Licht, als sie das Glas in seine Richtung schob. „Trink nur“, bot sie großzügiger Weise an und obgleich er für eine Sekunde nichts lieber getan hätte als sich auf den Inhalt des Weinkelchs zu stürzen, zwang er sich das Glas vorerst zu ignorieren. „Also raus damit, Sweetheart. Was ist los?“, fiel er stattdessen lieber mit der Tür ins Haus, obwohl er sich gar nicht so sicher war, ob er diese Tür überhaupt öffnen wollte. Effie wirkte zwar unzufrieden und das störte ihn irgendwie, aber eigentlich hatte er keine große Lust auf einen weiteren ihrer Farbvorträge. Die waren immer so... bunt und langweilig und spätestens nach dem dritten Satz verstand er eh nur noch Grün, Gelb und Indigo. Indigo war eine Farbe und alleine die Erkenntnis, dass er das wusste, machte das Verlangen nach dem Wein zu greifen gleich noch deutlich größer. Einer Intuition folgend, verschränkte er die Arme vor der Brust. So würde Effie wenigstens nicht sehen, wenn er wegen dem dummen Glas zu zittern begann. Falls sie das überhaupt mitbekommen würde, denn irgendwie lag ihr Blick doch tatsächlich schon wieder auf der Landschaft vor dem Fenster, fast so als wollte sie ihn... nun ja ignorieren eben. Seine Augen verengten sich zu Schlitzen, seine Kiefer mahlten. Wenn sie diese Nummer wegen dem dummen Fenster abzog, würde er wirklich sauer werden. Immerhin hatte er ihr relativ schnell vergeben, dass sie einfach ohne Erlaubnis in sein Haus marschiert war – Was unter anderem an der nassen Socke gelegen hatte, die sie ihm strahlend in die Hand gedrückt hatte. Das dumme Ding stank heute noch nach Spülmittel. Das heißt, es würde nach Spülmittel stinken, würde es immer noch in seinem Schlafzimmer herumliegen, aber wahrscheinlich war es inzwischen Peetas Aufräumwahn zum Opfer gefallen. Seinem oder den hilfreichen Bemühungen Katniss'. Wie auch immer, das Ding war völlig bedeutungslos. Immerhin hatte er es nur aufgehoben, weil der Witz gut gewesen war. Nicht wegen Effie. Vor allem nicht wegen Effie. Das wäre schließlich albern gewesen. „Effie!“, knurrte er vielleicht eine Spur zu streng, aber es schien zu wirken. Sie wandte sich endlich von dem dummen Fenster ab und sah ihn wieder richtig an. „Es ist nichts“, antwortete sie gedehnt und Haymitch sah sich ein weiteres Mal in kürzester Zeit bestätigt. Erstens, sie hatte ihn wirklich absichtlich ignoriert und zweitens, sie war eine verdammt schlechte Lügnerin. „Ich weiß, du hörst es nicht gerne, aber unter dem ganzen grässlichen Zeug in deinem Gesicht gibt es etwas namens Mimik und die straft dich gerade lügen.“ Effie ballte die Hände im Schoss zu Fäusten und glaubte wahrscheinlich auch noch, er würde es nicht bemerken. „Du bist betrunken“, stellte sie fest, wie sie es immer tat, wenn ihr seine Aussagen nicht gefielen und kurz war er versucht ihr einfach zuzustimmen. Eigentlich hatte sie ja auch recht. Er war nicht nüchtern. Gott sei dank, war er das nicht, aber so betrunken, dass er nicht bemerkte, dass sie irgendetwas hatte – Nein, da fehlten noch einige Flaschen, bis er diesen Pegel erreichte und eigentlich wollte er ihn nicht erreichen. Nicht solange er nicht wusste, was genau Effie auf der Seele brannte. „Spuck es einfach aus“, forderte er noch einmal und ignorierte großzügig den angeekelten Gesichtsausdruck seiner Begleitung. Oh ja, er wusste genau, dass sie es nicht mochte, dass er am Tisch vom Spucken sprach, aber damit musste sie jetzt leben. Hätte ja auch gleich die Wahrheit sagen können, dann hätte er sich die Aufforderung gespart. „Morgen Abend ist noch eine Feier zur Eröffnung eines Schuhladens“, murmelte Effie und musterte auffällig interessiert den komischen Vorhang. Haymitch nickte. Jetzt ahnte er, was seine Begleitung unglücklich stimmte. „Du weißt nicht, was du anziehen sollst?“, stellte er seine Theorie in den Raum und rückte, als sie eilig den Kopf schüttelte, gleich noch mit der Nächsten raus. „Dir fehlt die passende Perücke?“ Wieder schüttelte Effie den Kopf. „Schuhe?“, riet er weiter, doch Effie verneinte erneut. Langsam wurde es schwierig. Wenn sie wusste was sie anziehen, auf ihren Kopf pappen und an ihre Füße stecken wollte, wo war dann das Problem? „Schmuck? Implantate? Lippenstift?“, versuchte er es noch einmal, doch Effie hörte gar nicht mehr auf den Kopf zu schütteln. Worüber er zumindest bei den Implantaten nicht ganz unfroh war. „Es hat nichts mit meinem Aussehen zu tun“, erklärte sie schließlich, gerade als er mit „Nasenkorrektur“ ein weiteres, rotes Tuch in den Raum werfen wollte und tatsächlich veranlasste ihn dieser Satz dazu, nun doch nach dem bislang ignorierten Weinkelch zu greifen. Ein Problem das mit einer Party zusammenhing und nichts mit Effies Aussehen zu tun hatte, das ließ eigentlich nur einen Schluss übrig: „Du bist krank?“, fragte er zwischen zwei eiligen Schlucken, doch der Letzte blieb ihm fast im Halse stecken als er sie wider Erwarten tatsächlich zögerlich nicken sah. „Ich glaube“, flüsterte sie und vermied es nach wie vor ihn anzusehen. „Weißt du, immer wenn ich an die Feier denke, muss ich feststellen wie schrecklich langweilig ich sie finden werde, weil du nicht da sein wirst um in die Punschschüssel zu fallen.“ Haymitch knurrte. „Ich bin noch nie in eine Punschschüssel gefallen“, verbesserte er und das stimmte sogar. Einmal war er mit dem Kopf voran in der Weinschorle gelandet, aber das war etwas völlig anderes gewesen und überhaupt, wäre er je in einer Punschschüssel gelandet, er würde sich doch daran erinnern, oder nicht? Halt mal, hatte Effie gerade gesagt, dass sie es ohne ihn langweilig fand? Auf einer Party des Kapitols? Effie? Ausgerechnet Effie? Vielleicht hatte er doch zu viel getrunken. Misstrauisch musterte er den Weinkelch und schob ihn dann mit einer ausladenden Geste von sich weg. Er hatte definitiv zu viel getrunken. So viel zu viel, dass er sich einfach nicht beherrschen konnte und das „Ich könnte dich ja begleiten“, aus ihm herausgeflutscht war, noch bevor er richtig verstanden hatte zu welcher Folter er sich da gerade verpflichtete. Effie quietschte, Haymitch stöhnte und der Zug rollte weiter – In die falsche Richtung, wie es schien. Er hat einen Kuchen ------------------- Effie warf der smaragdgrünen Tür einen unsicheren Blick zu, bevor sie sich wieder ihrem eigentlichen Problem zuwandte. Einem Problem, das den Kopf gerade nicht in der Punschschüssel, sondern viel mehr in der Kühlkammer ihres Gastgebers, Plutarch Heavensbee, hatte. Was mindestens genauso schlimm war, wenn nicht sogar noch schlimmer. „Haymitch, du kannst doch nicht einfach-“, begann sie, aber er fiel ihr wie so oft einfach ins Wort. „Ich kann“, behauptete er und zog triumphierend eine große Schokoladentorte aus Plutarchs Vorräten hervor. „Ich habe gestern Nachmittag am Bahnhof zuletzt gegessen. Ich habe Hunger und es ist ja nicht so als würde er dieses Teil ernstlich vermissen.“ Effie sog scharf die Luft ein, aber wie immer schien es Haymitch gar nicht zu interessieren. Völlig unbeeindruckt stolzierte er mitsamt der Torte zu der ebenfalls grünen Anrichte, um in ihren Schubladen nach einer Kuchengabel zu suchen. Was er fand war keine Kuchengabel. Es war eine grasgrüne Salatgabel, aber scheinbar war sie ihm Kuchengabel genug, denn nun richtete sich sein Augenmerk spontan auf den giftgrünen Tisch in der Mitte des Raumes. „Oh nein, nein, nein!“, entfuhr es Effie, bevor sie ihm eilig über die olivgrünen Fliesen zum Tisch nachrannte. „Du wirst Plutarchs Torte nicht mit einer Salatgabel essen! Hörst du? Was wenn Jemand reinkommt? Was soll der denn denken?“ „Es wird niemand reinkommen und wenn doch wird er denken, dass ich hungrig bin und jetzt lass mich“, knurrte Haymitch sie an, nur um samt Torte und Gabel auf einen der Küchenstühle zu fallen. „Bitte“, verlegte sich Effie aufs Betteln, musste aber tatenlos mit ansehen wie die Gabel die Schokoladenglasur von Plutarchs Kuchen eindrückte und schon kurz darauf in Haymitchs Mund verschwand. „Der ist gut“, wagte er es auch noch zu verkünden und erinnerte Effie damit spontan daran, dass sie mindestens genauso hungrig war wie er. Wie hätte sie auch wissen können, dass die Neueröffnung zwar viel Alkohol, aber keine Appetithäppchen beinhaltete? Haymitch schmatzte und ihr lief gegen ihren Willen das Wasser im Mund zusammen. Sie würde mindestens noch zwei Stunden bleiben müssen um nicht unhöflich zu wirken und ihr Magen hing ihr jetzt schon in den Kniekehlen. Ach, wie gerne hätte sie auch so ein kleines - Nein! Nein, das war Plutarchs Kuchen! Nicht ihrer und schon gar nicht Haymitchs. Auch wenn er sich gerade genüsslich einen weiteren Löffel voll in den Mund schob. „Du hättest ihn wenigstens vorher fragen können“, murmelte Effie, den Löffel genau im Auge behaltend, „ und du hättest eine Kuchengabel nehmen können.“ Haymitch hielt im Essen inne. „Ist das keine?“, fragte er sie mit einem skeptischen Blick auf das ziemlich schokoladige Essgerät. Wollte er sie ärgern oder hatte er ihr wirklich nicht zugehört? Effie war sich nicht sicher, darum zog sie es vor stumm den Kopf zu schütteln. Als sie am Vortag stumm den Kopf geschüttelt hatte, hatte er sehr sonderbar reagiert. Er hatte ihr angeboten mit ihr auf diese Feier zu gehen und das nur weil – Nein, eigentlich wusste sie gar nicht wieso. Sie konnte nur spekulieren warum und sie glaubte, dass es sich um Mitleid handelte, das ihn dazu veranlasst hatte, dass alles zu tun. Mitleid das sie eigentlich nicht haben wollte, auch wenn es sie gefreut hatte, dass er so spontan angeboten hatte sie zu begleiten. Langsam ließ sie sich auf dem giftgrünen Stuhl neben seinem sinken. Plutarch würde es nicht stören, wenn sie sich kurz setzte. Nicht so sehr wie es ihn stören würde, dass Haymitch seine Salatgabel in einen Kuchen gesteckt hatte, den er aus seiner Kühlkammer gestohlen hatte. Effie seufzte schwer. Sie musste zugeben, sie hatte es irgendwie geahnt. Haymitch hasste Kapitolsfeierlichkeiten einfach zu sehr um sich zu benehmen. Und hatte sie ihn nicht gerade deshalb mitgenommen? Damit er dafür sorgte, dass sie sich weniger einsam fühlte und ihn nicht wieder so vermisste, wie sie es getan hatte, bevor – Effie erinnerte sich an die Aktion mit dem Fenster und presste die Lippen zu einem Strich zusammen. Das war so unmöglich von ihm gewesen. So, so typisch – So, Haymitch eben. „Schau nicht so. Es ist nur ein Kuchen“, riss er sie aus ihren Erinnerungen und Effie kam nicht umhin einen weiteren vorsichtigen Blick auf die smaragdgrüne Tür zu werfen. Wenn bloß keiner der anderen Gäste jetzt seinen Weg zu ihnen in die Küche fand. Diese Schmach würde sie sicher nicht ertragen. „Du solltest auch einen Bissen nehmen“, hörte sie Haymitch feststellen und Effie schüttelte erneut den Kopf. Sie konnte das nicht. Sie konnte einfach nicht Plutarch um seinen Kuchen bringen. Das war mehr als unhöflich. Das war schlimmer. Das war schlicht und einfach falsch! Ein Grinsen erschien auf Haymitchs Zügen, während er ihr die Gabel mit einem Stück Kuchen darauf entgegenstreckte. „Er ist gut“, versicherte er noch einmal und Effie konnte ihren Magen knurren hören. Tat Haymitch wahrscheinlich auch und genau deshalb freute er sich auch so. Er wusste das sie auf verlorenem Posten kämpfte, wusste das sie hungrig war, der Kuchen gut roch und das sie nur zu gerne... Erneut schielte sie in Richtung Tür. Wenn sie den Bissen nicht nahm, dann würde er in Haymitchs Magen landen und damit wäre Plutarch auch nicht geholfen, oder? Und wenn sie niemand sah - Es war doch nur ein kleines Stück. Ein ganz Kleines. Von einer Salatgabel. Zögerlich lehnte sie sich der Gabel entgegen. So richtig konnte sie ja nicht glauben, dass sie das wirklich tat. Das sie Haymitch gewinnen ließ. Entgegen ihrer Erziehung und entgegen ihrer Überzeugung... Aber sie hatte Hunger und der Kuchen sah wirklich lecker aus. Vorsichtig schloss sie die Lippen um die Gabel und genoss die plötzliche Süße. Gott, der Kuchen war ja wirklich gut. Beinahe schon zu gut. Haymitch grinste wenn möglich noch breiter. „Weißt du“, hörte sie ihn schnurren, „In Situationen wie dieser denke ich immer, dass bei dir vielleicht doch noch nicht Hopfen und Malz verloren sind.“ Lächelnd zog Effie ihm die Gabel aus der Hand. Vielleicht hatte er recht. Vielleicht färbte aber auch sein unmögliches Verhalten langsam auf sie ab. Sie wusste es nicht. Sie wusste nur, dass Haymitch sich diebisch darüber freute und vielleicht war genau das der Grund, warum sie beherzt aufsprang, ihm die Lippen auf die Wange drückte und verkündete: „Den Rest des Kuchens essen wir aber mit einer Kuchengabel.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)