Ich warte auf dich von LenjaKa ================================================================================ Kapitel 19: Besuch ------------------ Lenja war wie so oft sehr früh auf den Beinen. Ihre Arbeit als Goldschmiedin bereitete ihr viel Vergnügen, doch war es ein zeitaufwändiges Unterfangen Broschen, Ketten, Armbänder, Ringe und all die anderen Kostbarkeiten zu fertigen. Je nachdem, ob es sich um einen speziellen Auftrag oder eine eigene, freie Anfertigung handelte, musste sie unterschiedlich schnell arbeiten. Dabei war aber immer ein gewisses Maß an Präzision einzuhalten. Dass sie ihre Arbeit zur vollsten Zufriedenheit ihrer Kunden erfüllen wollte, war eines ihrer persönlichen Ziele. Dabei unterschied Lenja nicht zwischen ihren Auftraggebern. Ob Zwerg oder Mensch, Frau oder Mann, Klein oder Groß: die junge Frau nahm sich zur Aufgabe die Wünsche aller so gut, wie es ihr nur möglich war, zu erfüllen. So saß sie auch an diesem Vormittag an ihrer Werkbank in Hungstarris Schmiede. Lenja blieben noch wenige Tage bis sie den Brautschmuck einer Menschenfrau fertiggestellt haben musste. Es war ein enormer Aufwand, den sich ein wohlhabender Kaufmann aus Thal für seine Tochter leisten ließ. Eine sehr teure Aussteuer, wie Lenja dachte. In der Hinsicht empfand sie nicht wie wohl die Mehrheit ihres Volkes. Sicherlich, das nur zu oft erwähnte Klischee eines Zwerges, dem es nach Schätzen gelüstet, bestand ihrer Ansicht nach nicht ausschließlich aus Luftschlössern. Sie wusste, dass viele ihres Volkes nach Reichtum und schönen, wertvollen Dingen strebten. In der Regel verloren sie nur sehr selten an Wert und dienten somit als solide Grundlage für die eigene oder auch familiäre Zukunft. Kostbarkeiten zu horten, sie zu erweitern, ermöglichte vielen Zwergen ein halbwegs sicheres Leben. Doch nur allzu oft im Leben gab es auch negative Beispiele. Nicht wenige übertrieben diesen Drang und veränderten sich durch den Besitz dieser Güter. Sie hatten Einfluss auf ihr Gemüt, auf ihre Vorstellungen hinsichtlich ihres Lebens, ihrer Zukunft. Nicht wenige entwickelten eine krankhafte Einstellung zum eigentlichen Wert. Sie beschlossen den persönlichen Schatz für sich, und nur für sich allein, zu horten. Niemand durfte sich auch nur in dessen Nähe begeben. Selbst Familienmitglieder konnten in Verdacht geraten, sich am Eigentum vergreifen zu wollen. Sie konnten leicht unter das Banner des Feindes geraten, wenn die Gier überhandnahm. Die Lust an finanzieller Macht. Die Habgier an kostbaren und zugleich kostspieligen Dingen. Der Geiz, der einem den Geist vernebeln konnte. Das Gefühl, mehr Wert zu sein als andere. Das Recht, bestimmte Dinge für sich selbst in Anspruch zu nehmen. Und alles zusammen besaß eine unbeschreibliche Gewalt den Charakter eines Zwerges zu zerstören ohne, dass der Betroffene bewusst davon Notiz nahm. Lenja hatte schon den einen oder anderen Kunden erlebt, dem dieses Schicksal zuteil geworden war. Diejenigen, die es betraf, legten eine kaum auszuhaltende Unruhe und Gereiztheit an den Tag, mit der die Zwergin kaum umgehen vermochte. Sie war in dieser Hinsicht anders. Natürlich waren nicht alle Zwerge ausschließlich von wertvollen Dingen in der negativen Variante geprägt. Doch sie selbst, als Goldschmiedin, die jeden Tag solche Schätze in den Händen hielt und sie erst zum Leben erweckte, konnte diesen ursprünglichen Rohstoffen nichts abgewinnen. Es stand außer Frage, dass sie sie schön fand, sie sie als Arbeitsgrundlage schätzte, wusste, wie sie sie zu kombinieren hatte, damit sie in Verbindung mit anderen Edelsteinen oder Metallen ein vorzügliches, harmonisches Gesamtbild abgaben. Doch am Ende des Tages waren und blieben sie für Lenja nur ihre Arbeit. In ihrem Alltag konnte sie ihnen nicht viel abgewinnen. Wie andere Zwerginnen auch, trug sie Schmuck; eine Kette und mehrere Ohrringe. Doch hielt sie sie im Vergleich eher schlicht. Silber war ihre ausschließliche Grundlage. Sie wollte den Metallen und Edelsteinen auch keinen direkten Weg in ihre Seele bieten. Manchmal, wenn sie Geschenke für Frauen fertigte, überlegte Lenja. Würde ihr ein derartiges Präsent auch gefallen? Würde jemand so einen kostspieligen Aufwand auch für sie aufwenden, um ihr Herz zu erobern oder es für die bereits erlebte gemeinsame Zeit belohnen wollen? Sie konnte es nicht bis in das letzte, kleinste Detail verneinen. Was jedoch feststand, war, dass für die Zwergin andere Werte einen höheren Stellenwert einnahmen. Es lag wohl an ihrer Vergangenheit. An den Dingen, die sie bereits in jungen Jahren erleiden musste. Den Vertrauensbruch einst zwischen ihr und ihrer Mutter. Dann die gräulichen Taten, die ihr Vater an ihr verübte. Sie wusste, dass Gold und Edelsteine solche Probleme und Abgründe nicht heilen konnten. Das Einzige, was die Seele und damit ihr eigenes Herz heilen könnte, war Liebe, Ehrlichkeit, Vertrauen, Treue und ein gewisses Quäntchen von einem Kämpferherz. Nicht zuletzt durch ihr Wesen und ihren ungewöhnlichen Willen, ähnlich stark wie ein Mann zu sein, wusste Lenja, dass der Zwerg an den sie eines Tages ihr geschundenes Herz vergeben würde, bei ihr viel Zeit und Mühe brauchte, um sie vollständig zu erobern. Wie hieß es immer so schön? Zwerge binden sich nur einmal im Leben. Und wenn sie es tun, dann mit völliger Hingabe. Man konnte schon fast von einer Selbstaufgabe sprechen. Bei ihr würde es ein ausgiebiger Kampf werden, denn ihre Vergangenheit hatte ihr mehr Misstrauen mit auf den Weg gegeben als ihr lieb war. Ein Knarren an der Eingangstür riss Lenja aus ihren Gedanken. Die Zwergin hob ihren Blick von der fast abgeschlossenen Tätigkeit Edelsteine für ein Armband in ihre vorgesehenen Fassungen einzusetzen, um festzustellen, wer soeben ohne ein Wort in ihre Arbeitsstube eingetreten war. Mit einem raschen Griff nahm sie das Vergrößerungsglas aus ihrer linken Augenhöhle und staunte nicht schlecht als sie den Besucher erkannte. Der dunkelhaarige Zwerg kam näher auf sie zu und begrüßte Lenja mit einem freundlichen Nicken. Jetzt erst war ihr schmerzlich bewusst geworden, dass sie sich nicht an die Vorschriften hielt. „Es tut mir leid, mein Herr. Ich habe eben nicht klar gedacht. Ich entschuldige mich vielmals bei Euch für meinen Fehler“, sprach die junge Frau, erhob sich von ihrem Platz, ging etwas in die Knie und senkte ihren Blick. „Lenja, was soll das? Du brauchst nicht vor mir zu knicksen. Und ich hatte gedacht, dass die steife Förmlichkeit mit der feuchtfröhlichen Nacht auch verschwunden sei“, bemerkte Thorin ruhig. Die Zwergin hob ihren Kopf. Die Gedanken an die durchzechte Nacht ließ ihr eine Röte in ihre Wangen schießen. Sie schämte sich für ihr Verhalten. Hatte sie doch in jener Zeit die Kontrolle über sich und ihr Handeln verloren gehabt. Als ob Thorin ihre Gedanken gelesen hatte, sprach er das aus wovor sie sich am meisten fürchtete. „Ich hoffe, es geht dir wieder besser nachdem du von einer sehr heftigen Übelkeit heimgesucht wurdest?“ Sie räusperte sich: „Ich muss mich wirklich in aller Form bei dir für mein Verhalten entschuldigen. Mittlerweile frage ich mich, was an jenem Abend in mich gefahren ist. Ich meine, da sitze ich mit euch zusammen in der Schenke während mein kleiner Bruder allein daheim ist und auf mich wartet. Und dann habe ich auch nichts Besseres zu tun als mich zu betrinken. Du musst mich förmlich hinter dir her schleifen, weil Dwalin ebenfalls viel zu viel intus hatte. Dann springt Ári anscheinend munter durch die Stube und staunt nicht schlecht als ich mich vor eurer beider Augen mehrfach übergebe. Und zu guter Letzt halte ich dich mit meinem Fehlverhalten auch noch davon ab selbst heimzukehren...“ Thorin hatte sie während ihrer Worte mit einer Mischung aus Bewunderung und Mitgefühl angeschaut. Er wusste aus eigener Erfahrung nur zu gut, wie schrecklich man sich fühlen konnte, wenn man zu tief in Bierkrüge geschaut hatte. Doch wollte er es ihr nicht sagen. Nicht jetzt in diesem Moment. Und die Anerkennung in seinem Blick galt Lenjas Aufrichtigkeit. Es war ihr durchaus anzurechnen, dass sie sich für ihr Verhalten erklären, ja sogar entschuldigen wollte. Doch sah der Zwerg keinesfalls eine alleinige Schuld oder dergleichen bei der jungen Frau. Es war wohl vielmehr eine Verkettung der Ereignisse, die sie in ihren Zustand befördert hatte. Ihre Verantwortung für den Bruder brachte sie sicherlich zu dieser Einschätzung. Wie sehr sie sich um Ári sorgte, war dem Zwerg nicht verborgen geblieben. Nicht nur aus Dwalins oder Balins Erzählungen wusste er, wie sehr ihr Herz für den Kleinen schlug. Auch Ári hatte ihm die eine oder andere Anekdote über seine Schwester erzählt als er den Zwergenjungen hütete. Thorin konnte nicht genau sagen, was es war. Aber eins war klar: in jener Nacht hatte ihn etwas tief in seiner Seele berührt. Er konnte es nicht lokalisieren, nicht ausfindig machen. Doch er kannte dieses Gefühl nicht. Es war so unbekannt, so unbeschreiblich. Nie zuvor hatte er dieses Kribbeln, dieses warme Ziehen in seiner Magengegend gespürt, wenn er nur an Lenja dachte. Und nun, da sie direkt vor ihm saß und ihn mit ihren grünen Augen erwartungsvoll anblickte, hatte er das Gefühl von diesem warmen Schauer übermannt zu werden. Sein Herz klopfte in einem Rhythmus, welcher ihn Angst und Faszination zugleich bescherte. Er versuchte tiefer ein und aus zu atmen. Die Kontrolle über seinen Körper wiedergewinnen, das war sein Ziel. Er war sich nicht sicher, aber er ahnte, was mit ihm passiert war. Sollte es wirklich wahr sein? Spielte sein Verstand ihm nur einen Streich? Sollte es wahrhaftig bedeuten, dass er sich in Lenja verliebt hatte? Es erschien ihm so sicher und doch genauso unwirklich zugleich. Er kannte sie nicht. Er hatte kaum ein Wort mit ihr gewechselt. Hatte sie nie gefragt, wie sie die Welt um sich herum betrachtete. Wie sie lebte, wie sie sich selbst und ihre Zukunft sah. Nichts davon wusste der Zwerg. Woher auch? Er hatte sie nie über ihre Wünsche, ihre Ängste oder über ihre Ziele und Hoffnungen sprechen gehört. Niemals hatte er sie lachen oder weinen gesehen. Sie erlebt, wenn die Gefühle mit ihr durchgegangen sind. Wenn sie am liebsten nicht nur mit Worten um sich geschlagen hätte. Er kannte Lenja nicht. Und doch hatte er das Gefühl sie schon ewig zu kennen. Natürlich kannte er nur zu gut ihre schwere Vergangenheit. Er hatte sie vor sich stehen gesehen. Das Mädchen, was am Vorabend um ihr eigenes und um das Leben ihres Bruders gerannt war. Er hatte den unbändigen Willen, das Verlangen nach Gerechtigkeit und die Verletzlichkeit gespürt, die sie umgaben. Er hatte beobachtet, wie sie sich von anderen Kindern nichts gefallen ließ, wie sie Dwalin um ihren Finger wickelte. Er wusste nicht zuletzt dank Ári, dass sie eine starke Frau war. Das sollte nicht bedeuten, dass andere Zwerginnen weniger aushielten. Doch sie war in der Hinsicht wohl einzigartig. Er hatte noch nie in seinem Leben eine faszinierendere Frau getroffen. Sie war so natürlich, so normal. Und doch war sie anders. Wie sie bereits schon sehr jung in ihrem Leben kämpfen musste, so wollte sie das auch mit Waffen können. Er kannte keine Frau, die freiwillig ein Schwert oder eine Axt in die Hand nahm. Es wollte ihm auch kein weibliches Wesen einfallen, das mehr als einen Krug Met in sich gegossen hatte. Und es sollte ihm auch keine Frau einfallen, die zugleich so stark und zerbrechlich auf ihn wirkte, wie Lenja. Auch schien sie ihn nicht anders als alle anderen behandeln zu wollen. Er hatte die leidliche Erfahrung machen müssen, dass er durch seine Stellung, seine Herkunft von vielen besser behandelt wurde als Zwerge mit einer ursprünglichen Abstammung. Viele junge Zwerginnen versuchten bereits ihr Glück bei ihm. Sie wollten den Prinzen bezirzen, ihn umgarnen, um ihn dann an sich zu binden. Ihnen lag es nicht an ihm als Person. Die spätere Krone und mit ihr sein Reichtum schien ihre Herzen höher schlagen zu lassen. Ein Räuspern holte Thorin zurück in die Gegenwart. „Ist alles in Ordnung mit dir, Thorin?“, fragte Lenja mit einem besorgten Blick auf den Zwergenprinz. „Ja. Entschuldige mich bitte. Ich habe dir noch gar nicht erklärt, was mich zu dir geführt hat.“ „Ich hatte mir schon gedacht, dass es nicht nur meine Gesundheit war, die dich interessierte“, bemerkte die Zwergin und schenkte ihm ein Lächeln. „Nicht nur“, antwortete Thorin. „Ich möchte dich um einen Gefallen bitten. Um ehrlich zu sein, ist es eher ein Auftrag. Eine Aufgabe, die dir liegen würde und ich glaube auch, dass sie in deinen Händen in den aufrichtigsten wäre.“ „Ich höre“, entgegnete Lenja und konnte kaum ihren Ohren trauen als sie den genauen Auftrag vernahm. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)