Ich warte auf dich von LenjaKa ================================================================================ Kapitel 11: Ein letztes Aufbäumen --------------------------------- Lenja atmete neben ihren Onkeln hörbar auf. Verbannung! Ihr Vater würde nun aus der Gemeinschaft ausgeschlossen und musste den Erebor verlassen. Man hatte ihr geglaubt! Ihr, dem kleinen Zwergenmädchen, dem der eigene Vater ein solches Leid zugefügt hatte. Ihr Herz machte einen Sprung. Ásgrímur würde ihr ab jetzt nichts mehr tun können. Er hatte seine Gunst beim König verspielt und musste nun die Konsequenzen für seine abscheuliche Tat tragen. Und sie konnte nun mit Ári zu Balin und Dwalin ziehen! Auch wenn ihre Onkel ein wenig chaotisch waren, konnte sie dort nun endlich ein fröhlicheres Dasein beginnen nach der großen Trauer über den Verlust ihrer Mutter und der herben Enttäuschung über den Mann, den sie einst Vater nannte. Lenja ließ ihren Blick zu Balin schweifen, der ihr zunickte und zu seinem Bruder meinte: „So, nun wäre das ja geklärt. Dann können wir mit den beiden Rabauken heim.“ Das Mädchen schmunzelte. Ja, nun konnte ein neuer Abschnitt in ihrem Leben beginnen - und keiner konnte sie davon abhalten. Die Gruppe hatte sich soeben zur Haupteingangstür des Thronsaals begeben als Lenja eine Unruhe hinter sich vernahm. Sie drehte sich ruckartig um und sah, wie Ásgrímur den Wachen heftigen Widerstand leistete. Ihr Vater war ein sehr kräftiger Mann und dass er sich dieses Urteil einfach gefallen lassen würde, wäre auch zu schön um wahr zu sein gewesen. Lenja starrte wie gebannt auf ihren Vater. Ihr kleiner Körper bebte vor Angst. Ihr stockte der Atem. Sie konnte keine Worte finden als sich Ásgrímur gegen die beiden Wachen durchsetzte und niemand im Thronsaal zu reagieren schien. Wieso tat denn keiner etwas? Verdammt nochmal! Der König winkte mit einer Handbewegung neue Wachen herbei, die sich um den Zwerg kümmern sollten. Doch für Lenjas Augen war dies ein seltsames Schauspiel. Niemand schien großartig überrascht, dass Ásgrímur Widerstand leistete. Jetzt endlich hatten auch ihre Onkel gemerkt, dass das Mädchen stehen geblieben war und ihnen nicht folgte. „Kurze, Abmarsch nach Hause. Lass deinen Erzeuger mal das Problem der Wachen sein“, brummelte Dwalin. Doch Lenja reagierte nicht. Sie konnte immer noch nicht den Blick von Ásgrímur wenden, der sich für ihren Geschmack viel zu schnell in ihre Richtung zubewegte. Erneut machten zwei andere Wachen Anstalten ihren Vater außer Gefecht zu setzen, doch auch dieser Versuch war wohl leider nicht von anhaltender Dauer. „Mittelerde an Lenja. Hier spricht dein Onkel Dwalin. Ich habe die letzte Nacht kein Auge zugetan, weil ich dich und deinen Bruder gesucht habe und will nun ins Bett. Also kommst du jetzt endlich?“ Das Mädchen hatte ihre Sprache immer noch nicht wiedergefunden. Ihr Onkel drehte sich leicht genervt und übermüdet zu ihr um. Dwalins Blick verdüsterte sich schlagartig, als er sah, wie sich sein Schwager erneut aus der Umklammerung der Wachen zu befreien schien. „Lenja, geh zurück! Balin kümmere dich um die Kurze. Ich habe hier noch ein Hühnchen mit unserem sauberen Schwager zu rupfen!“, wies der Zwerg seinen Bruder und seine Nichte an. Das Mädchen flüchtete zu ihrem Onkel, der sie schützend hinter sich zog. Sie sah an ihm vorbei, wie Dwalin in Richtung ihres Vaters ging. In ruhigen Schritten trat er seinem verurteilten Schwager entgegen. Langsam und bedacht kam er auf ihn zu. Ásgrímur wandte sich wieder aus dem Griff der Wachen. Sie gingen leicht benommen zu Boden. Bei einem Zwerg lief Blut aus der Nase. Lenjas Vater sah seinen Schwager auf sich zukommen. Ein hämisches Lächeln umspielte seine Lippen: „Ah, wen haben wir denn da? Der Retter der kleinen ungezogenen Mädchen. Was hast du vor? Willst du mich vor versammelter Mannschaft zu Mus schlagen oder gar töten? Für wen hältst du dich, hm?“ „Ich bin hier um das zu beenden, was dein Schicksal ist. Wenn es die Wachen nicht schaffen, dann schmeiße ich dich eigenhändig raus aus dem Erebor, du Abschaum! Du sollst deiner Tochter kein Leid mehr zufügen können!“ „Na na, lieber Schwager. Wer will denn da gleich so grob sein? Mein Töchterchen muss es dir ja sehr angetan haben, was? Du willst mich, deinen eigenen Schwager, den Mann deiner verstorbenen Schwester, daran hindern, meine Lenja mit in das Verderben zu nehmen, in das sie mich gerissen hat?“ Erneut wies der König seine Wachen an, den Verurteilten nun endlich zu überrumpeln und ihm ihn aus den Augen zu schaffen. Er schien dieses Theater leid zu sein. Doch Dwalin gab ihnen mit einem Zuruf zu verstehen, dass das hier nun seine eigene Angelegenheit war. Eine etwas andere Privatangelegenheit vor den Augen Thrórs. Die beiden Männer fixierten sich mit ihren Blicken. Lenja wusste nicht welcher Blick ihr eher Angst einjagen sollte. Sie hatte ihren Onkel noch nie derart wütend gesehen. Klar, Dwalin war manchmal ein kleiner Choleriker, der immer, wenn ihm etwas nicht passte laut wurde. Doch so schnell wie die Lautstärke zunahm, so schnell verschwand sie auch wieder. Das hier war aber nun etwas ganz anderes. Wenn ihr Onkel nun so leise und beherrscht war, dürfte es in ihm nur so brodeln, dachte sich Lenja als sie wieder vorsichtig hinter Balins Bein hervor lugte. Immer noch bewegte sich keiner der beiden. Sie funkelten sich weiterhin mit Hass in den Augen an. Beide waren unbewaffnet und hatten eine ähnliche Statur. Wie und ob dieser sich anbahnende Kampf zum Vorteil für Dwalin ausgehen sollte, wusste das Mädchen nicht. Trotz der Stärke ihres Onkels hatte sie Angst um ihn. Angst davor, dass ihr Vater ihm erheblich schaden könnte. Nun tat Ásgrímur einen Schritt nach vorn auf Dwalin zu. Dieser zuckte kaum mit einem Muskel und blieb an derselben Stelle, an der er sich befand. Abwarten hieß wohl seine Devise. Warten bis der andere den ersten Schritt machte. Sein Schwager nahm dies als willkommene Einladung seinen perfiden Plan zu verfolgen und preschte nun mit einer Schnelligkeit auf den anderen Zwerg zu, die Lenja noch nie bei ihrem Vater beobachtet hatte. Auf einmal standen die beiden Männer direkt voreinander. Wenige Zentimeter trennten die beiden. Lenja wusste nicht, ob Dwalin damit gerechnet hatte. Ob es Teil seiner Strategie war oder was auch immer er sich dabei gedachte hatte. Jedenfalls lag er plötzlich rücklings auf dem Steinboden des Thronsaals. Ásgrímur kniete über ihm und hatte seine Hände, nein, seine Pranken, um den Hals seines Schwagers gelegt. Sie schlossen sich mit einem Ruck, der Lenja das Blut in den Adern gefrieren ließ. Das Monster war dabei ihren geliebten Onkel die Luft ab zuschnüren! Er wollte ihn erwürgen. Er wollte, dass Dwalin starb. Er sollte es sein, der dem Zwerg seinen letzten Atemzug nahm. Das Mädchen schrie verzweifelt nach ihrem Onkel, der sich heftig unter dem festen Griff seines Schwagers wand. Der kalte, triumphierende Blick Ásgrímurs funkelte zu ihr herüber. Ihr wurde schlecht. Wieso tat denn hier keiner etwas und half ihrem Onkel? In diesem Moment zog Balin seine Nichte aus dem Saal. Wie in Trance ließ sie sich hinter ihm herziehen. Sie konnte den Blick nicht von den beiden am Boden liegenden Zwergen abwenden. Bevor sich das schwere Portal vor ihrer Nase schloss, hatte Dwalin sich aus der Umklammerung seines Schwagers befreit und diesen zu Boden gestoßen. Die Positionen hatten sich also nun endlich geändert. „Onkel Balin! Wieso hilft denn dort keiner? Die haben doch alle nun gesehen, dass dort ein Monster im Raum ist!“, klagte Lenja verzweifelt. Der Zwerg sah seiner Nichte in ihre Augen: „Er weiß schon, was er dort tut. Dein Vater ist durch den Bann „Vogelfrei“ geworden. Weißt du, was das heißt?“ Lenja schüttelte den Kopf. „Nun ja, das bedeutet, dass er unter keinem Schutz mehr steht. Jeder, der es will, kann sich seiner annehmen. Und da Ásgrímur Widerstand leistet, kann auch Dwalin sich das Recht nehmen gegen ihn vorzugehen und ihn eigenhändig für das zu bestrafen, was er dir angetan hat“, sprach Balin weiter. Das Mädchen zuckte zusammen als sie aus dem Inneren des Saals Gepolter vernahm. „Er weiß schon, was er da tut, Lenja. Dwalin ist um einiges jünger als dein Vater. Wenn er sich nicht bei dem sicher wäre, dann hätte er ihn auch nicht herausgefordert. Du musst deinem Onkel da vertrauen.“ „Ich hoffe, du hast Recht“, flüsterte Lenja. Sie hatte große Angst um ihren Onkel. Balin nahm sie an die Hand. „Auch wenn es dir schwer fällt. Wir müssen jetzt hier weg. Das ist kein Ort für Zwergenkinder. Auch für dich nicht, Lenja“, fügte ihr Onkel hinzu als sie zum Widerspruch anzusetzen schien. „Wenn die Sache hier beendet ist, wird er schon Heim kommen. Also, lass uns deinen Bruder holen und dann geht es für dich erst einmal in den Zuber und danach rein in ein weiches Bett. Du hast noch einiges an Schlaf nachzuholen“, zwinkerte ihr Balin zu. Woher er nur immer seine Zuversicht nahm, war Lenja ein Rätsel. Sie hoffte, dass er Recht behalten würde und sie Dwalin bald in ihre Arme schließen konnte. Gedankenversunken folgte sie Balin. Jedoch konnte sie den eiskalten Blick Ásgrímurs immer noch vor ihrem inneren Auge sehen. Wie hatte ihre Mutter nur ein solches Ungeheuer lieben können? Wann war er zu dem geworden? ** Lenja lag bereits mehrere Stunden unter ihrem weichen Federbett. Nachdem sie ein heißes Bad im Zuber genommen hatte, versprach sie Balin auch sofort ihren fehlenden Schlaf aus der letzten Nacht nachzuholen. Doch sie konnte trotz Müdigkeit kein Auge zumachen. Sie dachte an ihren Onkel Dwalin. Wieso war er noch nicht wieder hier? Wo blieb er nur solange? Was hatte ihr Vater ihm vielleicht doch noch angetan? War er verletzt? Und wenn ja, wie ging es ihm? Aber ihr Onkel war doch bärenstark! Keiner konnte ihm etwas anhaben! Oder etwa doch? Das Mädchen lag still mit ihren Gedanken unter der warmen Decke als plötzlich die Eingangstür geöffnet wurde. Sie lauschte. War das nun endlich Dwalin? Oder hatte man Boten zu Balin geschickt, um ihn den Gesundheitsstatus seines jüngeren Bruders mitzuteilen? Lenja spitzte die Ohren. Durch die geschlossene Tür fiel es ihr nicht so leicht etwas mitzubekommen. Das Mädchen schlüpfte aus dem Bett und tapste auf Zehenspitzen zur Tür. Sie legte ihr rechtes Ohr an das Holz und lauschte. Dwalin! Es war eindeutig seine Stimme! Er sprach über irgendetwas mit seinem Bruder. Was, das konnte Lenja nicht verstehen. Aber sie war so froh, dass ihr Onkel endlich wieder da war. Ásgrímur schien ihn nicht allzu sehr zugesetzt zu haben. Jedenfalls war Dwalin heim gekommen. Und das bedeutete wohl nur Gutes. Lenja öffnete vorsichtig die Tür. Nur einen kleinen Spalt. Sie wollte sehen, wie es Dwalin ging. Vorsichtig lehnte sie ihren roten Schopf auf den Flur hinaus. Keiner war mehr zu sehen. Sie hörte Balin mit dem quengelnden Ári in der Küche. Nur wo war Dwalin hin? Sie hatte da so ihre Vermutung. Wahrscheinlich hatte er sich in seine Kammer zurückgezogen. Er musste ja noch den Schlaf der letzten Nacht nachholen. War doch klar, dachte sich Lenja. Leise schlich sie sich zu seiner Kammer. Auf Zehenspitzen gestellt, öffnete sie die Tür. Ganz vorsichtig trat sie hinein, um sie sofort wieder hinter sich zu schließen. Sie hatte Recht gehabt. Ihr Onkel Dwalin lag in voller Länge unter seiner Decke. „Ich habe mich schon gefragt, wo du bleibst, Kurze“, brummelte er aus dem Halbdunkeln. „Geht es dir gut, Onkel Dwalin?“, fragte Lenja ihren Onkel mit einem unguten Gefühl. „Logisch. Wer will mich umhauen will, der muss schon früher aufstehen“, hörte das Mädchen ihn antworten. Ein Rascheln durchbrach die Stille. Dwalin hatte das Bettdeck zur Seite geklappt. „Willst du da immer noch an der Tür stehen bleiben, oder kommst du wie sonst auch her und lässt deinen armen Onkel endlich seinen wohlverdienten Schlaf nachholen?“, wollte er von Lenja wissen. Die ließ sich nicht zweimal bitten und verschwand glücklich neben Dwalin unter der Decke. Sie beobachtete ihren Onkel nun erst einmal aus nächster Nähe. Waren das da wirklich blaue Flecke an seinem breiten Hals? Und das da an seiner rechten Augenbraue? War das mal eine Platzwunde gewesen? „Weißt du, dass das unheimlich ist, wenn du mich mit deinen großen Kulleraugen so in der Dunkelheit anstarrst, Kurze?“, fragte Dwalin seine Nichte. „Hm“, machte Lenja nur und grinste. Sie schmiegte sich an ihren Onkel, wie sie es schon so oft getan hatte. „Und wer hat gewonnen?“, wollte das Mädchen wissen. „Wer wohl? Er wird dir nichts mehr tun können“, brummte Dwalin. Was das genau bedeutete, erfuhr Lenja erst etwas später. Aber für den Moment reichte ihr die Erklärung ihres Onkels. „Du, Dwalin“, begann sie. „Was gibt’s denn noch, Kleine?“, seufzte ihr Onkel neben ihr. „Ich hab dich lieb. Und wenn ich mal groß bin, dann will ich auch so einen Mann wie dich haben. So einen Brummelzwerg wie du einer bist. Der richtig Eindruck macht und dann aber daheim so knuddelig wie ein kleiner Hund ist“, mit diesen Worten schlag Lenja die Arme um seinen Hals. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)