Ich warte auf dich von LenjaKa ================================================================================ Kapitel 7: Wer Wind sät, wird Sturm ernten ------------------------------------------ Mit einem Fünkchen mehr Hoffnung als noch vor dem Gespräch mit Dwalin und Balin erledigte Lenja die heutigen Arbeiten im Haushalt. Auch Ári schien seine Schwester ein wenig mehr Zeit als sonst für ihre Aufgaben zu zugestehen. Er schlummerte bereits wieder seit Mittag friedlich in seinem Bettchen. Wenn Lenja sich nicht täuschte, müsste die Sonne bald untergehen. Immer wieder dachte das Mädchen an ihre Onkel. Wie hatte ihr Vater das Gespräch wohl mit ihnen aufgenommen? War es ihm bewusst, wie sehr er seine Kinder vernachlässigte? Wie würde es nun weitergehen? Inständig hoffte Lenja, dass sich die Situation für alle wieder entspannen würde. Ja, sie hatte einen Groll auf ihren Vater. Doch irgendwo war er ja auch ihr Vater. Der Mann von dem sie abstammte. Und trotz aller Dinge, die bereits geschehen waren, existierte da wohl auch noch ein kleines Quäntchen Hoffnung. Lenja würde es sich niemals eingestehen. Aber sie hoffte still und heimlich, dass Ásgrímur sie doch irgendwie, auf seine ganz versteckte eigene Art und Weise, lieb hatte. Ein Wunsch, wie ihn wohl alle Kinder hatten. Nichts war so wichtig und schützenswert wie die Liebe zwischen Eltern und ihren Kindern. Doch neben diesem natürlichen Wunsch gesellte sich auch die Ungewissheit. Bereits seit Stunden spielte Lenja in Gedanken „was-wäre-wenn“-Spiele durch als nun wie auf das Stichwort die Haustür geöffnet wurde und laut ins Schloss fiel. Ásgrímur war wieder da. „Lenja!“, hörte das Mädchen die Stimme ihres Vaters vom Flur her. „Bist du in der Küche?“ „Ja, Vater“, antwortete die Tochter wahrheitsgetreu. Anhand der Stimmlage konnte Lenja nicht einschätzen, wie Ásgrímur gelaunt war. Doch bis jetzt konnte sie an seinen wenigen Worten keinen Gemütszustand erkennen. Sie fürchtete sich ein wenig ihrem Vater nun unter die Augen zu treten. Obwohl sie wusste, dass sie im Recht war mit Balin und Dwalin über den Zustand zu sprechen, fühlte sie sich schlecht. Vielleicht wäre es doch besser gewesen ihren Vater selbst darauf an zusprechen? Nun war es dafür jedenfalls zu spät. Der Zwerg betrat die Küche als Lenja auf einem Holzstuhl stehend Vorräte in ein Regal räumte. Die oberste Etage war für das Mädchen zu hoch, doch alle anderen waren bereits belegt gewesen, sodass sie sich mit dem Stuhl aushelfen musste. Sie hielt inne und sah zu ihrem Vater, der im Türrahmen stand. Sie versuchte mit einem Blick auf ihn festzustellen, wie er das Gespräch mit seinen Schwagern aufgenommen hatte. Doch nichts war in seinen Zügen abzulesen. Langsam kam er auf Lenja zu, die wie angewurzelt abwartend auf dem Stuhl stand. Kurz vor seiner Tochter holte Ásgrímur aus und trat gegen ein Stuhlbein. Mit einem lauten Knacken verbrach es entzwei und das Mädchen fiel zu Boden. Hastig und angetrieben von aufflammender Panik, kroch Lenja auf allen Vieren rückwärts. Ihr Herz raste. Sie konnte ihre vor Angst geweiteten Augen nicht von ihrem Vater abwenden. Mit Schrecken stellte das Mädchen fest, dass sie bereits mit dem Rücken zur Wand saß. Sie saß in der Falle. Wie sollte sie diesem Mann, den sie einst einmal als ihren Vater bezeichnet hatte nun entfliehen können? Sie rang nach Luft. Wie würde es nun weitergehen? „Was sollte das, du Miststück? Du bist eine kleine dreckige Verräterin! Hast du nichts Besseres zu tun als deinen Onkeln so einen Unsinn zu erzählen? Mich als unfähigen Vater da zustellen? Was fällt dir überhaupt ein?“, herrschte Ásgrímur seine Tochter von oben herab an. „Wie soll das nur mit dir weitergehen? Sprich! Nicht nur, dass du schon immer Flausen im Kopf hattest und dich nicht wie ein anständiges Mädchen benehmen wolltest. Nun setzt du solche Lügen in die Welt und hetzt die beiden auch noch gegen mich auf! Wo soll das nur noch mit dir enden, Lenja?“ Mit den letzten Worten trat der Zwerg ein paar Schritte auf das Mädchen am Boden zu. Sie zitterte am ganzen Körper und schüttelte wie geistesabwesend ihren Kopf. Das konnte doch nicht wahr sein! Wer war das? Das konnte doch nicht ihr Vater sein! Das war ein Monster! Wie konnte ihre Mutter diesen Mann nur einst geliebt haben? Wimmernd vor Angst versuchte Lenja ihre Panik so gut wie nur möglich herunter zu schlucken. Sie wollte Ásgrímur nicht noch mehr Angriffsfläche bieten. Sie wusste wie sehr er Gefühlsdusseligkeiten verabscheute. Als ob er ihre Gedanken hören konnte, begann der Zwerg erneut sein abscheuliches Spiel. „Hast du Angst vor deinem eigenem Vater, mein Kind? Ich kenne den Ausdruck in deinen Augen. Deine Mutter war auch von derselben Sorte. So ein schwaches Weibsbild, das dachte, sie könnte machen was sie wollte. Und nun hat sie die Quittung dafür. Sie ist tot und hat dich verlassen. Keiner kann dich mehr beschützen. Keiner wird dich mehr in Schutz nehmen, wenn du wieder gegen die Natur handelst und meinst, eine Frau könne wie ein Mann sein. Auch Dwalin und Balin werden es sich nicht mehr erlauben mich zu Recht zu weisen. Und weißt du woran das liegt? Ich kann es dir sagen. Wenn wir beide hier fertig sind, wirst du dich nicht mehr trauen ihnen auch nur ein Sterbenswort zu erzählen, was hier in unseren vier Wänden passiert. Hast du mich verstanden?“, sprach Ásgrímur kalt. Lenja wusste nicht so recht, was sie da nun tat. Wie in einem anderen Körper rappelte sie sich auf ihre Beine. Trotz ihrer Angst vor dem, was ihr Vater ihr noch antun konnte, wollte sie sich das nicht gefallen lassen. Etwas trieb sie an, sich zu wehren. Auch wenn es sich dabei um einen ausweglosen Kampf handelte. Ein kleines Mädchen gegen ihren Vater, der zudem auch noch Krieger war. Eigentlich hätte sie es gleich sein lassen sollen, doch sie wollte nicht kampflos aufgeben. Nein, das konnte sie nicht! Sie war es Ári und sich selbst schuldig sich nun zur Wehr zu setzen. Und irgendwo musste sie auch ihre tote Mutter beschützen, von der das Ungeheuer dort so abfällig sprach. „Was hast du vor? Willst du mich um Verzeihung bitten bevor ich dich für deine dreckigen Lügen bestrafe oder bist du wirklich so verrückt dich gegen deinen eigenen Vater zu stellen? Ich sage dir was: ein Nichts bist du! Deine Mutter hat es nun besser dort wo sie ist. Sie braucht die Schande nicht mehr zu betrachten, die sie selbst verursacht hat. Sie hätte dir sofort Einhalt gebieten sollen als sich die ersten Anzeichen deiner Geisteskrankheit zeigten“, zischte der Zwerg mit einer nie dagewesenen Leere in den grünen Augen. „Ich hasse dich! Du bist ein Monster! Du hast Mutter auf dem Gewissen! Ich bin keine Lügnerin! Ich weiß nicht, wie Mutter dich je lieben konnte. Du bist abscheulich! Du bezichtigst mich der Lüge und machst all diejenigen schlecht, die dich einst liebten. Ich verachte dich! Du magst zwar mein Erzeuger sein, aber als Vater bist du für mich gestorben!“, schrie Lenja rasend vor Wut Ásgrímur entgegen. Schmerz durchfuhr ihr Gesicht. Erst links, dann das zweite Mal rechts. Er hatte sie geohrfeigt. Niemals hatte er sie geschlagen. Doch für alles gab es bekanntlich ein erstes Mal. Nur wollte Lenja nicht in den Genuss einer Wiederholung kommen. Die Wucht der Schläge hatte sie erneut zu Boden stürzen lassen. Doch anders als zuvor beugte sich der Zwerg mit einem bedrohlichen Funkeln über sie. „Wie du siehst, du bist ein Nichts. Es wäre klüger für dich in Zukunft deinen Mund zu halten. Ansonsten kann ich für nichts garantieren. Du wirst noch sehen, was es bedeutet, sich mit mir anzulegen“, flüsterte Ásgrímur. Ohne Vorwarnung holte er dieses Mal mit seinen schweren Stiefeln aus und trat zu. Lenja krümmte sich unter Schmerzen. Tränen ließen heiß über ihr Gesicht. Schmerz und Verzweiflung stiegen in ihr hoch. Als ihr Vater erneut ausholte, griff sie geistesabwesend nach dem Küchenmesser. Sie hatte es vorhin noch auf die Arbeitsplatte gelegt nachdem sie einen Eintopf vorbereitet hatte. Dort lag es auch noch. Ihre Chance war gekommen. Sie nahm es in die Hand und stach auf ihren Vater ein. Sie erwischte ihn am linken Oberschenkel. Damit hatte er nicht gerechnet. Sie um ehrlich zu sein auch nicht. Verblüfft und mit schmerzverzerrtem Gesicht blickte Ásgrímur Lenja an. Diese holte erneut aus und rammte ihm dieses Mal das Messer tief in den Oberschenkel hinein. „Was zum...?!“, schrie der Mann auf als Lenja losstürmte. Sie sah ihre Chance gekommen. Den kleinen Ári riss sie aus seinem Bettchen und rannte so schnell wie noch nie zuvor in ihrem Leben mit dem Kind auf dem Arm los. Weg, bloß weg von hier! Das war ihr einziger Gedanke. Sie hoffte, dass das Messer ihren Vater etwas beschäftigen und ihr mit Ári Zeit verschaffen würde. Sie brauchte einen Vorsprung um sich und dem Kleinen ein schreckliches Schicksal zu ersparen. Mit Ári im Arm rannte Lenja über Steinwege und Korridore. Sie überlegte kurz, ob sie zu Balin und Dwalin fliehen sollte. Doch die Behausung der beiden war zu weit entfernt. Sie hatte Angst, dass ihr Vater ihr auf dem Weg dorthin auflauern könnte. Nein, das war zu offensichtlich. Sie konnte es nicht wagen diesen Weg einzuschlagen. Es blieb Lenja nichts anderes übrig als ihr Glück anderswo zu versuchen. Und in diesem speziellen Fall hieß der einzige Fluchtweg: raus aus dem Erebor. Dort würde ihr Vater sie niemals vermuten. Die Idee war selbst für ihre Verhältnisse zu absurd. Ásgrímur würde sie nie in freier Natur suchen. Mit einem Hechtsprung über die letzten Steinstufen rannte Lenja auf das Tor zu ihrer Freiheit zu. Ári in ihren Armen strampelte wild, doch schrie er nicht. Zum Glück, denn das hätte eventuell ihren Fluchtweg verraten. Das Herz hämmerte Lenja in der Brust. Sie hatte es bald geschafft. Sie lief auf das Portal zu und fand sich in stockdüsterer Nacht wieder. Sie musste weiter. Weiter hinein in die Dunkelheit. Weg vom Eingang. Hinaus in die nah gelegenen Wälder. Einen Unterschlupf finden und warten. Warten bis hoffentlich ihre Onkel kämen und die Kinder in Sicherheit brachten. Nur woher sollten sie wissen, dass Lenja und Ári auf der Flucht waren? Würde man überhaupt nach ihr suchen? Vielleicht hätte jemand der Portalswächter sie erkannt und konnte ihnen Bescheid geben? Stolpernd erreichte Lenja völlig außer Atem das Dickicht der angrenzenden Wälder. Sie hatten es geschafft. Für das Erste waren sie wohl in Sicherheit. Nur wie es weitergehen sollte, wusste das Mädchen nicht. Erschöpft ließ sie sich mit Ári auf dem weichen Waldboden nieder. Sie bettete ihren Bruder in ihren Armen und strich ihm zärtlich über das kleine Gesicht. „Wir haben es geschafft, Ári! Der böse Mann wird uns hoffentlich nicht mehr wehtun“, flüsterte Lenja ihrem Brüderchen zu. „Du kannst jetzt weiterschlafen. Und morgen werden hoffentlich Balin und Dwalin uns suchen kommen. Und dann muss Vater bestraft werden. Hoffentlich...“ Lenja lehnte sich erschöpft etwas zurück und lauschte in die dunkle Nacht hinein. Nein, das muss Einbildung gewesen sein. Da war niemand außer den beiden Kindern. Oder doch!? Erschrocken drückte das Mädchen ihren Bruder wieder fest an ihre Brust als sie ein Geräusch direkt neben sich ausmachte. Nein, das konnte doch nicht wahr sein! War das wirklich ihr Vater? Sie sprang auf ihre Beine. „Zeig dich, wer auch immer du bist!“, sprach Lenja so fest und entschlossen, wie es überhaupt möglich war. Kaum hatte sie diesen Befehl ausgesprochen, sah das Mädchen nun deutlich wer oder besser was sie eben gehört hatte. Zwei Augen sahen sie ängstlich an. Doch gehörten sie eindeutig nicht zu einem Zwerg. Ein Ork oder Goblin war es auch nicht. „Bitte tue mir nichts!“, sprach da ein Elbenmädchen mit zittriger Stimme. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)