Ich warte auf dich von LenjaKa ================================================================================ Kapitel 4: Kinder sind grausam ------------------------------ Seitdem Lenja schmerzhaft bewusst wurde, dass ihre Existenz wohl eher ein Witz der Natur war und sie auch in Zukunft weniger Ansehen haben würde als ihr noch ungeborener Bruder, verbrachte sie mehr Zeit als eigentlich nötig bei ihrem Onkel Dwalin. Die nun noch größere emotionale Distanz zu ihrer Mutter und ihrem Vater nahmen jene nicht wahr. Jedenfalls schien Lenja durch ihre Abwesenheit weniger Unfug zu treiben und war unter den wachsamen Augen ihres Onkels sicher. Zumal sich Láfa nun voll und ganz auf die baldig anstehende Geburt konzentrieren konnte, so dachte Ásgrímur. Wie so oft in den letzten Tagen wartete Lenja auf ihren Onkel. Immer wenn er sie nicht mitnehmen konnte, hockte sie auf einem Stein oder machte es sich auf ihrer Decke gemütlich, die sie immer in ihrem neuen Rucksack dabei hatte. Schließlich hatte Lenja doch beschlossen eine große Kriegerin zu werden und als anständig ausgerüstete Kriegerin im Dienste des Zwergenkönigreichs gehörte es dazu einen ledernen Rucksack zu tragen. Das hatte sie bei den Männern gesehen. Und Dwalin hatte ihr nach immer lauter werdenden Flehen und Bitten einen geschenkt. Offiziell handelte es sich dabei natürlich nicht um ein Transportmittel für spätere Kriegsutensilien sondern um eine Art Reisetasche, die Lenja brauchte, um immer Wechselwäsche dabei zu haben. Lenjas Eltern hatten diese Erklärung ohne Weiteres geschluckt. Nur Balin hatte schmunzelnd darüber hinweggesehen und mit einem tadelnden Fingerzeig seinen Bruder ermahnt. Doch auch er wusste von Lenjas Leiden. Dwalin hatte es ihm erzählt und Balin brach es das Herz den kleinen Wirbelwind traurig zu sehen. Also schwieg er zu den Berufsplänen seiner Nichte; fürs Erste jedenfalls. Lenja wusste nicht, wie lange sie bereits auf Dwalin wartete. Sie hoffte, dass er bald kommen würde. Gedankenversunken blickte sie auf die schwere Tür durch die er schon vor einer gefühlten Ewigkeit verschwunden war. Wichtige Gespräche waren das wohl wieder. Die Zwergenjungs, die sich immer vehement weigerten mit Lenja zu spielen, liefen bereits zum fünften Mal an ihr vorbei. Die Zwergin zog ihre Beine an ihre Brust und stützte den Kopf auf ihre Knie während sie keine Notiz davon nahm, dass Gúgur dämlich grinsend auf sie zukam. Er war der selbsternannte Anführer der Bande. „Schaut euch das an, Leute! Da sitzt die Verrückte wieder und wartet wie ein Schoßhündchen auf ihren Onkel! Warum bist du kein anständiges Mädchen und gehst mit deiner Puppe spielen?“, plusterte sich Gúgur vor Lenja auf. Eigentlich hatten ihr ihre beiden Onkel ein Versprechen abgerungen, sich nicht unnötig mit den Jungs anzulegen. Ein Mädchen gegen fünf Jungs war nicht fair und sie befürchteten, dass Lenja den Kürzeren bei einer Rauferei ziehen würde. Aber beim besten Willen, den dummen Spruch konnte die Zwergin nicht unkommentiert stehen lassen. Sie erhob sich von ihrer Decke und stand nun wenige Zentimeter Aug in Aug mit dem Anführer. Die gleiche Körpergröße gab Lenja zusätzlich Sicherheit als sie so gelassen wie möglich erwiderte: „Du musst es ja wissen. Warum gibst du es nicht zu, dass du ganz neidisch darauf bist, wenn deine Schwestern mit ihren Puppen Mutter und Kind spielen? Ach ja, dir ist es ja verboten so ein Mädchenkram zu machen. Du kannst es deinen Freunden ruhig sagen, dass die blauen Flecken an deinem linken Arm von deinem Vater stammen als er dich dabei erwischt hat, wie du als stolzer Puppenvater durch deine Kammer gegangen bist.“ Gúgurs Gesichtsfarbe hatte sich während Lenjas Worte mehrfach verändert. Voller Zorn und mit zusammengekniffenen Augen, die Schlitzen glichen, zischte er: „Du dreckige Lügnerin! Was weißt du schon? Du bist eine Schande für deine Familie! Dein Vater und deine Onkel sind angesehene Krieger und was bist du? Du bist nicht normal! Anstatt sich ihrem Willen zu beugen, stellst du dich dagegen und versuchst ein Junge zu sein. Aber das wirst du nie im Leben schaffen, denn du bist und bleibst ein schwaches Mädchen! Eine Verrückte! Ich glaube, deine Mutter hat während deiner Schwangerschaft gesoffen. Sonst wäre nicht so etwas wie du es bist am Ende dabei rausgekommen!“ Mit diesen Worten wandte er sich triumphierend zu seinen Freunden um, die ihm zustimmend zu grölten. Eine selten dagewesene Wut stieg in Lenja auf. Für diese Worte sollte der kleine Spinner büßen. So nicht! Niemand sollte es wagen sie bis auf die Knochen zu beleidigen. Auch wenn sie kein gutes Verhältnis zu ihren Eltern hatte, war es eine Frechheit, wie der Dreikäsehoch da mit ihr sprach. Na warte, dachte sich das Mädchen. Du wirst gleich sehen, was es bedeutet sich mit Lenja anzulegen. Sie tippte Gúgur auf die rechte Schulter als dieser schon gar nicht mehr mit einer Reaktion von ihr rechnete. Er drehte sich selbstsicher um und fiel im nächsten Moment rücklings auf den Boden. Was war geschehen? Er sah für den Bruchteil von Sekunden nur noch Sterne vor seinen Augen kreisen bevor ein stechender Schmerz durch seine Nase fuhr. Die anderen Jungs waren einen Schritt zurückgewichen als ihr Anführer zu Boden gegangen war. Lenja stand zum Kampf bereit vor Gúgur als es diesem so langsam dämmerte, was soeben geschehen war. Mit der rechten Hand tastete er sich vorsichtig zu seiner schmerzenden Nase vor. Eine Flüssigkeit lief aus ihr heraus. Mit zitternder Hand betrachtete er die tiefrote Substanz, die an seinen Fingern schimmerte. Blut! Hatte das verrückte Mädchen ihm doch glatt einen Schlag auf die Nase verpasst und diese wohl auch noch gebrochen! Das sollte sie ihm büßen. Immer noch leicht benommen rappelte sich der Junge aus seiner Rücklage wieder hoch auf seine Beine. Seine Augen blitzten als er Lenja fixierte. Diese hielt seinem Blick stand. Die beiden Kinder schlichen wie Ringer in einem Kreis umeinander herum. Beide lauerten auf die nächste Reaktion des Anderen. Sie folgten einander bis Gúgur zum Schlag ausholte. Er verfehlte sein Ziel und strauchelte. Nur mit Mühe konnte er verhindert vornüber zu kippen, denn Lenja war ihm aus dem Weg gesprungen. Bebend vor Wut schrie Gúgur seinen Freunden zu, das Mädchen zu schnappen und festzuhalten. Keiner wusste so recht, ob er sich wirklich mit dieser Furie anlegen sollte. Nur ein größerer Junge machte Anstalten Lenja zu packen. Er hielt sie in einem Klammergriff an den Schultern fest. Das Mädchen versuchte sich kräftig gegen den Griff des Größeren zu wehren, aber egal was sie versuchte, alles schien ausweglos. Gúgur kam siegessicher auf sie zu. Eigentlich hatte Lenja ja hoch und heilig versprochen nie im Leben den einen Trick anzuwenden, den Onkel Dwalin ihr einst für den Notfall empfohlen hatte. Aber wenn das nun kein Notfall sein sollte, dann wusste sie auch nicht. Mit voller Kraft hob sie das Knie als Gúgur direkt vor ihr Stand und zum Faustschlag ausholte. Der Schlag verpasste sie dieses Mal leider nicht und traf mit voller Wucht ihr rechtes Auge. Ihr Notfallkniff hatte seine Wirkung aber ebenfalls nicht verloren, sodass sich Gúgur mit einem schmerzverzerrten Gesicht am Boden krümmte und sich verzweifelt seine nun lädierten Kronjuwelen hielt. Die anderen Jungs sahen sich verwirrt und beängstigt an. Sie tauschten blitzartig Blicke aus. Keiner wusste genau, was nun geschehen sollte. Der Große hatte Lenja unbewusst losgelassen als ihr Anführer zu Boden ging. Eine Überforderung lag in der Luft und brachte sie förmlich zum Knistern. Unentschlossenheit, wie sie sich nun aus der Situation ziehen sollte, überkam auch Lenja. Dwalin hatte ihr nicht verraten, wie es nach der Geheimwaffe weitergehen sollte. Und schon gar nicht, was man machen sollte, wenn man von einer Gruppe bedroht würde. Das Mädchen überlegte fieberhaft als sie plötzlich eine Stimme vernahm: „Genug jetzt! Lasst den Mist und geht nach Hause.“ Lenja drehte sich um und sah, dass die Tür, die Dwalin einst hinter sich geschlossen hatte, geöffnet war und ihr Onkel mit Thorin im Türrahmen stand. Doch es war nicht ihr Onkel, der eben das Wort ergriffen hatte. Es musste der Prinz gewesen sein. Sie kannte diese tiefe, melodische Stimme nicht. Wie lange sie dort schon standen? Wie viel hatten sie von der Rauferei mitbekommen? Lenja fühlte sich ertappt, obwohl ja nicht sie den Streit begonnen hatte. Doch wussten die beiden Männer das? Oder dachten sie, dass das Mädchen die Anstifterin gewesen ist? Während es bei Lenja im Kopf drunter und drüber ging, hatte sich Gúgur von seinem Tiefschlag erholt und aufgerappelt. Mit seinen Freunden verließ er schnell die Szenerie. Schließlich wollte er nicht auch noch den Ärger des Prinzen auf sich ziehen. Die Pein, die Lenja ihm angetan hatte, reichte für den heutigen Tag. Schimpfe von Erwachsenen und dann auch noch von der Königsfamilie wäre selbst ihm zu viel des Guten gewesen. So liefen die Jungs davon und ließen Lenja vor den Männern allein zurück. Lenja atmete tief durch. Sie wusste nicht, wie sie sich erklären sollte. Und dann noch vor Thorin. Das würde gewaltig Ärger geben. Das war bestimmt für Dwalin peinlich, wenn er eine so ungezogene Nichte hatte. Kaum im Stande die Augen zu heben, wagte sie dann schließlich doch einen Blick in das Gesicht ihres Onkels. Was sie dort ablesen konnte, ließ ihren Atem stocken. Sie kannte den Ausdruck. Immer, wenn Dwalin kurz davor war vor Lachen zu platzen, machte er eine solche Grimasse. Lenja konnte es nicht fassen. Was sollte das denn nun bedeuten? Verwirrt ließ sie ihren Blick nach links zu Thorin schweifen. Auch in seinem Gesicht konnte sie so etwas wie Schalk lesen, dennoch war das im Vergleich zu Onkel Dwalins Gesicht um Welten weniger. Das war wohl so eine königliche Zurückhaltung, dachte sich Lenja im Nachhinein. Dwalin hielt es nicht mehr aus und lachte los: „Voll auf die Zwölf! Der Junge wird sich noch lange an die Stärke meiner Nichte erinnern. Was meinst du Thorin? Hast du schon einmal eine so kleine Kriegerin gesehen?“ „Nein, das habe ich nicht. Aber ich muss sagen, dass du nicht übertrieben hast. Eure Verwandtschaft ist unverkennbar. Der Schlag mit der Rechten wurde eindeutig vererbt“, gab der Angesprochene zu Protokoll während nun auch er breit grinste. Lenja fühlte sich wie in einem falschen Film. Hatte sie das eben richtig mitbekommen? War das ein Lob? Und wieso schien der Prinz etwas von ihrem, nun ja, seltsamen Verhalten für ein Zwergenmädchen zu wissen? Oder interpretierte sie in seine Aussage etwas hinein? „Das wird aber ein hübsches Veilchen abgeben, meine liebe Lenja“, sprach Thorin sanft weiter und deutete auf den Schatten unter Lenjas rechtem Auge. „Hmm“, kam es schüchtern von der Zwergin während ihr Onkel fast vor Stolz zu platzen schien. Seine Nichte hatte nicht nur den Willen sondern auch die Stärke eine große Kriegerin zu werden. „Wir müssen uns dann nur noch eine Erklärung für Balin und deine Eltern einfallen lassen“, grinste Dwalin. „Was hältst du davon? Du hast ganz eifrig den Haushalt deiner Onkel geschmissen und bist in ihrer Unordnung gestolpert? Balin ist ja eh nicht zu Hause gewesen und kann nicht etwas anderes behaupten.“ Lenja schnaufte halb verärgert, halb erleichtert auf: „Aber Onkel Dwalin, ich bin doch nicht sooo ein Mädchen.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)