Kurayami - [Finsternis] von Puella ================================================================================ Kapitel 10: Nori - [Ära] ------------------------ Kapitel X - Nori - [Ära] Noch immer hatte sie das Bild vom Vortag im Kopf. Noch immer machte sie sich Gedanken darüber, ob es richtig gewesen war wie sie reagiert hatte. Und noch immer hallte in ihren Gedanken sein stummes Entsetzen wieder, als sie es ihm gesagt hatte. Kalt; fast schon emotionslos, um ihre eigene Angst zu verdecken. Die Augen sind der Spiegel zur Seele. Dass sie es wusste. Dass er tatsächlich aufgeflogen war; auch ihr gegenüber. Und sie verraten dich, mein Lieber. War es falsch gewesen? Hätte sie die Unwissende mimen sollen, um ihn zu schützen? Sie wusste es nicht. Doch die noch so schmerzlich frische Erinnerung an sein kalkweißes Gesicht, seine dunklen Augen, die sich vor Schreck geweitet hatten und seine überstürzte Flucht aus Agasas Haus, ließen ihr keine Ruhe. Von oben konnte sie das ablenkende Rauschen des Wasserhahns hören, während der Professor sich für die Nacht fertig machte und war beinahe dankbar dafür, zumindest für einen kurzen Augenblick zur Ruhe zur kommen. Mit schweren Lidern sah sie zur digitalen Uhranzeige, am unteren rechten Rand des Bildschirms und musste erstaunt feststellen, dass es weit nach Mitternacht war. Hatte sie tatsächlich den gesamten Tag und den gesamten Abend vor dem Computer verbracht? Die Augen stets auf ihre Fortschritte zum Apoptoxin 4869 gerichtet und in Gedanken bei demjenigen, für den sie all diese Arbeit auf sich nahm? ‚Ja, nur wegen dir die ganzen schlaflosen Nächte. Die Albträume, die Kopfzerbrecherei, diese Gefühle. Alles nur zu deinem Glück. Und doch nein..ʼ Unwillig sah sie zur ihrer Linken, wo eines der vielen Mikroskope aufgestellt war. Belegt mit dem Präparat, dessen Spuren sie nach millimistischer Suche dort auf der Couch gefunden hatte, wo er gesessen hatte. Kopfschüttelnd begann sie Dokument um Dokument neu abzuspeichern, bevor sie stockend auf das letzte noch geöffnete Fenster starrte. Match Found. Die Lettern leuchteten ihr grell entgegen. Darunter die Daten, denen nicht sie, aber ein Anderer umso mehr nachgestrebt hatte. Mit fassungsloser Mine umfasste sie die Tastatur in einem beinahe unmenschlichen Griff und versuchte ihre Atmung ruhig zu halten. Das Herz flatterte ihr wie wild in ihrer Brust, verbreitete das Adrenalin in ihren Adern. Name: Hōri Yukitoshi* Alter: 30 Nationalität: Japaner ‚Das kann nicht.. Das ist nicht.. möglich!ʼ Panisch sicherte sie die Daten auf einem separaten Memorystick, ohne sich die Ergebnisse gänzlich durchzulesen und zog den Stecker des Gerätes. Das Kellerzimmer wurde jäh in gespenstische Stille versetzt und schwer atmend starrte sie in die Dunkelheit. Hart schluckend legte sie den Kopf in den Nacken und schlang sich ihren Laborkittel enger um den fröstelnden Körper. Es wurde Zeit, dass sie tatsächlich mal etwas für ihn tat, statt ihn ständig neuen Qualen zu untersetzen. Zeit, dass sie handelte, statt nur zu forschen und ihm Versprechungen zu machen, die sie vielleicht nie würde halten können. Es war Zeit für die Einleitung einer neuen Ära. Sie schmunzelte in die nun herrschende Dunkelheit. ‚Hätte dir sicher gefallen, diese Formulierung. Doch auch jede neue Ära ist geprägt von den Personen der davorigen. Also bitte sei mir nicht böse, Kudō-kun.ʼ Und nun hatte sie was nötig war, um diese neue Zeit anzubrechen. ~~~ Es war noch früh am Morgen gewesen, als das Telefon seinen Henkerston klingelte. Selbst die Sonne war mit ihrem lebendigen Licht noch nicht vollständig über den Horizont gestiegen, um ihre Kinder zu wecken. Und doch war sie kurz darauf hellwach und auf den Beinen gewesen. Die Finger fest um das schnurlose Telefon der Hotel Suit geklammert, während sie in hellster Aufregung ihren Mann suchte, wegen dessen Arbeitsmoral sie die letzten Nächte in einem Hotel wohnen mussten. Sie hatte ihn minutenlang gerufen, nur um von der nervenzereißenden Stille begrüßt zu werden, in der ihre eigene Stimme unangenehm widerhallte. Entschuldigend hatte sie aufgelegt, versichert der Bitte nachzukommen und sich an die Kochinsel gesetzt. Es war ihr egal gewesen, dass sie in wenigen Stunden ein Meeting hatte und dennoch im Morgenmantel rumsaß, statt sich aufzuhübschen und vorzubereiten. Sie hatte wichtigeres, um dass sie sich kümmern musste. Doch vorerst hatte sie stumm an ihrem Platz gesessen. Die Sonne beim Aufgehen beobachtet und der Stadt beim Aufstehen zugesehen. Irgendwann gegen Mittag war ihr Mann endlich zurück gekehrt. Leicht beschwipst, aber dennoch zurechnungsfähig. Einen kurzen Blick auf das tränenüberströmte Anlitz seiner Frau später, schien er jedoch wieder vollkommen nüchtern und alles andere war verdrängt. Er hatte es sofort geahnt. Etwas stimmte nicht in Japan. In Tōkiō bei ihrem Sohn. Bei Shin'ichi. Neue Tränen nicht zurück halten könnend hatte Yukiko ihrem Mann alles geschildert; verzweifelt mit dem unbewegbaren Kloß in ihrem Hals kämpfend, um den sich die Worte wie schwere Steine zu drücken schienen. Yusaku war sich nicht einmal mehr sicher, was alles seine Frau ihm genau weiter gegeben hatte. Bloß ein Satz hatte sich in seinem Kopf festgeankert. „Sie sagte, dass die Raben ihn vollständig eingenommen haben, Yusaku! Mein Shin-chan..“ Seine zusammengebrochene Frau in den Armen haltend, während er selber mit seinen Nerven kämpfte; versuchte rational zu denken, hatte er bei der nächstgelegenen Fluggesellschaft nach dem nächsten Flug Richtung Japan gefragt und umgehend zwei Karten in der ersten Klasse reserviert. Und jetzt, nur wenige Stunden später, saßen sie hier. Tausende von Meter über dem Atlantik, all ihre Verpflichtungen; die Verleger, Agenten mit neuen Rollenangeboten, in den Staaten vergessen und zurück gelassen, weil die wichtigste von allen Zuhause auf sie wartete. Zähneknirschend warf Yusaku seiner Frau einen besorgten Blick zu die an seine Schulter gelehnt schlief, schon seit sie abgehoben waren. ‚Ich werde ihn retten, Yukiko. Ich verspreche es. Ich rette unseren Sohn, und sei der Preis noch so hoch.ʼ Mit einem Fingerwink rief er die Stewardess zu sich und bat um eine Decke. Sie würden noch genug Aufregung haben, da würden ein paar Stunden Ruhe nicht schaden. Zumal selbst er hier oben nicht viel würde ausrichten können. ‚Außer vielleicht zwei kurzen Telefonanrufen..ʼ ~~~ Nach einem letzten festdrehen der Schraube ließ er das Handwerkzeug verschwinden und drückte auf einen der drei Knöpfe an seiner Digitaluhr. Vier Minuten und 8,3 Sekunden. Gott, er hörte sich bald noch an wie dieser Schnösel von Ainoko. Nichtsdestotrotz grinsend erhob sich Kaitō aus seiner hockenden Position und sah sich ein weiteres Mal um, nur der Sicherheit wegen. ‚Wir wollen ja keine Beweise hinterlassen.ʼ Innerhalb der Dauer eines Herzschlages hatte der Junge sich verkleidet und noch immer schmunzelnd öffnete er die Tür der Detektei mit behandschuhten Fingern und schloss sie anschließend lautlos hinter sich. Schritt Eins seines Master Plans war vollbracht; die Wanzen in der Detektei, sowie in der obrigen Wohnung versteckt. Nun hieß es nur noch abwarten und geduldig sein. So wie er den Detektiven kannte und einschätzte sollte es nicht lange dauern, bis er die Geschütze auffahren und einen eigenen, individuellen Plan aus dem Hemdärmel schütteln würde. Zudem machte er sich noch immer Gedanken um das Wohlergehen seines Rivalen. Er konnte nicht glauben, dass die Erlebnisse aus jener Nacht spurlos an dem Geschrumpften vorbei gegangen sein sollten; und versuchte er noch so sehr, sich dies einzureden. Zu sehr hatte er an der Erinnerung an die vor Panik und Furcht geweiteten Augen zu knabbern. Den Kopf schüttelnd wollte er gerade den kurzen Treppenabschnitt verlassen und auf offene Straße treten, als ein ihm wage bekannter Blondschopf vorbei lief. Das schwarze Smartphone ans Ohr gedrückt und eine Mischung aus Anstrengung und Lässigkeit auf dem leicht gebräunten Gesicht. Automatisch schoss ihm nur unmittelbar darauf der passende Name durch den Kopf. ‚Bourbon!ʼ Und es machte Klick in Kurōbās Kopf. Wie hatte er bis dato nur so blind sein können?! Die alkoholischen Codenamen, diese merkwürdige Aura der Gefahr; als ob ein Raubtier sein Opfer langsam in die Enge treiben würde, in vollem Bewusstsein darüber, dass es überlegen war. Er konnte ein Schaudern nur schwer unterrücken, als er sich an die kühlen, blauen Augen erinnerte, die ihm im Bell Tree Express emotionslos entgegen gefunkelt hatten. Der junge Magier hatte einen Entschluss gefasst und seinen gesamten Plan umgekrempelt, noch bevor er mit dem Fuß auf dem Gehweg auftrat. Schnell aber unauffällig heftete er sich an die Fersen des Mannes, der nach einer kurzen Begrüßung an die junge Bedienung des Poirot Café, welche vor der Tür Luft zu schnappen schien, weiter lief und leise in sein Telefon sprach, sodass Kaitō von seinen Worten nur Bruchstücke mitbekam. Noch einen Schritt zulegend schloss er zu dem Blonden auf und hielt sich wenige Schritte hinter diesem, um lauschen zu können. Währenddessen tat er simultan dazu so, als würde er auf seinem eigenen Mobiltelefon spielen. „Er hat das gesagt?“ Es entstand eine kurze Pause, in der Bourbon einmal frustriert aufseufzte. „Ja, ich verstehe schon, Vermouth. Aber warum ausgerechn-“ Abrupt brach er ab und der Dieb konnte das leichte, jedoch unverkennbare weiten seiner Augen erkennen, während das Organisationsmitglied aufmerksam lauschte. Dann nickte er sich selbst wie in Gedanken zu. „Gut, ich habe verstanden und werde Stillschweigen bewahren. Wenn man es genau bedenkt, deckt es sich sogar recht gut mit meinem Vorhaben.“, er lachte leise und humorlos auf. „Nemuri no Kogorō-san wird Augen machen, wenn sich mein Verdacht bestätigt und sich sein kleiner Glücksbringer als weitaus mehr herausstellt. Auch wenn der Junge einem leid tun kann; Gin war mal wieder unzimperlich, wie?“ Hart schluckend entschied Kaitō, dass er genug gehört hatte und holte unauffällig einen kleinen Peilsender, mit integrierter Wanze aus seiner Rocktasche. Dann; mit hektischem Gesichtsausdruck und dem Handy am Ohr, rempelte sie den Mann vor sich an und stolperte auf den Boden. Erschrocken sah sie hoch und erblüte in einem frühlingshaften rosa-rot, als ihr die Hand dargeboten wurde. „Ah.. Su-sumimasen!“ Sie verbeugte sich leicht und klopfte sich ungelenkt den Staub vom Rock. Der Angerempelte lächelte dem Mädchen nett zu und winkte ab. „Nicht doch, Ojou-san. Ich bin auch nicht ganz unschuldig; ich war unaufmerksam.“ Schüchtern erwiederte die Brünette die Geste und verdeckte ihre braunen Augen hinter langen Ponyfransen. ‚Wenn du wüsstest - Amuro Tōru-san.ʼ Ohne weitere Verzögerung rannte sie weiter und drehte sich nicht wieder um. Es wurde Zeit, dass der Jäger zum Gejagten wurde. ~~~ Skeptisch sah Vermouth auf ihr Telefon, als Amuro urplötzlich abbrach und sie laute Störgeräusche vom anderen Ende vernahm. Dann eine hohe, leicht verschreckte Mädchenstimme, die sich entschuldigte und ihren Kollegen, der mal wieder ganz den Gentleman spielte. Augen verdrehend ließ sie sich noch ein wenig tiefer ins warme Wasser gleiten und pustete sich den Schaum aus dem Gesicht. „Entschuldige, Vermouth. Es gab einen kleinen Unfall.“, er lachte heiter auf und räusperte sich dann. „Nun, war das alles, oder gibt es noch weiteres zu erledigen?“ Ihre Antwort kam ohne zu überlegen. Sie wollte endlich ihr Bad genießen und ihre Gedanken abschweifen lassen. Es würde noch genug Grausames auf sie zukommen. Ein wenig Entspannung konnte da nicht schaden. ‚Nie unvorbereitet in die Schlacht ziehen.ʼ „Nein, das war alles. Vorerst.“ Desinteressiert betrachtete sie ihre blutroten Nägel. Eine ordentliche Maniküre wäre schon lange wieder vonnöten. In letzter Zeit hatte sie selber zu oft Hand anlegen müssen und allmählich begann ihr Äußeres sich dafür zu rächen. Aber besser so, als wenn sie sich Anokatas Zorn aufladen würde, richtig? „In Ordnung. Ich werde berichten, wenn es Neuigkeiten gibt.“ Kurz bevor sie auflegen konnte, drang seine Stimme jedoch ein weiteres Mal durch den Hörer. „Vermouth, denkst du auch, dass bald ein gravierendes Ereignis stattfinden könnte?“, fragte der Jüngere beinahe schon zurückhaltend. Sharon runzelte die Stirn. Denn genau das war es, was ihr seit dem letzten Treffen mit Anokata ebenfalls durch den Kopf ging. Die Atmosphäre um sie alle herum schien sich gefährlich aufgeladen zu haben. Bereit jeden Augenblick auf einen von ihnen niederzuschlagen; sie zu zerschmettern. Als wäre es eine Warnung für eine Weile kürzer zu treten; das Schicksal und Fortuna nicht herauszufordern. Sie schloss ihre stahlblauen Augen davor. „Nein, denke ich nicht, Bourbon. Farewell.“ ‚Everyone's fate is determined anyway. There's no way out for us. No way to avoid this unbreakable silver bullet.ʼ Lachend griff sie nach ihrem Weinglas. ‚Guess I have to thank you, Gin. For giving him more firmness and determination in this dark times.ʼ Feierlich hob sie ihr Glas in die Luft. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)