Ein Lied des ersten Rabenflugs von HDG0chrysopras (TR x HP) ================================================================================ Kapitel 2: † Verbrannt † ------------------------ Dawbrook Junior School lag nicht weit vom Waisenhaus entfernt. Höchstens zehn Minuten Fußmarsch und drei Straßen, die zu überqueren waren. Lang und beschwerlich genug für die Erzieherinnen, die dafür sorgen mussten, dass alle Sieben- bis Elfjährigen heil in die Schule gebracht und auch vollständig wieder zurückgeholt wurden. „Lauf ein wenig schneller, Dennis!“, ermahnte Miss Glade den achtjährigen Jungen, der fasziniert einem Ehepaar mit Hund hinterher stierte. Der aufgeweckte Vierbeiner war klein und das weiße Fell wirkte unglaublich flauschig. „Wäre toll, wenn mich jemand adoptiert, der ein Haustier besitzt“, sagte Dennis, der sich nach weiteren Ermahnungen wieder der Gruppe anschloss und neben Amy und Edwin zum Stehen kam. „Tiere sind mir nicht so wichtig. Ich will nur, dass jemand Nettes mich abholen kommt“, kam es von Amy. „Die eine Frau, die gestern da war, die hätte ich gerne als Mutter. Die war nett! Und ihr Mann war auch in Ordnung.“ Edwin zuckte die Schultern und rückte seine dicke Hornbrille zurecht. „Meinst du? Was ist, wenn sie nur so getan haben? Ich habe zum Beispiel von Theresa gehört, dass Christina ihr mal einen Brief geschrieben hat. Der geht es gar nicht gut in ihrem neuen Zuhause.“ „Ist ihr was passiert?“, fragte Amy besorgt. „Ihr Adoptivvater schlägt sie manchmal, wenn er betrunken nach Hause kommt, glaube ich.“ „Dann möchte ich lieber im Waisenhaus bleiben“, entschied sich Amy missmutig. Tom, der vor ihnen lief und als Einziger nahe genug war, um ihr Gespräch belauschen zu können, schnaubte abfällig. Edwin und Amy sprachen jedoch weiter miteinander und hörten ihn nicht. Dennis aber funkelte diesen böse an. „Hast du was zu sagen, Tom?“, fragte Dennis genervt. Tom Riddle war ein Jahr jünger als er selbst und er konnte ihn überhaupt nicht leiden. Tom war oft still, spielte nie mit den anderen Waisen oder Mitschülern, und war meistens in irgendwelchen Büchern vertieft, die keine Bilder hatten. Wenn Tom sich draußen auf dem Vorhof des Waisenhaus doch einmal zeigte, dann nur um beim Zaun zu sitzen und sie alle aufs Genauste zu beobachten – und das war immer sehr unheimlich, denn seltsame Dinge passierten, sobald dessen Interesse geweckt wurde. Menschen wurden verletzt, Dinge verschwanden, Unmögliches geschah. Leider gab es keine Beweise, dass Tom der Schuldige für die vielen Vorfälle im Waisenhaus war. Dennis erinnerte sich, wie Helena, die im zweiten Stock wohnte, vor zwei Monaten angefangen hatte in Richtung der Steintreppe zu torkeln. Wie eine Betrunkene, nur war sie es nicht gewesen. Sie hatte hysterisch geschrien, dass ihre Beine sich von alleine bewegen würden, und als er versuchte sie von den Stufen wegzuzerren, rannte sie los. Er spähte zu dem Mädchen den mit rotblonden Haaren, die mit Krücken neben Theresa humpelte und über etwas lachte. Sie war eines der nettesten Mädchen überhaupt. Hilfsbereit, verständnisvoll und die Lieder, die sie auf ihrer Mundharmonika spielte, waren ziemlich gut, befand Dennis. Hübsch war sie auch, selbst mit den vielen Narben im Gesicht. Niemand wusste genau, wie dieser Unfall geschehen konnte, aber die Waisenkinder und langsam auch die Erzieherinnen, ahnten, dass bei solchen mysteriösen Dingen Tom seine Finger im Spiel haben musste. Vor allem Dennis war sich seitdem hundertprozentig sicher gewesen. Tom hatte schließlich am Fuße der Treppe gestanden und gegrinst. Gegrinst! Als die Erzieherinnen gekommen waren, hatte dieser ganz besorgt getan, doch Dennis würde die Schadenfreude des anderen nicht vergessen. In der Schule gab es zum Glück noch keine Zwischenfälle. Dort benahm sich der arme, unverstandene Waise wie ein wahrer Musterschüler. Er war beliebt bei den Lehrern und von den Schülern, mit denen er nicht unter demselben Dach lebte, wurde er angehimmelt. Ein Genie, sagten sie alle. Tom Riddle war ein Wunderkind. Von wegen Wunder! Dennis presste die Lippen zusammen, als er komplett ignoriert wurde. Er hätte es eigentlich wissen sollen. Der andere sprach nur, wenn dieser etwas wollte.Verwöhntes, eingebildetes Wunderkind! Wütend griff Dennis Toms Ärmel und wollte daran ziehen, um auf sich aufmerksam zu machen, aber mit einem Schmerzenslaut ließ er los. Es war, als hätte er sich verbrannt. Die Finger, die Toms Kleidung berührt hatten, waren voller Schwielen und taten höllisch weh. Amy und Edwin zogen erschrocken die Luft ein, als sie ihr Gespräch unterbrachen, um nachzusehen, was mit ihm los war. „Tom“, presste Dennis zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. „Miss Glade! Miss Glade“, schrien Amy und Edwin kurz danach und schoben den Verletzten nach vorne durch die Gruppe der plappernden Kinder, die nichts bemerkt hatten. Nachdem sie Dennis Hand erblickten, wurden sie sogleich ruhiger und traten eilig zur Seite. Einige fragten ihn, was geschehen war, oder flüsterten untereinander, um ihre Vermutungen auszutauschen. Dennis sah aus den Augenwinkeln, wie Helena nervös ihren Kopf zwischen ihre Schultern duckte und Tom hin und wieder verstohlene Blicke zuwarf. „Was ist denn nun schon wieder?“, fragte Miss Glade erschöpft und wandte sich zu den Sprechern. Amy hob Dennis Hand hoch. Miss Glade weitete die Augen. „Was um Himmels Willen –“ „Tom hat das gemacht!“, sagte Amy und zeigte auf den Übeltäter, der verwirrt zu ihnen nach vorne sah. „Er hat Dennis verbrannt!“ „Das habe ich nicht“, verteidigte sich der Angeklagte. „Tom!“, rief Miss Glade streng. „Komm her, Tom!“ Augenrollend tat der Junge, was verlangt wurde und ließ zu, dass seine Taschen – Jackentasche, Hosentasche, Schultasche – von der Frau durchsucht wurden. Aber da war nichts, das jemanden Verbrennungswunden erleiden lassen konnte. Sie gab Tom die Schultasche zurück, deren Inneres ein wenig durcheinander gebracht wurde, und sah zu Dennis. „Wie hat er dich verbrannt?“ „Mit seinem Ärmel!“ Einige Kinder prusteten und Dennis presste die Lippen zusammen. „Bist du dir sicher, dass es sein Ärmel war?“, fragte Miss Glade ungläubig. Sie sah zu Tom, der die Augenbrauen anhob und die Schultern zuckte. Dennis nickte wild, äußerst genervt, dass Tom so gut den Braven spielen konnte. „Ja! Ich habe ihn nur kurz angefasst und dann tat meine Hand weh.“ „Amy und ich, wir haben es auch gesehen“, versuchte Edwin seine Aussage zu bekräftigen. „G-Genau“, stimmte Amy mit ein. Ihre Stimmen klangen jedoch so unsicher, dass keiner ihnen recht glauben konnte, bemerkte Dennis enttäuscht. Wenigstens versuchen sie es und ließen sich nicht einfach täuschen. „Aber Tom hat nichts an sich, das so etwas machen kann“, sagte Miss Glade kopfschüttelnd. Dennis, Amy und Edwin protestierten. Die anderen Kinder murmelten untereinander. Manche zweifelten, denn es war für viele beinahe eine Tatsache, dass Tom kein Unschuldslamm war. Miss Glade versuchte alle zu beruhigen und wieder in Bewegung zu setzen. „Wir haben jetzt keine Zeit, um weiter darüber zu reden“, sagte sie scharf und die Kinder hielten gehorsam die Münder. „Mrs Cole wird sich sonst wundern, wo wir stecken und dann gibt es mächtigen Ärger!“ Für die fünfzehn Minuten Verspätung gab es wie erwartet eine Standpauke, bevor Mrs Cole, die seit dem Tod von Mr Brenton im Winter des vorherigen Jahres zur neuen Leiterin des Hauses ernannt worden war, Dennis zum Verarztungszimmer schickte und mit Miss Glade in ihr Büro huschte, um über den neusten Vorfall zu reden. Die restlichen Waisenkinder und Erwachsenen des Hauses, die nicht dabei gewesen waren, wurden von den Wissenden schnell eingeweiht. Wie immer gab es die einen, die kopfschüttelnd das Ganze als Zufall abschoben, während die anderen darüber nachdachten, welche Tricks Tom benutzt haben konnte, um Dennis zu verletzen, ohne diesen selbst zu berühren. „Wie konnte sein Ärmel dich verbrennen?“, fragte Harry, Dennis' zwölfjähriger Zimmergenosse. Neben Mrs Cole war Harry der Einzige, der es schaffte – und wagte –, mit Tom längere Gespräche zu führen. Meist einseitige Gespräche, in denen Harry darauf los quasselte, um über alles zu reden, was diesem gerade einfiel. Es war belustigend und gleichzeitig beängstigend mit anzusehen, wie Tom langsam aber stetig die Geduld verlor, bis dieser entweder widerwillig etwas zum Gespräch beitrug oder einfach wegging. Harry blieb nach solchen Situationen immer unbeschadet – und war das nicht genauso mysteriös, wie all die Unfälle? „Das – das weiß ich nicht“, antwortete Dennis zögerlich. „Ich weiß nur, dass Tom etwas damit zu tun hat.“ „Der is’ schon ziemlich seltsam“, nuschelte Aron, der bäuchlings auf Harrys Bett lag. Aron war im selben Alter wie Harry und aus Langeweile kam dieser öfters zu ihnen ins Zimmer, da dessen Zimmergenosse seit mehreren Tagen nicht mehr gefunden werden konnte. Abgehauen und umgekommen, munkelten manche. Dennis hatte vermutet, dass dieser womöglich ein Geheimnis von Tom entdeckt hatte und deshalb aus dem Weg geschafft wurde. Harry und vor allem Aron hatten dazu nichts sagen wollen, also wurde das Thema in Ruhe gelassen. „Was wenn es wirklich nur ein Zufall war? Vielleicht hast du deine Finger zu schnell weggezogen und die Reibung war schuld an allem“, schlug Harry vor, der auf einem Stuhl vor dem Fenster saß und nach draußen starrte. Dennis grummelte. „Kann sein, aber ich wette, Tom hat das gefreut! Der ist immer gut gelaunt, wenn andere verletzt werden.“ „Gut möglich“, sagte Harry abgelenkt, zu sehr war dieser auf die kleinen Vögel und den wolkenlosen Himmel konzentriert. Dennis seufzte und rollte sich in seinem Bett zur Seite, um ebenfalls raus zu schauen. Er schwor sich, dass er irgendwann einen Beweis finden würde. Tom konnte dann einpacken! Andere zu verletzen war böse, das wusste Dennis ganz genau. Die Polizei würde vielleicht kommen und den unheimlichen Jungen sogar in eine Zelle sperren, und dann würden sie Dennis eine Medaille geben, oder ähnliches. Ja, das wäre toll! Vor seinem geistigen Auge sah er alle Waisenkinder, die ihm bewundernde Blicke zuwarfen, während Mrs Cole und ihre Helferinnen in seinem Namen ein Fest veranstalteten. Die Kinder und Lehrer aus seiner Schule waren auch da und schüttelten begeistert seine Hände. Sie schämten sich, dass sie einem solchen Monster wie Tom je Vertrauen schenken konnten, und dankten ihm, dass er sie alle gerettet hatte... Eine laute Frauenstimme holte ihn aus seinen Wunschgedanken. Miss Glade verkündete, dass es Zeit war, um zu Abend zu essen. Dennis und Harry wurden von einem hungrigen Aron aus Zimmer gezogen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)