Königsblau von Purpurwoelfin ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Fushimi war im Hauptquartier von Scepter 4 und starrte gelangweilt auf einen der Monitore. Was sich da vor ihm auf dem Bildschirm regte, nahm er nicht bewusst war. Er hatte seine Wange auf der linken Hand abgestützt. Mit dem rechten Fuß tippte er immer wieder auf den Boden. Nach einigen Minuten seufzte er und wandte seinen Blick auf die Seite. Um ihn herum waren seine Kollegen rege beschäftigt. Es herrschte Hochbetrieb im Hauptquartier und ständig hörte Fushimi nervöse Rufe oder das Klingeln der PDA's. Er schüttelte den Kopf und blickte erneut auf den Bildschirm. War es wirklich das, was er wollte? Was er sich wünschte? Das hatte er sich doch selbst ausgesucht! Warum fühlte es sich dann von Tag zu Tag ... immer falscher an? „Fushimi!“ Die Stimme seiner Vorgesetzten drang an sein Ohr und mit einem Ruck blickte er ihr in die strengen Augen. „Was ist?“, entgegnete er leicht säuerlich. Es fiel ihm immer schwer, seine Abneigung dieser Frau gegenüber in gemäßigte Bahnen zu lenken. Sie war zwar fähig und klug – aber auch extrem zermürbend. Auf der einen Seite reizte sie ihn immer so stark, dass er am liebsten seine Waffe ziehen würde, auf der anderen war sie für ihn völlig nichtssagend und uninteressant. Nun, in Fushimis Welt war eigentlich jeder um ihn herum nicht besonders aufregend. Jeder – bis auf Misaki. „Fushimi-kun, was ist so wichtig, dass es dich von der Arbeit abhält?“, fragte sie in strengem Ton. Diese Frau nervt mich jedes Mal, wenn sie den Mund aufmacht. „Leutnant, unterstellen Sie mir, dass ich faulenze?“, konterte Fushimi gelangweilt. Er fügte hinzu: „Dann unterschätzen Sie mich. Hier, das sind die Listen, die Sie haben wollten.“ Wortlos nahm sie die Blätter entgegen, sah ihn ein letztes Mal durchdringend an und ging. „Nerviges Miststück ...“, nuschelte der Schwarzhaarige ihr unmerklich hinterher. Der kluge junge Mann machte seine Arbeit gut. Er war stets ordentlich, korrekt und fleißig. Er wurde beständig gelobt, hatte sogar eine hohe Position innerhalb von Scepter 4; aber dennoch fühlte er sich in keiner Weise erfüllt. Etwas fehlte. Jemand fehlte. Erneut starrte er auf den Bildschirm und gähnte dann, bevor er letzten Endes aufstand. Genug für heute. Eigentlich hatte er nicht nur für diesen Abend genug, sondern für immer. So fühlte er sich seit geraumer Zeit jeden Tag. Gut, am Morgen wusste er, dass es keine andere Alternative gab, als aufzustehen und sich dem gleichbleibenden Trott der Arbeit hinzugeben. Doch in ihm keimte der Gedanke auf, dass er sich eventuell … falsch entschieden hatte, als er HOMRA den Rücken kehrte. Nein, das war nicht ganz richtig. Er bereute seine Entscheidung nicht, HOMRA verlassen und sich Scepter 4 angeschlossen zu haben, doch war das Wichtigste in seinem Leben im roten Clan zurückgeblieben. Seinen Misaki vermisste er mehr als alles andere. Fushimi fühlte eine dunkle Leere in sich. Mit emotionslosem Ausdruck im Gesicht schritt er wortlos aus dem großen Saal und machte sich auf, um diesen Tag endlich zu beenden. Als er an der großen Tür zu Munakata Reisis Büro vorbeigeschritten war, öffnete sich plötzlich besagte Tür. „Fushimi-kun, du willst schon gehen?“, fragte eine ruhige Stimme, die den Angesprochenen passenderweise immer an eine fließende Wasserströmung erinnerte; mächtig, geschmeidig, einvernehmend … und jeden Widerstand brechend. Bei den Worten seines Königs sackte der Schwarzhaarige kaum merklich zusammen, ehe er resigniert die Augen schloss und seufzte. Als er sich nach einer gefühlten Ewigkeit aufraffen konnte, drehte er sich um und starrte seinem Anführer abweisend in die Augen. „Ich habe bereits seit zwei Stunden Dienstschluss, Hauptmann.“ Ein leichtes Schmunzeln huschte über das Gesicht von Munakata, ehe er sich mit dem Zeigefinger die Brille zurecht schob und beiläufig meinte: „Genau wie gestern, vorgestern und auch den Rest dieser Woche, nicht wahr?“ „Sie haben es erfasst. Also, habe ich nun Ihre 'Erlaubnis'?“, fragte Fushimi leicht provokant. „Ich hatte gehofft, du würdest mir noch ein wenig zur Hand gehen.“ Fushimi, den innerlich aufgrund dieser Aussage alle Kraft verließ, wollte sich nichts anmerken lassen und meinte leise: „Natürlich, Hauptmann.“ Mit einem wissenden Lächeln hielt Munakata seinem Untergebenen die Tür auf und sie schritten beide zurück zu seinem Schreibtisch. „Wobei benötigen Sie meine Hilfe?“, fragte Fushimi, der schwer mit sich zu kämpfen hatte, seine Ungeduld zu unterdrücken. „Der Strain-Vorfall, der sich vor vier Tagen ereignete … Leider bin ich noch nicht dazu gekommen, einen Bericht zu verfassen. Würdest du dies vielleicht übernehmen?“ Munakata suchte in einer der Schubladen nach einigen Blättern, die er anschließend auf den Tisch legte. Mit prüfendem Blick sah Fushimi daraufhin nach unten. Er musterte ein sich auf dem Tisch befindendes, halb vollendetes Puzzle und verzog die Mundwinkel. Mit gerunzelter Stirn blickte er missbilligend hoch zu seinem König, sagte aber nichts. Als wäre er sich keiner Schuld bewusst, starrte der Anführer zurück. Seufzend nahm Fushimi die Blätter und meinte leicht angefressen: „Sie hatten doch vier Tage Zeit, Hauptmann. Und ich soll das jetzt bis wann erledigen?“ „Ha ha, Fushimi-kun. Am besten doch bis 'gestern', nicht wahr?“ „Ja … was auch immer Sie sagen, Hauptmann ...“ Missbilligend schnalzte er mit der Zunge, verabschiedete sich seiner Frustration angemessen recht knapp und schritt dann durch die Tür, zurück zu seinem Arbeitsplatz. Eine Stunde später hatte der junge Mann in Rekordzeit seine unliebsame Aufgabe erfüllt und machte sich endlich auf den Weg nach Hause. Den Bericht würde er sofort morgen früh abgeben. Noch einmal würde er das Büro heute nicht betreten; womöglich würde Munakata sonst noch eine weitere zeitraubende Angelegenheit auf ihn abwälzen. Zu Hause drehte sich sein Gedankenkarussell erneut nur um diesen dummen, kindischen Jungen, ohne den er sich so hilflos fühlte. Fushimi glitt – wie immer – in einen unruhigen, traumlosen Schlaf. Als er am nächsten Morgen missgelaunt aus dem Bett kroch, seufzte er lang anhaltend, als er auf seinem PDA eine Nachricht erblickte. „Guten Morgen, Fushimi-kun. Es tut mir leid, wenn ich mich missverständlich ausgedrückt haben sollte, aber ich dachte, du würdest mir den Bericht umgehend aushändigen. Bitte komm sofort in mein Büro. Munakata Reisi“ Wenn ein Tag so begann, konnte er nur in einem Disaster enden. Als Fushimi vor der Tür zum Büro seines Vorgesetzten stand, seufzte er entnervt und klopfte an. „Hauptmann, Fushimi hier.“ Als er ein Wort der Erlaubnis vernahm, trat er ein. Munakata saß am Schreibtisch; die Ellenbogen hatte er aufgestützt und hielt sich die Hände mit verschränkten Fingern halb vors Gesicht. Den starrenden Blick seines Königs nicht beachtend trat Fushimi pflichtbewusst vor den Schreibtisch und legte die Blätter ab. „Guten Morgen, Hauptmann. Wie gewünscht der Bericht.“ Wortlos nahm Munakata die Seiten in Empfang, senkte aber nie den Blick. Fushimi empfand es als äußerst unangenehm, diese violetten Augen so auf sich gerichtet zu spüren und wandte sich schleunigst zum Gehen. „Warte bitte, Fushimi-kun. Ich hatte gehofft, wir könnten uns noch ein wenig unterhalten.“ Verwirrt und über seine eigene Unsicherheit verärgert neigte Fushimi den Kopf zur Seite. „Gibt es noch etwas?“, fragte er ihn ungeduldig. „Setz dich doch bitte“, meinte Munakata mit seiner sanft herrschenden Stimme und deutete einladend auf einen der Stühle an der Wand. „Ich stehe lieber. Also würden Sie mir bitte sagen, über was genau Sie sich unterhalten möchten?“ Munakata legte die Hände auf den Tisch und senkte lächelnd den Blick. „Ich befürchte, ich habe noch eine Aufgabe für dich. Würdest du ein paar Botengänge übernehmen?“ „Hauptmann, gibt es dafür nicht auch Praktikanten? Ich habe noch einen Haufen Arbeit von Leutnant Awashima erhalten und -“ „Also würdest du bitte?“, unterbrach der Ältere ihn auffordernd. „Natürlich.“ Ungeduldig nahm er die Papiere entgegen und machte sich auf, sie an ihre Zielorte zu befördern. Munakata war wirklich ein fähiger Mann, keine Frage. Aber warum hatte er seit geraumer Zeit beschlossen, Fushimi zu seinem privaten Laufburschen zu ernennen? Die blonde Frau, die man eigentlich immer an der Seite des Königs vorfand, war doch prädestiniert dafür, alles zu tun, was Munakata wollte. Doch nicht nur die Sache mit dem Bericht des kürzlichen Strain-Vorfalls war auf ihn übertragen worden; nein. Schon einige Zeit zuvor begann Munakata, ihn wegen jeder Kleinigkeit zu sich zu rufen. Er hätte kein Problem mit verantwortungsvollen Aufgaben gehabt. Doch solche Lappalien wie ein Botengang? Das Problem lag eher darin, dass sein König ihm wohl nur noch zutraute, den Weg zum Kopierer hin und zurückzufinden. Missgelaunt klopfte er an der letzten Bürotür, reichte die Blätter hinein und machte sich schnellen Schrittes auf den Weg zu seinem eigentlichen Arbeitsplatz. Wieder ein langweiliger Tag. Wieder langweilige Aufgaben. Die einzigen Lichtblicke für Fushimi waren die Tage, an denen Scepter 4 zu einem Einsatz ausrückte und er seinen Instinkten freien Lauf lassen konnte. In der Zwischenzeit jedoch kam er sich immer mehr wie ein Rennpferd vor, das in seiner Box stillstehen musste und sehnsüchtig auf den Startschuss wartete. Kurz ertappte er sich bei dem Gedanken, ob diese Warterei hier wirklich besser war als das sinnlose Zeitverschwenden von HOMRA. Als ihm die Tragweite dieses Gedankens bewusst wurde, biss er sich beschämt auf die Unterlippe und seufzte. Als er Schritte hinter sich vernahm, wandte er sofort den Kopf zur Seite und sah, wie Leutnant Awashima an seinen Platz trat. „Fushimi-kun, der Hauptmann möchte dich sehen.“ Was war es, das der junge Mann da in ihren Augen aufblitzen sah? Für einen kurzen, lächerlichen Moment dachte er an etwas sehr Profanes: Eifersucht. Doch warum sollte sie eifersüchtig sein, wenn er doch nur schon wieder in das Büro seines Vorgesetzten zitiert wurde? Mühsam stand er auf und presste die Handflächen einen Moment lang gegen den runden Tisch vor ihm. Wortlos wandte er sich kurz danach zum Gehen. Wie so oft in der letzten Zeit stand er vor der Tür seines Hauptmannes und klopfte. Doch anders als sonst vernahm er nichts, was ihm ein Eintreten erlauben würde. Erneut klopfte Fushimi, sagte seinen Namen, aber wieder nichts. Vorsichtig öffnete er die Tür einen spaltbreit und lugte hinein. Munakata stand geistesabwesend am Fenster und hielt die Hände auf seinem Rücken verschränkt. „Hauptmann ...?“, fragte der Jüngere leise. „Komm ruhig rein.“ Fushimi tat, wie ihm geheißen und stirnrunzelnd stand er mit einer ungewohnten Anspannung im Raum. Sein Vorgesetzter starrte noch immer aus dem Fenster und beachtete ihn in keiner Weise. Nach einigen Sekunden, die dem Schwarzhaarigen fürchterlich lang erschienen, räusperte er sich verlegen. „Sie wollten mich sehen? Gibt es wieder etwas zu erledigen?“ Wie froh wäre er in der momentanen Situation gewesen, würde Munakata ihm jetzt ein paar Dutzend Berichte auferlegen. Langsam drehte der König den Kopf in seine Richtung und starrte ihn aus violetten Augen durchdringend an. „Hauptmann?“, fragte Fushimi erneut. Der Angesprochene blickte unverwandt auf seinen Untergebenen und meinte schließlich: „Bitte sieh auf meinen Schreibtisch.“ Tief durchatmend schritt Fushimi Richtung Tisch. Als sein Blick auf die darauf befindlichen Fotos fiel, durchzog ein stechender Schmerz, ausgehend von seinem Herzen, Fushimis gesamten Körper. Er zwang sich, die Augen nicht abzuwenden, aber diese auf dem Tisch verstreuten Bilder zeigten Mitglieder seines ehemaligen Clans, und dies weckte eine unerwünschte Melancholie in ihm. Munakata hatte sich nun vom Fenster abgewandt und beobachtete den jungen Mann aufmerksam. „Fushimi-kun, wenn du diese Bilder siehst, was empfindest du?“, fragte er leise. Die Augen des Angesprochenen huschten über die einzelnen Aufnahmen, aber blieben immer wieder an einem bestimmten Bild hängen. Es zeigte Misaki, seinen Misaki. Als Fushimi klar wurde, dass Munakata all dies wahrgenommen hatte, wandte er beschämt den Blick ab. Mit gespielter Gleichgültigkeit versuchte er, die Wogen zu glätten. Mit den Schultern zuckend meinte er: „Nun, HOMRA interessiert mich nicht. Wenn sie Unsinn anstellen, warte ich auf die Befehle meines Hauptmannes, um ihnen ihr Fehlverhalten vor Augen zu führen.“ Das klang doch gar nicht mal so schlecht. Ein amüsiertes Lächeln huschte kurz über Munakatas Gesicht, ehe sich seine Miene erneut entspannte und er den Kopf senkte. Fushimi fühlte sich ziemlich vorgeführt. Gekränkt fragte er mit angespannten Gesichtszügen: „War das nun alles? Rufen Sie mich wegen solch eines Unsinns her?“ Munakata schmunzelte und schüttelte den Kopf. „Nein, eigentlich wollte ich dich bitten, dass du die Organisation der bevorstehenden Weihnachtsfeier übernimmst. Momentan komme ich nicht dazu. Also, würdest du?“, fragte der König mit einem schelmischen Grinsen. Fushimi kam sich immer lächerlicher vor und er verstand nicht, was mit seinem Vorgesetzten in der letzten Zeit los war. „Bei allem Respekt, Sir. Ich bin nicht Ihr Privatsekretär.“ „So? Aber als einer meiner Untergebenen würdest du doch sicherlich keine Möglichkeit ausschlagen, dich zu beweisen?“ „Haben Sie diesen Eindruck von mir? Ich muss mich nicht beweisen, Hauptmann. Ich hoffe, Sie sehen das auch so.“ „Ah ja. Fushimi-kun, du hast recht. Du hast mir schon lange klargemacht, wie fähig du auf allen Gebieten bist, in die ich bisher Einblick erhalten durfte.“ „Vielen Dank. War es das jetzt?“, fragte der Jüngere ungeduldig. „Warum liegt dir immer so viel daran, so schnell wie möglich aus meinem Sichtfeld zu verschwinden?“, fragte Munakata mit einem wissenden Lächeln auf den Lippen. „Ich weiß nicht, was Sie meinen. Bitte entschuldigen Sie mich nun.“ Schnell drehte er sich um und schritt zur gegenüberliegenden Tür. Wortlos ließ Munakata ihn gewähren. Lange, nachdem die Tür sich hinter dem Schwarzhaarigen geschlossen hatte, blickte der blaue König sie noch an und dachte nach. Als er einen Entschluss gefasst hatte, senkte er den Blick und sein Gesicht verfinsterte sich. Abends lag Fushimi auf seinem Bett und starrte in die Leere. Seufzend fuhr er sich durch die Haare. Was war nur in letzter Zeit los? Er spürte eine Anspannung, die sich jedes Mal um seine Brust schnürte und ihm die Luft zum Atmen nahm, wenn sein König ihm in die Augen blickte. Erschöpft von all diesen Gedanken fiel er in einen unruhigen Schlaf. Ein bekanntes Geräusch ließ ihn erwachen. Mit Herzklopfen rappelte er sich auf und wusste im ersten Moment nicht, wie ihm geschah. Genervt schnalzte er mit der Zunge und blinzelte mehrmals, ehe ihm klar wurde, dass dieses nervende Geräusch seine Türklingel war. Grummelnd sah er auf die Uhr, es war kurz vor Mitternacht. Egal, um wen es sich handelte; der Störenfried würde gewaltigen Ärger bekommen. Genervt schleppte sich Fushimi zur Tür und öffnete sie einen spaltbreit. Beim Anblick seines Besuchers war er schlagartig wach und seine Augen weiteten sich erschrocken. „Hauptmann Munakata?!“, presste er verwirrt hervor. „Wieso sind Sie hier …?!“ „Dürfte ich reinkommen?“, fragte der Ältere, ohne auf die Frage einzugehen. Ungern öffnete Fushimi die Tür und ließ seinen Vorgesetzten eintreten. Verstohlen musterte der Jüngere seinen Besucher von oben bis unten. Er trug weder Waffe noch Uniform. In seinem Alltagsoutfit verlor er dennoch nichts von seiner beeindruckenden Ausstrahlung. Fushimi fühlte sich extrem unwohl und verschränkte abwehrend die Arme vor der Brust. „Was genau wollen Sie hier; vor allem um diese Uhrzeit?“ Der König schritt mit prüfendem Blick durch die Wohnung und machte keinen Hehl daraus, dass er ihm eine Antwort vorenthalten würde. So vorgeführt zu werden, ärgerte den Schwarzhaarigen sehr und wütend versperrte er seinem Vorgesetzten den Weg, indem er sich zwischen ihn und einen Türbogen stellte. „Ich habe Sie etwas gefragt und hätte gern eine Antwort.“ Mit einem Lächeln auf den Lippen rückte Munakata sich mit zwei Fingern die Brille zurecht, eher er lapidar antwortete: „Nun, ich konnte nicht schlafen.“ Wütend schnaubend meinte Fushimi gereizt: „Und dann denken Sie sich, dass sie einfach mal bei mir vorbeikommen, klingeln und ich Sie unterhalte? Tut mir leid, aber das geht doch schon ein bisschen zu weit, finden Sie nicht?“ „Nein, ehrlich gesagt, nicht. Und du musst auch nicht so wütend werden. Ich wollte dich nur sehen, weil ich deine Gesellschaft sehr genieße, das ist alles. Es tut mir leid, wenn du dich von mir belästigt fühlst.“ Dass er diese Entschuldigung kaum ernst meinte, konnte Fushimi an seinen Augen erkennen. Der Jüngere atmete tief durch und versuchte, die Fassung widerzuerlangen. „Was erwarten Sie nun von mir?“, fragte er skeptisch. Plötzlich verfinsterte sich Munakatas Miene, was Fushimi zusammenzucken ließ. Die Macht eines Königs schien grenzenlos, seine Beweggründe kaum nachvollziehbar. Das bedeutete es wohl, wenn man von der Einsamkeit sprach, welche diese mächtigen Männer umgab. Ungewollt stolperte Fushimi zur Seite und stand nervös vor der Wand. Er wollte sich noch weiter entfernen, ehe Munakata seine Handflächen nahe Fushimis Gesicht gegen die Wand donnerte und ihm somit jegliche Fluchtmöglichkeit nahm. Der Schwarzhaarige saß in der Falle und war regelrecht gegen die Wand genagelt, obwohl Munakata ihn nicht einmal berührte. Mit rasendem Herzen versuchte er, sich seine Nervosität nicht anmerken zu lassen und verengte seine Augen zu Schlitzen. „Hauptmann, Sie sollten unbedingt an Ihrer Individualdistanz arbeiten.“ Obwohl er noch sehr nervös war, konnte er dem Blick seines Königs standhalten. Wie Munakata wohl auf diese provokante Aussage reagieren würde? „Fushimi-kun, du trägst Scheuklappen, weil du dich vor der Welt um dich herum fürchtest. Du blickst stur geradeaus und hoffst, dein Ziel zu erreichen, aber es entfernt sich immer weiter von dir. Doch dennoch jagst du ihm hinterher. Dein Ziel … dieser Junge. Was ist er für dich?“ Mit diesen Worten hatte Munakata sich nach vorn gebeugt und die Gesichter der beiden Männer trennten nur wenige Zentimeter. Die Aussage jagte Fushimi einen kalten Schauer über den Rücken und er spürte, wie seine Beine vor Nervosität nachzugeben drohten. „W-wovon reden Sie?!“, zischte er mit zusammengepressten Zähnen. Wortlos verringerte Munakata die Distanz zwischen ihren Körpern noch mehr, bis Fushimi seine Hände gegen die Brust seines Vorgesetzten drückte und ihn wegzuschieben versuchte. Munakata lachte kurz amüsiert auf und umfasste blitzschnell die Handgelenke des Anderen. Er drückte Fushimis Arme unwirsch gegen die Wand und presste sich eng an ihn. Seine Lippen berührten fast Fushimis linkes Ohr, als er sich ein wenig nach unten beugte und ihm zuflüsterte: „Du kasteist dich selbst, wenn du immer aufs Neue versuchst, diesen Jungen auf dich aufmerksam zu machen. Wenn du nach vorn blickst, wirst du stets nur wieder erkennen, wie er dir den Rücken zukehrt. Doch versuche nur ein einziges Mal, deinen Blick von ihm abzuwenden. Ich bin an deiner Seite, wenn du das möchtest. Wenn du es einfach nur zulassen würdest.“ Mit den letzten Worten klang diese sonst so starke, fließende Stimme fürchterlich brüchig. Verwirrt spürte Fushimi, wie Munakata seine Handgelenke losließ. Dann streichelte er mit der einen Hand über Fushimis Wange und mit der anderen fuhr er kaum merklich über den Hals des Jüngeren. Diese ungewohnten Berührungen verschreckten den Schwarzhaarigen zunehmend, aber er wehrte sich nicht. War er zu geschockt? Zu verstört? Oder … gefiel ihm diese Nähe etwa? Unmöglich! „Das ist sexuelle Belästigung, Hauptmann.“ Mit zittriger Stimme versuchte er, so unbeeindruckt wie möglich zu wirken, aber natürlich bemerkte Munakata, dass Fushimi mit jeder Faser seines Körpers angespannt war. Lächelnd sah er ihm in die Augen, was Fushimi schwindeln ließ. Mit dem Zeigefinger seiner rechten Hand setzte er am Kinn seines Untergebenen an und brachte ihn so dazu, seinen Kopf zu heben. Er beugte sich nah zu ihm und flüsterte mit einem Schmunzeln: „Du kannst mich bei deinem Vorgesetzten melden.“ Ohne auf seinen nunmehr nur noch leichten Protest zu achten, schloss Munakata die Augen und drückte seine Lippen sanft auf die seines Untergebenen. Für einen Moment lang schien die Zeit stillzustehen. Als er sich entfernte und die Augen öffnete, bemerkte er, dass Fushimi seine die ganze Zeit über offen gehalten hatte. Bitter starrte er seinen Vorgesetzten an und drängte sich dann von ihm fort. Munakata lies es geschehen. „Ich vermute, es ist besser, wenn Sie jetzt gehen, Hauptmann.“ Fushimi hatte den Blick abgewandt und regte sich nicht. Seufzend fuhr der Größere sich durch die Haare und flüsterte: „Verzeih meine Aufdringlichkeit. Ich wollte dich nicht unter Druck setzen. Leider sind meine Gefühle mit mir durchgegangen und ich -“ „Raus.“ Munakata räusperte sich, rückte die Brille zurecht und schritt Richtung Ausgang. Ein letztes Mal verweilten seine Augen auf dem jungen Mann, doch Fushimi hatte ihm noch immer den Rücken zugewandt. Beschämt über seine Taktlosigkeit trat er ins Freie und schloss hinter sich die Tür. Am nächsten Morgen war Fushimi nicht zur Arbeit erschienen, was noch nie vorgekommen war. Wenig später meldete er sich im Büro für die kommenden Tage krank. Mit unbewegter Miene nahm Munakata dies zur Kenntnis; ihm war klar, dass er der Auslöser für das Fernbleiben seines Untergebenen war. Nach insgesamt einer Woche wurde Fushimi klar, dass dies auf Dauer natürlich keine Lösung wäre, aber er hätte zumindest ein Statement gesetzt. Am Abend des siebten Tages klingelte es erneut an seiner Tür. Dieses Geräusch hatte er unlängst negativ verknüpft, so stach auch dieses Mal die Nervosität unwirsch in seinen Magen, als er das Klingeln vernahm. Abweisend öffnete er die Tür, vor der Munakata mit einem … … Strauß weißer Blumen stand. Natürlich trug er wie so oft ein undeutbares Lächeln auf den Lippen. „Was soll das werden?“, fragte Fushimi irritiert. „Nun, ein Krankenbesuch, würde ich sagen. Und es scheint dir ja auch wieder besser zu gehen, du wirkst kaum so, als wärst du noch krank. Wann kann ich wieder mit deiner Anwesenheit rechnen?“ Wortlos trat Fushimi wieder in seine Wohnung, doch ließ er die Tür offen stehen. Dies als Einladung auffassend trat Munakata durch die Tür und legte die Blumen auf einen kleinen Tisch zu seiner Linken. „Fushimi-kun, ich wollte dir nur sagen, wie leid es mir tut. Normalerweise verliere ich nicht meine Beherrschung. Ich verspreche dir, dass dies nie wieder vorkommen wird. Ich schätze deine Leistung sehr und es wäre eine Tragödie wenn – Fushimi-kun?“ Verwundert sah Munakata sich um, doch der Schwarzhaarige war auf den ersten Blick verschwunden. Suchend schritt der König nach vorn und warf einen flüchtigen Blick in die Räume, bis er Fushimi bemerkte, der auf seinem Bett saß. Er hatte die Beine übereinanderschlagen und blickte ihn mit einem gelangweilten Gesichtsausdruck an. Fragend starrte Munakata zurück. Der Schwarzhaarige rückte seine Brille zurecht und meinte ernst: „Das war es doch, was Sie eigentlich wollten, oder? Also bitte.“ Er bedeutete mit der rechten Hand, dass sein König neben ihm auf der Bettkante Platz nehmen sollte. Munakata kam verwirrt dieser Aufforderung nach und starrte den jungen Mann neben sich an. Dieser hatte mittlerweile die Hände gefaltet und starrte ins Nichts. Nach einer Weile begann er: „Ich habe viel über Ihre Worte nachgedacht. Es mag stimmen, was Sie sagten, aber ich werde meine Einstellung nicht ändern. Ich kann ihn nicht aufgeben. Aber Sie dürfen gerne Ihren Standpunkt verteidigen und versuchen, mich zu überzeugen.“ Verwirrt musterte der Ältere den jungen Mann neben sich. „Dann erhalte ich also deine 'Erlaubnis'?“, fragte Munakata begierig. Fushimi schwieg und beachtete ihn nicht. „Ich deute dein Schweigen als Zustimmung, in Ordnung?“, fragte der Anführer des blauen Clans, als er sich sanft zu seinem Untergebenen beugte und begann, die Knöpfe seiner Weste zu öffnen … Einige Stunden später saß Munakata aufgerichtet im Bett und blickte hinab zu Fushimi, der erschöpft vor sich hindöste. Als er den friedlichen Ausdruck auf dem Gesicht des Schwarzhaarigen bemerkte, huschte ein wohlwollendes Lächeln über seine Lippen. Er krabbelte unter der Bettdecke hervor und begann, die Knöpfe seines weißen Hemdes zu schließen. Darauf bedacht, Fushimi nicht zu wecken, suchte er sich sachte seine Kleider zusammen und zog sich an. Als er an der Schlafzimmertür stand, bemerkte er, wie die Augen unter Fushimis geschlossenen Lidern hin und her huschten, bis er sie unter einem leisen Raunen öffnete. Mühsam rappelte er sich auf, und als sein Blick auf Munakata fiel, traf ihn mit einem Schlag die harte Erkenntnis über das, was gerade zwischen ihnen vorgefallen war. Beschämt wandte er den Kopf zur Seite und schnalzte mit der Zunge. Lächelnd flüsterte der König: „Ich erwarte dich morgen wieder zurück.“ Dann schritt er würdevoll nach draußen und ließ Fushimi allein mit seinen verwirrten Gefühlen, die ihn nun immer seltener an seinen Misaki denken ließen. Dessen Platz in seinem Herzen – konnte es sein, dass ihn ein Anderer einnahm …? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)