Aidan und der König unter dem Berg (Arbeitstitel) von Mei_Ilan ================================================================================ Prolog: -------- Nach Ragnarokk, der großen Schlacht der Götter, herrschte Trauer in allen neun Reichen. Viele große Helden waren in dieser Schlacht gefallen, sowohl Sterbliche, als auch Unsterbliche. Nur die Wanen zeichneten kaum Verluste. Als Götter des Friedens und der Gleichberechtigung hatten sie sich geweigert an der Schlacht teilzunehmen, da sie für niemanden Partei ergreifen konnten. Nun sahen sie voller Bestürzung auf das Schlachtfeld, auf dem die Leichen von Freund und Feind, Bruder und Schwester in einhelligem Verderben beieinander lagen. Da gingen die Elben aus Alfheim und die Zwerge aus Swartalfheim zu Kvasir, von dem es hieß, er wisse auf alles eine Antwort. Besorgt fragten sie: "Was wird nun aus den neun Reichen, jetzt da die hohen Götter und die alten Riesen nicht mehr sind? Yggdrasil wird schwanken und fallen, wenn ihre Reiche verweist sind." Da rief Kvasir die schicksalsbestimmenden Nornen, welche am Urdbrunnen zu Yggdrasil's Wurzeln die Schlacht ausgeharrt hatten, und in ihrem Besein sprach er Rat. "Der Verlust der Asen und Jöten ist zu groß für Yggdrasil und die neun Reiche. Sie sollen wiedergeboren werden. Doch nicht in ihrer Heimat und nicht mit der Unsterblichen Kraft. Zu groß ist die Gefahr einer neuerlichen Schlacht. Nehmt ihnen Erinnerung und ewiges Leben und lasst sie Kinder der Menschen werden, welche als einzige die Schlacht in süßer Unwissenheit verschliefen." Drei Herzschläge lang schwiegen die Nornen, dann sprach Urd. die Älteste. "Dann sei es so, wie du es sagst Kvasir aus Wanaheim. Doch bedenke dies: Nehmen können wir den Asen und Jöten wohl Kraft, Erinnerung und ewig' Leben, doch können wir es nur verwahren da es nicht unser ist, nie unser war und niemals unser sein wird. Es wird der Tag kommen, da die Helden und Heldinnen zurückfordern, was ihr ist und zurück werden wir es geben." Dann sprach Skuld, die Jüngste. Ernst war ihr jungfräuliches Gesicht. "Diese Schlacht mag geschlagen sein, Kvasir aus Wanaheim. Doch hat sie den Krieg nicht entschieden. Wir sind die Nornen, die Schicksalsbestimmenden. Wir entscheiden den Ausgang dieses Krieges. Und entschieden haben wir, seit Anbeginn der Zeiten." Verdandi, die Mittlere hatte geschwiegen, als ihre Schwestern sprachen. Doch, in die betroffene Stille, die auf die Worte der Nornen folgte, sprach sie leise und voller Mitgefühl. Sie sprach direkt zu Kvasir, auf das niemand sie höre, nicht einmal ihre Schwestern in Treue und in Blut. "Es mag wohl sein, dass das Schicksal der Welt schon entschieden ist, doch im Schicksal ist immer nur das Ende gewiss und ein Ende haben wir alle, selbst der ewige Urdbrunnen am Fuße Yggdrasils. Ich will dir diesen Faden geben, Kvasir aus Wanaheim. Er ist der Schicksalsfaden eines Helden auf diesem Schlachtfeld. Wenn der Tag kommt, da die Helden zurückfordern, was ihres ist, wird dir der Faden offenbahren, wessen Schicksal du bewacht hast. Hast du den Faden in der Hand, kannst du ihn mit den Schicksalen anderer verweben und so vielleicht den Ausgang der nächsten Schlacht bestimmen." Dann verliessen die Nornen das Schalchtfeld und kehrten heim zum Urdbrunnen, um die Schicksale der gefallenen Helden neu zu bestimmen und die Wurzeln von Yggdrasil zu bewässern, so wie sie es seit Anbeginn der Zeiten taten. Während die Elben und Zwerge das Schlachtfeld räumten, fiel es den Wanen zu, die Wiedergeburt der Helden vorzubereiten. Njördr, Herr der Meere, ertränkte jene in seiner sanften Umarmung, die nicht das Glück hatten, ruhmreich auf dem Schlachtfeld zu fallen. Gullveig, die Seherin, sammelte alle Waffen und magische Zier, band die Erinnerung und die Kraft der Helden an ihren Besitz, und verwahrte alle Schätze sicher in ihrem Heim, auf dass sie keinen Schaden nehmen, bis die Helden zurückfordern würden, was ihnen zustand. Den Kindern Njördrs stand es zu, die Seelen der Gefallen aufzulesen und in Midgard in die Schösse der Menschenfrauen zu legen. Freya nahm sich der Asinnen und Jötenweiber an. Ihr Bruder Freyr trug die Seelen der Männer nach Midgard. Als alles geschehen war, kehrten die Wanen, Elben und Zwerge zurück in ihre Reiche und überliessen die Reiche Asgard und Jötunheim dem Verfall. Nur Kvasir, der Weise kehrte nicht heim. Er nahm Verdandis Faden und wob ein Tuch daraus, welches er sich um die allessehenden Augen band. So geblendet stieg er hinab nach Midgard, um auf das Erwachen der Helden zu warten. Es heißt, er warte noch immer irgendwo im Reich der Menschen, schlummernd tief unter einem Berg. Kapitel 1: Kapitel 1 - Freya ---------------------------- Author's note: Im Verlaufe der Geschichte, werden neben den alten nordischen und keltischen Göttern auch immer wieder die Runen aus dem alten Futhark erwähnt. Eine recht übersichtliche Auflistung der einzelnen Runen und ihrer Entsprechungen, kann man unter anderem hier finden: [link href="http://runen.net/runen-futhark/"]http://runen.net/runen-futhark/[/link] Wobei ich die Rune "Eihwaz" als Entsprechung des Buchstaben "Y" kennengelernt habe und auch so nutzen werde. Am Ende eines jeden Kapitels werde ich aber immer nochmal kurz auf die im Kapitel erwähnten Runen eingehen. Und jetzt viel Spaß beim Lesen! :) --------------------------------------------------------------- Er war in einer Höhle. Die steinernen Wände um ihn herum waren in ein sanftes, blaues Licht getaucht, welches von den vielen aus dem Gestein wachsenden Kristallen widergespiegelt wurde. Aus der Ferne drang das Geräusch von Wasser, das stetig in einen unterirdischen See tropfte, an sein Ohr. Er wusste das es ein unterirdischer See war, denn er hatte ihn gesehen. Er war dort gewesen. Er kannte den See genauso, wie er die Höhle kannte. Er war schon oft in dieser Höhle gewesen, war durch ihre vielen verzweigten Gänge gewandert, hatte ihre vielen natürlichen Schätze bestaunt. Seit seiner Kindheit kam er immer wieder hierher - jede Nacht - in seinen Träumen. Er wusste dass er auch jetzt wieder träumte. Er wusste, er musste erneut durch die Höhle gehen, wie all die vielen Male zuvor. Ehe er das Ende der Höhle erreicht hatte, würde er nicht aufwachen. Also machte er sich auf den Weg, so wie er es immer schon getan hatte. Er durchquerte die Gänge, lief vorbei an wertvollen Edelsteinen und glitzernden Goldadern, überquerte die schmale aus Tropfsteinen gewachsene Brücke, die über den dunklen, stillen See führte und kam schließlich in eine riesige Halle. Die Decke war so hoch, dass er sie in dem schwachen Licht kaum noch ausmachen konnte. Die Wände waren glatt und gerade, aber er wusste, wenn er sie näher betrachten würde, würde er die dünnen Linien erkennen, die entstehen, wenn man einen Stein nur mit Hammer und Meißel bearbeitete. In der Halle standen in regelmäßigen Abständen hohe Säulen, wie riesige, steinerne Bäume, der Stamm über und über mit keltischen Geflechten und Ornamenten übersät Als Teenager hatte er eine Zeit lang versucht, diese Ornamente nachzuzeichnen in dem kindischen Glauben, es wären irgendwelche magischen Schutzzauber. Mit sechzehn hatte er sich sogar ein Muster, das ihm besonders gut gefiel, hinter das linke Ohr tätowieren lassen: Drei Spiralen, die sich aus einem gemeinsamen Startpunkt in ihrer Mitte nach außen einrollten. Wenig später erfuhr er durch eine Dokumentation über die alten Kelten, dass es sich bei diesem Symbol um die Triskele handelte. Sie symbolisiert die Dreifaltigkeit aller Dinge. Ein Bisschen war er darüber enttäuscht gewesen, dass es sich nicht doch um einen uralten magischen Bannkreis oder so handelte. Doch trotz der kleinen Enttäuschung gefiel ihm das Symbol und seine Schulhefte waren übersät mit gekritzelten Triskelen. Irgendwie beruhigte es ihn, wenn er die drei Spiralen entgegen dem Urzeigersinn aufzeichnete. Vor allem auf seinen Prüfungsblättern, waren viele hastig gekritzelte Triskelen zu finden, sehr zum Unmut seiner Lehrer. Doch wenn man ihn darauf ansprach, meinte er nur, es helfe ihm gegen seine Prüfungsangst. Irgendwann hatte er mal versucht, die Triskele im Uhrzeigersinn aufzuzeichnen. Aber er schaffte nie mer als zwei Spiralen. Die ungewohnte Zeichenrichtung machte ihn aus irgendeinem Grund furchtbar nervös und er war nicht imstande die letzte Spirale ordentlich zu zeichnen. Aus reiner Gewohnheit malte er mit den Fingern eine Triskele auf eine der Säulen und wie so viele Male zuvor, veränderte sich die Ornamentik, dort wo sein Finger entlangstrich um sich der Spiralenform anzupassen. Er ging weiter bis zum Ende der Halle wo, wie er wusste, ein steinerner Thron stand. Auf dem Thron saß ein schlafender Mann. Der Bart des Mannes war bereits so lang, dass er zu seinen Füßen einen hüfthohen Haufen bildete. Sein Haar floß in langen weißen Wellen hinter dem Thron in ein tiefes Loch und verchwand irgendwann in der Dunkelheit. Um die Augen trug er ein graues Tuch. Trotzdem sah der Schlafende nicht alt aus. Seine Haltung und die Züge seines Gesichtes, strahlten zwar Reife aber auch große Kraft und Agilität aus. Der Mann musste im wachen Zustand eine beeindruckende, furchteinflössende Persönlichkeit sein. Als Kind hatte er sich sogar vor seiner schlafenden Gestalt gefürchtet. Doch er wachte nie auf. Jedes Mal, wenn er vor den Thron trat, sprach eine tiefe väterliche Stimme zu ihm: "Es ist noch nicht an der Zeit. Komme zu einer anderen Zeit wieder." Danach wachte er auf. So war es schon immer und auch heute würde es so sein. Als er den Thron erreichte, sah er, dass der Bart um einige weitere Meter länger geworden war. In dem dichten Haar hatten sich Moose und Pilze angesiedelt und auf seinem Haupt wuchs eine Krone aus Tropfstein, die schon fast ihr aus der Decke wachsendes Gegenstück berührte. Er trat vor den Thron und wartete auf die Worte, die ihn aus diesem Traum entlassen würden. Doch nichts geschah. Nervös sah er sich um, trat von einem Fuß auf den anderen und räusperte sich schließlich dezent. Das Echo hallte so laut, dass er erschrocken zusammenzuckte und nicht nur er. Die Finger des Schlafenden zuckten leicht und schlossen sich schließich um die Thronlehnen. Langsam richtete ich die Gestalt auf, wobei jahrhundertealter Staub in kleinen Wölkchen von seinen Kleidern rieselte. Endlich hörte er die Stimme. "Es ist an der Zeit. Sei gewappnet..." Zum ersten Mal, seit er sich erinnern konnte, nahm der schlafende König unter dem Berg das Tuch von seinem Gesicht, öffnete die Augen und richtete den Blick aus alterslosen steingrauen Augen auf den jungen Mann zu seinen Füßen. Der ernste, finstere Blick wich einem Ausdruck verblüffter Überraschung. "Was? Warum ausgerechnet du? Dich hatte ich nicht erwartet?" - Mit einem Ruck richtete sich Aidan in seinem Bett auf. Draußen war es noch dunkel, aber er war hellwach. Trotz der relativ kühlen Frühlingsnacht war seine Brust schweißnass. Noch immer spürte er die immense Präsenz, die der Mann aus seinem Traum im Moment seines Erwachens ausgetrahlt hatte. Es war so überwältigend gewesen, dass er nicht in der Lage war sich zu bewegen, geschweige denn zu Atmen. Nervös fuhr er sich mit den Fingern durch seine roten Locken, die ihm nach dieser unruhigen Nacht in alle Richtungen abstanden. Er atmete tief ein und aus und nachdem sich sein Puls endlich beruhigt hatte, stieg er aus dem Bett und machte ich auf den Weg ins Bad. Eine kalte Dusche würde ihm den tiefsitzenden Schrecken, den ihm dieser Traum eingejagt hatte, schon austreiben. Nachdem er ausgiebig sowohl kalt als auch warm geduscht hatte, zog er gleich seine Arbeitskleidung an und ging in die Küche, um sich einen Kaffee zu machen. Draußen fing es an zu dämmern. Auf dem Küchentisch stand sein Telefon, ein uraltes Modell, bei dem der Hörer noch per Kabel mit der Wählmaschine verbunden war. Die ehemals weißen Wähltasten waren schon längst vergilbt. Das Lämpchen seines automatischen Anrufbeantworters blinkte stetig, um ihn darau hinzuweisen, dass sein Vater wohl wiederversucht hatte ihn anzurufen. Auch sein Anrufbeantworter, war noch ein recht altes Modell, mit austauschbarer Kasette. Es war nicht so, als könne sich Aidan kein neues Telefon leisten. Sein Job brachte ihm zwar kein Vermögen ein, aber er verdiente doch zumindest soviel, dass er zum Monatsende stets genug übrig hatte, um eine dreistelige umme auf sein Sparkonto zu überweisen. Es war nur einfach so, dass Aidan nicht viel von neumodichem Luxus hielt. Was sollte er mit einem Smartphone. Die Dinger gingen doch viel zu leicht kaputt und wenn sie gestohlen wurden, war der finanzielle Schaden um ein Vielfaches größer, als wenn irgendein Idiot auf die Idee kam Aidan's Retro-Telefon zu entwenden. Generell lebte Aidan eher bescheiden sehr zum Verdruß seines Vaters. Sein Vater, Jonathan Schmidt war ein hoch angesehener Archäologie-Professor und verdiente mit seinen Vorlesungen über die Kultur der alten Kelten und Wikinger genug für eine kleine, dekadente Villa am Stadtrand. Aidan's Mutter war kurz nach seiner Geburt bei einem Brand im Krankenhaus ums Leben gekommen. Wie durch ein Wunder hatte Aidan den Brand nahezu unverletzt überlebt. Wahrscheinlich war dies der Grund warum sein Vater ihn von klein auf verhätschelt hatte. Aidan hatte als Kind alles gehabt, was man sich erträumen konnte: Das neueste Spielzeug, die coolsten Klamotten, ein Platz an der angesehensten Privatschule, ja sogar ein schwedisches Kindermädchen hatte sein Vater eingestellt. Doch von alldem vermisste Aidan heutzutage lediglich das Kindermädchen. Ihr Name war Gullveig, doch Aidan hatte sie immer nur Tante Gulla gerufen. Sie war damals schon sehr alt gewesen, was sie allerdings nicht davon abhielt mit Aidan jedes Wochenende einen sogenannten "Abenteuerausflug" zu machen. Aidan hatte diese Ausflüge geliebt. Es war eine der wenigen Aktionen, bei denen Tante Gulla nicht schimpfte, wenn er seine Kleider dreckig machte. Mal fuhren sie zum Abenteuerspielplatz und spielten Wikinger und Piraten; mal zum Bauernhof, wo ihm Tante Gulla zeigte, wie man ein Pferd einritt und einen mittelalterlichen Lehmoen baute. Manchmal durften sie sogar Aidans Vater auf einer seiner Ausgrabungsstätten besuchen. Dann bekam Aidan ein Eimerchen mit Schaufel, Meißel und Pinsel und durfte an einer Stelle, wo die Arbeiter seines Vaters mit ihren Ausgrabungen bereits fertig waren selbst nach vergrabenen Schätzen suchen. Egal, was er dabei zutage förderte - Steine, Tonscherben oder kleine Hühnerknochen - Tante Gulla wusste immer eine abenteuerliche Geschichte darüber zu erzählen. Einmal fand er sogar einen richtigen Schatz: Eine hölzerne Schachtel mit 24 runden, weißen Steinen. In die Steine hatte jemand grobe Zeichen geschnitzt. Sein Vater hatte ihm erklärt, dass es sich hierbei um alte keltische Runensteine handelte. Diese Steine hatte man wohl früher zum Wahrsagen genutzt. Tante Gulla hatte ihm dann die Bedeutung jeder einzelnen Rune erklärt. Er hatte einen ganzen Nachmittag damit zugebracht, die Runen und ihre Bedeutung auswendig zu lernen. Insgeheim glaubte Aidan, dass Tante Gulla das Kästchen für ihn vergraben hatte, unter anderem weil sein Vater ihm erlaubt hatte, seinen Schatz zu behalten, obwohl an einer Ausgrabungsstte strenge Richtlinien herrschten. Die Runensteine hatte er immernoch. Allerdings bewahrte er sie mittlerweile in neinem roten Samtsäckchen auf, welches ihm Tante Gula mit keltischen Knoten bestickt hatte. In dem Säckchen bewahrte er außerdem ein bronzenes Pendel, sowie ein Deck Tarotkarten auf. In seinem Gewerbe sind diese Gegenstände unentbehrlich. Aidan verdiente seinen Lebensunterhalt als "esoterischer Lebensberater", im Volksmund unter dem Begriff "Wahrsager" bekannt. Natürlich hielt sein Vater nicht viel von Aidans Berufswahl. Als hochdotierten Professor zählten für ihn nur klare Fakten. Mystisches interessierte ihn wenn dann nur aus wissenschaftlicher Sicht. Eigentlich glaubte Aidan selbst nicht an das, was er seinen Kunden erzählte, aber das war im Grunde auch nicht wirklich wichtig Wichtig war lediglich, dass er es seinen Kunden glaubhaft verkaufen konnte. Während er seinen Kaffee trank, lauschte Aidan der Nachricht seines Vaters. Er klang besorgt. Aidan soll sich doch mal wieder melden. Man könne sich doch mal zu einem gemeinsamen Feierabendbier treffen. Er löschte die Nachricht von der Kasette und nahm dich vor, seinen Vater demnächst mal anzurufen. Der stille Schwur hatte sich bereits zu einer Art morgendlichem Ritual entwickelt und wie jedes Ritual hatte es schon längst seine ursprüngliche Bedeutung eingebüßt. Draußen setzte bereits die Dämmerung ein, als Aidan sich für die Arbeit fertig machte. Andere Esoteriker kleideten sich in mysteriöse Kutten, oder bunte Jutekleider und schmückten sich mit allerlei Amuletten und Glitterkram. Aidan hielt nicht viel davon, sich derart zum Affen zu machen. Er trug schlichte Jeans und je nach Wetterlage entweder Hemd oder Pullover. Seine Kunden schätzten diese schlichte Seriösität. Zuviel Mystifizierung schreckte sie ab und wirkte unglaubwürdig. Sein Büro war auch eher schlicht eingerichtet. Eine weiße Couch und ein paar Stühle im Wartebereich und in einem abgegrenzten Raum ein Tisch mit zwei Stühlen und einer Salzkristalllampe, um eine halbwegs private Stimmung zu erzeugen. Routiniert ging er während der Busfahrt zum Büro seinen Terminkalender durch. Er sorgte stets dafür, dass zwischen den Terminen mit seinen Stammkunden immer noch genügend Zeit blieb, um Laufkundschaft empfangen zu können. Den ersten Termin hatte er heute um elf Uhr. Er konnte sich also auf einen entspannten Morgen einstellen. Das dachte er zumindest. Gerade als er Wasser aufgesetzt hatte, um den Kräutertee für seine Kunden zu brühen, betrat der erste Kunde sein Büro: Eine junge Frau. Auf den ersten Blick war sie recht hübsch anzusehen. Sie war stilsicher und ser weiblich gekleidet. Ihre langen, haselnussbraunen Locken fielen über schmale Schultern und umrahmten ein freundliches Gesicht mit dunkelbraunen Augen und vollen roten Lippen. Je länger er sie ansah, desto schöner erschien sie ihm. Alles an ihr war irgendwie anziehend. Dabei stand er gar nicht auf Brünette. "Möchten Sie mich nicht begrüßen, oder so?" Es brauchte ganze drei Sekunden, bis Aidan es schaffte sich auf das Gesagte zu konzentrieren, so bezaubernd war ihre Stimme. "Was? Achja, kommen Sie doch herein. Ihren Mantel können Sie ruhig mir geben. Was kann ich Gutes für Sie tun?" "Lesen Sie mir die Runen." Die Brüskheit ihrer Forderung brachte ihn für einen Moment aus dem Konzept. Für gewöhnlich redeten neue Kunden immer noch ein wenig um den heißen Brei. Die Tatsache, dass sie sich mit ihrem Problem an einen Wahrsager wandten war ihnen doch zu peinlich. "Ja, natürlich. Kommen Sie hier herein. Ich habe Ihren Namen nicht mitbekommen." Die Schöne folgte ihn in den abgegrenzten Raum und setzte sich mit einem geheimnsvollen Lächeln an den runden Tisch. "Warum fragen Sie nicht die Runen nach meinem Namen?" Aidan wollte erwidern, dass das Runenlegen so nicht funktionierte und dass man die Runen nicht einfach willkürlich nach irgendwelchen Namen fragen konnte. aber irgendetwas an der Art, wie sie ihn anlächelte, hielt ihn davon ab. "Also schön. Aber wenn die Runen schweigen, müssen Sie mir Ihren Namen wohl doch selbst verraten." Die schöne Unbekannte lächelte weiterhin. Also griff Aidan einfach beherzt in sein Säckchen und warf eine Handvoll Runen auf den den Tisch. Fast alle Runen blieben mit der Unterseite nach oben liegen, auschließlich die Rune Fehu, welche als 'F' gelesen werden konnte, war zu lesen. "Beginnt Ihr Name mit einem F?" "In der Tat. Machen Sie ruhig weiter. Sie machen das gut." Die Art wie sie ihn lobte, störte Aidan ein wenig. Es klang eher, wie eine Lehrerin, die einen Musterschüler lobte und nicht wie eine Kundin, die ihm Anerkennung schenkte. Nichtsdestotrotz kam er ihrer Aufforderung nach. Immer wieder warf er die Runen. Nacheinander erhielt er die Runen Raido, Ehwaz, Eiwaz und Ansuz. Nach dem er Ansuz geworfen hatte, legte die Unbekannte ihre Hand auf Aidans. "Das reicht." "Ihr Name ist also... Freya?" "In der Tat." "Ein Ungewöhnicher Name." "Ist er das?" Aidan zögerte. Das Verhalten Freyas verunsicherte ihn und nicht nur das. Der Name erinnerte ihn an eine der Geschichten, die ihm Tante Gulla oft erzählt hatte. "Nun... Freya ist der Name der keltischen Liebesgöttin, nicht wahr?" "Ganz recht." "Ein... passender Name." Das unbeholfene Kompliment brachte Freya zum Lachen. Es war ein schönes Lachen: Glockenhell und so voll Heiterkeit, dass Aidan unwillkürlich selbst lächeln musste. "Natürlich ist es das. Es ist schließlich mein Name." Die Art, wie sie das Wort "mein" betonte lies Aidan aufhorchen. Alarmiert sah er von seinen Runen auf. Sie lächelte abwartend, wie eine Lehrerin, die wusste, dass ihr Musterschüler gleich etwas unglaublich kluges sagen würde. "Wollen Sie damit sagen, dass... Sie die Göttin Freya sind?" Der Unglauben in seiner Stimme, sorgte davor, dass Freya ihre Lippen zu einem süßen Schmollmund verzog. "Zweifelst du etwa an mir?" "N-nein natürlich nicht! Ich meine nur... es kommt etwas unerwartet, dass ich pötzlich Besuch von einer Göttin erhalte." "Du glaubst mir nicht." Freyas Gesicht war auf einmal sehr ernst und ihren Augen lag eine Kälte, die in Aidan unbewusst den Drang weckte, sich ihr zu Füßen zu werfen und erbärmlich um Gnade zu winseln. Als sie die Hände bewegte, um sich ihre Handschuhe auszuziehen, zuckte Aidan unwillkürlich zusammen, als erwarte er einen Angriff. Mit einer perfekt manükierten Hand, griff sie nach einem der Bleistifte, die Aidan as Werbegeschenk für seine Kunden bereitgelegt hatte. "Aidan Schmidt, dein Unglaube beleidigt mich, aber ich will es dir nicht böse nehmen. Wenn du einen Beweis möchtest, sollst du ihn haben. Ich bin nicht nur die Göttin der Liebe, weist du?" Sie hielt den Bleistift, wie einen wertvolen Edelstein zwischen Daumen und Zeigefinger. Nichts geschah. Aidan öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber Freya brachte ihn mit einer raschen Handewegung zum Schweigen. "Sei still und schau genauer!" Und tatsächlich, wenn er den Bleistift genau fixierte, konnte er sehen er wie sich die Oberfläche an einer Stelle leicht nach außen wölbte. Mit einem Mal brach die rote Lackierung auf und ein junger, grüner Trieb wuchs aus dem vermeintlich toten Holz. Noch während Aidan versuchte, das kleine Wunder zu begreifen, wuchsen weitere Triebe aus dem Stift, trieben Blätter und kleine Blüten und wickelten sich gemähchlich um ihr Handgelenk, bis sie ein dicht geflochtenes Armband trug. Vorsichtig betastete Aidan das lebende Flechtwerk, als hätte er Angst, es könne sich als Illusion entpuppen. Wie in Trance räumte er seine Runensteine wieder in den Beutel, währen Freya, die leibhaftige Göttin der Liebe und Fruchtbarkeit ihn mit einem triumphierenden Lächeln fixierte. Mehrmals holte er Luft um etwas zu sagen, aber ihm fiel einfach nichts ein, was er hätte sagen können. Was sagt man auch, wenn man eine Göttin in seinem Büro zu sitzen hatte. Da sich sein Verstand weigerte, das Problem "Göttin" anzugehen, schaltete er einfach um auf Routine. Göttin, oder nicht, sie war in sein Büro gekommen und wollte, dass er ihr die Runen legte. Also würde er das auch tun. "Nun... ehm... Fräulein Freya. Was möchten Sie denn von den Runen wissen?" "Falsch." "Wiebitte?" "Deine Frage ist falsch formuliert und hör' doch um Tyrs Willen mit diesem eleden Gesieze auf. Das klingt ja fast, als wäre ich eine alte Schachtel!" "Verzeihung... ich... Also was wollen Sie... du... Was willst du... ehm..." Dieses Lächeln brachte Aidan komplett aus der Fassung. Hinzu kam, dass das verzauberte Schreibwerkzeug immer noch nicht aufgehört hatte zu wachsen und mittlerweile versuchte, Wurzeln in seinem Tisch zu schlagen. Freya schnalzte ungeduldig mit der Zunge. "Die Frage, Aidan Schmidt, sollte lauten: Was will ich, das DU von den Runen erfährst." "Ich? Aber ich.... ich bin doch nur...." "Ja? Was bist du? Weist du überhaupt was du bist? WER du bist?" "Ich...." Während Aidan immernoch mit einer Antwort Rang, griff seine Hand geradezu mechanisch in den Sack und lies eine Handvoll Runensteine auf den Tisch fallen. Das Geräusch, das die glatt polierten Steine auf der hölzernen Tischplatte machten, riss Aidan aus seinen sich im Kreis drehenden Gedanken. Vor ihm lagen die Steine auf dem Tisch verstreut, nur vier Runen lagen dich beeinander, mit der beschrifteten Seite nach oben: Laguz, Othala, Kenaz, Isa - Loki. ------------------------------------------------- Die in diesem Kapitel erwähnten Runen, ihre Bedeutung und Entsprechung im Alphabet: -> "Fehu": bedeutet "Vieh","Rind"; entspricht dem Buchstaben "F" -> "Raido": bedeuted "Wagenrad"; entspricht dem Buchstaben "R" -> "Ehwaz": bedeutet "Pferd"; entspricht dem Buchstaben "E" -> "Eiwaz": bedeutet "Eibe"; entspricht dem Buchstaben "Y" -> "Ansuz": bedeutet "Ase", "Mund"; entspricht dem Buchstaben "A" -> "Laguz": bedeutet "Wasser", "Meer"; entspricht dem Buchstaben "L" -> "Othala": bedeutet "Besitz"; entspricht dem Buchstaben "O" -> "Kenaz": bedeutet "Fackel"; entspricht dem Buchstaben "K" -> "Isa": bedeutet "Eis"; entspricht dem Buchstaben "I" Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)