Wunsch von pandine ================================================================================ Kapitel 2: Aufbruch ------------------- Mit einem Kloß im Hals stieg ich die Treppen hinunter. Es war Abend geworden, und somit auch Zeit für das Abendessen im Saal mit meinen Eltern. Langsam ging ich die langen Flure entlang, um mich herum war blank geputzter Marmor, Kronleuchter erhellten elegant die langen Flure, die mir wie Marmortunnel vorkamen. Ich setzte einen Schritt vor den anderen, meine Bewegungen stockten immer wieder. Ich wusste, dass meine Eltern es mir wahrscheinlich nicht erlauben würden, alleine nach Japan zu fliegen, aber ich musste. Ich wollte sie sehen, unbedingt. Ein unbändiger Drang tobte in mir und nahm mir die Luft zum Atmen weg, ebenso wie sie mir Hoffnung gab. Das Haus kam mir noch einengender vor, als es normalerweise war. Ein Butler öffnete mir die Tür zum Esssaal, ich ging hinein. Meine Eltern saßen schon an der langen Tafel aus Buchenholz und warteten auf mich. Ich machte einen Knicks und setzte mich hin. Das Essen wurde aufgetragen. Der silberne Deckel, ich hatte seine Bezeichnung vergessen, wurde von einem der Butler von meinem Teller gehoben. Warmer Dampf stieg von der heißen, frisch gemachten Suppe auf, der den Geruch meiner Lieblingsgewürze mit sich trug. Als ich den Löffel nahm, um die Suppe zu essen, wurde mir fast schlecht. Immer noch steckte der Kloß in meinem Hals, ich konnte kaum noch atmen. Ich wusste nicht, was mir gerade so dermaßen die Luft abschnitt, dass es wehtat. Meine Eltern sahen mich erstaunt an. "Was ist denn, Schatz?", fragte meine Mutter mit ihrer freundlichen, hohen Frauenstimme. Ich konnte nicht antworten. Ich trank einen großen Schluck Wasser. Ich ahnte, dass dieser Kloß nicht verschwinden würde, ehe ich die Erlaubnis bekommen hatte. Ich atmete tief durch. "Ich will nach Tokyo gehen." Stille herrschte im Saal. Unendlich lang, so kam es mir vor. Endlich erhob Vater das Wort. "Warum?" Das war das einzige Wort, was er sagte, eine einzige Frage, die er mir stellte, und doch konnte ich sie nicht beantworten. Wieder Schweigen, nachdenklich hing es in der Luft. Fieberhast überlegte ich, wie ich es ihnen sagen konnte, mir fiel jedoch nichts ein, was ich ihnen sagen konnte. Dann hörte ich ein Seufzen, es kam von rechts, dort, wo Vater saß. Ich hob meinen Kopf und sah zu ihm. Er schaute mich direkt an, ich versuchte, seinem Blick standzuhalten. Eine halbe Ewigkeit, jedenfalls fühlte es sich für mich so an, später blickte er zu meiner Mutter und nickte ergeben. "Na gut. Es ist schließlich auch die erste Bitte seit Langem, wenn ich mich nicht irre, sogar die erste", sagte er mit einem traurigem Unterton. Ich konnte mein Glück nicht fassen. Der Kloß plumpste einfach ins Nirgendwo, ich atmete wieder frei. Ich fühlte mich auch frei und erleichtert, dass ich sie endlich treffen würde. Es war zwar nur einige Stunden, oder doch Tage, her, seit ich sie kenne, aber sie hatten bisher zuviel meiner Gedanken eingenommen. Sie zu vergessen wäre unmöglich für mich. "Danke." Es war das einzige Wort, was ich noch herausbrachte. Tränen der Freude rannen mir über das Gesicht. "Aber dafür musst du jetzt aufessen", meinte Mutter mit einem amüsiert strengem Ton. Ich nickte und löffelte meine Suppe, die ich jetzt in vollen Zügen genoss. Auch die nächsten Hauptgänge aß ich bis auf den letzten Krümel auf. Nach dem Essen verbeugte ich mich noch schnell vor meinen Eltern und ging dann flott die Treppe zu meinem Zimmer hoch. Es ging auf einmal alles so leicht und jedes unangenehm beklemmende Gefühl war wie verflogen. Es war Glück. Hieß das, ich war die ganze Zeit, die ich hier gewohnt habe, unglücklich? Bilder der Vergangenheit schossen mir durch den Kopf, doch ich schob sie beiseite. Nein, jetzt nicht. Nicht in diesem glücklichem Moment. Ich ging in mein Zimmer und stopfte alles Überlebensnotwendige in meinen schwarzen Koffer, der bald gefüllt war mit T-Shirts, Pullovern, Hosen und so weiter. Ich rief einen Diener, er sollte mir Japanischbücher kaufen, damit ich es so schnell wie möglich lernen konnte. Nach einer Stunde brütete ich über meinem Schreibtisch, in meinem Kopf schwirrten japanische Schriftzeichen und dessen Aussprache und Grammatikregeln, Konjugation und Verhaltensregeln. Schnell hatte ich verstanden und nach einem weiterem Tag Lernen hatte mein Vater mir ein Flugzeug bereitgestellt. Der Wind blies an diesem Tag sehr stark durch die Straßen und wirbelte lose herumliegende Blätter auf, verstreute sie in die Weiten der Welt. Ich und meine Eltern standen uns gegenüber, wir waren alle dick eingepackt, denn der Wind war keine angenehm warme Sommerbrise, sondern der Anfang eines Herbststurmes. "Ich danke euch", sagte ich und blickte den beiden in die Augen. Sie sahen zurück und lächelten. "Du kommst wieder, oder?", fragte meine Mutter ein wenig besorgt. "Ja", antwortete ich. Tränen schwammen in meinen Augen, doch ich blinzelte sie weg, als ich den festen Blick meines Vaters erwiderte. "Wir warten auf dich." Ich nickte und winkte ihnen noch einmal. Dann drehte ich mich um und ging auf das Flugzeug zu, versuchte, die Tränen zurückzuhalten, die jeden Moment aus meinen Augen zu fallen drohten. Ich wischte sie energisch jedes Mal wieder weg, doch sie kamen erneut. Nein, jetzt nicht weinen. Es war meine freie Entscheidung, also wein jetzt nicht. Ich ging tapfer den weiteren Weg, den Kopf erhoben, so wie in meiner Rolle der Erbin. Jetzt wurde ich mir bewusst, dass ich noch keine neue Persönlichkeit für meine Zeit in Japan festgelegt habe. Die Treppe zum Flugzeug kam immer näher. Näher und näher. Er stellte die Endgültigkeit meiner Bitte dar und ich wich nicht zurück. Ich war ihnen mit jedem Schritt näher, mir war, als würde das rosahaarige Mädchen mich von hinten nach vorne schieben. Mich auf jedem meiner Schritte begleiten. Finde mich, schien sie zu flüstern, doch ich stempelte es als Einbildung ab. Ich stand auf der letzten Stufe der Treppe, nur wenige Schritte vom Innerem des Fliegers entfernt. Ich hatte nicht den Mut, meine Eltern ein letztes Mal anzusehen. Ich streckte meinen Rücken durch und erhob meinen Kopf noch einmal. Dann stolzierte ich entschlossen in die Maschine, die mich von ihnen trennen würde. Von all denen, die mir bisher mein verwöhntes Leben ermöglicht haben. Ich trennte mich von meinem Käfig. Ich würde sie treffen. Ich werde sie treffen. Sie endlich treffen. Diese Gedanken überschatteten alles, woran ich denken konnte mit einem kleinem Hauch von Sehnsucht und Freude. Das Flugzeug landete. Es rollte noch eine Weile über den Landeplatz und visierte seine Parkstelle an. Eine Durchsage ertönte. "Wir sind soeben gelandet, Miss Lilith. Bitte gedulden Sie sich noch eine Weile, es werden gleich Leute kommen, um Sie abzuholen." Ich war die einzige Person im Flugzeug. Meine Fingerspitzen kribbelten vor Aufregung. Die Stewardess, die den ganzen Flug für mein leibliches Wohl gesorgt hat, packte nun all meine Sachen wieder ordentlich ein. Ich wartete auf die Person, die mich hier abholen würde. Nach wenigen Minuten kam sie auch, meine Tante Yukiko Kizuhara. Sie sah so aus wie auf den Bildern, die ich von ihr gesehen hatte. Lang wallendes, schwarzes Haar und freundliche braune Augen. Sie trug eine weiße Bluse und einen schwarzen Rock, ihr Gang war federnd und sie wirkte elegant und sanftmütig. "Lilith-chan!", begrüßte sie mich winkend, während sie den großen Bauch des Flugzeuges durchschritt, in dem sich 4 Sitze gegenüberstanden. "Immer noch so prunkvoll wie immer, was?" Sie sah sich staunend um, während ich mich aus meinem Sitz erhob und über den Teppichboden zu ihr ging. Meine Tasche hatte ich fest in der Hand. "Wohl wahr", meinte ich und blieb vor ihr stehen. Sie musterte mich von oben bis unten. "Was für ein tolles Mädchen doch aus dir geworden ist!", stieß sie begeistert aus und drückte mich. "Als ich dich das letzte Mal gesehen habe, warst du noch so klein!" Sie zeigte eine ungefähre Größe von einem Meter. Sie lachte und wir gingen gemeinsam aus der Maschine. Ich verneigte mich kurz vor dem Piloten, bevor ich schnell meiner Tante hinterher schritt, die währenddessen weitergegangen war und fröhlich plapperte und plapperte. Ich sah mir die Gegend um mich herum an. Es war ein typischer Flughafen, wie es ihn auch in Deutschland gab. Ich konnte die Schrift lesen und war nicht mehr auf die englischen Untertitel angewiesen, die zur Orientierung für Ausländische oder diejenigen, die die Sprache nicht beherrschten, diente. "Yukiko-san? Haben Sie mich auch auf der richtigen Schule angemeldet?", fragte ich meine Tante höflich und auf Japanisch. Sie verstand und wechselte auch um. "Aber natürlich, was denkst du denn? Du kannst mich übrigens duzen, Lilith-chan", sagte sie mit einem Lächeln. "Warum wolltest du eigentlich ausgerechnet auf diese Schule?" "Weil... Eben deshalb, etwas dagegen?", wich ich der Frage aus. "Nein." Sie sah mich erstaunt an, dann platzierte sich wieder ein Lächeln auf ihr Gesicht. "Na, wollen wir doch mal in das Auto und zu uns nach Hause fahren." Sie ging auf ein schwarzes Auto zu. Sie öffnete den Kofferraum und vermittelte mir mit einigen Zeichen, ich solle die in den Kofferraum legen. Das tat ich schnell und wir stiegen dann in das Auto ein. Ich saß auf dem Beifahrersitz und starrte aus dem Fenster. Überall war der Trubel der Großstadt zu sehen, es blinkten viel mehr Lichter und Straßenlaternen als in meiner Stadt. Gläserne Wände der Bürogebäude spiegelten die Lichter wieder. Autos hupten, Mofas drängten sich einen Weg durch den Verkehr und prompt saßen wir auch im Feierabendsverkehr fest. Entschuldigend sah mich Yukiko an. "Gewöhn dich lieber daran, es ist jeden Tag so." Sie konzentrierte sich wieder auf den schleppenden Verkehr. Ich sah weiter aus dem Fenster und beobachtete die verschiedenen Leute, Schüler und Studenten, Anzugsleute, die hin- und hereilen. Das Gewusel in Tokyo. Bäume blitzten mitten in der Stadt auf und verliehen etwas von dem Glanz der Natur an die Stadt. Gamecenter standen an jeder Ecke, lautes Gegrölle war bis hierhin aus den Karaokebars zu hören. Es war faszinierend zu beobachten. Nach einer halben oder sogar ganzen Stunde kamen wir endlich an. Es war ein Appartement mit einem Balkon und zwei Schlafzimmern, einem Bad, einer Küche, einem Wohnzimmer und einem Abstellraum. Es war die Wohnung eines normal verdienendem Pärchen in Japan, schätze ich. "Du kannst das alte Schlafzimmer von unserer Tochter haben, sie ist vor einem Jahr ausgezogen und seitdem ist es leer. Ich würde sagen, du ruhst dich aus und morgen geht es ab in die Schule! Die Uniform liegt auch schon bereit, Jun kannst du auch morgen kennenlernen, er ist zu dieser Zeit bestimmt noch nicht zu Haus." "Wer sagt das?", ertönte eine Männerstimme aus der Richtung des Eingangs. Ein großer Mann kam in die Wohnung und lächelte mich an. Er hatte ebenfalls schwarze Haare, wie Yukiko, und trug einen schwarzen Anzug und hatte eine Brille. "Das ist also die berühmt-berüchtigte Nichte von dir?" Er schein auch viel zu reden. "Warum bist du denn hier?", fragte sie, statt seine Frage zu beantworten, ungläubig. "Ich durfte heute früher gehen, weil es nichts mehr zu tun gab." Er kratzte sich den Kopf und begab sich in die Küche. "Was willst du heute essen?", rief er durch die Wohnung. Anscheinend hatte er selbst seine Frage vergessen, die er gestellt hatte. "Warte, ich helfe dir gleich. Fang noch nicht an, ich zeige Lilith-chan nur noch schnell ihr Zimmer!", rief sie zurück und wandte sich dann mir zu. "Komm, wir wollen mal das Zimmer bewundern. Ich und Jun haben es in den letzten Wochen wieder hergerichtet, da wir es eigentlich vermieten wollten, aber das kommt uns auch gelegen. Ich fand die Vorstellung nicht so berauschend, noch einen dritten Erwachsenen mit versorgen zu müssen, der zudem auch noch wildfremd ist." Sie erschauderte. Sie öffnete eine Holztür und trat in mein zukünftiges Zimmer ein. Sie schaltete das Licht an, welches von einer Lampe an der Decke kam.Auf dem Boden lagen Tatamimatten und sonst stand da nur eine Matratze. Das Fenster zeigte den Ausblick vom 15. Stockwerk auf Tokyo. Das Fenster verlief in der Mitte der Wand von links nach rechts durchgängig und nur oben und unten war wirklich Wand. Die Fensterbank aus einem gesprenkeltem Stein, vielleicht auch zusammengeschweißten Steinen, war sauber und leer. "Tschuldige, dass wir noch kein Bett haben, aber du kamst so unerwartet und...", sagte sie entschuldigend. "Schon gut, ich habe auch nicht mit meinem Traumzimmer gerechnet", winkte ich ab und fügte noch hinzu, "Ich mag das Fenster, es ist so schön weitläufig." "Das freut mich aber, das ist eine Sonderwunsch unserer Tochter gewesen, als wir eingezogen sind." "Yukiko?", schallte die Stimme von Jun zu uns herüber. "Komme!", antwortete sie und lächelte mir nochmal zu. "Wir sehen uns dann morgen, oder willst du noch mit uns essen?" Ich schüttelte den Kopf. "Gut, dann gute Nacht und bis morgen!" Sie drehte sich um und schloss die Tür. Ich hörte leise ihre Schritte. Erschöpft ließ ich mich auf die Matratze fallen, meine Tasche hatte ich auf den Boden neben der Matratze gelegt, und schlief sofort ein. Lautes Autohupen riss mich aus meinem Tiefschlaf. Noch lauteres Hupen von vielen weiteren Autos weckte mich endgültig. Leicht benommen setzte ich mich auf der Matratze auf und rieb mir über die Augen. Die Tür wurde geöffnet, ein Kopf lugte hinein. "Ah, du bist schon wach! Los, auf zur Schule!", rief Yukiko fröhlich. Ich nahm die Uniform, die sie mir reicht, von ihr an und zog mich schnell um. Ich nahm meine Zahnputzsachen und putzte mir schnell die Zähne, wusch mein Gesicht und ging dann in das Wohnzimmer, wo Jun bereits angefangen hatte, zu frühstücken. "Morgen!", sagte er und sah nicht von seiner Zeitung auf. Ich setzte mich an den Tisch und aß dann auch. Es gab Reis und ein wenig Gemüse zum Frühstück. Ich beschwerte mich nicht, warum denn auch? Andere Länder, andere Sitten. Als ich fast fertig gegessen hatte, hielt Yukiko mir eine Box vor die Nase. "Ich habe dir ein Bento gemacht!", rief sie freudestrahlend aus. Dann sah sie ernster auf die Wanduhr und scheuchte mich mit meinen Schulsachen aus dem Appartement. Sie kam hinterher und verabschiedete sich schnell von Jun. "Weil es deine erste Woche ist, werde ich dich erstmal begleiten. Und weil heute dein erster Tag ist, nehmen wir das Auto!" Wir fuhren den Aufzug in den Keller hinunter, wo sie gestern ihr Auto geparkt hatte und stiegen ein. Sie richtete noch kurz den Rückspiegel und dann fuhren wir auch schon los. Heute war nicht so viel los wie gestern, aber ein wenig Stau herrschte hier trotzdem schon. Nach 15 Minuten Fahrzeit kamen wir in der Schule an. "Viel Spaß!", verabschiedete sie sich von mir und winkte mir zu. Ich winkte zurück und drehte mich zum Schultor um, hörte das leise Brummen des Autos, als es wendete. "Ich komme dich dann nach Schulschluss abholen, ja?" Sie fuhr los. Ich atmete tief ein, dann streckte ich wieder meinen Rücken durch. Ich versuchte, nicht zu sehr meiner Rolle als Erbin zu entsprechen, aber Gewohnheiten bleiben wohl. Ich hatte die Hälfte des Hofes durchquert, als ich sie an der Schultür erblickte. Das schwarzhaarige Mädchen aus meinem Traum, ich hatte nicht gedacht, ihr so bald zu begegnen. Wie erstarrt blieb ich stehen, zwang mich aber, weiterzugehen. Auf sie zu. Hosted by Animexx e.V. 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