Gebunden durch Hass von BloodyRubin ================================================================================ Kapitel 6: Der Weg nach Hause ----------------------------- Es dauerte fast eine Woche, bis Ed wieder vollkommen genesen war und Envy ihm erlaubte, das Bett zu verlassen. Nach seinem Ausbruch war er zu einer anderen Person geworden. Zwar würde die Dunkelheit in ihm nie vollständig verschwinden, doch er gab sich die größte Mühe, die zerbrechliche Freundschaft, die sich zwischen ihm und seinem Halbbruder entwickelt hatte, zu erhalten. Es war schon fast unwirklich, wie die beiden sich ganz normal unterhielten, lachten und scherzten. Die Kette, die sie verband, schien zu einem Symbol geworden zu sein. Fast hätten sie sie vergessen. Jedenfalls, bis die beiden unerwarteten Besuch bekamen. Sie hatten in einer Schublade etwas Geld gefunden und davon Essen und Getränke gekauft. Die Blicke, die sie verfolgten, hatten sie gekonnt ignoriert und waren schnell wieder in die Sicherheit der Wohnung zurückgekehrt, wo sie gemeinsam gekocht und gegessen hatten. „Hast du den Blick der Verkäuferin gesehen, Winzling?“ lachte Envy gerade. „Als würde sie gleich in Ohnmacht fallen. Ich hatte ja keine Ahnung, dass Einkaufen so unterhaltsam sein kann.“ Ed grinste nur und warf dem Homunculus einen Blick zu. Sein Zustand hatte sich merklich verbessert. Nur die Striemen, die sich an seinen Armen und Schultern abzeichneten, erinnerten noch an die Gefangenschaft. Ein Klopfen ließ sie aufspringen. „Jemand muss uns verfolgt haben.“ flüsterte Ed angespannt, während sein Halbbruder nach der Peitsche griff. Das Klopfen ertönte wieder, diesmal lauter. „Was jetzt, Winzling?“ murmelte der Homunculus, ohne seinen Blick von der Tür zu lösen. „Wir sind im dritten Stock. Fliehen bringt uns also nichts. Vielleicht ist es Nico.“ „Vielleicht ist es auch der halbe Polizeistaat, um uns wieder einzubunkern.“ Langsam trat Ed an die Tür. „Wer ist da?“ „Nun mach schon die Tür auf.“ erwiderte eine Stimme und Ed erstarrte, bevor er die Tür aufriss und seinem Bruder in die Arme fiel. „Al…“ „Ich freue mich auch, dich wiederzusehen, Bruder.“ „Aber wie kommst du hierher?“ „Eine lange Geschichte. Das Wichtigste ist, dass ich dich gefunden habe.“ Schnell schlüpfte er in den Raum und Ed schloss die Tür. „Envy, ist das ein Traum?“ Sein Halbbruder schlug ihm auf den Arm und sah den einstigen Alchemisten amüsiert an. „Sag du es mir, Winzling.“ Wieder fielen sich die Brüder in die Arme. Nach über zwei Jahren sahen sie sich endlich wieder. Alphonse war größer geworden, ernster und seine Haare waren etwas länger, aber sonst sah er noch genauso aus, wie Ed ihn in Erinnerung hatte. „Es ist so schön, dich zu sehen.“ „Bruder, du erdrückst mich.“ Alphonses Blick fiel auf Envy. „Du kommst mir bekannt vor. Haben wir uns schon mal irgendwo gesehen?“ „Du hast deine Erinnerung verloren.“ stellte der Homunculus ruhig fest. „Ja, das stimmt. Aber in meinen Träumen tauchen immer wieder seltsame Dinge auf und mir unbekannte Personen. Du bist auch darunter.“ Seine Augen verengten sich. „Es sind keine guten Träume.“ „Das tut mir wirklich leid.“ spottete Envy. „Er ist unser Halbbruder.“ erklärte Ed. „Du wirst dich bestimmt irgendwann an alles erinnern.“ „Nicht, dass ich dieses erweichende Bild trüben will, aber was willst du eigentlich hier?“ „Ich will meinen Bruder zurück nach Hause bringen.“ Ein Lächeln huschte über seine Lippen. „So wie es aussieht, werde ich dich auch mitnehmen müssen.“ Er wandte sich wieder an Ed. „Du bist gewachsen. Hat ja auch lange genug gedauert.“ Envy begann zu lachen, was ihm einen giftigen Blick von Ed einbrachte. „Der und gewachsen?“ brachte er schließlich heraus. „Wie unheimlich lustig.“ knurrte der frühere Alchemist beleidigt. „Also, hast du einen Plan, wie wir wieder in unsere Welt zurückkönnen?“ „Schon, aber dafür bräuchten wir einen Stein der Weisen.“ Lange war es still. Ed und sein Bruder hatten lange nach diesem Stein gesucht. Diese verfluchten Dinger hatten ihnen viel Ärger gemacht, auch weil es so schwer war, einen richtigen, unverfälschten Stein zu erschaffen. „Dann schaffen wir es nicht.“ meinte Ed schließlich entmutigt. „Hier gibt es keinen Stein der Weisen.“ „Doch, gibt es.“ mischte sich Envy ein. Ohne eine Miene zu verziehen, berührte er seine Brust. „Ich trage einen in mir. Er erhält mich statt eines Herzens am Leben.“ „Das bedeutet, wir können ihn nicht benutzen.“ Der Homunculus senkte den Blick. „Tut es. Gebraucht den Stein, um zurück nach Hause zu kommen.“ „Das kannst du doch nicht ernst meinen.“ keuchte Ed entgeistert. Endlich sah sein Halbbruder auf und blickte den anderen eisig an. „Willst du nicht zurück? Für mich ist es zu spät. Meine Fehler kann ich nicht wieder gutmachen. Alles, was mir bleibt, ist, wenigstens euch zu helfen.“ „Aber…wenn du dabei stirbst…“ „Dann ist es so. Der Tod macht mir keine Angst.“ Etwas leiser sprach er weiter. „Deine Freundschaft war mir sehr wichtig, Winzling. Dafür bin ich dankbar. Bitte, lass mich das tun. Ich habe nur eine Bitte. Falls ich sterben sollte, nehmt meinen Körper mit in die andere Welt. Ich will nicht für alle Ewigkeit vor dem Tor verfaulen.“ „Envy…“ Sprachlos nahm Ed ihn in die Arme. „Ich verspreche es.“ flüsterte er mit erstickter Stimme. Er ließ seinen Halbbruder los und drehte sich zu Al, der das Gespräch still verfolgt hatte. „Fangen wir an.“ sagte dieser und begann, mit Kreide seltsame Zeichen auf den Boden zu malen. Als er mit seiner Arbeit fertig war, trat er zurück und näherte sich dem Homunculus. „Wie können wir den Stein benutzen?“ „Sobald ich im Sterben liege, wird er freigegeben und löst sich auf. Das bedeutet, ihr müsst schnell sein.“ „Also müssen wir dich töten?“ „Ja.“ Envy zog den Dolch hervor, den er Haldro abgenommen hatte und reichte ihn Ed. „Ich kann das nicht tun…“ „Das ist die einzige Chance. Entweder du nutzt sie, oder wir bleiben hier gefangen.“ Zitternd hielt der einstige Alchemist die Waffe in den Händen, schloss die Augen und fiel dem anderen ein letztes Mal in die Arme. „Und, war das jetzt so schwer?“ hauchte Envy ihm ins Ohr. „Damit sind wir wohl quitt.“ Er brach zusammen und sein Körper begann rot zu leuchten. Hastig schlug Al in die Hände und berührte dann den Boden, der ebenfalls zu glühen begann. Ed warf sich den Körper seines Halbbruders über die Schulter und zusammen mit Al trat er in den Kreis, der sie wieder nach Hause bringen würde. Er schien zu fliegen, stürzte immer weiter, bis er schließlich vor dem Tor landete. Eine seltsame, farblose Gestalt saß davor. Sie hatte kein Gesicht, aber einen Mund, der breit grinste. „Edward Elric. So sieht man sich wieder.“ hallte eine Stimme in seinem Kopf. „Lass uns zurück in unsere Welt.“ „Was bekomme ich dafür?“ „Die Seelen hunderter Menschen.“ Verlockend, verlockend.“ flötete die Stimme. „Bitte. Mein Halbbruder hat sich dafür geopfert.“ „Ja, das hat er. Armes, kleines Ding. Nun, ich bin gnädig. Ihr dürft passieren.“ „Ich danke dir.“ erwiderte Ed. „Seelen für ein Herz.“ wisperte die Stimme und hunderte winzige Arme packten Envy, hoben ihn hoch und griffen nach seinem Brustkorb. Verwirrt und fasziniert beobachteten die Brüder das seltsame Schauspiel. Genauso schnell, wie alles begonnen hatte, hörte es auf. Der Homunculus fiel zu Boden, was die Kette zum Klirren brachte und das Tor öffnete sich. „Auf bald, Edward und Alphonse Elric.“ Sie antworteten nicht, sondern traten durch das Tor. Knallend fiel es hinter ihnen zu. Wieder fielen sie, bis sie mit einem schmerzerfüllten Keuchen auf einer Wiese landeten. „Hat es funktioniert?“ fragte Ed und setzte sich auf. „Ja.“ antwortete sein Bruder. Dann wurden seine Augen groß. „Bruder, sieh nur.“ Er deutete auf Envy, der neben den beiden lag. Die Wunde, die Ed verursacht hatte, war verschwunden, langsam hob und senkte sich seine Brust. „Er lebt? Aber wie ist das möglich?“ Vorsichtig kroch der frühere Alchemist an den Homunculus heran und berührte seinen Hals. Deutlich spürte er den gleichmäßigen Herzschlag des anderen. „Ich kann seinen Puls fühlen.“ „Aber…er hat doch gesagt, er hat kein Herz.“ Endlich begriff Ed. „Seelen für ein Herz.“ wiederholte er die Worte des Wesens. „Dieses Ding vor dem Tor scheint es ihm geschenkt zu haben.“ Flatternd öffneten sich Envys Augen und er sah seinen Halbbruder verwirrt an. „Ich lebe ja noch. Warum lebe ich noch? Hat es nicht geklappt?“ Wut legte sich über seine Züge. „Sagt jetzt nicht, ihr habt es versaut, ihr Zwerge.“ „Nein, alles ist wunderbar glatt gelaufen.“ grinste Ed, nahm Envys Hand und legte sie auf dessen Brust. Erst wirkte sein Halbbruder verwirrt, dann verzog er das Gesicht. „Ich spüre etwas. Außerdem tut mir alles weh.“ „Natürlich spürst du etwas. So was soll aber normal sein, wenn man ein Herz hat.“ „Wovon redest du eigentlich, Winzling? Ich bin ein Homunculus. Ich habe kein…“ Er unterbrach sich, als ihm klar wurde, was der andere meinte. „Ich bin ein Mensch?“ raunte er dann und sah an sich herunter. „War es nicht dein Wunsch, normal zu sein? Nun, er wurde erfüllt.“ „Ich bin ein Mensch…“ wiederholte Envy immer wieder, als könnte er es nicht glauben. Dann fiel er Ed so heftig in die Arme, dass der nach hinten fiel. „Ich bin ein Mensch! Ich bin normal!“ rief er und wirkte, als würde er im nächsten Moment entweder losheulen oder anfangen zu lachen. Er entschied sich für Letzteres, während Ed sich von ihm freikämpfte und mit Al einen amüsierten Blick tauschte. Envy sprang auf, packte den völlig verdutzten Al unter den Armen und drehte ihn im Kreis. Da immer noch die Kette war, musste der ehemalige Alchemist um die beiden herumlaufen, was diesen seltsamen Anblick noch verstärkte. „Ich bin ein Mensch.“ sagte er wieder. „Ja, das habe ich verstanden. Du kannst mich wieder runterlassen.“ erwiderte Al lachend. Kurz wirkte Envy unsicher. „Aber… ich habe keine Ahnung, was es bedeutet, ein Mensch zu sein.“ „Das kommt noch. Erstmal werden wir jetzt die Kette los.“ meinte Ed und sah die beiden an. „Al, ich glaube, es wird mal wieder Zeit, Pinako zu besuchen.“ „Du weißt schon, dass sie dir den Hals umdrehen wird, Bruder?“ „Und wenn schon. Das kenne ich ja von ihr.“ gab Ed zurück. „Aber vorher soll sie mich wenigstens befreien.“ Und so machte sich das seltsame Gespann auf den Weg nach Hause. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)