Dein Blick zurück von Jaelaki ([Seto & Joey | Puppyshipping]) ================================================================================ Kapitel 4: Wenn die Vergangenheit Vergangenheit bleiben sollte TEIL II ---------------------------------------------------------------------- Kapitel 3 [Fortsetzung] Die Musik hallte in mir wider, ich spürte den Bass, ich spürte seine Hitze, seine Berührungen. Seinen Blick. Ich beugte mich – er lehnte sich vor, ich folgte seiner Bewegung – oder er meiner – ich – er – wir. Dann spürte ich seine Lippen auf den meinigen. Etwas explodierte in mir. Ich wollte, dass die Vergangenheit unbedeutend blieb und die Zukunft in weiter Ferne. Ich wollte nur diesen Moment spüren. Nur ihn und Seto Kaiba. ~ Ein plötzlicher Stich, nein, Schlag, ein Stechen. Der Schmerz ließ mich meinen Kopf missmutig stöhnend wieder zurück in das unerwartet weiche und warme Kissen legen. Die Übelkeit hingegen kämpfte sich hoch und schnürte mir den Hals zu, mit zusammengekniffenen Augen konzentrierte ich mich auf einen einzigen Gedankengang. Ich würde mich hier nicht erbrechen. „Herr Wheeler.“ Erschrocken riss ich meinen Kopf herum und starrte auf den Herrn in Schwarz an der Tür. Roland erwiderte meinen desorientierten Blick ausdruckslos. „Ich soll Sie darüber informieren, dass Sie fünfzehn Minuten Zeit haben, sich angemessen zu bekleiden und dann das Anwesen verlassen sollen. Unauffällig.“ Zornig presste ich meine Lippen aufeinander. Kaiba, dieser arrogante Arsch. Schmiss mich einfach aus seinem Anwesen. Und das sogar nur durch einen seinen Lakaien. Den Ober-Lakeien zwar, aber dennoch. Kaiba. Dieser verdammte, eingebildete Idiot. Dieser eiskalte Kühlschrank. Dieser – „Ich warte in fünfzehn Minuten auf Sie in der Haupteinfahrt.“ Verwirrung zeichnete sich in meiner Mimik ab und das ungesagte „Hä?“ überzog sicherlich überdeutlich meine Gesichtszüge. Vielleicht fügte Roland deswegen – und Angesichts der Tatsache, dass ich überhaupt in einem Bett in der kaiba'schen Villa lag – nüchtern hinzu: „Die Medien warten nur darauf, dass sich ein junger Mann aus dem Privatanwesen von Herr Kaiba schleicht. Ich werde Sie am Personalausgang der Kaiba Corporation absetzen. Von dort finden Sie sicherlich Ihren Weg.“ Einen Moment lang glaubte ich Zweifel aus seiner Stimme zu hören, aber im nächsten hatte er bereits genickt und diskret die Tür hinter sich geschlossen. Leichte Übelkeit drang wieder durch meine Lungen. Doch ein ungläubiges Grinsen breitete sich noch schneller auf meinen Lippen aus. Kaiba war in Arsch. Aber er wusste, wie man sich am nächsten Morgen peinliches Gestammel ersparte. Ein Hupen riss mich aus den Gedanken, leise fluchend rappelte ich mich auf, fiel halb aus dem Bett und sprang in meine Kleidung, die jemand ordentlich zusammengefaltet auf einem Stuhl vorbereitet hatte. Sie duftete nach Kaiba. Irgendwie. ~ Am Wochenende lagen wir gemeinsam im Bett, wie immer. Fast. Irgendwie. Die Nächte wurden deutlich kühler. Der Spätherbst hatte sich seinem Ende geneigt und obwohl es noch nicht kalt genug war für Schneeflocken, war der Wind eiskalt. Der Nachthimmel verschwamm mit den Lichtern der Stadt. Vereinzelte Sterne glitzerten in der Ferne, lockten meinen nachdenklichen Blick hinaus aus diesem Zimmer, das so vertraut war und doch fremd blieb. „Seto“, meinte ich in die Stille, in der er nur an seiner Zigarette zog und den Qualm langsam durch seinen Mund nach draußen durch das Fenster blies, „hast du eigentlich Tiere?“ Augenblicklich schellten seine Augenbrauen nach oben. Er drehte seinen Kopf, so dass er mir einen Blick zuwerfen konnte, zog einfach nochmals gemächlich an seiner Zigarette, ehe er den Stummel ausdrückte und wegschnipste, dann drehte er sich um, die Ellenbogen auf das Fensterbrett stützend, die Beine locker überkreuzt stand er da. „Wheeler, was geht eigentlich in deinem Hirn vor? Wenn überhaupt einmal was dort – geht?“, fragte er leise, deutlich, als spräche er mit einem Grundschüler, der nicht bis zehn rechnen konnte. „Wieso? Das war eine total normale Frage!“, widersprach ich trotzig und verschränkte meine Arme vor der nackten Brust. Kaiba schnaubte. „Vielleicht, wenn du mit einer flüchtigen Bekanntschaft sprichst“, meinte er, ich runzelte die Stirn, mein Herz hämmerte plötzlich in meinen Ohren, „aber nicht, wenn du mit demjenigen sprichst, der eine Affäre mit dir hat, nachdem ihr fast zwei Stunden – was machst du?“ „Deine Affäre geht. Darf das eine Affäre nicht? Ich dachte, das ist der Sinn davon. Man kommt und sie geht wieder.“ Zu jedem anderen Zeitpunkt hätte ich mir für mein geniales Wortspiel innerlich auf die Schulter geklopft. Jetzt jedoch brodelte nur Zorn in mir und – ich wollte es mir nicht eingestehen. Vor niemandem. „Das ist absolut lächerlich. Seit wann stellst du mir so – lächerliche Fragen, Wheeler? Seit wann stellst du überhaupt Fragen?“ Ich verzog meine Augen zu Schlitzen, ballte meine Hände zu Fäusten. Was war ich eigentlich? Seine dumme Hure? „Alter, ich hab echt Besseres zu tun, als mir diese blöde Scheiße anzutun. Dieses Schwarz-Weiß. Ich hab auch noch ein verdammtes Leben! Ich bin nicht deine verdummte Hure – ich dachte, wir sind irgendwie – ach, Scheiß drauf. Du küsst mich, du ignorierst mich, ich stell dir'ne einfache Frage, du behandelst mich wie'nen lächerlichen Idioten. Ich bin nicht deine Hure, die du herbestell'n kannst, wann du willst, die den Mund nur aufmachen soll, um – verdammt!“, zischte ich das, was sich unbarmherzig in meinem Kopf festgekrallt hatte. Seto Kaiba zog seine Augen zu Schlitzen, ehe er mit kühlem Blick seine Augenbraue hob. Lässig fuhr er sich mit seiner Hand durch das brünette Haar, machte ein paar Schritte auf mich zu, blieb so nah vor mir stehen, dass sein Atem mein Gesicht strich. Doch ich wich keinen Zentimeter zurück. Stur blickte ich ihm in seine verdammten, blauen Augen. „Stimmt, Wheeler. Du bist nicht meine Hure. Huren werden bezahlt und ich bezahle dich nicht. Also was willst du, Wheeler? Soll ich dich etwa bezahlen?“, flüsterte er mit diesem harten Ausdruck in den Augen. Ich wollte ihm am liebsten in die Fresse schlagen, doch dann seufzte er plötzlich, ließ sich auf dem Bett nieder und starrte gedankenverloren aus dem Fenster. Es war plötzlich unangenehm still. „Joey“, begann er langsam, massierte sich genervt die Nasenwurzel. „Nichts Joey“, antwortete ich stur, zornig, zog mir meine Sachen über. Verfluchte dieses Beben, das durch meinen Körper rollte und diesen Zorn, der mich rot sehen ließ. „Entscheide dich endlich mal“, zischte ich, „entweder Joey oder Affäre. Entweder Sex oder –“ Ich verstummte, erstarrte plötzlich, machte auf den Absätzen kehrt und ließ die Tür scheppernd hinter mir ins Schloss fallen. Es gab kein Oder. Es gab nur Sex. Ich verfluchte mich. Ich verfluchte Seto Kaiba. Und ich verfluchte dieses Gefühl, das mich innerlich auffraß. ~ Es ging immer weiter. Immer, immer weiter. Wir stritten uns, wir ignorierten uns, wir beschimpften uns, wir schliefen miteinander. Ich wusste, es würde sich nie ändern. Und ich wusste, es würde nicht ewig so weitergehen. Es klang paradox. Aber das war es nicht. Irgendwie. ~ Es war wieder Samstag, als ich die dunkle Holztür des Hotelzimmers hinter mir schloss und erstarrte. Eigentlich hatte ich gar nicht kommen wollen. Innerlich lächelte ich humorlos über diesen schlechten Wortwitz. Eigentlich hatte ich die ganze Sache abblasen und vergessen wollen. Endgültig. Irgendwie. Eigentlich. Jetzt hingegen stand ich wieder in diesem Hotelzimmer. Schon wieder. Wie immer. Fast. Seto lag bereits in dem großen, gemütlichen Bett, mit dem Rücken hatte er sich an die Bettlehne gelehnt und tippte etwas auf seinem Smartphone herum. Bekleidet. Mit einem schlichten schwarzen Pullover, der seine elegante, keineswegs schmächtige Figur betonte und einer ebenso schlichten schwarzen Jeans. Während ich wahrscheinlich wie ein geistloser Modeschmarotzer gewirkt hätte, sah es an ihm zeitlos elegant aus. Er sah nicht auf, als ich eintrat, er machte keinerlei Zeichen, das er mich bemerkt hatte. Ich hasste es, wenn er mich ignorierte. Ich mochte es auch nicht, wenn wir uns anschrien. Aber wenn ich wählen müsste, fiele meine Wahl eindeutig auf Letzteres. Mit extra geräuschvollen Schritten – ja, ich trampelte beinahe – ging ich auf das Bett zu, auf ihn zu, meinen Blick unverwandt auf ihn gerichtet. „Hallo“, meinte ich, als ich direkt davor stand, meine Knie berührten den Bettrahmen. Er sah langsam auf, seine blauen Augen wirkten müde, sein Gesicht ungewöhnlich blass. Ich meine: Seto Kaiba wirkte krankhaft gestresst. Müde. Es trieb mir einen kalten Schauer über den Rücken. Seto Kaiba war nicht müde. Er war effizient, zielstrebig, motiviert, kühl, berechnend, überarbeitet, genervt, gestresst, aber nicht müde. Nicht so müde. Augenblicklich verrauchte mein Zorn, ich seufzte. „Hallo“, erwiderte er beinahe tonlos. In diesem Moment wusste ich, dass wir heute Nacht nicht miteinander schlafen würden. Wortlos ließ ich mich auf der Matratze nieder und sah ihn von der Seite her an. „Du siehst scheiße aus“, stellte ich nüchtern fest. Er schnaubte. „Lösche alle SMS, jegliche Nachrichten, alles, was zwischen uns jemals verschriftlicht wurde, Wheeler.“ Ich starrte ihn an, wie aus allen Wolken gefallen, hinunter gestoßen, auf die matschige Erde getreten, mit dem Gesicht im Dreck. „Was?“ Meine Stimme klang unnatürlich brüchig in meinen Ohren, ich räusperte mich, versuchte diese plötzliche Trockenheit in meinem Rachen loszuwerden. Es gelang nicht. Eigentlich hatte ich nicht hierher kommen wollen. „Was ist los?“ Wortlos wandte er sich von mir ab, schloss seinen Aktenkoffer, in den er geradezu fürsorglich seinen Laptop gelegt hatte. „Ich kann momentan niemanden gebrauchen, der mein geordnetes Leben erschüttert“, durchschnitt seine kühle Stimme die Stille im Zimmer, „und ich kann es nicht gebrauchen, sollten die Medien davon erfahren. Ich beende unsere Korrespondenz. Solltest du dem zuwider handeln, werde ich eine gerichtliche Verfügung erwirken. In dem Falle wirst du dich an meine Anwälte halten müssen.“ Mit geöffneten Mund starrte ich ihn an. „Was zur –“ Er strich sich imaginären Staub von der Schulter, wandte sich mit zügigen Schritten gen Tür. Ohne sich umzudrehen. „Kaiba. Spinnst du jetzt total?“ Hitzköpfig ballte ich meine Fäuste zusammen. Zorn überschwemmte mich, Zorn und ein Gefühl, das sich durch meinen Magen biss. Ich versuchte ruhig durchzuatmen. „Wenn es etwas mit – wir hab'n getanzt. Wir hab'n uns geküsst. Das war's. Wir hab'n uns mal wieder angeschrien. So ist das eben. Ich will kein Geld von dir, ich will auch nicht in irgendwelchen Klatsch-Zeitungen auftauchen –“ „Solltest du unsere verschriftlichte Korrespondenz in irgendeinem Sinne verwenden, werde ich alles dementieren und dich verklagen, dass du für dein gesamtes Leben nicht mehr aus den negativen Zahlen herauskommen wirst. Ich hoffe, du hast das verstanden, Wheeler.“ Ich wollte ihm ins Gesicht schlagen, auf diese gleichgültige Maske einhämmern, ihn anbrüllen und ihn wieder zur Besinnung bringen. Vielleicht war aber auch ich derjenige, der seine Besinnung irgendwie unterwegs verloren hatte. „Du hast gesagt, ich solle mich entscheiden. Das habe ich getan“, meinte er plötzlich noch unerwartet, seine Stimme nüchtern, klar. Ohne ein weiteres Wort, ohne einen vielsagenden Blick oder eine bedeutungsvolle Geste verließ er das Zimmer und ließ mich einfach zurück. Betäubt und verständnislos starrte ich die Tür an, durch die er eben geschritten war. Dabei hatte er doch mein Leben erschüttert. ~ Die nächsten Wochen hörte ich nur wütendes Blut in meinen Ohren rauschen, wenn ich den Namen Seto Kaiba hörte – oder las. Dann wich dem eine betäubende Leere. In der Schule begegneten wir uns mit kühler Ignoranz. Die Wochenenden schuftete ich. Die Zeit zog an mir vorbei, ich bemerkte es jedoch kaum. Der Alltagstrott hatte mich. Der Name Seto Kaiba wurde wieder weniger präsent für mich. Tristan sah öfters bei mir vorbei, ich traf mich mit meinen Freunden. Wahrscheinlich hätte es so sein sollen – ohne kranke, emotionale Schwankungen, ohne kräftezehrende, heimliche was auch immer – ohne eben. Ohne Kaiba. „Joey, ist alles okay bei dir? Du siehst irgendwie – blass aus“, meinte Yugi offensichtlich besorgt und sah mich musternd an. Seine Stirn hatte er in Falten gelegt, in seinen großen, unschuldigen Augen lag Sorge. Wir saßen wortlos vor dem Fernseher in meinem Einzimmer-Apartment, aßen Chips und tranken Cola. So herrlich ungesund, so herrlich selbstvergessen. Wenn da nur nicht dieser ernste Ton in seiner Stimme gewesen wäre. „Jopp, alles klar“, meinte ich schulterzuckend, grinste ihn versucht breit an. Ich redete mir ein, dass es besser war. Einfacher. Es war tatsächlich – anders. Gelangweilt blickte ich zurück zur Glotze, wich mit diesem Manöver irgendwie doch elegant seinem stechenden Blick aus. Nachrichten. Schlürfte an meiner Cola und wollte gerade weiterzappen, als – Blitzlicht. Reporter. Kaiba, der keinen Kommentar geben wollte. Das örtliche Klinikum wurde eingeblendet. Kaiba, der grimmig in die Kamera schaute, seine Bodyguards, die die Reporter auf Abstand hielten. Ein altes Bild von Mokuba wurde plötzlich eingeblendet. Was verdammt ging da ab? Ich spürte den aufmerksamen Blick von Yugis Seite, riss mich mühsam kontrolliert von den Bildern los, atmete tief aus und bemerkte erst jetzt, dass ich den Atem überhaupt angehalten hatte. Was war mit Mokuba passiert? ~ Natürlich war es irgendwie vorhersehbar gewesen. Seto Kaibas Sitzplatz blieb die nächsten sechs Tage leer. Am siebten Tag rechnete nicht einmal mehr ich auf Grundlage von rationaler Überlegungen, dass er doch plötzlich da sitzen würde, während ich – natürlich leider halt – zu spät, ins Klassenzimmer gestürmt kam, die obligatorische Entschuldigung vor mich hin murmelnd. Mein Blick suchte trotzdem sofort seinen Sitzplatz. Unwillkürlich. Er war nicht da. Und er war auch die darauffolgenden vier Tage nicht da. Am zwölften Tag saß ich missmutig im Matheunterricht, schrieb irgendwelche Gleichungen ab, in denen mehr Buchstaben als Zahlen vorkamen – ich meine, Buchstaben sollten wirklich nicht in Gleichungen vorkommen, Zahlen stressten mich da schon genug – als ich einen Entschluss fasste. Meine Augen zogen sich stur zusammen. Ich war nicht mehr wütend. Ein anderes Gefühl hatte sich ungefragt, aber entschlossen an die Stelle der zornigen Gleichgültigkeit gekämpft. Ich konnte es nur noch nicht benennen. Nicht mehr. Noch nicht. ~ Zu Hause angekommen aß ich außerordentlich langsam. Ich aß nie langsam. Normalerweise stopfte ich gerne die Sachen in mich rein, bis ich dieses übertrieben Völlegefühl hatte, das eigentlich total ungesund war; wie mir auch Yugi gerne zusicherte. Aber ansonsten trödelte ich gerne. Und momentan schob ich etwas vor mich her, dessen ich mir hier plötzlich nicht mehr so sicher war, wie einige Stunden zuvor. Ich öffnete einige Male einen gewissen Brief und schloss ihn wieder mit genervtem Blick. Dann öffnete ich ihn erneut, nur um ihn tatenlos anzustarren. Mein Herz klopfte wild, meine Gedanken rasten und trotzdem war mein Kopf seltsam leer. Das ging vielleicht zwei Stunden so. Zwischendurch versuchte ich Hausaufgaben zu machen – ich meine: Hausaufgaben. So richtig, nicht bloß abschreiben – versuchte das Bad zu putzen, machte es immerhin so halb, und hörte Musik übertrieben konzentriert, ehe ich genervt die Augen aufschlug, meine Kopfhörer aus meinen Ohren zog und beinahe zornig den Brief öffnete, vor mich auf den Tisch knallte und die Zahlen zornig, missbilligend anstarrte, als wäre es deren Schuld – was auch immer. Natürlich hatte ich nichts gelöscht, was unsere Korrespondenz verschriftlicht hatte. Ich schnaubte missbilligend. Dieser Arsch, dieser dumme, arrogante Arsch! Dann wählte ich stur, mit zusammengekniffenen Augen, die Nummer und lauschte dem steten Tuten. Was um Himmelswillen tat ich eigentlich? Und warum? Wenn Mokuba wirklich etwas Ernstes zugestoßen war, dann – ja, was? Ich war kein Freund von Kaiba – im Gegenteil. Wir mochten uns nicht einmal. Oder? Ich war ein schmutziges, kleines Geheimnis. Irgendwie. Ein schmutziges, kleines Geheimnis, das er geküsst hatte. Oder das ihn geküsst hatte. Dass mit ihm ein paar Mal – jedenfalls. Aber. Und – Meine Hände waren schweißnass. Fahrig wischte ich sie an meiner Hose ab, als ich das Telefon an mein Ohr hielt und unwillkürlich den Atem anhielt. Ich legte nicht auf. Vielleicht war es dumm. Vielleicht. Bestimmt. Eigentlich rechnete ich nicht einmal damit, dass er abnahm. In dem Moment hörte ich plötzlich das Klicken und dann Schweigen am anderen Ende der Leitung. Mein Herzschlag setzte einen ungesunden Augenblick lang aus. „Wheeler. Ich hatte dir doch eindrücklich gesagt, dass du jegliche Verbindung zwischen uns löschen sollst. Was genau daran hat dein unterentwickeltes Kötergehirn nicht verarbeiten können?“ Ich schwieg, starrte ohne eine hitzige Erwiderung an die Wand meines Einzimmer-Apartments, ohne ein schlagfertiges Wort, das über meine Lippen rollte, ohne das Feuer in meinen Augen. Es schien fast, als seufzte Kaiba. Oder es war mein eigenes Seufzen. „Was willst du, Wheeler?“ Leider wusste ich das immer noch nicht so genau. Ahnungslos und irrsinnigerweise die Schulter zuckend, was Kaiba natürlich nicht sehen konnte, schwieg ich weiter. Meine Gedanken überschlugen sich und gleichzeitig herrschte eine unbrauchbare Leere in meinem Kopf. Schon wieder. „Ähm –“, begann ich irgendwie dann doch stammelnd, „du, also – ich habe Nachrichten gesehen.“ Ich sah förmlich vor mir, wie er sicherlich augenblicklich seine Augenbrauen hochgezogen hatte und mir mit verächtlich-herablassendem Blick entgegen starren würde. „Und dafür möchtest du nun – was? Mein Lob? Ein Leckerli?“, fragte er ironisch und lehnte sich bestimmt nach hinten. „Nein, du Arsch“, erwiderte ich unwirsch und hatte mich endlich gefangen, „ich wollt fragen, wie es Mokuba geht.“ „Den Umständen entsprechend“, antwortete er abweisend, ich spürte, wie er eine unsichtbare Mauer hochzog, als wäre ich womöglich einer dieser elendig aufdringlichen Reporter. Ein kalter Stich in meinem Magen. Ein schmerzliches Pieksen in meinem Bauch. „Du, ich wollt dich nicht stören, sorry. Sahst halt sehr fertig aus in den Nachrichten“, meinte ich stockend, nach Worten suchend, die er nicht fehlinterpretieren konnte – und ein Kaiba konnte doch so gut wie alles. „Deswegen. Und du warst nicht in der Schule. Also – ich wollt nur wissen – wie's dir geht und so.“ „Ahja“, erwiderte er gleichgültig. Er schnaubte und ich hatte kurz das Gefühl, er würde einfach so auflegen. Aber er tat es nicht. „Also?“, hakte ich beinahe flüsternd nach, als fürchtete ich ihn durch zu laute Worte irgendwie doch dazu zu bringen. „Was?“, fragte er entnervt. „Wie geht es dir?“, fragte ich fast sanft. Es passte nicht zu uns. Aber es passte zu den Bildern, die ich in den Nachrichten gesehen hatte, es passte zu seiner protektiv-abweisenden Art, mit der er versuchte unangreifbar stark zu wirken und es hätte zu zwei Freunden gepasst, die sich seit einer langen Zeit nicht mehr persönlich gesprochen hatten. Es passte nicht zu uns. „Gut.“ Ich wusste, dass er log. Und er wusste, dass ich es wusste. Die Stille zwischen uns war keine einvernehmliche, ruhige Stille, sondern so eine, bei der einem die Ohren dröhnen, das Blut rauschte, die Anspannung die Luft verpestete und doch niemand etwas dagegen tat. Bis – „Ich bin beschäftigt, Wheeler. Die Expansion der Kaiba Corporation und unser Umzug organisieren sich nicht von alleine. Ich wünsche nicht weiter von dir belästigt zu werden.“ Er legte auf. Einfach so. ~ Wie paralysiert starrte ich auf meine Hände, zwischen denen ich mein Handy hin und her wrang, tippte zögerlich, danach hilflos, überfordert, atemlos. Dann drückte ich auf die grüne Taste, legte es an mein Ohr und atmete kontrolliert tief ein. „Ja, hallo? Joey?“ Yugis Stimme riss mich aus meiner Lethargie, stieß mich zurück in die Realität und ohne, dass ich den Gedanken vorher in meinem Kopf bewusst wahrgenommen hätte, rollten die Worte von meinen Lippen. „Er geht“, meinte ich ohne Begrüßung, ohne scheinbaren Kontext, wie ein Besoffener, der in seiner eigenen Welt taumelte. Genauso fühlte ich mich. „Wer? Was ist los, Joey?“ Ich presste die Augen zusammen, schloss sie mit einer beklemmenden Sturheit. Es war so ein Moment, in dem ich mir ungewöhnlich bewusst darüber war, dass es ein entscheidender Augenblick war. Eine Kreuzung, an der man eine bestimmte Richtung einschlagen musste und damit vielen anderen den Rücken zukehrte. Ärgerlich verzog ich meinen Mund, als ich bemerkte, dass meine Finger zitterten. Das Handy presste ich mir unwillkürlich an meine Ohrmuschel und hielt den Atem an, lauschte. Mein Herzschlag dröhnte in meinen Ohren. „Joey?“ „Er geht, Yugi. Kaiba, er – geht. Nach Amerika! Dieser Arsch!“ Ich hörte den gleichmäßigen Atem auf der anderen Seite. Stille presste sich zwischen uns, ließ meine Haut unangenehm kribbeln. Hilflosigkeit und Zorn begannen schon wieder in meinem Bauch zu brodeln. „Ja, die Kaiba Corporation expandiert doch“, meinte Yugi irgendwie nachsichtig. „Einfach so“, murmelte ich benommen und zornig und mit diesem ätzenden Gefühl im Magen. „Joey –“ Yugis Stimme brach ab, er räusperte sich, sicherlich hatte er seine helle Stirn in feine Falten gelegt. Sanft sprach er die nächsten Worte aus, behutsam: „Joey, geh und – rede mit Kaiba.“ „Aber –“ „Ich weiß nicht, was – also – was das zwischen euch ist, aber –“ Yugi seufzte. „Frage dich nur eine Sache, Joey.“ Ich hielt den Atem an, das Handy verkrampft in meiner Hand, unnachgiebig zusammenpressend zwischen meinen Fingern, die ungesund weiß hervorstachen. „Würdest du es bereuen, wenn du es nicht versucht hättest? Mit ihm zu reden oder ihm einfach – naja, tschüss zu sagen.“ In meinem Kopf wiederholten sich seine Worte wie ein leises Echo. Vielleicht ging es nur darum. Vielleicht ging es darum, endlich einzusehen, dass es zu Ende ging. Dass wir nie mehr waren, als eine Phase. „Yugi –“ Ich räusperte mich, suchte Worte, die in meinen Gedanken zerflossen, ehe sie richtige, verständliche Gestalt angenommen hatten. „Danke“, brachte ich angestrengt heraus, dann beende ich den Anruf nach einem Moment des ratlosen Schweigens. Draußen fegte der Wind um die Ecke, klopfte gegen meine Fensterscheibe. Wie betäubt lauschte ich dem Wind und meinem eigenen Herzschlag. Es schlug. Immer weiter. Und obwohl wir im Alltag kaum einen Gedanken daran verschwendeten, dass es das nicht immer tun würde, wird es das nicht immer tun. Es wird aufhören. Manchmal schmerzhaft, manchmal ganz still. Es war grotesk, aber es erinnerte mich an Kaiba und mich. Ohne einen weiteren Gedanken zu verschwenden zog ich mir die Jacke drüber, schnappte mir meinen Schlüssel und ließ die Tür hinter mir ins Schloss krachen. Yugi hatte recht. Die einzige Frage, die blieb, war: Würde ich es bereuen? - Gut 13 Jahre später. Seto Kaiba starrte bereits seit zähen fünf Minuten auf sein Smartphone, immer wieder wiederholte sich die Zahlenabfolge der Telefonnummer in seinem Kopf ohne eine Antwort auf seine unausgesprochene Frage. Die Buchstaben des Namens, der dabei aufblinkte, drängten sich in seine Gedankenbahnen und verursachten ein unkontrolliertes Chaos. Joey Wheeler. Ein verpasster Anruf. Ruhelos schritt er in seinem Büro hin und her. Eigentlich wartete das Marketing-Team im Besprechungszimmer. Aber. Seine schlanken Finger schwebten über der Taste. Nur eine kleine Bewegung und – er tat es nicht. Er konnte nicht. Er sollte es endlich vergessen. Er konnte nicht. - Joey Wheelers Füße waren eiskalt und feucht, als er sich die Turnschuhe auszog und den Rucksack in die Ecke fallen ließ, die Jacke schüttelte er sich von der Schulter, ließ sie achtlos auf den Rucksack fallen. Ein wohliges Gefühl tummelte sich in seinem Magen – ebenso eine Bratwurst, zwei Tassen Glühwein, eine Schoko-Banane und eine Zuckerwatte. Der Weihnachtsmarkt mit seinen Freunden war eine jahrelange Tradition, auf die er sich jedes Jahr freute. Er grinste breit, als er an Tristans Eskapade mit dem Glühwein dachte oder an Yugis große Augen vor dem Stand mit den selbstgeschnitzten Spielfiguren. Wie nebenbei kramte er sein Handy aus der Hosentasche hervor, warf einen kurzen Blick auf den Bildschirm. Augenblicklich erstarrte er als er den Namen las. Seto Kaiba. Ein verpasster Anruf. Eiskalte Wellen durchströmten seinen Körper, wie feine Stiche. Er hörte das Blut in seinen Ohren rauschen. Seine Hände zitterten, seine Finger waren schwer und taub. Joey Wheelers Gedanken rasten und sein Kopf war leer gefegt. Er sollte ihn endlich vergessen. Endgültig. Trotz allem. Deswegen. Aber. Seine schlanken Finger schwebten über der Taste. Nur eine kleine Bewegung und – er tat es nicht. Er konnte nicht. Er hatte doch so tun wollen, als hätten sie nie miteinander geschlafen, als hätte er ihn nie geküsst. Er hatte ihn endlich vergessen wollen. Als hätte Seto Kaiba ihn nie aus seinem Leben gestrichen. Als hätte er ihn nie angerufen. Er konnte nicht. - Die plötzliche Stille nach den Freizeichen ließ seinen Herzschlag augenblicklich aussetzen. Blackout. Taubheit breitete sich in seinem Mund aus, machte seine Zunge schwer, seinen Hals trocken. Er hörte seinen eigenen schweren Atem. Doch als er seine Stimme hörte, war es ein Gefühl, das er nicht benennen konnte, das ihn durchfuhr, in seinen Ohren rauschte, ihm unwillkürlich den Atem stocken ließ. „Joey“, sagte er nur und schwieg dann wieder. „Wolltest du nicht so tun, als hätte ich nicht angerufen?“, fragte Kaiba kühl, aber sanft, so fremd und doch vertraut, provozierend, aber auch besänftigend, ironisch, aber auch ehrlich. „Und du?“ Endlich hatte er seine Stimme wiedergefunden, seine Gedanken stolperten, aber leise fragte er, die Frage, die entscheidend war, die Frage, die übrig blieb, nach all der Zeit, das Kribbeln in seinem Magen stur, mit zusammengepressten Lippen ignorierend: „Bereust du es?“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)