Einsteins Goldfisch oder: Vom Kamel, das durch ein Nadelöhr ging von Ixtli ================================================================================ Optimale Distanz oder: Du Idiot ------------------------------- Julius wartete noch eine Weile. Er sah hinüber zum Aquarium, in dem Einstein und seine neuen Kumpel ein Wettschwimmen durch die Pflanzen veranstalteten. War er wirklich dabei gewesen, sich selbst zu belügen, wie Max ihm vorgeworfen hatte? Julius sah zur offenen Zimmertür hinüber, doch Max kam nicht mehr zurück, was Julius sagte, dass das Gespräch wohl beendet war. "Oh, Hallo! Du bist schon hier?", wurde Julius von Kerstin begrüßt, die in dem Moment zur Haustür hereinkam, als Julius die Treppe ins Erdgeschoss hinabstieg. "Ja, ich hatte noch etwas zu erledigen und war früher damit fertig." Und weiter ging es mit den Ausreden... Hoffentlich wurde er jetzt nicht rot. "Das ist gut", Kerstin hing ihre Jacke an die Garderobe und bedeutete Julius, ihr in die Küche zu folgen. Julius schüttelte verneinend den Kopf, als ihm Kerstin einen Kaffee anbot. "Nina und die Kinder sind auch gleich zurück", setzte Kerstin ihr begonnenes Gespräch fort. Sie lehnte sich gegen den Küchenschrank und sah zu Julius, der ihr gegenüber am Küchentisch Platz genommen hatte. "Wir könnten das Teamgespräch vorverlegen, wenn du nichts dagegen hast. Es gibt da ein paar Themen, die wir dringend besprechen müssten." Julius gab sich Mühe, den Schreck, der ihm bei Kerstins Worten in den Magen gefahren war, zu unterdrücken. "Welche Themen denn?", fragte er schließlich und hoffte, dass Kerstin das Schwanken in seiner Stimme nicht bemerkte. "Weihnachten hauptsächlich", Kerstin goss Milch in ihren Kaffee und nahm einen vorsichtigen Schluck davon. "Und-" Julius wurde immer nervöser, je länger Kerstin das Gespräch hinauszuog. "Und Max", beendete Kerstin den Satz. Sie sah verwundert zu Julius, der kurz die Augen aufriss, sich dann aber wieder fing. "Okay", sagte Julius schließlich und schluckte. Ausgerechnet Max... Das Gespräch verlief nicht so, wie Julius befürchtet hatte. Zuerst ging es eigentlich nur um die Aktivitäten an Weihnachten und einen Ausflug, den man jedes Jahr mit den Kindern veranstaltete, die nicht nach Hause fuhren. Dabei kam Julius auch die Idee, dass der Ausflug die Gelegenheit war, die Strategie mit der optimalen Distanz anzupacken, nachdem er mit seiner immer mit der Ruhe-Strategie ja kläglich gescheitert war. Und er wusste auch schon, wie er das umsetzen konnte, ohne dass Max Verdacht schöpfte, dass da etwas faul ist, oder andere – Julius – sich dabei ertappt fühlen konnten, dass das stimmen könnte. Und dann kam das Thema auf Max zu sprechen und Julius sah sich wieder mit Sachen konfrontiert, die er hatte vermeiden wollen. Hätte er doch bloß nicht gefragt... Max war der erste von ihnen, der im kommenden Frühjahr aus der Gruppe ausziehen würde. Was eigentlich eine gute Nachricht war – zum einen für Max, weil er endlich die Selbständigkeit bekam, die er sich wünschte, und zum anderen war es für die Gruppe ein ebensolcher Erfolg, weil es bewies, dass das Konzept funktioniert hatte. Max, der an seinem Schreibtisch saß und wieder für die Führerscheinprüfung lernte, hob den Kopf, als er die Kieselsteine vor dem Haus knirschen hörte. Er sah aus dem Fenster und musste zweimal hinsehen. Julius trug seine Laufkleidung und war gerade dabei den üblichen Weg entlangzujoggen. Nicht ungewöhnlich für Julius, aber ungewöhnlich, weil es nicht seine übliche Zeit war. Julius lief morgens noch vor dem Frühstück, statt wie jetzt, abends. Irgendetwas sagte Max, dass Julius nicht alleine der Kondition wegen lief. Er grinste und wandte sich wieder seinen Prüfungsfragen zu. Schon nach hundert Metern bekam Julius ein schmerzhaftes Ziehen in die Seite. So unkonzentriert wie heute war er noch nie gelaufen. Julius verlangsamte seine Schritte, bis daraus ein Gehen geworden war. Nicht der Sinn, den das Joggen sonst für ihn gehabt hatte. Aber das Teamgespräch hatte ihm zu schaffen gemacht, wie er zugeben musste. Weniger das Weihnachtsthema, sondern etwas, was mit Max zusammenhing. Julius spazierte nun langsam Richtung Wald und dachte über den Ausgang des Teamgesprächs nach und darüber, welchen Einfluss es ab sofort auf ihr Miteinander haben würde. Julius hatte Mitleid bekommen. Mitleid war schlecht. Mitgefühl ging in Ordnung, weil es hilfreich war, aber Mitleid verwischte die Grenzen zwischen hilfreicher Objektivität und dem, was in Julius zu nagen begann und daran schuld war, dass ihm diese Objektivität langsam aber sicher aus den Händen glitt: er wusste jetzt, warum Max vor Jahren in die Gruppe gekommen war und er hatte keine Ahnung, wie er Max jetzt noch möglichst neutral gegenübertreten sollte. Das Stechen in seiner Seite hatte aufgehört und Julius beschleunigte seine Schritte wieder. Weihnachten war ganz in Ordnung gewesen, wie Max fand. In seiner Vorstellung hatte es schlimmer ausgesehen. Immerhin hatte er es sogar geschafft, Julius ein Geschenk zu geben, das dieser, anders als befürchtet, auch angenommen hatte. Und er hatte auch eines zurück bekommen, das er seitdem hütete, als wäre es das Wertvollste, was er je besessen hatte; was es auch war – für ihn. Und er kannte die Bedeutung des Geschenks, die Julius absichtlich oder unabsichtlich beim Aussuchen nach eben diesem Geschenk hatte greifen lassen. Das wirklich Schlimme kam aber erst mit der Woche nach Weihnachten, in der die drei Unglücksraben, die immer in der Gruppe blieben, mitsamt Nina, Kerstin und Julius in die Ferien fuhren und sich am Tag der Abreise herausstellte, dass Julius nicht mitkam. Und Max war offenbar der Letzte, der davon erfuhr, denn außer ihm schien es niemanden zu überraschen. "Brauchst du nicht auch Gepäck?", fragte Max Julius, der ihnen beim Einräumen der Koffer und Taschen half. "Ich fahre nicht mit", war Julius' bedächtig gewählte Antwort. Er hielt Max' forschenden Blicken nicht lange stand und griff sich kurzerhand einfach den nächsten Koffer. "Mein Magen – ich habe ihn mir wohl verdorben..." "Sag bloß..." Max wuchtete seine Reisetasche, nach der Julius gerade griff, selbst in den Kofferraum. "Und mit was? Ananas?" Julius überhörte großzügig den Spott. Er schloss den Kofferraum und drehte sich dann Max zu, der neben dem Auto stand und ihn keine Sekunde aus den Augen ließ. "Schöne Ferien", sagte Julius zu Max und trat einen Schritt vom Auto weg. Ohne etwas zu erwidern und mit versteinerter Miene bestieg Max das bestellte Großraumtaxi. Nachdem alle auf ihren Plätzen saßen, alle Türen geschlossen waren und der Motor angelassen wurde, musste jemand den Verschluss für die Schleuse in Max' Innerem gefunden und zugedreht haben, die seit Julius' Vorschlag, den Kuss und das Wochenende zu vergessen, offen gestanden hatte, denn er spürte, wie sich Enttäuschung und Traurigkeit in seinem Bauch zu sammeln begannen, bis er das Gefühl hatte, gleich überzulaufen. So lange sie so hatten tun können, als wären der Freitag, der Samstag und der Sonntag ihr Geheimnis – denn über etwas kein Wort zu verlieren, war ein Geheimnis, meinte Max –, war alles in einer seltsamen Art in Ordnung gewesen, aber mit diesem Entschluss hatte Julius Max nun indirekt zu verstehen gegeben, dass er den Kuss und alles, was danach an diesem Wochenende geschehen war, bedauerte. Julius versuchte, Max' schockierte Blicke beiseite zu schieben, als das Taxi vom Hof fuhr. Er hätte es ihm früher sagen können, aber er war sich auch sicher, dass alles, was er gesagt hätte, wie eine Ausrede geklungen hätte, auch wenn es ehrlich gemeint war. So ist es besser, sprach sich Julius selbst Mut zu. Er drehte sich zum Haus um und verbannte Max' enttäuschtes Gesicht aus seiner Erinnerung, was ihm mehr als schwer fiel. Aber nur so funktionierte Optimale Distanz. Still saß Max auf seinem Platz und ließ die winterlich kahle Landschaft draußen an sich vorbeiziehen. Und während Nina und Kerstin ihre Pläne für die Fahrt durchgingen, verbrüderten sich in Max' Innerem diejenigen, die sich der Stimme enthalten hatten mit der Resignation und zusammen traten sie der Vernunft in den Hintern. Julius saß am Schreibtisch des gemeinschaftlichen Büros und heftete Papiere ab, denen er keine weitere Beachtung mehr schenkte. Er tat das ohnehin nur, um sich vom Nachdenken abzuhalten. Lange funktionierte das natürlich nicht und immer mal wieder gingen seine Blicke durch das Fenster nach draußen, wo dicke Schneeflocken wie weiße Federn zu Boden taumelten. Irgendwann waren ihm kurz nach der Abreise der Gruppe Einstein und seine neuen Freunde eingefallen und er hatte beschlossen, nach ihnen zu sehen, obwohl er sich komisch vorgekommen war, Max' Zimmer zu betreten. Er hatte es sogar geschafft Max' Zimmer zu betreten, obwohl er sich komisch vorgekommen war, es zu tun, ohne dass der davon wusste. Der Filter summte leise vor sich hin und vermischte sich mit dem Plätschern des Wassers, das ständig durchlief. Das Aquariumlicht war ausgeschaltet. Zeitschaltuhr, dachte Julius. Er schaltete die Lampe auf Max' Schreibtisch ein und guckte sich das Aquarium genauer an. Die Fische schwammen träge in dem Glaskasten hin und her. An der Seite kroch eine Schnecke behäbig die Scheibe hinauf und aus dem rechten Auge eines Plastiktotenkopfes linste ein neugieriger Goldfische hervor. Es war der Orange-Rote. Das musste Einstein sein, wenn er das noch richtig in Erinnerung hatte, dachte sich Julius. Mittlerweile wusste er auch, warum Max den Fisch ausgerechnet Einstein getauft hatte: wegen des Goldfisch-Rätsels, bei dem es darum ging, herauszufinden, zu welcher Person und zu welchem Haus der Goldfisch gehörte. Weil Max wohl auch wie der Goldfisch war, der sich fragte, wo er wohl hingehörte. Der Max-Fisch kam angeschwommen und in seinem Schlepptau war der Julius-Fisch, der wohl gar nicht mehr so schüchtern war wie an dem Tag, als sie hier eingezogen waren. Julius schüttelte leicht den Kopf. "Kannst du nicht alleine schwimmen?", schimpft er mit dem Julius-Fisch, der davon unbeeindruckt weiterhin seelenruhig dem Max-Fisch folgte. Selbst wenn das mit den Namen nur ein Witz gewesen war – dessen er sich gerade gar nicht sicher war – bekam er sie einfach nicht mehr aus dem Kopf. Triumphierend schwammen die beiden vor Julius' Nase entlang. Julius seufzte. Statt den Futterflocken oder den Sticks klemmte an der rückseitigen Scheibe ein einige Zentimeter großer Block aus gepresstem Fischfutter, an dem sich die Fische bedienen konnten, wann sie wollten. Hoffentlich hatte Max Frau Wagner, die in zwei Tagen hier auftauchen wollte, Bescheid gesagt, das Aquarium sauber zu halten. Eine Woche ohne Pflege hielten die Fische sicher nicht aus, und damit, dass Julius hierblieb, konnte er nicht gerechnet haben. Und nach dem schockierten Gesicht zu urteilen, das Max gemacht hatte, als ihm Julius gestanden hatte, nicht mitzufahren, hatte er definitiv damit gerechnet, dass Julius mitkam. Vermutlich hatte sich Max auf die Zeit gefreut, die sie außerhalb der Gruppe gehabt hätten. Nur Julius hatte sich nicht darauf gefreut. Julius schüttelte den Kopf, als könnte er den Gedanken an Max so loswerden. Er ignorierte den Max-Fisch, der nahe an der Scheibe schwamm und nach draußen zu Julius glotzte. Demonstrativ wandte sich Julius ab und entdeckte einige selbstklebende Zettel, die an der von den Regalwänden halb verdeckten Seite des Aquariums klebten. Vermutlich Anweisungen, die etwas mit den Fischen zu tun hatten, dachte Julius. Er zog einen der Zettel ab und las stumm, was darauf stand Es war der Name eines der Fische einschließlich seines Ankunfts-Datums, mitsamt einem kleinen hingekritzelten Bild. Zu jedem Fisch gab es einen solchen Zettel, wie Julius gleich darauf feststellte, nachdem er die anderen Zettel abgezogen und gelesen hatte. Bis auf den gefleckten Max- und den gestreiften Julius-Fisch, die einen gemeinsamen Zettel und ein gemeinsames Bild teilten, auf dem sie wie ihre echten Vorbilder nebeneinander her schwammen - und sich außerdem auch noch an den Flossen hielten... Julius' erster erschrockener Reflex war, den Zettel 'verschwinden' zu lassen, dann aber musste er über die Bildchen lachen. Er hing den Zettel zurück an seinen alten Platz und erhob sich. Julius wollte schon die Schreibtischlampe ausschalten, als er sich doch noch einmal umsah. Er drehte ein Buch, das mitten auf dem Schreibtisch lag um und las, was auf dem Buchrücken stand. Dann fielen seine Blicke auf das Weihnachtsgeschenk, das er Max am Heiligabend gegeben hatte. Er würde Max' Blicke wohl nie mehr vergessen, als der realisiert hatte, dass Julius ihm tatsächlich etwas schenkte. Schmunzelnd blätterte Julius durch den Kalender mit den schwarzen Seiten, bei dem man die kreisförmigen Tage herausdrücken musste. Darunter kam dann auf buntem Papier der jeweilige Tag zum Vorschein. Neugierig blätterte Julius weiter. Die Januar-Seite war schwarz, obwohl schon drei Tage vergangen waren. Er blätterte weiter bis zu dem Monat vor, von dem er hoffte, dass Max den Wink mit dem Kalender verstanden hatte. Hatte er auch, wie Julius sah, als er den April aufklappte. Max hatte aus den ganzen Tagen des Monats schon einige herausgedrückt, so dass Julius nun ein Smiley entgegen grinste. Zwei Augen und ein mit nach oben gebogenem Mund. Julius musste unwillkürlich lachen. Er hatte zwar für alle Kinder und auch für Nina und Kerstin etwas gehabt, doch das Geschenk für Max war, ohne dass er sich dessen damals bewusst gewesen wäre, anders. Es war egoistisch. Er hatte nicht einfach im Geschäft gestanden und schnell irgendeinen Schnickschnack aus einem der überladenen Regale genommen, sondern hatte eine Ewigkeit vor dem Regal gestanden und überlegt, ob das, was ihm als erstes in den Sinn gekommen war, auch angemessen war, ob sich Max darüber freute, wenn er es bekam. Und es war ihm wichtig gewesen, dass Max verstand, was er da bekommen hatte. Was Max wohl hatte, wenn er sich das lachende Gesicht ansah. "Du Idiot", murmelte Julius. Er war wirklich ein Idiot, ohne es zu merken. Er tat genau das, was Max ihm vorgeworfen und was er selbst dann abgestritten hatte. Er analysierte alles, was Max tat oder sagte. Egal, wie klein die Mücke auch war, Julius suchte beharrlich den Elefanten dahinter. Eigentlich hatte er mit einer größeren Erleichterung gerechnet, sobald Max weg war, doch das Gegenteil war der Fall. Ernüchtert schaltete Julius das Licht aus und ging zurück ins Büro. Den gelben Klebezettel in seiner Hand, auf dem zwei Fische flossenhaltend schwammen, und den er in einem von seinem Verstand unbeobachteten Moment von der Aquariumscheibe genommen hatte, steckte er sorgsam zwischen die Blätter seines Terminplaners. Als es endlich dunkel wurde, hörte er auf, die Unterlagen mit dem Locher, dem Tacker und dem Klebstreifen zu malträtieren. Aber eigentlich versuchte er mit jedem Hieb auf den Tacker nur die Gedanken an Max zu vertreiben, an dessen Familie und die Lebensumstände, wegen denen man Max schließlich nach langem Hin und Her dort rausgeholt hatte. Jetzt erklärte sich so einiges. Vor allem, warum Max so schrecklich penibel war, was sein Zimmer anging. Nichts, wirklich gar nichts hatte dort am falschen Platz gelegen. Die Vorhänge waren glattgezogen, der Boden sauber und seine sparsamen Habseligkeiten waren ordentlich weggeräumt. Nicht einmal Julius schaffte es, so pedantisch zu sein, obwohl er laut Simon schon einen Tick hatte. Doch selbst bei ihm stand irgendwann mal etwas herum und seien es auch nur ein paar getragene Kleider. Aber er hatte ja auch nicht mit Mutter und altem, gebrechlichem Opa jahrelang in einem Haus leben müssen, in dem es nur einen Fußbreiten Weg durch meterhoch aufgetürmten Müll gegeben hatte. In seinem Zimmer hatten keine Ratten ihre Nester gehabt und er hatte nie Angst haben müssen, dass im Schlaf unzählige Insekten über ihn hinwegkrabbeln würden. Und er hatte nie lieber tagelang draußen auf der Straße verbracht, statt zuhause, wo ihn Dreck und Gestank erwarteten. Das leere Gefühl kehrte in Julius' Magen zurück, als er an das Teamgespräch dachte, bei dem er sich arglos nach Max' Vorgeschichte erkundigt hatte und ihm Nina alles erklärt hatte. Und eigentlich war es nicht das, was er wollte. Max war unterwegs und hatte vielleicht sogar Spaß. 'Lügner', dachte Julius beschämt. Julius packte die Papiere weg, löschte das Licht im Büro und ging hinüber in die Küche, um sich etwas zu essen zu machen. Julius platzierte sein Brot auf einem Teller und wartete, bis der Wasserkocher fertig mit dem Erhitzen seines Teewassers war. Der Teebeutel sank, eine dunkelrote Spur hinter sich herziehend, im heißen Wasser auf den Grund der Tasse. Ein Blick auf die Uhr sagte Julius, dass die Truppe mittlerweile fast an ihrem Ziel sein musste. Nina wollte sich melden, um Bescheid zu geben, dass sie angekommen waren und sich gleichzeitig nach seinem Magen erkundigen – dem es übrigens sehr gut ging, dachte Julius beschämt. Ein paar hell erleuchteter Scheinwerfer kündigten ein Auto an, das in die Einfahrt des Bauernhofes einbog und vor der Haustür zum Stehen kam. Julius, der niemanden erwartete, ging zur Tür und öffnete sie. Der Motor des Taxis erstarb und im gleichen Moment öffnete sich die Beifahrertür. Heraus stieg Nina, die Julius mit einem zögerlichem Lächeln begrüßte. "Hallo, tut mir leid, wenn ich dich erschreckt habe, aber wir hatten auf halber Strecke einen Notfall." "Einen Notfall?" Alarmiert horchte Julius auf. "Ja." Nina nickte zum Heck des Taxis, wo sich eine der hinteren Türen öffnete und Max ausstieg. "Ihm wurde während der Fahrt schlecht und wir mussten anhalten." Julius verschränkte die Arme vor seiner Brust. "So", murmelte er leise vor sich hin und sah Max dabei zu, wie er zum Kofferraum ging und seine Tasche herausholte. Neben Julius stellte Max seine Tasche ab. "Ich muss mich wohl bei dir angesteckt haben", log Max scheinheilig und ohne dabei rot zu werden. Julius schüttelte kaum merklich mit seinem Kopf. Er konnte Nina nicht einmal sagen, was wirklich mit Max los war, ohne sich dabei nicht selbst zu verraten. Da hatte er sich mit seiner eigenen Lüge ja ganz schön in die Nesseln gesetzt. "Ähm, ich hätte da eine Frage an dich." Julius löste seine Blicke langsam von Max, der sich das triumphierende Grinsen verbeißen musste. Er wandte sich Nina zu, die nervös an ihrem Batikschal zupfte. "Könnte ich ihn hier bei dir lassen?" "Natürlich", erwiderte Julius, der zu Max hin blickte, der, von Nina ungesehen, nun endlich die Kontrolle über seine Mundwinkel verlor und breit grinste. Nina schien noch nicht überzeugt zu sein. "Wirklich? Aber nur, wenn du das schaffst. Wenn du etwas anderes vorhattest, wenn du zu dir nach Hause wolltest, sag es mir bitte, dann werden wir schon eine andere Lösung finden." "Nein, nein", Julius hob abwehrend eine Hand. "Ich muss ja selbst noch meinen Magen auskurieren." Sein Gesicht kribbelte, als ihm das Blut in die Wangen zu steigen begann. Eine Lüge zog die nächste gleich hinter sich her, wie man so schön sagte. "Außerdem soll es heute Nacht noch schneien." Das war zumindest keine Lüge. "Vielen, vielen Dank, Julius!" Nina wollte Julius umarmen, besann sich aber, da sie sich nicht auch noch anstecken wollte, und lächelte ihn stattdessen nur dankbar an. Sie wandte sich Max zu und sah ihn eindringlich an. "Max, benimm dich bitte, ja, und wenn es euch bis übermorgen nicht besser geht, dann fahrt ihr zum Arzt, verstanden?" "Machen wir", antwortete Max pflichtbewusst für sich und Julius, der ihn mit säuerlicher Miene beobachtete. Endlich war Nina überzeugt, alles ihr Mögliche getan zu haben. Sie winkte den beiden 'Patienten' zu und öffnete die Beifahrertür des Taxis. "Zum Bahnhof, bitte", wies sie den Fahrer an und schloss die Tür. Der Schnee knirschte unter den Rädern des Autos, als es vorsichtig wendete und im Anschluss langsam vom Hof fuhr. "Das war hinterhältig", brummelte Julius leise. "Danke, gleichfalls", erwiderte Max gutgelaunt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)