Epitaph von Newt (Five Stages of Grief) ================================================================================ Stage 3: Bargaining ------------------- Der Schuss durchbrach das stetige Rauschen des Regens und die Hirnmasse der untoten Kreatur benetzte das umstehende Gebüsch. Ein letztes, gurgelndes Röcheln entkam dem fauligen Mund, vermutlich eher mechanischer, denn willentlicher Art, und dann war Lane wieder alleine mit dem Pfeifen des Windes und dem feuchten Rascheln des Waldes. Er näherte sich dem grotesken Haufen verfaulter Gliedmaßen und stieß ihn einmal prüfend mit dem Fuß an. Diese verdammten Drecksviecher waren zäher, als man annehmen mochte, und es war niemals verkehrt, sich zu vergewissern, ob sie dieses Mal auch wirklich tot blieben. Routiniert prüfte Lane das Trommelmagazin seines Gewehrs. Es war immer besser, einen genauen Überblick über die Munition zu haben, anstatt es später zu bereuen, wenn es brenzlig wurde und keine Zeit zum Nachladen blieb. Als guter Demokrat hatte Lane jahrelang nur Verachtung für die Rednecks und Hillybillys aufgebracht, die auf ihr gutes Recht pochten, mit dem gut gefüllten Inhalt ihres privaten Waffenschrankes ihren Vorgarten zu verteidigen. Doch wenn eines dieser faulenden und stinkenden Biester auf einen zugehumpelt kam, so hatte er im Laufe des letzten Jahres bitter lernen müssen, waren moralische Wertvorstellungen relativ und ein Gewehr weitaus effektiver als Diplomatie. Lane schulterte schließlich sein Gewehr und wandte sich von dem erlegten Zombie ab, um sich auf den Rückweg zu machen. Jetzt, Anfang Dezember, waren die Tage kurz und die Dunkelheit überraschte einen manchmal schneller, als einem lieb war. Bis jetzt waren sie vom Schnee verschont geblieben, was vermutlich der Nähe zum Meer geschuldet war, aber es wurde dennoch immer schwieriger, Nahrung und Medikamente aufzutreiben. Auf seinen Streifzügen stieß er immer häufiger auch auf die Untoten, eine beunruhigende Entwicklung, die ihn so manches Mal doch wünschen ließ, ein gewaltiger Schneesturm würde über Owl’s Head hinweg ziehen und diese Drecksviecher einfach unter sich begraben. Er traf beim Leuchtturm ein, noch bevor die Sonne ganz hinter dem Horizont versunken war, und stieß beim Eingang auf Grace, die das warme Innere verlassen hatte, um unter dem Vordach geschützt vor dem Regen eine Zigarette zu rauchen. „Und, Erfolg gehabt?“ Grace war einmal eine schöne Frau gewesen, doch ihr Gesicht war blass und abgespannt und zeigte kaum mehr eine Spur der kämpferischen Karrierefrau, die sie in einem scheinbar völlig anderen Leben einmal gewesen war. Das traf auf die eine oder andere Art vermutlich auf jeden von ihnen zu. Wortlos reichte er der Brünetten den Rucksack, den er geschultert trug. Viel hatte er unten im Dorf nicht erbeuten können. Schon vor der Katastrophe war Owl’s Head ein kleines Nest gewesen, und was sie für die Überwinterung benötigten, hatten sie längst im Leuchtturm gebunkert. Das Problem waren die Medikamente. Vermutlich würde er sich baldmöglichst ein Fahrzeug besorgen und einen längeren Trip in die umliegenden Städte machen müssen. „Wie geht es ihm?“, fragte Lane leise und ließ sich von Grace einen Zug ihrer Zigarette abgeben. „Wie soll es ihm schon gehen?“ Die Angesprochene zuckte ein wenig mit den Schultern und ein kleines, erstes Lächeln legte sich auf ihre Züge. „Er liest sich durch die Bücher, die du ihm letztes Mal mitgebracht hast. Und er kommandiert mich schon wieder herum.“ Das brachte Lane zum Lachen. „Dann kann es so schlimm ja nicht mehr sein, was?“ Er nickte Grace noch einmal zu und begab sich dann durch die schwere, metallene Eingangstür in das Innere des Leuchtturms. Angenehme Wärme empfing seine verfrorenen Gliedmaßen, die ihren Ursprung in dem kleinen Ofen hatte, der wohl irgendwann einmal dazu gedient hatte, den hier ansässigen Leuchtturmwärter bei seiner Nachtwache etwas Wärme zu spenden, bevor der Turm zur Touristenattraktion umfunktioniert worden war. Es war im Grunde verschwenderisch, den Ofen Tag und Nacht mit Holz zu füttern, doch ohne Elektrizität war dies ihre einzige Chance, das raue Klima  im Winter lebend zu überstehen. Beim Eintreten fiel Lanes Blick unweigerlich auf das kleine Feldbett, dass sie damals aus einem der verlassenen Häuser im Dorf hier herauf geschafft hatten. Adrian hatte einige Kissen in seinen Rücken gestopft und las scheinbar sehr interessiert in einem Buch mit buntem Einband, dessen Titel Lane erst erkennen konnte, als er näher an das Bett herangetreten war. Er schnaufte leise. „Die tollkühnen Abenteuer des Westernschurken Riley James? Ernsthaft?“ Adrian sah von seiner Lektüre auf und ein beinahe verschmitzter Ausdruck blitzte in seinen dunklen Augen auf. „Du wirst es nicht glauben, aber daraus kann man wirklich noch etwas lernen.“ „Ja, vermutlich, dass ein bescheuerter Hut einen zum Meisterschützen macht.“ Sein trockener Kommentar brachte Adrian zum Lachen, doch er verzog gleich darauf leicht schmerzhaft das Gesicht, sodass Lane sich auf der Bettkante niederließ und einen prüfenden Blick auf den Verband warf, der Adrians linken Arm von der Ellenbeuge bis hin zum Handgelenk bedeckte. „Die Entzündung ist immer noch nicht besser geworden? Trotz der Antibiotika?“ „Doch, ich denke schon, dass die Antibiotika den Prozess zumindest etwas verlangsamen.“ Das Lächeln war aus Adrians Gesicht verschwunden und hatte stattdessen einem nachdenklichen Ausdruck Platz gemacht. Vorsichtig und mit der Unterstützung seiner gesunden Hand winkelte er den Arm ein wenig an, sodass seine Finger im rötlichen Schein des Feuers sichtbar wurden. Sie sprachen es nicht aus, doch Lane wusste, dass Adrian mittlerweile nicht mehr in der Lage war, seine Fingerglieder zu bewegen. Die Haut seiner Hand war grau, seine Nägel bläulich und rissig, als ob ihm jegliches Leben aus dem Arm gezogen worden wäre. Es gab Nächte, in denen Lane wach lag und auf das leise, qualvolle Stöhnen aus Adrians Krankenbett hörte, unfähig, etwas zu unternehmen, um den Zustand seines Freundes zu erleichtern. Nächte, in denen das Fieber so stark wurde, dass er nicht von Adrians Seite wich, aus Angst, der andere Mann würde die Krankheit nicht überleben. Einen Gedanken daran, was danach passieren würde, erlaubte sich Lane gar nicht erst, denn das hätte ihn vermutlich den letzten Rest seines Verstandes und seiner Selbstbeherrschung gekostet. „Das ist gut“, antwortete er verspätet und ein wenig hohl, „Vielleicht… bildet es sich ja zurück, wenn du die Medikamente nur lang genug nimmst.“  Sie hatten darüber gesprochen, den Arm nach dem Biss des Zombies zu amputieren. Doch keiner von ihnen verfügte über das nötige medizinische Wissen, noch hatten sie die richtige Ausrüstung, um so einen Eingriff zu wagen. Und vielleicht hatten sie ja trotz allem immer noch gehofft, dass alles einfach so gut werden würde. Dass der rasant voranschreitende schlechte Zustand und die überall an Adrians Körper auftretenden Abszesse mit der Zeit verschwinden würden. „Lane.“ Erst, als Adrians Stimme an sein Bewusstsein drang, realisierte der  Angesprochene, dass er abwesend ins Leere gestarrt hatte, und blickte hastig auf. „Sorry, was?“ Adrian schenkte ihm ein nachsichtiges Lächeln. „Ich sagte, dass du sicherlich keinen bescheuerten Hut brauchen wirst, um mir aus nächster Nähe einen Kopfschuss zu verpassen, wenn es soweit ist, oder?“ Für einen Moment war es vollkommen still, während Lane seinen Freund vollkommen entgeistert anstarrte. Dann trat ein entschlossener Ausdruck auf seine Züge, er biss grimmig die Zähne zusammen und umfasste die kalten, grauen Finger seines Freundes mit seinen. „Einen Scheißdreck werde ich tun.“  Er hatte bereits Lee verloren. Adrian würde er nicht verlieren. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)