Fegefeuer von abgemeldet (Zwischen Hölle und Hölle II) ================================================================================ | fünf | Schweigen ist Gold. War das nicht so ein ganz berühmtes Sprichwort aus dem Orient? Und hatten das nicht schon viele bedeutsame Menschen im Laufe ihres Lebens gesagt? Zumindest meine Großeltern hatten es sehr häufig beiläufig in den Raum geworfen, wenn meine Geschwister und ich mal wieder viel zu laut waren und uns quer durchs Haus stritten. Sie waren aber auch selbst schuld daran, wer gab schon drei Kindern zwei Lutscher und sagte dann, die sollen untereinander aufgeteilt werden?! Natürlich ging ich meistens leer aus. Ich war der Jüngste. Und der Kleinste. Und der Schwächste. Und wenn ich doch mal protestierte, kam sofort meine Großmutter und meinte, ich solle ruhig sein. Unfair. Zurück zum Thema. Ich kannte noch jemanden, auf den dieses Sprichwort sehr gut passte. Er saß neben mir, klammerte sich mit Grand-Canyon-Falten auf der Stirn ans Lenkrad und wurde feucht unter den Achseln, wenn jemand etwas sagte. Autofahren war immer noch genauso langweilig wie damals, wenn Reita fuhr. Eigentlich hatte Uruha den Rückweg bewältigen wollen, doch unser Bassist war strikt dagegen gewesen. Auch bei Kai hatte er nicht zugestimmt, da ihm der Leader zu müde und nachdenklich erschien nach dem langen Gespräch mit dem Management. Und Reita wollte doch unbedingt nach Hause, weil er schon wieder aufs Klo musste. Also fuhr er selbst. »Also ist dann zuerst das Fotoshooting und dann das Interview dran?«, drang Rukis leise Stimme von hinten an mein Ohr. »Nein, andersherum. Zuerst das Shooting und im Anschluss das Interview mit diesem Magazin. Sakai-san meinte, dass die vielleicht auch noch ein paar Bilder machen wollen, deswegen sollen wir mit den Outfits dahinfahren.« »Kai! Ich geh garantiert nicht mit Strapse raus!«, zischte Uruha dem in der Mitte sitzenden Leader zu. »Nicht mal den Weg über den Parkplatz!« »Beruhig dich, Diva, den Parkplatz kann von außen niemand einsehen, da ist doch eine Mauer drumherum.« »Aber es ist kalt draußen, du blöder Zwerg!« »Dann zieh dir was drüber!« »Und was?« »Die lange Angoraunterhose war doch sexy.« »Zwerg!« »Uruha!« »Diva!« »Schnauze!« Erschrocken sah ich nach rechts. Reita starrte wütend nach vorn und verkrampfte immer wieder seine Finger. Besorgt stellte ich fest, dass er nur noch stoßweise atmete und rot anlief. »Rei?«, fragte ich vorsichtig. »Guck nach vorn!« »Aber …« »Nach vorn, verdammte Hacke!« ♦ Ich hatte ein Problem. Ein großes Problem. Es lag halb auf meinem Schoß und schnarchte leise. Und das, wo ich doch zu Uruha musste! Wir hatten nach dem Abendessen abgemacht, dass wir warten würden, bis Kai in seinem Zimmer verschwunden und Reita bei seinen Serien eingeschlafen war, und nun war der perfekte Moment da und mir fiel wieder ein, dass mein Freund einen sehr leichten Schlaf hatte auf dem Sofa. Und nur da. Im Bett konnte man ihn schütteln, wie man wollte, er wachte nie auf. Er musste einen inneren Sensor haben, der ihm sagte, wann es für ihn besser war weiterzuschlafen. Zumindest in seiner Vorstellung. So vorsichtig wie möglich schob ich meine Arme unter seinen warmen, entspannten Körper, der sich so unglaublich schwer anfühlte, dass ich fast davon überzeugt war, dass er zugenommen hatte. Immer in den Momenten, in denen man ihn mal hochheben musste! Ächzend schob ich meine Arme weiter, bis meine Fingerspitzen seinen Oberarm berührten. Dann stemmte ich ihn hoch. Und jetzt? Nun hatte ich zwar seinen Oberkörper einige Zentimeter angehoben, aber so kam ich doch trotzdem nicht hier weg! Stirnrunzelnd sah ich auf meine Ladung hinab. Ich konnte ja schlecht unter ihm hindurchkrabbeln, ohne meine Arme dabei wegzunehmen. Normalerweise schob ich einen Arm unter seinen Rücken und einen unter seine Beine, weil ich ihn dann sowieso ins Bett brachte, aber jetzt war ich irgendwie überfordert. Oft wachte er dabei auf und blinzelte mich an, schlief aber sofort wieder ein, wenn er bemerkte, dass ich ihn nur ins Zimmer brachte. Heute würde er garantiert hellwach werden und fragen, was ich vorhatte. So war es doch immer! Lautlos seufzend zog ich einen Arm wieder zurück. Reita kicherte im Schlaf, als ich dabei seinen Ellbogen berührte. Er hatte wirklich seltsame kitzelige Stellen. Für ihn war es ein Beweis dafür, dass er ein absolut männlicher Kerl war, der, anstatt fast zu heulen, nur lachte, wenn er sich am Musikantenknochen stieß. Egal. Jetzt gab es Wichtigeres zu tun! Langsam schob ich meinen Arm unter seine Oberschenkel, erhob mich schwankend und schwitzend mit meiner Last vom Sofa, drehte mich und betete, dass Reitas Füße nirgendwo hängenblieben. Doch es ging alles gut und schon lag er wieder auf der gepolsterten Fläche. Hoffentlich fiel ihm nachher nicht auf, dass er andersherum lag als sonst. Erschrocken schrie ich auf, als sich plötzlich eine kalte Hand in meinen Nacken legte. »Wo bleibst du denn?!«, zischte Uruha hinter mir. »Was'n los …?«, nuschelte es vom Sofa und ich hatte das Bedürfnis, meinen Kopf gegen die Wand zu hauen. »Gar nichts, schlaf weiter«, meinte ich schnell und beugte mich hinab, drückte einen Kuss auf Reitas Stirn. »Hrrm …« Uruha lugte über meine Schulter. »Schläft er wieder?« »Ja, und jetzt lass uns verschwinden!«, flüsterte ich und schob ihn von mir weg, stand auf. Mit einem letzten Blick auf Reita, der gerade das Sofakissen umklammerte, sich drehte und ein Bein über die Lehne warf, wandte ich mich ab und wollte in den Flur huschen, als ich entzückte Laute von Uruha hörte. »Oh, davon muss ich ein Foto machen!« »Nicht jetzt!« »Aber …« »Du willst doch zu Kai, oder?«, fuhr ich ihn an und zog ihn hinter mir her. An der Tür blieben wir kurz stehen, spähten in den dunklen Flur und lauschten angestrengt. Nichts Verräterisches war zu hören, hinter uns plärrte nur irgendein Dauerwellen-Schnulzenarzt irgendwas von Knutschen. Viel zu sehen gab es auch nicht, unter Rukis Tür leuchtete ein schwacher rötlicher Lichtschein und unter Kais ein ganz normaler. Möglichst leise schlichen wir auf Zehenspitzen Richtung Haustür; an Küche, Männerbad und Uruhas Zimmer vorbei, bis wir bei Kai ankamen. Ein seltsamer Kräutergeruch lag in der Luft, ein bisschen wie Waldmeister, vielleicht kochte Ruki in seinem Zimmer Pudding aus seinem Urwald. »Meine Nase juckt! Was macht der Zwerg schon wieder?!«, zischte Uruha hinter mir genervt. Ich verdrehte die Augen. »Ist doch egal, konzentriere dich auf unsere Mission, dann vergeht das!« »Ja, ja …« Kurz legte ich mein Ohr an Kais Zimmertür, hörte ein leises Rascheln. Zumindest war er schon mal definitiv im Zimmer und hatte nicht nur vergessen, das Licht auszuschalten. Das schlechte Gewissen beiseite schiebend – es gehörte sich einfach nicht, seinen Mitbewohner und Leader zu belauschen! – und dafür gute Argumente wie ein Mantra still vor mich hin murmelnd – immerhin half ich meinem besten Freund dabei, mit dem Anderen glücklich zu werden! – und dabei das Beste hoffend – zusammen würden die beiden noch viel glücklicher werden, als sie es mit irgendjemand anderen jemals schaffen würden! –, kniete ich mich auf den Boden, meine knackenden Gelenke verfluchend, die sich immer dann zu Wort meldeten, wenn es schön ruhig war. »Du wirst alt, Schatz«, kicherte Uruha leise und hockte sich hinter mich, stützte sich mit einem Arm auf mir ab. »Und was machen wir jetzt?« »Das war doch deine Idee!« »Ja, aber nur, dass wir ihn beobachten!« »Dann tun wir das halt!« »Und wie?« Wortlos beugte ich mich vor, presste mein Auge ans Schlüsselloch und schaute hindurch. Von hier aus sah man ein Teil des Bettes und Kais Schreibtisch, an welchem unser Leader gerade mit dem Rücken zur Tür saß und irgendetwas zu machen schien. Ich hoffte wirklich, dass das Holz dick genug war, dass er uns nicht hörte. »Und? Was siehst du?«, fragte Uruha und biss mir fast das Ohr ab, als ich meinen Kopf drehte. »Au! Sei vorsichtiger!«, schimpfte ich leise. »Sieht so aus, als würde er arbeiten.« Der Honigblonde lehnte sich über meine Schulter und lugte selbst durchs Loch. »Kann man daran irgendwas erkennen, was darauf schließen lässt, dass er schwul ist?« »Wenn die Tatsache, dass er Rechtshänder ist und sich immer weit über den Tisch beugt, wenn er schreibt, dir dabei irgendwie hilft?« »Hmm … Kannst du erkennen, was er da für einen Stift hat?« Ich schob ihn weg und guckte wieder durchs Schlüsselloch. »Ein roter Kugelschreiber. Und auf dem Tisch sind noch andere … ein blauer … und ein geringelter Bleistift.« »Welche Farben hat der geringelte?« »Ist das wichtig?!« »Klar, überleg doch mal, was deine Geschwister für Stifte hatten früher.« »Hm. Mein Bruder meistens einfarbige und dunkle und meine Schwester diese komischen rosafarbenen Dinger mit blinkenden Herzchen oben dran.« »Siehst du? Die typischen Stifte für Mädchen und Jungen, wenn sie noch klein sind. Und hetero. Was hattest du für welche?« »Dieselben. Ich hab immer die Stummel gekriegt, weil meine Mutter meinte, die sind noch zu schade zum Wegschmeißen.« »Du hattest einen rosafarbenen Stift mit blinkendem Herzchen?!« Schmollend verschränkte ich die Arme. »Lach nur, haben die anderen in der Schule auch!« Er kicherte. Empört stieß ich ihm meinen Ellbogen in den Bauch. »Au, ist ja gut! Aber die Vorstellung ist wirklich … niedlich!« »Hast du als Jüngster nie die Sachen von deinen Geschwistern bis zum bitteren Ende benutzen müssen?« »Ich war der einzige Junge, meine Eltern hatten Erbarmen. Obwohl mich so ein Stift nicht wirklich gestört hätte, die waren viel lustiger als die schnöden einfarbigen! Du hattest echt Glück!« Knurrend beugte ich mich wieder vor und schaute noch einmal in Kais Zimmer. »Der Bleistift ist hellblau und pink. Erinnert mich irgendwie an Zuckerwatte.« »Hm, ausgerechnet beide Farben! Aber zumindest hat er auch die weibliche Farbe mit dabei, also muss er einen gewissen schwulen Touch haben!« »Ich geb dir auch gleich einen Tatsch! Die Dinger waren Werbegeschenke vom Konbini, ich hab den auch gekriegt, als ich da war, um die Stromrechnung zu bezahlen!« »Oh.« Uruha quetschte seinen Kopf neben meinen und spähte durchs Loch. »Oh! Er holt sein Handy raus! Wen er wohl anruft?« Hastig zog ich ihn von der Tür weg, als er doch tatsächlich sein Ohr dagegendrückte. »Wir dürfen ihn doch nicht beim Telefonieren belauschen!« »Warum denn nicht? Er stellt sogar den Lautsprecher an, wenn wir mit dem Manager telefonieren!« »Das ist aber auch was anderes, da geht es immer um die Band.« »Nein, einmal hat Sakai-san mich gefragt, was der Ausschlag in meiner Poritze macht, während Kai danebengestanden und zugehört hat!« »Ausschlag in der Poritze?!« »Ja! Und der war wirklich fies!« »Woher wusste er überhaupt davon?« »Na ja, das war mal nach einem Fotoshooting, die Hotpants hatten keinen Reißverschluss und ich musste pinkeln. Und dann musste ich halt die ganze Hose runterziehen am Pissoir …« »Und dann kam er rein und hat es gesehen?« »Nee, ich hatte doch so ein langes Oberteil an …« »Aber?« »Aber dann kam der Penner rein, hat es hochgezogen und gesagt: ›Verdammte Hacke, mach endlich was dagegen, das ist widerlich!‹« »Und woher wusste der davon?« »Na ja, ich hab mich am Abend davor da eingecremt, und gerade als ich meine Pobacken auseinandergezogen hab, kam er reingeplatzt, weil er dich gesucht hat.« Ich musste unbedingt mit Reita reden! Aber nicht jetzt, denn irgendwie hatte Uruha recht. Kai belauschte uns auch immer. Und immerhin wollten wir hier herausfinden, ob unser Leader mit ihm glücklicher sein könnte als mit Frauen! Also taten wir ihm eigentlich einen Gefallen. Er sollte schließlich auch den perfekten Partner haben. »Er telefoniert mit Meisa!«, flüsterte Uruha. Sofort drückte ich mich gegen die Tür und betete, dass sie jetzt nicht aus Versehen aufging. »Nein, ich komme jetzt nicht zu dir! Was denkst du dir eigentlich? Dass ich immer für dich springe, wenn du Langweile hast? Ich muss arbeiten!« Das hörte sich nicht gut an. Obwohl, andererseits sogar sehr gut. »Ach, seit wann kommst du sofort hierher, wenn ich dich anrufe? Wann bist du das letzte Mal gleich aufgebrochen, als ich dich in im Restaurant angerufen habe?« Das war genau genommen der einzige Vorteil, den Meisa gegenüber Uruha hatte. Sie arbeitete in einer Küche, so wie Kai früher, was die beiden verband. Auch wenn sie nur Spülhilfe war. Hatten die beiden sich dort nicht sogar kennengelernt? »Mach doch, was du willst. … Schön, dann sei sauer, ich muss wirklich arbeiten. Nicht jeder hat nur hin und wieder eine Schicht, manche müssen auch zu Hause noch was machen!« »Die streiten sich echt häufig in letzter Zeit«, wisperte Uruha. »Mhm. Das kann für Kai auch nicht schön sein.« »Vielleicht trennen sie sich ja bald …« Ich versuchte den hoffenden Tonfall von ihm zu ignorieren, auch wenn ich ein klitzekleines bisschen dasselbe dachte. Trotzdem wäre es fies, das so deutlich zu sagen, oder? »Ja. … Ich dich auch. Bis morgen.« Seufzend legte Kai auf und warf das Handy auf den Tisch, denn es klapperte gedämpft. Uruha schaute schon wieder durchs Schlüsselloch und zuckte spürbar zusammen. »Was ist los?«, flüsterte ich. »Guck selbst …«, kam es mit irgendwie seltsamer Stimme zurück. Irritiert beugte ich mich vor und drückte mein Auge gegen den hellen Punkt. Kai saß am Schreibtisch, wie auch vorhin. Vermutlich war er gar nicht aufgestanden in der Zwischenzeit. Was sollte daran denn komisch … »Oh Gott.« Er machte schnelle Handbewegungen. Auf seinem Schoß. Den Rest verdeckte zum Glück der Rücken. »Oh Gott!« Ruckartig zog ich meinen Kopf weg und sah peinlich berührt nach unten. »Ich will das nicht sehen!« Uruha kicherte leise und quetschte sich wieder an die Tür. Empört zog ich ihn zurück und haute ihm leicht auf den Kopf. Da guckte man doch nicht zu! Nicht, wenn der eigene Leader sich … wenn er sich … »Er holt sich einen runter!«, sprach die neugierige Pest neben mir, die mich in eine solche Situation gebracht hatte. »Und er wird immer schneller!« »Komm da weg!«, zischte ich und zerrte ihn wieder fort. »Da guckt man nun wirklich nicht zu!« »Wenn er mit mir zusammen wäre, müsste er das gar nicht tun. Mit mir wäre er nicht so unausgelastet und müsste es sich auch nicht selbst machen«, grinste er hörbar und lehnte sich über mich, um besser gucken zu können. »Nimm das da weg!« Mein Kopf platzte fast, so rot musste ich sein, als ich meine Schulter gegen die aufdringliche Beule an ihr rempelte. Zum Glück war es dunkel und niemand konnte es sehen. »Au!« Uruhas Hände rumsten gegen meinen Kopf, als er sich hastig in den Schritt greifen wollte. »Das war mein …« Ein Aufschrei und ein Poltern unterbrachen den Anderen. Im ersten Moment dachte ich, es wäre vielleicht Ruki gewesen, der mit Koron-chan kämpfte, aber es kam eindeutig aus Kais Zimmer. Hatte er sich verletzt? Brauchte er vielleicht Hilfe? Zögernd beugte ich mich wieder vor und lugte durchs Schlüsselloch. »Scheiße!«, fluchte Kai gerade und war immer noch mit seiner … war immer noch beschäftigt. Mit der einen Hand. Die andere musste er auf den Tisch geschlagen haben, denn dort lag sie noch immer. Und als er sich nun zur Seite lehnte und irgendwas außerhalb meines Sichtfeldes machte, erkannte ich auch den Grund für seine Handbewegungen. Er hielt ein Taschentuch mit braunen Flecken in der Hand und wischte noch immer hektisch herum. Auf dem Tisch lag eine umgekippte Tasse. Er hatte nicht das Handy auf den Tisch fallen lassen, sondern eine Kaffeetasse umgeworfen. Uruha schob mich zur Seite. »Was ist denn da? … Kaffee? Er hat nur Kaffee verschüttet?!« Kichernd pikste ich ihm in die Seite. »Und so was macht dich an?« »Menno, und ich hatte schon gehofft …« »Was denn?« »Je älter der Bock, desto steifer das Horn.« »Was?« »Na ja, wenn er in so einer Situation mit der Hand arbeitet, ist das doch unheimlich heiß. Ich steh auf Sex nach Streit, der ist so leidenschaftlich!« »Je älter der Bock …? Du weißt aber schon, dass Kai jünger ist als du, oder?« »Oh. Na gut, aber der Spruch ist trotzdem lustig. – Warte mal, bist du nicht der Älteste von uns?« Die Augen verdrehend, schob ich Uruha von mir weg und hievte mich umständlich hoch. Ich hatte genug gesehen und war müde. Um das Ganze noch etwas deutlicher zu machen, gähnte ich herzhaft und streckte mich ausführlich, bis ich ein seltsames Geräusch hörte. Eine Art Schleifen oder so. »Ruha, was machst du da?«, fragte ich misstrauisch. »Ich? Gar nichts, wieso?« Wieder war das Geräusch zu hören. Unruhig schaute ich mich um, aber es war dunkel, nichts zu sehen. Uruha schien ebenfalls aufzustehen, denn ich hörte ihn ächzen und spürte seine Wärme neben mir, als er sich zu mir lehnte. »Was ist das?«, wisperte er. »Ich dachte, das warst du!« »Nein, ich mach nichts.« Das Schleif-Geräusch kam näher. Und mit ihm alle Horrorfilme, die ich in meinem ganzen Leben bisher gesehen hatte. Was, wenn das ein Geist war, der uns jetzt bestrafen wollte, weil wir Kai beobachtet hatten? »Schatz … Was ist das?« Uruha klang nervös und klammerte sich an mich. »Hey, lass mich los!«, zischte ich leise. Dann schreckte ich zusammen, als das Geräusch direkt vor uns war. Dann rannte etwas gegen mich. »RUHAAA!«, schrie ich und warf mich nach hinten in dessen Arme. Nur wenige Sekunden später hörte ich ein Murmeln vor uns und sah Licht hinter uns. »Was ist denn hier los?«, fragte Kai, der seine Tür geöffnet hatte. Und von der anderen Seite erklang ein verschlafenes »Aoi …?«, gefolgt von einem Gähnen. »Blöder Penner!«, fluchte Uruha und ließ mich wieder los, boxte Reita in den Magen, der verwirrt vor uns stand. Mit einem Kissen in der Hand, welches er über den Boden zog. »Wir haben schon gedacht, uns würde gleich ein Geist packen!« »Ihr habt Angst vor Geistern?«, grinste Reita, schien wacher zu werden. »Die gibt es doch gar nicht!« »Den Osterhasen gibt es auch nicht!«, schoss Uruha sofort zurück. »Hey, jetzt wirst du unfair!« »Du hast Angst vor dem Osterhasen?«, fragte ich meinen Freund überrascht. »Na ja, der Sack hat mir mal so einen ausländischen Horrorfilm mit komischen Hasen gezeigt …«, druckste dieser verlegen herum und drückte das Kissen an sich. Lächelnd – denn wer konnte ihm schon widerstehen, wenn er mit zerzausten Haaren und nur in Unterwäsche und Shirt ein großes Kissen umarmte – strich ich ihm tröstend über den Kopf. »Was macht ihr eigentlich alle hier im Flur?«, mischte Kai sich wieder ein. Uruha starrte mich an. Und ich starrte ihn an. Ja, was machten wir eigentlich hier im Flur? »Echt mal, was machst du hier, Penner?«, lenkte der Andere schnell ab und sah Reita möglichst empört an. »Ich hab Geräusche gehört und hab Aoi gesucht. Und dann bin ich gegen ihn gelaufen, weil es so dunkel war.« Kai runzelte die Stirn. »Warum steht ihr im Dunkeln im Flur herum?« »Ähm … Wir … haben den Lichtschalter nicht gefunden!«, kam mir eine Idee. »Und dann habt ihr euch in der Tür vertan?« »Ganz genau!« »Nein, wieso?« Mit großen Augen starrten Uruha und ich uns an. Vielleicht hätten wir uns vorher überlegen sollen, was wir in so einem Fall sagen sollten. »Was denn jetzt?« »Na ja, wir … wollten mit dir … reden«, stotterte ich. »Und worüber? Es ist ziemlich spät.« »Wir hatten da so eine Idee …« Hilfesuchend sah ich zu dem Honigblonden. »Ja, genau. Wir wollten … einen Filmabend machen! Das haben der Zwerg, Schatz und ich uns überlegt!« Und es war nicht mal völlig gelogen. Erleichtert atmete ich auf. »Jetzt?« Entgeistert sah Kai auf seine Armbanduhr. »Nein, in den nächsten Tagen oder so!« »Und das hätte nicht bis morgen warten können?« »Du kennst uns doch!« »Allerdings …« Zum Glück hatte Kai uns die Ausrede abgenommen. Nun stand in den nächsten Tagen ein gemeinsamer Filmabend an, auf den Uruha sich jetzt schon freute, wie er mir vorhin im Bad verraten hatte. Wieder eine Möglichkeit, Kai ein bisschen näher zu kommen, so groß waren unsere beiden Sofas ja nicht. Scheinbar hatten wir uns doch ganz gut aus der peinlichen Situation herauswinden können, und für mich stand fest, dass ich nie wieder jemandem helfen würde, einen anderen zu beobachten! Seufzend rutschte ich noch ein bisschen näher an Reita, der neben mir lag und seine Arme um mich legte. »Nacht, Rei«, murmelte ich. Er brummte nur. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)