Fegefeuer von abgemeldet (Zwischen Hölle und Hölle II) ================================================================================ | drei | Einen Wimpernschlag schien es, als wäre Uruha nervös, er wirkte irgendwie ertappt. Seine Augen waren plötzlich ganz weit geöffnet, das dunkle Braun schimmerte fassungslos, sein Kinn zitterte leicht. Doch nur nach Bruchteilen einer Sekunde begann er zu grinsen, wackelte mit den Augenbrauen und lehnte sich zurück, blinzelte mich von unten herauf an. »Na ja, immerhin wohnen wir beide in einer Wohnung, nicht wahr? So einen Freund wie dich wünscht sich wahrscheinlich jeder gesunde Kerl.« »Ruha, du verstehst mich nicht«, begann ich zögerlich, senkte meinen Blick und betrachtete den Fussel, der an Uruhas Pullover hing, zupfte daran herum. »Das gestern, das … klang nicht nach einem Scherz.« »Ich scherze auch nicht, ich steh wirklich auf dich. Wenn nur Reita nicht wäre …« »Mann, Uruha! Du hast Kais Namen gesagt!«, entfuhr es mir und erschrocken hielt ich inne, als die Worte in meinen Verstand sickerten. So direkt hatte ich das eigentlich nicht sagen wollen. Seine Hand zitterte leicht, als sie ebenso wie meine an dem Fussel zu ziehen begann. »Aoi, das … Ich steh doch nicht auf Kai! Ausgerechnet auf den! Da musst du was falsch verstanden haben. Wirklich, Kai … Vielleicht hat er mir kurz davor ein Häppchen weggeschnappt und deswegen habe ich seinen Namen gesagt, mit Alkohol ist das Denken doch schwerer, nicht wahr? Außerdem ist Kai gar nicht blond. Also wirklich!« »Das war Saga.« »Was?« »Saga hat dir das letzte Häppchen weggeschnappt.« »Ist doch völlig egal! Als ob ich was von Saga – nein, von Kai wollen würde! Nur weil er diese wahnsinnig tollen Augen hat und diese großen, kräftigen Hände und …« Er stoppte plötzlich und rupfte an dem Faden, der sich daraufhin den gesamten Saum entlang vom Stoff löste und die Naht auftrennte. »Ach, verdammt …« »Ruha …« Ich rückte ein Stückchen näher, legte meinen Arm um ihn und strich vorsichtig über seinen Rücken. »Du kannst mit mir über alles reden, das weißt du doch, oder?« »Ja, ich weiß. Aber … Aoi, das mit …« Die Tür unterbrach ihn leider, als Ruki diese aufriss und ein klingelndes Telefon in der Hand hielt. »Hier, du Idiot!« Damit warf er Uruha das Teil zu, der überrumpelt auf das grüne Knöpfchen drückte. »Ja? … Ach, du bist es. Was ist denn diesmal, Schwesterherz?« Er warf mir ein ziemlich missglücktes Lächeln entgegen. Verstehend stand ich leise auf, pflückte Reitas Socke von Uruhas Bettpfosten und schlich zur Tür, winkte ihm von dort noch einmal zu. Dann musste ich ihn halt später noch einmal darauf ansprechen. Im Flur traf ich auch direkt auf den Besitzer meines Fundstückes, der irgendwie verloren wirkend herumstand und sich scheinbar nicht entscheiden konnte, wohin er gehen sollte. Kai war im Wohnzimmer und lief geschäftig hin und her, war damit eine potentielle Gefahr, dass man Reita bitten könnte, zu helfen, wenn er zu nah an die Tür käme. Der Fernseher im Wohnzimmer war also unerreichbar. Auf der anderen Seite des Flurs stand Ruki mit Koron-chan und starrte böse in seine Richtung. Nach draußen gehen fiel also ebenso aus. Es war schon amüsant, wie verwirrt und hilflos er manchmal wirken konnte. »Was hast du denn bei dem Sack gemacht?«, fragte er, als er mich erblickte und stierte Ruki hinterher, der durch die Wohnungstür verschwand. »Wir haben ein bisschen geredet«, antwortete ich ausweichend. Bevor ich Reita etwas erzählte, musste ich mir erst sicher sein, dass es überhaupt stimmte, was ich da gestern gehört hatte. Vielleicht war es ja auch wirklich nicht Kai, den Uruha gemeint hatte. Trotzdem fragte ich mich, ob er eine Chance hatte, falls es stimmen sollte. Mal angenommen, Meisa gäbe es nicht und Kai wäre Single, würde er dann was mit Uruha anfangen? Generell mit Männern? Hatte unser Leader jemals etwas mit einem vom selben Geschlecht gehabt? »Worüber denkst du nach?«, riss mich Reitas leise Stimme aus den Gedanken. Er stand inzwischen direkt vor mir und hatte seine Arme um meine Hüften gelegt. Ich sollte wirklich mal etwas für meine Aufmerksamkeit tun. »Na ja, ich habe mich gerade nur gefragt, ob Kai bisher schon mal etwas mit einem Mann hatte oder nur mit Frauen«, antwortete ich nicht allzu laut, damit eben dieser mich nicht hören konnte. Reita sah mich verwirrt an. »Wie kommst du denn jetzt darauf?« »Ich weiß auch nicht, manchmal hat man doch so seltsame Gedanken.« »Hm, also seit elf Jahren ist er mit Meisa zusammen, die drei Jahre davor weiß ich nicht«, überlegte er und drückte mir einen Kuss auf die Nase. »Aber warum fragst du ihn nicht einfach?« Dümmlich grinsend antwortete ich ihm mit einem Kuss auf die Stirn, bevor ich mich wieder konzentrierte und hinzufügte: »Nein, das kann man doch nicht machen, er …« Doch bevor ich meinen Satz überhaupt beenden konnte, drehte Reita sich schon um und sah den Brünetten an, der natürlich genau jetzt mit einem Stapel Hefter aus dem Wohnzimmer kommen musste und scheinbar in die Küche wollte. »Kai, bist du schwul?« Meine Kinnlade fiel nach unten. »Ist man in Form, nur weil der Körper rund ist?«, entgegnete der Angesprochene genervt und verschwand im angestrebten Raum. Er hatte gar nicht zugehört. »Was hat er denn damit gemeint?« Ich wandte meinen Blick wieder Reita zu, der irritiert auf die Küchentür starrte, drückte ihm noch einen Kuss auf das Nasenband und sagte: »Vielleicht war das eine Aufforderung, dass du mehr Sport machen sollst.« »Hm, vielleicht. – Moment mal!« Empört sah er mich an und blies die Backen auf. »Wer hat denn hier zugenommen?!« Er pikste in mein mikroskopisch kleines Speckröllchen am Bauch und zog gleichzeitig den eigenen ein ganzes Stück ein, bis die Brust weit darüber hinaus ragte. Dann begann er zu grinsen. »Aber da fällt mir noch was ein, wo ich doch vorhin beim Spülen helfen musste … Du schuldest mir noch was!« »Später, geh erst mal duschen, du riechst immer noch nach Alkohol. Und nimm das hier mit!« Ich stopfte ihm den Strumpf in die Hosentasche und schob ihn Richtung Bad. »Kommst du nicht mit?« »Heute nicht.« »Aber …« Meine Lippen erstickten seine letzten Worte. Seufzend schmolz sein Widerstand dahin, während seine Zunge langsam in meinen Mund wanderte und er die Arme fester um mich legte. Bis ein Blitzgeräusch ertönte, begleitet von einem Kichern. »Das Foto wird toll aussehen auf der Pinnwand!« »Blöder Sack!«, schimpfte Reita und ließ mich widerwillig los. Uruha zückte sein Notizbuch. »Liebes Tagebuch, Reita tut so, als könnte er mich nicht leiden, aber später wird er mich wieder dazu zwingen, an seinem Ohrläppchen zu knabbern!« »Dummsack!« »Penner!« »Blöder Sack!« »Du wiederholst dich, Penner!« »Gar nicht! Du doch auch!« Seufzend verdrückte ich mich und steuerte die Küche an. Die Hoffnung, dass die beiden jemals damit aufhören würden, konnte man wohl getrost begraben. Bestimmt würden sie noch im Altenheim nebeneinander im Rollstuhl sitzen, sich beschimpfen und dabei immer wieder die Bremse des anderen lösen, bis einer die Treppe runterrollte. Und hinterher würden sie allen weismachen wollen, dass gute Freunde das nun mal so machten. Obwohl die Vorstellung, mit den Chaoten auch später noch zusammenzuwohnen, schon verlockend war. Teilweise. Oh Gott. Die armen Pfleger. »Magst du dich zu mir an den Tisch setzen oder möchtest du noch weiterhin in der Tür stehen bleiben und aus dem Fenster gucken?«, drang plötzlich Kais Stimme an mein Ohr. Er saß an seinem üblichen Platz, vor sich ein paar nach viel Arbeit aussehende Papierberge und einen schmierenden Stift hinter seinem Ohr, welches schon ganz blau war von der Tinte. »Dein Ohr!« Ich setzte mich zu ihm und starrte auf das farbige Körperteil, welches in diesem Moment von Kai betastet wurde. Stirnrunzelnd besah dieser sich danach seinen blauen Finger und seufzte. »Wenigstens weiß ich jetzt, wo das Zeug immer herkommt.« Er legte den Stift auf den Tisch, griff wieder nach dem aktuellen Blatt, das bearbeitet werden musste, und las es sich durch. »Ist Meisa schon weg?«, fragte ich verwundert. »Ja, sie musste noch woanders hin.« Eine Weile war es still, nur das Rascheln der Papiere war zu hören. Manchmal bekam ich ja schon ein schlechtes Gewissen, dass Kai den ganzen Kram allein erledigte, aber er wollte sich auch nie helfen lassen. Er müsste sowieso noch einmal alles durchgehen, um auf dem neusten Stand zu sein, meinte er jedes Mal, wenn man seine Hilfe anbot. »Wie kam Reita vorhin eigentlich darauf?«, fragte er in die Stille hinein. »Hat er wieder seine seltsamen fünf Minuten gehabt?« »Ich weiß auch nicht …«, nuschelte ich und knetete an der Tischkante herum. »Manchmal kommt man auf solche Gedanken …« »Weißt du, hin und wieder denke ich, dass Reita viel intelligenter ist, als er erscheint. Zum Beispiel solche Fragen, irgendeinen Grund muss das doch haben. Oder letztens, als wir uns über Tomaten unterhalten haben und er meinte, dass die Urtomate in den Anden wuchs und nicht größer als eine Johannisbeere war.« Nun ja, Reita war zwar nicht ganz so dumm, wie manche ihn gerne hinstellten, aber für diese beiden Beispiele gab es Erklärungen. Die Frage kam indirekt von mir und das mit den Tomaten war schon Jahre her. Damals hatte er gelernt, wie Tomaten aussehen und dass sie zu den Beeren gehören. Das hatte er natürlich nachgucken müssen und sich gleich noch das eben Gesagte angeeignet. Aber es wäre fies, Kai jetzt darauf hinzuweisen, wenigstens einmal sollte Reita als schlaue Biene in Erinnerung bleiben. »Vielleicht hat er sich gefragt, wie du wärst, wenn du es wärst.« »Was?« Irritiert blickte Kai mich an. »Na ja, wenn du schwul wärst. Dann wärst du vielleicht ganz anders als jetzt. Und er hat dich bisher ja auch nur mit Freundinnen erlebt. Also mit einer. Möglicherweise kam er da zu der Frage, ob du schon einmal etwas … mit einem Mann hattest.« Er lachte auf. »Und dann wahrscheinlich noch mit einem wie Uruha, was?« Ich fühlte einen Stich in meiner Brust. Obwohl ich nicht gemeint war, verletzte mich dieser Satz irgendwie. »Was … Was ist denn mit Uruha?« »Na ja, eigentlich geht es mich ja nichts an, was er macht, aber wärst du glücklich, wenn Reita jeden zweiten Tag mit einem anderen ankommt?« »Das hat er schon lange nicht mehr gemacht!« »Ach ja? Er war aber auch schon lange nicht mehr mehrere Nächte am Stück zu Hause.« »Weil er mit den anderen aus der PSC was trinken geht oder was weiß ich!« »Siehst du?« Kai seufzte, legte ein paar Blätter zur Seite und sah mich entschuldigend an. »Aoi, wirklich. Ich hab echt keinen Kopf, um über so einen Unsinn nachzudenken. Meisa plappert mich schon genug voll.« »Hast du Stress mit ihr?« »Ein bisschen. Okay, ein bisschen mehr, aber das kommt ja in jeder Beziehung mal vor. Ist auch nicht das erste Mal. Und wenn du mir jetzt einen ganz großen Gefallen tun willst, hilfst du mir mit dem Abendessen.« Er strahlte mich mit seinem typischen Lächeln an und stupste mir freundschaftlich in die Seite, stand auf, als er mein Nicken sah. »Warte mal, Abendessen?«, hakte ich skeptisch nach, als mir einfiel, dass wir vorhin erst Frühstück gegessen hatten. Kai drehte sich um und grinste. »Bis ihr mal aufsteht, verschiebt sich das Frühstück in den späten Nachmittag hinein.« Gut, das erklärte einiges, auch die Uhrzeit. Es war schon fast halb fünf. Ergeben stand ich auf und nahm die Töpfe entgegen, die Kai nun aus dem Schrank wühlte. War das Gespräch für Uruha eher positiv oder eher negativ verlaufen? Immerhin wusste ich jetzt, dass unser Leader zurzeit Stress mit seiner Freundin hatte, aber andererseits schien er sich so gar nicht vorstellen zu können, irgendwie mit Uruha zusammen zu sein. Wenn es denn wirklich Kai war, den dieser gemeint hatte. Die Welt war wirklich kompliziert, aber ich wollte meinem besten Freund helfen und das würde ich heute noch tun! ♦ Um genau zu sein noch an diesem Abend im Badezimmer. So langsam konnte ich verstehen, warum es ›Weiberbad‹ hieß, im Gegensatz zu Kais und Reitas Bad wurde hier irgendwie mehr geredet. Aber hier hatte man wenigstens Ruhe vor zu neugierigen Bassisten und Drummern, die nichts mitkriegen sollten. Dass Ruki auf der anderen Seite von Uruha auf dem Badewannenrand saß, schien diesen gar nicht zu stören, viel zu sehr war er damit beschäftigt, an einem alten Haargummi herumzuspielen, welches er immer wieder auseinanderzog, während er stockend berichtete, was ich schon wusste. Irgendwann würden wir alle drei einen roten Abdruck im Gesicht haben, weil das Gummi nachgeben und in unsere Richtung schießen würde. »Also war es doch Kai?«, fragte ich nach einer Weile Herumgedruckse seitens des Honigblonden, welcher den Kopf noch ein wenig weiter senkte und leicht nickte. »Aber ich weiß ja, dass es vergeblich ist. Deswegen hab ich auch nie jemandem was gesagt. Gegen Meisa komme ich doch eh nicht an, sie ist hübsch und lustig und nett …« »Und du bist einer der tollsten Menschen auf der ganzen Welt. Ich würde eher sagen, sie kommt nicht gegen dich an, nur Kai weiß das noch nicht«, versuchte ich ihn aufzumuntern und zog eine Hand unter meinem Hintern hervor, um sie zwischen meinen Knien anzuwärmen. Ich konnte ihm ja nicht die keramikkalte Hand auf den nackten Rücken legen! »Ach Schatz, Kai ist sowieso hetero! Ich hab keine Titten!« »Und da unten ein bisschen zu viel«, antwortete ich schief grinsend, legte nun doch meinen Arm um ihn und strich über seine Schulter. »Vielleicht weiß Kai auch noch gar nicht, dass er auf Männer steht. Wusstest du das sofort?« »Ja.« »Gut, Ausnahmen bestätigen die Regel. Aber ein paar merken es auch erst Jahre später. Es gibt viele homosexuelle Männer, die bereits Kinder haben und sich dann für einen Partner entscheiden.« »Ist Meisa etwa schwanger?!« »Nein! Nein, so meine ich das doch nicht!«, wehrte ich schnell ab und sah in das entsetzte Gesicht Uruhas. »Also ich weiß es natürlich auch nicht, aber ich denke mal nicht. Kai kann doch gar nichts mit Kindern anfangen, der hat mit uns schon genug tun.« Ein müdes Grinsen, mehr konnte ich dem Tropf neben mir nicht entlocken. Dann seufzte er schwer und sah auf seine Finger, die er so kompliziert verknotete, dass ich Angst ums Final bekam, und sagte: »Irgendwie fühle ich mich wie im Fegefeuer. Die Hölle wäre Ablehnung und der Himmel, dass Kai und ich am Ende doch noch zusammenkommen. Bis dahin zehrt das Feuer an mir und brennt mich nieder, wenn sich nicht irgendwas daran ändert …« Erschrocken sah ich ihn an, wollte etwas sagen, doch ich kam gar nicht dazu. »Kai sieht mich als Freund, so wie euch auch. Wenn er mir auf die Schulter haut oder mir eine Kopfnuss gibt, weil ich mal nicht aufgepasst habe, dann ist er mir so nah … Und ich fühle mich nicht würdig, in seiner Nähe sein zu dürfen. Schau mal, er akzeptiert zwar, dass wir schwul sind und auf Kerle abfahren, aber er selbst kann es sich nicht vorstellen und hat Meisa. Wenn er zwei Typen beim Ficken erwischt, reagiert er zwar nicht mit Ekel, aber je nachdem, ob er diejenigen kennt oder nicht, ist er entweder peinlich berührt oder genervt, weil er mal wieder irgendwo reingeplatzt ist. Mit Verführen käme ich wohl nicht weit bei ihm …« »Ich glaube auch nicht, dass das eine gute Idee wäre«, wagte ich einzuwerfen. Uruha nickte sofort. »Hast du seinen Blick beim Frühstück gesehen, als er das mit dem Aufreißen gesagt hat? Er hält mich doch für eine Schlampe!« »Tut er nicht!«, sagte ich bestimmt. »Wer weiß, wie er als Alleinstehender war, der hat doch garantiert auch nicht abstinent gelebt!« »Warum nicht?« »Er ist ein Mann.« »Mit wie viel Jahren hattest du noch mal deinen ersten Sex?« Mit roten Ohren schaute ich nach unten auf seine Finger, die sich immer weiter verbogen. »Trotzdem, du bist in keiner Beziehung, also darfst du auch Spaß haben, oder?« »Das sagst du, weil ich dein bester Freund bin. Was würdest du sagen, wenn ich ein Fremder wäre?« »Vielleicht hat Aoi-chan aber recht«, flüsterte Ruki plötzlich. »Kai-chan geht davon aus, dass du im Moment nur Spaß suchst. Wenn du damit aber aufhörst, sobald du auch ihm gegenüber zugibst, dass du verliebt bist, sieht er möglicherweise, dass du auch anders sein kannst.« »Aber dann weiß er doch sofort, dass ich in ihn … also …« »Du musst es ja nicht so detailgenau sagen«, überlegte ich laut. »Nur wenn er fragt, warum du plötzlich zu Hause bleibst und niemanden mehr mitbringst. Und dann sagst du auch nur, dass du verliebt bist. Solange er noch mit Meisa zusammen ist, würde ihn das sonst nur bedrängen und er sich garantiert gegen dich entscheiden, noch weiß er ja nicht, dass du der liebenswerteste Kerl in ganz Tokyo bist!« »Und wenn er mal nach Tokushima fährt?« »Ruha!« Ich kniff ihm sanft in die Seite. »Wenn du Kai zeigen willst, dass du es ernst meinst – mit wem auch immer, zu dem Punkt kommen wir, wenn es so weit ist –, dann wird er dich auf keinen Fall für eine Schlampe oder so etwas halten, die ständig ihre Partner wechselt!« »Also hält er mich für eine!« »Mensch, du weißt schon, wie ich das meine.« Uruha grinste leicht. »Ja, ja. Also werde ich mich ab heute bemühen und ein toller Mitbewohner werden!« »Das schaffst du nie …« »Das bist du auch so schon!«, redete ich Ruki einfach dazwischen. »Sicher, nur werde ich dann ab jetzt noch ein bisschen netter sein, weniger Streit provozieren. Na gut, das wäre wahrscheinlich zu auffällig. Aber ein wenig im Haushalt helfen, vielleicht kommen wir uns dann auch etwas näher.« »Solange du ihn nicht bedrängst.« »Ich werde ein fröhlicher, unentbehrlicher Mitbewohner für Kai!« »Ruha.« Ernst schaute ich ihn an, drehte sein Gesicht extra in meine Richtung, damit er mir gut zuhörte. »Vergiss aber niemals, wie du wirklich bist. Verstell dich nicht dabei. Bleib einfach so wie immer und komm nicht erst am späten Vormittag wieder, wenn du trinken gehst, okay?« »Und lebe deine Nagelfeilensucht in deinem Zimmer aus, Kai-chan regt sich ständig über die abgeschnittenen Nägel in der Küche auf«, warf Ruki trocken ein. »Hey, das war ich gar nicht! Das war der Penner! Kann der das nicht mal im Bad erledigen?!« Ich grinste schief, als die beiden mich ansahen. »Na ja, das letzte Mal, als er das versucht hat, kam Kai rein und hat ihn erschreckt. Dabei hat er sich fast den Zeh abgeschnitten.« »Typisch.« »Echt.« Eine Weile starrten wir die Fliesen an der gegenüberliegenden Wand an und lauschten den gedämpften Geräuschen, die von draußen hereindrangen. Reita sah sich wieder seine Seifenopern zum Einschlafen an und Kai musste im anderen Bad sein, denn man hörte es in den Wasserleitungen rauschen. »Und ihr meint echt, dass ich es versuchen soll, Kai für mich zu gewinnen?«, fragte Uruha leise, lehnte sich gegen mich und legte seinen Kopf auf meiner Schulter ab. »Besser du als Meisa«, gab Ruki kund, während ich meine Hand hob und sacht durch die hellen Haare strich, nach ein paar Augenblicken antwortete: »Auch wenn ich eigentlich nichts gegen sie habe, aber meinem besten Freund gönne ich das bisschen Glück mehr.« »Hm … Meint ihr, das dauert lange, bis er merkt, dass ich viel lieber bin als sie?« »Na ja, eine Weile bestimmt, aber um es mal positiv auszudrücken: die beiden haben im Moment sowieso Streit. Vielleicht trennt er sich sogar von ihr.« Auch wenn ich mich mit dieser Aussage irgendwie im Zwiespalt befand. Natürlich wollte ich, dass Uruha glücklich war. Aber andererseits wollte ich auch nicht, dass Kai unglücklich war, und das würde wahrscheinlich bei einer Trennung der Fall sein. Und vielleicht würde er sich danach gar nicht in Uruha verlieben, die Möglichkeit gab es auch noch. Dass unser Drummer einfach heterosexuell war und man nichts daran ändern konnte. Als hätte der Honigblonde neben mir meine Gedanken gelesen, sagte er in diesem Moment: »Ich finde es trotzdem lieb, dass ihr mir helfen wollt, egal, was am Ende rauskommt.« »Das wird schon, Ruha-chan«, flüsterte Ruki und erhob sich. »Ich bin müde. Gute Nacht.« »Nacht, Ruki-chan.« »Schlaf gut, Zwerg.« Wir schauten dem Kleinen hinterher, wie er zur Tür ging, sich ausführlich streckte und dann mit einem letzten bösen Blick verschwand. »Er hat mich ›Ruha-chan‹ genannt. Nicht ›Idiot‹ oder ›Diva‹.« »Manchmal kann auch Ruki freundlich sein«, grinste ich. »Aber sag mal, darf ich dich was fragen?« »Klar.« »Wie lange bist du schon verliebt? Nicht erst seit gestern, oder?« Uruha sah wieder nach unten. »Nein, natürlich nicht. Ich glaube, das kam einfach so mit der Zeit. Und sicher war ich mir dann etwa zu der Zeit, als du mit Reita zusammengekommen bist. Irgendwie haben deine Gefühle zu denen gepasst, die ich Kai gegenüber hatte. Vorher kannte ich ja auch nur die gefühllose Zuneigung bei One-Night-Stands.« »Aber wie hast du das all die Jahre verstecken können? Und warum? Wir hätten dir doch immer zugehört.« »Kai hat eine Freundin, da hab ich doch sowieso keine Chance. Selbst wenn ich alles mache, was wir gerade überlegt haben – na gut, so viel ist das jetzt auch wieder nicht, aber trotzdem – wie wahrscheinlich ist es, dass Kai plötzlich erkennt, wie sehr er mich liebt und dass er sich jahrelang nur selbst belogen hat mit Frauen, dass er eigentlich auf Männer steht? Das ist doch nur in Geschichten und Filmen der Fall!« Uruha hatte recht. Wie wahrscheinlich war das schon? Kai hatte sich nie beschwert, dass ihm mit einer Freundin irgendetwas fehlen würde, und wir hatten schon so einige persönlichere Gespräche geführt. Aber da Uruha schon so lange verliebt war, musste man doch jedes Fitzelchen Hoffnung nutzen, oder? Vielleicht hatte er doch Glück. »Ach Mann, warum ist das Leben so doof manchmal? Ich kann das bald nicht mehr«, sagte Uruha plötzlich und beugte sich vor, stützte seine Ellbogen auf den Knien ab und vergrub das Gesicht in seinen Händen. »Ich versuch wirklich alles, um unauffällig Kais Aufmerksamkeit zu bekommen, und was macht er? Meistens ist er genervt und wirft mich aus der Küche, weil er keine Zeit hat, um einfach mal zu plaudern. Ins Männerbad darf ich ja nicht. Oder Meisa ist da. Aber wenn ich mich mit ihr anfreunde, denkt er am Ende noch, ich rück ihm nur deswegen auf die Pelle, weil ich eifersüchtig bin. Er weiß doch, dass ich ganz früher mal was mit einem Mädchen hatte. Alle denken doch, dass ich nur hin und wieder was zum Ficken brauche, ein paar gute Freunde und mehr nicht. Wer kann sich schon vorstellen, dass ich auch einen festen Freund haben will? Ich, der Aufreißer? Der immer fröhlich ist und keine Sorgen hat? Dabei versteck ich mich doch nur dahinter, um … um …« Uruhas Stimme brach. Erschrocken und mit einem so unglaublich schlechtem Gewissen, dass mir schlecht wurde, sah ich auf ihn hinab, auf die bebenden Schultern und die wirren Haare, die sein Gesicht verdeckten. Ich rutschte vom Wannenrand, würgte vergebens an dem dicken Kloß in meinem Hals und schob seine Arme auseinander, umarmte ihn fest. Irgendwie hatte ich schließlich genauso gedacht. Ich war immer davon ausgegangen, dass Uruha damit zufrieden war, sich alle paar Tage einen neuen Bettpartner aufzulesen und den dann am nächsten Morgen wieder rauszuwerfen, um in Ruhe seine Mitbewohner in den Wahnsinn zu treiben. Klar hatte ich mich schon mal gefragt, ob er denn nie einen für längere Zeit haben wollte, aber da es nie Anzeichen gab … Umso schrecklicher fühlte ich mich jetzt. Uruha war nicht so stark, wie wir alle immer gedacht hatten. Er war unsicher, hatte Angst, zeigte es aber niemandem und versteckte es hinter Fröhlichkeit und perversen Sprüchen. Vielleicht war er doch ein viel größeres Schauspieltalent, als wir alle bisher gedacht hatten. »Ruha …«, begann ich mit heiserer Stimme, als ich spürte, wie er sich an mich drückte. »Ruha, es tut mir leid. Wirklich. Ich war so oberflächlich, es gibt eigentlich gar keine Entschuldigung dafür.« »Aber du … du reißt wenigstens keine … dummen Sprüche! Und du bist im… immer so nett. Auf dich wäre ich sowieso … nicht böse! Aber andere … sind nicht so …«, schluchzte er, löste sich ein wenig, um sich grob mit dem Arm über das Gesicht zu reiben. »Nicht«, hielt ich ihn auf, zog ein wenig an meinem Bärchenärmel und wischte die Tränen vorsichtig weg. »Ich verspreche dir, dass ich nie wieder auch nur annähernd so etwas denke. Wenn du versprichst, dass du immer zu mir kommst, wenn du irgendwas hast! Okay?« Uruha lächelte ganz leicht, zog die Nase hoch und nickte. »Okay.« Dann streckte er die Arme aus und schloss mich noch einmal in die Arme. »Danke, Aoi. Du bist … wirklich … ein Freund. Und du auch, Zwerg.« Der Kleinere war zurückgekehrt und schlang ebenfalls die Arme um uns. »Ohne euch … würde ich wahrscheinlich noch … in zwanzig Jahren heimlich schmachten. Aber jetzt …« Uruha löste sich wieder, dann sah er uns verschwörerisch an und grinste. »Mission ›Kai-chan erobern‹ kann beginnen!«, flüsterte Ruki grinsend und hielt eine Hand in die Mitte. »Er muss es ja nicht wissen. Und so viel Stress, wie er mit Meisa schon hatte, wird er mit der Diva sowieso nie haben. Er ist schließlich keine von diesen komplizierten Frauen!« »Hey!« »Ruki-chan hat recht. Ein Versuch ist es wert und du hättest es wirklich verdient.« Ich legte meine Hand auf die des Kleinen. »Und wenn es doch nicht klappt?«, zögerte Uruha noch. »Dann suchen wir dir einen anderen, der viel netter ist als Kai-chan! Wenn er dich wirklich nicht will, ist er sowieso verloren!« Ruki packte die Hand des Honigblonden und legte sie obendrauf. »Und das bleibt unter uns?«, fragte dieser noch einmal nach und sah mich an. »Ihr beide helft mir, Kai darf es nicht wissen und Reita ist zu dumm dafür, der würde sich verplappern.« »Hey!«, empörte ich mich sofort. »Na ja, du gleichst den IQ bei euch ja sehr gut aus«, zwinkerte er wieder genauso vergnügt wie immer und sorgte dafür, dass wir die Hände in die Luft warfen. Nur dass er dieses Mal nicht mehr so beschwert wirkte. Es schien ihm wirklich geholfen zu haben, darüber zu reden. »Jetzt fühle ich mich echt wie eine Frau, so lange tratschend auf dem Klo …«, seufzte Uruha und grinste, als Ruki empört die Hände in die Seiten stemmte. »Du hast doch die ganze Zeit auf dem Wannenrand gesessen und nicht auf dem Klo!« »Klugscheißerchen. Aber ich finde, wir sollten mal was richtig Männliches unternehmen, um es den anderen beiden zu zeigen! Von wegen ›Weiberbad‹! Also, irgendwelche Vorschläge, meine Herren? Aoi?« »Filmabend mit Bier und Rülpsen?« »Und Blähungen!« »Und Pornos!« »Uruha!«, riefen Ruki und ich gleichzeitig. »War doch nur Spaß. Also gut, Männer, es ist spät, wir sollten uns ausruhen für unseren ersten Urlaubstag. An dem wir bereits einen Termin mit dem Management haben. Man soll es nicht glauben, aber das nennt sich bei uns Urlaub.« »Wir haben einen Termin beim Management?«, fragte ich verwirrt. »Hat Kai doch schon zweimal erzählt heute!« Ich sollte wirklich etwas für meine Aufmerksamkeit tun. Oder zumindest die Zusammenfassung lesen. Aber nicht jetzt, denn wie die anderen war auch ich müde und musste noch einen vermutlich eingeschlafenen Bassisten vom Fernseher abholen. Vor dem ich ab jetzt ein Geheimnis hatte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)