Heroines of War von SarahShepard ================================================================================ Kapitel 27: Die Wege trennen sich --------------------------------- Vom Schreien erschöpft und von den unerträglichen Schmerzen gepeinigt krümmte Ellen sich auf dem Waldboden. Nachdem die Kroganer ihr alle Panzerungsplatten vom Leib gerissen hatten, waren sie zunächst dazu übergegangen, an dem Stück Holz in ihrer Wade zu ziehen und zu drehen, während sie immer wieder die selbe Frage stellten: Wo sind eure Kameraden? Und jedes Mal, wenn Ellen gekreischt hatte, dass sie es nicht wüsste, hatten sie ihr einen Tritt oder Schlag verpasst. Sie war sich sicher, dass mehrere Rippen und ein Arm gebrochen waren. Außerdem hatte man ihr die rechte Schulter ausgekugelt und den Ast aus ihrem Bein gezogen, weshalb sie nun stark aus der Wunde blutete. 'Wenigstens ist es bald vorbei' dachte sie. Bald würde sie wegen des Blutverlustes sterben. Olivia, die sie an einen Baum gefesselt hatten, während Ellen gequält worden war, würgte, als sie ihr den ersten kräftigen Tritt in die Magengrube verpassten, welcher sie einen Meter über den Waldboden rutschen ließ. Sie machte den Versuch, aufzustehen, doch Krol stellte einen Fuß auf ihren Rücken und drückte sie wieder nach unten. „Friss Dreck, Mensch“, knurrte er. „Und wag' es nicht, noch einmal aufzustehen.“ Ellen konnte ihren Blick nicht abwenden und sah, wie Olivia sich verzweifelt wand, doch der Kroganer über ihr war zu stark und zu schwer. Krols Partner, welcher mit dem Rücken zu Ellen stand, lachte. „Sieh nur, wie sie zappelt. Wie ein Fisch auf dem Trockenen.“ Während Krol begann, Olivia ähnlich zu bearbeiten wie sie zuvor, wurde Ellens Aufmerksamkeit von etwas an der Hüfte des anderen Kroganers geweckt. Eine Waffe hing lose an der Panzerung, und trotz all der Schmerzen reifte ein verzweifelter Plan in ihr heran. Sie sammelte alles, von ihrer Willenskraft und ihrem Kampfgeist noch übrig geblieben war und versuchte, die Schmerzen für einen Moment zu ignorieren. Vorsichtig schob sie sich zu ihm hin, während er über Olivias Schmerzensschreie lachte, doch als Ellen gerade die Hand nach der Pistole ausstreckte, drehte er sich blitzschnell um und verpasste ihr einen harten Tritt gegen den Kopf. „Denk nicht mal im Traum daran“, knurrte er und zog die Waffe. „Eigentlich wollten wir später noch mit dir spielen, aber du wirst lästig.“ Als er die Pistole entsichert hatte und auf ihren Kopf zielte, wurde er plötzlich von mehreren Kugeln in der Seite getroffen. Irritiert suchte er den Wald ab, als ein Marine auf ihn zu stürmte und wie wild auf den Kroganer schoss. Nachdem er zu Boden gegangen war, wandte sich die Person Krol zu, doch dieser hatte schneller reagiert und hob den Marine mit einer Hand in die Luft, während die andere seine Schrotflinte zückte. Allen Schmerz ignorierend stürzte Ellen sich auf die Pistole des toten Kroganers neben ihr und feuerte auf Krol, doch er hatte einen starken Schild, welcher die Projektile abfing. Ein Knall ertönte aus der Schrotflinte und der Marine in seiner Hand hörte auf zu zappeln. Wie ein Stück Müll warf er ihn zur Seite und lachte. „Netter Versuch“, brummte er. Wütend und schockiert feuerte Ellen weiter, doch ihre Hand fing so sehr an zu zittern, dass sie ihn verfehlte. Dadurch, dass Krol seine Aufmerksamkeit wieder auf Ellen lenkte, bemerkte er nicht, wie weitere Marines aus dem Wald kamen und mit mehreren Feuersalven seinen Schild ausschalteten und ihn schließlich töteten, bevor er auch nur einen weiteren Schuss aus seiner Schrotflinte abgegeben hatte. Plötzlich rauschte ein Shuttle dicht über ihre Köpfe hinweg und kurz darauf konnte Ellen mehrere Explosionen aus dem Lager der Söldner hören. „Sie haben die Granaten abgeworfen. Krieger, tu für die Verletzten, was du kannst. Nilson, du bleibst hier und gibst ihnen Deckung, falls jemand euch angreifen sollte. Seht zu, dass sie so schnell wie möglich transportiert werden können Der Rest folgt mir!“, rief Corporal Harlow und preschte auf die brüllenden Söldner zu, welche wie eine aufgeschreckte Tierherde wild durcheinander liefen. Lauren hockte sich neben Ellen und betrachtete eindringlich die sichtbaren Verletzungen. „Was haben sie euch bloß angetan“, flüsterte sie, als sie mit Entsetzen in den Augen Verbände um ihr Bein wickelte. Ellen war zu erschöpft, um viel zu sagen, und raunte nur: „Wird schon.“ Lauren ging als nächstes zu Olivia, doch sie hatte zumindest keine äußeren Verletzungen und klagte nur über starke Schmerzen in zwei Rippen. Nislon untersuchte währenddessen den leblosen Marine am Boden und nahm ihm vorsichtig den Helm ab. Schockiert erkannte Ellen Holly. Nachdem er am Hals ihren Puls gemessen hatte, brummte der Private: „McGill ist tot.“ „Warum ist sie alleine auf die Kroganer losgegangen?“, fragte Olivia kühl. Sie rappelte sich vom Boden auf und ging zu Ellen hinüber. Lauren trat vor Hollys Körper und schloss ihre Augen. „Sie ist losgerannt, als wir deine Schreie gehört haben, Oliv. Nilson, hilf Ellen auf die Beine, wir müssen schnell zum Shuttle, bevor Verstärkung eintrifft.“ Sie versuchten zunächst, Ellen auf einer Seite zu stützen und sie mit dem unverletzten Bein selbst gehen zu lassen, doch es ging nicht. Ellen hatte keine Kraft mehr in ihrem Körper, und ihr wurde schwindelig, sobald sie versuchte, zu stehen. Die Schmerzen machten es ihr unmöglich, auch nur einen Meter zu gehen. „Krieger, Schulze, ihr müsst mir Deckung geben“, sagte Nilson, gab Olivia seine Waffe und hob Ellen auf seine starken Arme. Ihre gebrochenen Rippen waren dadurch an seine Brust gepresst und raubten ihr den Atem, doch es gab keine andere Möglichkeit, sie problemlos zu transportieren, weshalb sie die Zähne zusammenkniff und ihre Konzentration auf das Geschehen um sich herum lenkte. Das meiste nahm sie nur verschwommen war, doch sie erkannte, dass das Shuttle mitten im Lager gelandet war und sich nun einige Marines davor aufgebaut hatten, um es vor den Söldnern zu beschützen, welche die Explosionen der Granaten überlebt hatten. Nilson legte einen Zahn zu, während Olivia und Lauren herannahende Gegner abwehrten. Sie schafften es zum Shuttle, in welchem bereits Shaun und Ida lagen. „Sie haben sie!“, rief Commander Lance. „Alle Marines ins Shuttle! Los!“ Nilson lehnte Ellen sanft gegen die Wand des Hecks, während alle anderen hinein sprangen. Als sie vollzählig waren, beschleunigte Sörensen irrsinnig und verließ die Planetenoberfläche. „Seien Sie vorsichtig, die großen Schiffe werden immer noch da sein. Vielleicht sind sie inzwischen sogar mehr geworden“, sagte Lance, als er sich auf den Platz des Co-Piloten gesetzt hatte. Die Erschöpfung gewann bei Ellen die Oberhand. Jemand setzte sich zu ihr und redete, doch sie verstand kein Wort. Das letzte, was sie fokussieren konnte, bevor sie endgültig das Bewusstsein verlor, war Casey, die schluchzend Idas leblosen Körper an ihre Brust drückte. Als Ellen wieder zu sich kam, wusste sie weder, wo sie war, noch wie viel Zeit vergangen war. Sie öffnete langsam ihre Augen und starrte eine graue Decke an. Danach sah sie an sich hinunter und bemerkte einen Gips und eine Schlinge um ihren rechten Arm. Außerdem schien ihr linkes Bein unter der Decke um einiges Dicker zu sein als das Andere. „Sie sind endlich wach“, sagte eine in einem weiß-grauen Overall gekleidete Frau. Sie stand gegenüber von Ellen in der Tür zu dem Zimmer, neben welcher eine breite Scheibe eingelassen war. Sie trat an das Fußende des Bettes heran. „Ich bin Doktor Maxime. Willkommen an Bord der SSV Tokyo. Wie geht es Ihnen, Corporal? Haben sie Schmerzen? Wir haben ihnen gerade erst relativ starke Mittel gespritzt.“ Zögerlich setzte Ellen sich in ihrem Bett auf und bewegte jeden Körperteil einmal kurz. Ihr linkes Bein tat etwas weh, doch sie würde es aushalten. „Nein, es ist in Ordnung. Wie lange war ich weg?“, fragte sie mit kratziger Stimme. Doktor Maxime holte wie von Zauberhand einen Becher Wasser hervor und reichte ihn ihr. „Zwei Tage. Aber bei Ihrem Zustand ist das nicht ungewöhnlich. Eine ausgekugelte Schulter und ein Knochenbruch im selben Arm, dazu drei gebrochene Rippen. Und wegen Ihrem linken Unterschenkel mussten wir sie mehrere Stunden operieren, doch wir konnten ihn retten. Sie hatten wirklich Glück, auf diesem Schiff zu landen, wir haben gerade erst eine rundum erneuerte medizinische Abteilung bekommen. Dank unserer fortschrittlichen Medizin und den ganzen Mitteln, die wir Ihnen verabreicht haben, müssten sie ihn in ein paar Tagen wieder langsam belasten können. Mit dem aktiven Dienst sollten sie aber noch wenigstens drei Wochen warten.“ Ellen nickte, während sie langsam den Becher leerte. Es fühlte sich gut an, wie die kühle Flüssigkeit ihre Kehle hinunterlief, denn sie hatte erst jetzt bemerkt, dass sie ziemlich durstig war. „Können Sie mir sagen, was genau seit unserer Flucht passiert ist? Und wo sind die Anderen von der Rome?“, fragte sie. Je länger sie wach war, desto mehr verschwand die Trägheit in ihrem Körper. „Nun, ich bin nicht mit allem vertraut. Wir waren auf einem Patrouillenflug, als ihr anscheinend mit dem Shuttle aus einem Massenportal in der Nähe kamt. Nachdem wir euch eingesammelt hatten, haben wir euch sofort medizinisch versorgt, aber wir konnten leider euren Piloten Tyk nicht retten. Alle anderen Überlebenden müssten gerade in einer der Messen sein, glaube ich, es ist Essenszeit. Ein paar von denen haben ständig gefragt, wann Sie denn endlich wach sind, bis ich ihnen hoch und heilig versprochen hatte, mich sofort zu melden, wenn Sie wieder bei uns sind. Fühlen Sie sich fit genug, um einen Ausflug zur Messe zu machen?“, fragte die Ärztin und lächelte. Ellen erwiderte: „Ja, ich denke schon.“ Sie wollte mit eigenen Augen sehen, wie viele Freunde sie verloren hatte. Die Erinnerung von Jenkins Tod flackerte in ihren Gedanken auf. Polk und Vorus würden für all das irgendwann bezahlen. Doktor Maxime verschwand kurz und kehrte mit einem Rollstuhl zurück. Vorsichtig half sie Ellen dabei, sich auf die Sitzfläche zu ziehen, denn als sie ihr linkes Bein auf den Boden setzte, durchfuhr sie ein stechender Schmerz. Sie betrachtete den dicken Verband, der darum gewickelt worden war, und entdeckte, dass jemand mit einem schwarzen Stift etwas darauf geschrieben hatte. „Werd' schnell wieder fit! Al.“ Ellen konnte sich ein kleines Lächeln nicht verkneifen. Immerhin hatte Alex alles gut überstanden. Die Ärztin schob sie aus dem Krankenflügel heraus und über mehrere Flure zu einem Fahrstuhl. Unterwegs kamen ihnen viele Marines entgegen, die Ellen einen mitleidigen Blick zuwarfen. „Wie groß ist die Tokyo, Doktor?“, fragte Ellen und versuchte, die Anderen zu ignorieren. „Zur Zeit haben wir ungefähr eintausend Marines an Bord, und zusätzlich auch noch das Personal. Also um einiges größer als die Rome es ist. War, meine ich“, sagte sie hastig und schwieg danach sofort. Ellen erwiderte darauf nichts, und die Fahrt im Lift verbrachten sie schweigend. Die Rome war seit fast achtzehn Monaten ihr zu Hause gewesen. Die Bilder des Absturzes würde sie ihr Leben lang nicht vergessen. Sie verließen den Fahrstuhl wieder und Maxime brachte sie in eine große Messe, welche Platz für wenigstens dreihundert Personen bot. „Hmm. Ich glaube, Ihre Leute sitzen immer dort drüben“, sagte sie nachdenklich und suchte die vielen vollbesetzten Tische ab. Einige der Marines sahen zu ihnen hinüber und verfolgten sie mit ihren Blicken, doch kurz danach verloren sie das Interesse wieder und machten sich über das Essen her. Ellens Herz pochte schneller, als sie sich langsam dem Tisch ganz hinten in der Ecke näherten, wo nur etwas über ein dutzend düsterer Gestalten saßen und in der kaum angetasteten Mahlzeit herumstocherten. Commander Lance, Lieutenant August, Van Hagen und Washington, Blake, Nilson, Harlow, Brown, Shaun, Olivia, Alex, Casey, Norah und Lauren. Es waren mehr, als sie befürchtet hatte, aber doch weniger als erhofft. So viele hatten während der Mission ihr Leben gelassen, dass es ihr einen dumpfen Schlag in der Magengrube verpasste. „Seht mal, wen ich euch hier bringe“, sagte Doktor Maxime mit einem freudigen Gluckser. Ihre gute Laune war hier eindeutig fehl am Platz, doch die Marines von der Rome sahen auf und einige der düsteren Mienen erhellten sich ein wenig. „Schön, dass sie sich zu uns gesellen, Corporal Webber“, sagte der Commander mit einem kleinen Lächeln. „Doktor, ich denke, Sie können gehen, es wird sich schon jemand finden, der unseren Corporal später wieder zu Ihnen bringt.“ „In Ordnung, Commander“, antwortete Maxime und ging mit federnden Schritten wieder zum Ausgang. Ellen betrachtete ihre Kameraden vom Tischende aus. Die meisten waren verhärmt und blass, und nicht wenige der Marines hatten Verletzungen. Schweigend wandten sich die meisten wieder ihrem Essen zu. „Hier, du bist sicher hungrig“, sagte Lauren, welche ihr am nächsten saß, und schob Ellen einen Apfel hin. Sie nahm ihn dankbar an und biss ein kleines Stück heraus. Räuspernd lenkte der Commander die Aufmerksamkeit wieder auf sich. „Nun, Corporal, wie ich gerade den Anderen mitgeteilt habe, gibt es ein paar Neuigkeiten vom Oberkommando. Die 231. Einheit wurde nun auch offiziell aufgelöst, dass heißt, sie werden getrennt und in verschiedenen Positionen eingesetzt, um Ausfälle zu kompensieren.“ Ellen fiel vor Schreck fast der Apfel aus der Hand. „Sir“, sagte sie unsicher , „gibt es keine andere Lösung?“ Doch sie kannte die Antwort bereits, bevor sie sein mitleidiges Kopfschütteln sah. Natürlich hatte sie nicht erwartet, bis zum Ende ihrer Dienstzeit mit ihren Freunden zusammen zu sein, aber nachdem sie so viele verloren hatten, würde sie sich schrecklich einsam fühlen, wenn ihre Einheit komplett getrennt werden würde. Sie hatten einiges zusammen durchgemacht, wodurch es eine Verbindung zwischen ihnen allen gab, die andere nicht sehen oder verstehen konnten. Der Commander fuhr fort. „Und noch etwas haben sie geschrieben. Polk konnte nicht gefunden werden, ebenso wenig wie die Black Horns. Sie scheinen sich ziemlich schnell zurückgezogen zu haben, nachdem wir ihnen entwischt waren.“ Wütend knallte Van Hagen eine Faust auf den Tisch und knurrte: „Damit sind sowohl der Verlust der Rome als auch die vielen Toten sinnlos gewesen. Sinnlos! Und dabei hatten die Betas ihn doch!“ Er stand auf und verließ mit festen Schritten die Messe. Was der Lieutenant gesagt hatte, verdarb Ellen den Appetit und sie legte den Apfel wieder auf den Tisch. Ja, sie hatten ihn gehabt, und er hatte sie betrogen. Sie waren auf ihn hereingefallen, obwohl sie die Vorgeschichte gekannt hatten. Doch einen kurzen Augenblick hatte Ellen tatsächlich gedacht, dass er ihnen dabei helfen würde, zu fliehen. Das Jenkins deswegen vor ihren Augen erschossen worden war, würde sie niemals vergessen. Schuldgefühle befielen sie und sie wünschte sich, wieder in ihrem Krankenzimmer zu sein. Lieutenant August stand ebenfalls auf, klopfte Ellen auf die Schulter und ging. „Das alles ist nicht deine Schuld, Webber“, sagte Kara Washington. „Und das weiß Greg eigentlich auch.“ Doch das zu hören munterte Ellen keineswegs auf. Sie hätte Polk von der Klippe schmeißen sollen, als sie die Chance dazu gehabt hatte, auch wenn das alles andere nicht verhindert hätte. Alex erhob sich und kam zu ihr. „Komm, wir gehen ein Stück.“ Obwohl Ellen den Rollstuhl mit der Steuerung selbst hätte lenken können, bestand Alex darauf, sie zu schieben, und als sie die Messe verließen, folgten ihnen Lauren, Olivia und Norah. Auf dem Weg zum Fahrstuhl stellte Ellen zu ihrer Erleichterung fest, dass keine von den Vieren schwer verletzt worden war. Sie trugen zwar hier und da Verbände und Olivia hielt sich in und wieder die Seite, doch im Großen und Ganzen waren sie okay. Sie fuhren schweigend zu dem Crewdeck hinunter und hielten dort vor einem breiten Fenster, durch welches man die Oberfläche eines blauen Planeten sehen konnte. Es war eigentlich ein schöner Anblick, doch niemand schenkte dem wirklich Beachtung. „Kann mir jemand erzählen, was ich während des Einsatzes verpasst habe? Wie habt ihr uns gefunden?“, fragte Ellen, um das Schweigen zu durchbrechen. Norah fing mit belegter Stimme an, zu erzählen, wie ihre Einheit durch den Wald gejagt worden war und das währenddessen Tran und John gestorben waren. Das versetzte Ellen einen Stich. Als sie ihn beim Essen nicht gesehen hatte, hatte sie noch die leise Hoffnung gehabt, dass John auf der Krankenstation sein würde. Das sie einen weiteren Freund verloren hatte, setzte ihr sehr zu, doch sie versuchte, es vor den Anderen nicht zu zeigen. Als Norah fortfuhr und den Punkt erreichte, an dem sie das Shuttle gefunden hatten, ergänzte Alex, wie sie von Sörensen und den Marines am Bord eingesammelt worden und sicher gewesen waren, dass Ellen tot gewesen war. „Weißt du eigentlich, wie genial du bis, El?“, fragte sie fast belustigt. „Du hattest den Sender aus Polks Bein noch bei dir, und nur deshalb konnten wir euch finden.“ Den Sender hatte Ellen völlig vergessen. Als sie ihn in ihren Fingern gedreht hatte, musste sie ihn unbewusst eingesteckt haben, als sie Polk gesucht hatten. Unglaublich, dass dieser kleine Zufall nicht nur ihr, sondern auch Olivia und Shaun das Leben gerettet hatte. Unwillkürlich musste sie an Ida denken. Für sie war die Rettung zu spät gewesen, sie war während des Fluges gestorben. Ellen dachte an die Zeit während der Grundausbildung zurück, als sie sich mit ihr und Casey ein Zimmer geteilt hatte. Ida war immer ein sehr direkter Mensch gewesen und konnte andere Personen durchschauen wie keine zweite. Und auch wenn sie selbst meist eher ruhig gewesen war, hatte sie sich eng mit der quirligen Casey angefreundet. Diese war in der Messe still gewesen und hatte keine Regung gezeigt, nicht einmal, als Ellen angekommen oder Van Hagen gegangen war. „Wie geht es Casey?“, fragte sie. „Das alles hat sie sehr mitgenommen“, antwortete Lauren. „Doch seit Ida vor ihren Augen verblutet ist, hat sie kein Wort gesagt, nicht einmal bei der Trauerfeier heute morgen. Sie wird Zeit brauchen, wie wir alle. Und vielleicht solltest du mal versuchen, mit ihr zu reden.“ Ellen nickte. „Ja.“ Ein Shuttle rauschte an dem Fenster vorbei und flog auf die Landebucht zu, welche außerhalb ihres Blickwinkels lag. „Wir werden also getrennt“, murmelte Olivia und betrachtete den blauen Planeten draußen. Norah erwiderte: „Und sie werden uns möglichst schnell wieder im Einsatz sehen wollen, damit wir unseren Kameraden nicht zu lange betrauern. Die meisten von uns haben keine schweren Verletzungen, es kann also nicht mehr lange dauern, bis wir gehen.“ „Ich fliege morgen“, sagte Lauren seufzend und die anderen wandten sich erstaunt zu ihr um. „Wie bitte?“, fragte Alex verdattert. „Ich habe heute morgen mit dem Commander darüber gesprochen und kurz vor dem Mittagessen die Nachricht bekommen. Meine medizinische Ausbildung wird in zwei Tagen beginnen. Commander Lance hat dafür gesorgt, dass ich in den Lehrgang für Sanitäter reinkomme. Ich möchte nicht eine Schiffsärztin werden, die nicht da ist, wenn es so wie bei John oder Ida schnell gehen muss. Ich werde sowohl Marine als auch Sanitäterin sein. Während des Lehrgangs habe ich entweder von morgens bis abends Kurse oder bin zwischendurch auf Schiffen, um praktische Erfahrung zu sammeln.“ Norah legte ihr eine Hand auf den Rücken und lächelte milde. „Das hört sich gut an. Schön, dass es für dich endlich vorangeht.“ Ellen schluckte schwer. Die fünf Frauen hatten sich seit zwanzig Jahren fast jeden Tag gesehen, doch von nun an würde sich alles ändern. Es wurde Zeit, dass sie erwachsen und selbständig wurden, aber trotzdem war es nicht leicht. Nachdem sie noch ein wenig geredet hatten, brachten sie Ellen wieder auf die Krankenstation, denn sie war schrecklich müde, was vermutlich an dem stark beschleunigten Heilungsprozess lag. Kaum das sie wieder im Bett lag und die Anderen sich verabschiedet und versprochen hatten, später vorbeizuschauen, fiel sie in einen tiefen Schlaf. Als sie das nächste mal aufwachte, war es dunkel in ihrem Zimmer. Verwundert darüber, was sie geweckt haben konnte, richtete sie sich auf, und bemerkte eine schluchzende Gestalt an ihrem Bett. „T-tut mir leid“, sagte Casey mit zittriger Stimme. „Wollte nur sehen, ob du wach bist. Die Anderen schlafen alle und ich wollte nicht alleine sein.“ Ellen setzte sich in ihrem Bett auf und schaltete eine kleine Lampe neben ihrem Bett ein. „Macht nichts.“ Sie spürte, wie Schmerz in ihren Rippen aufflackerte, und verzog das Gesicht. Casey sprang auf. „Warte, ich hole Doktor Maxime.“ Sie verschwand und kam mit der Ärztin zurück, welche Ellen etwas spritzte und müde lächelnd wieder ging. „Macht aber nicht so lange“, sagte sie noch, als sie das Zimmer verließ. Schweigend setzte Casey sich auf Ellens Bett und vergrub ihr Gesicht in den Händen. „Ich vermisse sie alle so“, nuschelte sie und zitterte. „Ich kann das alles noch gar nicht richtig glauben.“ Ellen strich ihr sanft mit dem unverletzten linken Arm über den Rücken. Als Casey zu ihr sah und dicke Tränen über ihr Gesicht rollten, konnte Ellen ihre eigene Trauer nicht mehr zurückhalten. Sie hatte es heute Nachmittag so gut verdrängt, wie es ging, doch ihre sonst immer fröhliche Kameradin zu so sehen, brachte sie um ihre Selbstbeherrschung. Gemeinsam trauerten sie um ihre verstorbenen Freunde, bis sie einschliefen. Am nächsten Morgen war Ellen alleine in ihrem Zimmer. Als sie Casey beim Frühstück in der Messe sah, meinte sie, dass ihr Gesicht ein wenig … lebhafter aussah. Vier Tage später unternahm Ellen die ersten Versuche, mit der Hilfe einer Krücke zu gehen. Vorsichtig setzte sie das linke Bein auf den Boden und stand auf. Es tat weh, aber nicht so sehr, dass sie für heute aufgeben musste. Sie ging langsam zwei Schritte und Doktor Maxime applaudierte. „Sehr schön, Corporal. Sie machen gute Fortschritte.“ Nachdem Ellen eine kleine Runde durch den Raum gegangen war, ließ sie sich wieder auf ihr Bett fallen. Maxime machte eifrig Notizen auf einem Datenpad und verließ murmelnd den Raum. „Nachher nochmal das ganze“, sagte sie nachdenklich. „Oh, hallo Private.“ Ellen sah auf und entdeckte Olivia im Türrahmen. „Ich dachte, ich schaue mal vorbei“, sprach sie und setzte sich auf den Hocker neben Ellens Bett. „Heute kamen meine neuen Befehle.“ Vor drei Tagen hatten sie Lauren verabschiedet, und seitdem waren inzwischen auch Lieutenant Washington, Blake, Nilson, Harlow und Brown gegangen. Nicht mehr lange und Ellen würde die letzte sein, denn ihr Heilungsprozess würde noch wenigstens zehn Tage andauern. „Wo geht es für dich hin? Und wann fliegst du?“, fragte Ellen bedrückt. „Ich werde in vier Tagen auf ein neues Schiff versetzt, zusammen mit Norah.“ Ellens zuvor recht gute Laune verfinsterte sich schlagartig. „So bald schon? Schade“, murmelte sie. Sie wollte unbedingt mit Norah reden, bevor sie ging, denn sie musste noch einiges richtigstellen, wozu sie auf der Rome keine Gelegenheit mehr gehabt hatte. Bisher hatte sie sie noch nicht alleine getroffen, aber wenigstens blieben ihr noch drei Tage Zeit. „Ja, aber es ist besser so. Wir haben hier keine wirkliche Aufgabe, und ich kann dann endlich von vorne Anfangen. Jeden Tag Holly zu sehen hat es mir unmöglich gemacht, den … Vorfall mit Karen zu vergessen. Aber am Ende hat McGill wenigstens bekommen, was sie verdient hat“, sagte sie mit eiskalter Stimme. Ellen riss entsetzt die Augen auf. „Oliv, das meinst du nicht so, oder?“ Holly hatte ihr das Leben gerettet. Als sie Olivia schreien gehört hatte, war sie allen anderen vorausgeeilt, um ihnen zu helfen, und wenn sie auch nur eine Sekunde später gewesen wäre, hätte Krol Ellen erschossen. Holly hatte ihr Leben gegeben, um gutzumachen, was passiert war. Wütend fauchte Olivia: „Natürlich! Ich habe die Hölle durchgemacht, und sie hat dieser Irren dabei auch noch geholfen! Wenn ich die Krogander dabei unterstützt hätte, sie zu verprügeln, wären wir quitt gewesen.“ „Olivia, sie ist gestorben, um uns zu retten!“, brüllte Ellen fast. Die Haltung ihrer Freundin entsetzte sie. „Auf wessen Seite stehst du eigentlich?“, fragte Olivia wütend. „Zweifelst du etwa meine Loyalität an?“, gab Ellen empört zurück. „Ich habe immer zu dir gehalten und sie aus dem Team genommen, nachdem du mir von dem Vorfall erzählt hattest!“ Ellen versuchte, sich zu beruhigen. Sie wusste, dass es keinen Sinn hatte. Vor ihr saß nicht die aufgeweckte, lebensfrohe Olivia Schulze, die sie vor dem Tod ihrer Eltern gewesen war. „Ich erkenne dich gar nicht wieder“, sprach sie leise. Olivia stand auf. „Menschen ändern sich“, sagte sie kühl und stürmte aus dem Zimmer, wobei sie beinahe Alex zu Fall brachte. „Hee, Vorsicht“, sagte diese überrascht und kam in Ellens Zimmer. „Was ist denn mit der los?“ Ellen schüttelte den Kopf. „Nichts, wir hatten nur eine kleine … Auseinandersetzung.“ Alex sah sie fragend an, doch sie verstand, das Ellen vorerst nicht mehr sagen würde, und zuckte mit den Achseln. „Nun ja, das ist ja jetzt auch egal“, sagte sie. „Ich habe hervorragende Neuigkeiten für dich.“ Ellen sah an ihrem Lächeln, dass dies kein Scherz war. „Was gibt es denn?“ „Commander Lance hat mir gerade mitgeteilt, dass du mich wohl noch etwas ertragen musst. Sobald du wieder halbwegs fit bist, schließen wir beide uns einer Garnison an und beschützen eine Forschungskolonie.“ In Ellens Kopf blitzten Bilder der letzten Forschungskolonie auf, die sie von Innen gesehen hatte. Mit Antibaar verband sie keine schönen Erinnerungen, und ihr Blick wanderte auf die verdeckte Narbe an ihrem Oberarm. Alex verstand, was in ihr vorging, und sagte aufmunternd: „Nein, nicht so eine. Es geht um eine protheanische Ruine, die eine unserer Sonden vor ein paar Monaten entdeckt hat. Nichts mit gruseligen Mutanten oder Zombies. Und selbst wenn, gegen uns beide haben die keine Chance.“ „Das stimmt“, erwiderte Ellen und lächelte. Wenigstens Alex würde ihr also erhalten bleiben. Humpelnd ging Ellen vier Tage später über die Flure der Tokyo auf der Suche nach dem Quartier ihrer Leute. Doktor Maxime hatte ihr zwar gesagt, dass sie es mit dem Laufen noch nicht übertreiben sollte, doch Ellen hatte gute Schmerzmittel bekommen und war froh darüber, endlich vor der aufgeweckten Ärztin fliehen zu können. Ihre übertriebene gute Laune machte sie noch krank. Endlich fand sie die gesuchte Tür und trat hindurch. Norah stand über eine Tasche gebeugt vor einem Bett, und zu Ellens Erleichterung war außer ihnen niemand sonst im Raum. „Hey“, sagte sie und humpelte auf Norah zu. Diese drehte sich um und zeigte ein schwaches Lächeln. „Du trampelst ganz schön. Ich habe dich schon vom weiten kommen hören.“ Ellen ließ sich auf ein Bett ihr gegenüber fallen. „In ein paar Tagen ist hoffentlich alles wieder in Ordnung. Ich ertrag Doktor Maxime nicht länger“, brummte sie. „Ihr reist gleich ab, oder?“ Norah nickte und wandte sich wieder ihrer Tasche zu. „Ja. Das Shuttle müsste gleich bereit sein.“ Nachdem sie beide einen Moment geschwiegen hatten, sagte sie: „Das mit John tut mir leid.“ „Ja, mir auch. Er war ein guter Freund.“ Ellen dachte darüber nach, wie sie sagen konnte, was Norah noch wissen sollte, bevor sie ging. Zu ihrer Überraschung packte diese plötzlich ihre Tasche und pfefferte sie auf den Boden. „Was mache ich hier eigentlich? Da ist doch eh nichts drin außer der neuen Uniform!“, brüllte sie fast wütend. „Wir haben durch den Absturz so viel verloren. Und beinahe auch noch dich!“ Sie ließ sich auf ihr Bett fallen und vergrub ihr Gesicht in den Händen. „Totgesagte leben länger“, sagte Ellen mit einem schiefen Lächeln. Erbost sprang Norah auf. „Du verstehst es einfach nicht, oder? Hälst du das alles für einen Witz? Für einen Moment dachte ich, du wärst tot! Weißt du eigentlich … ach, vergiss es. Du verstehst es doch nicht.“ Sie hob ihre Tasche auf und warf sie sich wütend um die Schulter. Doch Ellen verstand sehr gut. Sie stand ebenfalls auf und sagte sanft: „Norah, ich -“ „Norah? Wo bleibst du denn?“, fragte Olivia, welche plötzlich in der Tür stand. „Wir werden unten erwartet.“ Als sie Ellen entdeckte, verfinsterte sich ihr Blick. „Oh. Na ja, beeil' dich“, brummte sie und ging wieder. Norah ging an Ellen vorbei. „Mach's gut.“ Doch bevor sie außerhalb ihrer Reichweite war, schaffte Ellen es, sie am Handgelenk zu packen. „Norah, warte bitte.“ Ihr Herz pochte wie wild. Sie wusste, dass das hier ihre letzte Chance war, um zu sagen, was sie schon seit Jahren fühlte und was nun endlich gesagt werden musste. „Ich weiß, dass du und alle anderen denken, dass zwischen John und mir etwas gelaufen ist. Da war aber nie etwas.“ Zögernd drehte Norah sich zu ihr um. „Nein?“ „Nein“, sagte Ellen mit Nachdruck. „Er war nur ein guter Freund, mehr nicht. Ich habe schon lange Gefühle für jemand anderen, die ich nicht länger ignorieren kann.“ Sie sah in Norahs blaue Augen und konnte förmlich beobachten, wie sie das Gesagte langsam verstand. „Norah … das letzte, woran ich gedacht habe, als ich die Klippe heruntergefallen bin, warst du. Ich weiß, ich hätte viel eher etwas sagen müssen. Als du im Flux warst und so unglaublich aussahst -“ Doch weiter kam sie nicht, denn Norah nahm ihr Gesicht in beide Hände und küsste sie stürmisch. Nachdem sie die Überraschung überwunden hatte, erwiderte Ellen den Kuss, bis sie sich voneinander lösten, um wieder Luft zu kriegen. Zum ersten Mal seit dem Abend im Flux, welcher Wochen her zu sein schien, sah Ellen Norah richtig lächeln, und eine wohlige Wärme durchströmte ihren ganzen Körper. „Wir hätten das eher machen sollen“, sagte sie schmunzelnd, während sie ihre Stirn an Norahs lehnte. „Ja.“ „Du musst los.“ „Ja“, erwiderte Norah seufzend. Doch bevor sie sich endgültig voneinander trennten, stahl Ellen noch einen letzten Kuss von Norahs Lippen, wohl wissend, dass es dauern würde, bis sie sich wiedersahen. „Pass auf dich auf. Und auf Oliv.“ Norah erwiderte: „Du auch auf dich und Alex.“ Dann ging sie zur Tür, drehte sich aber im Rahmen noch einmal um und schenkte Ellen ein umwerfendes Lächeln, bevor sie endgültig verschwand. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)