Heroines of War von SarahShepard ================================================================================ Kapitel 16: Doktor Vicerus -------------------------- „Meine Geschichte … ist schnell erzählt“, setzte Quentin schwer atmend an. „Wir … Wir sollten Vorräte und andere Dinge an diese Forschungsstation liefern. Der Antrieb von unserem Schiff ist hochgegangen, kurz bevor wir landen wollten, was aber auch nur noch eine Frage der Zeit war. Das Ding war uralt und machte wohl schon seit Monaten Probleme. Jedenfalls haben es … d - die meisten zu der Rettungskapsel geschafft. Bei der Landung haben wir es uns in dem Ding gemütlich gemacht und wollten auf unsere Abholung warten, doch plötzlich hat etwas wie bescheuert gegen unsere Hülle geschlagen. Tyler ist rausgegangen, um herauszufinden, was es war, und kam schreiend und mit tiefen Wunden zurück. Das Ding … ist zu uns in die Kapsel gesprungen, doch wir konnten rechtzeitig fliehen und sind so schnell zur Kolonie gerannt, wie wir konnten. Diese Kreatur fand Tyler anscheinend interessanter … und hat uns in Ruhe gelassen. Als wir dann hier angekommen sind, waren ein paar von denen im Hof und haben drei von uns auseinandergenommen, aber ich konnte mich in dieses Gebäude retten und … habe mich hier verschanzt.“ Er hustete und röchelte erneut. „Geht es ihnen gut?“, fragte sie besorgt. „Hab mich draußen … wohl ein wenig unterkühlt“, erwiderte Quentin. Lieutenant Washington aktivierte ihr Omni-Tool und gab ein paar Befehle ein, doch nichts geschah. „Immer noch kein Signal zur Rome.“ Sie stand auf und lief unruhig hin und her. „Die Munition wird nicht ewig halten. Wir müssen evakuiert werden und brauchen dafür wahrscheinlich alle unsere Leute. Ich muss zur Kommunikationsanlage und sehen, was ich tun kann.“ „Dabei … dürfte ihnen das hier sicherlich helfen“, sagte Quentin hustend, stand auf und öffnete eine Karte auf dem großen Wandbildschirm neben dem Schreibtisch. „Hab ich entdeckt, als ich mich hier drinnen umgesehen habe.“ Washington stellte sich vor den Bildschirm und musterte die Karte. „Die Kommunikationsanlage ist im nächsten Gebäude … hmm … okay“, sagte sie nachdenklich. Danach tat sie anscheinend nur noch so, als würde sie den Plan mustern, denn sie öffnete einen direkten Kommunikationskanal zu Ellen und John und flüsterte fast, als sie mit ihnen redete. „Dieser Quentin kann uns gerade nicht hören. Ich traue ihm nicht, er ist viel zu ruhig. Ich werde versuchen, irgendwie ein Signal zur Rome zu kriegen. Ohne Hilfe werden wir definitiv nicht alle überleben. Ihr beide habt in der Zeit ein Auge auf den Arzt. Und passt auf die Tür auf, sie wird vielleicht nicht ewig halten, wenn die Dinger noch einmal und in größerer Anzahl angreifen sollten. Wenn ich wieder zurück bin, verschanzen wir uns hier drin oder versuchen, ins Freie zu kommen.“ Langsam lud sie ihre Waffen nach. „Sie können nicht alleine gehen, das ist Selbstmord!“, knurrte John. „Diese Dinger werden Sie auseinanderreißen noch ehe sie im nächsten Gebäude sind!“ „O'Malley!“, erwiderte sie scharf und drehte sich zu ihnen um. „Zweifeln sie etwa an meinen Fähigkeiten?“ Irritiert schüttelte John nur den Kopf, was Ellen zum Schmunzeln brachte, denn er war sonst eigentlich nie um eine Antwort verlegen. „Ich verstehe, dass sie sich Sorgen machen, aber das ist nicht nötig. Ich habe noch ein Ass im Ärmel.“ Washingtons linke Hand fing plötzlich an, blau zu leuchten. „Biotik?“, fragte Ellen verdutzt. Sie hatte von dieser einzigartigen Fähigkeit gehört, doch selbst noch nie gesehen, wie jemand sie benutzte. Sie war sie einigen der außerirdischen Völker weit verbreitet, doch unter den Menschen gab es nur sehr wenige Biotiker. Diejenigen, welche die Gabe besaßen, konnten Gegenstände mühelos durch die Luft werfen, in einer Sekunde eine Entfernung von über zwanzig Metern überbrücken, Barrieren entstehen lassen und noch viele andere unglaubliche Dinge tun. In diesem Moment wurde ihr klar, dass auch ein paar dieser Kreaturen biotische Fähigkeiten besaßen, denn damit war sie gegen die Wand geschleudert worden. „Ja. Ich wünschte, ich hätte sie einsetzen können, um zu verhindern, dass Sie verletzt werden, Webber, aber ich wäre so oder so zu spät gewesen und wollte meine Kräfte schonen“, sagte der Lieutenant entschuldigend. „O'Malley, alleine bin ich unauffälliger und es ist wichtig, dass sie hierbleiben, denn falls es Webber schlechter gehen sollte, ist sie auf Sie angewiesen. In ihrer momentanen Verfassung kann sie nur eingeschränkt kämpfen und wäre leichte Beute. Verstehen Sie das?“ John nickte bloß als Antwort. „Gut. Stellen sie bitte nie wieder die Kompetenzen ihrer Vorgesetzten in Frage, denn das könnte bei jemand anderen üble Konsequenzen für sie haben.“ „Worüber diskutiert ihr denn so eifrig?“, wollte Quentin lächelnd wissen. „Nur über diesen Einsatz“, antwortete Washington mit einem aufgesetzten Lächeln in der Stimme. „Machen Sie sich keine Sorgen, ich werde unsere Abholung arrangieren.“ Sie griff nach der Pistole in dem Halfter und reichte sie Ellen. „Private, ich hoffe, dass Sie diese nicht auch noch fallen lassen.“ Ellen antwortete: „Natürlich nicht, Ma'am.“ Im Austausch dafür gab sie Washington eins ihrer beiden Ersatzmagazine. „Das hier werden Sie eher brauchen als ich.“ Dankbar griff der Lieutenant danach und zog ihre Schrotflinte wieder aus der Halterung. „O'Mally, Quentin, seit doch bitte so gut und schiebt den Schrank zur Seite.“ Die beiden Männer taten wie geheißen, und Washington beeilte sich mit gezückter Waffe den Raum zu verlassen. Direkt hinter ihr wurde die Tür wieder verschlossen und der Schrank zurück an seine Position geschoben. „Und was machen wir nun?“, fragte John und lehnte sich gegen eine Wand. Als Antwort zuckte Ellen nur mit den Achseln. Sie fühlte sich etwas schwindelig und ging deshalb um den Schreibtisch herum, wo sie sich auf den dazu gehörigen Stuhl setzte. Lange Zeit sagte niemand etwas. Schließlich sah Ellen sich neugierig um. Auf dem Tisch befand sich nicht viel außer einem Arbeitsterminal, einem Datenpad und dem eingerahmten Fotos einer hübschen Frau in den Dreißigern. „Wie geht es ihrem Bein, Doc?“, fragte John an Quentin gewandt. „Es wird schon, Junge. Aber darf ich fragen, wie ihr eigentlich heißt?“ „Ich bin John O'Malley, und meine Kameradin dort drüben heißt Ellen Webber.“ „Nun, John und Ellen, warum setzt ihr nicht die Helme ab? Hier droht doch wirklich keine Gefahr und ich finde es so schrecklich unpersönlich. Ich fühle mich nicht wohl, wenn ich die Gesichter anderer Personen nicht sehen kann.“ O'Malley sah zu Ellen herüber, welche kaum merklich den Kopf schüttelte. Sie hatten ihre Anweisungen, und da durchaus die Möglichkeit bestand, dass sich der Erreger in der Luft befand, würden sie sich ohne ihre Helme mit den Sauerstofffiltern einer großen Gefahr aussetzen. „Geht nicht, Vorschriften“, sagte John zu dem Arzt. „Ich verstehe. Nun denn, John, erzählen sie ein paar Geschichten von ihren Einsätzen. Wir haben wohl noch ein wenig Zeit totzuschlagen und ein gestandener Marine wie Sie hat doch bestimmt schon einiges erlebt.“ O'Malley fing an, von der Mission auf Tiptree zu erzählen, doch Ellen hörte kaum noch zu, weil etwas anderes ihre Aufmerksamkeit erregt hatte. Am Bildschirmrand des Arbeitsterminals hatte kurz ein rotes Licht aufgeblinkt, ein Zeichen dafür, dass es noch eingeschaltet war. Sie tippte wahllos auf der Tastatur herum und der Bildschirm wurde erleuchtet. Geöffnet war ein Ordner mit Videoaufzeichungen, so wie es aussah. Die Dateien waren zum Teil Monate alt, doch Ellen interessierte sich nur für die neuesten Einträge. Sie hoffte, Hinweise darauf zu finden, was hier geschehen war. Aufgeregt öffnete sie das drittletzte Video, welches eine Woche alt war. Zu sehen war ein Mann in den Dreißigern mit blonden Haaren und einem Dreitagebaart. „Hier spricht Doktor Edwyn von der Allianz-Forschungskolonie auf Antibaar. Zur Zeit haben wir draußen -47°C und zum ersten Mal seit Wochen wieder einen klaren Himmel. In den letzten Tagen haben wir keine bemerkenswerten Fortschritte gemacht, doch ich glaube, das Rupert bald vor einem Durchbruch steht bei dem Gas, das biotische Kräfte unterdrückt.“ Einen Moment sah er sich vorsichtig um, dann beugte er sich näher an die Kamera und sprach leiser. „In letzter Zeit gab es einige ungewöhnliche Vorkommnisse und ein paar Proben der Experimente sind verschwunden. Ich habe einen Verdacht, wer das gewesen sein könnte, doch ich kann es nicht beweisen. Noch nicht.“ Daraufhin endete der Eintrag und Ellen öffnete den zweiten, welcher vier Tage später und drei Tage vor dem heutigen gemacht worden war. John trat hinter sie und blickte ihr über die Schulter, ohne etwas zu sagen. Quentin gesellte sich nicht zu ihnen, was ihr nur recht war, aber Ellen hatte das Gefühl, dass er trotzdem zuhörte. „Doktor Edwyn hier von Antibaar. Scheiß darauf, wie es draußen ist, hier drinnen geht es drunter und drüber. Ich habe vor ein paar Stunden Doktor Vicerus dabei erwischt, wie er etwas aus dem Labor gestohlen hat. Der Sicherheitsdienst wurde sofort alarmiert, doch er ist uns auf unerklärliche Weise entwischt und es fehlt jetzt jede Spur von ihm. Kann sein, dass er sich hier noch irgendwo versteckt, aber vielleicht ist er auch schon längst in einem anderen System. Er hat uns aber noch zwei Abschiedsgeschenke dagelassen: Irgendwie wird jegliche Kommunikation nach draußen blockiert und zwei Doktoren sowie acht Assistenten wurden mit irgendetwas infiziert, was er vermutlich freigelassen hat. Sie husten sich die Seele aus dem Leib und haben am ganzen Körper Ausschlag oder seltsame Beulen. Bei einem fangen sogar an, sich die Knochen zu deformieren, doch wir können nichts dagegen tun und der Krankheitsverlauf ist unglaublich schnell.“ Im Hintergrund hörte man, wie jemand nach Edwyn rief. „Ja, ich komme!“, antwortete dieser und die Übertragung wurde abgebrochen. Der letzte Eintrag war vier Stunden später gemacht worden. Angespannt öffnete Ellen ihn und erschrak, als sie anscheinend wieder Doktor Edwyn vor der Kamera sah, doch dieser war nicht mehr zu erkennen. Das Gesicht war übersät mit riesigen Ausbuchtungen und zu einer grotesken Maske verzerrt. Der Schlund, welcher einmal ein Mund gewesen war, fing an, sich zu bewegen. „Der Erreger ist in der Luft und wir haben uns inzwischen alle damit infiziert. Aber wir konnten zumindest keine direkte Mensch zu Mensch Übertragung feststellen, wobei nicht auszuschließen ist, dass zum Beispiel Bisse zu allergischen Reaktionen führen können. Ich glaube, es ist der Paltera – Virus, auf welchen Vicerus bei seinen Forschungen gestoßen ist. Eigentlich sucht er nach Möglichkeiten, wie man den menschlichen Körper verbessern kann, und das war die Lösung. Offensichtlich lag er falsch. Ich bezweifle, dass es etwas dagegen geben sollte, und wenn dem doch so ist, dann hat er das Gegenmittel.“ Edwyn schüttelte sich und hustete heftig. „Die … b- … bereits länger infizierten sind kaum noch als Menschen zu erkennen und äußerst aggressiv. Sie versuchen gerade in mein Labor hereinzukommen.“ Erst da viel Ellen das Poltern im Hintergrund auf, was sich so anhörte, als würde jemand wieder und wieder gegen eine Tür rennen. „Ich werde meinem Leben jetzt ein Ende setzen, damit ich nicht so Ende wie sie. Sagt meiner Frau, dass ich sie liebe. Vicerus … was hast du uns da angetan?!“ Er hob eine Waffe, die er anscheinend die ganze Zeit in der Hand gehalten hatte, und das Video wurde abgebrochen. Erschüttert betrachtete Ellen die deformierte Leiche neben sich am Boden. „Was für eine kranke Scheiße“, brummte John und legte einen Kittel, den er anscheinend gefunden hatte, auf die Überreste von Doktor Edwyn. „Wie geht es deinem Arm, Ellen?“ Sein Tonfall klang dabei sowohl besorgt als auch irgendwie schuldbewusst. Irritiert sah sie von der Leiche auf. „Es geht schon, er pocht nur ein wenig.“ „Es tut mir schrecklich leid, dass ich die Platte nicht richtig befestigt habe“, murmelte er. „Es nicht deine Schuld. Ich hatte ja auch schon Probleme damit gehabt, sie zu befestigen. Die Platte muss sich verzogen haben. Ich werde mal mit dem Ausrüstungsspezialisten ein ernstes Wörtchen reden müssen.“ Sie aktivierte ihr Omni-Tool und scannte die Videodateien. Washington musste sie auf jeden Fall sehen. „Ellen, kommen Sie mal her, ich habe gerade meinen Verband gewechselt und sollte das bei Ihrem auch machen“, sagte Quentin, der auf einem Stuhl am anderen Ende des Raums saß. Ellen wollte aufstehen, spürte jedoch, wie ein Schwindelanfall sie überkam, und sie musste sich wieder setzen. Sie konnte zwar gerade nicht ihre Stirn fühlen, war sich aber sicher, dass ihre Körpertemperatur deutlich gestiegen war. „Webber, was ist los?“, fragte O'Malley besorgt. „Geht gleich wieder. Mir ist nur ein bisschen schwindelig.“ Der Arzt kam zu ihnen herüber und legte eine Hand auf ihre Schulter. „Das ist bestimmt eine von diesen allergischen Reaktionen. Aber es geht ihnen bald besser, Marine.“ Mit geschickten Handgriffen wickelte er das fast durchtränkte Stück Stoff von ihrem Arm und befestigte ein neues. „Bald sind Sie wieder an Bord ihres Schiffes und können sich richtig ausschlafen. So etwas wirkt wahre Wunder, glauben Sie mir!“ „Danke“, antwortete Ellen lediglich. Etwas irritierte sie, doch sie kam erst darauf, nachdem sie alle eine Weile lang schweigend auf Stühlen gesessen und in die Stille hinein gelauscht hatten. In diesem Raum war es zu ruhig. Am Anfang war Quentin noch von einem üblen Husten geplagt gewesen, doch jetzt schien es ihm hervorragend zu gehen. Misstrauisch sah sie ihn an und wartete auf irgendein Anzeichen davon, dass er sich mit diesem Paltera-Virus angesteckt hatte. Er bemerkte ihren Blick und fragte aufgeweckt: „Ist was?“ „Nein, Doktor“, sagte sie, „alles in Ordnung.“ Sie würde ihre Zweifel für sich behalten, bis sie hier raus waren. Ellen sah zu John und bemerkte, dass er sie beobachtete, schließlich den Kopf kurz in die Richtung von Quentin neigte und nickte. Sie vermutete, dass er wusste, was sie störte. Erschrocken fuhren die beiden Privates zusammen, als plötzlich die Stimme von Washington in ihren Helmen zu hören war. „Haltet euch bereit“, sagte sie. „Ich werde in drei Minuten vor der Tür stehen.“ Kurze Zeit später hörte man polternde Schritte auf dem Flur und das Gröhlen von ein paar dieser Kreaturen. John schob den Schrank zur Seite und hielt sein Sturmgewehr auf die Tür gerichtet. Ellen tat es ihm mit ihrer Pistole gleich. Die Tür glitt auf, Washington sprang hinein und die Privates schossen auf die Ungeheuer, welche versuchten, dem Lieutenant zu folgen. Nachdem sie erledigt waren, wurde der Eingang wieder verschlossen und versperrt. „Gute Arbeit“, sagte Washington und steckte ihre Waffe weg. „Ich hätte es beinahe geschafft, unbemerkt zurückzukommen, weil die Dinger teilweise ziemlich dumm sind und sich von einem geworfenen Reagenzglas ablenken lassen. Aber ungefähr vierzig Meter von hier bin ich zwei von denen direkt in die Arme gelaufen.“ „Konnten sie jemanden erreichen? Werden wir abgeholt?“, fragte Quentin hoffnungsvoll. Der Lieutenant nickte. „die Kavallerie wird uns in dreißig Minuten abholen.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)