Heroines of War von SarahShepard ================================================================================ Kapitel 14: Antibaar -------------------- Ellen verzog das Gesicht, als Dr. Lopez ihr einen roten Pen an den Arm hielt und den Knopf am oberen Ende drückte, doch die kleine Nadel, die ihre Haut durchbohrte und ein Vitaminpräparat injizierte, tat eigentlich kaum weh. Kurz darauf legte er den Pen zur Seite und griff nach einem anderen in blau. „Das hier soll euch im Notfall vor der Kälte schützen. Ihr habt noch nicht die genetischen Verbesserungen erhalten, und falls etwas passieren sollte und ihr ein Loch in der Panzerung habt, wollen wir so vermeiden, dass ihr Erfrierungen bekommt“, sagte Dr. Lopez erklärend und verabreichte erst ihr, dann O'Malley die zweite Impfung. Norah lag in dem hintersten Bett und beäugte das Ganze. Ihre Wunde war größer gewesen, als es zunächst ausgesehen hatte, weshalb der Arzt beschlossen hatte, dass sie eine Nacht auf der Krankenstation verbringen würde, um sie im Auge zu behalten. Sie sollte in den nächsten zwei Tagen möglichst wenig laufen und er wusste, wie gerne Marines die ärztlichen Anweisungen missachteten. Im Bett neben Norah lag der andere verletzte Marine, Karovsky, und schien zu schlafen. Ellen rollte sich den rechten Ärmel ihrer Uniform wieder herunter und stand auf. Überrascht stellte sie fest, dass es ihr langsam besser ging. Ihre Glieder waren schwer gewesen und die zwei Stunden Schlaf, die sie bekommen hatte, hatten längst nicht ausgereicht, doch das Präparat von Lopez schien ziemlich schnell anzuschlagen. „Danke, Doc“, sagte John, erhob sich ebenfalls und zusammen verließen sie die Station. Als sie eine Etage tiefer ankamen, trug Lieutenant Washington bereits ihre Panzerung und wartete auf sie. „Lieutenant“, sagten Ellen und John wie aus einem Mund und salutierten. Washington nickte. „Ah, da seid ihr ja schon. Dann macht euch bereit, wir sind bald da.“ Der Lieutenant war größer als Ellen und hatte kinnlange, blonde Haare, die sie zu einem sehr kurzen Zopf zusammengebunden hatte. Ihr Gesicht fiel durch ihr markantes Kinn und die feine Narbe auf, die sich quer über ihre rechte Wange zog. In ihren großen, grünen Augen lag stets ein wachsamer Blick, bei dem Ellen das Gefühl hatte, dass sie stets ihre Umgebung aufmerksam beobachtete. Sie betraten die Waffenkammer und Ellen ging hastig zu ihrem Spind, um den Lieutenant nicht unnötig warten zu lassen. „Ne Ahnung, was genau der N7-Lehrgang ist?“, fragte O'Malley sie, während er seine Uniform auszog. „Die N7 sind sozusagen die besten Marines, die du in der Allianz finden kannst“, fing Ellen an zu erklären. Ihre Mutter hatte ihr mal davon erzählt. Maya Webbers Ziel war es gewesen, zu dieser Truppe zu gehören, doch sie scheiterte beim N1 – Lehrgang, der ersten Stufe. Das war aber keine Schande, denn die Tests gehörten zu den härtesten, die man absolvieren konnte, und allein schon die Zulassung zur Teilnahme war eine große Ehre und Anerkennung. Das Lieutenant Washington es anscheinen bereits bis zum N6 geschafft hatte, erfüllte Ellen mit Ehrfurcht. „Du musst viele harte Tests bestehen, angefangen bei N1. N7 ist die höchste Auszeichnung, die du in dieser Klasse bekommen kannst, doch das schaffen nur sehr wenige.“ John ließ ein anerkennendes Pfeifen ertönen. „Dann scheint unsere Washington ja ziemlich was drauf zu haben.“ Ellen hörte ihm kaum zu und antworte nicht, weil sie bereits damit beschäftigt war, die einzelnen Platten an den Anzug zu schnallen. „Warum Van Hagen wohl nicht da mitmacht?“, rätselte John. „Weil er gekniffen hat“, rief Lieutenant Washington, als sie in die Waffenkammer kam und zu dem Schrank an der Stirnseite ging. „Komm schon, O'Malley, wir sind nicht zum quatschen hier.“ Ellen war bereits fast fertig, doch sie hatte Schwierigkeiten mit ihrer Panzerung am rechten Arm, weil eine Platte sich nicht befestigen ließ. Eifrig nestelte sie an ihr herum, bis plötzlich jemand sanft ihre Finger zur Seite schob und mit zwei Handgriffen das Problem löste. Irritiert sah Ellen in Johns strahlendes Gesicht und er zwinkerte ihr zu. „Grayson wäre empört, wenn er sehen müsste, dass du dich nicht alleine anziehen kannst“, sagte er neckend und wandte sich wieder ab, um seine Stiefel zu schließen und die Handschuhe überzustreifen. Ellen murmelte ein unsicheres „Danke“ und überprüfte, ob nun alles in Ordnung war. Anschließend holte sie den Helm aus dem obersten Fach ihres Spindes und stellte erstaunt fest, dass von dem Riss, den er wegen der letzten Mission eigentlich hätte haben sollen, nichts zu sehen war. Sie ging zu Washington, die am Waffenschrank stand und gerade einen mehrstelligen Zahlencode eintippte. „Lieutenant“, setzte sie an, „kann es sein, dass mein Helm ausgetauscht worden ist? Vor ein paar Stunden war da noch ein tiefer Kratzer...“ „Hm, was? Nein, darum hat sich wohl unser Ausrüstungsspezialist gekümmert. Hier, ein Sturmgewehr und drei Magazine sollten reichen, es wird ja nur eine kurze Rettungsmission.“ Sie reichte Ellen die aufgezählten Gegenstände und einen Schildverstärker und gab die gleichen Sachen auch an John. Danach stand sie unschlüssig vor dem Schrank und nahm fast jedes Waffenmodell in die Hand, bis sich sich letztendlich für eine Schrotflinte und die Predator – Pistole entschied. Sie verschloss den Schrank und gemeinsam verließen sie die Waffenkammer. Im Hangar ging Washington voran zu dem linken Shuttle und nacheinander stiegen sie ein, die Privates zuerst. „Ah, Kara, da seid ihr ja!“, rief der Pilot aus dem Cockpit und verschloss die Türen mit einem Tastenbefehl. „Ja, du kannst starten“, erwiderte der Lieutenant und setzte sich neben ihn auf den zweiten Platz im Cockpit. Nachdem Ellen und John sich ebenfalls gesetzt hatten, hob das Shuttle ab. „Wie soll denn das Wetter da unten sein?“, fragte Washington den Piloten. Er lachte ein kratzendes Lachen. „Heiter bis frostig. Euch wird da der Arsch abfrieren, wenn ihr zu lange auf der Stelle steht.“ „Was ist das für eine Forschungsanlage auf Antibaar, Lieutenant?“, rief Ellen nach vorne. Washington klang etwas angespannt, als sie antwortete. „Offiziell ist es irgendwas harmloses, aber eigentlich erforschen sie dort unten hochgradig gefährliche Biokampfstoffe und andere gruselige Dinge. Deswegen ist die Anlage auch auf so einem Eisklumpen. Sollte hier etwas ausbrechen, sterben nur die Forscher und nicht gleich eine ganze Kolonie oder die Erde.“ John schnaubte. „Klingt nach einem Traumjob. Aber ich dachte, wir verstehen uns mit den Aliens inzwischen gut. Warum brauchen wir biologische Waffen?“ „Man weiß nie, wann man sie mal brauchen könnte. Sie können davon ausgehen, dass wenigstens die Turianer und vielleicht auch die Salarianer ähnliche Forschungen betreiben, seitdem wir durch das Massenportal gestolpert sind.“ „Kara, der Commander möchte dich sprechen“, brummte der Pilot. „Okay, stell ihn durch.“ Ellen beugte sich vor, um das Gespräch besser hören zu können, und John tat es ihr gleich. „Washington“, hörte man plötzlich die Stimme des Commanders sagen. „Wie weit seid ihr schon?“ „In zehn Minuten landen wir bei der Rettungskapsel, Sir.“ „Sammelt so schnell wie möglich die Überlebenden ein und kommt dann sofort zur Rome zurück. Die Forscher müssen warten. Auf einem Planeten in einem System in der Nähe gibt es einen Zwischenfall und es ist zwar schon ein Schiff der Allianz da, aber wir sind als Verstärkung angefordert worden.“ Washington stöhnte. „Verstanden, Commander.“ Danach wurde die Übertragung beendet. Mürrisch ließ John sich zurück in den Sitz sinken und brummte: „Ich hatte mich schon darauf gefreut, bald etwas mehr Schlaf zu kriegen.“ Auch wenn das Vitaminpräparat ihre Kräfte fast wieder gänzlich hergestellt hatte, ging es Ellen genauso. Es würde noch ein sehr langer Tag für sie werden, doch ihr war von Anfang an bewusst gewesen, dass es in der Allianz hart zuging und man stets einsatzbereit sein musste. „Willkommen bei den Marines, O'Malley“, rief der Lieutenant nach hinten und lachte. Kurze Zeit später setzte der Pilot zur Landung an. „Helme auf, es wird etwas frisch draußen“, befahl Washington und kam nach hinten, wo sie neben der Tür darauf wartete, dass sie am Boden waren. Ellen stand auf, lockerte ihre Glieder und tat wie geheißen. Ein sanfter Ruck ging durch das Shuttle und der Lieutenant hämmerte auf einen Schalter neben der Tür, woraufhin sie sich öffnete. Nacheinander sprangen die drei Marines aus dem Fahrzeug heraus und sahen die große, zylindrische Rettungskapsel zwanzig Meter entfernt vor sich. Sie lag schief und steckte tief im Schnee fest. Ein dunkler Fleck auf dem Boden davor erweckte Ellens Aufmerksamkeit. „Lieutenant, sehen sie das?“, fragte sie deutete auf die Stelle. „Leider ja. Sieht verdammt nach Blut aus.“ Sie traten näher heran und Washington hockte sich auf den Boden, um die gefrorene Flüssigkeit näher betrachten zu können. „Definitiv Blut. Und die Spuren hier im Schnee sehen nach einem Kampf aus. Haltet eure Waffen bereit!“ Mit einer flüssigen Bewegung griff Ellen nach dem Sturmgewehr an ihrem Rücken und entsicherte es. Es war ihr schleierhaft, wie ihre Vorgesetzte in dem durch die Landung der Kapsel sowieso schon aufgewühlten Schnee etwas erkennen konnte, doch das Blut sprach eine eindeutige Sprache und sie vertraute dem Urteil des Lieutenants. Washington stand wieder auf und zückte ihre Pistole. „Wir werden mal einen Blick in die Kapsel werfen, aber ich glaube kaum, dass wir da noch jemanden antreffen werden. Es sieht eher so aus, als ob die Zivilisten weitergegangen wären.“ „Bei der Kälte? Sind die verrückt?“, fragte John fast entsetzt. „Ich glaube nicht, dass sie freiwillig gegangen sind“, erwiderte Washington, während sie um die Kapsel herumgingen. „Irgendetwas scheint sie angegriffen und gejagt zu haben.“ Unwillkürlich sah Ellen sich einmal um, ob ihnen etwas auflauerte, fand zu ihrer Beruhigung jedoch nichts. Weil sie sich dafür kurz umgedreht hatte, hatte sie nicht bemerkt, dass O'Malley stehen geblieben war, und prallte gegen ihn. „Was-?“, fragte sie verdutzt, erkannte dann jedoch den Grund. In der offenen Tür der Rettungskapsel lag die Leiche eines Menschen, die schwer zugerichtet war. Aus einem Riss in der Bauchdecke waren Teile des Darms herausgequollen und Ellen war sich sicher, dicht neben ihrem Stiefel eine abgerissene Hand zu sehen. Schockiert standen sie alle einen Moment reglos auf der Stelle und starrten den Körper an. Mit einem fast geflüsterten „Scheiße“ riss O'Malley sie aus der Trance. „Kyle, ich brauche sofort einen Komm-Link zum Commander“, rief Washington in den Kommunikator und eilte zurück zum Shuttle, Ellen und John dicht auf. Das Fahrzeug wurde hinter ihnen wieder verschlossen, um die Kälte draußen zu halten, weshalb sie ihre Helme wieder absetzten. „Commander Lance, wir haben ein Problem! Die Kapsel ist leer, wenn man mal von der schwer zugerichteten Leiche eines Crewmitglieds absieht. Die Spuren deuten auf einen Kampf hin, ich glaube aber nicht, dass es bewaffnete Gegner waren, sondern eher Lebensformen dieses Planeten. Und ich vermute, dass sich die Überlebenden auf der Flucht befanden und sich deshalb auf den Weg zu der Forschungsanlage gemacht haben“, bellte der Lieutenant, kaum dass sie wieder im Cockpit stand. „Dann bleibt auf Antibaar und verfolgt ihre Spuren. Wenn ihr sie gefunden habt, begebt ihr euch zu der Kolonie und wartet dort. Kyle, du kommst sofort zurück, wir brauchen dich und das Shuttle, um unsere Einheiten in der anderen Kampfzone absetzen zu können. Washington, ihr werdet nach dem Einsatz so bald wie möglich abgeholt.“ „Verstanden“, antworteten Kara und der Pilot und die Übertragung wurde beendet. Ellen seufzte und lehnte sich in ihrem Sitz zurück, in den sie sich gerade gesetzt hatte. Sie hatte eigentlich darauf gehofft, bei dem anderen Kampf helfen zu können und ihr Team wieder anzuführen, doch sie verstand, dass es wichtiger war, die Personen aus der Rettungskapsel zu finden. Wenn sie noch lebten, würden sie in großen Schwierigkeiten stecken. „Also dann, wir sollten uns beeilen“, sagte der Lieutenant. Die drei Marines machten sich bereit und verließen das Shuttle wieder. Der Pilot sagte „Passt gut auf euch auf“ über den Kommunikator und hob ab. Washington hob grüßend einen Arm in die Richtung des Shuttles, dann trabte sie voran. Vor ihnen lag eine weite, weiße Ebene aus Schnee und Eis, die hin und wieder nur von kleinen Hügeln durchbrochen wurde. Hin und wieder sahen sie auf ihrem Weg Blutspritzer auf dem Boden, was Washington jedes Mal dazu brachte, das Tempo weiter anzuziehen. Der Himmel über ihnen verdunkelte sich langsam, doch sie hatten noch keine Schwierigkeiten damit, den Weg vor sich zu erkennen. „Hätten wir sie inzwischen nicht mal finden müssen?“, fragte O'Malley. „Scheint so, als hätten sie es bis zur Kolonie geschafft“, antwortete der Lieutenant. „Da vorne ist sie schon!“ Sie streckte den Arm aus und zeigte auf etwas in der Ferne. Ungefähr einen Kilometer vor ihnen ragte etwas aus dem Schnee, dass wie eine weiße Wand aussah und in der Umgebung kaum zu erkennen war. Während sie sich näherten, verdunkelte der Himmel sich weiter. Ungefähr vierhundert Meter vor dem Tor ließ Washington sie anhalten. „Etwas stimmt nicht“, murmelte sie und sah durch das Zielfernrohr an ihrer Pistole. John fragte irritiert: „Was meinen sie?“ „So dunkel, wie es ist, müsste man eigentlich ein wenig Beleuchtung sehen“, antwortete Ellen. „Und das Tor steht ein Stück offen“, ergänzte der Lieutenant. „Und es sind weit und breit keine Wachen auf den Barrikaden oder am Tor zu entdecken. Wir sollten uns das mal aus der Nähe ansehen.“ „Wäre es nicht besser, auf Verstärkung zu warten?“, fragte Ellen. Ein Schauer überkam sie, wenn sie die leblose Anlage vor ihnen betrachtete, und all ihre Sinne sagten ihr, dass es klüger wäre, umzukehren. Washington schüttelte den Kopf. „Wir müssen herausfinden, was nicht stimmt, und müssen die anderen Crewmitglieder finden. Wenn sie noch leben, brauchen sie vielleicht unsere Hilfe.“ Und mit diesen Worten stapfte sie voran durch den Schnee Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)