Heroines of War von SarahShepard ================================================================================ Kapitel 47: Ihr letztes Gefecht ------------------------------- Ellen hielt ihre Waffe schussbereit vor sich und ging den dunklen Flur im obersten Geschoss des Wohngebäudes entlang. Es war hier oben verhältnismäßig ruhig, doch man hörte immer noch Schüsse von draußen, weshalb sie sich fragte, ob es vielleicht noch mehr überlebende Kolonisten und Marines nicht an Bord des Shuttles geschafft hatten. Wenn sie konnte, würde Ellen ihnen helfen, doch ihre Priorität lag bei Alex um dem Absetzen eines Notsignals. Mit schnellen schritten eilte sie das finstere Treppenhaus hinunter und als sie gerade die Tür zum Erdgeschoss aufstoßen wollte, wurde sie bereits von der anderen Seite geöffnet. Ein Geth steckte seinen Kopf in das Treppenhaus und starrte Ellen mit seinem leuchtenden Auge an. Sie war zwar überrascht, konnte jedoch schneller reagieren als er und erschoss ihn aus nächster Nähe. Das Adrenalin pulsierte geradezu durch ihre Adern, während sie über die Leiche des humanoiden Roboters hinwegstieg und durch die Tür trat. Von links kamen zwei weitere Geth auf Ellen zu, doch da sie keine Deckung hatte, konnte sie sich nicht auf ein direktes Feuergefecht mit ihnen einlassen. Sie zog sich hastig in das Treppenhaus zurück, um den Schüssen der Geth auszuweichen, und dachte fieberhaft nach. „Scheiße“, murmelte sie vor sich hin. „Scheiße, Scheiße, Scheiße.“ Wie von Geisterhand geführt legte sich ihre rechte Hand auf die Granaten, die sie bei sich trug. Sie eine davon scharf und ließ sie in den Flur rollen, wo die Geth schon fast die Tür zum Treppenhaus erreicht hatten. Es gab ein kurzes, sich wiederholendes Piepen, dann kam die laute Explosion, die die Wände erzittern ließ. Ellen verließ sich nicht darauf, dass sie beide Geth damit getötet hatte, und stürmte deshalb mit ihrem Sturmgewehr voran in den Flur. Tatsächlich regten sich beide noch, obwohl die Granate ihnen schwer zugesetzt hatte. Ellen schaltete sie mit kurzen Feuerstößen aus, ohne das sie auch nur eine Chance gehabt hätten, sich zu wehren. Erleichtert wandte sie sich zu dem offenen Ausgang und lief auf ihn zu, doch urplötzlich taumelte ein Wesen von außen hinein, dass sie vorher noch nie gesehen hatte. Von der Statur her hätte es ein glatzköpfiger Mensch sein können, doch es hatte eine graue Haut und sein ganzer Körper war von bläulich glimmenden Schläuchen durchbohrt. Die zwei leuchtenden Punkte, die es anstelle seiner Augen hatte, fixierten Ellen, und das Monster gab einen unmenschliches Stöhnen von sich, als es auf sie zu kam. „Was zur Hölle-?“, keuchte Ellen entsetzt, doch sie hatte keine Zeit, um sich mit dem Ding aufzuhalten. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis weitere Geth auftauchen würden. Sie wich den nach grabschenden Armen im letzten Moment aus, schlug das Wesen hart zu Boden und war dann endlich im Freien. „Zombies, Chimney?“, sprach Ellen entsetzt in den Kommunikator, während sie sich zu dem Laborgebäude wandte. In ihrer Brust keime Hoffnung auf, weil sie fest daran glaubte, zu Alex durchdringen zu können. „Mike hat das Bewusstsein verloren“, erwiderte Mira nach einigen Sekunden krächzend. „Der Lieutenant hat die Dinger Husks genannt. Sie waren einmal Menschen, bevor die Geth sie mit ihren widerlichen Maschinen, diesen Drachenzähnen, verwandelt haben. Sei vorsichtig, Ellen!“ „Danke, Mira.“ Ellen beendete die Kommunikation und lugte vorsichtig um eine Ecke des Wohngebäudes. Ihre nächste Frage an Mira wäre gewesen, was Drachenzähne sind, aber sie fand die Antwort selbst heraus. Direkt vor ihr ragte eine Art Lanze aus einem Sockel in die Höhe, und an deren Spitze hing etwas, das nach einer Mischung aus einem Kolonisten und einem Husk aussah. Einen Moment lang fragte sie sich, wer dort oben wohl hängen mochte, doch sie verdrängte diesen Gedanken sofort wieder, weil ihr von der Vorstellung übel wurde. Es war kaum zu glauben, dass es in der Galaxie tatsächlich solch eine schreckliche Technologie gab. Weil Ellen in ihrer unmittelbaren Umgebung keine Gefahr ausmachen konnte, atmete sie ein paar Mal tief durch und sprintete dann los. Zwischen ihrer Position und dem Laborgebäude gab es nichts, wohinter sie hätte Deckung suchen können, weshalb sie auf die Stärke ihres Schildes vertrauen musste, als ein paar der Geth auf dem Hauptplatz sie entdeckten und ins Visier nahmen. Als die Schüsse dicht bei ihr in den Sand und ein paar auch gegen ihren Schild prallten, zog sie die letzten beiden Granaten aus den Halterungen und warf sie ungezielt in die Richtung ihrer Gegner. Sie war sich zwar ziemlich sicher, keinen damit töten zu können, aber zumindest würden sie die Explosionen, die Rauchwolke und der dadurch aufgewirbelte Sand zu einem etwas schwierigeren Ziel machen. Die Detonationen folgten dicht nacheinander und Ellen wäre von der Wucht beinahe von den Füßen gerissen worden, konnte sich jedoch gerade noch halten. Ihr Plan ging auf, es surrten zwar immer noch Schüsse an ihr vorbei, doch keiner traf sie. Sie schaffte es zum Seiteneingang des Laborgebäudes und verschwand hastig darin. Die Energieversorgung schien in diesem Gebäude noch zu funktionieren, denn die Deckenlampen waren allesamt eingeschaltet und erleuchteten den Flur vor ihr in gleißend hellem Licht, wodurch sie die zwei Husk ein paar Meter vor sich noch rechtzeitig entdeckte. Ihr Stöhnen ließ Ellen einen Schauder über den Rücken laufen. Sie tötete sie alle aus nächster Nähe und ließ danach das leere Magazin ihrer Waffe zu Boden fallen. Eins hatte sie noch, das machte dreißig Schuss. Sie betrat das Treppenhaus und machte eine kurze Verschnaufpause. „Ich bin fast da. In welchem Raum hast du dich verschanzt?“, fragte sie Alex über den Kommunikator. „B1120. Aber lass dir Zeit, es wird langsam richtig kuschelig hier.“ Ellen schnaubte, als sie sich daran machte, die Stufen bis zur ersten Etage zu erklimmen. „Hörst du noch Geth in deiner Nähe?“ „Nein, aber sie sind bestimmt nicht weit. Sei vorsichtig.“ „Bin ich doch immer.“ Ellen erreichte das erste Stockwerk und trat auf einen breiten, hell erleuchteten Flur. Es war kein Geth zu sehen, aber da sie sich nicht allzu sehr auf ihr Glück verlassen wollte, schlich sie so leise, wie es in ihren schweren Stiefeln möglich war. Als sie das Ende des Ganges erreichte und es nur noch nach rechts und links weiter ging, hielt sie kurz inne und dachte nach. Die Räume mit der B-Kennzeichnung lagen auf der Rückseite des Gebäudes, also rechts von ihr. Ellen wollte gerade in die entsprechende Richtung gehen, als sie schwere Schritte auf dem metallenen Boden hörte, die ihr von dort entgegenkamen. Hastig zog sie sich zurück und sah sich fieberhaft nach einem Versteck um. Viele Möglichkeiten gab es nicht. Sie öffnete wahllos die Tür, die ihr am nächsten war, und drückte sich dicht an die Wand des Lagerraums, der dahinter lag. Ihr blieb keine Zeit mehr, die Tür wieder zu verschließen, ohne sich zu verraten, denn die Geth waren nur noch wenige Meter von ihr entfernt. Klonk, Klonk, Klonk, machten die Füße der humanoiden Roboter, als sie sich Stück für Stück Ellens Versteck näherten. Dem Klang nach mussten es mindestens zwei von ihnen sein, vielleicht aber auch drei. Wenn sie es auf einen Kampf ankommen ließe, würde sie wahrscheinlich nicht gewinnen. Ihr Herz schlug so hart in ihrer Brust, dass sie fasst befürchtete, die Geth würden das Pochern hören. Doch Ellen schien Glück zu haben, denn sie gingen an dem Lagerraum vorbei. Sie atmete erleichtert aus und die Anspannung in ihrem Körper löste sich ein wenig, als die Schritte sich entfernten und schließlich im Treppenhaus verklungen. Ellen lugte vorsichtig auf den Flur, konnte aber keine unmittelbare Gefahr ausmachen. Weniger umsichtig als zuvor ging sie zum B-Flügel dieser Etage und hätte beinahe den Husk übersehen, der in einem Labor stand. Er hatte sie bisher nicht bemerkt, weil er mit dem Rücken zu ihr stand und einen Hamster in seinem Käfig musterte. Vorsichtig pirschte Ellen sich an die offene Labortür heran und versiegelte sie, was der Husk erst bemerkte, als es schon zu spät war. Wütend schlug er gegen die Metallwand, die ihn davon abhielt, seine Zähne in Ellens Fleisch zu graben, doch es nützte nichts. Schließlich erreichte Ellen endlich den Laggerraum B1120. „Alex, ich bin's, mach auf“, sagte sie in den Kommunikator und klopfte sachte. Sie konnte hören, wie etwas schweres bewegt wurde, dann glitt die Tür surrend zur Seite. Alex humpelte aus der Kammer heraus und sah sie finster an. Ihren Helm schien sie irgendwann abgenommen zu haben und ihre schwarzen Haare standen wirr in alle Richtungen ab. An ihren geröteten Augen merkte Ellen ihr sofort an, dass sie geweint hatte. „Du blöder, bescheuerter Stuhrkopf“, grummelte Alex, warf ihr dann ihre Arme um den Hals. Ellen erwiderte kurz die Umarmung. „Ich kann dich noch nicht zurücklassen.“ Als sie sich voneinander lösten, sah sie an Alex hinunter und entdeckte die Schussverletzung in ihrem Oberschenkel, die nur notdürftig mit ein paar Stofffetzen verbunden worden war. „Wirst du damit laufen können?“ Alex zuckte mit den Achseln. „Muss ich ja.“ „Dann lass uns von hier verschwinden. Wir müssen auf das Dach.“ Ellen wollte zum Treppenhaus gehen, doch Alex hielt sie zurück. „Warte. Wir müssen das Notsignal absetzen, sonst wird keine Hilfe kommen.“ Ein kurzes Stöhnen entwich Ellen, doch sie wusste, dass Alex recht hatte. Vor allem für die Schwerverletzten an Bord des Shuttles zählte jede Sekunde. Wenn sich nicht bald ein Schiff der Allianz in ihre Richtung aufmachte, würden sie es wahrscheinlich nicht schaffen, genauso wenig wie alle anderen. Der Treibstoff reichte nicht, um sie von dem Planeten runter und in sichere Gefilde zu bringen. „Okay, beeilen wir uns“, sagte sie und legte Alex Arm über ihre Schultern, damit sie besser laufen konnte. Sie mussten nur eine Etage höher, und zu ihrem Glück begegnete ihnen auf dem Weg zu der Komm-Anlage keine weiteren Geth. Ellen setzte Alex auf einem Stuhl ab und beäugte die Tastaturen und den großen Bildschirm, die den kleinen Raum fast zur Gänze ausfüllten. „'Ne Ahnung, wie das alles funktioniert?“, fragte Alex. Ellen wollte gerade verneinen, als sie auf dem Flur hinter sich schwere Schritte hörten. „Verriegel die Tür!“, befahl Ellen und betätigte wahllos ein paar Tasten, bis der Bildschirm aufleuchtete. Fieberhaft durchsuchte sie die Funktionen, die ihr auf dem Bildschirm angezeigt wurden, während die Geth sich nun deutlich schneller näherten. Ihre Anwesenheit war ihnen anscheinend nicht entgangen. Sie hörte, wie Alex die Tür einen Spalt weit aufgleiten ließ, eine Granate warf und sie dann wieder verschloss. Es gab eine laute Explosion, die den Boden vibrieren ließ, doch sie schien nicht alle Geth erwischt zu haben, denn weitere Schritte polterten über den Flur zu ihnen her. „Beeil dich!“, rief Alex über die Schulter und entsicherte ihre Pistole. Ellen fand endlich die Anwendung, um ein Signal an Komm-Barken und Schiffe senden zu können, und hämmerte auf die Taste zur Aufnahme. „Hier spricht Corporal Ellen Webber von der Garnison auf Galatea! Wir werden von Geth angegriffen und brauchen umgehend Verstärkung! Sie sind klar in der Überzahl und die Hälfte unserer Einheit ist bereits gefallen!“ Das Feuer eines Sturmgewehrs ertönte von draußen und die Tür wurde von Kugeln durchsiebt. „El, wir müssen hier verschwinden!“, kreischte Alex, die nur knapp verfehlt worden war. „Aber wie?“, fragte Ellen panisch zurück. Es gab nur diese eine Tür nach draußen, sie saßen in der Falle. „Mach die Augen auf! Über dir ist eine Dachluke, wahrscheinlich wegen der Sendeantennen!“, erwiderte Alex zwischen zwei Schüssen aus ihrer Pistole. Verdattert sah Ellen nach oben und entdeckte dort tatsächlich die quadratische Umrandung einer Luke. Sie stieg auf die Konsole vor ihr und betätigte einen Schalter, um eine Leiter ausfahren zu lassen. Dann hastete sie zu Alex, warf sie sich über die Schulter und erklomm die ersten Stufen. „Ich komme sehr wohl alleine die Stufen hoch!“, keifte sie, während sie den Geth erschoss, der gerade durch die teilweise aufgebrochene Tür hereinkam. „So geht’s schneller!“, sagte Ellen, während sie die Luke öffnete und so schnell sie konnte hinauskletterte, was mit Alex gar nicht so einfach war. Als sie unter dem freien Sternenhimmel standen, verriegelte sie die Luke und versuchte, jemanden aus dem Shuttle zu erreichen. „Ist dort draußen noch jemand?“, fragte sie mit unterdrückter Panik, als zunächst keine Antwort kam. Unter ihnen versuchten bereits die Geth, ebenfalls über die Leiter auf das Dach zu kommen. „Ellen!“, antwortete Mira und klang unglaublich erleichtert. „Wir dachten schon … Wir haben gute Neuigkeiten. In einer der Ruinen, die die Geth noch nicht auseinandergenommen haben, stand noch ein Tank mit Element Zero, das eigentlich für den Mako gedacht war. Wir können von hier verschwinden!“ Die Luke wurde aufgesprengt, und die Wucht der Explosion riss Ellen fast von den Füßen. „Schön, Mira!“, erwiderte sie mit zittriger Stimme. Sie hatte keine Zeit für lange Plaudereien. „Wir sitzen auf dem Dach des Laborgebäudes fest, könnt ihr uns holen?“ „Sind in einer Minute da! Haltet durch!“, antwortete dieses Mal Duncan. „Schaffen wir das?“, fragte Alex panisch, als sie die letzte Kugel aus ihrer Pistole verschoss. Ellen schüttelte den Kopf. „Wir haben wohl keine andere Wahl.“ Sie schaffte es, einen Geth mit zwei kurzen Salven auszuschalten. Ein Glück, dass immer nur einer zur Zeit durch den engen Schacht nach oben konnte. Plötzlich warf Alex sie beide zu Boden, und eine große, leuchtende Kugel schoss über sie hinweg. Ellen sah sich um und entdeckte drei der Kolosse unten auf dem Hauptplatz der Kolonie. „Duncan, verschwindet!“, brüllte sie in den Kommunikator. „Kommt nicht her! Ein paar Kolosse haben uns ins Visier genommen, wenn ihr euch denen mit dem Shuttle nähert, werden sie euch mit Sicherheit treffen!“ Alex hatte sich nun das Sturmgewehr geschnappt und hielt aus ihrer liegenden Position die Gegner aus der Luke beschäftigt. „Das kannst du abhaken. Wir sind schon so gut wie da!“, erwiderte der Wissenschaftler und tatsächlich konnte Ellen das Shuttle in einiger Entfernung erkennen. Doch als es nahe genug war, um für die Landung langsamer werden zu müssen, gab einer der Kolosse einen Schuss ab, der das Shuttle nur um Haaresbreite verfehlte. „DUNCAN!“, rief Ellen, als sie sah, das die riesigen Geth bereit waren, weiter zu feuern. Zu ihrer großen Erleichterung drehte das Shuttle tatsächlich ab. „Macht euch um uns keine Sorgen!“, rief Alex. „Die Verletzten gehen jetzt vor!“ Sie hörten, wie Duncan seufzte. „Passt gut auf euch auf, Marines.“ „Wir werden uns im Keller verschanzen, bis Hilfe eintrifft“, antwortete Ellen mit aller Zuversicht, die sie aufbringen konnte. Sie glaubte selbst nicht daran, dass sie es auch nur bis nach unten schaffen würden. Doch sie wollte auch nicht die Leben aller riskieren, um an Bord des Shuttles gelangen zu können. Als sie zurückgeblieben war, um Alex zu helfen, war ihr bewusst gewesen, dass sie es vielleicht nicht schaffen würden, doch sie war bereit gewesen, ihr Leben zu setzen, um es zumindest zu versuchen. Alex und sie würden vielleicht einen Weg hier raus finden, und wenn nicht … nun, das gehörte zum Leben eines Marines dazu. Sie hatten ihre Pflicht erfüllt und die Kolonisten beschützt, so gut sie konnten. „Du gibst uns doch hoffentlich noch nicht auf?“, fragte Alex, die das leere Sturmgewehr zur Seite legte. Es kamen endlich keine Geth mehr aus der Luke, was auch ihr Glück war, da sie nur noch die Munition in Ellens Pistole hatten. „Pff“, schnaubte Ellen verächtlich. „Natürlich nicht.“ „Gut, ich will auch noch nicht sterben.“ Ellen sah Alex in die Augen und versprach: „Wirst du auch nicht.“ Eine Granate wurde aus dem Schacht geworfen und rollte kullernd auf sie zu. Hastig sprang Ellen auf die Beine und half Alex auf, doch die Explosion warf sie wieder von den Füßen, auch wenn sie zu weit weg war, um sie zu verletzen. Ellen zog ihre Kameradin mit sich wieder hoch, warf sie sich auf die Schulter, weil sie wusste, dass sie mit ihrer Verletzung nicht so schnell laufen konnte, und sprintete zur nächsten Dachluke. Nachdem sie diese mit ein paar schnellen Handgriffen geöffnet hatte, setzte sie Alex ab, sprang als erste nach unten und fing ihre Freundin auf, als diese sich fallen ließ. „Läuft ja wie geschmiert“, sagte Alex und warf einen Blick auf den Gang, der vor ihnen lag. „Keine Geth in der Nähe.“ Ellen nickte. „Komm, da vorne ist der Lift.“ Sie stützend ging sie mit Alex vorwärts. Es fühlte sich wie das Einlaufen auf einer Zielgerade an. Sie hatten es fast geschafft, wenn sie sich im Keller einschlossen wären sie in Sicherheit. Nur noch ein paar Meter, dann konnten die Geth ihnen nichts mehr anhaben. Als sie endlich den rettenden Fahrstuhl erreichten, lehnte Alex sich erschöpft gegen die Rückwand und Ellen hämmerte auf die Taste für das Kellergeschoss. Geth tauchten am anderen Ende des Flures auf und kamen rasch näher, doch sie würden sie nicht mehr erreichen, bevor die Tür des Fahrstuhls sich schloss. Die humanoiden Maschinen schossen auf sie, doch Ellen schaffte es, rechtzeitig in Deckung zu gehen. Als der Lift sich verschloss und in Bewegung setzte, atmete sie erleichtert auf. „Das war ganz schön knapp, nicht wahr, Al?“, sagte sie und setzte ihren Helm ab, um für einen Moment frei atmen können. Wenn sie unten waren, würde sie die Steuerung des Fahrstuhls deaktivieren, wodurch sie in Sicherheit sein würden, bis Rettung kam. Alex, die zuvor noch an der Rückwand gelehnt hatte, röchelte und sackte zusammen. Erst jetzt bemerkte Ellen die Schusswunde in ihrem Bauch. Bestürzt kniete sie sich auf den Boden und aktivierte ihr Omni-Tool, um Alex mit dessen Hilfe eine Portion Medigel verabreichten zu können. „Scheiße, scheiße, scheiße“, murmelte sie immer wieder vor sich hin und brachte Alex sanft dazu, sich auf den Rücken zu drehen, damit Ellen die Wunde besser sehen konnte. „Scheiße klingt nicht gut“, sagte Alex mit kehliger Stimme und hustete, wobei ein Schwall Blut herauskam. Ellen drehte ihren Kopf kurz zur Seite, damit sie die Flüssigkeit besser ausspucken konnte und nicht daran erstickte. Dann strich sie ihr über das Kinn, um etwas von dem dort klebenden Blut zu entfernen. „Halte durch. Hilfe ist unterwegs“, sagte sie beruhigend, doch ein Blick auf die Verletzung sagte ihr, dass sie mit Medigel nicht viel ausrichten konnte, doch sie versuchte es trotzdem. Danach schnallte sie Alex Brustplatte ab und drückte ihre Hände auf die Wunde, um das Medigel beim Stoppen der Blutungen zu unterstützen. Alex stöhnte und wand sich unter ihr. Ein Teil des Bodens war bereits dunkelrot, doch Ellen bemühte sich, nicht darauf zu achten. In dem Moment glitten die Türen des Lifts auf. Sie waren im Kellergeschoss angelangt, und Ellen zog Alex behutsam aus der Kabine heraus. Danach hastete sie in einen der Vorratsraum und fand in einem Regal einen Kopfkissenbezug und ein altes Laken, aus denen sie einen Verband machen konnte. „Perfekt“, sagte sie leise zu sich selbst und ging zufrieden zurück auf den Flur, wo sie sich sofort daran machte, das Laken in kleinere Stücke zu zerreißen und Alex zu verarzten, so gut es ging. „Sorry, Al, mehr kann ich nicht machen“, sagte sie nach verrichteter Arbeit und kniete hoffnungslos auf dem Boden. Die Verletzte nickte schwach. „Danke … Ellen. Gut ...“ „Sh, sprich am besten nicht, schone deine Kräfte.“ Ellen hatte ein unbeschreiblich schreckliches Gefühl. Alex würde vor ihren Augen verbluten, und sie konnte nichts dagegen tun. Als sie bemerkte, dass der Kopfkissenbezug, der als Kompresse diente, sich bereits dunkelrot färbte, zog sie den improvisierten Verband noch etwas fester. Ihre Hände fingen an zu zittern, und sie ballte sie zu Fäusten. Was sollte sie bloß tun? Alex murmelte schwach: „Mir ist … kalt.“ Ellen strich ihr sanft über die Stirn. „Es wird alles gut, du musst nur noch ein bisschen länger durchhalten.“ Sie spürte, dass Tränen in ihr aufstiegen, und weil sie sich nicht besser zu helfen wusste, plapperte sie einfach drauf los, um die Angst und die Trauer zu verdrängen. „Denk daran, bald geht es zurück auf die Erde und hoffentlich sogar nach Hause. Dann können wir endlich ein paar Tage entspannen.“ Alex schloss die Augen und lächelte milde. „Klingt … gut.“ Sie würgte einen weiteren Schwall Blut hervor, und Ellen legte wieder ihren Kopf kurz zur Seite. Währenddessen sprach sie gedankenlos weiter. Sie hatte furchtbare Angst davor, dass die Rettung vielleicht zu spät kommen würde. „Danach wird es noch viel besser. Scharfschützenlehrgang, Offizierslehrgang … und in ein paar Jahren haben wir beide das Kommando über ein Schiff. Norah, Lauren und Oliv holen wir dann natürlich mit an Bord. Und wenn wir von alldem genug haben, hören wir einfach auf zu kämpfen, gründen Familien und kaufen Häuser direkt nebeneinander. Wir hören einfach auf ...“ Sie fing an zu schluchzen. Was hatte es ihnen bisher gebracht, bei der Allianz zu sein? Nichts als Schmerz und Leid. Sie hatten unzählige Verletzungen erlitten, waren mehrere Male beinahe gestorben und hatten viele Freunde verloren. Und wofür? Ellen konnte sich nicht daran erinnern, bisher etwas Großes geleistet zu haben. Der Preis, den sie bisher gezahlt hatten, war das alles hier nicht wert. Wenn sie und ihre Freundinnen niemals zu den Waffen gegriffen hätten, würden sie ein friedliches Leben führen und niemand müsste sterben. Wie konnten sie nur so dumm gewesen sein, zu glauben, dass die Allianz der richtige Ort für sie wäre? Ellen strich noch einmal sanft über Alex Kopf. In dem Moment viel ihr auf, dass ihre Freundin sich nicht mehr regte. „Al?“, fragte sie mit zittriger Stimme und schüttelte sie zunächst sanft, dann heftiger. „Al! Wach auf! Komm schon, Marine, reiß dich zusammen!“ Wie auf ein Kommando hin kam wieder Leben in Alex. Sie atmete tief ein, danach folgten viele flache Atemzüge. Ellen richtete sich auf und sah in Alex Gesicht, deren Augen sich wieder geöffnet hatten. Sie fixierten einen Punkt irgendwo hinter Ellen und weiteten sich vor Angst. „Hinter … dir“, röchelte sie, doch bevor Ellen sich umdrehen konnte, um nachzusehen, wurde sie von zwei Schüssen im Rücken getroffen. Die Welt um sie herum verlor sich in undurchdringlicher Finsternis. Als Ellen langsam wieder das Bewusstsein erlangte, spürte sie, dass sie getragen wurde und kopfüber hing. Auch wenn sie ihre Augen nicht öffnen konnte, war sie sich sicher, dass es ein Geth war, denn ihre Wange stieß immer wieder gegen seinen metallenen Körper und seine Bewegungen klangen wie die einer leise summenden Maschine. Sie schienen draußen zu sein, denn leichter Regen rieselte auf ihren Kopf. Warum trug der Geth sie durch die Gegend? Und wo brachte er sie hin? Dann erinnerte sie sich an die Drachenzähne am Eingang der Kolonie, und Panik machte sich in ihr breit, denn sie wollte auf keinen Fall als ein Husk enden. Auf der Stelle erschossen zu werden wäre ein gnädigerer Tod. Flatternd öffnete Ellen die Augen und starrte auf den matschigen Boden. Erst jetzt, als sie ihn sah, bemerkte sie das schleifende Geräusch des Körpers, den der Geth hinter sich her zog. Sie hob den Kopf an, um in das Gesicht der Person blicken zu können, und erkannte Alex. Sie war kreideweiß im Gesicht und Blut lief aus ihrer großen Wunde am Bauch. Ellen musste dringend etwas unternehmen, um den Geth loszuwerden. Unsicher hob sie den Kopf noch ein wenig an und suchte vorsichtig die Gegend ab, doch es schien kein weiterer humanoider Roboter in der Kolonie zu sein, jedenfalls konnte sie keinen auf dem Hauptlatz entdecken. Vielleicht hatten sie sich zu den anderen Ruinen begeben, oder sie hatten möglicherweise bereits gefunden, weshalb sie gekommen waren. Das war gut, denn wenn Ellen die Erschöpfung abgeschüttelt hatte, hätte sie gegen einen einzelnen Geth vielleicht eine kleine Chance. Als sie darüber nachdachte, mit welcher Waffe sie ihn denn erschießen würde, fiel ihr die Pistole wieder ein, die hoffentlich noch an ihrer Hüfte hing. Sie konnte es schaffen, wenn sie den richtigen Zeitpunkt wählte. Sie waren fast bei den Drachenzähnen angekommen, weshalb Ellen sich beeilen musste. Vorsichtig wackelte sie mit jedem Finger einzeln, dann mit ihren Händen. Gut, es kam wieder Leben in ihren Körper. Allerdings konnte sie ihre Beine nicht bewegen, doch das würde wahrscheinlich nur eine Frage der Zeit sein. Für ihren Plan brauchte sie lediglich ihre Hände, um die Waffe ziehen und abfeuern zu können. Plötzlich blieb der Geth stehen und ließ sie auf den Boden fallen. Dabei landete sie auf ihrem Rücken, was einen stechenden Schmerz auslöste, der ihren ganzen Körper durchfuhr und sie schreien ließ. Die Schusswunde an ihrem Rücken, die sie zuvor vergessen hatte, machte sich mit einer Intensität bemerkbar, dass sie darauf hoffte, ohnmächtig zu werden, damit es ein Ende hatte. Ihr Oberkörper wand und krümmte sich, doch ihre Beine blieben nach wie vor regungslos. Der Geth schien sie nicht zu beachten und Ellen sah, wie er Alex vom Boden auflas und mit ihr zu einem der Drachenzähne ging. Ellen musste sich beeilen, wenn sie sie retten wollte, doch ihr Körper schien ihr nicht zu gehorchen, und sobald sie ihre Arme bewegte, brandete eine neue Welle des Schmerzes durch ihre Nervenbahnen. 'Es geht um Alex!' mahnte sie sich selbst, und sie konzentrierte sich mit aller Macht darauf, ihren rechten Arm zu ihrer Hüfte zu bewegen. Es geschah nur langsam, aber klappte, und während sie abwechselnd keuchte und wimmerte, konnte sie die Pistole ertasten. Als der Geth Alex auf die Spitze der grausamen Maschine legte, zog Ellen ihre Waffe aus der Halterung. Sie hob ihren rechten Arm an und zielte mit zitternder Hand auf den metallenen Körper der großen Gestalt vor ihr, doch es war zu spät. Fassungslos sah sie mit an, wie Alex Körper durchbohrt wurde. Ein tiefes Keuchen entwich ihr, dann streckte die metallene Stange mit Alex an der Spitze sich ein paar Meter in die Höhe. Sie zappelte noch einen Moment, wurde dann jedoch still und bewegte sich schließlich gar nicht mehr. Ellens Verstand arbeitete schwer, um zu verstehen, was da gerade passiert war. Vergessen war der Schmerz in ihrem Körper, vergessen war der Geth vor ihr und alles andere in dieser Galaxie. In diesem Moment gab es nur sie und Alex, die gerade vor ihren Augen getötet worden war. Alex, die sie so lange kannte, wie sie denken konnte. Alex, die immer für sie da gewesen war und immer einen lockeren Spruch oder einen guten Rat gehabt hatte. Und Ellen war zu schwach und zu langsam gewesen, um sie retten zu können. Als der Geth vor ihr aufragte, baute sich ein unglaublicher Zorn in Ellen auf, den sie entlud, indem sie aus nächster Nähe das ganze Magazin brüllend abfeuerte. Nach drei Schüssen versagten die Schilde, und nach unendlich vielen weiteren sackte der Geth zusammen, und das Licht seines Auges erlosch. Ellens Hand sank wieder in den schlammigen Boden und sie lehnte ihren Kopf zurück. Von heftigen Schluchzern geschüttelt wollte sie am liebsten die Augen schließen, um alles zu vergessen, doch es war unmöglich. Sie konnte den Blick nicht von Alex abwenden und sah dabei zu, wie diese langsam in einen Husk verwandelt wurde. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)