Heroines of War von SarahShepard ================================================================================ Kapitel 43: Aufruhr ------------------- Ellens Folter wollte einfach kein Ende nehmen. Wieder und wieder wurde sie dazu gezwungen, Männer und Frauen zu töten, die den Erwartungen von Vadim nicht entsprochen hatten. Es bereitete ihm offenkundig Freude, ihr dabei zuzusehen, denn manchmal hörte sie ihn über die Lautsprecher jubeln. Meistens war aber nicht nur seine, sondern auch die Stimmen weiterer Männer zu hören, was Ellen vermuten ließ, dass sie zu einer Art Unterhaltungsprogramm geworden war. Doch es störte sie nicht. Inzwischen war ihr alles egal, und sie hoffte einfach nur darauf, dass Vadim sie entweder bald töten oder sie zu Cerberus schicken würde. Für den Unbekannten zu arbeiten konnte nicht so schlimm sein wie das hier. Ihre Mutter hatte ihr einmal gesagt, dass sie niemals die Hoffnung aufgeben sollte, egal, wie aussichtslos die Situation war. Doch sie sah hier keinen Ausweg, kein Licht am Ende des Tunnels, gar nichts. Nachdem sie wieder mal eine Weile lethargisch auf ihrem Bett gelegen hatte – waren es nur Stunden oder sogar Tage gewesen? - kam Vadim mit zwei Cerberussoldaten in ihr Quartier. „Meinen Glückwunsch, Webber“, sagte er grinsend. „Sie wurden angefordert. Der Unbekannte erwartet sie in ein paar Stunden zu einem ersten persönlichen Gespräch in der Basis.“ Ellen setzte sich auf und musterte ihn, reagierte sonst aber nicht auf das Gesagte. Sie wusste nicht, ob sie sich freuen oder weinen sollte. „Einen letzten Job haben wir aber noch für Sie“, fuhr Vadim fort und gab den beiden Soldaten hinter sich ein Zeichen. Einer von ihnen trat vor und gab Ellen einen harten Schlag gegen den Kopf, woraufhin sie das Bewusstsein verlor. Als sie wieder zu sich kam, lag sie in der Mitte des Trainingsraums, genau neben Lanyas eingetrockneter Blutlache. Flatternd öffnete sie ihre Augen und richtete sich langsam auf. „Ah, Sie sind wach“, hörte sie Vadim über die Lautsprecher sagen. „Stehen Sie auf, die Arbeit ruft.“ Wie an unsichtbaren Fäden gezogen erhob Ellen sich vom Boden. Ihr Kopf tat etwas weh, doch das war nicht so schlimm wie ein Brennen auf ihrem linken Schulterblatt. Irritiert ertastete sie unter dem Trainingsanzug die Stelle, und als sie darüber strich, fuhr sie zusammen. Die Haut fühlte sich Wund und etwas geschwollen an. „Was haben Sie gemacht?“, fragte sie irritiert. „Jedes Projekt, das durch meine Hände ging, erhält bei erfolgreichem Abschluss mein Zeichen. Es soll Sie stets an Ihre Zeit hier erinnern.“ Seufzend schüttelte Ellen den Kopf. Diese Kleinigkeit machte ihr gerade kaum noch etwas aus. Solange sie bald von hier verschwinden würde, war ihr alles egal. Sie hörte, wie die Tür zum Trainingsraum geöffnet wurde, und wandte sich um. Ihr letztes Ziel wurde in den Raum gestoßen und mit ihr eingesperrt, und erschrocken erkannte Ellen, dass es die Frau war, die ihr häufiger auf dem Flur über den Weg gelaufen war. Diese erstarrte, als sie erkannte, wer ihr Todesurteil vollstrecken sollte. „Also gut, Ellen, dein letzter Auftrag, danach darfst du gehen. Vernichte das Projekt Katlyn“, befahl Vadim. Ellen sah der jungen Frau in die Augen. Sie zeigte keine Furcht, wirkte aber sehr angespannt. Ihre Körperhaltung erinnerte an das Kampftraining der Allianz, weshalb Ellen sich fragte, ob sie auch ein Marine gewesen war. Doch sie schob diese Gedanken beiseite, als sie ihre biotischen Kräfte hervorrief. Während sie Katlyn tötete, wollte sie an nichts denken. Mit einem Sturmangriff stürzte sie voran und drückte Katlyn an die nächste Wand, ähnlich wie sie es bei Wayland getan hatte. Die Frau wehrte sich mit Händen und Füßen gegen Ellens erbarmungslos festen Griff, als sie am Hals gepackt und ein Stück in die Luft geschoben wurde. Doch sie schaffte es nicht, sich zu lösen, und schlagartig wurde sie völlig ruhig. Ellen sah, wie ihr langsam die Luft aus dem Körper wich, doch anstatt sich weiter zu wehren, sah die Frau ihr in die Augen und legte eine Hand auf Ellens Wange. Katlyns Augen verfärbten sich schwarz, und plötzlich spürte Ellen eine Präsenz in ihrem Kopf. „Hab keine Angst“, sagte diese Präsenz in ihren Gedanken. Dann durchfuhr ein stechender Schmerz Ellens Kopf, weshalb sie Katlyn fallen ließ und sich krümmte. Die Hand der jungen Frau blieb trotzdem noch an ihrer Wange. Sie wollte sich losreißen, doch Katlyn ließ es nicht zu. Die Qual war schlimmer als alles, was Vadim und die Cerberussoldaten verursacht hatten und steigerte sich noch, doch als Ellen kurz davor war, dass Bewusstsein zu verlieren, hörte es schlagartig auf. Irritiert sah sie Katlyn an, deren Augen jetzt wieder braun waren. Der Drang danach, sie zu töten, war völlig verschwunden. „Was hast du gemacht?“, fragte Ellen mit zittriger Stimme und sie spürte, wie eine Träne über ihre Wange kullerte. Katlyn lächelte. „Du bist jetzt frei, Ellen. Sie können dir nichts mehr anhaben.“ Sie erhoben sich beide und zuckten zusammen, als sie Vadim über die Lautsprecher brüllen hörten. „Ellen, töte sie!“ Doch Ellen regte sich nicht. Vadim hatte keine Kontrolle mehr über sie, und sie konnte kaum in Worte fassen, wie erleichternd das war. „TÖTE SIE!“ „Nein“, erwiderte Ellen ruhig. „Cerberus kann mich mal.“ Dann fiel ihr wieder ein, was Lanya ihr gegeben hatte. Jetzt wäre der vermutlich einzige Zeitpunkt, an dem sie es versuchen konnten. „Du weißt, wie wir von hier verschwinden können“, stellte Katlyn an ihrem Gesichtsausdruck fest. Ellen nickte. „Lass uns gehen.“ In dem Moment öffnete sich die Tür zum Trainingsraum und drei Soldaten stürmten herein. Die Schüsse, die sie auf die beiden ehemaligen Projekte abgaben, fing Ellen ohne Probleme mit einer Barriere ab, und sie nutze eine Feuerpause, um alle drei mit der Wucht eines biotischen Sturmangriffs von den Füßen zu reißen. Sie schnappte sich eins der Sturmgewehre, das auf den Boden gefallen war, und erschoss die Cerberusanhänger ohne Umschweife. Katlyn nahm sich ebenfalls eine Waffe und erledigte den nächsten Soldaten, der gerade den Raum betreten wollte, bevor Ellen ihn auch nur bemerkt hatte. „Dann los“, sagte sie und Ellen lief voran, aus den Raum hinaus und mehrere Flure entlang. Eine Sirene hallte wiederholt durch die ganze Anlage, und eine Stimme sagte: „Alarm der Stufe drei. Zwei Projekte sind auf der Flucht. Alle verfügbaren Einsatzkräfte sofort auf die Trainingsebene. Alarm der Stufe drei.“ Plötzlich gab es eine laute Explosion auf irgendeiner Ebene unter ihnen, und die ganze Anlage bebte, was Ellen und Katlyn auf ihrer Flucht kurz von den Füßen riss. Zeitgleich damit fiel das Licht aus, doch sie mussten nicht lange im Dunkeln bleiben, denn wenige Augenblicke später schaltete sich überall eine grünliche Notbeleuchtung ein. „Was zur Hölle war das?“, fragte Katlyn und rappelte sich wieder auf. Ellen schüttelte den Kopf. „Keine Ahnung, aber es kam genau zur richtigen Zeit..“ Sie bogen um eine Ecke und fanden dort in einer Wand ein großes Quadrat, in dessen Mitte eine Schalttafel prangte, die zu ihrer Erleichterung trotz des Notstroms aktiv war. Ellen tippte hastig die Zahlen ein, die Lanya ihr gegeben hatte. Ein bestätigendes Surren ertönte, dann öffnete sich der dunkle Schacht vor ihnen. Froh darüber, die Waffen mitgenommen zu haben, schalteten Ellen und Katlyn die kleinen Lampen an den Sturmgewehren ein und krochen nacheinander durch die Öffnung, welche sich hinter ihnen automatisch wieder verschloss. Sie kamen zügig voran, und wenn Ellens Einschätzung stimmte, mussten sie bald die Leiter erreichen. „Ich glaube, ich kriege gleich Platzangst“, sagte Katlyn, die bisher ruhig gewesen war. Ellen war sich nicht sicher, ob sie scherzte oder nicht. „Reiß dich zusammen.“ Katlyn gluckste. „Bist wohl eine ganz charmante, hm?“ „Shh“, machte Ellen. „Ich glaube, ich höre etwas.“ In ihrer Nähe redete jemand lautstark. Sie krochen weiter und entdeckten nach zwei weiteren Biegungen ein Gitter im Schachtboden. Vorsichtig näherte sich Ellen und spähte hindurch. Ein glatzköpfiger Mann ging auf und ab und bellte Befehle in einen Kommunikator. „Da steckt wahrscheinlich dieser Vicerus hinter! Findet ihn und sammelt alle freilaufenden Projekte ein! Team Charlie soll nach Ellen und Katlyn suchen, sie können noch nicht weit gekommen sein.“ „Vadim“, zischte Katlyn in Ellens Ohr. „Lass uns lieber schleunigst verschwinden.“ Doch Ellen hatte schon einen Entschluss gefasst. „Er scheint alleine zu sein“, raunte sie. „Katlyn, geh du weiter. Du musst noch zweimal rechts abbiegen, dann kommst du zu einer Leiter, die dich bis zum Shuttlehafen bringt. Wir treffen uns dann dort.“ „Ellen, nein!“, flüsterte Katlyn, doch es war schon zu spät. Ellen schlug mit ihrer biotisch geladenen Faust kräftig genug auf das Gitter, um es herauszubrechen, und sprang sofort hinterher. Vadim war zu überrascht, um reagieren zu können, und sie landete direkt auf ihm und warf ihn zu Boden. Damit er keine Hilfe rufen konnte, zog sie ihm den kleinen Kommunikator aus dem Ohr und zertrümmerte ihn. Er versuchte, sich zu wehren, doch dadurch, dass Vicerus sie mit seinen Verbesserungen auch physisch stärker gemacht hatte, hatte er keine Chance. „Katlyn, geh!“, rief sie nach oben. Für das, was sie vorhatte, brauchte sie keine Zeugen. „Okay, aber komm sicher nach.“ Mit diesen Worten hörte sie, wie Katlyn sich fortbewegte. Vicerus grinste. „So so, zwei Projekte, die gemeinsame Sache machen? Interessant.“ „Was haben sie zu lachen?“, knurrte Ellen und sah ihn finster an. „Stehen Sie auf.“ Sie erhob sich zuerst und zerrte ihn auf die Beine, nur um ihn an die nächste Wand drücken zu können. „Was wollen Sie mit mir machen? Mich töten? Ich kenne Ihr altes Psychoprofil von der Allianz, Ellen. Das passt nicht zu Ihnen. Wenn Sie mich umbringen, beweisen Sie, dass ich tatsächlich zu Ihnen durchgedrungen bin“, sagte Vadim mit säuselnder Stimme. Er schien überhaupt keine Angst zu verspüren. Ellen ließ ab von ihm und schlug ihm dann so hart ins Gesicht, wie sie konnte, und spürte, wie unter ihrer Faust ein Knochen brach. „Sie haben keine Ahnung, wer ich einmal war oder jetzt bin. Lassen Sie die Spielchen, Sie haben keine Kontrolle mehr über mich.“ Vadim, der sich seine blutende Nase hielt, grinste nun wieder. „Sind Sie sich da ganz sicher?“ „Was meinen Sie?“, erwiderte Ellen patzig. „Bei ihren letzten Einsätzen war der Kontrollchip überhaupt nicht mehr aktiv. Sie haben von alleine gehandelt, ohne es zu merken. Sie waren willig wie ein frommes Lamm, aber wohl nicht ganz so unschuldig.“ Er kicherte. „Lügner!“, brüllte Ellen fast. Das was er sagte, konnte nicht stimmen, sie hatte immer versucht, sich gegen die Kontrolle zu wehren. „Ich habe niemals nach meinem freien Willen gehandelt!“ Vadim zuckte mit den Achseln. „Nennen Sie es, wie Sie wollen, aber ich hatte Ihnen nur noch den Befehl gegeben, reagiert haben sie von alleine. Was immer Projekt Katlyn mit ihnen gemacht hat, kann allenfalls einen Placebo-Effekt gehabt haben.“ „Nein!“, schrie Ellen. Plötzlich hörte Ellen polternde Schritte in ihrer Nähe. Wenn sie Vadim töten wollte, musste es jetzt geschehen. Doch was, wenn er recht hatte? War sie immer noch die Ellen, die sie glaubte, zu sein? Vor einiger Zeit war sie in einer ähnlichen Situation gewesen. Damals hatte sie es in der Hand gehabt, Polk in den Abgrund stürzen zu lassen, es aber bei ein paar leeren Drohungen belassen. „Ich sehe es Ihnen doch an. Ich habe gewonnen“, gurrte Vadim. Doch würde es nicht beweisen, dass er Kontrolle über sie hatte, wenn sie ihn jetzt nicht tötete? Ellen war verwirrt. Wer war sie? Was sollte sie tun? Schließlich fasste sie einen Entschluss. Sie zog Vadim zu sich heran und raunte ihm etwas ins Ohr. „Ich lasse Sie Leben. Aber verlassen Sie sich darauf, eines Tages werde ich Sie umbringen.“ Dann verpasste sie ihm einen harten Schlag gegen die Schläfe, woraufhin er Ohnmächtig wurde, und ließ ihn fallen wie ein nasser Sack. Die Soldaten waren nur noch eine Abbiegung entfernt, weshalb Ellen sich beeilte, wieder in den Schacht zu kommen. Mit einem Satz sprang sie an die Wand und drückte sich mit einem Bein hoch in die Luft. Dadurch bekam sie den Rand des quadratischen Lochs in der Decke zu fassen und zog sich hinein, als die Männer von Cerberus gerade im Korridor erschienen. Sie wusste nicht, ob sie gesehen worden war oder nicht, doch die Frage beantwortete sich von selbst, als hinter ihr plötzlich von unten in die Decke geschossen wurde. So schnell wie sie konnte bewegte sich Ellen voran und entkam den Kugeln der Soldaten um Haaresbreite. Schließlich erreichte sie endlich die Abzweigung nach rechts und war aus der Reichweite der Sturmgewehre. Nachdem sie wenig später die Leiter erreicht und erklommen hatte, sprang sie durch eine Öffnung in den Shuttlehafen. Er war groß und beherbergte wenigstens fünf oder sechs kleinere Raumschiffe und darüber hinaus auch einige Landfahrzeuge. Von Cerberussoldaten war ihr allerdings nichts zu sehen. Ellen konnte ihr Glück kaum fassen. „Hey, hierher“, hörte sie Katlyn rufen, die aus einem Shuttle auf der linken Seite gestiegen war. „Dieser Vogel ist noch so gut wie vollgetankt.“ Ellen steuerte darauf zu und entdeckte auf ihrem Weg drei Leichen, die zielsicher erschossen worden waren. Katlyn schien eine verdammt gute Schützin zu sein. Als sie beide im Cockpit des Cerberusshuttles Platz genommen hatten, wartete Ellen darauf, dass Katlyn startete. „Wir haben da noch ein Problem“, sagte sie und deutete nach vorne. Ein breites, verschlossenes Tor bewachte den Ausgang der Forschungsstation. „Keine Ahnung, wie wir das öffnen sollen.“ Ellen fiel entsetzt die Kinnlade herunter. Sollten sie wirklich daran scheitern? Doch wie von Zauberhand öffnete sich der Ausgang just in dem Moment langsam, denn ein anderes Shuttle setzte zum Landeanflug an. „LOS!“, brüllte Ellen und Katlyn brachte ihr Fahrzeug sofort in Gang. Sie schrammten das andere Shuttle auf dem Weg nach draußen, doch es war nicht fatal, und schließlich waren sie frei. Rasend schnell entfernten sie sich von der Forschungsbasis und dem Planeten, und wenig später befanden sie sich im All. Katlyn jubelte lautstark. „Endlich frei! Fick dich, Cerberus!“, jauchzte sie und hämmerte auf ihrem Sitz herum. Dann wandte sie sich an Ellen, die bisher ruhig geblieben war. „Diese Thelma-und-Louise-Nummer war ja ganz nett, aber wo sollen wir nun hin? Der Tank ist zwar recht voll, aber unendlich weit kommen wir damit auch nicht.“ „Irgendwohin, wo man uns nicht findet.“ „Meinst du mit man Cerberus?“ Ellen schüttelte den Kopf. „Nein, niemand.“ Sie wollte vorerst nicht nach Hause zurückkehren. Im Moment war sie zu aufgewühlt und durcheinander, um sich einem Kreuzverhör von der Allianz und ihren Freunden stellen zu können, vor allem, wenn sie dabei erklären musste, wie es gewesen war, auf Vadims Befehl hin zu töten. Sie wollte sich zunächst eine Auszeit von allem nehmen und die Ereignisse in Ruhe verarbeiten. Katlyn stellte keine weiteren Fragen, sondern stöberte in der Navigationskarte. Schließlich setzte sie einen Kurs. Ihr Ziel war Omega. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)