Heroines of War von SarahShepard ================================================================================ Kapitel 42: Verzweiflung ------------------------ Nach Ellens Gefühl vergingen mehrere Wochen, in denen sie von Tala trainiert wurde, vielleicht sogar ein oder zwei Monate. Es nervte sie, nicht einschätzen zu können, wie lange sie schon hier war, doch das war bei weitem ihr kleinstes Problem. Kev und Silas machten sich einen Spaß daraus, Ellen zu quälen, wann immer ihnen danach war. Lanya bemühte sich zwar, das zu unterbinden, so gut sie konnte, aber dafür musste sie einen Preis zahlen. Sie sagte Ellen nicht genau, was mit ihr passierte, doch sie hatte häufig blaue Flecken oder Schnitte auf ihrer Haut. „Es ist nichts“, sagte sie immer lächelnd, wenn Ellen sie darauf ansprach. „Los, mach weiter, sonst kommen die beiden von Cerberus wieder auf dumme Ideen.“ Doch Ellen bemerkte, dass sie die Starke nur spielte. In Momenten, in denen Lanya dachte, dass niemand sie ansah, machte sie eine furchtbar traurige Miene. Es ging ihr alles andere als gut, doch Ellens Lage war genauso aussichtslos wie ihre, sie konnte der Asari nicht helfen. Sie hoffte einfach nur darauf, dass Lanya nicht aufgab und sie vielleicht gemeinsam einen Weg fänden, um aus dieser Hölle zu entfliehen. Das Training der Asari brachte sie allerdings trotz der Umstände um einiges weiter. Nach wenigen Tagen waren sie vom biotischen Schlag zum Sturmangriff übergegangen, welcher deutlich schwieriger gewesen war. Durch Lanyas Hilfe bekam sie ihn inzwischen allerdings halbwegs hin, auch wenn es noch an der Reichweite haperte, weiter als zehn Meter kam Ellen noch nicht. Doch die Asari hatte ihr gesagt, dass diese durch häufige Anwendung sich noch steigern konnte, wenn sie ein besseres Gespür dafür erlangt hatte, wie sie die Biotik in ihrem Körper verteilen musste. Inzwischen arbeiteten sie an der Barriere, was ebenfalls nicht leicht war. Sie übten schon seit einigen Trainingseinheiten daran, doch Ellen schaffte es nicht, die Barriere, die sie direkt um ihren Körper herum erschuf, heraus zu drücken und zu einer Kugel zu formen, und wenn es ihr doch gelang, war diese meist nur sehr schwach und verschwand nach einem kurzen Flackern. Nach einem erneut gescheiterten Versuch setzte Ellen sich auf den Boden und seufzte. „Ich kriege es einfach nicht hin.“ Lanya hockte sich zu ihr und legte eine Hand auf ihre Schulter. „Kopf hoch, das klappt schon noch.“ „Vadim sagt, dir fehlt es an Motivation“, rief Kev zu ihnen herüber. Ellen sah die Waffe in seiner Hand, die auf Lanya gerichtet war, und plötzlich lief alles wie in Zeitlupe ab. Ein Schuss ertönte und sie riss blitzschnell eine Barriere um sich und die Asari herum hoch, gerade noch rechtzeitig, um das Projektil abzufangen. Lanya sprang erbost auf. „Habt ihr jetzt völlig den Verstand verloren?!“, brüllte sie quer durch den Raum, doch die beiden Soldaten schienen nicht besonders beeindruckt zu sein. Silas zuckte bloß mit den Achseln. „Wieso, hat doch funktioniert.“ Ellen sah überrascht auf ihre rechte Hand. Wie hatte sie das bloß bewerkstelligt? Sie hatte Lanya beschützen wollen und ihr Körper hatte von alleine reagiert. „Ich habe schon einmal gesehen, wie eine Asari so etwas gemacht hat“, sagte sie nachdenklich mehr zu sich selbst als zu allen anderen. „Tala kam auch wie aus dem Nichts und hat ein Kind gerettet.“ Lanya sah Ellen mit aufgerissenen Augen an. „Tala?“ „Tala T'Raya“, sagte sie nickend. „Wir sind uns vor einiger Zeit auf Galatea begegnet.“ Die Asari ihr gegenüber starrte einen Moment lang auf den Boden, so als würde sie nachdenken, dann wirkte sie entschlossen. „Es könnte nur ein Zufall sein, aber ich werde es riskieren“, murmelte sie und sah dann Ellen direkt in die Augen. „Ich werde jetzt etwas tun, was für dich schlimme Konsequenzen haben könnte. Es tut mir leid, aber ich kann nicht anders.“ Sie aktivierte ihre Biotik und wandte sich den Cerberussoldaten zu, die irritiert ihre Waffen zückten. „Keine Bewegung, Asari!“, blökte Kev, doch Lanya ließ sich davon nicht beeindrucken und versetzte beide Männer in Sekundenschnelle in Stase. Nach einem kurzen Seitenblick zu Ellen ließ sie Silas und Kev nacheinander hart gegen die Wände fliegen, und man könnte hören, wie ihre Genicke brachen. „Lanya, was-“, sagte Ellen völlig perplex, doch die Asari ließ sie nicht ausreden, sondern legte ihre Hände auf Ellens Wangen und sagte: „Umarme die Ewigkeit.“ Ihre Augen verfärbten sich schwarz. Instinktiv schloss Ellen ihre, und plötzlich war ihr, als wäre sie nicht mehr alleine in ihrem Kopf. Sie konnte es sich nicht erklären, aber sie spürte die Präsenz der Asari in sich und sie befand sich gleichzeitig selbst in Lanyas Körper. „Du hast vielleicht schon von Verschmelzungen gehört. Ich muss mit dir kommunizieren, ohne das Cerberus es merkt“, sagte Lanya in ihren Gedanken und Ellen fühlte, dass die Asari nervös war. „Wir haben nicht viel Zeit, bis Vadim Leute schickt. Zeig mir bitte Tala. Erinnere dich einfach daran, wie sie ausgesehen hat, ich werde diese Bilder dann auch sehen können.“ Ellen dachte an die Male zurück, als sie der Asari das Essen in ihre Zelle gebracht hatte. Lanya strahlte plötzlich unglaubliche Zuneigung aus. „Ja, das ist sie“, sagte die Asari und Ellen wurde mit einer Flut an Bildern überschüttet. Sie alle zeigten Tala aus Lanyas Perspektive in verschiedenen Situationen, mal bei einem Kampfeinsatz, mal in einem Restaurant oder in einem Park. Die letzte Erinnerung war mit besonders starken Emotionen verbunden. Tala hatte ihre Stirn gegen Lanyas gelehnt und sagte: „Es ist mir egal, was die anderen denken. Ich möchte mit niemand anderem zusammen sein. Ich liebe dich, Lanya.“ „Ich dich auch“, erwiderte Lanya mit zittriger Stimme. Ihre Gefühle für Tala waren überwältigend, und Ellen kam es seltsam vertraut vor, denn so etwas ähnliches hatte sie auch gespürt, als sie Norah zum letzten Mal gesehen hatte. Es war pure Freude und Glückseligkeit, gepaart mit unerschöpflicher Liebe. Doch da war noch etwas dunkles, was Ellen als Traurigkeit erkannte. „Ich werde sie nicht wieder sehen“, sagte Lanya in ihren Gedanken. „Ich werde hier nicht herauskommen, das war nie vorgesehen. Du hast allerdings vielleicht eine Chance.“ Vor Ellens innerem Auge erschien eine Karte, auf der ein Weg eingezeichnet worden war, und eine Zahlenkombination. „Präge es dir gut ein. Du hast nur einen Versuch, egal, ob es funktioniert oder nicht, danach wird der Weg von Vadim versiegelt und vermutlich auch alle Überwachungsmaßnahmen verschärft.“ „Wo hast du das her?“, fragte Ellen erstaunt, während sie sich alles merkte, so gut sie konnte. Lanya zögerte. „Das spielt keine Rolle. Bitte vertrau mir einfach.“ „Aber … warum nutzt du das nicht für dich? Warum willst du mich retten?“ „Aus dir wird noch eine fähige Biotikerin, Ellen, und wenn du und die Technologie, die du in dir trägst, in die Hände des Unbekannten gelangen, wird Cerberus deutlich stärker. Auch wir Asari wissen, dass das nichts Gutes bedeuten wird. Außerdem … du bist ein guter Mensch, Ellen. Ich sehe dir an, dass du viel durchgemacht hast, und du verdienst es nicht, an so einem Ort wie diesem hier zu sterben oder von Cerberus versklavt zu werden. Ich hatte in meinen zweihundertfünfzig Jahren ein erfülltes Leben, aber du hast noch alles vor dir. Ich schenke dir den Rest deines Lebens in Freiheit, aber versprich mir dafür, dass du die Erinnerungen, die ich dir gezeigt habe, an Tala weitergibst.“ Ellen wollte nicht, dass Lanya sich für sie opferte. Sie würde einen anderen Weg aus der Forschungsbasis finden. Sie könnte es sich nicht verzeihen, wenn sie Tala mitteilen müsste, dass ihre Partnerin ihretwegen gestorben war. „Tala wird es verstehen“, sagte Lanya, die in ihrer Verbindung Ellens Gedanken mitbekommen hatte. Ellen wollte etwas erwidern, doch sie hörte, wie außerhalb ihrer Verbindung mehrere Personen in den Raum polterten. Dann spürte sie, wie die Asari sie sanft küsste und dabei dachte: „Das ist für Tala. Es tut mir alles so leid, aber du kennst mich, ich kann einfach nicht anders.“ Mit diesen Worten löste sie schlagartig die Verbindung und stieß Ellen von sich weg, die perplex auf den Boden fiel. „Geh weg von dem Projekt, Asari!“, drohte einer der vier Cerberussoldaten, die um sie herum im Trainingsraum standen. Lanya lächelte grimmig. „So leicht mache ich es euch nicht.“ Sie rief ihre Biotik hervor und konnte gerade noch eine Barriere erschaffen, um die Projektile aus den Sturmgewehren abzublocken. Die Soldaten verschossen jeweils ein ganzes Magazin, doch keine Kugel drang hindurch. Ellen sprang endlich auf die Beine und aktivierte selbst ihre Biotik, um Lanya zu helfen. Sie könnten sich gemeinsam einen Weg aus der Basis kämpfen. Doch die Asari schien ihre Gedanken zu erahnen und schüttelte energisch den Kopf. „Nein, wir würden es nicht weit schaffen. Sieh gut zu Ellen, eine letzte Technik zeige ich dir noch. Nova.“ Während die Männer von Cerberus hastig ihre Waffen nachluden, ließ Lanya den Schild fallen und schlug mit ihrer rechten Faust hart auf den Boden, woraufhin eine Welle an biotischer Energie in alle Richtungen aus ihr strömte. Die Soldaten wurden von den Füßen gerissen und verloren ihre Waffen aus den Händen. Lanya nutzte diese Blöße und ließ einen nach dem anderen durch die Luft fliegen und gegen die Wände krachen. Doch die nächste Welle an Soldaten polterte bereits in den Raum und dieses Mal waren es mehr als doppelt so viele. Fassungslos sah Ellen dabei zu, wie die Asari erst einen, dann einen zweiten und dritten nacheinander ausschaltete, doch nach der letzten Attacke zögerte sie plötzlich. Ihr Limit schien erreicht zu sein, sie musste einen Moment warten, bis ihre biotische Energie sich wieder regeneriert hatte. Ohne darüber nachzudenken, schnappte Ellen sich das Sturmgewehr eines toten Soldaten und begann, auf die Übrigen zu schießen. Da die Cerberussoldaten auf den Angriff von der Seite nicht vorbereitet gewesen waren, tötete Ellen zwei von ihnen, bevor sie sich auch nur umgedreht hatten. „Lass sofort die Waffe fallen!“, hörte sie Vadim brüllen, der nun auch in voller Panzerung im Trainingsraum stand. Ellens Körper tat wie geheißen, und das Sturmgewehr fiel klackernd zu Boden. Die Soldaten legten nun wieder auf Lanya an, und da ihre Abklingzeit noch nicht vorüber war, hatte sie dem nichts entgegenzusetzen und sackte nach mehreren Schüssen in die Brust zusammen. Purpurnes Blut strömte aus ihrem Körper und verteilte sich auf dem Boden, während die Asari noch einige Male zuckte und röchelte, bis sie sich schließlich nicht mehr regte. Ellen sah, wie das Lebenslicht in ihren Augen verschwand. Eine beunruhigende Stille legte sich über den Raum. Vadim begann langsam zu klatschen. „Nicht schlecht, aber nicht gut genug. Ellen, du hast es mal wieder geschafft, dass einer deiner Lehrer aus dem Verkehr gezogen werden musste. Hoffentlich bist du stolz darauf“, sagte er sarkastisch und deaktivierte über sein Omni-Tool ihre Kräfte. Ellen erwiderte darauf nichts, sondern sah ihn nur finster an. Sie hatte das alles nicht gewollt, und es war ausschließlich Vicerus und Vadims Schuld, dass Wayland und Lanya gestorben waren. Sie blickte zur Asari. Hoffentlich würde Tala ihr das alles verzeihen können, wenn sie sich eines Tages sähen. Vadim schlenderte zu ihr herüber, während die noch lebenden Soldaten begannen, sich um die Verletzten und Toten zu kümmern. „Was mache ich jetzt bloß mit dir?“, sinnierte er und sah sie grübelnd an. „So kannst du jedenfalls noch nicht zum Unbekannten.“ Er sah sie nachdenklich an, und Ellen versuchte, ihre Anspannung zu verbergen. Konnte es noch schlimmer werden? Wie weit würde der Cerberusoffizier noch gehen? Das Lächeln, das auf Vadims Gesicht erschien, konnte nichts Gutes bedeuten. „Ich weiß es“, sagte er und klang dabei fast fröhlich. „Du wirst von nun an unser Müllentsorger sein, das liegt dir doch so gut. Und so sammelst du genügend Kampferfahrung.“ Ellen brauchte einen Moment, bis sie verstand, was sie von nun an tun musste. Wenn sie nicht schleunigst einen Weg fand, mit Hilfe der Informationen von Lanya zu fliehen, würde sie anderen Menschen das gleiche antun wie Wayland, und sie war sich sicher, das nicht noch einmal ertragen zu können. Damit würde er sie an ihre Grenzen bringen. Da wäre es ihr sogar lieber, wenn er sie Rund um die Uhr mit Schmerzen foltern oder auf der Stelle töten würde. Sie war wie in Trance, als zwei Soldaten sie packten und aus dem Raum führten. Dabei war sie noch so verstört, dass sie nicht einmal etwas zu Vadim sagen konnte, sie wandte sich nur noch einmal kurz um und sah ihn fassungslos an. Er grinste feist zurück und sagte: „Ich hab' dich.“ Ungefähr eine oder zwei Wochen später sollte Ellen zum ersten Mal ihre neue Aufgabe erfüllen. Da sie die gesamte Zeit in ihrem Quartier eingesperrt worden war, hatte sie keine Gelegenheit gehabt, einen Fluchtversuch zu starten. Die Erinnerungen von Lanya hatte sie inzwischen ganz gut verstanden. Ihr Ziel war ein Lüftungsschacht auf der Ebene mit ihrem Trainingsraum, welcher durch einen Zahlencode geschützt war. Von dort aus würde sie eine Weile kriechen müssen, bis sie zu einer Leiter kam, die bis zur letzten Ebene unter der Oberfläche führte. Da gab es einen kleinen Shuttlehafen, und wenn sie den erreichte, hätte sie vielleicht eine Chance, zu fliehen. Doch das alles alleine zu schaffen, war mehr als utopisch. Zwei Cerberussoldaten holten sie aus ihrem Quartier und gaben ihr schwarze Handschuhe und eine Art Sturmmaske, die sie sich überziehen sollte, während sie zum Fahrstuhl marschierten. Ihre Hände zitterten, als sie in den dunklen Stoff glitten. Sie hatte versucht, sich im Vorfeld nicht allzu vorzustellen, wen sie alles würde töten müssen, alleine der Gedanke daran hatte sie genug aufgewühlt. Als sie im Fahrstuhl standen, packten die beiden Soldaten sie hart an den Armen, selbst wenn sie es versucht hätte, hätte sie die beiden hier nicht überlisten können. Betreten starrte Ellen auf den Boden. Durch die Maske könnte sie ihren Atem laut hören, und er wurde schneller, als die Türen des Lifts sich wieder öffneten. Ellen sah wieder auf und wurde zu ihrem üblichen Trainingsraum geführt. Dessen Tür öffnete sich ohne Zutun und verschloss sich sofort wieder, als sie in den Raum gestoßen worden war. „Hallo Ellen. Deine Biotik habe ich soeben aktiviert“, hörte sie Vadim über einen Lautsprecher sagen. „Du weißt, was zu tun ist. Beseitige das Projekt Aston.“ Ellen sah zunächst auf ihre Hände, dann hob sie langsam den Blick und bemerkte, dass Talas Blutlache nicht beseitigt worden war. Was sie daneben entdeckte, trieb ihr allerdings die Tränen in die Augen. Ein Junge, nicht älter als zehn oder elf, sah sie mit großen Augen an und zitterte am ganzen Leib. Ellen stemmte sich mit aller Macht gegen Vadims Kontrolle, doch als sie ihr Ziel entdeckt hatte, agierte ihr Körper wieder von alleine. Eine Stunde später saß Ellen auf ihrem Bett und hatte das Gesicht in ihren Händen vergraben. Auf ihrem Trainingsanzug war Blut, doch sie hatte ihn noch nicht ausgezogen, sondern nur die Handschuhe und die Maske in eine Ecke gepfeffert, als sie zurückgekommen war. Seitdem weinte sie so sehr, wie sie es noch nie in ihrem Leben getan hatte. Die Bilder von dem, was gerade geschehen war, würde sie genauso wenig vergessen können wie die Ermordung von Wayland. Sie wünschte sich fast, Vicerus hätte auch ihre Emotionen unter Kontrolle gestellt, damit sie sich jetzt vielleicht nicht so elend fühlen müsste. Eine Stimme in ihr sagte, dass das falsch wäre und sie ihre Verzweiflung in sich nutzen sollte, um ihren Zorn weiter zu schüren, doch diese Stimme war sehr leise und irgendwann nicht mehr zu hören. Vadim schaffte es, Ellens Willen zu brechen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)