Heroines of War von SarahShepard ================================================================================ Kapitel 39: Ein Fünkchen Hoffnung --------------------------------- Ellen wusste nicht, wie lange sie geschlafen hatte, als sie von Vicerus Stimme geweckt wurde. „Guten morgen, Ellen“, sagte er freundlich. „In einer halben Stunde beginnen wir mit Ihrem Training. Machen Sie sich fertig und warten Sie dann auf Keates.“ Ohne, dass sie es kontrollierte oder überhaupt wollte, setzte sich ihr Körper in Bewegung und ging ins Badezimmer. Einen Moment war sie verwirrt, doch als ihre Schläfrigkeit sich langsam legte, kehrte auch die Erinnerung an das gestrige Gespräch zurück. 'Vicerus kontrolliert mich, richtig' dachte Ellen, während sie sich das Gesicht wusch. Aber hatte die Unterhaltung wirklich gestern stattgefunden, oder waren doch nur ein paar Stunden seitdem vergangen? Ellen konnte es nicht sagen. In ihrem Zimmer gab es keine Uhr oder etwas anderes in der Art, und da sie sich unter der Erde befand und keine Fenster hatte, konnte sie die Tageszeit auch nicht an der Helligkeit draußen festmachen. Obwohl sie noch nicht seit langem aus ihrem Koma erwacht war, verlor sie langsam ihr Zeitgefühl. Schließlich, als Ellen sich gerade zurechtgemacht hatte, polterte Keates an die Tür. „Los geht’s Webber“, grunzte er. Ellen seufzte. Sie wünschte sich, dass sie sich irgendwie gegen all das hier wehren konnte. Aber auf der anderen Seite konnten ihr ihre biotischen Fähigkeiten vielleicht mal nützlich sein. Sie schüttelte den Kopf. Hatte sie sich etwa doch von Vicerus einlullen lassen? Sie hatte nie um diese Kräfte gebeten und würde sie liebend gerne gegen ihre Freiheit eintauschen. Keates klopfte noch einmal gegen die Tür, und Ellen öffnete sie schließlich und verließ ihr Zimmer. „Na endlich“, sagte ihr Bewacher genervt. „Komm mit, dein Trainer wartet schon.“ Sie gingen wie bereits am Tag zuvor den Flur entlang zu dem Fahrstuhl. Dieses Mal fuhren sie allerdings nur drei Etagen nach oben, nicht bis zur Spitze mit Vicerus Büro. Keates führte sie einen breiten, hellen Flur entlang, von dem mehrere schwere Türen abgingen, welche alle nummeriert waren. Vor der mit der Zahl 5 blieben sie stehen, während sie wie von alleine öffnete. „Aah, d-da seid ihr ja“, sagte eine freundliche Stimme. Keates stieß Ellen in den Raum hinein, weil sie sich nicht bewegt hatte, und folgte ihr. Der Raum war groß und länglich geschnitten. Sowohl die Wände als auch die Decke und der Boden waren gänzlich in weiß, was eine seltsame Atmosphäre erschuf. Die Einrichtung war eher spärlich und bestand eigentlich nur aus ein paar Kisten, Stühlen und seltsamerweise Bällen. „D-Danke, K-Keates, Sie können gehen“, stotterte ein Mann, der in der Mitte des Raumes stand. Er hatte offene blaue Augen, braune Haare und ein rundliches Gesicht. Seine Kleidung bestand aus einem weißen Overall, wie ihn sonst Ärzte immer trugen, und schwarzen Stiefeln. Wie er da so stand, klein und die Schultern angezogen, kam er Ellen unsicher und ein wenig verängstigt vor. Sie war sich sicher, dass dieser Mann keiner Fliege etwas zuleide tun konnte. Kaum zu glauben, dass er aus Ellen eine Kampfmaschine machen sollte .Vicerus hatte ihr einen interessanten Trainer zur Seite gestellt. „Ich bleibe lieber hier, Chapman, sonst stellt sie noch etwas an“, erwiderte der Söldner grimmig und musterte Ellen mit einem fiesen Seitenblick. Chapman schüttelte den Kopf. „Ich g-glaube nicht, dass sie mir etwas t-tun wird. Gehen Sie B-bitte, Vicerus ha-hat mir zugesichert, das wir bei dem T-training nicht gestört werden.“ Keates stöhnte genervt und stapfte davon. Als er den Raum verlassen war, fiel einiges an Anspannung von Ellen ab. Chapman kam zu ihr herüber und schüttelte ihre Hand. „Wayland Chapman. Es freut mich sehr, dich kennenzulernen, Ellen“, sagte er grinsend. Ellen schätzte, dass er auf die Dreißig zuging, aber durch sein rundes Gesicht und einige Sommersprossen sah er deutlich jünger aus. Plötzlich fiel ihr auf, dass er gar nicht mehr stotterte. Keates Anwesenheit musste ihn ziemlich verunsichert haben. „Doktor Vicerus hat mich damit beauftragt, dir deine biotischen Kräfte näher zu bringen. Du wirst schnell lernen müssen, denn in ein paar Wochen sollst du bereits die meisten Grundlagen beherrschen.“ Ellen schnaubte. „Sonst was? Will er mich in ein Loch einsperren? Oder auspeitschen lassen?“ Selbst wenn sie übermäßig motiviert wäre, würde es deutlich mehr als ein paar Wochen dauern, bis sie ihre Kräfte beherrschte. Manche Menschen trainierten mehrere Jahre, bis sie überhaupt eine Lampe umwerfen konnten. „Ich weiß es nicht“, sagte Wayland und verzog das Gesicht. „Aber mach dir darüber erstmal keine Gedanken. Heute steht auf dem Plan, dass du ein Gefühl für deine Kräfte erlangst. Komm mit.“ Er ging zu zwei Hockern hinüber und nahm auf einem Platz. Zögernd folgte Ellen ihm und setzte sich auf den anderen. „Eins sage ich gleich vorweg: Ich bin kein besonders starker Biotiker. Wenn Vicerus Erwartungen sich erfüllen, wirst du um ein vielfaches stärker sein als ich, sogar als die meisten anderen menschlichen Biotiker. Ich denke aber dennoch, dass ich dir bei der Beherrschung helfen kann.“ Ellen runzelte etwas ungläubig die Stirn. „Dass ich überhaupt biotische Kräfte habe, grenzt an ein Wunder. Und jetzt sagen Sie mir, dass ich die meisten Menschen sogar noch übertreffen werde? Wie ist das alles möglich?“ Was hatte dieser verrückte Wissenschaftler bloß mit ihr angestellt? War sie immer noch die Ellen Webber, die sie glaubte, zu sein? „Doktor Vicerus ist einer der klügsten Köpfe unserer Generation. Ich weiß nicht, wie er es geschafft hat, doch es ist wirklich beeindruckend. Wenn er mit dieser Entwicklung an die Öffentlichkeit gehen könnte, würde man ihn mit Preisen überschütten. Aber das tut jetzt nichts zur Sache.“ Ellen wollte fragen, warum er damit nicht an die Öffentlichkeit ging, und fing fast an zu lachen, als ihr die offensichtliche Antwort bewusst wurde. Vicerus wurde von der Allianz gesucht und galt als ein äußerst gefährlicher Verbrecher. Solche Personen sollten sich natürlich lieber aus der Öffentlichkeit heraushalten. Wayland klatschte in seine Hände. „Nun denn, Ellen, erzähl mir davon, wie es war, als du zum ersten Mal deine Kräfte verwendet hast. Wie hast du dich dabei gefühlt?“ Ellen dachte an das Gespräch mit Doktor Vicerus zurück. Er hatte ihr gesagt, dass er ihr einen Klon von Alex erschaffen würde, wenn sie kooperierte. „Ekel, Wut und Hass würden es ganz gut beschreiben“, antwortete sie. „Starke Emotionen, wohl war“, sagte Wayland nickend. „Okay. Siehst du den Ball rechts von uns? Versuche, ihn zu bewegen. Benutze dabei deine Emotionen, um die Kräfte wieder hervorzurufen. Am Anfang ist es so leichter, aber wenn du erstmal ein Gefühl für die Biotik hast, wirst du solche Auslöser nicht mehr brauchen.“ Ellen betrachtete den Ball. Er war dunkelblau, ungefähr so groß wie ihr Kopf und lag wenige Meter von ihr entfernt auf dem Boden. Zögernd streckte sie ihren Arm aus und zeigte mit ihrer offenen Handfläche in seine Richtung, ähnlich wie sie es bei anderen Biotikern beobachtet hatte. In ihrem Geist versetzte sie sich in das Gespräch mit Vicerus zurück und sie spürte, wie die Wut wieder in ihr aufflackerte. Doch ansonsten geschah nichts. Eine Minute lang starrte sie den Ball an, doch sie schaffte es nicht, ihre Kräfte hervorzurufen. „Konzentriere dich, Ellen“, sagte Wayland mit monotoner Stimme, fast so, als würde er sie hypnotisieren wollen. „Der Anfang ist nicht leicht, aber denk daran, du hast es schon einmal geschafft.“ Aber so sehr sie auch den Hass gegen Vicerus in sich schwelen ließ, es tat sich nichts. Nach einiger Zeit gab sie frustriert auf. Plötzlich ertönte über einen Lautsprecher an der Decke die Stimme des Wissenschaftlers, der sie hier gefangen hielt. „Wayland, denk daran, Ellens biotischen Verstärker abzustellen, wenn ihr fertig seid, und bring sie dann in das Labor. Und Ellen, strengen Sie sich bitte etwas mehr an.“ Den letzten Satz hatte er mit einem fast drohenden Unterton gesagt. Schlagartig stellten sich Ellens Nackenhaare auf und und aus ihrem Körper drang leuchtend blaues Licht. Sie spürte eine unglaubliche Kraft in sich, die aber genauso schnell wieder verflog, wie sie aufgetaucht war. Überrascht sah sie auf ihre Hände, während Wayland lächelte. „Ich weiß nicht, ob es an dem Kontrollchip oder an deinen Gefühlen lag, aber es hat funktioniert. Großartig, das war ein guter erster Schritt.“ Ellen sackte einen Moment in sich zusammen, fasste sich jedoch schnell wieder. Die Erschöpfung war bei Weitem nicht so groß wie beim ersten Mal. Und sie glaubte, gespürt zu haben, woher die Kraft gekommen war. Es war schwer zu beschreiben, aber in ihr war etwas, eine Art Knopf oder Schalter, den sie umlegen musste, um ihre Kräfte freizusetzen. Nachdenklich streckte sie ihren rechten Arm wieder in Richtung des Balls aus und versuchte, sich auf den Punkt zu konzentrieren. Ihre Finger begannen zu zittern, als sie es endlich schaffte, die Biotik hervorzurufen. Zwar war das Leuchten deutlich schwächer als gerade eben oder im Büro von Vicerus, aber es war ein Anfang. Als es zu anstrengend wurde, lockerte Ellen die Anspannung in ihrem Arm, und die blaue Energie verschwand sofort wieder. Wayland klatschte aufgeregt in die Hände. „Fabelhaft, Ellen. Du lernst wirklich unglaublich schnell. Ellen konnte sich ein kleines Grinsen nicht verkneifen. Biotik fühlte sich gut an, fast wie ein Rausch. Als sie sich daran erinnerte, wo sie war, verschwand das Lächeln aber sofort wieder. Sie schaffte es innerhalb einer Stunde noch zwei weitere Male, ihre Kräfte zumindest zu aktivieren, bevor sie zu erschöpft war und Wayland die erste Einheit beendete. „Dein Körper wird sich an die Belastung noch gewöhnen müssen, aber das wird schon. Nun denn, das soll für heute reichen, ich bringe dich hoch ins Labor.“ Er erhob sich und marschierte mit federnden Schritten zur Tür. Ellen folgte ihm langsam, denn die Müdigkeit machte sich schnell in ihr breit. Auf dem Flur erwartete sie Keates bereits und führte sie zu den Laboren, die zwei Ebenen über dem Trainingsraum lagen. Ellen wurde in einen Raum gebracht, in dem außer einem großen und breiten Kasten nichts weiter stand. Wayland öffnete das Geräts und bedeutete Ellen, sich auf die Liege im Inneren zu legen. Dabei lächelte er ihr aufmunternd zu und sagte: „Keine Angst. Wir wollen dich nur scannen, um zu sehen, wie dein Körper mit dem Implantat und der Belastung umgeht. Das werden wir nach jeder Einheit machen.“ Bevor Ellen sich hinlegte, bemerkte sie eine breite Fensterfront zu ihrer Linken. Vicerus stand dort und unterhielt sich angeregt mit jemanden, was Ellens Körper wieder zum Glühen brachte. „Oh, das habe ich ja völlig vergessen“, sagte Wayland überrascht und tippte auf seinem Omni-Tool herum. Schlagartig verschwand die Biotik. „Dein Implantat schalte ich bei der nächsten Einheit wieder ein. Und rein mit dir.“ Unglaublich erschöpft legte Ellen sich auf die Liege und schloss die Augen, während die Maschine geschlossen wurde. „Bitte still liegen“, sagte eine weibliche Stimme, während es um Ellen herum surrte. Sie öffnete ihre Augen nicht sondern döste ein wenig vor sich hin, bis es vorbei war. Danach entnahm Wayland ihr noch zwei Blutproben ab und schickte sie hinaus auf den Flur zu Keates. Vicerus war indes verschwunden. „Da wir uns mit deiner Ausbildung ranhalten müssen, liegen zwischen den Einheiten nicht mehr als acht Stunden. Da Doktor Vicerus auch die regenerativen Prozesse in deinem Körper verbessert hat, dürfte dir das aber reichen. Schlaf ein wenig und iss was, wir sehen uns dann“, sagte Wayland lächelnd und übergab sie in die Obhut von Keates. Dieser führte sie ohne Umschweife nach unten. Als sie auf den Flur traten, der zu Ellens Quartier führte, bemerkte sie drei Personen, die ihnen entgegenkamen. Ein Soldat in Kampfpanzerung nickte Keates zu und beachtete Ellen nicht weiter. Hinter ihm liefen eine Frau und ein Mann, beide ungefähr Anfang zwanzig. Ihre Gesichter waren sich fast identisch, allerdings war das der Frau etwas rundlicher, und ihre mandelförmigen Augen waren von einem dunklen Braun, die ihres scheinbaren Zwillingsbruders blau. Sie trugen beide ähnliche Trainingsanzüge wie Ellen, also gehörten sie vermutlich auch zu Vicerus „Gästen“. Auch waren ihre Haare anscheinend ebenfalls abrasiert worden, doch schon mehr nachgewachsen als bei Ellen. Wie lange waren sie schon hier? Keates bemerkte, dass Ellen langsamer wurde, und stieß sie weiter. „Komm bloß nicht auf dumme Gedanken. Augen geradeaus, die Anderen haben dich nicht zu interessieren“, brummte er. Doch Ellen musterte sie trotzdem aus den Augenwinkeln und als sie die anderen Gruppe passierten, sah es so aus, als ob die Frau ihr unauffällig zuzwinkerte. Das brachte ein leichtes Lächeln auf Ellens Gesicht. Sie war hier nicht so allein, wie sie bisher gedacht hatte. Norah saß auf einem unbequemen Stuhl im Allianzkrankenhaus von Vancouver und betrachtete Ellens leblosen Körper. Maya hatte ihr vor drei Wochen geschrieben, dass ihre Tochter gefunden worden, doch ihr gesundheitlicher Zustand hoffnungslos war. Sie lag schon seit mehreren Monaten im Koma und war bisher nicht gefunden worden, weil es einen Fehler im System gegeben hatte und sie unter einem anderen Namen registriert worden war. In ihrer Nachricht hatte Maya angedeutet, dass die Ärzte nichts für Ellen tun konnten und sich ihr Zustand nicht bessern würde. Sie dachte darüber nach, Ellen … gehen zu lassen. Doch Norah hatte sie darum gebeten, zu warten, damit sie sich verabschieden konnte. Sie war wegen ihres Offizierslehrgangs quer durch die Galaxie gereist und erst gestern wieder auf der Erde angekommen, um einen Theorieblock zu absolvieren, und hatte die erste sich bietende Gelegenheit genutzt, um hierher zu kommen. Sie lehnte sich vor und griff nach linker Ellens Hand. Sie fühlte sich zwar warm, aber kraftlos an. Norah wünschte sich, dass sie sich bewegen würde, auch wenn es nur ein Zucken war. Irgendetwas, ein Zeichen dafür, dass Ellen noch lebte und darum kämpfte, wieder aufzuwachen. Doch es regte sich nichts. „Das kann es doch nicht gewesen sein“, flüsterte sie und Tränen stiegen in ihr auf. Sie hatte es in den letzten Wochen geschafft, sie zurückzuhalten, was sie an die Grenzen ihrer Kräfte gebracht hatte. Aber hier in Ellens Krankenzimmer war sie alleine und musste nicht mehr die Starke spielen. Sie ließ ihrer Trauer freien lauf. Zweimal war sie bereits der festen Überzeugung gewesen, dass Ellen tot war. Beide Male hatte sie das Gefühl gehabt, den Boden unter ihren Füßen und ein wenig den Sinn in ihrem Leben zu verlieren. Doch weil Ellen immer wieder zurückgekehrt war, hatte sie die leiste Hoffnung gehabt, dass sie dazu bestimmt war, zu leben, und jede kritische Situation überstehen würde. Sie dachte an Ellens schiefes Grinsen zurück, dass sie ihr meistens vor und nach den Missionen im Shuttle zugeworfen hatte. Daraufhin hatte Norahs Herz immer einen kleinen Hüpfer gemacht, doch es hatte ihr auch das Gefühl gegeben, dass alles gut werden würde. Sie würde alles dafür geben, um dieses Lächeln noch einmal zu sehen, und um Ellen noch einmal umarmen und küssen zu können. Plötzlich hörte Norah, wie die Tür hinter ihr zur Seite glitt. Hastig wischte sie die Tränen von ihrem Gesicht und nahm eine straffe Körperhaltung an. Sie drehte sich auf dem Stuhl um und erkannte Olivia. „Hey“, sagte sie und versuchte dabei, möglichst gefasst zu klingen. „Hey. Hätte mir denken können, dass du hier bist. Entschuldige, ich wollte dich nicht stören, ich war gerade in der Gegend und wollte nur-“, Olivia sprach nicht weiter, weil Norah aufgestanden war und sie fest umarmte. Auch wenn sie sich nicht gerne ihre Trauer anmerken ließ, brauchte sie Halt, und als Olivia ihre Arme um Norah schlang, spürte sie, dass es ihr genauso ging. Als sie sich nach einer Weile voneinander lösten, sah Olivia betreten zu Boden. „Erst Alex, und jetzt auch noch Ellen. Das ist einfach nicht fair. Wären wir doch bloß nie zur Allianz gegangen.“ „Ich weiß“, erwiderte Norah. Sie wusste nicht, was sie sonst sagen sollte. Das Schicksal war ein mieser Verräter, doch sie hatten gewusst, was dieser Beruf für Risiken mit sich brachte. „Wir sind wegen dieser Sache mit Holly im Streit auseinandergegangen. Ich habe deshalb seit Monaten nicht mit ihr gesprochen. Es tut mir alles so furchtbar leid ...“, murmelte Olivia traurig. Sie stellten sich nebeneinander an Ellens Krankenbett. Abgesehen von dem Schlauch, der in ihrem Mund steckte und sie versorgte, sah sie so aus, als würde sie friedlich schlafen. Norah strich ihr zärtlich eine ihrer braunen Locken aus dem Gesicht. „Maya hat in einer Nachricht angedeutet, dass sie Ellen wohl nicht mehr lange in diesem Zustand lassen möchte“, flüsterte sie fast mit zittriger Stimme. Die Vorstellung, dass sie Ellen jetzt zum letzten Mal sehen würde, brachte sie am ganzen Körper zum zittern. Obwohl sie sich seit dem Kuss nicht mehr gesehen hatten, hatte Norah gewusst, dass das mit ihr und Ellen Zukunft gehabt hätte, auch wenn sie sich kaum gesehen hätten, wenn nicht gar sogar nur ein paar Mal im Jahr. Olivia ging um das Bett herum und stellte sich auf der anderen Seite direkt neben Ellens Kopf und musterte ihn. „Was tust du da?“, fragte Norah verwundert. „Ellen hatte eine feine Narbe an der Stirn. Sie wurde doch bei der Übungsmission auf Rayingri verletzt, erinnerst du dich noch?“, sagte Olivia und klang dabei seltsam misstrauisch. Norah nickte. „Ja, das weiß ich noch.“ Olivia sah zu ihr auf. In ihrem Blick lag etwas, was beinahe wie … Hoffnung aussah. „Und wo ist die Narbe jetzt?“ Norah beugte sich vor und betrachtete Ellen eingehend. Sie konnte die feine Linie tatsächlich nicht entdecken. Ihre Trauer wurde von Misstrauen verdrängt. Sie schob den linken Ärmel von dem Nachthemd hoch, dass Ellen trug, und suchte nach der Bisswunde, die sie sich auf Antibaar zugezogen hatte. Die zwei kleinen Muttermale, die sie an dem Oberarm hatte, waren noch da, aber von der Narbe war nichts zu sehen. „Sie könnten die Narben entfernt haben“, mutmaßte Norah, als sie sich wieder aufgerichtet hatte. Olivia schüttelte den Kopf. „Warum sollten sie das getan haben? Das ist nicht gerade billig, und für namenlose Patienten wird so etwas erst recht nicht gemacht. In meiner Ausbildung wird mir eingeschärft, auf meine Intuition zu vertrauen, und ich sage dir, dass hier etwas nicht stimmt.“ Sie marschierte entschlossen zur Tür. „Glaub mir, Norah, das ist nicht Ellen. Ich weiß nicht, was hier gespielt wird, aber ich bin mir sicher. Sie ist noch irgendwo dort draußen, und wir müssen sie finden.“ Mit diesen Worten verschwand sie aus dem Krankenzimmer und ließ eine verdatterte Norah zurück. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)