Halbwahrheiten von Nimsaj ================================================================================ Alice - Prolog -------------- Prolog   Im ganzen Land ist die ehemalige Großstadt Himmelreich berühmt gefürchtet. Als verflucht geltend ist die Stadt von niemandem bewohnt und zieht seit hunderten von Jahren nur Priester, Kopfgeltjäger und Dämonentöter an. Sie kommen um die Monster in den Straßen zu vernichten und den Fluch zu brechen, welcher die Stadt einstmals tötete. Bisher mit mäßigem Erfolg. Nicht viele kehren überhaupt von dort zurück. Nichtsdestotrotz kommen auch heute noch immer wieder mutige Menschen in die Stadt, angelockt von einer der größten Legenden der damaligen Zeit. Das so genannte One Piece, welches in der Stadt versteckt sein soll, ist ein Schatz von unglaublichen Ausmaßen, traut man den verheißungsvollen Zungen. Ein Schatz, welcher die gesamten Besitztümer aller bekannten und unbekannten Königreiche in den Schatten zu stellen vermag, jedoch nicht unbewacht sei, wie man weiter die Gerüchte zu spinnen pflegt. Alice bewache den Schatz, heißt es von überall, Alice würde jeden töten, der die Stadt betritt. Man munkelt viel in den Schankhäusern der kleineren und größeren Städte, stiftet immer neue Menschen an, das Geheimnis zu lüften. Doch wer oder was Alice ist, wissen wohl oder übel nur die Monster der Stadt selbst…   … am 6.10.1679 betrat erneut ein wagemutiger Mann Himmelreich auf der Suche nach dem One Piece. Was er zu diesem Zeitpunkt jedoch noch nicht wissen konnte war, dass er viel mehr, als nur einen Schatz finden würde und damit sogar Dinge, nach denen er gar nicht gesucht hatte. Und gar nicht hatte suchen wollen. Alice - Kapitel 1 ----------------- Kapitel 1 Missmutig hob Kid den Kopf und ignorierte den kalten Wind, welcher durch die Straße fegte. Anmutige Häuserfassaden erhoben sich zu seinen beiden Seiten und verwiesen damit auf den einzig möglichen Weg: die Straße mit ihrem groben Kopfsteinpflaster. Fast schien es, als würde der Tod selbst ihm aus seinem Schlund heraus seinen Atem ins Gesicht hauchen, so unbarmherzig frostig peitschte der Wind. Nichts als schlechte Märchen. Grummelnd setzte Kid sich in Bewegung, immer der Straße entlang, hinein in die Stadt, den Wald vor ihren Toren verlassend. Es war kein Wunder, dass man Kindern Schauergeschichten über solch eine Stadt erzählte, wenn sie von keiner einzigen Straße aus zu erreichen war und mitten in diesem düsteren Wald lag. Fast hätte man also annehmen können, dass die Stadt Himmelreich gar nicht existieren würde, tatsächlich nur eine Erzählung war. Doch eben weil auch so auffällig viele Erwachsene, eigentlich ja vernünftige Menschen, an diese Geschichte glaubten, war die tatsächlich existierende Stadt nicht bewohnt, sondern vollkommen verlassen. Kid schnaubte verächtlich. Er war kein Priester, kein Dämonentöter. Niemals würde er etwas hinterherlaufen, was gar nicht existent war. Als kleines Kind glaubte man natürlich den Worten, welche man den ganzen Tag auf der Straße aufschnappte. Man ließ sich von alten, strickenden Frauen Märchen erzählen und sah daraufhin tatsächlich das Übernatürliche. Doch als Kind lebte man auch nicht in der wirklichen Welt, sondern eben in seiner eigenen. In einer, in der selbst die schlechteste Lüge Wahrheit werden konnte. Doch wenn man erst einmal diese Welt verlassen hatte und erwachsen geworden war, dann sah man so etwas auch nicht mehr, sah nur mehr die Wirklichkeit. Und in dieser gab es weder Geister, noch Dämonen, noch Monster. Aber Schätze gab es, so viele Schätze. Versteckt in angeblich verwunschenen Burgen, tiefen Höhlen oder auf dem Grund eines Sees, bedeckt von Schlamm und Algen. Und eben solche Schätze jagte Kid, keine Geister oder Dämonen oder sonstige Schauermärchen. Nur hartes, glänzendes, klimperndes Gold. Nichts fühlte sich besser zwischen den Fingern an, nichts klang lieblicher als ein praller Beutel Münzen. Doch solche Schätze waren rar geworden, verloren mit ihren Schatzkarten oder gefunden, wenn sie nicht gar erfunden waren. Und so war das Leben als Schatzsucher schwieriger geworden und man musste sich selbst in Dienst stellen, um andere Leute Schätze zu finden. Uralte Violinen, Siegelringe, kleine Handspiegel, kaputte Spieluhren, die Schreibfeder im vertrockneten Tintenfass. Wo die Adeligen das Gold der üblichen Schatze schon besaßen, suchten sie nach Zerstreuung, glaubten an Mythen und Legenden und beauftragten Schatzsucher wie ihn nach solchen magischen Artefakten, wie sie selbst zu säuseln pflegten, suchen zu lassen. Eine lästige, aber lukrative Arbeit, welcher Kid nachging, hatte er keine genauen Anhaltspunkte auf einen Schatz. Und es war auch nicht der Reichtum, den er suchte, nicht die Macht, welche er sich mit eben dem Reichtum hätte kaufen können, kein Ruhm, welcher ihn trieb die Schätze zu finden und welchen er ernten würde, mit jedem neuen Fund erntete. Jeder Schatz war ein neues Abenteuer, brachte ihm pure Freude und beschenkte ihn mit mehr als Reichtum, Macht und Ruhm. Freiheit. Nichts wog mehr in der Welt, in der das Volk in Ketten lag und abhängig war von seinen Königen, Fürsten und Priestern. Freiheit von all dem, Unabhängigkeit, die Möglichkeit hinzugehen, wohin man wollte, Träumen hinterher zu jagen. Umso mehr hasste er es sich vor den Fürsten zu verbeugen, welche ihn riefen ließen um wertlosen Schund suchen zu lassen. Doch tat er es trotzdem, nicht des Geldes wegen, sicher, es lebte sich leichter mit ein paar Münzen in der Hand, doch hätte er es auch ohne diese Aufträge geschafft zu überleben. Nein, der Grund war viel mehr, dass er dadurch Orte besuchte, an denen sich eventuell mehr verbergen könnte, als eben das alte Schaukelpferd oder die Robe des angeblichen Vampirsohns. Nicht selten fand man in den Kerkern auch Gold, in kleinen Nischen Schmuck oder hinter Wandteppichen Edelsteine. Und selbst wenn nicht, so hatte Kid dennoch nicht in seinem tiefsten Innersten sich selbst widersprochen, wenn er dem armen adeligen Pack ihr Spielzeug brachte. Denn ebenso wie er, lebten auch sie nur einen Traum, klammerten sich daran und sponnen aus ihm ihr Leben. Und in dieser Hinsicht konnte Kid sie fast schon verstehen, waren Schatzsucher selbst doch vielerorts belächelt, weil die Menschen nicht an verstecktes Gold glaubten. Aber an Geister glaubten sie, glaubten sie alle. Der Dreck auf der Straße knirschte unter Kids Stiefeln, in den Fenstern der Häuser spiegelte sich der kalte graue Himmel. Er musste es nicht sehen, wer so lange schon unter dem bloßen Himmel gelebt hatte wie er, begann den Regen zu riechen und das Gewitter zu spüren. Doch blitzen würde es nicht, lediglich regnen und damit der Stadt und ihrem düsteren Gerüchten alle Ehre machen. Vorsichtig späte Kid durch eines der Fenster, erblickte eine Küche, ordentlich aufgeräumt, als würden ihre Besitzer jeden Moment vom Markt zurückkehren. Er war nicht hier um Monster zu töten oder einen Fluch zu brechen. Er war einzig und allein nur des Schatzes wegen hier. Und eben dieser verbarg sich, wenn er denn existierte, sicherlich nicht hinter dem Fenster eines einfachen Hauses. Diese Stadt war außergewöhnlich prunkvoll aufgebaut, besaß Terrassen und Brücken über anderen Straßen, wie Kid gehört hatte. Verschiedene Höhen, welche die Adeligen von dem gemeinen Volk getrennt hatten und eine Kathedrale, welche bis in die Wolken ragen sollte. Die Erzählungen vermischten sich mit den Märchen und so lag es wie immer an Kid allein sich ein Bild der Lage zu machen. An einer Kreuzung anhaltend blickte er sich um und zog seinen Mantel enger um sich. An dieser Stelle teilte sich der Weg zum ersten Mal in vier weitere Richtungen, zwei große und zwei kleine Straßen, zwei helle und zwei dunkle, zwei in die Stadt hinein und zwei hinaus. Und doch waren sie alles zusammen, denn Kid kannte Labyrinthe. Am Ende kam man doch überall heraus. Ein Baum wuchs in der Mitte des kleinen Platzes, kränklich und knorrig, sicherlich war er schon alt und der Platz um ihn herum errichtet worden. Gar die ganze Stadt um ihn herum errichtet worden. Interessiert umrundete Kid den Baum, musterte ihn von allein Seiten und besah sich von seinem Stamm aus die weiteren Wege. Sein Laub bedeckte teilweise das Pflaster, mischte dumpfes Rot und blasses Gelb in das triste Grau, füllte die Stille mit ihrem trockenen Rascheln. Prüfend musterten die goldenen Augen die Verteilung der Blätter auf dem Boden, eine Straße war fast vollkommen frei von ihnen, sicherlich hatte Wind das Laub hinfort getragen. Fast gegenüber von dieser lag eine der dunklen, kleinen Straßen in das Stadtinnere, welche viel mehr des toten Grüns aufwies, als die anderen Straßen. Ein Lächeln schlich sich auf Kids Züge, als er sich vom Baum abstieß und seinen Weg auf eben dieser Straße weiterhin bestritt. Es machte nichts aus wohin er ging, am Ende kam er immer an, wo er hatte ankommen wollen. Doch solche Wege, entschied er von neuem, als der dem Schlängeln der Gasse folgte, waren selbst schon Teil des Ziels, an welche sie führten. Ein Schatten. Blitzartig wandte Kid sich um, doch da war nichts, eine leere Wand. Forschend starrte er die helle Mauer an, selbst wenn dort ein Mensch stehen würde, ein solcher Schatten wäre nicht möglich gewesen, dafür stand die Sonne vollkommen falsch. Also nur eine Täuschung. Nachdem er sich die Stelle gemerkt hatte wollte er sich gerade wieder umdrehen, um weiter zu gehen, als eine Katze um die Ecke strich und ihn scheinbar verwundert anstarrte. Das magere Tier beobachtete Kid aus großen grünen Augen heraus, während ihr Schwanz interessiert hin und her schwang. Rasch durchwühlte Kid seine Tasche und zog schließlich ein kleines Stück Wurst hervor, welches er der Katze, vor der er in die Knie ging, hinhielt. Katzen waren gute Wegweiser, wenn es darum ging versteckte Räume oder Gänge zu finden, da die angeblichen Hexentiere solche gerne für ihre Verstecke und Jungen nutzen und außerdem schlaue Tiere waren. Das Tier streckte vorsichtig den Kopf und schnupperte aus sicherer Entfernung an dem dargebotenem Stück Fleisch, wandte jedoch dann desinteressiert den Kopf ab und lenkte sich übers Maul, als es über die Schulter blickte und schließlich furchtlos auf ihn zuging, sich an seinem Bein rieb. „Keinen Hunger? Zeigst du mir trotzdem, wo der Schatz versteckt liegt?“, murmelte Kid, ehe er sich die Wurst selbst in den Mund steckte und die Katze streicheln wollte, welche jedoch elegant auswich und ihm entgegen miaute. Der kleinen, mutigen Katze entgegengrinsend, erhob er sich schließlich wieder und beobachtete, wie die Katze sich nun anschickte eben die Straße entlang zu laufen, welche er selbst gewählt hatte. So dem Tier erst folgend und schließlich von ihm verfolgt werdend, betrat er einen größeren Platz, an welchem er auch sogleich fand, was er unter anderem gesucht hatte. Seine Intuition lag nun mal fast immer richtig. Die prachtvolle Kathedrale war tatsächlich so groß wie man sie beschrieben hatte. Aus hellem, grauen Stein errichtet, zierten weiße Wasserspeier das grüne Dach und seine Vorsprünge, während bunte, vollständig intakte Fenster die Wände durchbrachten und einen Hauch Farbe in die Stadt brachten. Interessiert spähte Kid durch das weit offene Tor in die Kirche hinein, konnte jedoch auf den ersten Blick in dem relativ dunklen Gebäude nichts erkennen. Amüsiert bemerkte er die Katze, welche neben seinem Fuß sitzend ebenfalls aufmerksam in die Kirche blickte. Womöglich kannte sie sich dort drinnen aus, ein Grund mehr sie nicht aus den Augen zu lassen. Kid jedoch war fürs erste nicht daran interessiert das Gotteshaus zu betreten, zuerst musste er sich eine Unterkunft suchen, der Himmel drohte selbst durch die dicke Wolkendecke hindurch bereits mit der Nacht. Somit würde er erst morgen mit der tatsächlichen Suche beginnen und jetzt fürs erste nur einige Dinge vermerken und die Stadt etwas kennen lernen, auf der Suche nach einem Nachtlager. Fast schon enttäuscht hörte er das Maunzen der Katze, als er sich wieder von der Kathedrale entfernte und auf eine größere Straße zusteuerte, welche sicherlich irgendwann zu einer Treppe auf die obere Ebene führen würde, welche Kid schon jetzt sehen konnte. Einer zweiten Stadt fast auf Mauern gleich, erhob sich der Teil der ehemaligen adeligen Bevölkerung verteilt in der Stadt, erreichbar durch lange Brücken zwischen einander, welche quer über die übrige Stadt verliefen oder hohe Treppen. Und eben eine solche suchte Kid ebenfalls, da er die obere Etage der Stadt unter allen Umständen ebenfalls untersuchen musste. Wenn schon Gold vergessen worden war, dann dort in den Schränken des Adels. Die Katze weiterhin um seine Füße streichen habend, schritt er durch die Stadt und besah sich die verlassenen Häuser durch die Fenster. Überraschenderweise waren alle Türen verschlossen, alle Fenster zu, sogar heil und ebenfalls die Wohnungen waren ordentlich und aufgeräumt. Was nur hatte einstmals die Menschen hier vertrieben? „Du solltest dich von den Katzen fern halten.“ Fast glaubte Kid sein Herz würde für Schreck vollständig stehen bleiben, doch er irrte. Ganz im Gegensatz dazu schlug es plötzlich im doppelten Takt und riss damit seine Gedanken mit sich, welche zu rasen begannen, als er die Stimme vernahm. Und erst dann den Mann erblickte, welcher nur einige Meter vor Kid mitten auf der Straße stand, als wäre er dort von jetzt auf gleich aus dem Boden gewachsen. Kid hätte schwören können, keine Sekunde zuvor war er da nicht gestanden. Die Augen verengend musterte er den plötzlich erschienenen Fremden und das seltsame Lächeln, welches auf seinen Lippen lag. „Wer bist du?“, lautete deshalb die erste Frage. Kid konnte nicht umhin zuzugeben, dass er vollkommen überrascht war, schließlich hatte man ihm ewig mit einer vollkommen menschenleeren Stadt in den Ohren gelegen. Wer war dieser Mann also? Ebenfalls ein Schatzsucher oder vielleicht einer der Dämonentöter? Kid erschien letzteres unwahrscheinlicher, da der Mann lediglich einen Spazierstock in der Hand hielt, jedoch keine Waffe bei sich hatte, zumindest keine ersichtliche. Außerdem trug der Mann keinerlei Gepäck mit sich herum, was hieß, dass er entweder hier lebte oder aber seine Sachen in einem Unterschlupf versteckt hatte, wie Kid es selbst getan hätte. Der Fremde stelle den bis eben nur in der Hand getragenen Spazierstock mit einem deutlichen Geräusch senkrecht auf den Boden und hielt noch immer das Lächeln aufrecht. „Wie unhöflich, zuerst sollte doch eine eigene Vorstellung folgen, bevor man solche Fragen stellt.“ Fast glaubte Kid einen diabolischen Hauch in der Stimme zu vernehmen. Scheinbar war er nicht gerne gesehen, was wiederum auf beide Möglichkeiten der Identität des Mannes hindeuten konnte. „Gestellte Fragen sollten ebenfalls erst beantwortet werden, bevor man eigene Forderungen stellt.“ Der Fremde tippe sich mit dem Finger fast schon spottend anerkennend gegen die Krempe seines schwarzen Zylinders, bevor er ansetzte seine Stimme erneut zu erheben. „Wir werden sehen, ob in dieser Stadt Fragen über Forderungen gehen. Mein Name ist Law Trafalgar. Und wie ich bereits zu deinen Gunsten bemerkte, solltest du dich von den Katzen fern halten.“ „Ich heiße Eustass.“, antwortete Kid, doch zu seiner Verwunderung schien er die Aufmerksamkeit seines Gegenübers verloren zuhaben. Stattdessen war der Blick der dunklen, blauen Augen neben ihn gefallen, wo er nach einem raschen Blick die Katze vorfand, welche ebenso den Fremden anstarrte. Noch viel mehr stieg sein Misstrauen, als die Katze leise miaute, dann jedoch lauter wurde, schließlich einen beeindruckenden Buckel machte und mit einem Satz fauchend einen halben Meter auf den Fremden zusprang, alle Haare zu Berge stehend. Dann jedoch legte sich ihr Fell und sie wandte sich um als sei nichts gewesen, um zwischen zwei Häusern zu verschwinden. „Es freut mich nicht Sie kennen zu lernen, Herr Eustass. Und Sie werden noch feststellen, dass es Sie genauso wenig freut, mich kennen gelernt zu haben.“, gewann der Fremde namens Trafalgar Kids Aufmerksamkeit zurück. Dieser verengte augenblicklich die Augen. „Dafür brauche ich keinerlei Bedenkzeit. Wer bist du?“ „Ich dachte, das hätte ich schon gesagt. Doch vielleicht sollten wir hineingehen, es scheint bald zu regnen zu beginnen.“ Trafalgar drehte sich halb und wies mit der Hand hinter sich, wo Kid nun eine Treppe erkennen konnte, welche eindeutig in die obere Etage führte. „Ich will ja nicht, dass du dich erkältest.“ Das Lächeln wandte sich ins süffisante, während Kid erneut den seltsamen Wechsel vom Sie zum Du bemerkte. Dieser Mann war deutlich seltsam und sollte von Kid besser nicht zu lange aus den Augen gelassen werden. „Kommst du, Eustass?“ Misstrauisch musterte er den Fremden nochmals eindringlich, ehe er sich in Bewegung setzte und dem Mann folgte, welcher bereits vorgegangen war. Tatsächlich steuerte Trafalgar auf die aufwendige Treppe zu, schien sich scheinbar hier auszukennen. Auch war allein die Art wie er gekleidet war viel zu elegant um auf einen Reisenden schließen zu lassen. Viel mehr war er typisch adelig gekleidet, wenngleich mit einem Reisemantel, wie es schien. „Hast du schon die Kathedrale von Innen gesehen?“, fragte Trafalgar auf einmal im Plauderton und ohne sich auch nur ansatzweise zu ihm umgedreht zu haben. „Nein.“ Scheinbar überrascht blieb Trafalgar plötzlich stehen und warf ihm einen Blick über die Schulter zu. „Wirklich nicht?“ „Nein. Warum fragst du?“ Ein amüsiertes Lachen hallte durch die leere Straße, ehe Trafalgar sich vollständig zu ihm umdrehte. Den Spazierstock drehte er locker in der Hand. „Dann ist es vielleicht noch nicht zu spät. Ich dachte wirklich, die Katzen hätten dich schon in ihr Nest gelockt.“ Irritiert starrte Kid dem Zylinderträger entgegen. Aus dessen Worten wurde er einfach nicht schlau, verstand nicht, was Trafalgar ihm sagen wollte. Offenbar hatte er ein Problem mit den Katzen in der Stadt. „Was ist denn in der Kathedrale?“ Die Katzen waren Kid vollkommen egal, sollte der Kerl seinen kleinen Krieg gegen das Katzengetier führen. Viel interessanter war die Anspielung auf die Kathedrale, von der Trafalgar offenbar nicht wollte, dass man sie betrat. War dort etwas versteckt, was nicht gefunden werden sollte, womöglich sogar der gesuchte Schatz? „Nicht hier auf der Straße, komm mit.“ Und tatsächlich blieb Trafalgar den gesamten weiteren Weg stumm, ignorierte geflissentlich sämtliche Fragen, die Kid ihm stellte und schien auch sonst keinerlei Notiz mehr von ihm zu nehmen. So sah sich Kid gezwungen fürs erste nur die Umgebung zu mustern und die obere Etage, welche sie betreten hatten, zu begutachten. Tatsächlich sah man den Gebäuden hier deutlich an, welche Sorte Mensch einmal in ihnen gelebt hatte. Aufwendige Fenster und Balkonkonstruktionen, welche das gemeine Volk nur träumen ließen, Gärten, welche wunderlicherweise selbst jetzt noch als solche erkennbar waren, Springbrunnen, schmiedeeiserne Zäune. Kid bezweifelte, das außer den Adeligen jemals ein Mensch diesen Stadtteil zu Gesicht bekommen hatte, sicherlich war die Treppe mit Wachen gesichert gewesen um den Pöbel zu ihren Füßen zu halten. Da, wo die Adeligen ihre Untertanen am liebsten sahen. Vor einem der imposanten Gebäude hielt Trafalgar kurz, um das schwere Tor zu öffnen. Interessiert musterte Kid das Haus genauer, konnte jedoch keine Besonderheiten zu den sonstigen Häusern feststellen. Das gleiche Tor, der gleiche Kiesweg, die gleiche Tür, welche sogleich von dem Schwarzhaarigen geöffnet würde, welcher mit einer einladenden Geste ins Innere des Hauses wies. „Geh du vor.“, war jedoch der einzige Kommentar seitens Kid zu dieser eigentlich höflichen Geste. Ein Lächeln, gepaart mit einem minimalen Kopfschütteln erschien auf dem Gesicht Trafalgars, eher er der Aufforderung Folge leistete. Das Innere des Hauses war ebenso prunkvoll, wie schon seine Fassade, doch sah man hier die Jahre deutlicher. Staub, hauchfein, bedeckte alles. Ebenso waren die Fenster, nun gegen das Licht betrachtet schmutzig und trüb, während in jeder Ecke ein Schatten lag und den eigentlich früher sicherlich hellen Raum mit einer beklemmenden Finsternis füllte. Und trotzdem, das alles sollte schon Jahrhunderte alt sein? Kid kamen immer mehr Zweifel. „Setz dich doch, Eustass. Aber pass auf, dass du keine Spinne tötest.“ Erst jetzt registrierte Kid, dass sich Trafalgar bereits auf einem imposanten roten Sessel niedergelassen hatte, den Spazierstock über die Lehnen gelegt und den Zylinder über eine der aufwendigen Schnitzereien an der Ecke der Rückenlehne gehängt. „Lebst du hier?“ „Nun, das ist eine interessante Frage. Ich denke nicht.“ Kid, welcher sich nun ebenfalls auf einen der Sessel am gegenüberliegenden Ende des Raumes niedergelassen hatte, runzelte die Stirn. „Was soll das denn für eine Antwort sein. Entweder du wohnst hier, oder nicht.“ „Ah, ja, hier wohnen tue ich, das stimmt.“ Verständnislosigkeit starrte dem Schwarzhaarigen entgegen, was diesen nur milde lächeln ließ. „Man merkt, dass du Schatzsucher bist. Priester oder Dämonentöter sind nicht so schwer von Begriff.“ Abwehrend hob er die Hände, als Kid ansetzten wollte Konter zu geben. Sein Lächeln erstarb. „Für solchen Unsinn ist keine Zeit. Nicht für dich. Hör mir einfach nur genau zu. Alles, was du bis jetzt gesehen hast, gehört hast über die Stadt – vergiss es. Es hat keinen Wert, wenn du hier überleben willst.“ „Geht es um die Kathedrale? Was ist darin, das One Piece?“ „Was ist dir wichtiger, dein Leben oder das Gold?“ „Ist das ein ja?“ Trafalgar überschlug die Beine und legte den Spazierstock auf sein Knie, wo er erst leicht hin und her wankte, nur um dann im perfekten Gleichgewicht liegen zu bleiben. „Du glaubst nur an das, was du siehst, nicht wahr?“, fragte er und stützte das Gesicht in seine Hand. „Woran sollte ich sonst glauben? Selbst Gott ist nur eine Ausrede des Klerus um Gold zu kassieren.“ Ein amüsierter Laut füllte das Zimmer. „In dieser Stadt musst du schon an den Teufel glauben, nicht an Gott. Der wird dir hier nichts bringen.“ „Hör auf unverständliches Zeug zu reden! Erkläre dich erst einmal, wer bist du?“ „Ich höre nicht auf Befehle, das habe ich nicht nötig.“ Ungerührt griff Kid nach der Tasche zu seinen Füßen und erhob sich. „Fein, diese Unterhaltung lag sowieso nicht in meinem Interesse. Ich werde mir die Kathedrale ansehen und mir holen, was auch immer du zu verstecken versuchst. Halte dich einfach von mir fern, dann bekommen wir auch keine Schwierigkeiten mit einander.“ Gerade, als Kid sich zum Gegen gewandt hatte, packte ihn eine Hand an der Schulter und ließ ihn wieder herumfahren. „Aber du hast es offenbar nötig auf Befehle zu hören, wie mir scheint. Wenn du in diese Kathedrale gehst, wirst du dein Todesurteil besiegeln. Du hast keine Ahnung von dieser Stadt, Schatzsucher wie du sterben noch in der ersten Nacht, in der sie hier sind, weshalb ich dir rate hier zu schlafen.“ Wütend riss Kid sich los und starrte furchtlos in die plötzlich kalten Augen seines Gegenübers. „Damit du mich im Schlaf töten kannst? Sicherlich nicht.“ „Ich habe dir nur einen Rat gegeben. Mir ist es egal, ob du aus der Tür gehst und dort tot umfällst. Aber ich will keinen unnötigen Ärger und Wirbel, den du mit Sicherheit veranstalten würdest.“, antwortete Trafalgar plötzlich wieder entspannt und schritt scheinbar gedankenverloren durch den Salon. Noch immer aufgebracht folgte Kid ihm mit den Augen, ehe er neben sich einen großen Vorhang bemerkte, der offenbar über ein großes Bild an der Wand gehängt worden war. Kaum hatte er jedoch die Hand aus Neugier danach ausgestreckt, schallte auch schon die Stimme des Hausherrn durch das Zimmer. „Schau nicht in Spiegel!“ Von neuem irritiert warf Kid dem Schwarzhaarigen, welcher nun stehen geblieben war und ihn musterte, einen Blick zu, ehe er den Vorhang mit einem Ruck herunterzog und in den Spiegel sah. Und was er da sah, ließ ihn vor Schreck einen Schritt zurück machen. Denn es war nicht so, dass er dort etwas Besonderes sah, viel eher war es deshalb, weil eben etwas Entscheidendes fehlte. Er selbst. Bevor er jedoch noch einen weiteren Gedanken daran verschwenden oder einen Blick in den Spiegel werfen konnte, stand erneut Trafalgar vor ihm und von neuem ruhte ein Tuch, diesmal ein rotes, über dem Spiegel. „Ich habe doch gesagt, du solltest nicht in Spiegel sehen. In keinen in dieser Stadt.“ Für einen Moment funkelten die beiden Männer sich gegenseitig an, bevor Kid sich von Trafalgar abwandte und die Tür ansteuerte, an welcher er anhielt. „Ich hole mir den Schatz und dann verschwinde ich aus der Stadt. Glaub nicht, dass ich deinen billigen Zaubertricks auch nur einen Funken Furcht zolle.“ Trafalgar jedoch winkte ab, während er zurück in den Salon und damit aus Kids Blickfeld verschwand. „Versuch ruhig aus der Stadt heraus zu kommen. Wenn du damit fertig bist, kannst du hier her zurückkommen, vielleicht kann man dann eher mit dir reden. Aber vergiss eines nicht, trau niemandem in dieser Stadt!“ Ohne eine weitere Antwort fiel die Tür geräuschvoll ins Schloss. Ein Zauberer also, welcher ihn erst von dem vermeintlichen Spuk in der Stadt überzeugen wollte, nur um ihn dann hinterrücks zu meucheln. Kid kannte solche Leute, wenngleich sie selten waren, da es selten einfach war Leuten so große Angst zu machen, dass sie einem Fremden blind vertrauten, erst recht ein Reisender. Wenngleich Kid zugeben musste, dass der Trick mit dem Spiegel im ersten Moment tatsächlich einen kleinen Schreck bei ihm verursacht hatte, so war die Erklärung doch simpel. Bei dem vermeintlichen Spiegel handelte es lediglich um ein Bild, welches genau zeigte, was ihm gegenüber hing. Es war also nicht verwunderlich, dass Trafalgar es sogleich wieder verhängt hatte, ehe man es sich näher besehen und den Schwindel bemerken konnte. Nein, da musste man schon früher aufstehen, um ihn derartig hinters Licht führen zu wollen. Womöglich, überlegte Kid, als er die Treppe zurück in den unteren Teil der Stadt bestieg, waren auch in der Kathedrale ein paar angebliche Hexerein von dem Trickser installiert. Immerhin schien ihm die Kathedrale wichtig zu sein. Was immer dort versteckt war, war sicherlich gut gesichert worden. Im fahlen Abendlicht wirkte die große Kirche noch beeindruckender. Die langen Schatten, welche nun überall lauerten gaben ihr ein fast unzerstörbares Aussehen, was nicht über die majestätische Wirkung hinwegtäuschen konnte. Nun da sich das Licht jedoch angeglichen hatte, war es für Kid leichter möglich in die Kathedrale zu sehen, als er durch den öffnen Torbogen trat, dessen Türen schief in den Angeln hingen. Irgendjemand schien mit großer Kraft die Torflügel aufgestoßen zu haben, wenngleich Kid keinerlei Spuren eines Rammbocks erkennen konnte. Im Inneren der Kirche jedoch war alles weitestgehend unbeschädigt. Feiner Sand und Schmutz knirschten unter Kids Stiefeln, während er den langen Weg zum Altar beschritt, vorbei an schier hunderten Reihen dunkler Holzbänke, die noch eben so dastanden, als warteten sie auf die Rückkehr der Gläubigen. Dumpfes, buntes Licht erhellte durch die großen Fenster die Seiten- und das Hauptschiff, malte leuchtende Bilder auf den polierten Steinboden. Jeder Schritt schien bis in die Unendlichkeit hinein zu hallen, wurde zurückgeworfen und wieder eingefangen und vermittelte den Eindruck von Ruhe und Macht. Die Säulen, welche die Schiffe trennten, waren überaus kunstvoll gestaltet worden, zu Anfang mit Dämonen und Teufeln und je näher man dem Altar kam, desto öfter bedeckten die gefiederten Flügel von Engel den hellen Marmor. Mit leeren Augen folgten sie dem rothaarigen Mann, der ihre ewige Ruhe störte und seit langer Zeit erstmals wieder Fußspuren im feinen Staub hinterließ. Kid stoppe einige Reihen vor dem Altar und musterte den großen Altarraum ausgiebig. Sehr viel mehr, als der Rest der Kathedrale war der Stein der Wände hier kunstvoll zu Engeln und Walküren geschlagen worden, deren feine Hände alle zu der großen Heiligenstatue verwiesen, welche genau im Zentrum des Raumes stand. Kid hatte keine Ahnung, welche Heilige die Statue verkörperte. So gesehen hatte jede Stadt ihren eigenen Schutzpatron, welcher immer irgendwann einmal unter heldenhaften Umständen und mit der Hilfe eines Gottes die Stadt gerettet hatte, vor Menschen oder Monstern war dabei vollkommen unerheblich. Fakt war allein, dass das Gold in den kupfernen Schalen am Tor der Kathedrale sicherlich nicht eben dieser Heiligen zugute gekommen war, sondern den Priestern ein gutes Leben ermöglicht hatte. Die Hände in die Manteltaschen steckend, legte Kid den Kopf in den Nacken und musterte auch die Decke interessiert. Selbst dort war man vor Verherrlichung nicht sicher und so zeigte sich hier ein Himmel voller Sterne und Rosenranken, welche im Schein eines Goldkranzes zu leuchten schienen, welcher sich von der Statue aus weit über die Decke erstreckte und deren feine Strahlen bis in alle Ecken der Schiffe reichten. Sicherlich echtes Gold, doch nur dünn aufgetragen und so schwierig erreichbar, dass Kid sich nicht die Mühe machte sich wegen ein paar Splittern das Genick zu brechen. Den Blick wieder senkend musterte er nun nochmals den Altar eindringlicher, welcher in dieser Hinsicht weitaus interessanter war. An den Ecken des kunstvollen Stück Steins waren kleine Säulen aus einem dunklen, blauen Stein gefertigt worden, welcher mit seinem Rosenmuster das dumpfe Licht in der Halle sehr gut brach und schwach leuchtete. Womöglich Saphir, wenn nicht Tansanit, welcher oft in alten Kirchen zu finden und aus fernen Ländern importiert gewesen war. Alles Gold für ihre Heiligkeit. Ebenfalls war die glatte obere Platte des Altars golden, ebenfalls nur mit dünnem Gold bedeckt, doch weitaus interessanter, als das unerreichbare Edelmetall an der Decke. Am Besten wären jedoch einige goldene Kronleuchter oder zeremonielle Instrumente aus Gold, wobei Kid erst mit einem Magnet ihre Echtheit überprüfen würde. Nicht selten hatte man nur billiges Eisen mit Gold bemalt – und reines Gold würde von einem Magneten nicht angezogen. Eine plötzliche Bewegung im Augenwinkel ließ Kid herumfahren, ehe er vollkommen perplex einen Kopf zwischen den vordersten Bankreihen sich heben sah und große blaue Augen ihm überrascht entgegen blickten. Scheinbar irritiert erhob sich das Mädchen nun gänzlich und späte furchtlos zu ihm herüber. Was nur suchte dieses kleine Mädchen in der Kathedrale, gehörte es zu dem Zauberer? „Wer bist du?“ Missmutig verzog Kid angesichts der dünnen Stimme den Mund. Falls sie Essen haben wollte oder sich an ihn zu hängen gedachte, war sie bei ihm sicherlich an der falschen Adresse, wenn sie ihm nicht gerade die Schatzkammer präsentieren konnte. „Kid. Und wer bis du?“ Das Mädchen kam zwischen den Bankreihen hervor geschlichen und stand nun, fast schon traurig blickend, mit ihrem schmutzigen, jedoch äußerst edlen Kleidchen mitten im Mittelgang. Auch ihre Haare waren durcheinander und wie als hätte sie seine Gedanken gehört, glitten die kleinen Finger durch die schmutzig blonden Haare. „Du darfst hier nicht herkommen. Es ist zu gefährlich.“ Kid runzelte die Stirn. „Was meinst du?“ „Du musst hier weg. Sie kommt und tötet dich sonst.“ Aha, die Tochter des Zauberers also. Ärgerlich verzog Kid das Gesicht. Sie würde also versuchen ihm ebenfalls Angst zu machen und war sicherlich auch dazu zuständig einige Hebel zu betätigen. „Ich habe dem Zauberer schon gesagt, dass ich mich vor seinem billigen Spuk nicht führte. Du musst also hier kein Theater veranstalten.“ Das Mädchen senkte den Blick und schüttelte fast unmerklich den Kopf. Würde Kid es nicht besser wissen, dann hätte er ihr den traurigen Blick fast abgekauft. „Du darfst nicht hier sein. Du wirst sterben. Aber ich wollte es nicht.“ „Wer bist du denn? Wie heißt du?“ „Alice.“ Überrascht legte Kid den Kopf leicht schräg. Seit er von Himmelreich gehört hatte, hatte man ihn auch immer vor Alice gewarnt. So genau wissen, wer oder was das war, tat man nicht, aber dafür war dieser Name in aller Munde. Alice hieß es, war der Teufel. Oder eine Hexe. Oder ein Fluch. Keiner wusste das. Nur, dass man sterben würde, wenn Alice einen fand. „Du solltest nicht allein in dieser Kirche sitzen, Alice. Hat dir dein Vater befohlen hier zu sein? Der Zauberer?“ Was sollte nur so gruseliges an dem kleinen Mädchen sein? Doch Kid dämmerte, dass Trafalgar wohl selbst dafür zuständig gewesen war, dass der Name dieses Mädchens in aller Munde war. Womöglich hatte er sogar die Gerüchte über den Schatz verbreitet, damit Schatzsucher hier her kamen und er sie plündern könnte. Gab es also gar keinen Schatz? Und selbst wenn, dann musste die Beute Trafalgars, das Hab und Gut seiner früheren Opfer, ja auch irgendwo sein. Und Gold war Gold. „Mein Vater? Nein … meine Mutter wollte mit mir in die Kirche gehen, aber ich wollte das alles nicht. Ich habe Albträume von dem Dämon.“ „Welcher Dämon?“ Das Mädchen schritt langsam auf ihn zu, die kleinen Füße erzeugten kaum ein Geräusch auf dem harten Steinboden. „Du musst hier weg gehen, die Stadt verlassen. Ich kenne dich nicht. Wach für mich auf.“ Wie klein sie war, fiel Kid erst auf, als sie tatsächlich vor ihm stand. Sie konnte kaum älter als fünf Jahre sein und noch dazu entweder verwirrt oder aber geübt darin ihren Text aufzusagen. Sich selbst gut zuredend ging er vor dem Mädchen in die Knie. „Hör mal zu, Alice. Ich bin hier her gekommen, weil es in dieser Stadt einen großen Schatz geben soll. Hast du vielleicht eine Idee, wo der sein könnte?“ Der Blick des Mädchens wurde verzweifelt. „Bitte! Du musst hier weggehen! Gold kann kein Leben ersetzten, du wirst sterben! Bitte!“ Bevor das Mädchen reagieren konnte, hatte Kid sie bereits am Handgelenk gepackt und sich erhoben, Alice hinter sich her ziehend die Tür ansteuernd. „Es gibt also einen Schatz und du weißt wo er ist. Also weiß Trafalgar auch wo er ist und er ist sicherlich irgendwie mit dir verwandt. Vielleicht redet er ja, wenn ich mit dir zu ihm komme. Keine Angst, ich tue dir schon nichts, wenn der Zauberer redet.“ Die Versuche des Mädchens sich zu befreien vollkommen ignorierend durchquerte Kid rasch das Mittelschiff und beglückwünschte sich selbst zu seinem Plan. Selten war es so einfach einen Schatz zu finden. Ihn einfach finden zu lassen. Die Stadt erstrahlte in einem einzigen blutroten Licht, als er aus der Kathedrale trat und am oberen Treppenabsatz kurz hielt. Das Mädchen hatte mittlerweile aufgehört sich gegen ihn zu wehren und war gehorsam hinter ihm hergelaufen, vollkommen schweigend. Über die Schulter warf er ihr einen Blick zu. „Also, du hast die Wahl, entweder du zeigst mir wo der Schatz liegt oder wir gehen Trafalgar besuchen.“ „Trafalgar ist tot.“ Irritiert drehte Kid sich nun gänzlich zu Alice um und musterte das Mädchen, welches auf einmal einen seltsam leeren Blick bekommen hatte und fast schon krankhaft starr in die Luft stierte. Sie war leichenblass und schien mit einem Mal wie weggetreten. Kid konnte nicht umhin plötzlich ein mulmiges Gefühl zu bekommen. Wie aus Reflex ließ er sie los. „Was meinst du mit ‚Trafalgar ist tot’?“ „Er ist tot. Meine Mutter ist tot, alle sind tot, du bist tot, die Stadt ist tot – aber ich lebe.“, sprudelte es mit einer fast beängstigenden Geschwindigkeit aus ihr hervor, ehe sie plötzlich stoppte und leicht schwankend ihren Blick hob, um geradewegs in die goldenen Augen ihres Gegenübers zu blicken. „Pass auf die Wasserspeier auf.“ Und in diesem Moment fiel etwas mit einem ohrenbetäubenden Krachen vom Dach der Kathedrale vor Kids Füße, genau an die Stelle, an der eben noch Alice stand und an deren Stelle sich plötzlich eine Blutlache mit rasender Geschwindigkeit über den gesamten Steinboden ausbreitete und Kid schockiert zurückweichen ließ. Ein Wasserspeier. Einer der großen, steinernen Dämonen war geradewegs vom Dach gestürzt und hatte Alice erschlagen, von der nun nur noch das schier unendliche Blut und die kleine Hand zeugten, welche unter dem Gesteinsbrocken hervorlugte. Die Aufregung ließ Kids Herz rasen, welcher kaum fassen konnte, was gerade geschehen war. Rasch warf er einen Blick nach oben und wich in die Kathedrale zurück, um eventuellen erneuten Objekten zu entgehen, als er ein Geräusch hinter sich, aus der Kathedrale selbst vernahm. Alarmiert drehte er sich um und glaubte vollkommen den Verstand verloren zu haben, als er eben das kleine Mädchen, welches vor keiner Minute vor seinen Augen auf brutalste Art und Weise zerquetscht worden war, auf dem Altar liegend vorfand, wo es, als wäre nie etwas geschehen, vollkommen unversehrt und vor allem plötzlich sauber und ordentlich gekleidet lag. Noch immer starr vor Schreck konnte Kid nur sprachlos dabei zusehen, wie Alice sich aufrichtete und ihm den Kopf zuwandte, die blauen Augen fast schmerzhaft starr auf ihn gerichtet. „Verschwinde aus der Stadt.“ Was sollte das alles, was war hier nur los? War das das Werk des Zauberers? Doch wie sollte so etwas funktionieren? Nicht im Stande adäquat zu reagieren, machte er einige Schritte rückwärts, bis ihm einfiel, dass er womöglich über den Wasserspeier stolpern könnte und deshalb einen Blick hinter sich warf – und nichts vorfand. Kein Blut, kein Wasserspeier, kein totes Mädchen. „Hey du! Ich würde an deiner Stelle besser nicht in die Kathedrale gehen.“ Von der fremden Stimme aufgeschreckt wandte Kid sich zum wiederholten Mal um und erblickte auf dem Platz vor der Kathedrale eine junge Frau, welche eine Hand in die Seite gestemmt hatte und ihn mit schief gelegtem Kopf musterte. Ohne einen weiteren Gedanken daran zu verschwenden verließ er das Gebäude und lief eilig die Treppe hinunter, welche zum Platz führte. Niemals hätte er gedacht tatsächlich einmal Dinge zu sehen, welche ihn an seinem rationalen Verstand zweifeln lassen würden. Die Frau musterte ihn mit einem Grinsen im Gesicht. „Hast du Alice schon getroffen? Das passiert immer, wenn sie versucht die Kathedrale zu verlassen, einer der Wasserspeier stürzt sich auf sie und erschlägt sie. Bist du ein Dämonentöter? Dann solltest du wissen, dass es unmöglich ist Alice zu befreien. Ich bin Priesterin und kenne den Fluch, der sie festhält. Ich heiße übrigens Viktoria.“ Die Frau vollkommen ignorierend hastete Kid an ihr vorbei, sie keines weiteren Blickes würdigend. Nie in seinem Leben hatte Kid tatsächlich Angst gehabt. Vielleicht als kleines Kind einmal, aber da wusste man ja ohnehin noch nicht, was wirkliche Gefahr war und was nicht. Doch in diesem Moment spürte er tatsächlich Angst und Furcht, ohne wirklich zu verstehen, woher diese eigentlich kam. Fakt war nur, dass etwas in dieser Stadt nicht stimmte und zwar ganz gewaltig. Es war mehr ein Gefühl als eine Gewissheit, das Kid dazu trieb umgehend die Stadt zu verlassen und später noch mal wieder zu kommen, um eventuell den Schatz zu suchen. Rasch lief er den Weg zurück, welchen er bei seiner Ankunft genommen hatte und konnte nicht verhindern eine Gänsehaut zu bekommen, als eine Katze um die Ecke strich und ihm entgegenmiaute, ihm schließlich folgend, als er sie ignorierend stehen ließ. Seit wann waren Katzen denn so zutraulich? An dem Baum in der Mitte des kleinen Platzes haltend sah Kid sich kurz um, sich plötzlich unsicher, aus welcher Straße genau er gekommen war. Ihm gegenüber befand sich nur eine kleine, dunkle Gasse, an welche er sich nicht erinnern konnte und ihn schlucken ließ, als eine weitere Katze aus eben der Dunkelheit trat und ihm mit schwingendem Schwanz entgegenblickte. Allerdings versuchte er nicht darauf zu achten, als auch diese Katze ihm folgte und er die Gasse betrat. Es war einfach nur absurd, wie lächerlich schnell sein Herz schlug und ihm fast schon in den Ohren widerhallte. Das stetige Miauen der Katzen, deren Zahl nun mit Sicherheit die zwei von eben überstiegen hatte, in den Ohren, schlängelte er sich durch die dunkle Gasse, welche seine Schritte laut widerhallen ließ. Jedoch verstummten sie mit sofortiger Wirkung, als Kid nach dem Ende der Gasse einen kleinen Hinterhof betrat, welchen er zuvor mit Sicherheit noch nie zuvor betreten hatte. Verwirrt sah er sich um, konnte jedoch nur noch mehr Katzen zwischen Holzstapeln und Fässern entdecken, was nicht sonderlich dazu beitrug seine Fassung zu bewahren. Von dem Gefühl geleitet, sich lieber nicht zu lange an einer Stelle aufhalten zu wollen, entschied er über ein niedriges Gatter zu steigen, um den matschigen Garten dahinter zu durchqueren, während die Katzen ihm leichtfüßig über den Zaun und die Dächer hinweg folgten. Was nur stimmte nicht mit den Tieren? Gehetzt durch eine Hecke stolpernd konnte Kid nur knapp verhindern gänzlich den Boden zu begrüßen und verscheuchte fluchend eine graue Katze, welche es allen Ernstes gewagt hatte ihm im schwankenden Zustand auf den Rücken zu springen und damit fast noch zu Fall gebracht hätte. Missmutig warf er den mittlerweile verhassten Tieren einen giftigen Blick zu, ehe er der kleinen Straße, welche er eben betreten hatte folgte und schließlich glaubte nun vollkommen zu spinnen. Er hatte erneut den Kathedralenplatz erreicht und das ironischer Weise sogar aus der entgegen gesetzten Richtung, als aus welcher er ihn verlassen hatte. „Das kann doch jetzt gar nicht wahr sein.“, fluchte er murmelnd vor sich hin. Doch das konnte es wirklich nicht, da er einen wirklich guten Orientierungssinn besaß und nicht ein einziges Mal wirklich die Richtung geändert hatte, sondern einzig geradeaus gelaufen war. Sein Schatten war immer vor ihm geblieben, das wusste er genau und auch jetzt tat er es noch, wie Kid vor sich starrend feststellte. Es war einfach unmöglich. Gab es zwei Kathedralen in der Stadt, zwei exakt identische? Sich zur Ruhe zwingend atmete Kid kurz tief durch, ehe er sich die Kathedrale und die umgebenden Häuser genauer besah. Wirklich sah alles genau gleich aus, selbst den Wasserspeier, welcher gerade eben noch das Mädchen erschlagen haben sollte, konnte er am Dach des Gotteshauses identifizieren. Anscheinend war das der beste Zaubertrick, der Kid jemals begegnet war, da er auf Anhieb keine Erklärung hatte, wie das alles funktionieren sollte. Denn es war ein Zaubertrick, es musste einer sein. Von der Frau, deren Namen Kid bereits vergessen hatte, war keinerlei Spur zu erkennen. Entnervt, jedoch nun wieder etwas an Fassung gewinnend, fuhr er sich kurz durch die wirren roten Strähnen, überlegend, was nun zu tun sei. Fakt war, dass er sich gerade anscheinend auf der gigantischen Bühne Trafalgars bewegte, der mit Sicherheit Jahre damit zugebracht hatte diese Stadt für seine Zwecke zu präparieren. Sollte er also dafür verantwortlich sein, wovon Kid mit wachsendem Unmut ausging, so wäre es fürs erste das Beste den Zauberer aufzusuchen und ihn zur Not dazu zu zwingen mit den Albernheiten aufzuhören und ihm zu zeigen, was er verbergen wollte. Allein schon zum Selbstschutz, da der verdammte Steinklotz auch ihn mit Leichtigkeit hätte töten können. Mittlerweile war Dunkelheit in die Stadt eingezogen und vertrieb damit das letzte rote Licht der Sonne aus den Straßen, deren Verlauf Kid nun folgte um in den Stadtteil der Adeligen zu gelangen und Trafalgar in seinem Anwesen aufzusuchen. Die Luft kühlte schnell ab, sodass der Wind nun weitaus unangenehmer war, als er es schon bei seiner Ankunft gewesen war. Viel mehr beunruhigte ihn jedoch, dass die ihm stetig folgenden Katzen eine gewisse Nervosität in ihm hervorriefen, wann immer er einen ihrer Schatten an eigentlich unmöglichen Stellen an den Häuserfassaden vorbeiziehen sah. Jedoch zwang er sich es zu ignorieren, da es einfach nur lächerlich war vor ein paar Katzentieren in Panik zu geraden, welche ihm höchstens ein paar Kratzer zufügen konnten. Zugegeben, das alles war gut inszeniert, doch jeder Spuk hatte seine hässliche Kehrseite aus kleinen Mechanismen und versteckten Helfern. Und wenn diese einmal ans Tageslicht kam, war Zauberern kein besserer Rat gegeben, als schnellstens die Beine in die Hand zu nehmen. So weit würde Kid es jedoch nicht kommen lassen, da er Trafalgar einige Dinge zu sagen hatte und es überhaupt nicht leiden konnte verarscht zu werden. Der Schwarzhaarige würde sich noch wundern, wohin er sich selbst gezaubert hatte. Nachdem er die leicht zu finden gewesene Treppe bestiegen hatte und bereits die breite Straße entlang schritt, an welcher Trafalgars Anwesen sich befand, bemerkte Kid die Katzen unruhig werden. Die bis eben vollkommen lautlosen Tiere huschten plötzlich zunehmend wild durcheinander und maunzten scheinbar unzufrieden. Bisweilen wagten sie es gar mit ihren Krallen nach seinem Mantel zu schlagen, was Kid immer wieder innehalten und die Tiere versuchen zu verscheuchen ließ, deren Zahl Kid schon seit einiger Zeit nicht mehr überblicken konnte. Jedoch unterließ er Versuche den aufdringlichen Tieren einen Tritt zu verpassen, da Katzen ohnehin erfahrungsgemäß schneller als Menschen waren und er sie außerdem nicht unnötig reizen wollte um noch langsamer voran zu kommen. In dem Moment jedoch, in dem er bereits das Anwesen mit seinem schmiedeeisernen Zaun und den hohen Fenstern erblickte, schienen die Katzen vollkommen in Aufregung zu geraten. Noch bevor er sich, aufgeschreckt von dem plötzlichen Geschrei, hatte umdrehen können, spürte er bereits wie etliche Krallen sich in seinen Rücken bohrten. Ein Stein flog an Kid vorbei, so knapp und so schnell, dass er fast geglaubt hätte, es wäre ein Pfeil gewesen. Mit einem Ruck lösten sich die Katzen von ihm und ließen ihn vorwärts stolpern, ehe er hinter sich blicken konnte. Von dem Stein ausgehend wichen die Katzen immer weiter zurück, die Ohren angelegt und das Fell gesträubt, während sie mit gebleckten Zähnen laut fauchten. Ein weiterer Stein flog an Kid vorbei und scheuchte die Katzen auf, ehe er es erstmals in Erwägung zog nachzusehen, woher die Steine eigentlich kamen. Trafalgar. Breit grinsend hockte er auf dem gemauerten Pfosten des großen Tores, einen Stein immer wieder in die Luft werfend und fangend, ehe auch dieser zielsicher zwischen den Katzen landete und sie auseinander fahren, zurückweichen ließ. Und obwohl das laute Fauchen nun ihm galt, kamen die Tiere nicht näher, sondern zogen sich zurück, widerwillig vielleicht, aber stetig. Ein lautes Donnern ließ Kid, welcher noch immer leicht starr vor Schreck war, zusammenzucken. Überrascht warf er einen Blick in den Himmel, schließlich war er fest davon überzeugt gewesen, es würde nicht anfangen zu Blitzen. Seltsamer Weise war jedoch kein Leuchten am fast schwarzen Himmel zu erkennen gewesen, was Kid noch stutziger machte, als erneut ein Donnern durch die Straßen hallte, gefolgt von einem weiteren. Einem Albtraum gleich musste er feststellen, dass das regelmäßige Donnern näher kam und bereits nach kürzester Zeit den Boden vibrieren ließ. „Ich schätze wir sollten reingehen.“ Kid, der mittlerweile felsenfest davon überzeugt war, dass ihn absolut nichts mehr erschrecken konnte, warf Trafalgar, welcher nun plötzlich neben ihm stand, einen Blick zu. Dieser starrte, noch immer grinsend, zu den Katzen, welche allein durch den Blick zurückwichen. Kids Aufmerksamkeit wurde jedoch wieder von dem Donnern eingefangen, welches mittlerweile beängstigende Ausmaße angenommen hatte und die Erde beben ließ. Selbst die Katzen hielten nun in ihrem Fauchen inne und blickten, die Ohren erst aufgestellt und dann angelegt, über die Schulter, bevor sie mit einem einzigen Huschen im Schatten eines Hauses verschwanden. Immer lauteres Grollen peitschte durch die Straßen, ließ die Fenster klirren, kleine Steinchen wie panisch über die Straße tanzen. Was dann jedoch plötzlich am Ende der Straße erschien, brachte Kids Herz fast zum Stillstand. Mit einem Mal, einer einzigen, geschmeidigen Bewegung, lugte ein Schatten von gigantischen Ausmaßen um die Häuserfassade am Ende der Straße. Lange, dünne, schwarze Arme mit gewaltigen Krallenhänden, welche sich gleich einem heißen Messer in Butter in das Dach des Hauses bohrten, auf welches sich das Monster stützte. Pechschwarz und sicherlich zehnmal so groß wie Kid selbst richtete sich das Wesen erst vollständig auf, bevor es mit geradezu gespenstischer Sanftheit den Kopf drehte und sich gigantische weiße Augen scheinbar direkt auf Kid richteten. Niemals in seinem Leben hatte Kid ernsthaft an Riesen und ihre Geschichten geglaubt. Doch nun in dieser verhexten Stadt stehend, diesem Monstrum entgegenblickend, schien es die letzte mögliche Erklärung. Quälend langsam öffnete der Schatten sein Maul und Kid konnte nur starr vor Schreck mit ansehen, wie etliche lange, scharfe, ebenso schwarze Zähne entblößt wurden und gleich darauf ein unglaubliches Brüllen durch die Straße fegte, begleitet von einem peitschenden Wind gleich Eiswasser. Bevor Kid entscheiden konnte, ob Panik eine geeignete Option wäre, packte ihn Trafalgar, welcher wie die Ruhe selbst dem Monster entgegengelächelt hatte, am Arm und zerrte ihn mit sich. Durch das Tor, durch den Garten, durch die Eingangspforte, in den Salon. Erst als der Schwarzhaarige Kid wieder losließ registrierte dieser was eigentlich passiert war und warf einen alarmierten Blick durch das Fenster. „Ich sagte doch, wir sollten hineingehen. Der Schatten ist es nicht gewohnt lebendes Fleisch auf den Straßen zu finden.“ Noch immer sprachlos sah Kid sich nach Trafalgar um, welcher im Salon umherging und Kerzen entzündete. „Ach und keine Sorge, dieses Haus wird der Schatten nicht anfassen.“, fügte er mit einem milden Blick hinzu und drückte Kid eine der Kerzen in die Hand, bevor er sie entzündete. „Warum?“ „Weil das mein Haus ist.“ Das flackernde Licht warf tanzende Schatten gegen die Wände und die verstaubten Möbel. Und tatsächlich war es nicht nur das, was Kid die Dinge plötzlich in einem anderen Licht sehen ließ. Er kannte Zauberer und ihre Magie, die faulen Tricks hinter den kleinen Kunststücken. Und das waren sie auch. Kleine Tricks, nicht mehr. Gute Zauberer ließen vielleicht auch mal einen Hasen verschwinden, von dem Verschwinden von Jungfrauen hatte Kid nur gehört. Doch selbst die wagemutigsten Lügengeschichten über Hexer waren nichts im Vergleich zu dieser Stadt. Hier konnte es nicht mit rechten Dingen zugehen. Den Griff um die Kerze in seinen Händen festigend, forderte er erneut die Aufmerksamkeit des Schwarzhaarigen. „Was war das da draußen?“ Trafalgar, welcher eben die letzte Kerze in dem pompösen Kerzenleuchter auf der Kommode entzündet hatte, legte nachdenklich das silberne Feuerzeug beiseite, ehe er sich auf seinem Sessel niederließ und auch Kid mit einer Handbewegung gebot sich zu setzten. Das Trommeln von Wassertropfen begann sich in die Stille zu mischen. „Ich denke, man könnte ihn am ehesten als Albtraum bezeichnen.“ „Ein Albtraum?“ „Du hast den Schatten geweckt, also warst du in der Kathedrale, richtig?“ Die Erinnerung an die unglückliche Begegnung mit dem kleinen Mädchen ließ Kid einen nervösen Blick aus dem regennassen Fenster werfen. „Ja, war ich. Und ich habe dort ein Mädchen namens Alice getroffen. Sie ist gestorben, als wir die Kathedrale verlassen haben.“ Seltsamerweise schien Trafalgar diese Neuigkeit nicht sonderlich zu beeindrucken, deutete man die unentwegt gefasst blickenden Augen. „Ja, aber es ist nicht deine Schuld.“ „Ist das Alice?“ Trafalgars Mundwinkel zuckten. „Du meinst die Alice, von der man außerhalb dieser Stadt redet? Das kann man auffassen wie man will. Tatsächlich ist sie Alice aber eben doch nicht ganz in dem Sinne, wie man sie außerhalb der Stadt kennt.“ „Ich habe eine Priesterin vor der Kathedrale getroffen.“, erinnerte Kid sich selbst und legte grübelnd die Stirn in Falten. „Sie sagte, dass Alice von einem Fluch festgehalten werden würde. Aber so etwas gibt es nicht, oder? Ich habe allerdings ihren Namen vergessen.“ Fast schon mitleidig hätte man den Blick nennen können, welcher Kid daraufhin zuteil wurde, bevor der Schwarzhaarige sich herabließ Auskunft zu geben. „Eine Priesterin, hm? In der Stadt ist zurzeit außer dir niemand, aber ich weiß wen du meinst. Sie heißt Viktoria und hat mit einem Fluch nicht ganz Unrecht, wenngleich es wohl nicht die ganze Wahrheit ist. Ich sagte dir ja bereits, dass du niemandem in der Stadt trauen solltest.“ Ein Schnauben war die einzige Antwort Kids, welchem der belehrende und hochmütige Unterton in der Stimme seines Gegenübers ein Dorn im Auge war. „Nun, wenn ich mich recht entsinne schließt ‚niemandem’ dich ein.“ „Oh! Anscheinend bist du doch schlauer, als ich anfangs dachte.“ Ein leises Lachen erfüllte den Raum. „In der Tat, wenn ich von niemandem und damit von jedem rede, so schließt das mich selbst ein. Aber auch mit dieser Erkenntnis bist du nur einen sehr kleinen Schritt vorangekommen bei dem, was dieser Satz dir eigentlich sagen soll.“ Trafalgar erhob sich und lief zu einer Vitrine hinüber, aus welcher er zwei Gläser und eine Flasche Wein zog. Misstrauisch wurde diese Tätigkeit genaustens beäugt und schließlich auch nur mit Skepsis das Glas Rotwein entgegen genommen. „Du bietest mir nicht wirklich Wein an, nachdem du mich aus eigenem Munde vor dir gewarnt hast?“ Trafalgar zuckte mit den Schultern. „Ich sagte lediglich, dass du niemandem in der Stadt trauen solltest. Das heißt nicht, dass dich jeder zu jeder Zeit umbringen will. Wäre das so, wärst du schon lange tot.“ „Meinst du die Katzen?“ Trafalgar schwenkte den Wein in seinem Glas. „Unter anderem auch.“, antwortete er und nahm einen Schluck. Kid jedoch fühlte sich dadurch kein Stück sicherer, er kannte Leute, welche mit ihren Opfern vergifteten Wein tranken, weil sie selbst zuvor bereits das Gegengift eingenommen hatten. „Eben das meine ich. Du hast keinerlei Ahnung wer dein Feind ist. Diese Wahrheit würde deinen Horizont übersteigen.“ Kid knurrte wütend. „Ich würde dir raten deinen eigenen Horizont mit solchen Äußerungen nicht zu übersteigen.“ „Dass Schatzsucher aber auch immer nur mit den Augen denken.“ Fast schon ärgerlich murmelnd erhob sich Trafalgar und stellte sein Glas beiseite bevor er den Salon verließ. In Windeseile war Kid so leise wie möglich aufgesprungen und hatte einem Gedankenblitz nahe beide Gläser vertauscht, in welchen ohnehin noch fast gleich viel war. Noch bevor Trafalgar den Salon wieder betrat hatte sich das Schwappen in beiden Gläsern gelegt. Falls nicht der Wein sondern das Glas vergiftet gewesen war, so würde Trafalgar sein blaues Wunder erleben. Nun interessierter beobachtete er seinen Gegenüber wieder und das große verhängte Bild, welches dieser mitgebracht hatte und nun vor Kid auf den Boden stelle, wo er es mit der Hand aufrecht hielt. „Das ist ein Spiegel. Und da du ohnehin schon in einen geblickt und Alice getroffen hast, macht es das nun auch nicht mehr schlimmer.“ Irritiert, ob nun wieder der gleiche Zaubertrick folgen würde, beobachtete Kid, wie das schwarze Tuch mit einer einzigen, fließenden Bewegung beiseite gezogen wurde und einen polierten, gold gerahmten Spiegel offenbarte, welcher tatsächlich genau das zeigte, was Kid in einem Spiegel erwartete. Sich selbst und seine Umgebung. Penibel durchsuchte er das gesamte Spiegelbild nach einer Anomalie, konnte jedoch, zu seinem Verdruss, nichts dergleichen finden, was ihn ungeduldig werden ließ. Infolge dieser Gefühlsregung begann er eher unterbewusst mit den Fingerkuppen auf die Lehne seines Sessels zu trommeln. Und eben weil es nur unterbewusst war, brauchte Kid erstaunlich lange, um mit einem Schock festzustellen, dass sein Spiegelbild diese Bewegung nicht imitierte. In seiner Handlung ruckartig inne haltend, entglitten ihm die Gesichtszüge, was sein Spiegel-Ich, ganz so, als wäre es schon seit ewigen Zeiten sein Plan gewesen, ebenfalls nicht imitierte, sondern lediglich mit einem gespenstischen, plötzlich erwachenden Grinsen kommentierte. Hilflos musste Kid, welcher im Übrigen damit beschäftigt war sich in seinen Sessel zu drücken um dem Fluchtinstinkt gerecht zu werden, mit ansehen, wie sein Spiegel-Ich sich einfach so erhob und Gott weiß wie, auf ihn zugelaufen kam ohne den Spiegel zu verlassen, bis er so nah war, dass er sich bücken musste um noch durch den Spiegel zu sehen. Die Augen in einer nie da gewesenen Emotion weit aufgerissen starrte Kid sich aus dem Spiegel heraus selbst an und grinste mit einer fast schon wahnsinnigen Leidenschaft. Vollkommen erstarrt konnte Kid nur gebannt auf die Stelle starren, an welcher das Glas des Spiegels von innen beschlug, dort, wo sein Spiegel-Ich den Kopf dich an das Glas hielt und eben dieser eine Hand hob um mit einem eindeutigen Geräusch von innen gegen das Glas zu tippen. Kid hatte den Spiegel zertrümmert, bevor er auch nur die Chance hatte darüber nachzudenken. In blinder Panik, welche ihm sonst so fremd war wie die Wüsten des Südens und die Eismeere des Nordens, hatte er einfach seinem Instinkt nach gehandelt und stand nun, schwer atmend und mit blutender Hand zwischen den Splittern des ehemaligen Spiegels. Trafalgar, welcher eine solche Reaktion wohl erwartet hatte, war rechtzeitig beiseite gesprungen und hatte den Spiegel losgelassen, von dem nun nur noch der edle Rahmen und die messerscharfen Splitter zeugten. Eben diese Splitter starrte Kid nun gebannt an, sich selbst verzerrt darin sehend und sprang zurück, als sein Spiegelbild selbst durch diesen zerstörten Zustand hindurch noch den Kopf schief legte und ihm entgegenwinkte. Zu seiner Erleichterung entschied Trafalgar offenbar, dass es nun genug der Folter sei und breitete das schwarze Stofftuch über den Scherben aus, griff nach seinem Weinglas und setzte sich wieder. „Und? War das nun genug um dein lächerlich beschränktes Weltbild zu zerstören?“ Fassungslos starrte Kid Trafalgar an, welcher nun keineswegs mehr belustigt, sondern viel mehr todernst aussah und ihn damit seltsamer Weise nicht einmal verärgerte. „Was war das?“ „Kein Albtraum. Eher würde man es als den Wahnsinn der Stadt bezeichnen. Auch sich bewegende Schatten und Bilder, ebenso wie das Verhalten des Wassers in der Stadt gehören dazu. Die Katzen, der Schatten und auch Viktoria hingehen sind Albträume, auch wenn es davon keine genaue Definition gibt.“ Während Kid sich mit einem Tuch aus seiner Tasche die Hand notdürftig verbannt, lauschte er den verwirrenden Worten und ließ sich wieder in den Sessel sinken. „Und wozu gehörst du?“, fragte er matt. Die Tatsache, dass diese Stadt tatsächlich verflucht sein sollte, war immer noch zu unbegreiflich, als das Kid es einfach akzeptieren konnte, doch hatte er auch verstanden, dass es bei weitem nicht mehr darum ging, was er selbst dachte. Diese Stadt war verflucht, egal was er sich selbst einreden wollte. „Zu den Albträumen.“ Resignierendes Kopfschütteln folgte. „Alice sagte, dass du tot bist.“ „Da hat sie gar nicht mal so Unrecht, zumindest zum Teil. Ich habe einmal in dieser Stadt gelebt, bin jedoch vor über 200 Jahren gestorben ohne danach tot zu sein.“ „In Ordnung, ich gebe zu, dass diese Stadt nicht normal ist. Aber wenn du doch gestorben bist, musst du auch tot sein! Wo sind denn sonst die anderen Bewohner der Stadt?“ Wortlos streckte Trafalgar die Hand nach Kid aus, welcher im ersten Moment recht verständnislos auf die in der Luft hängenden Finger starrte, bis diese eine eindeutige Geste ausübten näher zu kommen. Doch auch nachdem Kid sich erhoben und auf ihn zugekommen war, wirkte Trafalgar nicht zufrieden damit, sondern wedelte weiterhin mit seiner Hand in der Luft herum. Doch recht unsicher, was dieses Manöver bedeuten sollte, fasste Kid schließlich mit der eigenen Hand nach den fremden Fingern, wie er es zuletzt wohl als Kind getan hatte. Und fühlte dabei nichts als Kälte. Alles durchdringende Kälte gleich Eis, doch viel unbeugsamer als Eis oder Schnee, welches sofort in seinen Händen geschmolzen wäre. Irritiert und doch verstehend ließ Kid rasch von Trafalgar ab, welcher den Kopf in eben diese Hand stützte und relativ abwesend wirkte, bevor sein Gegenüber wieder Platz genommen hatte. „Ich denke, dass sollte Antwort genug sein. Außerdem bin ich nicht der einzige Albtraum in Menschengestalt in dieser Stadt. Du hast nur noch niemand anderen getroffen, weil ich dich zuerst gefunden habe.“ „Und was genau willst du von mir? Hilfst du mir aus der Stadt wieder heraus zu kommen?“ Trafalgar schnalzte tadelnd mit der Zunge. „Ich bin keine gute Fee, vergiss das nicht. In erster Linie will ich dich genauso umbringen, wie es jeder in dieser Stadt will. Schließlich solltest du niemandem trauen.“ „Ach, eben noch meintest du, du wolltest mich nicht umbringen.“, erwiderte Kid halb ärgerlich, halb spöttisch. Ein Lächeln schlich sich von neuem auf Trafalgars Züge. „Warum sollte ich dir also trauen und nicht so schnell wie möglich wieder aus diesem Haus verschwinden?“ „Erstens, weil du sonst mit sofortiger Wirkung von dem Schatten draußen gefressen werden und selbst wenn nicht heute Nacht mit Sicherheit verbrennen würdest. Und zweitens, weil ich der einzige in der Stadt bin, der dir, abgesehen davon, dass ich dich natürlich töten will, helfen kann hier zu überleben und weil ich absolut der einzige bin, der weiß, wie man aus der Stadt herauskommt.“ Zu seinem eigenen Verdruss musste Kid zugeben, dass Trafalgar doch ziemlich überzeugend klang. Und immerhin sagte er auch offen, dass er auf Mord aus war, sodass Kid nicht an seiner Aufrichtigkeit zweifelte. „Schön und gut. Warum sagst du mir dann nicht einfach, wie man hier herauskommt und ich gehe? Du versprichst dir doch etwas von dieser ganzen Sache, nicht wahr?“ „Da kommt wieder ganz der Schatzsucher in dir hervor. Ja, in der Tat verlange ich eine Gegenleistung für meine Hilfe und es dreht sich dabei nicht um Gold, denn wertloses Gold gibt es in dieser Stadt genug. Was viel schwerer wiegt als Gold, ist Freiheit.“ Fragend runzelte Kid die Stirn. „Die Sache ist ganz einfach. Du selbst wirst nur dann aus dieser Stadt herauskommen, wenn ich dasselbe tue. Ich existierte nun schon hunderte von Jahren in dieser Stadt und sehne mich nach der Freiheit, welche ich in dieser Stadt nicht finden kann. Willst du also Hilfe von mir, so musst du zuerst mir helfen. Das ist der Packt, den ich dir vorschlage.“ Unwillkürlich schluckte Kid, da Trafalgar auf einmal aus seiner schläfrigen Leichtigkeit zu erwachen schien und ihn mit einem unbekannt ernsthaftigen Blick festnagelte. Tatsächlich ging es hier nun nicht mehr nur um unbedeutende Worte und Floskeln. Wenn er auf dieses Angebot einging, so war ihm vollkommen klar, dass dieser Vertrag sehr viel mehr bedeutete, als ein leeres Versprechen zwischen Menschen außerhalb dieser Stadt. Wenn er diesen Vertrag besiegelte, so war es gleich einem Pakt mit dem Teufel, welchen er entweder erfüllte oder mit seinem Leben würde bezahlen müssen. Die Stille im Salon mischte sich mit dem stetigen Prasseln des Regens gegen die hohen Fenster an der Frontseite des Hauses, durch welche mageres Mondlicht fiel und fast gänzlich von dem Feuerschein der Kerzen im Raum gefressen wurde. Die goldenen Augen versuchten die blauen zu durchbohren, festzustellen, ob sie aufrichtig waren, oder ihn betrügen wollten. Doch letztendlich schlossen sich die goldenen Augen, ehe Kid kurz tief durchatmete und die Augen wieder öffnete, nun keinerlei Feindseligkeit mehr ausstrahlend. „Gut, ich bin einverstanden. Schließen wir einen Pakt.“ Alice - Kapitel 2 ----------------- Kapitel 2 Das Prasseln des Regens hielt die ganze Nacht durch an. Kid, welcher ohnehin schier Ewigkeiten wach lag lauschte auf das beruhigende Geräusch und versuchte im Gegenzug alle weiteren Geräusche auszublenden. Geräusche wie die Schreie und das laute Tosen des Feuers. Es war gewesen, kurz nachdem Trafalgar Kid ein Zimmer gezeigt und es ihm als Schlafzimmer überlassen hatte. Ebenso groß wie die anderen Zimmer war dieser Raum mit einigen Schränken und Kommoden ausgestattet gewesen und hatte ein ausladendes Himmelbett in seiner Mitte vorgewiesen. Definitiv keine schlechte Unterkunft, wie Kid zufrieden festgestellt und den Schlüssel zu der Tür in den Gang gesucht hatte, um diese sicherheitshalber abzuschließen. Noch bevor er jedoch das kleine Stück Metall in einer der Schubladen hatte ausfindig machen können, war der erste Schrei durch die Stadt gehallt, so plötzlich und unerwartet, dass Kid überrascht aus dem Fenster gesehen hatte. Und dort waren sie alle erschienen, auf den Dächern der Häuser über die ganze Stadt verteilt. Feuersäulen und mit ihnen kamen die entsetzlichen Schreie. Nicht lange nachdem das schreckliche Schauspiel seinen Lauf genommen und Kid damit vollkommen in seinen grausigen Bann gezogen hatte, war Trafalgar nach einem kurzen Klopfen im Zimmer erschienen. Er wollte ihn wohl über den Ursprung des Feuers aufklären, falls er sich sorgen würde. So wären laut der Erläuterung Trafalgars die Feuersäulen ursprünglich einmal Scheiterhaufen gewesen, welche die Menschen auf den Dächern errichtet hatten um Hexen und Zauberer zu verbrennen, welche sie für den plötzlichen Fluch in der Stadt verantwortlich machten. Es waren also die ersten Menschen gewesen, welche der Stadt zum Opfer gefallen waren und der erste wirkliche Albtraum der Stadt, da die Menschen seit jeher jede Nacht von neuem auf den Dächern verbrannten und ihre unendliche Pein in den Himmel schrieen. Nach Trafalgars Miene zu urteilen fand er es bestenfalls noch amüsant, konnte jedoch nach so langer Zeit nichts weiter an diesem Schauspiel finden, sodass Kid allein mit dem beklemmenden Gefühl zurückblieb und versuchte es sich nicht anmerken zu lassen, wie fürchterlich sich jeder Schrei in seinen Körper brannte. Sicherlich, er kannte Hinrichtungen mit dem Scheiterhaufen. Wenn es um Hexen ging, so waren sie beliebte Instrumente ihrer Auslöschung. Doch war es etwas anderes die Schreie einer einzelnen Person zu hören, als duzende Stimmen zum lauten Bekunden ihres Schmerzes erhoben, welche dann noch stundenlang anhielten. Wohl auch aus diesem Grund dauerte es so wahnsinnig lange, bis Kid endlich die Schreie und den Schein des Feuers an der gegenüberliegenden Wand vergessen und wenigstens für einige Stunden schlafen konnte. Bereits im Morgengrauen erwachte Kid und stellte erleichtert fest, dass die Verbrannten endlich verstummt waren. Ebenso erleichtert war er, dass er überhaupt aufgewacht war. Von seinem eigenen Proviant frühstückend vermied es Kid schon im Voraus in die Verlegenheit zu geraten womöglich etwas Vergiftetes von Trafalgar angeboten zu bekommen. So studierte er noch einige Augenblicke die Stadt von seinem Fenster aus, welche vollkommen unschuldig da lag, ehe er seine Zimmertür aufschloss und sich in den Salon begab. Seine Erwartung wurde sogleich erfüllt, als er Trafalgar in seinem Sessel vorfand, den Zylinder bereits auf dem Kopf und den Spazierstock in der Hand. „Gut geschlafen?“ Kid knurrte nur. „Ich habe die tiefen Kratzer am Schloss meiner Tür gefunden. Hast’ wohl keinen Zweitschlüssel für meine Tür gehabt, was?“ „Stimmt. Aber wenn ich sie aufgebrochen hätte, dann wärst du aufgewacht und ich hätte dich nicht im Schlaf meucheln können. Ich versuche es heute Nacht noch einmal.“ Kopfschütteln folgte als Antwort und Kid war mehr als froh gleich zu Anfang schon entschieden zu haben seine Tür abzuschließen. Heute Nacht würde er wohl noch eine der Kommoden vor die Tür stellen müssen. „Was machen wir heute eigentlich?“, fragte er jedoch, versucht, eine weniger feindselige Konversation aufzubauen. Trafalgar spielte mit seinem Spazierstock. „Wir werden gleich damit beginnen die nötigen Vorbereitungen zu treffen, aus der Stadt heraus zu kommen. Ich werde dir einiges in der Stadt zeigen, damit du in etwa weißt, was wir erledigen müssen und wo du dich besser nicht aufhalten solltest. Und glaub nicht, dass es sich dabei um einen Spaziergang handelt.“ Trafalgar erhob sich und verließ, von Kid gefolgt, das Haus. Ihm war vollkommen klar, dass es sich dabei nicht um einen Spaziergang handeln würde. Denn Trafalgar hatte mit Sicherheit nicht erst gestern entschieden, dass er diese Stadt verlassen wollte. Schon sehr lange musste er versucht haben die Stadt zu verlassen, jedoch immer wieder gescheitert sein, was an sich schon deutlich machte, wie schwierig es werden würde, den Plan in die Tat umzusetzen. Kid war sich dabei jedoch noch unsicher, warum ausgerechnet er für das Gelingen des Plans wichtig oder nötig zu sein schien. Die Stadt lag im noch schwachen, goldenen Morgenlicht dar und erweckte keines Falls den Eindruck, das etwas mit ihr nicht stimmen könnte. Leichte Nebelschwaden hingen wie Fetzen zwischen den Häusern und wurden nur von manchmal vorbei schleichenden Katzen aufgewirbelt, während die Luft vollkommen windstill war und damit eine friedliche Stille über der Stadt lag. Trafalgar führte Kid durch die ganze Stadt und zeigte ihm verschiedene Gebäude, von welchen er sich fern halten sollte. Unter anderem kamen sie an der Klinik Himmelreich vorbei, an deren hunderten Fenstern Kid nicht umhin kam verschiedene Menschen zu sehen, welche selbst auf diese Entfernung keinen gesunden Eindruck machten. Trafalgar erklärte ihm, dass die Menschen dort wahnsinnig eingeliefert worden waren und sich selbst infolge dessen umgebracht hatten. Fast alle der Menschen, welche durch den Wahnsinn umgekommen waren, wie eben auch die Verbrannten auf den Dächern, konnten in der Stadt nicht sterben und starben so immer wieder oder geisterten in der Stadt oder an dem Ort ihres Todes herum. Kid verkniff sich an dieser Stelle die Frage warum Trafalgar selbst noch lebte. Ebenfalls zeigte Trafalgar ihm den Fluss, welcher durch die Stadt verlief und welcher verstörende Spiegelbilder zeigte, vor denen er gewarnt wurde sie nicht allzu lange anzusehen. Laut der Aussage von Trafalgar hatte der Fluss schon mehr Reisende in den Tod gerissen als irgendein sonstiger Wahnsinn der Stadt. Die Kathedrale war ebenfalls Haltepunkt der kleinen Führung. Kid wurde aufgeklärt, dass die Kathedrale wohl damals als Ausgangspunkt des verheerenden Fluches, wie Trafalgar es nannte, angenommen wurde. Daher war vor allem diesem Gebäude, wenn auch keine direkte Gefahr von ihm ausging, fern zu bleiben. „Gibt es eigentlich irgendein Haus, welchem ich mich ungefährlich nähern kann?“ Trafalgar ließ sich auf eine Parkbank sinken. Der kleine Park lag im Süden der Stadt auf der Ebene des Adels. Abgesehen von den Katzen der Stadt waren jedoch keine Tiere wie Vögel zu erkennen, was Trafalgar mit dem guten Instinkt der Tiere begründete. Diese hatten die Gefahr des Fluches fast noch zuerst erkannt und waren alle aus der Stadt geflohen. „Es gibt leer stehende Häuser, welche keine direkte Gefahr beinhalten. Doch allein schon, dass die Katzen in jedes Haus gelangen und sich in eben diesen unzählige Spiegel befinden, macht kein Haus sicher. Vielleicht hältst du diese Sicherheitsvorkehrungen für übertrieben, aber ich habe schon zu viele Reisende stundenlang in den erstbesten Spiegel starren gesehen, bis sie sich selbst, gleich ihrem Spiegelbild, umgebracht haben. Wenn man zu lange in einen Spiegel starrt, dann tut nicht mehr das Spiegelbild, was man selbst tut, sondern umgekehrt. Und das ist verhängnisvoll.“ Kid beobachtete die bunten Blätter an den Bäumen, welche mit jedem Luftzug raschelten und stetig neu von der Schwerkraft angezogen wurden und zu Boden sanken. „Wo sind all diese Reisenden, welche schon in dieser Stadt gestorben sein sollen?“ „Der Schatten hat sie gefressen oder die Katzen, je nachdem.“ Ein zweifelnder Blick wurde einem der nahen Katzentiere zugeworfen, welches sich jedoch nicht wagte näher zu kommen und daher stetig nur durch das vereinzelte, gefallene Laub stakste. „Warum meiden die Katzen dich eigentlich?“ „Diese Stadt dürstet nach Blut, jedoch nicht nur nach fremdem Blut. Wenn sie kann, dann frisst sie sich selbst auf und ich habe schon zu viele Katzen vernichtet, als das sie nicht daraus lernen und mir fernbleiben würden.“ Kid warf Trafalgar einen Seitenblick zu. „Es scheint, als hättest du in dieser Stadt das Sagen.“ Ein fast schon verbittertes Lächeln huschte über die Züge des Angesprochenen. „Ist das so?“ „Nicht?“ Trafalgar erhob sich. „Komm, ich zeige dir, welches der gefährlichsten Häuser der Stadt wir morgen besuchen werden.“ Irritiert folgte er Trafalgar, welcher nicht mehr sonderlich gesprächig schien und mit einem geradezu kalten Zorn in den Augen durch die Straßen schritt und Kid in den bis jetzt unbekannten Osten Himmelreichs führte. Die Gebäude hier schienen eher Geschäfte als Wohnhäuser gewesen zu sein und waren dementsprechend hoch und pompös gestaltet worden. Unter anderem waren Restaurants vertreten, auch Spielkaffees zierten das Straßenbild, ebenso wie ganz gewöhnliche Läden, welche Kleidung, Nahrung und allerlei sonstigen Kram verkauft hatten. Dies alles jedoch schien nicht Ziel Trafalgars zu sein, welcher sämtliche Läden getrost ignorierte und dabei den Blick starr auf das wohl größte Gebäude dieses Stadtviertels gerichtet hatte. Von weitem hätte man davon ausgehen können, dass das Ende der Straße in Nebel hing, doch je näher Kid kam, desto vorsichtiger wurden seine Schritte. Denn was zuerst wie feiner Nebel aussah, entpuppte sich als hauchdünne Fäden, welche wie ein kaputtes Netz über die Stadt gespannt worden waren. Kaum hatte man die ersten Ausläufe diese Abnormalität erreicht, konnte man sich nicht der unguten Annahme erwehren sich geradewegs auf dem Weg in das Nest einer riesigen Spinne zu befinden. Kaum sichtbar, schwach glänzend im Sonnenlicht, spannten sich die Fäden zwischen den Häusern kreuz und quer und Kid sah bereits von weitem, das ein einfaches Überqueren der Straße in einigen Metern nicht mehr möglich sein würde, ohne sich ducken oder über einen Strang hinwegsteigen zu müssen. Dies schien auch Trafalgar zu bemerken, welcher anhielt, bevor sie gezwungen waren ihren geraden Gang in der Mitte der Straße zu verändern. Und obwohl der Schwarzhaarige gefasst wirkte, bemerkte Kid nur allzu deutlich das schwache Zittern des kalten Körpers neben sich und wie die Fingerknöchel um den Knauf des Spazierstocks weiß hervortraten. Auch wenn er es nicht erkennen konnte, war er sich in diesem Moment sicher, dass Trafalgar mit Sicherheit alle Haare zu Berge standen. „Falls du auch nur einen der Fäden berührst, werde ich dich ohne zu zögern hier zurück- und sterben lassen.“ „Ist das das Nest einer Spinne?“ Trafalgar presste für einen Moment die Lippen aufeinander, bevor er sich plötzlich aus seiner verkrampfen Position heraus entspannte, ganz so, als wäre eine schlimme Vorahnung nicht eingetroffen. „Das kann man so sagen, wenngleich ihre Fäden nicht klebrig wie Honig, sondern scharf wie Klingen sind.“ Prüfend musterte Kid die hauchfeinen Stränge und musste tatsächlich feststellen, dass an vielen Stellen der locker hängenden Fäden Blut klebte und diese dadurch sichtbarer machte. Doch welche Spinne spann solch mörderische Fäden? „Siehst du das große Gebäude dort vorn?“, Trafalgar wies mit einer kurzen Kopfbewegung in Richtung des größten Gebäudes, welches schon vorher Kids Aufmerksamkeit erregt hatte. „Was ist das für ein Gebäude? Ein Geschäft?“ „Vor 200 Jahren war jeder in Himmelreich stolz auf dieses Gebäude. Selbst das gemeine Volk hegte einen leisen, falschen Stolz dafür, auch wenn es sich nur selten zu Feiertagen erlauben konnte das wenige Gold zusammen zu nehmen und es zu besuchen. Menschen von den nahen Dörfern suchten ihre feinsten Stoffe aus den Schränken heraus, wenn sie kamen um dieses Gebäude zu besuchen, war es doch auch das einzige seiner Art im Umkreis von mehreren hundert Kilometern anstrengenden Ritts oder Kutschfahrts. Früher gab es so viel weniger Städte als heute, so viel weniger Gebäude, welche allein der Zerstreuung des Geistes wegen errichtet worden waren. Wir alle waren stolz, auch ich.“ Ein säuerlicher Glanz schlich sich in die dunklen Augen Trafalgars, ehe er schnaubte. „Heute traut sich nicht einmal mehr der Schatten in diesen Teil der Stadt, weil er fürchtet sich an den Fäden zu schneiden. Hundert mal mehr Katzen haben ihr Leben durch diese Fäden verloren, als ich je hätte töten können, nein, eigentlich meidet jeder Albtraum diesen Teil der Stadt, dieses einst schönste Gebäude Himmelreichs. Wenn ich vorstellen darf, das Theater Himmelreich.“ Interessiert glitt Kids Blick von Trafalgar zurück zu dem imposanten, mit einer bunten Fassade versehenen Gebäude. Tatsächlich konnte er, jetzt wo er wusste welche Einrichtung es einstmals gewesen war, spezifische Merkmale erkennen, wie den teils übertriebenen und an einigen Stellen sehr fantasiereichen Aufbau des fast fensterlosen Hauses. Viele Gebäude dieser Art waren so errichtet worden, wenngleich man in der heutigen Zeit eher schlichtere Architektur bevorzugte. „Alle Fäden, die du hier siehst, enden beziehungsweise beginnen im Theater.“ „Was wollen wir in dem Theater?“ Trafalgar gab einen amüsierten Laut von sich. „Du willst da drin gar nichts, das kannst du mir glauben. Aber ich suche etwas, was ich benötige um die Stadt verlassen zu können.“ „Und das wäre?“ „Etwas überaus wichtiges, was man mir noch zu Lebzeiten gestohlen hat und weswegen ich nicht gestorben bin.“, erklärte der Schwarzhaarige finster und undurchsichtig. „Komm, wir sollten uns nicht zu lange hier aufhalten. Und pass bloß auf, keine der Fäden zu berühren!“ Kid warf dem Theater einen letzten Blick zu, ehe er sich ebenfalls umwandte und Trafalgar folgte, welcher offenbar nicht schnell genug weg von dem verhassten Gebäude kam. In gewisser Weise irritierte es ihn, dass Trafalgar, welcher sogar gegen den Schatten ankam, vor irgendetwas an Angst anmutenden Respekt zeigte. So gesehen war diese körperliche Reaktion Trafalgars mehr wert gewesen, als das bloße Betrachten des Ziels ihres morgigen Ausflugs. Trafalgar hatte gar nicht überlegen müssen, als er Kid gleich zu Anfang ihrer kleinen Reise erklärt hatte, dass sie erst morgen zur eigentlichen Tat schreiten würden. In gewisser Weise war er also schon seit langer Zeit auf diesen Tag vorbereitet gewesen und hatte nur nach einem geeigneten Partner gesucht. Oder Hilfsmittel. Kid war sich immer mehr unsicher, ob der Albtraum, wie er sich eben selbst genannt hatte, ihn nicht verraten würde. Denn zwar war es sicher, dass Trafalgar die Stadt unter allen Umständen verlassen wollte, doch damit war auch nicht ausgeschlossen, dass er Kid opfern würde, wäre es nötig. Allein das Monster im Theater, dessen Ausmaße Kid noch immer nicht kannte, war Grund genug zur Sorge, dass er nicht mehr als ein Opfer, ein Köder, eine Ablenkung war, um an das gewünschte Objekt der Begierde zu gelangen. Immerhin wollte Trafalgar seinen Tod, sodass er ihm kaum hinterher trauern würde, sollte er in dieser verfluchten Stadt sterben. „Was genau ist das Monster im Theater?“, fragte Kid und registrierte, wie Trafalgar langsamer wurde. Mittlerweile hatten sie die verhängnisvolle Straße schon lange hinter sich gelassen. „Das wohl gefährlichste Geschöpf in dieser Stadt.“, antwortete Trafalgar ihm wie immer undurchsichtig und in diesem Fall fast ausweichend. „Ich wäre dir sehr dankbar, wenn ich das etwas genauer wüsste. Schließlich muss ich morgen das Theater besuchen und wüsste schon gerne, was genau mich darin erwartet.“ Trafalgar blieb stehen. „Ich weiß es um ehrlich zu sein nicht genau.“ „Was soll das heißen?“ Skeptisch starrte Kid seinem Gegenüber entgegen, welcher nun tatsächlich das erste Mal wirklich zu überlegen schien. Seine Antwort hingegen war in Kids Augen abermals nichts als eine Aneinanderreihung wohl gewählter Worte. „Als ich ihn das letzte Mal gesehen habe, war er ein Mensch, jedoch sind fast hundert Jahre seitdem vergangen. Dinge verändern sich hier in dieser Stadt, werden hässlich und abscheulich und ich weiß nicht, was aus ihm geworden ist, wo er doch schon so lange in der Dunkelheit sitzt und einer Spinne gleich auf seine Opfer in seinem Netz sitzend lauert.“ „Also doch eine Spinne?“ „Eine Spinne in Menschengestalt vielleicht.“ Unzufrieden mit der Antwort grummelte Kid, ehe er zusammenfuhr, als eine hohe krächzende Stimme hinter ihm ertönte. Sofort einen warnenden Blick Trafalgars auf sich lastend habend, folgte er dem weiterlaufenden Schwarzhaarigen und blickte sich nicht um, wie er es eigentlich gerne getan hätte. „Möchtest du einen Apfel?“ Der Stimme nach zu urteilen eine alte Frau, rief Kid hinterher, was er jedoch tunlichst ignorierte. Mittlerweile war er auf absolut nichts in der Stadt vertrauenswürdig gestimmt. „Was läufst du denn weg? Komm her, ich habe Süßigkeiten!“ Immer mehr Boshaftigkeit mischte sich in die Stimme der Frau, welche es offenbar nicht guthieß nicht beachtet zu werden. Mit wachsendem Misstrauen registrierte Kid, wie es um ihn herum langsam kälter wurde und er gar Schnee wahrnahm, welcher vom Himmel zu fallen begann. Von jetzt auf gleich schien Winter in die herbstliche Stadt einzuziehen, Raureif sich an den Häuserwänden zu bilden, Eisblumen an den Fenstern zu wachsen. Kids Atem hing plötzlich wie ein weißer Schleier vor seinem Gesicht und seine Schuhe trafen auf knirschenden Schnee. Ein Albtraum. „Komm her und lass dich fressen!“ Laut und schrill gleich dem Kreischen eines grauenvollen Vogels schallte die verzerrte Stimme durch die Straße. Trafalgar neben ihm gab ein unzufriedenes Geräusch von sich und blieb dann stehen, sich dem Albtraum in ihrem Rücken zuwendend. „Sieh nicht hin.“ Dann war er verschwunden und Kid hörte das schrille Lachen der Frau. „Zeigst du dein wahres, hässliches Gesicht, Chirurg des Todes?“ Ein heftiger Windstoß zerrte an Kids Kleidern, trieb ihm die Kälte wie gefrierendes Wasser bis in die Knochen und ließ ihn schaudern. Ein kurzes Donnern ertönte, dessen Ursprung er nicht ausmachen konnte, ihn jedoch mit sofortiger Wirkung dazu drängen wollte sich umzudrehen. Das ehemalige Lachen der Hexe hatte sich in ein grauenvolles Schreien gewandelt, welches Kid die Haare zu berge stehen ließ. Was nur tat Trafalgar da? Was passierte da? Erneut peitschte ein Windstoß durch die Straße, begleitet von einem weiteren Schrei, ehe es still wurde. Vorsichtig und von unerträglicher Neugier geplagt warf Kid dann doch einen kurzen Blick über die Schulter, konnte jedoch nichts Besonderes ausmachen. Was auch immer da gewesen war, war weg. Lediglich Trafalgar stand noch ruhig und offenbar unverletzt zwischen den nun schmelzenden Schneedünen, die Körperhaltung vielleicht etwas steifer als sonst. Ein verärgerter Blick traf Kid sofort darauf aus den blauen Augen. „Hörst du nicht, was man dir sagt?“ „In der Regel nicht. Was war das?“ Der schwarze Zylinder wurde gewissenhaft zurechtgerückt, bevor Trafalgar seinen Weg fortsetzte, als wäre nichts passiert. „Eine Winterharpyie. Nichts Beunruhigendes. Sie waren hauptsächlich dafür verantwortlich, dass die Kinder aus dieser Stadt verschwanden. Sie haben in den Kerkern des örtlichen Gefängnisses ihren Hort, dort sieht man eine ganze Reihe eingefrorener Kinder.“ Beunruhig von der Wortwahl des Schwarzhaarigen, nach welcher dieses Monster nichts Beunruhigendes gewesen sei, folgte er Trafalgar von neuem. Womöglich hatte Kid tatsächlich diese Stadt und ihre Vielfalt an Albträumen unterschätzt. Mied man ihn tatsächlich, weil er mit Trafalgar unterwegs war? „Du musst verstehen, dass es mehrere hundert Arten Albträume in der Stadt gibt.“, wurde er sofort aufgeklärt, als könne sein Gegenüber Gedanken lesen. „Die meisten Albträume allerdings sind Unikate, wie eben der Schatten, Viktoria oder auch Ich, wenn du es so willst. Abgesehen von den Katzen und den Harpyien, von denen es im Übrigen auch Unterarten gibt, existieren hingegen nur eine handvoll anderer Arten, welche mehrfach vorkommen und sich vermehren.“ „Wie hat die Harpyie dich genannt?“ „Das hat dich nicht zu interessieren.“, kam die verblüffend schroffe Abfuhr auf diese Frage, welche Kid die Augenbrauen hochziehen ließ. Trafalgar hingegen schien keinen weiteren Gedanken daran zu verschwenden und wechselte nach einem kurzen Blick die Straße entlang die Seite, um in eine andere Straße einzubiegen. Wenn Kid es nicht besser gewusst hätte, hätte er fast gesagt, Trafalgar hätte nach eventuell näher kommenden Kutschen Ausschau gehalten. Auf dem Kathedralenplatz hielt besagter Albtraum und richtete das Wort an Kid, nachdem er ausgiebig die Umgebung gemustert hatte. „Ich habe noch ein paar Dinge in der Stadt zu erledigen, vor allem im Hinblick darauf, dass ich diese verlassen werde. Spätestens bei Sonnenuntergang bin ich zurück in der Villa. Du solltest dich ebenfalls bei beginnender Dunkelheit dort hin zurückziehen, den Schatten kennst du ja schon.“ Kid nickte zustimmend und beobachtete interessiert, wie Trafalgar in einer kleineren Gasse verschwand, deren Ort, an den sie führte, er nicht kannte. Es juckte ihm in den Fingern Trafalgar einfach zu folgen und zu sehen, was ein Toter in einer toten Stadt zu erledigen hatte, doch beschlich ihn das Gefühl diese Entscheidung unter Umständen bitter zu bereuen, sodass er seinen Blick lieber wieder auf die Kathedrale in seinem Rücken richtete. Ursprünglich war er mit dem Vorsatz in die Stadt gekommen Gold in ihr zu finden. Und diese Gier hatte er auch angesichts des Grauens nicht vergessen, jedoch würde er sich dabei Trafalgars Erklärungen zu nutze machen und die größeren Häuser der Stadt meiden. Immerhin sollte dieser Höllentrip nicht ganz umsonst gewesen sein. Auf diese Art und Weise hatte Kid innerhalb der nächsten Stunden tatsächlich in verschiedenen Salons, Kellern, Schlafzimmern und Küchen der gewöhnlicheren Häuser eine Hand voll Gold gefunden, was sich in der Regel zwar auf Alltagsgegenstände wie Besteck beschränkte, doch hatte er auch einen kleinen Ring mit einem glänzenden Stein gefunden, von welchem Kid hoffte, dass es ein Diamant war. Kleinkram. Solche Dinge fand man auch in gewöhnlichen verlassenen Burgen und Schlössern. Ohnehin war es dafür, das alle Häuser ordentlich und vollständig eingerichtet waren viel zu wenig Edelmetall. Selbst in den Häusern des Adels hatte er nicht mehr gefunden, was in ihm eine gewisse Fixe Idee erweckte. Trafalgar bereitete sich darauf vor die Stadt zu verlassen. Doch was hieß das? Jeder anständige Mensch hätte mit Sicherheit Wertgegenstände eingepackt, Gold, Papiere. Was sonst wäre in seiner Masse so klein, in seinem Wert so groß, als dass man sich entschied es mitzunehmen? Grübelnd warf Kid einen Blick in den bereits leicht verfärbten Himmel. Niemand hatte behauptet, dass das One Piece ein Berg Gold war oder ein Fels aus Diamant. Lediglich, dass der Wert dieses Schatzes alles je da gewesene in den Schatten stellte. Und Kid kannte die Edelsteinhändler, welche für seltene Steine auch gerne das Vielfache an Gewicht in Gold für ein schönes Stück zahlten. Was, wenn der sagenumwobene Schatz ebenfalls nur ein Stein war, ein kleiner seltener Stein, vielleicht der einzige seiner Art. Man müsste nur in allen bekannten Ländern von ihm erzählen, an alle Königs- und Fürstenhofe schreiben und von einem ganz und gar einmaligen Stein berichten, welcher geradezu einer Engelsfeder gleich in seiner schier endlosen Schönheit als Unikat nur einem Menschen gehören konnte und wie der Segen eines Gottes fast schicksalsgleich war. Jeder würde ihn haben wollen und damit einen Wert erlangen, welches kein Königreich zu zahlen in der Lage war. Einen Wert, welchen den Besitzer zwang den Stein stetig bei sich zu tragen, wenn nicht an einem äußerst sicheren Ort zu verstecken. Kid steckte die Hände in die Manteltaschen und machte kehrt, nun auf dem Weg in die Villa Trafalgars. Wenn es ein One Piece gab, dann besaß Trafalgar es, da war Kid sich todsicher. Sonst niemand in der Stadt könnte Interesse daran haben, weder die Katzen, noch Alice oder ein anderer Albtraum der Stadt. Und eines dieser Geschöpfe musste den Schatz behüten, gleich einem Feuer atmenden, rostroten Drachen, deren Märchen Kid nun ebenfalls in einem anderen Licht sah. Denn eines war sicher, würde er diese Stadt tatsächlich lebendig verlassen können, so wäre er dennoch nicht mehr der gleiche Mensch, der gerade einmal gestern die Stadt betreten hatte. Und Kid fühlte sich, als wäre er schon wochenlang zwischen den Häusern eingesperrt. Die Tür knarrte in Kids Ohren doppelt so laut, wie sie es sonst tat, doch das sprach er seiner gewissen Nervosität zu. Nicht nur, dass Trafalgar kein Mensch oder zumindest kein lebendiger Mensch war, so hatte Kid auch einen Pakt mit ihm geschlossen, was seine ganze Aktion auf einer gefährlich dünnen Grenze zwischen Verrat und legitimen Misstrauen balancieren ließ. Sämtliche Schatten im Haus schienen Kid anzustarren und er wurde das Gefühl nicht los, dass er besser mit seiner Suche fertig wurde, bevor der Herr des Hauses zurückkehrte, sodass er entschied systematisch vorzugehen und zuerst die oberen Zimmer zu durchsuchen. Falls Trafalgar den Schatz allerdings am Körper trug, so würde Kid gezwungen sein ihn aufzugeben oder in einen offenen Kampf überzugehen, dann jedoch erst, wenn sie die Stadt verlassen hatten. Die Türen im oberen Stockwerk knarrten ebenso, wie es die Eingangstür schon getan hatte. Stickige, warme Luft schlug Kid aus den Zimmern entgegen, ganz so, als wäre die abgestandene Luft schon jahrelang in den Räumen gefangen. Staub wirbelte auf, dessen winzige Teilchen in dem schräg einfallenden Licht durch die Luft tanzten und dem ganzen Geschehen einen fast unwirklichen Hauch verliehen. Spinnweben hingen zwischen Decke und Wänden, zwischen allen Möbeln, welche ebenso verschlissen wirkten, wie der Rest der Stadt. Schon bald nachdem Kid mehrere leere Kommoden geöffnet und von Staub befreit hatte, war er sich sicher, dass er in diesen Räumen definitiv nicht fündig werden würde. Auch der Salon und die Küche ergaben kein anderes Ergebnis, obwohl er sich alle Mühe gab und sogar in die Uhrwerke der stehen gebliebenen Zeitzähler blickte und in seinem Verdruss nicht einmal bemerkte, dass alle Uhren die gleiche Zeit anzeigten. Von Spiegeln wurde sich nach bestem Wissen fern gehalten, ehe Kid eine schmale Treppe hinter der eigentlichen Treppe in den ersten Stock auffiel, welche offenbar in den Keller des Hauses führte. Verdeckt durch einen Vorhang glaube Kid nun sein Glück endlich wieder gefunden zu haben und stieg hinab in die Dunkelheit, nachdem er sich einen kleinen Kerzenhalter mit ein paar Lichtern versehen und mitgenommen hatte. Der Keller wirkte im Gegensatz zum Rest des Hauses fast schon fremd. Statt dem üblichen Holz traf das Licht der drei Kerzen mit seinem schwachen Schein auf reflektierende Metallwände. Überrascht berührte Kid das kalte Metall und hielt die Kerzen weiter von sich um mehr in dem kleinen Lichtkegel ausmachen zu können. Schemenhafte Schatten schienen um ihn herum zu huschen, doch laut Trafalgar konnten sie ihm nichts antun, wenn er sie nicht anblickte. Dennoch blieb das beklemmende Gefühl zurück, das ihm eine große Gefahr im Nacken saß, weshalb er sich einige Male zusammenreißen musste, nicht doch den Schemen hinterher zu starren. Der schmale Gang endete alsbald mit einer großen, schweren Eisentür, auf welcher ein seltsames Symbol, ähnlich einem Gesicht, abgebildet worden war. Die dunkle Farbe war leicht verlaufen und schimmerte schwach im dumpfen Feuerschein, sodass Kid nicht ausmachen konnte, ob es nun rot oder schwarz war. Nur soviel war sicher, jemand musste mit Blut gemalt haben, mit viel Blut. Von diesem Fund von neuem gemahnt vorsichtig zu sein, öffnete Kid langsam die schwere Tür und musste sich sogar mit seinem Gewicht dagegen stemmen, um das widerspenstige Element des Verschließens an seiner angetrauten Tätigkeit zu hindern. Kaum war er durch den Spalt hindurchgehuscht, schloss sich die Tür auch schon wieder mit einem leisen Knall, welcher unangenehm klar im Raum widerhallte, jedoch keineswegs auf die Art und Weise, wie es ein großer Saal getan hätte. Viel eher glich es dem Geräusch, als würde etwas in einen Suppentopf fallen. Erst nachdem dieses Hindernis überwunden worden war, hob Kid den Kopf und sah sich forschend um. Obwohl der Raum größtenteils in Dunkelheit gehüllt blieb, schimmerten immer wieder überall Dinge durch die Düsternis, deren genaue Form Kid nicht ausmachen konnte. Das erste, was ihm in diesem Raum auffiel, war der breite, metallene Tisch in der Mitte des eher kleinen Raumes. Ein kalter Schauer konnte nicht verhindert werden über seinen Rücken zu huschen, als Kid mit einem Schlag dämmerte, in was für einem Raum er sich hier tatsächlich befand. Den langen Tisch genauer musternd tauchten lederne Hand- und Fußfesseln aus der Düsternis auf, an kurzen Ketten an der massiven Eisenplatte befestigt. Dunkle Flecken hatten sich in das robuste Leder gefressen, unwillig je wieder zu verschwinden, als ewige Zeugen des Schmerzes und Todes, den sie ihrem Opfer aufgezwungen hatten hilflos zu ertragen. Kid spürte, wie sich ihm die Nackenhaare aufstellten, als er auch langsam zu begreifen begann, was die reflektierenden Gegenstände darstellten. Feisäuberlich aufgereiht hingen Messer an der Wand, Zangen, lang und dünn mit gezahnter Spitze, Spritzen mit langen dünnen Nadeln, in Regalen Gläser mit giftfarbenen Flüssigkeiten, dicke Ketten, kleine und große Hämmer, Hacken, klauenartige Handschuhe, eiserne Masken, Nadelbretter, Daumenschrauben, Äxte und an der hinteren Wand, zwischen zwei gewaltigen Regalen voll mit großen Gläsern, ein langes Schwert in einer außergewöhnlich gemusterten Scheide. Eine Folterkammer, Kid war geradewegs in die Folterkammer Trafalgars gelaufen. Alarmiert rief ihm sein Instinkt zu, er möge diesen Raum so schnell wie möglich verlassen, doch seine Augen hafteten an dem langen Schwert, oder besser gesagt an den Regalen neben eben diesem Schwert. Wie gebannt starrte er auf die Gläser, deren Inhalt Kid nicht erkennen konnte. Flüssigkeit und eine Masse darin, in jedem Glas gleich. Trafalgars Sammlung, vielleicht Trophäen. Kid konnte nicht anders, obwohl alles in ihm danach schrie sich nicht darum zu scheren starrte er von Grauen gepackt zu der Wand aus Glas, trat ganz langsam näher und hörte sein eigenes Herz schmerzhaft in der Brust pochen, als er erst beim letzten Schritt begriff, was Trafalgar als Trophäe von seinen Opfern behalten hatte. Herzen. Dutzende Herzen, fein säuberlich aufgereiht, ihrem Besitzer zugleich mit dem Leben entrissen und aufbewahrt für die Ewigkeit. Kid hatte plötzlich das Gefühl die Dunkelheit um ihn herum würde ihn mit einem Mal aus hunderten Augen heraus anstarren, als läge sie plötzlich mit einem unglaublichen Gewicht auf seinen Schultern. Nun doch seinen inneren Alarmglocken gehorchend wendete er den Blick von der grauenhaften Sammlung ab und steuerte zielstrebig auf die Tür zu. In dem Moment jedoch, in dem er nach dem Türgriff hatte greifen wollen, packte ihn etwas mit eiserner Kraft am Handgelenk. Mit einem Ruck zog etwas mit einer unglaublichen Kraft an Kid, sodass dieser sich nicht helfen konnte zurück zu stolpern und den Kerzenleuchter aus den Fingern gleiten zu lassend. Von einer auf die andere Sekunde war es finster wie in einer Nacht bei Neumond und genau darauf schien alles um ihn herum gewartet zu haben. Kid hatte keinerlei Chance, als sich plötzlich hunderte Hände um seine Gliedmaßen legten und brutal an ihm zerrten, als hätte die Dunkelheit selbst Arme bekommen. Keinen Wimpernschlag später entwich ein Schmerzensschrei seiner Kehle, als sich dutzende, scharfe, spitze Gegenstände sich in seine Haut bohrten und ihn ebenfalls, gleich den Krallen eines Dämons, zurück in Richtung Tisch zerrten. Vollkommen hilflos konnte Kid sich keinen Zentimeter in eine andere Richtung bewegen, selbst sein heftiges Wehren in vollkommener Finsternis, welche sich regelrecht in seine Augen brannte, brachte nichts. Viel mehr trieb es die scharfen Klingen tiefer in sein Fleisch, ließ ihn schmerzerfüllt aufknurren. Alles riss an ihm, in tausende, jedoch auch nur in eine einzige Richtung, während Kid verzweifelt versuchte sich dagegen zustemmen, um nicht auf dem Foltertisch zu landen. Die Muskeln alle zum zerreißen gespannt, stemmte er sich gegen die Finsternis, versuchte seine Arme aus den Fängen dieses Grauens zu reißen und die Beine gegen den Tisch zu stemmen. Und tatsächlich schien seine Atem raubende Anstrengung für einen Moment zu funktionieren, in welchem Kid kurz verzweifelt nach Luft schnappend in der lockerer gewordenen Umklammerung hing. Allerdings nur so lange, bis ihm etwas mit unfassbarer Kraft gegen seine linke Schläfe schoss und ihn von jetzt auf gleich halb in die Besinnungslosigkeit riss. Sämtliche Spannung wich aus seinem Körper, was die Dunkelheit sofort nutzte, um ihn gänzlich auf den Tisch zu ziehen und dort mit den entsprechenden Fesseln zu fixieren, während Kid krampfhaft darum rang nicht gänzlich das Bewusstsein zu verlieren. Ein Würgen entglitt ihm gedämpft, als aus heiterem Himmel sich auch ein festes Band um seinen Hals schlang und es ihm damit vollkommen unmöglich machte, auch nur einen Muskel noch zu rühren. Die Klingen zogen sich aus seinem Fleisch, während auch die Hände von seinem Körper verschwanden und den Schatzsucher ganz sich selbst und seinem qualvollen Kampf überließen. Kaum Luft ließ das straffe Band durch seinen zugeschnürten Hals gleiten, sodass Kid das Gefühl hatte jeden Moment ersticken zu müssen. In Todesangst versuchte er sich gegen die todbringenden Fesseln zu wehren, was seine Atemnot jedoch nur verschlimmerte und ihn schließlich aus Reflex den Kopf überstrecken ließ. Und wundersamer Weise konnte er dadurch tatsächlich minimal besser atmen, was ihn in der verkrampften Körperhaltung verharren und hastig nach Luft ringen ließ. Erst nach einigen Minuten, in denen Kid glaubte doch noch einfach ohnmächtig zu werden und immer wieder bunte Punkte vor seinen Augen tanzen sah, beruhigte sich sein Atem etwas und machte es ihm damit leichter langsam, aber tief zu atmen. Und danach war es einfach nur still um ihn herum, still und stockdunkel. Gegen den eiskalten Tisch gedrückt musste Kid in seiner Stellung verharren, unfähig sich selbst aus dieser Situation je wieder zu befreien. Einen einfachen Versuch an den Handfesseln zu ziehen brachte ihm einige Sekunden vollkommene Unfähigkeit zu Atmen ein, als das Band sich um seinen Hals drohend zuzog. Sobald das Band sich wieder gelockert hatte entschied er nach Atmen ringend, keinen weiteren Versuch zu starten. Jedoch war allein die Vorstellung, wie nur diese grauenhafte Situation enden könnte, Grund genug in Panik zu geraten. Denn das einzig mögliche Ende war, dass Trafalgar kam und in diesem Fall würde er ihn umbringen, darin bestand kein Zweifel. Er würde ebenfalls Teil der Sammlung werden, zumindest sein Herz, während sein Körper wohl den Katzen der Stadt zum Fraß vorgeworfen werden würde. Die Stille dröhnte in seinen Ohren, während die Dunkelheit schwer auf seinen weit geöffneten Augen lastete. Stundenlang lag Kid unbeweglich auf dem Tisch im Keller, gefangen in der Folterkammer und seinen eigenen mit Angst getränkten Gedanken, bis Kid ein Geräusch in der Stille vernahm und sein Herz von neuem rasen ließ. Schritte, das eindeutige Geräusch von Schuhen auf Stein kam langsam näher, erst fast unhörbar, dann so deutlich, als würden sie neben seinem Ohr stehen. Jede Faser seines Körpers zum Zerreißen gespannt, wartete Kid ohne jeglichen Funken Geduld darauf, dass sich die schwere Eisentür öffnen und damit seine Hölle beginnen würde. Dennoch zuckte er heftig zusammen, als die Tür wie von selbst aufschwang und schwaches Licht in den Raum fluten ließ, sodass er nach Stunden der Finsternis die Augen zusammenkeifen musste. Den Kopf zu drehen war ihm jedoch unmöglich, da sich die Fesseln bei jeder kleinsten Bewegung augenblicklich bedrohlich verengten und er schon jetzt an der Grenze zum Erträglichen war. Die Schritte verstummten im Türrahmen, sodass Kid die Augen so weit es ging verdrehte um zu sehen, wer dort stand. „Du bist ein so dummer Mensch, Eustass.“ Eiskalte Angst überschwemmte ihn, als Trafalgars Stimme einem Flüstern gleich an sein Ohr drang und er deutlich daraus ein Lächeln heraushören konnte. Er war ihm ausgeliefert, niemand würde Trafalgar aufhalten, wenn er Kid nun zu Tode foltern wollte. Und das war Kid selbst ebenso klar, wie es Trafalgar klar war. Der Lichtkegel im Raum verschob sich, ehe der Schwarzhaarige tatsächlich im Blickwinkel Kids erschien, vorerst nur, um den Kerzenleuchter abzustellen und mit dem Feuer weitere Kerzen im Raum zu erhellen, welche jedoch bei weitem nicht ausreichten, um die Dunkelheit zu töten. „Was hast du denn hier unten gesucht, Eustass? Den Tod? Dann hast du ihn wohl gefunden.“ Ein geradezu dämonisches Funkeln lag in den fast schwarz erscheinenden Augen Trafalgars, als er, das Gesicht halb im Schatten, zu seinem gefesselten Opfer auf den Tisch blickte. Kid jedoch gab keine Antwort, wollte den wenigen Atem nicht für Worte verschwenden und atmete so nur weiterhin rasselnd ein und aus. Und eben dieser Sachverhalt schien Trafalgar nicht zu gefallen, da er näher an den Tisch trat und dadurch die Farbe seiner Augen zurück gewann, als er mit einem Finger kurz das Band um Kids Hals berührte. Augenblicklich lockerte sich dieses, was Kid erleichtert nach Luft schnappen ließ und es ihm so auch ermöglichte seinem Gegenüber den Kopf zuzudrehen, um ihm geradeheraus ins Gesicht zu sehen. „Was ist mit den Herzen an der Wand?“, war seine erste Frage, was ihn selbst etwas verwunderte. Der Albtraum hingegen schien diese Frage nicht gut aufzunehmen, drehte sich von ihm weg und lehnte sich so gegen den Tisch. „Das soll nicht dein Problem sein.“ „Ich glaube es ist sehr wohl mein Problem, wenn mein eigenes Herz ebenfalls dort landen wird!“ Zorn verdrängte Angst und gab Kid einen Funken Hoffnung zurück, dass er doch noch lebend aus dieser Sache herauskommen könnte. Trafalgar schnaubte. „Du bist so dumm. So unwahrscheinlich dumm.“, murmelte er, was Kid wütend nach Luft schnappen ließ. „Du hast immer noch nicht begriffen, was ich dir gesagt habe.“ „Dass ich niemandem in der Stadt trauen darf?“ Zorniges Funkeln flackerte plötzlich in Trafalgars Augen auf, bevor er die Hände in den Tisch krallte und Kid ein schmerzhaftes Stöhnen entlockte, als sich sämtliche Fesseln von selbst tödlich eng um seine Gliedmaßen legten. Ein unkontrolliertes Zittern ergriff von ihm Besitz, als er dachte seine Gelenke müssten jeden Moment zersplittern oder wenigstens seine Kehle endgültig zerquetscht werden. Ein würgendes Husten hallte durch die Kammer, als die Bänder sich wieder lockerten. „Ich habe keine Geduld mehr!“, fauchte Trafalgar, welcher nun offenbar tatsächlich kurz davor stand, die Selbstbeherrschung zu verlieren. Was nur war plötzlich mit ihm los? „Selbst ein Schatzsucher sollte nicht so dumm sein, wie du dich anstellst! Warum glaubst du würde der Schatten dieses Haus nicht angreifen, hm? Weil ich darin wohne? Nein! Weil es MEIN Haus ist!“ Verständnislos starrte Kid seinem Peiniger entgegen, versucht sein abgehacktes Keuchen wieder in normaleren Atem übergehen zu lassen, was seiner schmerzenden Kehle jedoch nicht zu gefallen schien. „Was soll das heißen?“ Während Trafalgar sich bückte, um den Kerzenleuchter aufzuheben, welchen Kid vor einigen Stunden fallen gelassen hatte, spannte sich die Fessel um seinen Hals erneut derart heftig, dass ihm jegliche Fähigkeit genommen wurde auch nur in kleinster Weise Luft zu holen. Bunte Punkte begannen erneut vor seinen Augen zu tanzen und ihm langsam die Sicht zu nehmen, als er plötzlich Trafalgars eisiges Atmen an seinem Ohr ausmachen konnte. „Denk doch einfach mal scharf nach. Warum wohl bist du nicht aus der Stadt herausgekommen, hm? Warum lagst du plötzlich gefesselt in diesem Raum, warum stürzt der Wasserspeier sich auf Alice, kaum bekommt er die Möglichkeit dazu?“ Ein Zucken fuhr durch Kids Körper, der letzte verzweifelte Versuch seines Organismus nicht am Weiterleben gehindert zu werden. Sämtliche Gedanken rasten durch Kids Kopf, während sein Verstand verrückt spielte und er nichts als dieses unerträgliche Brennen in seinen Lungen wahrnehmen konnte. Gerade als sich die Punkte zu einem schwarzen Nebel zu verdichten versuchten, lockerten sich die Fesseln und Kid sog reflexartig die ersehnte Luft in seine Lungen. Dennoch konnte er nicht verhindern, dass ihm für einen Moment schwarz vor Augen wurde. „Hast du gehört was ich gesagt habe?“, fragte Trafalgar drohend und Kid hustete. „Ja.“, presste er heißer hervor, sodass Trafalgar sich wieder erhob und unruhig um den Tisch lief. „Dann hoffe ich du hast verstanden, was ich gesagt habe und es nicht nur gehört.“ Ein weiterer böser Blick landete kalt auf Kid, welcher schluckte um den plötzlich aufgekommenen Brechreiz zu unterdrücken. In seiner Lage währe das der sichere Erstickungstod, auf welchen er nach dieser qualvollen Prozedur nun freilich gerne verzichten konnte, weswegen er mit einem Krächzen antwortete. „Jeden meint dich, alle Albtraume, den Wahnsinn und die Stadt selbst.“ „Jede Straße, jedes Haus, jeder Gegenstand, alles hier will dich töten, egal ob lebendig oder nicht. Du bist hier in einem Albtraum gefangen, hier ist alles möglich, was deine Angst nur in der Lage ist sich vorzustellen!“, erläuterte Trafalgar ohne auf das Gesagte einzugehen. „Warum glaubst du denn befindet sich in diesem Haus kein einziges Kleidungsstück, du hast die Schränke doch alle durchsucht, kam es dir nicht komisch vor nirgendwo Kleidung zu finden?“, fuhr Trafalgar zischend fort und lief unruhig auf und ab. Seine einstige Leichtigkeit schien er vollständig verloren zu haben. Viel eher schien es Kid, als kämpfe er mit sich selbst. „Sie hätten dich erwürgt, wenn du sie berührt hättest! Alles hier will dein Blut aufsaugen, auch wenn nicht alles in der Lage ist dich zu töten. Die Stadt an sich wird dich jedoch niemals gehen lassen, sie wird dich so lange in ihren Fängen halten, bis auch dein Blut bis auf den letzten Tropfen vergossen ist!“ Mit einem schnellen Griff packte Trafalgar plötzlich das Schwert an der Wand, doch anders als Kid es in diesem Moment gefürchtet hatte bohrte sich die Klinge nicht in seinen Körper. Irritiert musterte er Trafalgar, welcher schwer atmend im Raum stand, die lange Seite des Schwerts mit den Händen flach gegen die eigene Brust gedrückt Zwar hatte Kid keinerlei Ahnung, was in den Albtraum gefahren war, doch spürte er schon instinktiv, dass ein kleiner Mucks ihn augenblicklich das Leben kosten konnte, machte er jetzt auf sich aufmerksam. Erst nach einigen Minuten lockerte sich die verspannte Haltung Trafalgars und er warf einen nun müden Blick auf seinen Foltertisch, wo sein Opfer noch immer hilflos lag. Das Schwert wurde zurück an die Wand gehängt, als wäre nie etwas passiert. „Du musst verstehen, dass dieses Haus zwar tatsächlich einmal das Haus war, in welchem ich zu meinen Lebzeiten gewohnt habe, doch gehört es erst wirklich mir, seitdem ich tot bin. Ich habe dieses Haus zu meinem Diener gemacht, es gehorcht mir. Deshalb würde der Schatten es nicht angreifen, es wäre, als würde er meinem Wachhund auf den Schwanz treten. Und schlafende Hunde weckt man nicht.“ Mit einem Mal wirkte Trafalgar um Jahre gealtert, was in Kid jedoch keinerlei Mitleid weckte. Dazu befand er sich definitiv in der falschen Situation. „Was suchst du im Theater?“ Trafalgar warf ihm einen Blick zu, bevor er sich wieder in der Folterkammer umsah, als wäre sie ihm vollkommen fremd, bis er mit den Augen bei den Herzen hängen blieb. „Ich habe versucht es zu ersetzten, aber es hat nicht geklappt. Ich war so verzweifelt deswegen, habe versucht die Stadt zu verlassen, doch ich musste erfolglos zurückkehren. Du bist der erste, welcher jemals so dumm war den Vertrag mit mir zu schließen und genau deshalb bist du der Schlauste von allen, die jemals hier waren.“ Verwirrung folgte wie so oft auf die augenscheinliche Erklärung, mit welcher Kid nichts anzufangen wusste. Für philosophisches Gerede war er ohnehin nie der Typ gewesen. „Und was heißt das?“, fragte er deshalb vorsichtig und darauf bedacht einen sanften Ton anzuschlagen um nicht gleich wieder das mörderische Leder um die Kehle zu bekommen. „Das bedeutet, dass ich dich nicht töten darf, auch wenn ich eben nichts lieber getan hätte und mir alles wehgetan hat, eben weil ich es nicht getan habe.“ Kid zuckte zusammen, als sich eine eiskalte Hand zwischen seine Schlüsselbeine legte und ihm eine Gänsehaut über den ganzen Körper jagte. Eine unangenehme Kälte breitete sich von der Stelle aus, an welcher sich ihre Haut berührte und Kid fröstelte, als ihm klar wurde, dass tatsächlich nur seine eigene Haut kalt, Trafalgars jedoch kein Stück wärmer wurde, wie es normal gewesen wäre. Dieser hingegen schien die Reaktion seines Gegenübers nicht wahr zu nehmen oder zumindest interessierte es ihn nicht. Die Augen geschlossen, den Kopf leicht gesenkt stand er neben dem Tisch und schien im äußerstem Maße konzentriert zu sein. Erst als die Kälte sich für Kid in einen fast schon stechenden Schmerz verwandelte, löste Trafalgar sich von ihm und steckte beide Hände in seine Manteltaschen. „Ich kann ganz deutlich deinen Puls fühlen, ganz deutlich deine Atmung, aber ich fühle keine Wärme. Selbst wenn ich mir das Fleisch bis auf den Knochen verbrenne, existiert für mich nur der Schmerz, ganz vollkommen ohne Hitze.“, richtete Trafalgar die Worte wohl eher an sich selbst, bevor er einen mittlerweile wieder normal typischen, spöttischen Blick in den blauen Augen aufzuweißen hatte. „Ich töte dich nicht, aber wenn ich die Wahl habe Schmerzen ertragen zu müssen und Schmerzen erteilen zu müssen, wähle ich immer egoistisch.“ Im nächsten Moment hatte Trafalgar sich schon über den Tisch gebeugt und Kid spürte Kälte auf seinen Lippen. Ungläubig riss er die Augen auf, als Trafalgar sich auch schon wieder erhob und sich nochmals gelangweilt im Zimmer umsah. Die Berührung war so flüchtig und leicht gewesen, dass Kid sich nun im Nachhinein nicht einmal sicher war, ob sie sich tatsächlich berührt hatten oder Trafalgar ihm schlichtweg nur die kalte Luft auf den Mund geatmet hatte. Auf jeden Fall bedurfte es einer Erklärung. „Was sollte das denn?“, fragte er deshalb etwas zu ruppig für einen Menschen in seiner Situation, woraufhin Trafalgar ihm nun wieder leicht bösartig entgegen lächelte. „Kennst du die Geschichten nicht, was passiert, wenn man von einem Dämon geküsst wird?“ Die Augen verengend beugte sich Trafalgar nochmals über den Gefesselten und bohrte den Blick seiner kalten toten Augen in die Goldenen Kids. „Man teilt in der Nacht die Träume des Dämons.“ Entsetzt starrte Kid dem Albtraum entgegen, welcher sich nun erhob und mit einem Fingerzeig die Kerzen im Raum löschte. Nun wütend riss Kid an seinen Fesseln, welche jetzt keinerlei Anstalten mehr machten ihn umzubringen. „Mach mich sofort los!“, forderte er zischend. Trafalgar jedoch griff mit einem Lachen nur nach seinem eigenen Kerzenleuchter und damit der letzten Lichtquelle im Raum. Die schwere Eisentür schwang erneut ohne jegliche erkennbare Anstrengung auf. „Ich befürchte es ist besser für dich, wenn ich dich daran hindere heute Nacht Selbstmord zu begehen. Gute Nacht und träum schön.“, säuselte Trafalgar mit einem bösen Unterton in der belustigten Stimme, bevor er die Tür hinter sich schloss und Kid in der Dunkelheit und gleichzeitig schlimmsten Nacht seines Lebens allein ließ. Alice - Kapitel 3 ----------------- Kapitel 3: Als Kid die Augen aufschlug, war die kleine Kammer bereits mit einigen Lichtern erhellt worden. Nichtsdestotrotz konnte er in diesem unterirdischen Loch nur mutmaßen, dass es nun wohl Morgen war und allein dieser Gedanke stimmte ihn ungemein ruhig. Müde blinzelte er einige Male, bevor er auch schon die Rückenfront Trafalgars am Fußende des Tisches ausmachen konnte, wo er lehnte, die Regale mit Herzen betrachtend. „Na, gut geschlafen?“ „Bastard!“, zischte Kid wütend und musste sich räuspern, als seine Stimme fast versagte. Natürlich wusste der Dämon ganz genau, was für eine Nacht er hinter sich hatte. Zwar konnte Kid nicht wirklich unterscheiden, was in dieser Nacht nun wirklich passiert und was er sich nur eingebildet hatte, doch seine lauten Schreie hatte Trafalgar mit Sicherheit vernommen. Allein zur eigenen Unterhaltung wegen. Irgendwann jedoch musste der Fluch oder Zauber oder was auch immer es gewesen war, nachgelassen haben, sodass er wohl doch einige Stunden vor Erschöpfung geschlafen hatte. Zumindest fühlte sich sein Kopf kein Stück erholt, sondern vielmehr vollkommen unbrauchbar an. Von Trafalgar kam keine Antwort, vielleicht war er zu sehr in Erinnerungen versunken, welche die Organe vor seiner Nase heraufbeschworen. Kid sollte es egal sein, hatte er eben doch auch bemerkt, dass die Fesseln sich nun endgültig gelöst hatten und er sich damit endlich von der ungemütlichen Tischplatte erheben konnte. Zu seinem Unmut musste er feststellen, dass seine Hand- und Fußgelenke ganz wund gescheuert waren, was sicherlich auch der albtraumhaften Nacht zu verdanken war. Jedoch bemerkte er ebenfalls, dass die ganzen kleinen Wunden von Trafalgars Besteck, welches ihn auf den Tisch gezerrt hatte, ordentlich versorgt worden waren. Prüfend strich er mit den Fingern über die weißen Verbände. „Warum hast du das getan?“, kam die unspezifische Frage, welche sich im weitesten Sinne auf alles der letzten Nacht beziehen konnte. Trafalgar jedoch schien noch immer nicht gewillt mit Kid zu sprechen, verharrte stattdessen noch einen Moment in seiner halb sitzenden Position, ehe er sich erhob und das Schwert an der Wand griff, um kurz andächtig darüber zu streichen. Der Blick, welchen er seinem Gegenüber dann zukommen ließ, war gefasst, jedoch weitestgehend ausdruckslos. „Steh auf. Wir gehen in den Salon.“ Von ganz allein schwang die schwere Tür auf und offenbarte den für Kid in der letzten Nacht so ersehnten Ausgang, was ihn nicht lange zögern ließ die Chance zu nutzen und den Keller auf schnellstem Wege zu verlassen. Sichtlich erleichtert betrat er den Salon und blinzelte dem hellen Sonnenlicht entgegen, welches ungehindert durch die großen Fenster fiel. Ausgiebig streckte Kid sich, um seine vollkommen verspannte Muskulatur etwas zu lockern und warf einen nebensächlichen Blick in den Himmel, welcher ihm verriet, dass es wohl schon nach Mittag war. Sich dann nach Trafalgar umsehend, welcher jedoch noch nicht nachgekommen war, fiel ihm ein kristallener Krug Wasser ins Auge, welcher seine Kehle wie auf Kommando brennen ließ. Ohne einen Gedanken an Gift zu verschwenden, stürzte er das ersehnte Nass hinunter und konnte nicht umhin einzusehen, dass das wirklich nötig gewesen war. Ein Rasseln wie von schweren Ketten ertönte, bevor Trafalgar dann doch den Salon betrat, einen kurzen Blick auf den Krug warf und sich in seinem üblichen Sessel niederließ, was Kid mit einem Setzten in den Sessel gegenüber beantwortete. Es war fast schon Routine sich in diesem Raum gegenüber zu sitzen. Das markante Schwert lehnte auf dem Boden stehend gegen Trafalgars Schulter. „Wenn wir heute dieses Haus verlassen, werden wir nicht wieder zurückkehren.“, begann er sogleich mit düsteren Worten, welche Kid jedoch nicht überraschten. Sein Gegenüber hatte einfach Recht, entweder sie würden heute sterben oder die Stadt verlassen. Eine weitere Option gab es nicht. Zumindest nicht in Kids Kopf, welcher weiter gar nicht denken wollte. „Daher solltest du alle deine Habseligkeiten einpacken. Was du hier vergisst, wird verloren sein. Ebenfalls empfehle ich dir nicht mehr mit dir herumzuschleppen, als du ohne Anstrengung tragen kannst.“ „Ich habe ohnehin kaum Gold in der Stadt gefunden.“ „Ich weiß, das meiste liegt oben im Glockenturm der Kathedrale.“ Ungläubig starrte Kid Trafalgar an, welcher jedoch nichts Besonderes an seinen Worten zu finden schien. Ein minimales Lächeln schlich sich auf seine Züge. „Was bist du denn so überrascht?“ „Warum hast du das denn nicht gesagt?“, folgte die fassungslose Gegenfrage, welche Kids Gegenüber jedoch nur weiter zu erheitern schien. „Du hast mich nie gefragt, so einfach ist das. Und ich habe dich schließlich noch nie angelogen.“ Kid grummelte nur vor sich hin. Es war sinnlos, Trafalgar hatte das alles vollkommen so eingefädelt, wie er es für richtig hielt. Denn Kid war sich vollkommen sicher, dass er den Schwarzhaarigen wohl nach dem One Piece gefragt hatte und dieser damals elegant ausgewichen war. Es war absolut sinnlos, selbst wenn Trafalgar noch nie gelogen hatte, so sagte er dennoch nur, was er wollte. „Wie dem auch sei. Selbst wenn du das Gold gefunden hättest, du hättest es nicht tragen können. Sei also froh, dass du nicht vor der Wahl stehst.“ „Die Wahl hast du mir ja schließlich schon angenommen.“ Trafalgars Blick würde versöhnlich und auch Kid hatte keine Lust weiter darüber zu streiten. Vielleicht hatte der Albtraum mit dem Zylinder Recht, vielleicht war seine Freiheit in diesem Fall tatsächlich mehr wert als das One Piece. Enttäuschung war deshalb trotzdem darüber vorhanden, sich nun von dem Schatz direkt vor seinen Augen abwenden zu müssen. „Was jetzt jedoch viel wichtiger ist, ist das Theater und dessen Monster.“, wechselte Trafalgar mit ernsterer Stimme das Thema. „Du musst verstehen, was wir eigentlich dort drinnen wollen. Denn es liegt keinesfalls in unseren Absichten das Monster zu töten. Dazu sind wir schlichtweg gar nicht in der Lage. Der Plan ist sich so kurz wie nur möglich dort drinnen aufzuhalten und so schnell wie nur möglich das Theater wieder zu verlassen. Einer Konfrontation werden wir nicht entgehen können, doch werden wir dabei schlichtweg nur versuchen zu überleben. Irgendwie und unter allen Umständen.“ „Also bin ich doch nur eine Ablenkung für den Albtraum, hm?“ Zum ersten Mal überhaupt schien Trafalgar überrascht und schüttelte rasch den Kopf. „Denk so etwas nicht! Du wirst dort drinnen eher Überlebenschancen haben als ich. Alles was ich will ist zurück zu bekommen, was mir gehört, selbst wenn ich dabei sterben sollte. Aber ich breche deshalb mein Wort nicht.“ Skeptisch musterte Kid Trafalgar, welcher jedoch mit festem Blick diese Geste erwiderte. Er log nicht. Was jedoch nicht hieß, dass Trafalgar nicht doch irgendetwas anders geplant hatte, als er es angekündigt hatte. Denn klar war der Plan bis jetzt immer noch nicht, weder was man eigentlich im Theater suchte, noch was dort wirklich lauerte. Doch eine genaue Antwort würde er ohnehin nicht bekommen, das war Kid klar. „Wie genau werden wir also vorgehen?“ Trafalgar kratze sich am Kopf und schien ernsthaft nachdenken zu müssen. „So genau kann ich das nicht sagen. Das hängt alles davon an, was wir im Theater vorfinden werden. Ich war seit über 100 Jahren nicht mehr dort, es hat sich mit Sicherheit viel dort verändert, auch wo das Objekt ist ist unklar. Vielleicht trägt er es bei sich, vielleicht hat er es versteckt. Keine Sorge, wenn du es siehst wirst du wissen, dass es das ist, was wir suchen. Auf jeden Fall werden wir zum Theater gehen, sobald du fertig bist und danach sofort die Stadt verlassen.“ „Ist nur die Spinne im Theater?“ „Mit Sicherheit nicht. Er hat schon immer unzählige Leute um sich geschart, es ist nur fraglich, wie viele davon noch am Leben sind und eine ernsthafte Gefahr darstellen. Wenn es dir nichts ausmacht, würde ich das Kleinvieh dir überlassen. Hast du eine Waffe oder brauchst du eine?“ „Nichts, mit dem ich einem Monster entgegentreten könnte.“ Trafalgar strich über die markant gemusterte Scheide seines Schwertes. „Was brauchst du? Ein Schwert, eine Schusswaffe, einen Bogen, eine Axt? Sag nur, was genau du willst, in dieser Stadt kann man alles bekommen.“ „Ich kann mit einem Schwert nicht umgehen und auch mit einem Bogen würde ich nichts treffen.“ „Kannst du schießen?“ Kid nickte. Trafalgar blickte aus dem Fenster. „Dann werde ich dir eine geeignete Waffe besorgen. Ich weiß schon in etwa, was ich suchen muss. Eine einfache Pistole reicht gegen einen Albtraum schließlich nicht aus.“ Der Schwarzhaarige erhob sich und rückte einen Zylinder zurecht, das lange Schwert in der linken Hand haltend. Es schien in gewisser Weise endgültig, als würde er sich nun zum letzten Mal aus diesem, seinem Sessel erheben. Und erst im zweiten Moment wurde Kid klar, dass es tatsächlich so war, konnte sich jedoch dem Gefühl nicht erwehren, dass es viel mehr bedeutete, als nur das. Als hätte dieser Moment eine noch viel weitreichendere Bedeutung, als Kid jetzt erahnen könnte. „Ich gehe und hole die Waffe. In einer Stunde bin ich zurück, dann gehen wir. Sei bitte bis dahin bereit.“, richtete Trafalgar nochmals das Wort an ihn, bevor er den Salon verließ und sich nach einem kurzen Abschiedswort die Eingangstür hinter ihm schloss. Die letzte Stunde schien wie im Flug zu vergehen. Von einer gewissen Unruhe gepackt durchstreifte Kid das Haus immer wieder, hielt sich dabei jedoch hauptsächlich im Salon auf und mied den Keller dagegen vollkommen. Er hatte keine Ahnung, was genau auf ihn zukommen würde. Zwar hatte er in seinem Leben schon mal gemordet und etliche kleinere Tiere getötet, war sogar mal von einem Bären angegriffen worden, doch ein Monster überstieg alle seine Dimensionen. Man hörte ja schließlich nur die Heldengeschichten und Märchen, welche die alten Frauen und Geschichtenerzähler, welche von Dorf zu Dorf wanderten, erzählten. Helden, Ritter oder Prinzen, welche sich Drachen, Hexen und Dämonen entgegenstellten und immer siegreich aus der Schlacht hervorgingen, in ihren Händen immer irgendein heiliges Schwert oder ein verzauberter Bogen. Geradezu leuchtende Worte mit dem Glanz von Ruhm und Ehre, welche die Helden zusammen mit einer schönen Jungfrau und einem ganzen Königreich erwartete. Doch die Realität sah anders aus. Diese Stadt hatte nichts von den märchenhaften Wäldern der Geschichten, keine glitzernde Edelsteinhöhle, in welcher der Feuerdrache sein Nest gebaut hatte, kein Kuchenhaus einer Kinder fressenden Hexe. Das hier war ein Albtraum, ganz so wie Trafalgar es gesagt hatte. Hier trat man mit keiner Gott gesegneten Lanze dem Drachen gegenüber, hatte kaum mehr als die bloße Hand. Hier erwartete einen keine Jungfrau und kein Königreich, sondern alles, was einem der Sieg bringen würde, war das nackte Überleben. Und es war keine Geschichte, niemand konnte einem das gute Ende garantieren, welches den schmutzigen Kindern den Mut gab, die gruseligen Geschichten bis ganz zu Ende zu hören. Und an der Seite eines Dämons einem noch größeren Dämon entgegentretend hatte Kid wenig Hoffnung auf ein sagenhaftes, heldenhaftes Ende für sich. So ernüchternd und hart es klingen mochte, gestand sich Kid selbst ein, dass er gerade dabei war mit seinem Leben abzuschließen. Grübelte, ob es nicht besser gewesen wäre sich nicht auf Trafalgar einzulassen, sondern selbst zu versuchen die Stadt zu verlassen. Womöglich wäre alles andere möglich gewesen, doch Jammern befand sich nach seiner Auffassung unter seiner Würde, weshalb er sich wappnete, heute und hier zu sterben. Er war weder den Katzen oder der Harpyie gewachsen gewesen, geschweige denn mit dem Schatten zu Rande bekommen, welcher sich seines Zeichens sich nicht einmal mit Trafalgar anlegte und ebenfalls nicht den Stadtteil der Spinne betrat. Was also sollte er in dem verfluchten Theater anfangen? Sich etwa doch nur in den Fäden verfangen und mit dem Zappeln und dem Geruch seines Blutes das Spinnentier anlocken? Zu was war er sonst gut? Immerhin hatte Trafalgar gesagt, dass er sich selbst um das Monster kümmern würde und Kid selbst mit seinem Gefolge Vorlieb nehmen sollte. War das nun beruhigender? Eine Millionen Spinnen schienen ihm nicht sonderlich schwächer als eine mannsgroße Spinne. Womöglich würde sich jedoch die Waffe, welche Trafalgar ihm bringen würde als hilfreich erweisen. Denn mit seinem verhältnismäßig kleinen Messer würde er ein Monster dieser Stadt bestenfalls kratzen können. Oder ging es dabei nun doch nicht anders zu, als bei Menschen? Ein sauberer Schnitt durch die Kehle und jeder noch so starke Mann sank hilflos in die Arme des Todes. Er selbst hatte es schon gesehen, die verabscheuungswürdige, rasche Handbewegung schon vollzogen, das heiße Blut auf der eigenen Haut gespürt. Würde das eine Katze töten? Mit Sicherheit. Würde das eine Harpyie töten? Vielleicht. Würde das den Schatten töten? Bestimmt nicht. Und die Spinne, vor der Trafalgar sich fürchtete, würde das Messer sicher lachend fressen. Worüber zerbrach er sich eigentlich den Kopf? Genervt fuhr Kid sich durch das rote Haar, sich zur Ruhe zwingend. Es war vollkommen unerheblich, was er sich nun in seinem Kopf zusammen spinnen würde, die Realität sähe wie immer in dieser Stadt ganz anders aus. Alles würde anders kommen und damit vielleicht sogar gut, schließlich konnte niemand wissen was in den 100 Jahren tatsächlich passiert war. Über sich selbst schnaufend erhoffte sich Kid das Bild eines gigantischen Skelettes inmitten der Spinnweben im Theater, das gewünschte Objekt in dessen leblosen Fingern. Sie wären in einer einzigen Minute wieder im Freien und weitere Minuten später aus der Stadt entkommen. Wunschdenken. Schöne Märchen. Als Trafalgar den Salon wieder betrat stand Kid, allem und dem Ende gewappnet, mitten im Raum, alle seine Sachen bei sich und bereit in den Tod zu ziehen. Sein Gegenüber schien das zum Schmunzeln zu bringen und damit in gewisser Weise fast schon zu beruhigen. Jedoch ließ Trafalgar sich von seiner Geschäftigkeit nicht abbringen und stellte sogleich eine beeindruckende Waffe in den Raum, welche er über der Schulter getragen hatte. Ungläubig musterte Kid das glänzende, mehrrohrige Ungetüm, welches sicherlich ein stolzes Gewicht hatte. Trafalgar tippe überflüssiger Weise auf eben diese Waffe, bevor er die Stimme erhob. „Das ist deine Waffe.“ Ein viel sagender Blick wurde zwischen Mensch und Monster getauscht, bevor Trafalgar das Schwert gegen seine Schulter lehnte und das Gewicht auf einen Fuß verlagerte. „Diese Stadt hat sich unglaublich verändert. Schon als noch Menschen hier gelebt haben und es immerhin fast 50 Jahre gedauert, bis keine mehr hier lebten. In dieser Zeit haben viele im Wahnsinn beeindruckende Erfindungen und Schöpfungen begangen und eine solche steht vor dir.“ Trafalgar verlagerte das Gewicht auf den anderen Fuß. „Diese Waffe ist simpler, als sie aussieht. Eine Pistole mit der Durchschlagskraft einer Kanonenkugel. Relativ leicht und ebenso einfach zu bedienen wie eine handelsübliche Handfeuerwaffe. Du solltest keinerlei Probleme mit ihr haben.“ Erneut wurde das Standbein gewechselt. „Munition ist erstaunlicher Weise mehr als genug in der Waffe vorhanden. Versuch sie trotzdem nicht zu verschwenden, sonst stehst du hilflos da. Die Munition kann so ziemlich alles nicht lebendige Material zerstören. Außerdem sollten die meisten Albträume davon erheblichen Schaden davontragen. Ab einer Größe von Harpyien würde ich allerdings immer noch einen zweiten Blick riskieren, um den Tod meines Feindes festzustellen.“ „Haben Albträume eine bestimmte Schwachstelle?“, fragte Kid, welcher von dem Rumgezappel seines Gegenübers nervös wurde. Trafalgar zuckte mit den Schultern. „Nichts Allgemeines. Ich würde jedoch immer versuchen den Kopf zu treffen oder vom Körper zu trennen, das hilft bei den meisten.“ „Und bei denen, bei denen es nicht wirkt?“ „Diese Sorte werde ohnehin ich mir vornehmen, hab davor also keine Angst.“ Zweifelnd starrte Kid Trafalgar an welcher jedoch im Übrigen nicht nervöser schien, als vor einem mittel spannenden Tagesausflug. In seinem Kopf geisterten die Worte, dass die Spinne nicht von ihnen getötet werden würde und er fragte sich unwillkürlich, ob man sie denn überhaupt töten könne. Und was passieren würde, wenn sie sich in ihrem Netz verfangen und nicht wieder entkommen könnten. „Nun. Bist du dann fertig?“, riss Trafalgar Kid aus seinen Gedanken. Er hatte sich schon halb zum Gehen gewandt und musterte den unschlüssigen Schatzsucher eindringlich. „Oder hast du noch eine Frage? Wenn ja, dann stell sie jetzt. Du wirst nie wieder sonst eine Gelegenheit dazu haben.“ Unsicher musterte Kid die Waffe, streifte das kühle Metall mit den Fingern, ehe er es an sich nahm. Und entschied darüber nichts wissen zu wollen. „Nein. Gehen wir.“ So musste es sich anfühlen, wenn man auf dem Weg zum Schafott war, dachte Kid, als sie von neuem durch die Straßen zogen. Überraschender Weise jedoch schienen die Katzen die kriegerische Stimmung wohl gerochen zu haben, denn kein einziges Katzenhaar war auf den Straßen zu erblicken. Im erneuten Regengrau schien die Stadt unglaublich düster zu sein. Das Pflaster schimmerte hier und da vom feinen Nieselregen hell und fast schien es Kid, als würde die ein oder andere Pfütze bereits gleich seinem Blut rot leuchten. Vollkommen leergefegt lagen die Straßen dar, nicht einmal ein Lüftchen störte den steten Fall des Regens. So hätte man fast annehmen können, dass die Stadt den Atem angehalten hatte, wenn Kid nicht mit einem nun deutlich mulmigeren Gefühl bemerkt hätte, dass nur sein Atem fast weiß vor seinem Gesicht hing. Und Trafalgar scheinbar nicht zu atmen schien. Nichts hatte diese Tatsache Kid so deutlich ins Gedächtnis gebrannt, dass sein einziger Verbündeter in dieser Schlacht ein toter Mann war. Selbst die kalte Haut war weniger schockierend gewesen als der fehlende Atem. Ob sein Gegenüber wohl einen Herzschlag hatte? Sicherlich nicht. Doch Gefühle schien er dennoch zu hegen. Wut vor allen Dingen, welche er hinter Haltung und Kühle verbarg. Doch was mochte einen Toten wütend zu stimmen? Niemand sollte doch in der Lage sein den Tod zu erzürnen, war der Zorn also aus sich heraus gewachsen? Aus anderen Gefühlen, Enttäuschung, Verzweiflung, Sehnsucht? Was konnte ein Toter außerhalb dieser Tore nur so hartnäckig suchen? Die kalte Waffe drückte mit ihrem Gewicht hart auf Kids Schulter, doch es beruhigte ihn eher, als dass es ihn störte. Er hätte wohl sonst kein Vertrauen in eine Waffe fassen können, welche nicht einmal in der Lage war etwas Kraft und Ausdauer zu fordern. Denn er bezweifelte, dass ein einfacher Schuss, ein einfacher Schnitt, überhaupt Schmerz bei den vom Tod Geküssten hinterließ. Wie sollte es sonst sein, dass diese Wesen keine unerträglichen Schmerzen litten, nicht litten in dieser Stadt und ihrer Schwebe zwischen Leben und Tod. Fühlte Trafalgar Schmerz? „Er wird wissen, dass wir da sind. Das Theater hat eine Vorhalle, welche wir wohl noch relativ gefahrlos betreten werden können. Dahinter liegt dann der eigentliche Theatersaal und die Hölle dieser Stadt.“, ergriff der Albtraum das Wort, als der erste Faden im trüben Nachmittagslicht aufglänzte. Mit jedem Schritt schien das große Theater bedrohlicher zu wirken. „Nicht, dass wir uns verbrennen.“, erwiderte Kid versucht scherzhaft, was von Trafalgar jedoch komplett übergangen wurde. „Wir werden uns mit Sicherheit verbrennen, da solltest du keine Hoffnungen hegen.“ Missmutig wurden erneut nur die dichter werdenden Fädenreihen betrachtet, bis ihre Schritte synchron stoppten. Exakt an der Stelle, an welcher sie schon gestern keinen weiteren Schritt mehr gewagt hatten. Nun jedoch war es keine Furch in den Augen Trafalgars, welche das Theater traf. Zorn leuchtete nun dem großen Gebäude entgegen, ebenso wie Mordlust und ein unscheinbarer, wahnsinniger Glanz. Mit einem scharfen Geräusch wurde die lange Klinge des Schwertes aus der Scheide gezogen, welche achtlos fallen gelassen wurde. Mit einem mächtigen Hieb des langen Schwertes zersprang der erste Fadenknoten. Und wie als Antwort darauf, spannten sich alle bis eben lasch hängende Fäden mit einem gewaltigen Ruck bis zum Zerreißen, gar ganze Dachvorsprünge glatt durch trennend und laut krachend zu Boden schleudernd. Eine unmissverständliche und sofort beantwortete Kriegserklärung. „Na, jetzt wird er auf jeden Fall wissen, dass wir da sind.“, war Kids säuerlicher Kommentar zu Trafalgars kleiner Machtdemonstration, welcher jedoch keine Antwort fand. Viel zu versessen schien der Albtraum nun in das Theater zu gelangen und Blut zu schmecken. Und Kid war sich nicht so ganz sicher, ob das nicht ihr eigenes Blut sein würde. „Berühr die Fäden nicht, du kannst sie nicht zerreißen. Sie sind hart wie Stahl.“ Grummelnd setzte Kid seinen Weg fort, Trafalgar folgend, welcher an sich keinerlei Probleme zu haben schien auch mit weiteren stahlharten Fäden, welche ihren Weg kreuzten, kurzen Prozess zu machen. Hier und jetzt gab es nun kein Zurück mehr und die Unruhe in Kid wuchs nur weiter, endlich zu wissen, mit was genau er es zu tun bekommen würde. Das Tor des Theaters stand offen, gleich dem Schlund einer gigantischen Bestie. Hunderte Fäden kamen aus der Dunkelheit und führten ebenso zurück in die Dunkelheit, welche schon jetzt mit rot glühenden Augen auf Blut zu warten schien. „Bereit?“, fragte Trafalgar furchtlos, als sie in die kalte Düsternis starrten. „Bereit.“ Ein Lachen durchbrach plötzlich die Stille, ein gewaltiges, sonderbares Lachen. Mit der Stimme eines Mannes doch wohl keines Menschen lachte die Spinne sie aus, noch bevor sie ihr Nest überhaupt betreten hatten. Sämtliche Haare stellten Kid sich auf, als ein kalter Luftzug durch das Tor nach draußen wehte und sie mit eisigem Gruß willkommen hieß. Irgendetwas schien sich den Geräuschen nach im Inneren des Theaters bewegt zu haben, auch die Fäden ordneten sich neu an, wurden teilweise nach innen gezogen, teilweise nach außen und schnitten in den prunkvollen Türrahmen. Trafalgar hatte nur einen herablassenden Blick für Kids alarmierte Reaktion übrig. „Du solltest eines nie vergessen. Wir betreten jetzt ein Theater, also lern zu unterscheiden was Fantasie und Wirklichkeit ist.“ Ohne die geringste Spur beeindruckt zu sein, setzte er seinen Weg fort und Kid setzte ihm rasch nach, bevor er von der Dunkelheit verschluckt wurde. Das Vorzimmer schien, ganz wie Trafalgar es beschrieben hatte, friedlich zu sein. Nachdem sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, konnte Kid die aufwendige Gestaltung des großen Raumes näher in Augenschein nehmen. Sämtliches war von der Spinne jedoch bereits gezeichnet und von ihr seiner Schönheit beraubt worden. Vorhänge, Wände, Türen, Tische, Stühle, Bilder, Lampen. Alles war von den scharfen Fäden umspannt und teilweise davon zerteilt worden, sodass der Raum einen surreal zerstörten Eindruck machte, ganz so, als würde selbst der Boden bei kleinster Erschütterung zusammenbrechen. Zu Kids Erleichterung jedoch hielt der mit vielen teuren Teppichen ausgelegte Boden seinem und Trafalgars Gewicht stand, wobei Kid jedoch nicht nur herumliegenden Möbelstücken, sondern vor allem etlichen Knochenhaufen ausweichen musste. Offenbar als Speisezimmer oder zumindest Mülleimer verwendet worden stank die ganze Luft nach Blut und verwestem Fleisch. Aus hunderten leeren Augenhöhlen folgte der Blick vergangener Abenteurer den zwei Neuen, welche ihr Glück gegen den Fluch der Spinne zu wiegen gedachten. Todesmutig steuerte Trafalgar sogleich den ihm bekannten Weg an und erreichte die größte, beeindruckendste Doppeltür, durch deren Türspalt alle Fäden ihren Ursprung fanden und welche er ohne zu zögern aufstieß. Bevor Kid wirklich registrierte was geschah, stürzte eine Bestie, ähnlich einer gewaltigen, geflügelten Frau mit scharfen Fangzähnen aus der Tür und zerfiel nach einer kaum wahrnehmbaren Bewegung Trafalgars zu einem kleinen Berg Schnee zu Kids Füßen. Ungläubig starrte er die wohl einstige Winterharpyie an und musste hart schlucken, versucht sich nicht vorzustellen, dass sie unter die schwächsten Gegner im Theatersaal fiel. Trafalgar jedoch hatte sich nicht an dem plötzlichen Angriff gestört, war offenbar kein Stück überrascht und hatte bereits den Raum betreten. All seinen Mut zusammennehmend folgte Kid ihm. Der Raum dahinter glich tatsächlich dem Nest einer Spinne. Alles schien von den scharfen Fäden umsponnen zu sein und war damit kaum noch als einstiger Aufführungssaal zu erkennen. Äußerst prunkvoll mochte dieser einst gewesen sein, zeugten hunderte und aber hunderte rote Sitzreihen noch heute von den vielen Zuschauern der Stücke, welche auf der ausladenden Bühne vorgetragen worden waren. Wie üblich war das Theater abgesenkt, wurde um jede Sitzreihe tiefer und wies goldene Lampen an den Wänden auf, sowie einen gigantischen, kristallenen Kronleuchter in der Mitte des Saales, zwischen den Emporen und vor der Bühne. Dunkelrote Vorhänge rahmten selbst heute noch kunstvoll drapiert die hölzerne Bühne ein, welche sogleich jeglichen Blick im Raum auf sich zog. Doch dies war einmal, selbst wenn sie heute noch immer sogleich den Blick des Betrachters fing. Nur heute aus weitaus grausigeren Gründen. Kid glaube nun tatsächlich in einem Albtraum zu erwachen. Nicht nur, dass in den Fäden zwischen den Emporen, Wänden und dem Kronleuchter tote Menschen gleich Puppen hingen, so führten alle blutroten Fäden auf die Bühne, auf welcher das Monster des Theaters hockte und ihnen mordlüstern entgegen starrte. Fast wäre Kid dem Irrglauben erlägen es könnte doch ein Mensch sein, was dort saß. Doch viel eher war es eine Puppe, welche auf dem ausladenden, blutgetränkten Thron auf der Bühne saß. Wie eine Maske, hatte das Monster nichts in dem leeren Gesicht außer diesem Angst einflößenden Grinsen, welches sich über sein gesamtes Gesicht zog und dieser dunklen, bizarren Brille an der Stelle, an der Augen hätten sein sollen. Und Kid sofort klar war, dass dort keine Augen waren. Gekleidet in einen Smoking in einem Ekel erregenden Fliederton, saß er steif und unbeweglich auf der Sitzgelegenheit, nur den Kopf in geradezu beängstigend unnatürlichen Winkel ihnen zugewandt. Selbst das blonde Haar schien so unbeweglich wie aus Holz geschnitzt. Wie hypnotisiert starrte Trafalgar das Monster des Theaters an, unaufhaltsam Stufe um Stufe nehmend, als würde er in die Hölle selbst hinabsteigen. Seine Worte schienen noch jetzt in Kids Kopf wieder zu hallen, nur das Objekt zu finden und das Theater so schnell wie möglich zu verlassen. Auf jede kleinste, fehlende Bewegung der Spinne achtend, folgte er Trafalgar, bevor er heftig zusammenzuckte, als das Grinsen der Puppe noch eine Spur größer wurde. „Wie schön, dass du mich auch mal wieder besuchen kommst, Law.“ Plötzlich zuckte einer der Fäden quer durch den Raum, wie ein gespanntes, durchtrenntes Gummiband, schlug zu Kids Füßen in den Boden und ließ ihn erschrocken zurückstolpern. Trafalgar hingegen, welcher an eben jener Stelle noch gestanden hatte, war mit einem Sprung ausgewichen und Kid konnte nur hilflos mit ansehen, wie der Faden tatsächlich in der Lage war den kompletten Boden zu spalten. Der schwarzhaarige Dämon knurrte wie ein wütender Hund. „Es wird das letzte Mal sein.“ Die Spinne lachte und Funken erhellten die Düsternis im Saal, welcher nur von den paar Lampen an den Wänden erhellt wurde, als Trafalgars bis jetzt unbesiegbare Klinge auf die Fäden des Teufels traf. Denn diese Fäden konnte Trafalgar nicht zerschneiden. Sich mit einem Satz von dem Fadenkreuz wieder lösend schien er jedoch andere Dinge im Kopf zu haben, als seine Stimme Kid aus der Starre löste. „Weg da!“ Keinen Wimpernschlag später schnalzte erneut eine der Fadenschneiden durch den Raum und hätte Kid mit einem Schlag sicherlich sofort getötet, wenn er nicht von dem Ruf aufgeschreckt blind einen Schritt getan hätte. „Hübsches Spielzeug hast du da, Law. Er wird sich sicherlich wunderbar in meiner Sammlung machen, so schönes Haar sieht man selten.“ Ein eiskalter Schauer huschte Kid über dem Rücken, der natürlich begriff, dass über ihn geredet wurde, jedoch nicht mehr tun konnte, als Trafalgar in seinem einseitigen Kampf zu beobachten. Denn, und das wurde ihm erst jetzt klar, versuchte Trafalgar die Spinne schlicht von Kid abzulenken, da er ein leichtes Opfer wäre und keinerlei Chance hätte sich auch nur ansatzweise zu verteidigen, sollte die Aufmerksamkeit der Spinne auf ihn fallen. Wieder sprühten Funken auf, noch immer hatte die Spinne sich nicht einen Millimeter bewegt um Trafalgar in Schach zu halten. „Nicht wird, sondern würde!“, korrigierte der Schwarzhaarige aufgebracht und holte erneut mit blitzendem Schwert aus, scheiterte jedoch wieder an den blutroten Fäden. Bevor Trafalgar reagieren konnte, bewegte sich die Spinne zu Kids Entsetzen allerdings und griff in die Fäden, zog daran und veränderte damit mit einem Zug ihre gesamte Lage im Raum. Trafalgar konnte zwar die plötzlich auf ihn zurasenden Fäden parieren, welche ihm sicherlich sonst das Fleisch zerschnitten hätten, landete jedoch mit einem lauten Krachen in der gegenüberliegenden Wand, welche halb einstürzte. Und das war der Punkt, an dem Kid das erste Mal froh war, dass sein Verbündeter bereits tot und ein Dämon war. Viel Zeit darüber nachzudenken hatte er jedoch nicht, als ihm mit einem Schlag klar wurde, dass die vermeidlichen Augen hinter der dunklen Brille der Spinne nicht auf Trafalgar, sondern auf Kid selbst ruhten. Seine süßliche Stimme klang wie Gift. „Nicht würde, sondern ist.“ Ein Schreckenslaut entfloh Kids Kehle, als ihn plötzlich etwas im Rücken berührte und einen halben Meter nach vorne springen ließ. Mit einem Blick über die Schulter musste er feststellen, dass die bis eben leblosen Menschen nun gleich Marionetten von der Decke zu ihm heruntergekommen waren. Die schneeweißen, blutleeren Finger gleich Porzellan nach ihm ausgestreckt, blickten die gläsernen Augen doch an ihm vorbei und gaben Kid damit das Gefühl einem nicht greifbaren Gegner vor sich zu haben. Denn so war es ja auch, diese Menschen waren nur Werkzeuge, der eigentliche Feind saß noch immer auf der Bühne. Und würde dort hoffentlich auch sitzen bleiben. Nun geistesgegenwärtig und sich an den Schock gewöhnt, festigte sich Kids Griff um die Waffe, ehe er gekonnt einen Schuss abfeuerte und die Puppe ab dem Brustkorb aufwärts auseinander riss. Die enorme Durchschlagskraft erstaunte ihn ebenso wie der zu erwarten gewesene Rückstoß, doch sollte dieser ihm jetzt wo er ihn genau kannte, ebenfalls keine Probleme machen. In rascher Folge wurden noch einige weitere, der nähsten Puppen vernichtet, welche bereits ihre toten Finger nach ihm ausgestreckt hatten. Ihr blutiges Fleisch verteilte sich auf widerwärtige Weise auf dem ganzen Boden. Im Hintergrund hörte er erneut das harte Aufeinandertreffen von Trafalgars Klinge und den Fäden, wagte jedoch nicht den Blick von den Monstern vor sich zu lösen. Überraschender Weise erwiesen diese sich nämlich als recht flink, wenn sie wollten und forderten all seine Aufmerksamkeit. Dennoch versuchte Kid nicht den eigentlichen Auftrag zu vergessen und betrachtete seine Feinde immer wieder eindringlich, um eventuell einen sonderbaren Gegenstand an ihnen zu finden und den Spuk damit beenden zu können. Der Gegenstand, was auch immer er darstellen sollte, war für Kid jedoch nicht ersichtlich, welcher nur knapp den überraschend scharfen Zähnen einer Puppe ausweichen konnte, um sie gleich darauf zu töten. Schon seit sie den Saal betreten hatten, ließ Aufregung sein Herz rasen und seinen Atem schneller gehen. Ein erneutes lautes Krachen erweckte in ihm Furcht, Trafalgar könnte eventuell doch von der Spinne getötet werden und ihn damit vollkommen allein lassen. Ein rascher Blick über die Schulter schien diese Theorie zu bestätigen, als er erneut mit ansehen musste, wie der besagte Albtraum sich aus neuen Trümmern erhob. Blut, rot wie das eines Menschen, zierte seine helle Haut und es wäre Kid lieber gewesen zu wissen, dass es das Blut der Spinne wäre. Jedoch schien der Wille Trafalgars keineswegs gebrochen, viel eher angestachelt alles zu geben die Spinne zu verletzten und so viel Schmerz zuzufügen wie er nur konnte. Doch in diesem Moment weiteten sich die wütend funkelnden Augen Trafalgars, zeigten nun Entsetzten wie Kid selbst es fühlte, als die Spinne sich nun tatsächlich regte, gar auf die eigenen Füße stellte. Für einen Moment vergas Kid sogar nach den Gegnern in seinem Rücken zu sehen, starr vor Schreck konnte er nur zusehen, wie die Puppe sich veränderte, Arme und Beine plötzlich immer länger wurden und das Monster das Maul aufriss, etliche lange Fangzähne entblößte. Wie der Baummann aus den Märchen erhob sich die Spinne bis an die Decke, die lange Zunge zu Boden hängend und nun eindeutig lachend. Kid konnte nicht ausweichen, als sich die Spinne zu ihm herunter beugte und blitzschnell etliche spitze Fäden auf ihn zuschossen, heraus aus dem meterlangen Arm des Monsters. Und eben diese Fäden hätten Kid auch mit Sicherheit durchbohrt und getötet, ihn zu einer Puppe gemacht, wie sie zu hunderten von der Decke hingen, wenn Trafalgar nicht reagiert hätte. Unfähig alle Fäden mit dem Schwert zu parieren oder auch nur einen zu zerschneiden blieb ihm keine andere Wahl als Kid schlichtweg unsanft aus dem Weg zu stoßen und selbst Opfer der Fäden zu werden. Dennoch streiften Kid einige der Drähte und glitten so mühelos durch das Fleisch seines Armes, als wäre es warme Butter. Scharf die Luft einziehend stolperte er zu Boden, hatte jedoch nur Augen für den Albtraum, welcher nun an seiner Stelle stand. Kid konnte nicht fassen, dass Trafalgar noch lebte. Durchbohrt von ein paar dutzend nadelgleicher Fäden, welche sich durch seine Arme, Beine, Torso, gar Kopf geschnitten hatten, schien er im ersten Moment kaum fähig ohne dieses Gitter überhaupt selbstständig zu stellen. Ein schmerzerfüllter Aufschrei zeugte von der verursachten Qual, während ihm um ein Haar das Schwert aus der durchbohrten Hand gerutscht wäre. Blut breitete sich mit rasender Geschwindigkeit unter ihm aus, was die Spinne jedoch nur wieder lachen ließ. „Wie unsinnig, ich habe ihn trotzdem getroffen.“ Unfähig sich dagegen zu wehren wurde der Albtraum erneut gegen eine Wand geschleudert, wo er für Kid endlose Sekunden tatsächlich reglos liegen blieb. Die nun von Blut glänzenden und tropfenden Fäden richteten sich erneut gegen Kid. Jedoch lag das Interesse der Spinne nun fürs erste noch auf Trafalgar, nach dem sich nun auch noch eine der leblosen Puppen allen Ernstes wagte die Hand auszustrecken. Kids Schuss zerfetzte der Puppe Arm und Schulter und holte damit die Aufmerksamkeit der Spinne zu sich zurück, welche ihn vielleicht überrascht, vielleicht wütend, vielleicht amüsiert ansah, dass er es wagte sich gegen sie zu erheben. Erneut überschwemmte das giftig süße Lachen den Raum. „Bei so einem schwachen Verbündeten war es wahrscheinlich genau die richtige Entscheidung mit so etwas zu rechnen. Es ist nur fraglich, Law, ob dein und mein Gift sich in der Waage halten werden oder ob eines davon ihn doch noch umbringt.“ Die lange, glitschige Zunge glitt amüsiert über die Fäden, von denen Kid erst jetzt begriff, dass sie wohl vergiftet waren. Eine Bewegung aus Richtung Trafalgar ließ ihn für einen Moment abgelenkt werden, bevor ihm dies teuer zu stehen kam. Nun doch bohrten sich Fäden durch seine Schultern und Arme. Vor Schmerz aufstöhnend ließ Kid die silberne Waffe fallen, welche mit einem lauten Geräusch zu Boden fiel und über die Treppe hinweg in unerreichbare Weite rollte. Sich versuchend selbst aus den Fängen des Monsters zu befreien, schnitten ihm die Fäden nur tiefer ins Fleisch, ihm einen gequälten Laut entlockend. Es war unmöglich, wenn er sich versuchen würde loszureißen, würden ihm die Fäden die Arme und Schultern zerfetzten und er war genauso gut tot. Er war besiegt, wie ihm plötzlich voller Angst klar wurde. Panisch glitt sein Blick zurück zu Trafalgar, welcher nun, wenn auch recht windschief, wieder auf den eigenen Füßen stand, das eigene Blut nun von dem langen Schwert und den Fingern tropfend. Deutlich erkannte Kid das Zittern, welches den Albtraum ergriffen hatte und von der unendlichen Anstrengung zeugte weiter zu kämpfen und den Schmerz seines zerrissenen Fleisches zu ertragen. Sein Blick wirkte halb abwesend und Kid glaubte keine Sekunde daran, dass Trafalgar auch nur noch einmal in der Lage sein würde das Schwert zu erheben. Eben dieser Meinung schien auch die Spinne zu sein, welche fast schon triezend nach den Fäden griff, die Kid hielten und ihn, daran ziehend, zum Schreien brachte. Ein schwaches Knurren kam aus Trafalgars Richtung. Die Spinne kicherte. „Komm schon Law, hör auf zu spielen. Hast du so sehr Angst davor den Verstand zu verlieren wie damals? Ah, oder hast du Angst den kleinen Rothaarigen zu töten?“ Wieder knurrte Trafalgar, tat einen Schritt, schwankte. „Sei dir dessen bewusst, wenn du ihn nicht tötest, töte ich ihn.“ Der Dämon beugte sich zu Kid hinunter, die Zähne gebleckt und hauchte ihm den eisigen Atmen ins Gesicht, der ihn schwindeln ließ. Die Fäden verzogen sich etwas, als er höher gehoben wurde und entsetzt nach Luft schnappte, als das Monster allen Ernstes die lange Zunge über ihn fahren ließ, seine Kleider mit dem Speichel durchtränkend. „Schmeckt gar nicht so schlecht.“ Kid glaubte sein letztes Stündlein hätte geschlagen, als sein Gegenüber das Maul weit aufriss und den Eindruck vermittelte, er wollte ihn hier und jetzt fressen. Jedoch wurde die Spinne von einem lauten, unmenschlichen Kreischen abgelenkt, schloss das Maul wieder und drehte den Kopf, bevor er Kid einfach so los ließ und sich die Fäden aus seinem Körper zogen. Mit einem unsanften Aufprall landete Kid zwischen den Sitzreihen und konnte ein schmerzliches Aufstöhnen nicht verhindern, welches von dem Brennen in Schulter und Armen ausging. Zumindest hatte er Glück gehabt nicht mit dem Kopf auf den harten Boden gefallen, sondern relativ glimpflich auf den Polstern aufgekommen zu sein. Rasch rappelte er sich wieder auf, sich nach seiner Waffe umsehend, doch wurde er von dem Spektakel vor sich abgelenkt. Und das ließ ihn vollkommen vergessen, wonach er eben noch gesucht hatte. Es war kaum zu glauben, dass dies Trafalgar sein sollte, was der Spinne nun fast auf Augenhöhe gegenüberstand. Lang und fast ebenso schmal wie die Spinne selbst, erhob sich ein Schatten von beängstigender Gestalt. Gehüllt in einen schwarzen Kapuzenumhang, waren nur mehr die rot leuchtenden Augen auszumachen, während in den knochigen, schwarzen Händen eine gigantische, doppelt gekreuzte Sense lag, das Blatt blutrot und schimmernd. Ein langer Schnabel ragte unter der Kapuze hervor, erinnerte ihn an die Masken der Ärzte, welche vor der Pest flohen. Unwillkürlich musste Kid an die Begegnung mit der Winterharpyie in der Stadt denken, als Trafalgar ihn angewiesen hatte nicht hinzusehen und die hohe Stimme den Albraum verhöhnt hatte, nun doch sein hässliches, wahres Gesicht zu zeigen. Ein erneutes lautes Kreischen ließ die Gestallt ertönen, was Kid dazu trieb sich die Hände auf die Ohren zu schlagen. Die Gestallt, welche man wohl gemeinhin als Sensenmann betitelt hätte, holte weit aus, ehe sie mit einem roten Aufblitzen der Klinge zuschlug. Zwar versuchte die Spinne dem Hieb auszuweichen, doch die vielen Fäden wurden von der Sense durchtrennt wie Seidenstoff, bevor sich das Metall quer in den Oberkörper der Spinne grub. Schwarzes Blut fiel zu Boden, doch das Monster schien keinen Schmerz zu fühlen, lachte stattdessen nur hämisch. Mit einem gewaltigen Krachen wurden die Sitzreihen zertrümmert, als die Spinne einige Schritte zurück machte, sich mit der Zunge über die Zähne fuhr. Noch immer tropfte ihr Blut zu Boden, schwarz wie die Nacht, schwarz wie Pech, doch es schien sie nicht zu stören. Wieder lachte sie und wich weiter zurück, griff nach der scharfen Sense, welche sie erneut zu zerschneiden gedachte und rammte die Klinge neben sich in die Sitzreihen. Wütend, seine Waffe im Boden stecken zu sehen, kreischte das Monster in Gestallt des Sensenmannes von neuem, bevor der Blick der roten Augen, ganz so, als wäre es schon seit ewigen Zeiten der Spinne Plan gewesen, an der Waffe vorbei glitt und auf Kid fiel. Kid hatte einen Vertrag mit Trafalgar geschlossen, einen, welcher entweder erfüllt oder ihr beider Tod werden würde. Einen Vertrag, in welchem er sich verpflichtet hatte dem Albtraum zu helfen, im Gegenzug dieser auch ihm half. Ein Vertrag, das sie sich gegenseitig nicht töteten. Er hatte diesen Vertrag vor zwei Tagen mit Trafalgar geschlossen. Doch dieses Wesen, in dessen rote Augen er nun starrte, war nicht mehr Trafalgar. Und Kid glaubte nicht, dass er überhaupt einen Unterschied zwischen ihm und der Spinne machte, sondern schlichtweg alles töten würde, was ihm ins Auge fiel. Eben dies schien auch die Spinne zu denken, welche erneut kicherte, sich aus dem Blickfeld des Monsters zurückzog und mit einem abnormen Grinsen beobachtete, wie die scharfe Klinge aus dem Boden gezogen wurde, die roten Augen noch immer auf Kid gerichtet. Er konnte nicht wegsehen, war gefesselt, wie erstarrt. Und er musste sich eingestehen, dass er vor diesem Wesen, vor diesem Sensenmann mit der Schnabelmaske mehr Angst hatte, als vor der Spinne. Und dass er nicht fähig wäre auch nur eine Hand zu erheben, würde das Wesen sich nun entscheiden ihn zu töten. Quälend langsam hob das Wesen die Sense und drückte sich diese, zu Kids Erstaunen, selbst in die Hand. Ein dünnes Rinnsaal Blut tropfte zu Boden, noch immer füllte das scharfe Luftholen des Monsters die Stille, ehe Kid glaube, das Monster schrumpfen zu sehen. Und tatsächlich tat es das, wurde stetig kleiner und veränderte sich, bis er Trafalgar wieder als solchen erkannte, das Schwert in der Hand, sich ins eigene Fleisch drückend. Noch immer lagen die nun wieder dunklen, blauen Augen auf Kid. Der Albtraum schien um Fassung zu ringen. Die Spinne jedoch nutze den Moment der Unachtsamkeit gnadenlos aus. Die scharfen Zähne gebleckt schien auch sie nun nicht mehr spielen zu wollen und stürzte sich auf den kleineren Albtraum. Jedoch bekam sie nur die Stühle der Sitzreihen mit ihren Zähnen zu fassen, da Trafalgar sich doch noch besann und mit einem raschen Sprung auswich. Laut fauchend wurden die Sitzmöbel wieder zu Boden gespuckt, ehe sich der Blick der dunklen Brille auf die beiden Eindringlinge richtete, welche erneut auf der nun relativ zerstörten Treppe standen. Die Spinne stürzte vorwärts, das Maul weit aufgerissen, verfehlte Kid jedoch, welcher sich aus Reflex zu Boden warf. Hinter sich einen Aufschrei vernehmend, stoppte auch die Spinne, den langen Körper genau über Kid und verharrte so, laut fauchend. Rasch rappelte Kid sich auf und musste feststellen, dass die Spinne statt ihm Trafalgar getroffen hatte, der zwar sein Schwert in den Rachen des Dämons hatte stoßen können, nun selbst jedoch von den langen Fangzähnen aufgespießt worden war. Ein lautes Knacken zeugte davon, wie die Spinne ihm mit stärkerem Zubeißen sicherlich etliche Knochen brach. Trafalgar holte scharf Luft, drückte sein Schwert im Gegenzug jedoch nur tiefer in die Kehle des Monsters. Auf diese Weise verharrten sie still kämpfend, versucht den jeweils anderen doch zu überwältigen. Fieberhaft ratterten Gedanken durch Kids Kopf. Er musste Trafalgar irgendwie helfen, denn er glaubte nicht, dass er einen Machtkampf auf dieser Ebene lange durchhalten würde, geschweige denn gewinnen. Wenn er nur seine Waffe hätte! Sich voll aufrichtend blickte Kid sich hektisch um, nicht bemerkend, dass er fast mit dem Kopf gegen die Brust der Spinne stieß. Und dann hörte er es. Im ersten Moment überraschte Kid das klopfende Geräusch derartig, dass er es nicht genau zuordnen konnte und verwirrt den Blick hob. Er brauchte keinen weiteren Gedanken zu verschwenden, um zu wissen, was er da vor sich hatte. Es war genau wie Trafalgar gesagt hatte, wenn er es sehen würde, würde er es als das gesuchte Objekt erkennen. Ein schlagendes Herz. Durch die aufgerissene Brust der Spinne konnte Kid das lebendige Herz deutlich schlagen sehen und es war einfach derartig falsch es im toten Körper dieses Monsters zu erblicken, dass er wusste, dass es Trafalgars Herz sein musste. Ohne zu zögern hob er die Hand und zog das Herz aus dem toten Fleisch. Sofort reagierte die Spinne, ließ augenblicklich von Trafalgar ab und schrie fast schon gequält auf, erhob sich und taumelte einen Schritt zurück. Auch Trafalgar schien nicht minder überrascht, als Kid ihm einen Blick zuwarf, dessen schlagendes Herz in der Hand. Ungläubig starrte der Albtraum ihn aus großen Augen heraus an, fast eine Spur glücklich, fast eine Spur erleichtert, so schwer verletzt und mit Blut besudelt. Dann jedoch wurde sein Blick wieder ernst, als er sich hob und auf die Spinne richtete, welche nun tatsächlich in Zorn verfallen war. Augenblicklich knurrte er laut und begann sich von neuem in das Monster mit der Sense zu verwandeln, während er Kid zurief: „Verschwinde!“ Dies ließ sich der Mensch nicht zweimal sagen und hastete los, vorbei an der nun wieder riesigen Kreatur, welche der wütenden Spinne laut entgegen schrie. Diese jedoch zog voll Hass an den Fäden, dass auf einmal hunderte Puppen von der Decke auf Kid zuschossen, mit dem Auftrag ihn zu töten. Trafalgar jedoch fauchte wütend und durchtrennte mit einem einzigen Hieb die Fäden der Toten, welche nun leblos zu Boden gingen. Das gesamte Theater erbebte, als sich Spinne und Sensenmann einen unerbittlichen Kampf lieferten. Sogar die Decke brach vereinzelt ein und Kid musste scharf einem herabfallenden Deckenstück ausweichen, bevor hinter ihm mit einem gewaltigen Splittern und Klirren der Kronleuchter zu Boden ging. Bei einem kurzen Zurückblickend stellte Kid jedoch fest, dass Trafalgar dem Dämon schlicht die Sense durch den Schädel gejagt und ihn mitsamt dem Kronleuchter gegen die Wand geschleudert hatte, in welche sich die lange Klinge nun bis zum Anschlag bohrte und die Spinne damit festnagelte. Noch einmal schrie das Monster der noch immer lebenden und tobenden, nun jedoch bewegungsunfähigen Spinne entgegen, bevor es sich abwandte und, sich nun wieder zurückverwandelnd, ebenfalls durch den einstürzenden Aufführungssaal hastete. Zu Kids Überraschung hatte Trafalgar ihn schon in der Vorhallte eingeholt, welche ebenfalls bedrohlich bebte und rannten nach draußen auf die Straße, wo Trafalgar sich nochmals verwandelte. Die knochigen Hände gegen das Dach gestemmt warf sich das Monster mit dem ganzen Gewicht und aller Macht gegen die breite Front des Theaters, welches nun dem Druck und der Zerstörung nicht mehr Stand halten konnte und mit einem ohrenbetäubenden Lärm vollständig in sich zusammenfiel. Etliche noch gespannte Fäden rissen und schnalzten durch die Straße, zerschlugen ganze Häuser und die Straße selbst, ehe Kid, noch immer völlig atemlos, von Trafalgar gepackt und zu Boden geworfen wurde um den tödlichen Geschossen zu entgehen. Etliche Minuten schienen zu vergehen, bevor es leiser wurde und dann mit einem Schlag Stille einkehrte. Staub hing wie Nebel zwischen den teils zerstörten Häuserfassaden und ließ Kid sich hustend aufrichten. Sein Blick glitt über das vollkommen zerstörte Theater, unter dessen tonnenschweren Trümmern sich nichts regte, über die weiteren zertrümmerten Häuser und die Straße, welche gepflastert war von den Überresten des Kampfes. Alles war vernichtet – doch er lebte. Kid konnte es kaum fassen, dass er es tatsächlich überlebt hatte, vielleicht nicht unverletzt, doch das war weitaus mehr, als er erwartet hatte. Erst nachdem sich seine Gedanken beruhigt hatten, glitt sein Blick neben sich. Trafalgar lag noch immer dicht neben ihm auf der Seite, unbeweglich, die Augen geschlossen, vollkommen ohne Atmen. Doch sein Herz schlug noch immer warm in Kids Händen, was ihn beruhigt annehmen ließ, dass der Albtraum noch lebte. Doch warum war die Frage, welche Kid sich stellte, als er den zerstörten Körper musterte. Überall hatten tiefe Schnitte die Haut verletzt, aufgerissen und ließen rotes Blut leicht zu Boden tropfen. Kid dachte an die Fäden, welche den Körper durchbohrt hatten und sah die tiefen Wunden, wo die Fangzähne der Spinne gesteckt hatten. Konnte er wirklich davon ausgehen, dass Trafalgar noch lebte? Leise erhob er deshalb die Stimme, berührte vorsichtig die Schulter seines Gegenübers, inständig darauf bedacht ihm keinen Schmerz zuzufügen. „Trafalgar?“ „Ich lebe.“ Kaum mehr als ein Hauch, doch Kid fühlte sofort Erleichterung. Dann hatten sie es also geschafft, hatten die Spinne vielleicht nicht getötet, doch sie wohl besiegt. Und allein dies stimmte ihn derartig stolz und glücklich, dass er nicht umhin konnte albern vor sich hin zu grinsen. Erneut fiel sein Blick neben sich, ehe er erst jetzt registrierte, wie sich Trafalgars Wunden sehr langsam aber stetig von selbst verschlossen, während er ruhig da lag und sich wohl von dem Kampf erholte. Zu Recht, wie Kid dachte, als auch er sich zurück auf die Straße sinken ließ und entspannter durchatmete, als wäre das harte, unbequeme Pflaster das weichste und angenehmste Bett seines Lebens. Noch immer Trafalgars Herz schützend an sich gedrückt dämmerte er langsam weg. Die Sonne färbte den Himmel in den schönsten Goldtönen, ließ das Laub der Blätter glänzen und malte tanzende Schatten zwischen die Kronen der ersten Bäume. Kid genoss den ersten Windhauch, welcher ihm aus dem Wald heraus entgegen blies und die Haare zerzauste. Noch nie in seinem Leben glaubte er den Geruch von frischem Laub und süßem Harz als so schön empfunden zu haben wie in diesem Moment. Einige Vögel riefen sich mit ihren unterschiedlichen Stimmen verschiedene Lieder entgegen, welches in dem Rauschen der Baumkronen unterging, als ein Windstoß mehr goldene Blätter von den Ästen pflückte. Zusammen mit Trafalgar stand er am Tor der Stadt, eben dieser den Rücken zugekehrt und ihre langen Schatten vor sich betrachtend. Noch immer konnte Kid nicht fassen, dass sie es überlebt hatten. Dass sie es geschafft hatten zu gewinnen, ihren Feind zu besiegen. Aus der Stadt zu entkommen. Ja, der Wind roch nach Freiheit und Heimat und Kid glaubte nun die Welt nicht mehr als so schlecht wahrzunehmen, wie er es vorher getan hatte. Eigentlich war doch alles gut, wenn er es sich recht bedachte. Eigentlich war er immer zufrieden gewesen, war es selbst jetzt, wo er hier stand. Trafalgar ohne Schwert, Kid ohne Gold. Stattdessen hatte Kid sein Leben behalten dürfen und Trafalgar hatte sein Herz zurückbekommen. Eben dieses ruhte in Trafalgars Händen. Er musste schmunzeln, als er daran dachte, wie der Albtraum es an sich genommen hatte, nachdem sie sich etwas erholt hatten, so glücklich und doch so ungläubig. Er hatte nicht fassen können es tatsächlich wieder zu haben. Und doch … Kid zog die Augenbrauen zusammen. Schon eine ganze Weile standen sie hier, noch nicht gewillt weiter zu gehen, noch weniger gewillt zurück in die Stadt zu gehen. Er musste zugeben, dass Trafalgar wohl doch nicht so böse war, wie er angenommen hatte. Schließlich hatte er nie ernsthaft vorgehabt ihn zu töten, hatten ihn sogar gerettet und wäre dabei fast selbst gestorben. Jemand überlegtes, welcher sein Vorgehen plante, so wie er es bei Kid getan hatte, um ihn zu dem Vertrag zu überreden. Jemand, der auch durchaus Humor besaß, wenn man mit Steinen nach Katzen warf um sie zu verspotten. Jemand, der sich auch selbst opfern würde, um zumindest seinem Wort treu zu bleiben. Vielleicht kein lebender Mensch, aber definitiv ein Mensch mit einem schlagenden Herzen, trotz 200 Jahre Todes. Missmutig rückte Kid seine Tasche zurecht und steckte die Hände in die Manteltaschen. Er wusste, dass sich ihre Wege hier trennen würden und es gefiel ihm nicht. Nicht nur, weil er Trafalgar als so etwas wie einen Freund betrachtete, sondern auch, weil ihm dieses Ende nicht gefiel. War das ein gutes Ende? Würden dies die alten Frauen erzählen? Er wusste es nicht, aber es gefiel ihm nicht, so viel wusste er. Freiheit hatten sie beide gewollt und Freiheit hatten sie nun beide erlangt, doch zu welchem Preis und auf welche Weise. Das alles war ein Albtraum gewesen. Und nun wachten sie auf. „Du wirst sterben, wenn du die Stadt verlässt, nicht wahr?“ Und wenn man einmal aufgewacht war, so bleibt einem nur mehr die Erinnerung an Traum und Albtraum. „Ja.“ Trafalgars Stimme klang nicht glücklich. Auch nicht traurig oder wütend. Er klang befreit. Ganz so, als wäre eine unendlich schwere Last von seinen Schultern gefallen. Nicht wirklich wissend, wie Kid sich fühlen sollte, betrachtete er Trafalgar neben sich, wie er die Hände um sein Herz gelegt hatte, fast schützend, als fürchtete er, man würde es ihm wieder entreißen. Nur noch wenige Verletzungen waren übrig geblieben, würden nie wieder heilen, weil sie keine Zeit mehr dazu hatten. Die blauen Augen wirkten im goldenen Licht fast grün, schienen ihren dunklen Schatten verloren zu haben und nun voll Müdigkeit auf dieses viel zu lange Leben zu blicken. Denn Kid wusste eines. Obwohl Trafalgar geschlafen hatte, war er dennoch unendlich müde, hatte seit Jahrhunderten nicht den Schlaf geschlafen, welchen sein Geist benötig hätte. War des unendlichen Lebens müde, war der Stadt müde, war dieser Welt müde. Zu viel hatten diese Augen bereits gesehen um sich nun nicht verschließen zu wollen und zu schlafen, um alles zu vergessen, um Ruhe zu finden. Kid würde nicht weinen. Aber er würde dennoch trauern. „Weißt du … “, begann Trafalgar und ein seichtes Lächeln schlich sich auf die entspannten Züge. „Als damals der Fluch über Himmelreich kam, war ich gerade einmal 26 gewesen, hatte eigentlich noch gar nicht wirklich gelebt. Ich hatte Angst um mein Leben, genauso wie alle anderen auch. Und als dann der Tag kam, an dem ich hätte sterben sollen, war ich so unendlich erleichtert, als ich trotz meines Todes noch leben durfte. Doch statt meines Lebens habe ich etwas anderes bezahlt. In den folgenden Jahren habe ich alle um mich herum sterben sehen, meine Mutter, meinen Vater, meine Schwestern. Meine Nachbarn und Freunde, selbst meine damalige Geliebte viel dem Fluch zum Opfer. Und je leerer die Straßen wurden, desto leerer wurde ich. Ich verlor mich in dieser Leere, wurde wahnsinnig und habe unzählige Menschen getötet, habe versucht dieses Loch in mir zu füllen, welches sich unaufhörlich in mich fraß. Doch es gab nichts. Ich fühlte mich durstig, als hätte ich tagelang nichts getrunken, egal wie viel Blut ich trank, ich fühlte mich hungrig, als hätte ich wochenlang nichts gegessen, egal wie viele meiner Opfer ich fraß. Und ich fühlte mich müde, so unendlich müde, als hätte ich jahrelang nicht geschlafen. Doch es gab nichts, was mir hätte helfen, was mich hätte retten können. Ich tötete die Menschen, ich tötete die Albträume, ich versuchte mich selbst zu töten. Aber ich konnte es nicht, konnte nicht sterben, da mein Herz noch immer schlug. Ich habe versucht es zurück zu bekommen um zu sterben, doch der Puppenspieler gab es mir nicht. Er war einer der ersten, welche von dem Fluch befallen wurden und er hat es mir aus der Brust gerissen, als ich ihn fragte, ob mit ihm alles in Ordnung wäre. Nur deshalb, nur weil ich damals noch lebte, konnte ich nicht sterben ohne mein Herz. Und das Leben, über welches ich so erleichtert war es weiterführen zu dürfen, wurde zur Qual. Fast 100 Jahre lang versank ich in dem Wahnsinn und habe etliche Reisende, Schatzsucher und Priester getötet. Es hat lange gedauert, bis mein Verstand wieder klarer wurde und ich erkannte, was mir allein nur helfen, was mich allein nur retten konnte. Ich musste sterben und dafür brauchte ich mein Herz. Doch allein wäre ich niemals in der Lage es zu bekommen, ich hatte es oft genug schon versucht. Etliche Menschen haben diese Stadt betreten und auch wieder verlassen, aber niemand war jemals so dumm wie du, sich auf mich einzulassen.“ Trafalgars Lächeln wurde breiter. Kid blieb stumm. „Du warst tatsächlich der erste, der mit mir den Packt geschlossen hat. Du glaubst nicht wie überrascht und aufgeregt ich war, vor allem jedoch um dich besorgt. Denn diese ganze Stadt dürstet nach Blut, ich habe dich nicht angelogen. Doch auch ich gehöre zu dieser Stadt und auch ich wollte dein Blut schmecken, schon als ich dich das erste Mal in der Stadt wahrnahm. Und ich kann mich meist beherrschen. Doch manchmal ist Alice stärker und will töten. Ich fühle realen, körperlichen Schmerz, ebenso wie seelischen Schmerz, wenn ich mich dagegen wehre. Ich muss zugeben, es war nicht einfach, vor allem nicht, als du dich allen ernstes in meiner Folterkammer hast fangen lassen. In diesem Moment warst du dem Tode näher, als im Theater.“ Schweigend lauschte Kid Trafalgars Worten und dachte selbst an jene Nacht zurück. Daran, wie der Albtraum scheinbar verzweifelt um seine Fassung gekämpft hatte und schließlich das Schwert an sich genommen und Kid geglaubt hatte, er würde ihn jetzt töten. „Wieso hast du mich dann damals nicht getötet?“, fragte er und Trafalgar warf ihm einen amüsierten Blick zu. „Weil ich dich geküsst habe. Weißt du, Alice dürstet nicht nur nach Blut, sondern auch nach der Angst und dem Schmerz ihrer Opfer. Und indem ich dir diese Albträume und Wahnvorstellungen aufzwang, stillte ich Alice’ Bedürfnis danach. Es ist kein Ausgleich, aber es ist ein Aufschub und der hat dir das Leben gerettet. Es tut mir trotzdem leid.“ Kid nickte nur und starrte wieder zu den Bäumen hinüber. Er wollte nicht, dass dieses Gespräch abbrach. Er wollte nicht, dass es jetzt endete. „Was meinst du eigentlich, wenn du von Alice redest?“ „Ich habe dir doch einmal gesagt, dass du niemandem in der Stadt trauen darfst. Heute erkläre ich dir, was ich damals damit gemeint habe. Du musst verstehen, dass niemanden nicht nur die Stadt und mich meint. Sondern absolut jeden und alles innerhalb der Stadt. Verstehst du?“ Zweifelnd erwiderte Kid Trafalgars Blick, schien unsicher. „Auch ich?“ Trafalgar nickte. „So viele Reisende sind gestorben, weil sie sich selbst in Folge des Wahnsinns getötet haben. Jeder Mensch, der diese Stadt betritt, wird von dem Wahnsinn befallen. Vielleicht merken sie es nicht, wenn sie nicht in einen Spiegel sehen oder in das Wasser blicken. Aber sobald sie die Stadt verlassen, merken sie es. Ich habe dir doch gesagt, dass du ohne mich diese Stadt nicht verlassen kannst und ich sagte auch, dass schon viele diese Stadt wieder verlassen haben. Und ich habe bei beidem die Wahrheit gesagt. Denn in ihrem Geiste sind sie noch immer gefangen in der Stadt, komm nicht davon los und pilgern deshalb alle irgendwann, manche nach Monaten, andere nach Jahren, wieder hier her zurück um zu sterben, als sie es außerhalb der Stadt nicht geschafft haben. Und dieser Wahnsinn ist Alice, alle Albträume hier sind Alice, die Stadt ist Alice, aber ebenso ist das kleine Mädchen in der Kathedrale Alice. Ich bin kein Priester, daher habe ich mich nie für den Ursprung des Fluchs interessiert, ich wollte ihn schließlich nicht brechen, ich wollte nur sterben. Aber ich denke, dass die kleine Alice der Auslöser für den Fluch war. Und dass wir alle nur in ihrem Albtraum leben.“ Trafalgar schien sich für einen Moment in seinen Worten zu verlieren, setzte eine grübelnde Miene auf und schüttelte dann wieder entspannt den Kopf. „Es ist vollkommen gleichgültig, denn sowohl ich, als auch du werden die Stadt verlassen. Vielleicht denkst du, dass nur die Schatzsucher das One Piece suchen, aber da liegst du falsch. Die Schatzsucher kommen im Grunde nur hier her um einen Schatz zu finden, das wahre One Piece suchen die Priester, die hier her kommen.“ Während er sprach, griff er unter sein halb zerfetztes Hemd und zog zu Kids großer Verwunderung ein aufwendig gestaltetes, goldenes Medaillon hervor, welches er offenbar um den Hals getragen hatte. Verwundert nahm er es entgegen, als Trafalgar es ihm reichte und wog es in der Hand. Das Stück würde sicherlich einen ordentlichen Betrag Geld bringen, wenn man es erkaufen würde. „Ich möchte dir das hier schenken, Eustass. Das ist das einzige und einzig wahre One Piece der Stadt Himmelreich.“ Kid konnte nicht verhindern, wie er sein Unterkiefer gen Boden sank und er fassungslos auf das Stück Edelmetall starrte. Hastig schloss er den Mund wieder und starrte Trafalgar an. „Aber, du sagtest doch der Schatz läge in Glockenturm?“ „Das ist richtig. Ich selbst habe ihn schließlich dort hinaufgelegt. Aber das ist etwas, was die meisten Menschen schon immer falsch verstanden haben. Der Schatz ist nicht das One Piece. Das One Piece hältst du gerade in Händen.“ Für einen Moment nahm Trafalgar das Medaillon nochmals an sich und drehte es abwesend in den Fingern. „Ich weiß nicht wirklich etwas darüber, wie gesagt, ich war zu Lebzeiten Arzt, kein Priester. Aber ich weiß, dass wann immer ein Fluch ausgesprochen wird, auch der Gegenfluch existiert. Etwas, was in der Lage ist alles rückgängig zu machen. Und genau das suchen die Priester, wenn sie Himmelreich betreten, genau das ist es, was das One Piece darstellt.“ Er reichte es Kid zurück. „Ich bekam es einstmals von Alice selbst geschenkt, welche es bei sich getragen hatte und mir anvertraute, nachdem ich einige Zeit lang in der Kathedrale gelebt und sie etliche Mal gefressen hatte. Ich war damals dem Wahnsinn verfallen und Alice hatte wohl Mitleid mit mir, weshalb sie mir das Medalion gab. Zuerst habe ich es nicht mal wahrgenommen, habe sie dennoch immer wieder getötet, doch mit der Zeit klärte sich mein Verstand und das war allein auf das One Piece zurück zu führen. Es hat mich vor dem endgültigen Wahnsinn bewahrt und mich davor gerettet meinen Verstand und meine Menschlichkeit endgültig zu verlieren Und ich bin Alice auf ewig dankbar dafür, dass sie es mir gegeben hat.“ Ein Glucksen war von Trafalgar zu vernehmen, welcher nun Kid breit angrinste. „Weißt du, Eustass? Ich mag dich. Ich mag dich sogar sehr. Und ich will nicht, dass du eines Tages eben so wahnsinnig, wie ich es war, zurückkehrst und stirbst. Daher will ich dir das One Piece schenken. Ich befreie dich damit von dem Fluch und von Alice und der Stadt Himmelreich. Ich selbst brauche es nicht mehr, jetzt, wo ich endlich sterben darf. Aber du sollst mein Schicksal nicht teilen. Du sollst dein Leben leben! Geh und finde alle Schätze der Welt, kauf dir ein Königreich, such dir eine Frau und setzt eine Schar Kinder in die Welt, bau ein Haus und zähme dir einen Hund, es ist mir alles gleich lieb, nur sei am Ende eines Lebens, wenn du alt und grau bist stolz auf dich und was du getan hast. Glaub mir, es gibt nichts Wertvolleres im Leben als das Leben selbst.“ Offen und ehrlich lächelte Trafalgar ihm ins Gesicht und Kid wusste nicht, was er mit den Worten anfangen sollte. Ein seltsam beklemmendes Gefühl machte sich in ihm breit, von dem er zwar wusste, dass es gut war, er es aber nicht leiden konnte. So wie er keine Abschiede leiden konnte, nicht, wenn er dabei schwach war. Und diese Worte schmeckten nach Abschied. Fast trotzig wandte er das Gesicht ab. „Bleib mir weg mit diesem Weibergeschwätz!“ Das brachte Trafalgar zum Lachen und Kid war irgendwo in sich froh, dass der Albtraum, der Mensch, verstanden hatte, was er eigentlich hatte sagen wollen und was er nicht hatte aussprechen wollen. Fast vergnügt wippte Trafalgar auf den Fußballen hin und her. Nun schien er doch glücklich zu sein, vollkommen glücklich. „Du kannst das Medalion zwar nicht verkaufen, aber vielleicht lernst du es ja trotzdem zu schätzen. Wenigstens als Geschenk.“ Kid grummelte vor sich und hängte sich nun selbst die Kette um, betrachtete das One Piece noch einen Moment und steckte es dann unter sein Hemd. Es würde ihn vor dem Wahnsinn bewahren und war damit wahrlich mehr wert als der Schatz im Glockenturm. „Ich habe zwar damals gesagt, dass ich mich nicht freuen würde, dich kennen zu lernen, aber ich habe meine Meinung geändert. Heute kann ich guten Gewissens sagen, dass es mir eine unvergleichliche Ehre war deine Bekanntschaft machen und dich kennen lernen zu dürfen, Kid Eustass. Danke für deine Hilfe und Zusammenarbeit. Ich wünsche dir alles Glück der Welt.“ Überrumpelt starrte Kid auf die ihm dargebotene Hand und realisierte erst jetzt, dass sie sich damals gar nicht die Hand gegeben hatten, als sie sich kennen lernten. Und nun war ihre Begrüßung der Abschied für immer. Plötzlich schlucken müssend, ergriff er die Hand seines Gegenübers und stellte verwundert fest, dass tatsächlich ein Hauch Wärme zurück in die kalten Glieder gefahren war. Ob es an dem lebendigen Herz lag oder an etwas anderem, konnte Kid jedoch nicht ausmachen und es kümmerte ihn auch nicht. In diesem Moment war es ihm egal, als er Trafalgars Lächeln beantwortete. „Es war mir ebenfalls eine Ehre und ich kann dir nicht genug Danken, für das, was du für mich getan hast. Ich wünsche dir, dass du den Frieden finden mögest, den du suchst.“ Trafalgar nickte und sie lösten sich von einander, sahen sich noch einen Moment in die Augen, bevor der tote Mensch sich erneut dem Wald zuwandte und einen Schritt tat, bevor Kid ihn plötzlich aufhielt. „Warte mal!“ Fragend trafen die blauen Augen ein letztes Mal auf die Goldenen. „Woher weißt du eigentlich meinen Vornamen? Ich habe ihn dir doch damals gar nicht genannt.“ Trafalgar lächelte mysteriös. „Dieses Geheimnis nehme ich mit ins Grab. Aber sei dir dessen bewusst, dass ich deinen vollständigen Namen bereits in dem Moment kannte, in dem du den Fuß in diese Stadt gesetzt hattest.“ Dann nickte er und ging. Ging quasi vor und ließ Kid zurück, welcher diesem schwarzhaarigen Mann mit dem Zylinder, den er im Theater verlor und dem Schwert, welches er im Theater ließ, hinterher blickte und zusah, wie er sich einfach so auflöste und zu feinem Staub wurde, den der Wind davontrug. Zu dem wurde, was er heute gewesen wäre, wenn er vor 200 Jahren tatsächlich hätte sterben dürfen. Und Kid schluckte, nun allein und musste sich, über sich selbst schockiert, daran erinnern, dass er ein Mann war. Und deshalb war es schlussendlich ein Lächeln auf seinen Zügen, welches sich bildete, als er die Stadt hinter sich ließ und zurück in den Wald ging aus dem er vor nur drei Tagen gekommen war, plötzlich doch lachen müssend. „Und dein blöder Wein war doch vergiftet, Law Trafalgar!“, rief er, den Kopf in den Nacken gelegt und sich noch nie in seinem Leben so frei fühlend. Alice - Epilog -------------- Epilog 1. 11. 1679 Schnee trieb durch die Gassen der kleinen Stadt und jagte mit seinem eisigen Wind alle Menschen von der Straße, die sich vor die Tür gewagt hatten. In den Häusern waren überall Kerzen entzündet worden und Rauch über den Dächern zeugte von den warmen Öfen und Kaminen innerhalb der schützenden Wände. Die Luft roch zwischen den Häusern und Geschäften nach Zimt und Nusskuchen und dem brennenden Holz. In dem Schankhaus der Stadt, am südlicheren Ende gelegen, herrschte Hochbetrieb. Viele Menschen waren gekommen um sich, wenn sie es sich leisten konnten, ein deftiges Abendessen zu gönnen und wenn nicht, sich die Kälte mit Alkohol aus den Gliedern zu treiben. Einige Leute hatten nach den Geigen und dem Klavier gegriffen und spielten so, manchmal mehr schlecht als recht heitere Lieder, welchen sich aber niemanden zu stören gedachte. Viel zu ausgelassen war die Stimmung, dass man nur laut die Lieder mitsang, ob man nun den Text kannte oder nicht. Das bunte Stimmengewirr drang bis nach draußen auf die Straße und lockte einen jungen Mann, einen Reisenden, wie man auf den ersten Blick erkannte, einen Schatzsucher an. Knarrend öffnete er die schwere Holztür und ließ seinen Blick über die ausgelassene Feiergemeinschaft gleiten, bis sein Blick an der Theke hängen blieb, an welcher gerade ein Platz frei geworden war. Gemächlich schlängelte er sich zwischen den vollbesetzten Tischen hindurch, wich stinkenden Betrunkenen ebenso wie hübschen Bedienungen aus und schaffte es so ohne wirklich wahrgenommen zu werden bis an den Tresen. Schnaufend ließ Kid sich auf den Barhocker fallen und stellte seine Tasche neben seinen Füßen ab, bevor er einen tiefen Zug von der warmen, nach Alkohol, Tabak und Fleisch riechenden Luft nahm. Ja, es roch noch genauso, wie es vor einem Monat gerochen hatte und wie es wohl noch in 100 Jahren riechen würde. Mit einem zufriedenen Seufzen verschränkte er die Arme auf der Theke und musterte die Menschen im Raum, wie sie stritten und sich balgten oder sich lachend und singend in den Armen lagen. Nirgendwo konnte man einen harten Arbeitstag besser vergessen, als hier in diesem stinkenden Loch. „Na, wen haben wir denn da! Wenn das nicht Kid Eustass ist!“ Eine bekannte Frauenstimme riss ihn aus seinen Gedanken, ehe er den Kopf wieder zur Theke umwandte und die Wirtin des Lokals erblickte, welche hinter dem Tresen stand und die Hände in die Seiten gestemmt hatte. Wie immer lag ein Lächeln auf ihren Zügen, als sie ihn musterte, das lange, widerspenstige, blonde Haar mehr schlecht als recht zusammengebunden, dass ihr noch etliche Strähnen davon ins Gesicht fielen. Ihre blauen Augen blitzten jedoch unverkennbar zu ihm herüber und zauberten auch auf Kids Gesicht nun ein Lächeln. „Schön dich zu sehen, Kira. Wie läuft die Bar?“ „Wie du siehst sehr gut. Möchtest du etwas trinken oder hast du diesmal kein Gold gefunden?“ Ihr einen kleinen, goldenen Ring zuwerfend, welcher sogleich mit den Zähnen auf seine Echtheit überprüft wurde, nickte Kira und beeilte sich einen Krug Bier auf den Tresen zu stellen. Der Ring war mehr als genug der Bezahlung, fast schon übertrieben hoch, egal was er heute noch alles bestellen würde. Doch das war Kira gewohnt. Denn im Grunde war der Ring genauso wie das Bier nur ein Geschenk. „Ich habe gehört du wärst in Himmelreich gewesen.“, plauderte Kira weiter und stellte ein paar gehäufte Teller ans untere Ende des Tresens, wo ein Junge mit Strohhut jauchzend darüber her fiel. „Ja, war ich.“ „Ist das wahr?“, kam die Frage von einem Herrn zu Kids linker Seite, welcher ihn aus ehrlich interessierten Augen ansah. „Man hört ja so einiges aus dieser Stadt und den umliegenden Dörfern. Angeblich sei sie verflucht und würde einen gewaltigen Schatz beherbergen!“ Interessiert stellte Kira ein nun wieder sauberes Glas ins Regal, Kid mit einem eindeutig erwartungsvollen Blick ansehend, auf eine abenteuerliche Geschichte wartend. Auch der Strohhutträger am unteren Ende der Theke schien beim Wort Schatz aufgehorcht zu haben und schmatze nun lautstark in Kids Richtung. Gespanntes Schweigen legte sich über die kleine Runde, nur unterbrochen von der lauten Hintergrundkulisse. Kid jedoch schwieg und spürte das kalte Gold an seiner Brust, bevor er mit den Schultern zuckte und ärgerlich den Kopf schüttelte. „Alles nur Märchen! Ich habe die ganze Stadt abgesucht und nicht mehr als diesen Ring und eine handvoll Münzen gefunden. Die Stadt ist eine reine Zeitverschwendung. Und der angebliche Fluch ist auch nur ein Gerücht, was sich ein übereifriger, betrunkener Bauer ausgedacht haben muss.“ Enttäuschung legte sich auf die gespannten Gesichter. Der junge, wahrscheinlich noch unerfahrene Schatzsucher mit dem Strohhut ließ sogar ein frustriertes „Och man.“ ertönen, bevor er sich wieder seinem Essen zuwandte. Auch Kira seufzte auf und griff sich ein neues Glas zum Spülen, während der Mann neben Kid einen Schluck aus seinem Krug nahm. „Wie schade, aber eigentlich war es ja klar gewesen. Flüche und Monster gibt es nicht, ebenso wie Schätze!“ „Vollkommen richtig.“, bestätigte Kid und stieß mit dem Mann an, nahm selbst einen Schluck Bier. „Aber, Kleiner! Ich habe gehört im Süden an der Küste läge ein altes Kloster, in dem ein altes Goldkreuz versteckt sei. Wenn du nicht schnell bist, hole ich es mir.“, meinte er zu dem Strohhutträger gewandt, dessen Augen plötzlich leuchteten, nun doch ein neues Ziel gefunden zu haben. Nachdem er seinen überdimensionalen Bissen hinuntergeschluckt hatte, deutete er mit einer angefressenen Fleischkeule auf Kid und setze ein breites Grinsen auf. „Nichts da, alter Mann! Den Schatz schnappe ich mir!“ Und irgendwie glaubte Kid selbst daran, dass nun alles wieder gut wäre. Es war, als wäre er nie weg gewesen, hätte nur ein altes Landgut besucht gehabt oder wäre in einer alten Mine herumgestolpert auf der Suche nach Edelsteinen. Als wäre nichts passiert und als gäbe es wirklich weder Fluch noch Monster auf dieser Welt. Als läge alles Wichtige dieser Welt tatsächlich in dem Wissen dieses Schankhauses und seiner Besucher. Und irgendwo tat es das ja auch, selbst wenn ihn das Gold an seiner Brust Lüge strafte. Denn auch er gehörte zu dieser kleinen Gemeinschaft und fühlte sich darüber mehr als zufrieden. Beginn ------ Sie waren Freunde. Eigentlich nicht einmal das. Vielleicht Bekannte, die ganz gut mit einander auskamen. Schulkameraden, die sich gerne ärgerten. Feinde zuerst. Rivalen. Konkurrenten. Erbittert. Leidenschaftlich. Und aus der Freude ihrer Kämpfe wurde immer mehr Freundschaft, ihre Gruppen beendeten ihren Streit. So etwas wie Frieden kehrte ein, erstmals, seit sie sich das erste Mal gesehen hatten. Schweigender Frieden, nur hie und da kleines Necken und Scherzen. Keine echten Freunde waren sie. Auch nicht nach den Jahren, die sie an der Schule verbracht hatten. Selbst wenn Law es sich immer wieder wünschte, wann immer er das rote Haar in der Menge aufblitzen sah. Der Wind war lau kurz vor den großen Sommerferien. Doch für Law und seine Leute würden es keine Ferien sein. Nicht mehr. Die Zeit der Ferien würde dann vorbei sein, sie würden ihre vertrauten Bahnen verlassen, auf denen sie nun schon seit sie Kinder waren wandelten. Ein wichtiger Lebensabschnitt wurde beendet. Fertig mit der Schule sein. Frei sein. Gefangen sein. Ganz wie man es sehen mochte. Law hatte nichts dagegen. Die Schule langweilte ihn ohnehin. Nun, wo die großen Prüfungen schon geschrieben waren und die Lehrer kaum noch wussten, was sie mit den jungen Menschen tun sollten, deren Flügel sich bereits gespannt hatten, um die große unbekannte Zukunft zu erkunden, war Law immer mehr gelangweilt. Er wusste was er tun wollte nach der Schule, hatte bereits einen Studienplatz an einer renommierten Universität. Er würde Arzt werden. Eine Gewissheit, von der die meisten seiner Leute noch weit entfernt waren. Die Schule konnte ihm nichts mehr beibringen, hatte keinen weiteren Sinn. Nun. Doch, eigentlich schon. Law hätte auch die restliche Zeit zuhause verbringen können. Etwas für seine Zukunft sinnvolleres tun. Doch er ging weiterhin in die Schule, tat es gerne. Gerne, weil er dort etwas fand, was er sonst nicht finden würde. Die Schulglocke läutete und beendete damit die Pause. Das Gelände der Schule war übersäht mit Schülern, die sich aus den Schatten der laubgrünen Bäume erhoben. Zu dieser Jahreszeit war niemand innerhalb des alten Gebäudes, wenn man es nicht sein musste. Viel zu warm und stickig war es zwischen den Mauern, weshalb auch Law und seine Freunde unter einem der großen Bäume saßen und zusahen, wie die jüngeren Schüler sich alle erhoben und drängelten um zurück in ihre Klassenzimmer zu kommen. Konnte es wirklich sein, dass sie vor ein paar Jahren erst wirklich auch so gerannt waren? Und dass sie es nun nie wieder tun würden? „Ich glaube, ich werde das vermissen.“ Laws Blick löste sich von den Massen an drängelnden Schülern, nachdem er dort kein rotes Haar hatte finden können, ehe er zu Penguin blickte. Der junge Mann lag neben ihm im Gras, die Arme hinter dem Kopf verschränkt und den Blick in das schimmernde Blätterdach des Baumes gerichtet. „Diese Einfachheit meine ich. Dass alles was wichtig ist nur ist, dass man die Hausaufgaben bei jemandem abschreiben kann und einigermaßen pünktlich zur Schule kommt. Dass die einzige Verpflichtung die man hat sich über sechs Stunden erstreckt und man darüber noch jammert. Über ungerechte Lehrer und blöde Mitschüler und viel zu häufige Tests.“ „Wirst du sentimental auf deine alten Tage?“ Die Männer lachten auf Shachis Kommentar hin nur, Penguin empörte sich. Den Blick wieder abwendend sah Law zurück zu den noch immer vereinzelt über den Hof laufenden Schülern. Auch jetzt war kein Fuchshaar zu finden. Ob er es vermissen würde. Law hatte sich nie an etwas an der Schule gestört. Er hatte es als gegeben gesehen und sich auch nicht mit den Lehrern gestritten. Mit den Schülern schon ab und an, aber das hatte er eher als Spaß empfunden. Vor allem, als sein Gegner noch diese gewisse Person gewesen war, die er nun vergeblich in der Schule suchte. Ob er überhaupt noch zur Schule kam? Lohnte es sich jeden Tag in der Hoffnung hier her zu kommen? Wenn Law etwas vermissen würde, dann war es allein dies. Ihn zu sehen. Nachdem die letzten Schüler der unteren Jahrgänge verschwunden waren, erhoben sich auch die ältesten Schüler unter dem Baum. Selbst wenn die Lehrer es nicht verwundert hätte, wenn sie lieber draußen gewesen wären, so wäre es dennoch ziemlich sinnlos in die Schule zu gehen, aber den Unterricht zu schwänzen. Es sei denn, man war für etwas ganz anderes gekommen. Etwas, was wahrscheinlich nicht einmal mehr an der Schule zu finden sein würde. Etwas, was nach den Sommerferien verloren sein würde, wie die einfache Zeit, die Kindheit und die kleinen Probleme. Ausgelassen plaudernd betraten die jungen Männer die Schule, deren kühler Schatten wohltuend nach der heißen Sonne war. Law musste blinzeln um nach dem hellen Sonnenlicht im Schatten des Gebäudes wieder etwas zu sehen. Er wusste nicht einmal mehr welches Fach er gleich besuchen würde, folgte einfach nur seinen Freunden die große Treppe hinauf und blickte aus der neu errichteten Glasfront nach draußen. Sollte er vielleicht außerhalb der Schule suchen? Am Besten er suchte gar nicht mehr. Nie mehr. Jedoch spürte er die Sehnsucht schon jetzt in seinem Brustkorb drücken. Wenn sie einfach nur Freunde wären, könnte er ihn immerhin sehen. Doch so. So war er nicht mehr zu halten, wie Sand in der Hand. Law wendete den Blick ab und folgte den Anderen den Gang entlang in ihren Deutschsaal. Sie hatten nicht einmal die gleichen Fächer, Mathematik zusammen und Biologie. In letzterem war Law dann sogar vom Unterricht zu abgelegt gewesen um die kostbare Zeit zu nutzen ihn anzusehen. Doch das war nun zu spät. Ihr Biologiekurs war bereits beendet worden und in Mathematik hatte er das letzte Mal ein rotes Haar vor den Prüfungen gesehen. Vielleicht sollte er an etwas anderes denken. Der Film, den ihre Lehrerin ausgesucht hatte ihnen zu zeigen, damit sie die Zeit bis zum Klingeln überbrücken konnten, gefiel Law nicht. Es war ein schnulziger Romantikfilm und so blickte der Dunkelhaarige aus dem Fenster. Er wollte sich nicht ansehen, wie zwei berühmte Schauspieler in den Rollen eines Liebespaares ihre große Liebe fanden. Er wollte auch nicht die Illusion sehen, dass Liebe alles überwinden konnte, dass man nur mutig sein musste, dass Mut sich auszahlte. Er wollte nicht zugeflüstert bekommen, dass alles so einfach war. Dass er nur ehrlich sein musste. Alles Lügen. Märchen. Nichts als schöne Träume. Schäume. Law wäre am Liebsten gegangen. Es erinnerte ihn wieder zu sehr an diese eine Person, die kitschige Musik zauberte rotes Haar vor seine Augen und ein beklemmendes Gefühl in seine Brust. Liebe war nicht romantisch. Nicht kitschig schön und harmonisch. Liebe tat weh. Sie machte schwach und sehnsüchtig, ließ den eigenen Willen schwinden und den Kopf ausschalten. Liebe in der Luft machte abhängig und traurig und die ganze Welt außer einem einzigen kleinen Flecken grau. Sie machte Schwierigkeiten und Ärger und Probleme, stürzte einen in Selbstzweifel und brachte selbst den stärksten Charakter zu Fall. Liebe war ein tückisches Ding und Law wünschte, dass sie ihn verschont hätte. Dass er hier sitzen und sich das Geschlabber auf dem kleinen Bildschirm mit Amüsement hätte ansehen können, als fast sehnsüchtig auf das zu blicken, was die beiden Personen da taten. Sich zu wünschen selbst so zu stehen in diesem Moment, den Mann an seiner Seite, den er schon seit Jahren liebte. Ihn anlächeln und küssten konnte. Berühren, lieben und geliebt werden. Law sah wieder aus dem Fenster und seufzte innerlich. Liebe machte so schwach. Er hasste sie. Auch gab es nie eine Chance für sie. Es war ja nicht so, dass Law es nicht versucht hätte. Nun, er hätte es zumindest versucht. Wollte. So oft, aber eine innere Stimme rief ihn immer wieder zur Vernunft. Zeigte mit dem Finger auf die Mädchen, die immer wieder mit dem Rothaarigen ausgingen. Zeigte mit dem Finger auf dessen Freunde, die so gerne andere Leute als schwul gezeichneten und sich darüber lustig machten. Zeigte auch auf Law selbst und die inneren Zweifel. Selbst wenn sie ein Paar werden würden, sie wären kein gutes und sie wären es nicht lange. Sie hatten doch früher schon immer gestritten, ihre Rivalität hatte für eine lange Zeit die Schule beschäftigt. Sie gespalten und in zwei Lager geteilt. Erst als sie Frieden geschlossen hatten und begonnen hatten sich immer mehr spaßhaft zu Ärgern, war Harmonie an die Schule zurückgekehrt. Aber das lag auch daran, dass sie sich so gut wie nie sahen. Wenn es eskalieren könnte, waren sie ohnehin schon wieder in anderen Klassenzimmern. Und am nächsten Tag spielen sie wieder andere Spielchen. Selbst wenn Laws Spiele immer mehr freundlicher Natur gewesen waren. Sicherlich hatte er sich nie die Blöße gegeben, dass er den Rothaarigen mochte, aber er hatte auch nicht mehr so getan, als würde er ihn hassen. Vielleicht, als wäre er ihm egal. So eine Lüge. Er war ihm nie egal gewesen. Er hatte es geliebt mit dem Rothaarigen zu scherzen und ihn zu ärgern, seine Zeit so zu vertreiben. In seiner Nähe zu sein, angesehen zu werden. Wahrgenommen zu werden. Und Law begann sich einzubilden, dass die Lächeln, die er bekam sanfter waren als früher, freundlicher. Er wünschte sich, dass sie eine versteckte Botschaft innehatten. Dass der Rothaarige ihn begehrend ansah. Ihn wollte. Ihn liebte. So wie Law es tat. Doch jene roten Augen sahen immer nur amüsiert und angriffslustig zu ihm. Und so blickte Law auch zurück, verbarg alles, was wirklich in ihm lag und ignorierte den Rothaarigen, wenn es ihm gefiel, ärgerte ihn, triezte ihn. Und hoffte, dass dieser ihn dadurch mehr ansah. Vielleicht die gleiche Sehnsucht in sich aufkeimen spürte. Shachi hatte einmal spaßhaft gefragt, ob er sich nach einem Mädchen umsehen würde. Law hatte nur gelacht. Innerlich aber hatte er weinen wollen. Ja, er sah Mädchen hinterher. Aber nur jenen, die immer wieder auf dem Schoß des Rothaarigen thronten und all das hatten, was er nicht haben durfte. Er wollte sie nicht. Er war eifersüchtig auf sie. Der Film endete, ein Happy End. Nicht Laws Ende. Nur noch diese Woche, drei Tage, dann würde er die Schule für immer verlassen. Ihn für immer verlieren. Er glaubte nicht, dass sie sich wieder sehen würden. Er wusste nicht einmal, was der Rothaarige machen würde. Sicherlich nicht an eine Universität gehen und Medizin studieren. Vielleicht sahen sie sich ja einmal wieder, in zehn, zwanzig Jahren, wenn der Rothaarige in seine Praxis kam, an der Hand seine erkrankte Tochter, nicht viel Zeit, weil der Älteste vom Fußballtraining abgeholt werden musste. Vielleicht würde Law ihm dann ja alles sagen. Vielleicht hatte er dann ja einen anderen Partner, war glücklich und sie konnten darüber lachen. Doch jetzt konnte er nicht lachen. Ihm war nicht mehr danach. „Alles in Ordnung, Law? Du guckst wie drei Tage Regenwetter.“ Law reagierte nicht einmal. Er wollte nach Hause, wollte aus der Schule, die ihn an jeder Ecke an das erinnerte, was er nicht haben konnte. Was er so sehr wollte. Aber was nie seines sein würde. Die Stimmung des Dunkelhaarigen schien immer weiter zu sinken, bis selbst seine Freunde ihn nicht mehr bedrängten, sondern allein ihre Gespräche führten. Law war es nur Recht so. Er hasste es verliebt zu sein. Es gab nichts Schlimmeres auf dieser Welt. Nichts Schmerzlicheres. Fast hätte er die letzten beiden Stunden in Geschichte geschwänzt und einzig die Aussicht damit seinen wunderbaren Durchschnitt von null Fehlstunden zu zerstören hielt ihn auf seinem Platz. Er war einfach nur deprimiert und hörte kaum auf das, was sein Lehrer an seiner Tafel sagte, froh, als dieser sie für eine Recherche in die Bibliothek entließ. Da konnte er immerhin ein wenig allein sein und war nicht ständig den gaffenden Blicken Penguins und Shachis ausgeliefert. Ein wenig nachdenken. Und vielleicht doch einfach gehen, wenn er nicht mehr wollte. Wer würde ihn schon aufhalten. Die Bibliothek war der Stolz der Schule, groß und breit gefächert. Oftmals tuschelten Schüler amüsiert, dass die Schule besser mehr Geld in das Gebäude selbst als in die Bücher stecken sollte. Doch Law hatte das nie gestört. Er fühlte sich zwischen den staubigen Seiten der Bücher wohl und die medizinische Abteilung der Schule war für ihn immer ein guter Quell an Wissen für seine Wissbegier gewesen. Auch jetzt schien die dumpfe Stille ihn zu beruhigen. Die anderen Schüler in den geschichtlichen Regalen hinter sich lassen, zog der Dunkelhaarige sich weiter nach hinten zurück wo es wieder etwas leiser war und er rastlos über die Buchrücken strich. Lyrik, Epik. Sein Blick glitt rastlos über die Titel der vielen Romane. Liebesbücher. Geschichten über die Liebe. Die schöne Liebe. Law hätte sie getötet, wenn er gekonnt hätte. Hätte ihr wehgetan, so wie sie ihm wehtat. Wie sie ihn an dem zweifeln ließ, was er immer gewesen war und was er nie als falsch empfunden hatte. Er hatte angefangen an sich zu zweifeln. Hatte sich gefragt, ob er gut aussah. Oder er attraktiv war. Ob jemand ihn wohl lieben könnte. Nie hatte er über so etwas nachgedacht. Immer war er von sich selbst überzeugt gewesen. Hatte sich selbst für perfekt gehalten. Sein Selbstbewusstsein war nicht gering. Nur dann, wenn es um ihn ging. Denn er sah ihn nie an. Und wenn, dann lag ein spöttisches Funkeln in den schönen Augen, ein herablassendes Grinsen auf den Lippen, die Law so gerne nur einmal küssen würde. Der Rothaarige hatte kein Interesse an ihm. Wahrscheinlich stand er einfach nicht auf Männer, er hatte schon genug Beziehungen zu Frauen um das eigentlich auszuschließen. Doch Law hoffte dennoch. Hatte sich gefragt, ob es an seinem Stil liegen könnte. Ob der Rothaarige ihn nicht schön genug fand. Ob er hässlich war. Es gab genug Leute, die seine Tattoos belächelten. Könnte dies den Rothaarigen abstoßen? Law hatte an sich gezweifelt. War daran verzweifelt. Und hatte eingesehen, dass er niemals eine Chance haben würde, hatte es abgeharkt. Nun, sein Kopf hatte es. Sein Herz nicht. Gedankenverloren zog er eines der Bücher aus dem Regal und wie es das grausame Schicksal wollte war es Romeo und Julia. Wieder so eine Liebesgeschichte. Aber ohne Happy End. Es könnte seine sein, wenn es in seiner überhaupt eine Liebesgeschichte gäbe. In Büchern war das so einfach. Unglückliche Liebe gab es nicht. Selbst Bad Ends waren selten. Doch in der Realität war das etwas anderes. Vielleicht hätte er mehr Chancen, wenn er ein Mädchen wäre. Eines mit langen, blonden Haaren, schmaler Taille, großen Brüsten. So sahen zumindest die Mädchen aus, die der Rothaarige immer um sich hatte. Wie viele er wohl schon in sein Bett gelassen hatte? Glücklich gemacht hatte? Wenn Law nicht so stolz wäre, hätte er sich auch gerne versucht. Hätte getan, als wäre es nur Lust und Laune um einmal in seinem Bett gewesen zu sein. Ihm einmal nahe gewesen zu sein. Nicht mehr. Nur die kleine Hoffnung im Hinterkopf, dass der Rothaarige vielleicht in jener Nacht merkte, dass auch er verliebt war. Und das nicht in ein Mädchen mit großen Brüsten. „Liebeskummer?“ Law fuhr zusammen und hätte fast das Buch in seinen Händen fallen gelassen. Erschrocken und mit wie wild schlagendem Herzen drehte er sich um und blickte direkt in zwei so schöne, rote Augen, wie er sie nur ein einziges Mal gesehen hatte. Und nie wieder zu sehen geglaubt hatte. Das musste ein Traum sein. Ja, bitte ein Traum! Dann würde er nicht mehr lügen müssen. „Eustass.“, kam die recht unterkühlte Antwort des Dunkelhaarigen, der zumindest versuchte sich äußerlich wieder zu fassen. Noch immer schlug ihm das Herz bis zum Hals, dass er glaubte der Rothaarige müsse es hören können. Dieser jedoch schien sich rein gar nicht an der unfreundlichen Begrüßung zu stören, sondern schnappte sich einfach das Buch aus Laws Händen und blickte auf den Einband. „Romeo und Julia, he? Suchst du nach Tipps um ein Mädchen rum zu kriegen?“ Das gehässige Grinsen erwiderte Law nur mit einem kalten, desinteressierten Blick. „Als ob ich es nötig hätte.“ „Bisher hat man dich ja noch nie mit einem Mädchen gesehen, du Möchtegern.“ Laws Lippen verzogen sich zu einem überheblichen Grinsen. Nein, nein, das lief doch alles wieder in die ganz falsche Richtung. Wollte er Kid nicht seine Liebe gestehen? Dem Mann, der ihn gerade beleidigte? „Vielleicht weil ich Frauen mit Stil date und nicht solche Schlampen, die den ganzen Tag auf deinem Schoß rumturnen.“ Kid lachte nur leise auf und kam einen Schritt näher, nun einen funkelnden Blick in den Augen, der Law gleich ein unsicheres Gefühl bescherte. Jedoch blieb er stehen, verbot sich zurück zu weichen, selbst als er Kids Atem in sein Gesicht schlagen spürte. „Ach ja? Ich habe da etwas anderes gehört. Nämlich dass du auf Kerle stehst.“ Das Entsetzten musste sich in seinen Blick geschlichen haben, bevor er es verbergen könnte, denn auf Kids Gesicht breitete sich ein breites Grinsen aus. Was? Würde er ihn jetzt auslachen? An die Schule verraten und diese die Arbeit machen lassen? Ihn bespucken? Beschimpfen? Demütigen? Wusste Kid, was er für ihn empfand? Tausende Fragen schossen Law durch den Kopf, der nun doch unwillkürlich zurück wich, wobei er jedoch zusammenzuckend gegen das Bücherregal stieß. Er hatte es sich immer gewünscht. Dass Kid wusste, dass er ihn liebte. Dass dieser seine Gefühle erwiderte. Dass der Rothaarige ihn auch liebte. Aber er hatte nie etwas getan, damit jener Wunsch war würde. Er hatte sogar immer versucht alles zu vertuschen. Wollte lieber mit Kids Ignoranz, als mit seinem Ekel leben. Lieber gar nicht angesehen werden, als wie Dreck. Und nun. Nun war es aus, er hatte sich selbst verraten, nur ein Blick, einmal nicht die kalte Maske über den verräterischen Seelenspiegel und er hatte alles verloren. Es waren ohnehin nur noch drei Tage, dann würde er Kid nie mehr sehen müssen. Law war nicht einmal fähig zu leugnen, was hätte es nun auch gebracht. Instinktiv wollte er die Flucht ergreifen, zur Seite ausweichen, doch Kid reagierte schnell und kesselte den Dunkelhaarigen zwischen sich und dem Bücherregal ein. Fassungslos starrte Law einen Moment auf die Hand, die sich neben ihm in Augenhöhe an einem Regalbrett abstützte, ehe sein Blick zurück zu Kid glitt, nun selbst blitzend vor Wut. „Lass mich gehen.“ „Also wirklich? Bist du schwul?“ „Und wenn?“, fragte Law provokanter und selbstsicherer, als er in diesem Moment war. Eigentlich war es ihm egal was die Leute von ihm sagten. Was die Schule über ihn sagte. Aber Kid war ihm nicht egal. Es tat schon weh, wenn dieser nicht mit ihm sprach und ihn nicht beachtete. Law wollte nicht den Schmerz einer Demütigung aus dem Munde erfahren, den er so viel lieber küssen würde. Doch Kids Blick wurde nicht spöttisch oder angeekelt, tatsächlich schien er sogar jenen Funken zu verlieren. Unsicher erwiderte Law den Blick aus den roten Augen, die plötzlich so ernst schauten, wie Law sie noch nie gesehen hatte. Und es machte ihn nervös. Es war, als wartete Kid auf etwas. „Lass mich endlich gehen, ich habe noch etwas zu tun.“, blaffte der Dunkelhaarige schließlich unelegant und nach einem kurzen Zögern zog Kid tatsächlich seine Arme zurück und trat sogar nach hinten. Law jedoch beachtete es nicht. Das Buch Kid entreißend und fest in seinen Händen umklammert warf er keinen Blick zurück, sondern eilte einfach nur die Regalreihe entlang. Das war nun also das Ende. Der Tod all seiner Träume. Er würde nicht mehr träumen, schämte sich selbst dafür, dass er jemals gehofft hatte, dass dieser Mann ihn lieben könnte. Dass er so schwach gewesen war sich so abhängig von den Gefühlen eines anderen zu machen. Gefühle, die niemals das gleiche für ihn empfinden würden. Wütend über sich selbst biss der Dunkelhaarige sich auf die Lippe, verbot sich nun auch nur eine Träne zu vergießen. Er war jung, er hatte kaum gelebt. Er würde Kid vergessen und jemand besseren finden. Jemanden, der besser zu ihm passte, der ihn auch liebte. Jemand, der ihm zeigte, was er niemals von Kid hatte haben können. Das Buch in irgendein Regal werfend, eilte der Dunkelhaarige aus der Bibliothek. Es war ein Glück, dass es ohnehin nur Minuten später klingelte. Noch bevor die anderen zurückkamen, hatte Law bereits seine Tasche genommen und war gegangen. Aus der Schule, weg von allem. Weg von Kid. Der Dunkelhaarige schüttelte schnell den Kopf, als der Rothaarige ihm in den Sinn kam. Nein, er würde nie mehr an diesen Namen denken. Kid war für ihn gestorben. Er musste nur noch zwei Tage durchhalten, dann wäre er ihn für immer los. Law hatte überlegt die letzten Tage einfach zu schwänzen. Daheim zu bleiben, sich zu verstecken. Ihm war danach. Danach und danach sich zu vergraben. Den Kopf in den Sand stecken hieß das Sprichwort. Und Law hatte es nie so gut verstanden wie an jenen Tagen. Doch er würde nicht den Schwanz einziehen. Egal was Kid noch zu ihm sagen würde, er würde es überstehen und dann musste er den Rothaarigen nie wieder sehen. Allein die Vorstellung tat so weh und ließ das Herz des Dunkelhaarigen sich zusammen ziehen. Liebeskummer hatte Kid gesagt. Wenn er nur wüsste wie Recht er hatte. Den nächsten Tag in der Schule nahm er kaum wahr. Er verbot es zu irgendjemandem zu sehen, aus Angst er könnte zufällig in rote Augen blicken, hielt sich abseits und sprach selbst mit seinen Freunden kaum. Immer wieder hatte er das Gefühl, dass um die nächste Ecke der Rothaarige lauern und ihn auslachen würde. Oder gespielt geekelt einen Schritt beiseite und eine laute, dumme Bemerkung, dass alles darüber lachten. Es war lange her, dass sie wirklich gemein zueinander gewesen waren. Sich wirkliche Streiche gespielt hatten und wirkliche Feinde gewesen waren. Doch Law hatte Angst, dass es so sein würde wie damals. Einfach, weil er sich verletzlich fühlte. Wenn es einen Menschen gab, der ihn verletzten konnte, dann war es Kid. Und dieses mal fühlte Law sich nicht dazu imstande einem solchen Kampf stand zu halten. Der Tag verging ohne dass Law den Rothaarigen zu Gesicht bekam. Einerseits erleichterte ihn dies, andererseits deprimierte es ihn. Er wollte Kid so gerne wieder sehen. Ihm sagen, dass er wirklich schwul war, dass er in ihn verliebt war, schon so lange. Würde so gerne sehen wie sich Freude auf den hübschen Zügen ausbreitete und Kid ihm ebenso seine Liebe gestand. Law hasste sich selbst für diese Träume. Weil niemals das passieren würde, was er sich erträumte. Er würde Kid niemals die Wahrheit sagen. Es war zu spät. Auch am nächsten Tag sah der Dunkelhaarige Kid nicht mehr. Der Tag ging vorüber und die Zeugnisse wurden verteilt, Law wie immer einer der Besten, doch er hörte es kaum. Damit war er nun also entlassen. Frei gesprochen von der Schule. Einen Schritt weiter erwachsen zu sein. Doch er zweifelte daran. Hatte die Schule ihn wirklich auf das Leben vorbereitet? Er wusste wie er einen Graphen beschreiben musste, aber wusste er, wie man jemandem seine Liebe gestand? Er wusste wie man ein Bild in eine Epoche einordnete, aber wusste er, wie man mutig war? Waren nicht das alles eigentlich die wichtigen Dinge? Die Dinge, die er brauchte um glücklich zu sein? Dieses Zeugnis machte ihn nicht mehr glücklich. Nicht so, wie er einmal gedacht hatte, dass es ihn machen würde. Wahrscheinlich würde er es eintauschen, wenn er könnte. Eintauschen gegen die Liebe einer einzigen Person. Das einzige, von dem er glaubte, dass es ihn würde glücklich machen können. Doch er hatte nur dieses Papier und fragte sich zum ersten Mal, ob er bereute, dass er nie mehr riskiert hatte als das hier. Sich von den anderen verabschiedend, die nun feiern gehen wollten, verließ Law die Schule allein. Sein Blick war leer und sein Magen fühlte sich seltsam flau an. Vielleicht sollte er sich einfach zuhause hinlegen und schlafen. Den Tag vorbei gehen lassen und ab morgen nie wieder an seine alte Schule denken. Nie wieder an ihn denken. Oder sich an einer Tanke eine Flasche Schnaps kaufen und sich einfach betrinken. War das nicht das Klischee bei Liebeskummer? „Trafalgar!“ Oder er würde ein gutes Buch lesen. Bis zum Semesterbeginn an der Universität war es noch etwas, er sollte die Zeit nutzen. Immerhin waren dies die letzen Ferien die er so lange in seinem Leben haben würde. „Hey, Trafalgar!“ Vielleicht sollte er auch verreisen. Sich seine Ersparnisse nehmen und ein paar Monate ins Ausland gehen, etwas Neues sehen und alles hier für ein wenig vergessen. Vielleicht würde er ja jemanden kennen lernen und es endlich akzeptieren, dass er nicht mehr verliebt war. Einfach leben und lieben, wie seine Freunde es taten. Ungezwungen und ohne den ständigen Gedanken, dass er vielleicht doch mit seiner Liebe zusammen kommen konnte. „Law!“ Kid packte den Dunkelhaarigen grob am Arm und zwang ihn damit dazu stehen zu bleiben. Doch Law wollte nicht mehr in die schönen roten Augen sehen, die er so liebte. Er wollte sie vergessen. „Was?“ „Kannst du mich auch ansehen, wenn ich mit dir rede?“ Kids Stimme klang genervt und als Law ihn anblickte sah er auch so aus. Genervt und irgendwie angespannt. Ein Anblick, den man von dem Rothaarigen wirklich selten so gewöhnt war. Doch weiter schien Kid auch nichts mehr zu sagen zu wissen, weshalb sie sich beide einfach nur schweigend anblickten, bis es Law zu bunt wurde. Er konnte nicht länger in diese schönen Augen sehen, ohne schwach zu werden. „Wenn du nur da bist um mich anzustarren, mach lieber ein Foto und verschwinde wieder.“ Und zu seiner größten Überraschung wurde Kid rot. Eustass Kid wurde rot. Hatte es so etwas schon einmal gegeben? Vollkommen von dieser Reaktion überrascht starrte Law den jüngeren Schüler an und konnte nicht verhindern selbst zu erröten. Verdammt, warum musste das jetzt passieren? Aber Kid sah so niedlich aus. So verletzlich auf einmal. Die warme Hand verschwand von Laws Arm und sogleich vermisste er die Berührung. Dem Rothaarigen schien seine Reaktion selbst peinlich zu sein. Betreten beiseite sehend wusste auch Law nicht so recht wo er hinsehen sollte und musterte einen unbestimmten Fleck auf der anderen Straßenseite, ehe er seinen Mut zusammen nahm und in einem weichen, ehrlichen Tonfall meinte: „Was wolltest du denn?“ Zögernd zu Kid blickend, begegnete er dessen Blick. Kids Wangen waren noch immer leicht gerötet, doch seine Augen blickten nun wieder ernst und offen. Und mutig? Law wusste nicht, was er mit jenem Blick anfangen sollte. Er machte ihn nervös. Und vor allem sollte Kid nun endlich etwas sagen. Diese Stille war einfach unerträglich. Doch Kid schwieg. Sagte nichts und schien plötzlich einen Entschluss gefasst zu haben. Vollkommen perplex wurden Laws Augen groß, als der Rothaarige die Hände hob und damit Laws Gesicht umfasste. Der Dunkelhaarige hätte wohl alles erwartet, aber nicht eine solche Geste. Eine Geste, die man doch sonst nur tat, wenn man … Augenblicklich wurden Laws Wangen noch röter, als er unfähig einen Gedanken zu fassen zu Kid aufblickte, der kurz schluckte und dann sowohl über seinen Schatten, als auch über Laws Schatten sprang. Und Law liebte ihn dafür. Der Dunkelhaarige wusste kaum wie ihm geschah, als sich sein Schwarm plötzlich nach vorne beugte und ihn küsste. Küsste! Auf den Mund! Einfach so! Laws Herz schien explodieren zu wollen und irgendwo in seinem Innersten musste jemand eine Wagenladung Schmetterlinge verloren haben. Ein unfassbares Glücksgefühl schoss in ihm empor und überdeckte alle negativen Gedanken, die er eben noch gehabt hatte. Dass er Kid vergessen wollte und dass dieser ihn nie geliebt hatte. All das verblasste gegenüber der eingetretenen Empfindung, die sich wie ein Sturm anfühlte. Wie von selbst schlossen sich seine Augen und der Dunkelhaarige lehnte sich weiter in den Kuss, bewegte scheu die Lippen und seufzte, als Kid ihm darauf antwortete. Law fühlte sich, als wäre er ein kleines Schulmädchen und kein erwachsener Mann, als er schüchtern eine Hand in Kids Nacken legte und dort die feinen, weichen Härchen streichelte. Gott, wie oft hatte er sich das schon vorgestellt. Doch in seinen Vorstellungen war es nie so gut gewesen wie das hier. Atemlos, als hätten sie eben einen Marathonlauf absolviert, lösten sie sich von einander und blickten beide sehr verlegen ein wenig an einander vorbei. Laws Herz schlug noch immer wie verrückt und seine Hände waren feucht, als er sie verlegen aus Kids Nacken löste. War das eben wirklich passiert? Träumte er nicht vielleicht schon, oder hatte sich betrunken? Und wenn es so war, dann wollte er weder jemals wieder nüchtern werden, noch jemals wieder aufwachen. „Das Vorgestern.“, fing Kid schließlich an und blickte scheu zu Law auf, der selbst erst jetzt den Blick hob. „Ich wollte dich nicht beleidigen oder verletzen. Eigentlich hatte ich gar nichts gehört, dass du schwul sein sollst. Das hatte ich nur erfunden um herauszufinden, ob du es bist. In den letzten Tagen habe ich darüber nachgedacht, dass wir uns nach der Schule vermutlich nicht mehr sehen würden und da wollte ich … es einfach versuchen.“ Law spürte sein gesamtes Gesicht brennen. Wollte Kid damit sagen … ? „Ich liebe dich schon eine ganze Weile, wenn ich ehrlich bin. Aber irgendwie … Ich wusste nie so recht wie ich es sagen sollte. Und du wirktest immer so distanziert. Hast mich ignoriert. Und ich wusste nicht einmal, ob du auch auf Männer stehst.“ Sich selbst von innen auf die Wange beißend erhob Law zögernd die Stimme. „Und die ganzen Mädchen?“ „Tarnung.“ „Verstehe.“ Erneut sahen sie sich einfach nur verlegen an, unsicher, was sie nun sagen sollten. Was bedeutete das nun? Waren sie jetzt zusammen? Oder ging sie erst einmal aus? Ganz unverbindlich? Es waren Ferien, sie hatten Zeit. Doch Zeit hatten sie in den letzten Jahren genug gehabt und sie nie genutzt. Sollte er einfach fragen? Kid war schon mutiger gewesen als er, er sollte sich nicht mehr genieren. „Und?“ Überrascht aufsehend, als Kid das Wort ergriff blickte Law diesen an. Der Rothaarige kratzte sich verlegen am Kopf. War das eine Frage, ob sie zusammen sein wollten? „Was meinst du?“, fragte Law deshalb aufgeregt und beobachtete wie Kid sich auf die Lippe biss. Jene Lippen, von denen Law nun wusste, wie gut sie küssen konnten. „Na … und du? Liebst du … mich auch?“ Hatte er das noch nicht gesagt? „Ja.“ Ein Lächeln breitete sich auf Laws Gesicht aus, langsam, aber stetig und griff schließlich auch auf Kids Lippen über. Law hatte nichts mehr zu befürchten. Der Rothaarige liebte ihn, liebte ihn genauso wie er es sich immer gewünscht hatte. Was zögerte er noch? Die Arme um Kids Nacken schlingend zog er diesen zu sich hinab und hauchte, noch immer rot im Gesicht, an dessen Lippen. „Ja, ich liebe dich auch. Ich liebe dich so sehr.“, ehe er den Rothaarigen küsste, leidenschaftlicher und mutiger als eben noch, küsste Kid so, wie er es sich immer gewünscht hatte. So, wie er nun nicht mehr wünschen brauchte. So wie er Kid immer küssen konnte, wenn er wollte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)