Halbwahrheiten von Nimsaj ================================================================================ Alice - Epilog -------------- Epilog 1. 11. 1679 Schnee trieb durch die Gassen der kleinen Stadt und jagte mit seinem eisigen Wind alle Menschen von der Straße, die sich vor die Tür gewagt hatten. In den Häusern waren überall Kerzen entzündet worden und Rauch über den Dächern zeugte von den warmen Öfen und Kaminen innerhalb der schützenden Wände. Die Luft roch zwischen den Häusern und Geschäften nach Zimt und Nusskuchen und dem brennenden Holz. In dem Schankhaus der Stadt, am südlicheren Ende gelegen, herrschte Hochbetrieb. Viele Menschen waren gekommen um sich, wenn sie es sich leisten konnten, ein deftiges Abendessen zu gönnen und wenn nicht, sich die Kälte mit Alkohol aus den Gliedern zu treiben. Einige Leute hatten nach den Geigen und dem Klavier gegriffen und spielten so, manchmal mehr schlecht als recht heitere Lieder, welchen sich aber niemanden zu stören gedachte. Viel zu ausgelassen war die Stimmung, dass man nur laut die Lieder mitsang, ob man nun den Text kannte oder nicht. Das bunte Stimmengewirr drang bis nach draußen auf die Straße und lockte einen jungen Mann, einen Reisenden, wie man auf den ersten Blick erkannte, einen Schatzsucher an. Knarrend öffnete er die schwere Holztür und ließ seinen Blick über die ausgelassene Feiergemeinschaft gleiten, bis sein Blick an der Theke hängen blieb, an welcher gerade ein Platz frei geworden war. Gemächlich schlängelte er sich zwischen den vollbesetzten Tischen hindurch, wich stinkenden Betrunkenen ebenso wie hübschen Bedienungen aus und schaffte es so ohne wirklich wahrgenommen zu werden bis an den Tresen. Schnaufend ließ Kid sich auf den Barhocker fallen und stellte seine Tasche neben seinen Füßen ab, bevor er einen tiefen Zug von der warmen, nach Alkohol, Tabak und Fleisch riechenden Luft nahm. Ja, es roch noch genauso, wie es vor einem Monat gerochen hatte und wie es wohl noch in 100 Jahren riechen würde. Mit einem zufriedenen Seufzen verschränkte er die Arme auf der Theke und musterte die Menschen im Raum, wie sie stritten und sich balgten oder sich lachend und singend in den Armen lagen. Nirgendwo konnte man einen harten Arbeitstag besser vergessen, als hier in diesem stinkenden Loch. „Na, wen haben wir denn da! Wenn das nicht Kid Eustass ist!“ Eine bekannte Frauenstimme riss ihn aus seinen Gedanken, ehe er den Kopf wieder zur Theke umwandte und die Wirtin des Lokals erblickte, welche hinter dem Tresen stand und die Hände in die Seiten gestemmt hatte. Wie immer lag ein Lächeln auf ihren Zügen, als sie ihn musterte, das lange, widerspenstige, blonde Haar mehr schlecht als recht zusammengebunden, dass ihr noch etliche Strähnen davon ins Gesicht fielen. Ihre blauen Augen blitzten jedoch unverkennbar zu ihm herüber und zauberten auch auf Kids Gesicht nun ein Lächeln. „Schön dich zu sehen, Kira. Wie läuft die Bar?“ „Wie du siehst sehr gut. Möchtest du etwas trinken oder hast du diesmal kein Gold gefunden?“ Ihr einen kleinen, goldenen Ring zuwerfend, welcher sogleich mit den Zähnen auf seine Echtheit überprüft wurde, nickte Kira und beeilte sich einen Krug Bier auf den Tresen zu stellen. Der Ring war mehr als genug der Bezahlung, fast schon übertrieben hoch, egal was er heute noch alles bestellen würde. Doch das war Kira gewohnt. Denn im Grunde war der Ring genauso wie das Bier nur ein Geschenk. „Ich habe gehört du wärst in Himmelreich gewesen.“, plauderte Kira weiter und stellte ein paar gehäufte Teller ans untere Ende des Tresens, wo ein Junge mit Strohhut jauchzend darüber her fiel. „Ja, war ich.“ „Ist das wahr?“, kam die Frage von einem Herrn zu Kids linker Seite, welcher ihn aus ehrlich interessierten Augen ansah. „Man hört ja so einiges aus dieser Stadt und den umliegenden Dörfern. Angeblich sei sie verflucht und würde einen gewaltigen Schatz beherbergen!“ Interessiert stellte Kira ein nun wieder sauberes Glas ins Regal, Kid mit einem eindeutig erwartungsvollen Blick ansehend, auf eine abenteuerliche Geschichte wartend. Auch der Strohhutträger am unteren Ende der Theke schien beim Wort Schatz aufgehorcht zu haben und schmatze nun lautstark in Kids Richtung. Gespanntes Schweigen legte sich über die kleine Runde, nur unterbrochen von der lauten Hintergrundkulisse. Kid jedoch schwieg und spürte das kalte Gold an seiner Brust, bevor er mit den Schultern zuckte und ärgerlich den Kopf schüttelte. „Alles nur Märchen! Ich habe die ganze Stadt abgesucht und nicht mehr als diesen Ring und eine handvoll Münzen gefunden. Die Stadt ist eine reine Zeitverschwendung. Und der angebliche Fluch ist auch nur ein Gerücht, was sich ein übereifriger, betrunkener Bauer ausgedacht haben muss.“ Enttäuschung legte sich auf die gespannten Gesichter. Der junge, wahrscheinlich noch unerfahrene Schatzsucher mit dem Strohhut ließ sogar ein frustriertes „Och man.“ ertönen, bevor er sich wieder seinem Essen zuwandte. Auch Kira seufzte auf und griff sich ein neues Glas zum Spülen, während der Mann neben Kid einen Schluck aus seinem Krug nahm. „Wie schade, aber eigentlich war es ja klar gewesen. Flüche und Monster gibt es nicht, ebenso wie Schätze!“ „Vollkommen richtig.“, bestätigte Kid und stieß mit dem Mann an, nahm selbst einen Schluck Bier. „Aber, Kleiner! Ich habe gehört im Süden an der Küste läge ein altes Kloster, in dem ein altes Goldkreuz versteckt sei. Wenn du nicht schnell bist, hole ich es mir.“, meinte er zu dem Strohhutträger gewandt, dessen Augen plötzlich leuchteten, nun doch ein neues Ziel gefunden zu haben. Nachdem er seinen überdimensionalen Bissen hinuntergeschluckt hatte, deutete er mit einer angefressenen Fleischkeule auf Kid und setze ein breites Grinsen auf. „Nichts da, alter Mann! Den Schatz schnappe ich mir!“ Und irgendwie glaubte Kid selbst daran, dass nun alles wieder gut wäre. Es war, als wäre er nie weg gewesen, hätte nur ein altes Landgut besucht gehabt oder wäre in einer alten Mine herumgestolpert auf der Suche nach Edelsteinen. Als wäre nichts passiert und als gäbe es wirklich weder Fluch noch Monster auf dieser Welt. Als läge alles Wichtige dieser Welt tatsächlich in dem Wissen dieses Schankhauses und seiner Besucher. Und irgendwo tat es das ja auch, selbst wenn ihn das Gold an seiner Brust Lüge strafte. Denn auch er gehörte zu dieser kleinen Gemeinschaft und fühlte sich darüber mehr als zufrieden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)