Halbwahrheiten von Nimsaj ================================================================================ Alice - Kapitel 2 ----------------- Kapitel 2 Das Prasseln des Regens hielt die ganze Nacht durch an. Kid, welcher ohnehin schier Ewigkeiten wach lag lauschte auf das beruhigende Geräusch und versuchte im Gegenzug alle weiteren Geräusche auszublenden. Geräusche wie die Schreie und das laute Tosen des Feuers. Es war gewesen, kurz nachdem Trafalgar Kid ein Zimmer gezeigt und es ihm als Schlafzimmer überlassen hatte. Ebenso groß wie die anderen Zimmer war dieser Raum mit einigen Schränken und Kommoden ausgestattet gewesen und hatte ein ausladendes Himmelbett in seiner Mitte vorgewiesen. Definitiv keine schlechte Unterkunft, wie Kid zufrieden festgestellt und den Schlüssel zu der Tür in den Gang gesucht hatte, um diese sicherheitshalber abzuschließen. Noch bevor er jedoch das kleine Stück Metall in einer der Schubladen hatte ausfindig machen können, war der erste Schrei durch die Stadt gehallt, so plötzlich und unerwartet, dass Kid überrascht aus dem Fenster gesehen hatte. Und dort waren sie alle erschienen, auf den Dächern der Häuser über die ganze Stadt verteilt. Feuersäulen und mit ihnen kamen die entsetzlichen Schreie. Nicht lange nachdem das schreckliche Schauspiel seinen Lauf genommen und Kid damit vollkommen in seinen grausigen Bann gezogen hatte, war Trafalgar nach einem kurzen Klopfen im Zimmer erschienen. Er wollte ihn wohl über den Ursprung des Feuers aufklären, falls er sich sorgen würde. So wären laut der Erläuterung Trafalgars die Feuersäulen ursprünglich einmal Scheiterhaufen gewesen, welche die Menschen auf den Dächern errichtet hatten um Hexen und Zauberer zu verbrennen, welche sie für den plötzlichen Fluch in der Stadt verantwortlich machten. Es waren also die ersten Menschen gewesen, welche der Stadt zum Opfer gefallen waren und der erste wirkliche Albtraum der Stadt, da die Menschen seit jeher jede Nacht von neuem auf den Dächern verbrannten und ihre unendliche Pein in den Himmel schrieen. Nach Trafalgars Miene zu urteilen fand er es bestenfalls noch amüsant, konnte jedoch nach so langer Zeit nichts weiter an diesem Schauspiel finden, sodass Kid allein mit dem beklemmenden Gefühl zurückblieb und versuchte es sich nicht anmerken zu lassen, wie fürchterlich sich jeder Schrei in seinen Körper brannte. Sicherlich, er kannte Hinrichtungen mit dem Scheiterhaufen. Wenn es um Hexen ging, so waren sie beliebte Instrumente ihrer Auslöschung. Doch war es etwas anderes die Schreie einer einzelnen Person zu hören, als duzende Stimmen zum lauten Bekunden ihres Schmerzes erhoben, welche dann noch stundenlang anhielten. Wohl auch aus diesem Grund dauerte es so wahnsinnig lange, bis Kid endlich die Schreie und den Schein des Feuers an der gegenüberliegenden Wand vergessen und wenigstens für einige Stunden schlafen konnte. Bereits im Morgengrauen erwachte Kid und stellte erleichtert fest, dass die Verbrannten endlich verstummt waren. Ebenso erleichtert war er, dass er überhaupt aufgewacht war. Von seinem eigenen Proviant frühstückend vermied es Kid schon im Voraus in die Verlegenheit zu geraten womöglich etwas Vergiftetes von Trafalgar angeboten zu bekommen. So studierte er noch einige Augenblicke die Stadt von seinem Fenster aus, welche vollkommen unschuldig da lag, ehe er seine Zimmertür aufschloss und sich in den Salon begab. Seine Erwartung wurde sogleich erfüllt, als er Trafalgar in seinem Sessel vorfand, den Zylinder bereits auf dem Kopf und den Spazierstock in der Hand. „Gut geschlafen?“ Kid knurrte nur. „Ich habe die tiefen Kratzer am Schloss meiner Tür gefunden. Hast’ wohl keinen Zweitschlüssel für meine Tür gehabt, was?“ „Stimmt. Aber wenn ich sie aufgebrochen hätte, dann wärst du aufgewacht und ich hätte dich nicht im Schlaf meucheln können. Ich versuche es heute Nacht noch einmal.“ Kopfschütteln folgte als Antwort und Kid war mehr als froh gleich zu Anfang schon entschieden zu haben seine Tür abzuschließen. Heute Nacht würde er wohl noch eine der Kommoden vor die Tür stellen müssen. „Was machen wir heute eigentlich?“, fragte er jedoch, versucht, eine weniger feindselige Konversation aufzubauen. Trafalgar spielte mit seinem Spazierstock. „Wir werden gleich damit beginnen die nötigen Vorbereitungen zu treffen, aus der Stadt heraus zu kommen. Ich werde dir einiges in der Stadt zeigen, damit du in etwa weißt, was wir erledigen müssen und wo du dich besser nicht aufhalten solltest. Und glaub nicht, dass es sich dabei um einen Spaziergang handelt.“ Trafalgar erhob sich und verließ, von Kid gefolgt, das Haus. Ihm war vollkommen klar, dass es sich dabei nicht um einen Spaziergang handeln würde. Denn Trafalgar hatte mit Sicherheit nicht erst gestern entschieden, dass er diese Stadt verlassen wollte. Schon sehr lange musste er versucht haben die Stadt zu verlassen, jedoch immer wieder gescheitert sein, was an sich schon deutlich machte, wie schwierig es werden würde, den Plan in die Tat umzusetzen. Kid war sich dabei jedoch noch unsicher, warum ausgerechnet er für das Gelingen des Plans wichtig oder nötig zu sein schien. Die Stadt lag im noch schwachen, goldenen Morgenlicht dar und erweckte keines Falls den Eindruck, das etwas mit ihr nicht stimmen könnte. Leichte Nebelschwaden hingen wie Fetzen zwischen den Häusern und wurden nur von manchmal vorbei schleichenden Katzen aufgewirbelt, während die Luft vollkommen windstill war und damit eine friedliche Stille über der Stadt lag. Trafalgar führte Kid durch die ganze Stadt und zeigte ihm verschiedene Gebäude, von welchen er sich fern halten sollte. Unter anderem kamen sie an der Klinik Himmelreich vorbei, an deren hunderten Fenstern Kid nicht umhin kam verschiedene Menschen zu sehen, welche selbst auf diese Entfernung keinen gesunden Eindruck machten. Trafalgar erklärte ihm, dass die Menschen dort wahnsinnig eingeliefert worden waren und sich selbst infolge dessen umgebracht hatten. Fast alle der Menschen, welche durch den Wahnsinn umgekommen waren, wie eben auch die Verbrannten auf den Dächern, konnten in der Stadt nicht sterben und starben so immer wieder oder geisterten in der Stadt oder an dem Ort ihres Todes herum. Kid verkniff sich an dieser Stelle die Frage warum Trafalgar selbst noch lebte. Ebenfalls zeigte Trafalgar ihm den Fluss, welcher durch die Stadt verlief und welcher verstörende Spiegelbilder zeigte, vor denen er gewarnt wurde sie nicht allzu lange anzusehen. Laut der Aussage von Trafalgar hatte der Fluss schon mehr Reisende in den Tod gerissen als irgendein sonstiger Wahnsinn der Stadt. Die Kathedrale war ebenfalls Haltepunkt der kleinen Führung. Kid wurde aufgeklärt, dass die Kathedrale wohl damals als Ausgangspunkt des verheerenden Fluches, wie Trafalgar es nannte, angenommen wurde. Daher war vor allem diesem Gebäude, wenn auch keine direkte Gefahr von ihm ausging, fern zu bleiben. „Gibt es eigentlich irgendein Haus, welchem ich mich ungefährlich nähern kann?“ Trafalgar ließ sich auf eine Parkbank sinken. Der kleine Park lag im Süden der Stadt auf der Ebene des Adels. Abgesehen von den Katzen der Stadt waren jedoch keine Tiere wie Vögel zu erkennen, was Trafalgar mit dem guten Instinkt der Tiere begründete. Diese hatten die Gefahr des Fluches fast noch zuerst erkannt und waren alle aus der Stadt geflohen. „Es gibt leer stehende Häuser, welche keine direkte Gefahr beinhalten. Doch allein schon, dass die Katzen in jedes Haus gelangen und sich in eben diesen unzählige Spiegel befinden, macht kein Haus sicher. Vielleicht hältst du diese Sicherheitsvorkehrungen für übertrieben, aber ich habe schon zu viele Reisende stundenlang in den erstbesten Spiegel starren gesehen, bis sie sich selbst, gleich ihrem Spiegelbild, umgebracht haben. Wenn man zu lange in einen Spiegel starrt, dann tut nicht mehr das Spiegelbild, was man selbst tut, sondern umgekehrt. Und das ist verhängnisvoll.“ Kid beobachtete die bunten Blätter an den Bäumen, welche mit jedem Luftzug raschelten und stetig neu von der Schwerkraft angezogen wurden und zu Boden sanken. „Wo sind all diese Reisenden, welche schon in dieser Stadt gestorben sein sollen?“ „Der Schatten hat sie gefressen oder die Katzen, je nachdem.“ Ein zweifelnder Blick wurde einem der nahen Katzentiere zugeworfen, welches sich jedoch nicht wagte näher zu kommen und daher stetig nur durch das vereinzelte, gefallene Laub stakste. „Warum meiden die Katzen dich eigentlich?“ „Diese Stadt dürstet nach Blut, jedoch nicht nur nach fremdem Blut. Wenn sie kann, dann frisst sie sich selbst auf und ich habe schon zu viele Katzen vernichtet, als das sie nicht daraus lernen und mir fernbleiben würden.“ Kid warf Trafalgar einen Seitenblick zu. „Es scheint, als hättest du in dieser Stadt das Sagen.“ Ein fast schon verbittertes Lächeln huschte über die Züge des Angesprochenen. „Ist das so?“ „Nicht?“ Trafalgar erhob sich. „Komm, ich zeige dir, welches der gefährlichsten Häuser der Stadt wir morgen besuchen werden.“ Irritiert folgte er Trafalgar, welcher nicht mehr sonderlich gesprächig schien und mit einem geradezu kalten Zorn in den Augen durch die Straßen schritt und Kid in den bis jetzt unbekannten Osten Himmelreichs führte. Die Gebäude hier schienen eher Geschäfte als Wohnhäuser gewesen zu sein und waren dementsprechend hoch und pompös gestaltet worden. Unter anderem waren Restaurants vertreten, auch Spielkaffees zierten das Straßenbild, ebenso wie ganz gewöhnliche Läden, welche Kleidung, Nahrung und allerlei sonstigen Kram verkauft hatten. Dies alles jedoch schien nicht Ziel Trafalgars zu sein, welcher sämtliche Läden getrost ignorierte und dabei den Blick starr auf das wohl größte Gebäude dieses Stadtviertels gerichtet hatte. Von weitem hätte man davon ausgehen können, dass das Ende der Straße in Nebel hing, doch je näher Kid kam, desto vorsichtiger wurden seine Schritte. Denn was zuerst wie feiner Nebel aussah, entpuppte sich als hauchdünne Fäden, welche wie ein kaputtes Netz über die Stadt gespannt worden waren. Kaum hatte man die ersten Ausläufe diese Abnormalität erreicht, konnte man sich nicht der unguten Annahme erwehren sich geradewegs auf dem Weg in das Nest einer riesigen Spinne zu befinden. Kaum sichtbar, schwach glänzend im Sonnenlicht, spannten sich die Fäden zwischen den Häusern kreuz und quer und Kid sah bereits von weitem, das ein einfaches Überqueren der Straße in einigen Metern nicht mehr möglich sein würde, ohne sich ducken oder über einen Strang hinwegsteigen zu müssen. Dies schien auch Trafalgar zu bemerken, welcher anhielt, bevor sie gezwungen waren ihren geraden Gang in der Mitte der Straße zu verändern. Und obwohl der Schwarzhaarige gefasst wirkte, bemerkte Kid nur allzu deutlich das schwache Zittern des kalten Körpers neben sich und wie die Fingerknöchel um den Knauf des Spazierstocks weiß hervortraten. Auch wenn er es nicht erkennen konnte, war er sich in diesem Moment sicher, dass Trafalgar mit Sicherheit alle Haare zu Berge standen. „Falls du auch nur einen der Fäden berührst, werde ich dich ohne zu zögern hier zurück- und sterben lassen.“ „Ist das das Nest einer Spinne?“ Trafalgar presste für einen Moment die Lippen aufeinander, bevor er sich plötzlich aus seiner verkrampfen Position heraus entspannte, ganz so, als wäre eine schlimme Vorahnung nicht eingetroffen. „Das kann man so sagen, wenngleich ihre Fäden nicht klebrig wie Honig, sondern scharf wie Klingen sind.“ Prüfend musterte Kid die hauchfeinen Stränge und musste tatsächlich feststellen, dass an vielen Stellen der locker hängenden Fäden Blut klebte und diese dadurch sichtbarer machte. Doch welche Spinne spann solch mörderische Fäden? „Siehst du das große Gebäude dort vorn?“, Trafalgar wies mit einer kurzen Kopfbewegung in Richtung des größten Gebäudes, welches schon vorher Kids Aufmerksamkeit erregt hatte. „Was ist das für ein Gebäude? Ein Geschäft?“ „Vor 200 Jahren war jeder in Himmelreich stolz auf dieses Gebäude. Selbst das gemeine Volk hegte einen leisen, falschen Stolz dafür, auch wenn es sich nur selten zu Feiertagen erlauben konnte das wenige Gold zusammen zu nehmen und es zu besuchen. Menschen von den nahen Dörfern suchten ihre feinsten Stoffe aus den Schränken heraus, wenn sie kamen um dieses Gebäude zu besuchen, war es doch auch das einzige seiner Art im Umkreis von mehreren hundert Kilometern anstrengenden Ritts oder Kutschfahrts. Früher gab es so viel weniger Städte als heute, so viel weniger Gebäude, welche allein der Zerstreuung des Geistes wegen errichtet worden waren. Wir alle waren stolz, auch ich.“ Ein säuerlicher Glanz schlich sich in die dunklen Augen Trafalgars, ehe er schnaubte. „Heute traut sich nicht einmal mehr der Schatten in diesen Teil der Stadt, weil er fürchtet sich an den Fäden zu schneiden. Hundert mal mehr Katzen haben ihr Leben durch diese Fäden verloren, als ich je hätte töten können, nein, eigentlich meidet jeder Albtraum diesen Teil der Stadt, dieses einst schönste Gebäude Himmelreichs. Wenn ich vorstellen darf, das Theater Himmelreich.“ Interessiert glitt Kids Blick von Trafalgar zurück zu dem imposanten, mit einer bunten Fassade versehenen Gebäude. Tatsächlich konnte er, jetzt wo er wusste welche Einrichtung es einstmals gewesen war, spezifische Merkmale erkennen, wie den teils übertriebenen und an einigen Stellen sehr fantasiereichen Aufbau des fast fensterlosen Hauses. Viele Gebäude dieser Art waren so errichtet worden, wenngleich man in der heutigen Zeit eher schlichtere Architektur bevorzugte. „Alle Fäden, die du hier siehst, enden beziehungsweise beginnen im Theater.“ „Was wollen wir in dem Theater?“ Trafalgar gab einen amüsierten Laut von sich. „Du willst da drin gar nichts, das kannst du mir glauben. Aber ich suche etwas, was ich benötige um die Stadt verlassen zu können.“ „Und das wäre?“ „Etwas überaus wichtiges, was man mir noch zu Lebzeiten gestohlen hat und weswegen ich nicht gestorben bin.“, erklärte der Schwarzhaarige finster und undurchsichtig. „Komm, wir sollten uns nicht zu lange hier aufhalten. Und pass bloß auf, keine der Fäden zu berühren!“ Kid warf dem Theater einen letzten Blick zu, ehe er sich ebenfalls umwandte und Trafalgar folgte, welcher offenbar nicht schnell genug weg von dem verhassten Gebäude kam. In gewisser Weise irritierte es ihn, dass Trafalgar, welcher sogar gegen den Schatten ankam, vor irgendetwas an Angst anmutenden Respekt zeigte. So gesehen war diese körperliche Reaktion Trafalgars mehr wert gewesen, als das bloße Betrachten des Ziels ihres morgigen Ausflugs. Trafalgar hatte gar nicht überlegen müssen, als er Kid gleich zu Anfang ihrer kleinen Reise erklärt hatte, dass sie erst morgen zur eigentlichen Tat schreiten würden. In gewisser Weise war er also schon seit langer Zeit auf diesen Tag vorbereitet gewesen und hatte nur nach einem geeigneten Partner gesucht. Oder Hilfsmittel. Kid war sich immer mehr unsicher, ob der Albtraum, wie er sich eben selbst genannt hatte, ihn nicht verraten würde. Denn zwar war es sicher, dass Trafalgar die Stadt unter allen Umständen verlassen wollte, doch damit war auch nicht ausgeschlossen, dass er Kid opfern würde, wäre es nötig. Allein das Monster im Theater, dessen Ausmaße Kid noch immer nicht kannte, war Grund genug zur Sorge, dass er nicht mehr als ein Opfer, ein Köder, eine Ablenkung war, um an das gewünschte Objekt der Begierde zu gelangen. Immerhin wollte Trafalgar seinen Tod, sodass er ihm kaum hinterher trauern würde, sollte er in dieser verfluchten Stadt sterben. „Was genau ist das Monster im Theater?“, fragte Kid und registrierte, wie Trafalgar langsamer wurde. Mittlerweile hatten sie die verhängnisvolle Straße schon lange hinter sich gelassen. „Das wohl gefährlichste Geschöpf in dieser Stadt.“, antwortete Trafalgar ihm wie immer undurchsichtig und in diesem Fall fast ausweichend. „Ich wäre dir sehr dankbar, wenn ich das etwas genauer wüsste. Schließlich muss ich morgen das Theater besuchen und wüsste schon gerne, was genau mich darin erwartet.“ Trafalgar blieb stehen. „Ich weiß es um ehrlich zu sein nicht genau.“ „Was soll das heißen?“ Skeptisch starrte Kid seinem Gegenüber entgegen, welcher nun tatsächlich das erste Mal wirklich zu überlegen schien. Seine Antwort hingegen war in Kids Augen abermals nichts als eine Aneinanderreihung wohl gewählter Worte. „Als ich ihn das letzte Mal gesehen habe, war er ein Mensch, jedoch sind fast hundert Jahre seitdem vergangen. Dinge verändern sich hier in dieser Stadt, werden hässlich und abscheulich und ich weiß nicht, was aus ihm geworden ist, wo er doch schon so lange in der Dunkelheit sitzt und einer Spinne gleich auf seine Opfer in seinem Netz sitzend lauert.“ „Also doch eine Spinne?“ „Eine Spinne in Menschengestalt vielleicht.“ Unzufrieden mit der Antwort grummelte Kid, ehe er zusammenfuhr, als eine hohe krächzende Stimme hinter ihm ertönte. Sofort einen warnenden Blick Trafalgars auf sich lastend habend, folgte er dem weiterlaufenden Schwarzhaarigen und blickte sich nicht um, wie er es eigentlich gerne getan hätte. „Möchtest du einen Apfel?“ Der Stimme nach zu urteilen eine alte Frau, rief Kid hinterher, was er jedoch tunlichst ignorierte. Mittlerweile war er auf absolut nichts in der Stadt vertrauenswürdig gestimmt. „Was läufst du denn weg? Komm her, ich habe Süßigkeiten!“ Immer mehr Boshaftigkeit mischte sich in die Stimme der Frau, welche es offenbar nicht guthieß nicht beachtet zu werden. Mit wachsendem Misstrauen registrierte Kid, wie es um ihn herum langsam kälter wurde und er gar Schnee wahrnahm, welcher vom Himmel zu fallen begann. Von jetzt auf gleich schien Winter in die herbstliche Stadt einzuziehen, Raureif sich an den Häuserwänden zu bilden, Eisblumen an den Fenstern zu wachsen. Kids Atem hing plötzlich wie ein weißer Schleier vor seinem Gesicht und seine Schuhe trafen auf knirschenden Schnee. Ein Albtraum. „Komm her und lass dich fressen!“ Laut und schrill gleich dem Kreischen eines grauenvollen Vogels schallte die verzerrte Stimme durch die Straße. Trafalgar neben ihm gab ein unzufriedenes Geräusch von sich und blieb dann stehen, sich dem Albtraum in ihrem Rücken zuwendend. „Sieh nicht hin.“ Dann war er verschwunden und Kid hörte das schrille Lachen der Frau. „Zeigst du dein wahres, hässliches Gesicht, Chirurg des Todes?“ Ein heftiger Windstoß zerrte an Kids Kleidern, trieb ihm die Kälte wie gefrierendes Wasser bis in die Knochen und ließ ihn schaudern. Ein kurzes Donnern ertönte, dessen Ursprung er nicht ausmachen konnte, ihn jedoch mit sofortiger Wirkung dazu drängen wollte sich umzudrehen. Das ehemalige Lachen der Hexe hatte sich in ein grauenvolles Schreien gewandelt, welches Kid die Haare zu berge stehen ließ. Was nur tat Trafalgar da? Was passierte da? Erneut peitschte ein Windstoß durch die Straße, begleitet von einem weiteren Schrei, ehe es still wurde. Vorsichtig und von unerträglicher Neugier geplagt warf Kid dann doch einen kurzen Blick über die Schulter, konnte jedoch nichts Besonderes ausmachen. Was auch immer da gewesen war, war weg. Lediglich Trafalgar stand noch ruhig und offenbar unverletzt zwischen den nun schmelzenden Schneedünen, die Körperhaltung vielleicht etwas steifer als sonst. Ein verärgerter Blick traf Kid sofort darauf aus den blauen Augen. „Hörst du nicht, was man dir sagt?“ „In der Regel nicht. Was war das?“ Der schwarze Zylinder wurde gewissenhaft zurechtgerückt, bevor Trafalgar seinen Weg fortsetzte, als wäre nichts passiert. „Eine Winterharpyie. Nichts Beunruhigendes. Sie waren hauptsächlich dafür verantwortlich, dass die Kinder aus dieser Stadt verschwanden. Sie haben in den Kerkern des örtlichen Gefängnisses ihren Hort, dort sieht man eine ganze Reihe eingefrorener Kinder.“ Beunruhig von der Wortwahl des Schwarzhaarigen, nach welcher dieses Monster nichts Beunruhigendes gewesen sei, folgte er Trafalgar von neuem. Womöglich hatte Kid tatsächlich diese Stadt und ihre Vielfalt an Albträumen unterschätzt. Mied man ihn tatsächlich, weil er mit Trafalgar unterwegs war? „Du musst verstehen, dass es mehrere hundert Arten Albträume in der Stadt gibt.“, wurde er sofort aufgeklärt, als könne sein Gegenüber Gedanken lesen. „Die meisten Albträume allerdings sind Unikate, wie eben der Schatten, Viktoria oder auch Ich, wenn du es so willst. Abgesehen von den Katzen und den Harpyien, von denen es im Übrigen auch Unterarten gibt, existieren hingegen nur eine handvoll anderer Arten, welche mehrfach vorkommen und sich vermehren.“ „Wie hat die Harpyie dich genannt?“ „Das hat dich nicht zu interessieren.“, kam die verblüffend schroffe Abfuhr auf diese Frage, welche Kid die Augenbrauen hochziehen ließ. Trafalgar hingegen schien keinen weiteren Gedanken daran zu verschwenden und wechselte nach einem kurzen Blick die Straße entlang die Seite, um in eine andere Straße einzubiegen. Wenn Kid es nicht besser gewusst hätte, hätte er fast gesagt, Trafalgar hätte nach eventuell näher kommenden Kutschen Ausschau gehalten. Auf dem Kathedralenplatz hielt besagter Albtraum und richtete das Wort an Kid, nachdem er ausgiebig die Umgebung gemustert hatte. „Ich habe noch ein paar Dinge in der Stadt zu erledigen, vor allem im Hinblick darauf, dass ich diese verlassen werde. Spätestens bei Sonnenuntergang bin ich zurück in der Villa. Du solltest dich ebenfalls bei beginnender Dunkelheit dort hin zurückziehen, den Schatten kennst du ja schon.“ Kid nickte zustimmend und beobachtete interessiert, wie Trafalgar in einer kleineren Gasse verschwand, deren Ort, an den sie führte, er nicht kannte. Es juckte ihm in den Fingern Trafalgar einfach zu folgen und zu sehen, was ein Toter in einer toten Stadt zu erledigen hatte, doch beschlich ihn das Gefühl diese Entscheidung unter Umständen bitter zu bereuen, sodass er seinen Blick lieber wieder auf die Kathedrale in seinem Rücken richtete. Ursprünglich war er mit dem Vorsatz in die Stadt gekommen Gold in ihr zu finden. Und diese Gier hatte er auch angesichts des Grauens nicht vergessen, jedoch würde er sich dabei Trafalgars Erklärungen zu nutze machen und die größeren Häuser der Stadt meiden. Immerhin sollte dieser Höllentrip nicht ganz umsonst gewesen sein. Auf diese Art und Weise hatte Kid innerhalb der nächsten Stunden tatsächlich in verschiedenen Salons, Kellern, Schlafzimmern und Küchen der gewöhnlicheren Häuser eine Hand voll Gold gefunden, was sich in der Regel zwar auf Alltagsgegenstände wie Besteck beschränkte, doch hatte er auch einen kleinen Ring mit einem glänzenden Stein gefunden, von welchem Kid hoffte, dass es ein Diamant war. Kleinkram. Solche Dinge fand man auch in gewöhnlichen verlassenen Burgen und Schlössern. Ohnehin war es dafür, das alle Häuser ordentlich und vollständig eingerichtet waren viel zu wenig Edelmetall. Selbst in den Häusern des Adels hatte er nicht mehr gefunden, was in ihm eine gewisse Fixe Idee erweckte. Trafalgar bereitete sich darauf vor die Stadt zu verlassen. Doch was hieß das? Jeder anständige Mensch hätte mit Sicherheit Wertgegenstände eingepackt, Gold, Papiere. Was sonst wäre in seiner Masse so klein, in seinem Wert so groß, als dass man sich entschied es mitzunehmen? Grübelnd warf Kid einen Blick in den bereits leicht verfärbten Himmel. Niemand hatte behauptet, dass das One Piece ein Berg Gold war oder ein Fels aus Diamant. Lediglich, dass der Wert dieses Schatzes alles je da gewesene in den Schatten stellte. Und Kid kannte die Edelsteinhändler, welche für seltene Steine auch gerne das Vielfache an Gewicht in Gold für ein schönes Stück zahlten. Was, wenn der sagenumwobene Schatz ebenfalls nur ein Stein war, ein kleiner seltener Stein, vielleicht der einzige seiner Art. Man müsste nur in allen bekannten Ländern von ihm erzählen, an alle Königs- und Fürstenhofe schreiben und von einem ganz und gar einmaligen Stein berichten, welcher geradezu einer Engelsfeder gleich in seiner schier endlosen Schönheit als Unikat nur einem Menschen gehören konnte und wie der Segen eines Gottes fast schicksalsgleich war. Jeder würde ihn haben wollen und damit einen Wert erlangen, welches kein Königreich zu zahlen in der Lage war. Einen Wert, welchen den Besitzer zwang den Stein stetig bei sich zu tragen, wenn nicht an einem äußerst sicheren Ort zu verstecken. Kid steckte die Hände in die Manteltaschen und machte kehrt, nun auf dem Weg in die Villa Trafalgars. Wenn es ein One Piece gab, dann besaß Trafalgar es, da war Kid sich todsicher. Sonst niemand in der Stadt könnte Interesse daran haben, weder die Katzen, noch Alice oder ein anderer Albtraum der Stadt. Und eines dieser Geschöpfe musste den Schatz behüten, gleich einem Feuer atmenden, rostroten Drachen, deren Märchen Kid nun ebenfalls in einem anderen Licht sah. Denn eines war sicher, würde er diese Stadt tatsächlich lebendig verlassen können, so wäre er dennoch nicht mehr der gleiche Mensch, der gerade einmal gestern die Stadt betreten hatte. Und Kid fühlte sich, als wäre er schon wochenlang zwischen den Häusern eingesperrt. Die Tür knarrte in Kids Ohren doppelt so laut, wie sie es sonst tat, doch das sprach er seiner gewissen Nervosität zu. Nicht nur, dass Trafalgar kein Mensch oder zumindest kein lebendiger Mensch war, so hatte Kid auch einen Pakt mit ihm geschlossen, was seine ganze Aktion auf einer gefährlich dünnen Grenze zwischen Verrat und legitimen Misstrauen balancieren ließ. Sämtliche Schatten im Haus schienen Kid anzustarren und er wurde das Gefühl nicht los, dass er besser mit seiner Suche fertig wurde, bevor der Herr des Hauses zurückkehrte, sodass er entschied systematisch vorzugehen und zuerst die oberen Zimmer zu durchsuchen. Falls Trafalgar den Schatz allerdings am Körper trug, so würde Kid gezwungen sein ihn aufzugeben oder in einen offenen Kampf überzugehen, dann jedoch erst, wenn sie die Stadt verlassen hatten. Die Türen im oberen Stockwerk knarrten ebenso, wie es die Eingangstür schon getan hatte. Stickige, warme Luft schlug Kid aus den Zimmern entgegen, ganz so, als wäre die abgestandene Luft schon jahrelang in den Räumen gefangen. Staub wirbelte auf, dessen winzige Teilchen in dem schräg einfallenden Licht durch die Luft tanzten und dem ganzen Geschehen einen fast unwirklichen Hauch verliehen. Spinnweben hingen zwischen Decke und Wänden, zwischen allen Möbeln, welche ebenso verschlissen wirkten, wie der Rest der Stadt. Schon bald nachdem Kid mehrere leere Kommoden geöffnet und von Staub befreit hatte, war er sich sicher, dass er in diesen Räumen definitiv nicht fündig werden würde. Auch der Salon und die Küche ergaben kein anderes Ergebnis, obwohl er sich alle Mühe gab und sogar in die Uhrwerke der stehen gebliebenen Zeitzähler blickte und in seinem Verdruss nicht einmal bemerkte, dass alle Uhren die gleiche Zeit anzeigten. Von Spiegeln wurde sich nach bestem Wissen fern gehalten, ehe Kid eine schmale Treppe hinter der eigentlichen Treppe in den ersten Stock auffiel, welche offenbar in den Keller des Hauses führte. Verdeckt durch einen Vorhang glaube Kid nun sein Glück endlich wieder gefunden zu haben und stieg hinab in die Dunkelheit, nachdem er sich einen kleinen Kerzenhalter mit ein paar Lichtern versehen und mitgenommen hatte. Der Keller wirkte im Gegensatz zum Rest des Hauses fast schon fremd. Statt dem üblichen Holz traf das Licht der drei Kerzen mit seinem schwachen Schein auf reflektierende Metallwände. Überrascht berührte Kid das kalte Metall und hielt die Kerzen weiter von sich um mehr in dem kleinen Lichtkegel ausmachen zu können. Schemenhafte Schatten schienen um ihn herum zu huschen, doch laut Trafalgar konnten sie ihm nichts antun, wenn er sie nicht anblickte. Dennoch blieb das beklemmende Gefühl zurück, das ihm eine große Gefahr im Nacken saß, weshalb er sich einige Male zusammenreißen musste, nicht doch den Schemen hinterher zu starren. Der schmale Gang endete alsbald mit einer großen, schweren Eisentür, auf welcher ein seltsames Symbol, ähnlich einem Gesicht, abgebildet worden war. Die dunkle Farbe war leicht verlaufen und schimmerte schwach im dumpfen Feuerschein, sodass Kid nicht ausmachen konnte, ob es nun rot oder schwarz war. Nur soviel war sicher, jemand musste mit Blut gemalt haben, mit viel Blut. Von diesem Fund von neuem gemahnt vorsichtig zu sein, öffnete Kid langsam die schwere Tür und musste sich sogar mit seinem Gewicht dagegen stemmen, um das widerspenstige Element des Verschließens an seiner angetrauten Tätigkeit zu hindern. Kaum war er durch den Spalt hindurchgehuscht, schloss sich die Tür auch schon wieder mit einem leisen Knall, welcher unangenehm klar im Raum widerhallte, jedoch keineswegs auf die Art und Weise, wie es ein großer Saal getan hätte. Viel eher glich es dem Geräusch, als würde etwas in einen Suppentopf fallen. Erst nachdem dieses Hindernis überwunden worden war, hob Kid den Kopf und sah sich forschend um. Obwohl der Raum größtenteils in Dunkelheit gehüllt blieb, schimmerten immer wieder überall Dinge durch die Düsternis, deren genaue Form Kid nicht ausmachen konnte. Das erste, was ihm in diesem Raum auffiel, war der breite, metallene Tisch in der Mitte des eher kleinen Raumes. Ein kalter Schauer konnte nicht verhindert werden über seinen Rücken zu huschen, als Kid mit einem Schlag dämmerte, in was für einem Raum er sich hier tatsächlich befand. Den langen Tisch genauer musternd tauchten lederne Hand- und Fußfesseln aus der Düsternis auf, an kurzen Ketten an der massiven Eisenplatte befestigt. Dunkle Flecken hatten sich in das robuste Leder gefressen, unwillig je wieder zu verschwinden, als ewige Zeugen des Schmerzes und Todes, den sie ihrem Opfer aufgezwungen hatten hilflos zu ertragen. Kid spürte, wie sich ihm die Nackenhaare aufstellten, als er auch langsam zu begreifen begann, was die reflektierenden Gegenstände darstellten. Feisäuberlich aufgereiht hingen Messer an der Wand, Zangen, lang und dünn mit gezahnter Spitze, Spritzen mit langen dünnen Nadeln, in Regalen Gläser mit giftfarbenen Flüssigkeiten, dicke Ketten, kleine und große Hämmer, Hacken, klauenartige Handschuhe, eiserne Masken, Nadelbretter, Daumenschrauben, Äxte und an der hinteren Wand, zwischen zwei gewaltigen Regalen voll mit großen Gläsern, ein langes Schwert in einer außergewöhnlich gemusterten Scheide. Eine Folterkammer, Kid war geradewegs in die Folterkammer Trafalgars gelaufen. Alarmiert rief ihm sein Instinkt zu, er möge diesen Raum so schnell wie möglich verlassen, doch seine Augen hafteten an dem langen Schwert, oder besser gesagt an den Regalen neben eben diesem Schwert. Wie gebannt starrte er auf die Gläser, deren Inhalt Kid nicht erkennen konnte. Flüssigkeit und eine Masse darin, in jedem Glas gleich. Trafalgars Sammlung, vielleicht Trophäen. Kid konnte nicht anders, obwohl alles in ihm danach schrie sich nicht darum zu scheren starrte er von Grauen gepackt zu der Wand aus Glas, trat ganz langsam näher und hörte sein eigenes Herz schmerzhaft in der Brust pochen, als er erst beim letzten Schritt begriff, was Trafalgar als Trophäe von seinen Opfern behalten hatte. Herzen. Dutzende Herzen, fein säuberlich aufgereiht, ihrem Besitzer zugleich mit dem Leben entrissen und aufbewahrt für die Ewigkeit. Kid hatte plötzlich das Gefühl die Dunkelheit um ihn herum würde ihn mit einem Mal aus hunderten Augen heraus anstarren, als läge sie plötzlich mit einem unglaublichen Gewicht auf seinen Schultern. Nun doch seinen inneren Alarmglocken gehorchend wendete er den Blick von der grauenhaften Sammlung ab und steuerte zielstrebig auf die Tür zu. In dem Moment jedoch, in dem er nach dem Türgriff hatte greifen wollen, packte ihn etwas mit eiserner Kraft am Handgelenk. Mit einem Ruck zog etwas mit einer unglaublichen Kraft an Kid, sodass dieser sich nicht helfen konnte zurück zu stolpern und den Kerzenleuchter aus den Fingern gleiten zu lassend. Von einer auf die andere Sekunde war es finster wie in einer Nacht bei Neumond und genau darauf schien alles um ihn herum gewartet zu haben. Kid hatte keinerlei Chance, als sich plötzlich hunderte Hände um seine Gliedmaßen legten und brutal an ihm zerrten, als hätte die Dunkelheit selbst Arme bekommen. Keinen Wimpernschlag später entwich ein Schmerzensschrei seiner Kehle, als sich dutzende, scharfe, spitze Gegenstände sich in seine Haut bohrten und ihn ebenfalls, gleich den Krallen eines Dämons, zurück in Richtung Tisch zerrten. Vollkommen hilflos konnte Kid sich keinen Zentimeter in eine andere Richtung bewegen, selbst sein heftiges Wehren in vollkommener Finsternis, welche sich regelrecht in seine Augen brannte, brachte nichts. Viel mehr trieb es die scharfen Klingen tiefer in sein Fleisch, ließ ihn schmerzerfüllt aufknurren. Alles riss an ihm, in tausende, jedoch auch nur in eine einzige Richtung, während Kid verzweifelt versuchte sich dagegen zustemmen, um nicht auf dem Foltertisch zu landen. Die Muskeln alle zum zerreißen gespannt, stemmte er sich gegen die Finsternis, versuchte seine Arme aus den Fängen dieses Grauens zu reißen und die Beine gegen den Tisch zu stemmen. Und tatsächlich schien seine Atem raubende Anstrengung für einen Moment zu funktionieren, in welchem Kid kurz verzweifelt nach Luft schnappend in der lockerer gewordenen Umklammerung hing. Allerdings nur so lange, bis ihm etwas mit unfassbarer Kraft gegen seine linke Schläfe schoss und ihn von jetzt auf gleich halb in die Besinnungslosigkeit riss. Sämtliche Spannung wich aus seinem Körper, was die Dunkelheit sofort nutzte, um ihn gänzlich auf den Tisch zu ziehen und dort mit den entsprechenden Fesseln zu fixieren, während Kid krampfhaft darum rang nicht gänzlich das Bewusstsein zu verlieren. Ein Würgen entglitt ihm gedämpft, als aus heiterem Himmel sich auch ein festes Band um seinen Hals schlang und es ihm damit vollkommen unmöglich machte, auch nur einen Muskel noch zu rühren. Die Klingen zogen sich aus seinem Fleisch, während auch die Hände von seinem Körper verschwanden und den Schatzsucher ganz sich selbst und seinem qualvollen Kampf überließen. Kaum Luft ließ das straffe Band durch seinen zugeschnürten Hals gleiten, sodass Kid das Gefühl hatte jeden Moment ersticken zu müssen. In Todesangst versuchte er sich gegen die todbringenden Fesseln zu wehren, was seine Atemnot jedoch nur verschlimmerte und ihn schließlich aus Reflex den Kopf überstrecken ließ. Und wundersamer Weise konnte er dadurch tatsächlich minimal besser atmen, was ihn in der verkrampften Körperhaltung verharren und hastig nach Luft ringen ließ. Erst nach einigen Minuten, in denen Kid glaubte doch noch einfach ohnmächtig zu werden und immer wieder bunte Punkte vor seinen Augen tanzen sah, beruhigte sich sein Atem etwas und machte es ihm damit leichter langsam, aber tief zu atmen. Und danach war es einfach nur still um ihn herum, still und stockdunkel. Gegen den eiskalten Tisch gedrückt musste Kid in seiner Stellung verharren, unfähig sich selbst aus dieser Situation je wieder zu befreien. Einen einfachen Versuch an den Handfesseln zu ziehen brachte ihm einige Sekunden vollkommene Unfähigkeit zu Atmen ein, als das Band sich um seinen Hals drohend zuzog. Sobald das Band sich wieder gelockert hatte entschied er nach Atmen ringend, keinen weiteren Versuch zu starten. Jedoch war allein die Vorstellung, wie nur diese grauenhafte Situation enden könnte, Grund genug in Panik zu geraten. Denn das einzig mögliche Ende war, dass Trafalgar kam und in diesem Fall würde er ihn umbringen, darin bestand kein Zweifel. Er würde ebenfalls Teil der Sammlung werden, zumindest sein Herz, während sein Körper wohl den Katzen der Stadt zum Fraß vorgeworfen werden würde. Die Stille dröhnte in seinen Ohren, während die Dunkelheit schwer auf seinen weit geöffneten Augen lastete. Stundenlang lag Kid unbeweglich auf dem Tisch im Keller, gefangen in der Folterkammer und seinen eigenen mit Angst getränkten Gedanken, bis Kid ein Geräusch in der Stille vernahm und sein Herz von neuem rasen ließ. Schritte, das eindeutige Geräusch von Schuhen auf Stein kam langsam näher, erst fast unhörbar, dann so deutlich, als würden sie neben seinem Ohr stehen. Jede Faser seines Körpers zum Zerreißen gespannt, wartete Kid ohne jeglichen Funken Geduld darauf, dass sich die schwere Eisentür öffnen und damit seine Hölle beginnen würde. Dennoch zuckte er heftig zusammen, als die Tür wie von selbst aufschwang und schwaches Licht in den Raum fluten ließ, sodass er nach Stunden der Finsternis die Augen zusammenkeifen musste. Den Kopf zu drehen war ihm jedoch unmöglich, da sich die Fesseln bei jeder kleinsten Bewegung augenblicklich bedrohlich verengten und er schon jetzt an der Grenze zum Erträglichen war. Die Schritte verstummten im Türrahmen, sodass Kid die Augen so weit es ging verdrehte um zu sehen, wer dort stand. „Du bist ein so dummer Mensch, Eustass.“ Eiskalte Angst überschwemmte ihn, als Trafalgars Stimme einem Flüstern gleich an sein Ohr drang und er deutlich daraus ein Lächeln heraushören konnte. Er war ihm ausgeliefert, niemand würde Trafalgar aufhalten, wenn er Kid nun zu Tode foltern wollte. Und das war Kid selbst ebenso klar, wie es Trafalgar klar war. Der Lichtkegel im Raum verschob sich, ehe der Schwarzhaarige tatsächlich im Blickwinkel Kids erschien, vorerst nur, um den Kerzenleuchter abzustellen und mit dem Feuer weitere Kerzen im Raum zu erhellen, welche jedoch bei weitem nicht ausreichten, um die Dunkelheit zu töten. „Was hast du denn hier unten gesucht, Eustass? Den Tod? Dann hast du ihn wohl gefunden.“ Ein geradezu dämonisches Funkeln lag in den fast schwarz erscheinenden Augen Trafalgars, als er, das Gesicht halb im Schatten, zu seinem gefesselten Opfer auf den Tisch blickte. Kid jedoch gab keine Antwort, wollte den wenigen Atem nicht für Worte verschwenden und atmete so nur weiterhin rasselnd ein und aus. Und eben dieser Sachverhalt schien Trafalgar nicht zu gefallen, da er näher an den Tisch trat und dadurch die Farbe seiner Augen zurück gewann, als er mit einem Finger kurz das Band um Kids Hals berührte. Augenblicklich lockerte sich dieses, was Kid erleichtert nach Luft schnappen ließ und es ihm so auch ermöglichte seinem Gegenüber den Kopf zuzudrehen, um ihm geradeheraus ins Gesicht zu sehen. „Was ist mit den Herzen an der Wand?“, war seine erste Frage, was ihn selbst etwas verwunderte. Der Albtraum hingegen schien diese Frage nicht gut aufzunehmen, drehte sich von ihm weg und lehnte sich so gegen den Tisch. „Das soll nicht dein Problem sein.“ „Ich glaube es ist sehr wohl mein Problem, wenn mein eigenes Herz ebenfalls dort landen wird!“ Zorn verdrängte Angst und gab Kid einen Funken Hoffnung zurück, dass er doch noch lebend aus dieser Sache herauskommen könnte. Trafalgar schnaubte. „Du bist so dumm. So unwahrscheinlich dumm.“, murmelte er, was Kid wütend nach Luft schnappen ließ. „Du hast immer noch nicht begriffen, was ich dir gesagt habe.“ „Dass ich niemandem in der Stadt trauen darf?“ Zorniges Funkeln flackerte plötzlich in Trafalgars Augen auf, bevor er die Hände in den Tisch krallte und Kid ein schmerzhaftes Stöhnen entlockte, als sich sämtliche Fesseln von selbst tödlich eng um seine Gliedmaßen legten. Ein unkontrolliertes Zittern ergriff von ihm Besitz, als er dachte seine Gelenke müssten jeden Moment zersplittern oder wenigstens seine Kehle endgültig zerquetscht werden. Ein würgendes Husten hallte durch die Kammer, als die Bänder sich wieder lockerten. „Ich habe keine Geduld mehr!“, fauchte Trafalgar, welcher nun offenbar tatsächlich kurz davor stand, die Selbstbeherrschung zu verlieren. Was nur war plötzlich mit ihm los? „Selbst ein Schatzsucher sollte nicht so dumm sein, wie du dich anstellst! Warum glaubst du würde der Schatten dieses Haus nicht angreifen, hm? Weil ich darin wohne? Nein! Weil es MEIN Haus ist!“ Verständnislos starrte Kid seinem Peiniger entgegen, versucht sein abgehacktes Keuchen wieder in normaleren Atem übergehen zu lassen, was seiner schmerzenden Kehle jedoch nicht zu gefallen schien. „Was soll das heißen?“ Während Trafalgar sich bückte, um den Kerzenleuchter aufzuheben, welchen Kid vor einigen Stunden fallen gelassen hatte, spannte sich die Fessel um seinen Hals erneut derart heftig, dass ihm jegliche Fähigkeit genommen wurde auch nur in kleinster Weise Luft zu holen. Bunte Punkte begannen erneut vor seinen Augen zu tanzen und ihm langsam die Sicht zu nehmen, als er plötzlich Trafalgars eisiges Atmen an seinem Ohr ausmachen konnte. „Denk doch einfach mal scharf nach. Warum wohl bist du nicht aus der Stadt herausgekommen, hm? Warum lagst du plötzlich gefesselt in diesem Raum, warum stürzt der Wasserspeier sich auf Alice, kaum bekommt er die Möglichkeit dazu?“ Ein Zucken fuhr durch Kids Körper, der letzte verzweifelte Versuch seines Organismus nicht am Weiterleben gehindert zu werden. Sämtliche Gedanken rasten durch Kids Kopf, während sein Verstand verrückt spielte und er nichts als dieses unerträgliche Brennen in seinen Lungen wahrnehmen konnte. Gerade als sich die Punkte zu einem schwarzen Nebel zu verdichten versuchten, lockerten sich die Fesseln und Kid sog reflexartig die ersehnte Luft in seine Lungen. Dennoch konnte er nicht verhindern, dass ihm für einen Moment schwarz vor Augen wurde. „Hast du gehört was ich gesagt habe?“, fragte Trafalgar drohend und Kid hustete. „Ja.“, presste er heißer hervor, sodass Trafalgar sich wieder erhob und unruhig um den Tisch lief. „Dann hoffe ich du hast verstanden, was ich gesagt habe und es nicht nur gehört.“ Ein weiterer böser Blick landete kalt auf Kid, welcher schluckte um den plötzlich aufgekommenen Brechreiz zu unterdrücken. In seiner Lage währe das der sichere Erstickungstod, auf welchen er nach dieser qualvollen Prozedur nun freilich gerne verzichten konnte, weswegen er mit einem Krächzen antwortete. „Jeden meint dich, alle Albtraume, den Wahnsinn und die Stadt selbst.“ „Jede Straße, jedes Haus, jeder Gegenstand, alles hier will dich töten, egal ob lebendig oder nicht. Du bist hier in einem Albtraum gefangen, hier ist alles möglich, was deine Angst nur in der Lage ist sich vorzustellen!“, erläuterte Trafalgar ohne auf das Gesagte einzugehen. „Warum glaubst du denn befindet sich in diesem Haus kein einziges Kleidungsstück, du hast die Schränke doch alle durchsucht, kam es dir nicht komisch vor nirgendwo Kleidung zu finden?“, fuhr Trafalgar zischend fort und lief unruhig auf und ab. Seine einstige Leichtigkeit schien er vollständig verloren zu haben. Viel eher schien es Kid, als kämpfe er mit sich selbst. „Sie hätten dich erwürgt, wenn du sie berührt hättest! Alles hier will dein Blut aufsaugen, auch wenn nicht alles in der Lage ist dich zu töten. Die Stadt an sich wird dich jedoch niemals gehen lassen, sie wird dich so lange in ihren Fängen halten, bis auch dein Blut bis auf den letzten Tropfen vergossen ist!“ Mit einem schnellen Griff packte Trafalgar plötzlich das Schwert an der Wand, doch anders als Kid es in diesem Moment gefürchtet hatte bohrte sich die Klinge nicht in seinen Körper. Irritiert musterte er Trafalgar, welcher schwer atmend im Raum stand, die lange Seite des Schwerts mit den Händen flach gegen die eigene Brust gedrückt Zwar hatte Kid keinerlei Ahnung, was in den Albtraum gefahren war, doch spürte er schon instinktiv, dass ein kleiner Mucks ihn augenblicklich das Leben kosten konnte, machte er jetzt auf sich aufmerksam. Erst nach einigen Minuten lockerte sich die verspannte Haltung Trafalgars und er warf einen nun müden Blick auf seinen Foltertisch, wo sein Opfer noch immer hilflos lag. Das Schwert wurde zurück an die Wand gehängt, als wäre nie etwas passiert. „Du musst verstehen, dass dieses Haus zwar tatsächlich einmal das Haus war, in welchem ich zu meinen Lebzeiten gewohnt habe, doch gehört es erst wirklich mir, seitdem ich tot bin. Ich habe dieses Haus zu meinem Diener gemacht, es gehorcht mir. Deshalb würde der Schatten es nicht angreifen, es wäre, als würde er meinem Wachhund auf den Schwanz treten. Und schlafende Hunde weckt man nicht.“ Mit einem Mal wirkte Trafalgar um Jahre gealtert, was in Kid jedoch keinerlei Mitleid weckte. Dazu befand er sich definitiv in der falschen Situation. „Was suchst du im Theater?“ Trafalgar warf ihm einen Blick zu, bevor er sich wieder in der Folterkammer umsah, als wäre sie ihm vollkommen fremd, bis er mit den Augen bei den Herzen hängen blieb. „Ich habe versucht es zu ersetzten, aber es hat nicht geklappt. Ich war so verzweifelt deswegen, habe versucht die Stadt zu verlassen, doch ich musste erfolglos zurückkehren. Du bist der erste, welcher jemals so dumm war den Vertrag mit mir zu schließen und genau deshalb bist du der Schlauste von allen, die jemals hier waren.“ Verwirrung folgte wie so oft auf die augenscheinliche Erklärung, mit welcher Kid nichts anzufangen wusste. Für philosophisches Gerede war er ohnehin nie der Typ gewesen. „Und was heißt das?“, fragte er deshalb vorsichtig und darauf bedacht einen sanften Ton anzuschlagen um nicht gleich wieder das mörderische Leder um die Kehle zu bekommen. „Das bedeutet, dass ich dich nicht töten darf, auch wenn ich eben nichts lieber getan hätte und mir alles wehgetan hat, eben weil ich es nicht getan habe.“ Kid zuckte zusammen, als sich eine eiskalte Hand zwischen seine Schlüsselbeine legte und ihm eine Gänsehaut über den ganzen Körper jagte. Eine unangenehme Kälte breitete sich von der Stelle aus, an welcher sich ihre Haut berührte und Kid fröstelte, als ihm klar wurde, dass tatsächlich nur seine eigene Haut kalt, Trafalgars jedoch kein Stück wärmer wurde, wie es normal gewesen wäre. Dieser hingegen schien die Reaktion seines Gegenübers nicht wahr zu nehmen oder zumindest interessierte es ihn nicht. Die Augen geschlossen, den Kopf leicht gesenkt stand er neben dem Tisch und schien im äußerstem Maße konzentriert zu sein. Erst als die Kälte sich für Kid in einen fast schon stechenden Schmerz verwandelte, löste Trafalgar sich von ihm und steckte beide Hände in seine Manteltaschen. „Ich kann ganz deutlich deinen Puls fühlen, ganz deutlich deine Atmung, aber ich fühle keine Wärme. Selbst wenn ich mir das Fleisch bis auf den Knochen verbrenne, existiert für mich nur der Schmerz, ganz vollkommen ohne Hitze.“, richtete Trafalgar die Worte wohl eher an sich selbst, bevor er einen mittlerweile wieder normal typischen, spöttischen Blick in den blauen Augen aufzuweißen hatte. „Ich töte dich nicht, aber wenn ich die Wahl habe Schmerzen ertragen zu müssen und Schmerzen erteilen zu müssen, wähle ich immer egoistisch.“ Im nächsten Moment hatte Trafalgar sich schon über den Tisch gebeugt und Kid spürte Kälte auf seinen Lippen. Ungläubig riss er die Augen auf, als Trafalgar sich auch schon wieder erhob und sich nochmals gelangweilt im Zimmer umsah. Die Berührung war so flüchtig und leicht gewesen, dass Kid sich nun im Nachhinein nicht einmal sicher war, ob sie sich tatsächlich berührt hatten oder Trafalgar ihm schlichtweg nur die kalte Luft auf den Mund geatmet hatte. Auf jeden Fall bedurfte es einer Erklärung. „Was sollte das denn?“, fragte er deshalb etwas zu ruppig für einen Menschen in seiner Situation, woraufhin Trafalgar ihm nun wieder leicht bösartig entgegen lächelte. „Kennst du die Geschichten nicht, was passiert, wenn man von einem Dämon geküsst wird?“ Die Augen verengend beugte sich Trafalgar nochmals über den Gefesselten und bohrte den Blick seiner kalten toten Augen in die Goldenen Kids. „Man teilt in der Nacht die Träume des Dämons.“ Entsetzt starrte Kid dem Albtraum entgegen, welcher sich nun erhob und mit einem Fingerzeig die Kerzen im Raum löschte. Nun wütend riss Kid an seinen Fesseln, welche jetzt keinerlei Anstalten mehr machten ihn umzubringen. „Mach mich sofort los!“, forderte er zischend. Trafalgar jedoch griff mit einem Lachen nur nach seinem eigenen Kerzenleuchter und damit der letzten Lichtquelle im Raum. Die schwere Eisentür schwang erneut ohne jegliche erkennbare Anstrengung auf. „Ich befürchte es ist besser für dich, wenn ich dich daran hindere heute Nacht Selbstmord zu begehen. Gute Nacht und träum schön.“, säuselte Trafalgar mit einem bösen Unterton in der belustigten Stimme, bevor er die Tür hinter sich schloss und Kid in der Dunkelheit und gleichzeitig schlimmsten Nacht seines Lebens allein ließ. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)