Walk on the Edge von ChogaRamirez (Arkham City) ================================================================================ Kapitel 9: Hinter feindlichen Linien ------------------------------------ Ein seltsames Gefühl überkam den Riddler, als er vor dem mehrere Meter hohen Eingangsportal des Naturkundemuseums stand und die Doppelflügel-Tür aus massivem Eichenholz musterte. Es war nicht das erste Mal, dass er vor dieser Tür stand und zum ersten Mal spürte er ein kleines bisschen Nervosität in sich aufsteigen. Ein Gefühl, was er so nicht besonders gut kannte. Normalerweise bereitete er sich wesentlich länger und sehr viel gründlicher und intensiver auf einen Coup vor, doch in diesem speziellen Fall hatte er schlichtweg nicht die Zeit gehabt, um jedes Detail sorgfältig zu planen, alle Eventualitäten zu berücksichtigen und jeden Zentimeter des feindlichen Territoriums unter die Lupe zu nehmen. Natürlich würde Edward es nie im Leben zugeben, aber er hoffte insgeheim, dass sein Plan aufging und sie als – mehr oder weniger gut funktionierendes – Team Cobblepot in seine Schranken weisen und Harley Quinn aus seiner Gewalt befreien konnten. Der Riddler widerstand dem Drang, sich umzudrehen und nachzusehen, ob Catwoman, Poison Ivy und der Joker auf ihren Positionen waren. Es war nicht gänzlich auszuschließen, dass der Pinguin hier draußen Überwachungskameras hatte installieren lassen und wenn sich Edward umdrehen würde, würde er im schlimmsten Fall riskieren, dass der gesamte Plan aufflog. Und das wollte und durfte er nicht riskieren. Stattdessen warf er einen kurzen Blick auf seine Taschenuhr, um seine innere Uhr auf einen Zehn-Minuten-Countdown einzustellen. Edward wusste nicht, wie lange er vor der riesigen Tür stand, ehe er sich dazu aufraffen konnte, die letzten entscheidenden Schritte zu machen, die Klinge runter zu drücken und die massive Tür aufzudrücken. Hinter der Tür erstreckte sich ein etwa zwanzig Meter langer dunkler Gang, der in einem mit Tageslicht beleuchteten großen Raum mündete. Kaum, dass Edward ein paar Schritte den Flur entlang getan hatte, erklang eine weibliche Stimme aus den Lautsprechern, die den Besuchern ankündigte, dass sie routinemäßig durchsucht wurden und dass diese Maßnahme der Sicherheit der im Museum ausgestellten Exponate diente. Direkt rechts neben dem Eingang befand sich ein Raum, in dem man die Eintrittskarten kaufen konnte, als das Museum noch zu seinem ursprünglichen Zweck benutzt wurde. Da der Pinguin natürlich nicht vorhatte, Führungen und Rundgänge in seinem geliebten Museum zu veranstalten, waren die Tür und die Durchreichefenster provisorisch vernagelt. Langsam schritt der Riddler den dunklen Gang entlang und begutachtete aus den Augenwinkeln die Aushänge an der Wand, die anscheinend schon so alt waren, wie das Museum nicht mehr in Betrieb war. Das Papier der Aushänge war vergilt, staubig und durch die fehlenden Lichtquellen kaum lesbar. Edward machte sich eine gedankliche Notiz, dass Pinguine anscheinend kein Licht mochten – was erklären würde, warum sich Cobblepot eher selten tagsüber im Freien blicken ließ. Ob es eine wissenschaftliche Studie dazu gab, ob Pinguine über tausend Ecken mit Vampiren verwandt waren? Je näher der Riddler dem großen Raum kam, in dem der dunkle Gang mündete, desto heller wurde es, denn das Oberlicht, welches fast so groß wie der darunter liegende Raum war, sorgte für ausreichend Tageslicht. Er war das letzte Mal als Jugendlicher in diesem Museum gewesen, als seine Schulklasse einen Ausflug hierher gemacht hatte. Das war schon einige Jahre her, aber durch sein ausgezeichnetes Gedächtnis konnte er sich noch lebhaft daran erinnern, was er damals alles hier gesehen hatte. Die Frage war allerdings, ob es immer noch dieselbe Ausstellung war. Zumindest könnte er sich notfalls blind durch die Gänge finden, da er sich den Grundriss bis ins kleinste Detail eingeprägt hatte. Kaum, dass Edward einen Fuß in den großen Raum gesetzt hatte, zuckte er heftig zusammen, als ohne Vorwarnung der äußerst naturgetreue mechanische Tyrannosaurus seinen Kopf plötzlich in seine Richtung bewegte. Damit hatte der Riddler nicht gerechnet und war dementsprechend schockiert. Vor Schreck hatte er automatisch seinen Gehstock in eine abwehrende Haltung gehoben und sich ein wenig geduckt. Misstrauisch musterte er das mechanische Monstrum, während er langsam eine der beiden Treppen an den Seiten des Dinosauriers auf die untere Ebene hinunterstieg. Er konnte diesen prähistorischen Geschöpfen noch nie besonders viel abgewinnen und den Hype, der sich nach den »Jurassic Park« Filmen entwickelt hatte, hatte er geflissentlich ignoriert. Er konnte sich auch nicht vorstellen, dass Cobblepot besonderen Gefallen an diesen vor über sechzig Millionen Jahren lebenden, über zwölf Meter langen und bis zu sieben Tonnen schweren Geschöpfen fand. Laut den Wissenschaftlern waren Dinosaurier zwar mit dem geliebten Federvieh des Pinguins verwandt, aber selbst der Frackträger konnte nicht so verrückt sein, diese seltsamen Wesen, die Edward für eine Laune der Natur hielt, zu mögen. Viel wahrscheinlicher war es, dass Cobblepot dieses Ding hier stehen ließ, um potenzielle neue Handlanger und anderes Gesindel zu erschrecken. Und der Riddler musste sich zu seinem Leidwesen eingestehen, dass das auch wunderbar funktionierte. Auf der unteren Ebene angekommen, nahmen sofort zwei von Cobblepots Handlagern, die anscheinend hier Wache schieben mussten, Edward ins Visier und kamen mit erhobenen Baseball-Schlägern ein paar Schritte auf ihn zu. Der Riddler setzte sofort sein bestes Pokerface auf und hob aus reinem Reflex seine Hände, um zu signalisieren, dass er unbewaffnet war – zumindest größtenteils. "Hey, Jungs", rief er den bewaffneten Schlägern zu, die nur noch wenige Schritte von ihm entfernt waren. "Ich muss mich sicher nicht vorstellen und ihr müsst auch nur wissen, dass ich geschäftliche Beziehungen zu eurem Boss unterhalte und genau deswegen mit ihm sprechen möchte. Also seid jetzt schön brav und holt ihn her, damit ich ihm ein Angebot machen kann, was er nicht ablehnen kann." Edward grinste die Männer vor sich an, die wegen seiner kleinen Ansprache stehen geblieben waren und abwechselnd sich und ihn irritiert ansahen. Insgeheim freute sich der Riddler diebisch, dass es einfacher war, die Männer des Pinguins zu beeinflussen, als einem kleinen Kind den Lutscher zu klauen. Innerlich schüttelte er ob der geringen Denkfähigkeit von Cobblepots Handlangern den Kopf. Einer der beiden Männer wandte sich ab und entfernte sich ein paar Schritte, um leise in sein Funkgerät zu sprechen. Was genau er sagte, konnte Edward zwar nicht verstehen, aber er vermutete, dass der Mann mit der seltsamen Kriegsbemalung im Gesicht ihn bei seinem Oberbefehlshaber ankündigte. Der andere Mann ließ den Riddler währenddessen nicht aus den Augen und spielte sichtbar nervös mit seinem Baseball-Schläger herum. Diese Zeit nutze der Riddler, um einen gespielt interessierten Blick über die vielen Dinosaurier-Exponate in den Schaukästen an den Wänden schweifen zu lassen und gleichzeitig einen unbemerkten Blick auf seine Taschenuhr zu erhaschen. Es waren noch nicht ganz zwei Minuten vergangen. Er lag gut in der Zeit. Edward konnte gerade noch seine Uhr in der Tasche seines Jacketts verschwinden lassen, denn der Mann mit dem Funkgerät kam genau in diesem Moment wieder auf ihn zu. Er hatte mit der Person am anderen Ende der Funkverbindung nur wenige Worte gewechselt. "Der Boss sagt, dass du keinen Termin hast", sagte der Mann ohne Umschweife und warf dem Riddler einen Blick zu, der deutlich machen sollte, wer bei diesem Treffen die Oberhand hatte. Allerdings sah Edward das ganz anders als die Handlanger des Pinguin. "Als ob ich einen Termin brauche ...", erwiderte er mit überheblicher Miene und sein Blick schien sein Gegenüber förmlich zu durchbohren und schon nach wenigen Sekunden brach der Mann aus Cobblepots Reihen den Augenkontakt ab. Ein spöttisches Grinsen schlich sich in das Gesicht des Riddlers. "Mal im Ernst, Jungs ... Ich brauche weder einen Termin bei Oswald, noch muss ich durch die Vordertür reinkommen. Ich kündige mich nur aus reiner Höflichkeit an." Er seufzte theatralisch und bedachte die beiden Männer vor sich mit einem mitleidigen Blick. "Aber gut ... Wenn ihr beiden Hampelmänner der Meinung seit, dass euer Boss keinen bombensicheren Tipp haben möchte, wie er das Gebiet des Jokers bekommen kann, dann ist das nicht meine Beerdigung." Edward drehte sich auf dem Absatz seiner militärisch anmutenden Stiefel um und sah aus den Augenwinkeln, wie die beiden Männer einen fast schon panischen Blick miteinander wechselten. Die beiden Tölpel ahnten nicht im Geringsten, dass sie dem Riddler gerade in die Falle getappt waren. Und sie sahen auch nicht das triumphierende Funkeln der grünen Augen hinter den violett getönten Brillengläsern. Während der Riddler langsam auf die Treppe zuging, wurden hinter seinem Rücken eilig Funksprüche ausgetauscht. Die Hektik, die in der Luft lag, war förmlich greifbar. In Gedanken zählte Edward von Zehn an rückwärts und machte bei jeder Zahl einen weiteren Schritt. Als er bei der Vier angekommen war, hörte er schnelle Schritte hinter sich. "Mister Cobblepot hat seine Meinung geändert!", rief einer der Männer aufregt und stelle sich dem Riddler in den Weg, um ihn daran zu hindern, einen weiteren Schritt zu tun. "Er erwartet Sie." Edward hob eine Augenbraue und lächelte spöttisch. Wie schnell diese Kleingeister doch ihre Meinung änderten, wenn man ihnen ein paar Brocken hinwarf. "So so ...", murmelte er und betrachtete den Mann über den Rand seiner Brille. "Auf einmal möchte der gute Oswald doch mit mir reden ..." Dann zuckte er mit den Schultern, drehte sich erneut um und ging geradewegs auf den Gang zu, den die beiden Männer vorhin bewacht hatten. Da ihm keiner der Beiden folgte, blieb er kurz stehen und warf dem Mann, der ihm Cobblepots Wünsche übermittelt hatte, einen fragenden Blick zu. "Wird's bald?", fragte er und legte sich lässig den Gehstock über die Schulter. Den ganzen Weg durch das Naturkundemuseum sprach der Handlanger des Pinguin kein weiteres Wort mehr mit Edward, was ihm nur recht war. So konnte er sich unbemerkt einen Schritt zurück fallen und sich umsehen. Sie folgten erst einem kurzen Gang, an dessen Ende eine Tür war. Links und rechts ging jeweils ein Gang ab. Beide waren vollgestopft mit kleinen Schaukästen und endeten in einer Sackgasse. Der Tür folgte ein weiterer Gang. Schon von Weitem konnte der Riddler erkennen, dass an der gegenüberliegenden Wand mit blutroter Farbe die Worte »Neue Rekruten hier entlang« gekritzelt standen. Dazu ein Pfeil, der nach rechts zeigte. Nach rechts bog das ungleiche Duo auch ab. Die Rolltore, die anscheinend sonst den Zugang zu diesem Bereich des Museums blockierten, waren oben. Mit einem Blick über die Schulter stellte Edward fest, dass auf der anderen Seite eine verschlossene Tür war. Darüber, was sich dahinter versteckte, konnte er sich allerdings keine Gedanken machen, denn nachdem sie um die Ecke gebogen waren, fand er sich plötzlich in einem großen, zwei Stockwerke hohen Raum wieder. An beiden Seiten führte eine steinerne Treppe nach oben. Und dort oben stand Oswald Cobblepot, lehnte sich an die Balustrade und bedachte Edward mit kritischem Blick. "Du hast also Informationen, die mir helfen, an das Stahlwerk zu kommen." Nicht nur der Tonfall, auch Cobblepots Körperhaltung drückte deutlich aus, dass es keine Frage, sondern eine Feststellung war. "Sehr richtig, mein Bester", erwiderte der Riddler im Plauderton und betrachtete den raumhohen Sicherheitszaun auf beiden Seiten, der verhinderte, dass man einfach so die Treppen benutzen konnte. "Aber wie du weißt, sind meine Informationen nicht umsonst." "Was willst du?", blaffte der Pinguin. "Mir ist zu Ohren gekommen, dass du Etwas besitzt, was vorher dem Joker gehört hat", erwiderte Edward seelenruhig. "Du kennst mich. Man könnte mich einen Sammler nennen. Ich liebe es, das zu besitzen, was Andere begehren. Und was ich nicht habe, das hole ich mir." Cobblepot grinste und bleckte dabei seine Zähne. Gespielt beeindruckt nickte der Riddler. "Ja, das kann ich gut verstehen. Aber wenn du dir das Stahlwerk unter den Nagel gerissen hast und der Joker zwei Meter unter der Erde ist, brauchst du Harley doch nicht mehr." Edward machte eine kurze Pause und ließ den Pinguin dabei nicht aus den Augen, damit ihm nicht die geringste Regung in seinem Gesicht entging. Mit ein wenig Glück – und wenn er Cobblepot genügend Honig ums Maus schmierte – konnte er höchstpersönlich Harley retten. "Gib sie mir." Oswald fing schallend an zu lachen. Seine ohnehin schon an einen Pinguin erinnernde Lache klang durch das Echo, welches der hohe Raum verursachte, noch psychotischer. Es dauerte einige Sekunden, bis sich Cobblepot so weit beruhigt hatte, dass er weiter sprechen konnte. "Du willst diese Verrückte haben?" Erneut lachte der Pinguin kurz auf. "Weißt du was, du kannst sie haben, wenn ich meinen Spaß mit ihr hatte." "Nein", widersprach der Riddler mit fester Stimme, die Cobblepot so irritierte, dass er mit dem Kichern aufhörte und ihn irritiert musterte. "Entweder ich bekomme sie jetzt, oder ich verkaufe meine Informationen an Two-Face." "Du bist ein hartnäckiger Verhandlungspartner, dass muss ich dir lassen. In Ordnung, lass uns darüber feilschen." Der Pinguin deutete mit einem knappen Kopfnicken auf eine der mit Zaun gesicherten Treppen und der Handlager, der den Riddler bis hier hin begleitet hatte, eilte zu der im Zaun eingelassenen Tür, um sie zu öffnen. "Komm mit in meinen Nachtclub und bei einem Glas Chardonnay besprechen wir die Details." Abwartend sah Cobblepot ihn an und Edward hatte plötzlich das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Nein! Nein! Nein! Nein! Nein! Nein! Diese Worte hallten in seinen Kopf wider, als er stocksteif auf die Treppe zu ging und zögerlich die Stufen nach oben stieg. Sein ganzer Plan löste sich gerade in Wohlgefallen auf. Es würde dem Pinguin auffallen, wenn er darauf bestehen würde, die Unterhaltung hier im Museum zu führen. Oswald war nicht gerade der dümmste Einwohner von »Arkham City« und würde den Braten schon von Weitem riechen. In dieser Hinsicht war er ziemlich paranoid. Edward konnte noch einen schnellen Blick auf seine Taschenuhr werfen, ehe Cobblepot ihn wie einen alten Freund begrüßte. Es waren bereits acht Minuten vergangen, seit er das Museum betreten hatte. Die Zeit lief erbarmungslos ihm davon. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)