Insomina von Noveen (Schlaflos) ================================================================================ Prolog: Zwischenmenschlich -------------------------- Kaoru irrte durch das Villenviertel und versuchte den eben gelaufenen Weg wiederzufinden. Sein Herz peitschte immer noch, als würde er einen Marathon laufen. Von weitem sah er bereits die Villa der Familie Hitachiin. Er versuchte auf das Haus zuzusteuern, was durch die verwinkelte Straße schwieriger war als gedacht. Frustriert seufzte er. Wenn er das nächste Mal wütend aus dem Haus rannte, sollte er sich den Weg, den er wählte, besser einprägen; oder noch besser sein Handy nicht liegen lassen! Es war echt zum Schreien. Eigentlich wusste er jetzt nicht einmal mehr genau warum er getürmt war. Doch sein Vater hatte ihn so aufgeregt. Kaoru hasste einfach, wenn er sich in Sachen einmischte, von dem er sich kein Bild machen konnte… schließlich war er fast nie da! Natürlich liebte er seinen Vater und dass er erfolgreich in seinem Beruf war, konnte er ihm ja schlecht zum Vorwurf machen. Schließlich profitierten sie alle davon. Trotzdem mochte er so manche Eigenarten seines alten Herren nicht. Auch wenn Kaoru natürlich wusste, dass er es nur gut meinte, war seine Meinung doch stets sehr subjektiv. Und die Drohung ihn und Hikaru auf verschiedene Schulen zu schicken war… war… einfach unverschämt! Auch wenn sie keine Andren Freunde oder Bekannten hatten, war das doch ihre Entscheidung und nicht seine! Schließlich wusste sein Vater genau wie wichtig ihnen diese Bindung war! Ihm wurde schon alleine bei dem Gedanken schlecht ohne Hikaru eine Schule zu besuchen. Das allerdings war erst einmal nebensächlich, schließlich bestand nun auch die große Gefahr das Hikaru ebenfalls auf ihn sauer war. Schließlich war er auch vor ihm geflüchtet. Verdammt! So in seine Gedanken versunken ging er weiter die Straße hinauf und versuchte die Richtung zu halten. Die kalte Luft merkte er kaum. Auch der aufkommende Wind, war ihm egal. Als er dann an eine Kreuzung kam, die ihm vage bekannt vorkam, (hier hatte er in seiner Kindheit oft mit seinem Bruder auf die Heimkehr seiner Eltern gewartet…) wusste er wieder wo er war und wo es lang ging. Unbewusst beschleunigte er seine Schritte. Von da an brauchte er keine 5 Minuten zu ihrer Villa. Dann stand er vor der ihm so vertrauten Tür. Aber dann stoppte er auf halben Weg seine Hand, die er reflexartig nach der Klingel ausgestreckt hatte. Ungute Idee!, ging es ihm durch den Kopf. Er hatte keine Lust sofort wieder eine neue Diskussion mit seinen alten Herren anzufangen. Für heute reichte es. Also klopfte er stattdessen kräftig an. Ein Hausmädchen öffnete ihm die Tür und öffnete den Mund. Eventuell wollte sie ihn nur begrüßen, oder eine Standpauke halten… aber er wollte nicht hören. Er wank mit einer Handbewegung ab. Schnell eilte er an ihr vorbei. Er wollte jetzt nichts hören. Seine einzigen Gedanken galten jetzt Hikaru. Es war das erste Mal seit Langem gewesen, dass sie mehr als einige Minuten voneinander getrennt waren. Die Wut auf seinen Vater hatte die Sehnsucht nach seinem Bruder (die ihn normalerweise sofort befiel, wenn er Hikaru nicht mehr sah) überschattet. Jetzt fühlte er sich richtig schlecht. Schließlich konnte sein Bruder nichts dafür und trotzdem war er weiter gelaufen, als Hikaru ihn gerufen hatte. Schnell eilte er über den Flur. Sein schlechtes Gewissen trieb ihn an. Als er an ihren Zimmer ankam, stand sein Zwilling in der Tür. Lässig lehnte er am Rahmen, doch in seinen Augen tanzten Wut und Sorge und straften seiner gleichgültigen Haltung Lüge. »Hikaru… ich - « »Schön das du wieder hier bist« unterbrach er ihn eisig. Der Angesprochene zuckte vor der Kälte zurück, die in der Stimme mitschwang. »Ich… tut mir Leid ich wollte nicht… ich war so wütend…du…ich…-« stotterte er, brach aber ab, als er merkte das er keine vernünftige Erklärung hatte. Er blickte auf seine Schuhe. »Verdammt Kaoru! Ich hab mir Sorgen gemacht!« meinte Hikaru und packte seine Schultern. »Wieso bist du alleine losgelaufen?« »Ich weiß nicht.« »Was, wenn dir was passiert wäre? Du hattest nicht mal dein Handy dabei!« »Verzeih… ich wollte nicht, dass du dich sorgst.« Hikaru schnaubte. »Wenn du das wolltest, war das eindeutig die falsche Option.« Der Andere traute sich immer noch nicht ihn direkt anzusehen. Der Verlust der Wärme, als Hikaru seine Hände abrupt von seinen Schultern nahm, war fast schmerzhaft. »Geh dich duschen, du bist völlig unterkühlt.« Kaoru gehorchte und schlich an ihm vorbei in ihr gemeinsames Zimmer; die Augen immer noch gesenkt. Er suchte sich seine Sachen zusammen und ging ins Bad. Immer noch beherrschte ihn das schlechte Gewissen. Auch wenn sie nicht wirklich gestritten hatten, die Stille die sich zwischen sie gelegt hatte, in diesem Moment, war erdrückend. Und warum war Hikaru nicht mitgekommen? Nachdem Kaoru sich in der Dusche wieder aufgewärmt hatte, beschloss er sich gleich bettfertig zu machen. Was anderes blieb ihm kaum übrig, wenn er seinen Vater aus dem Weg gehen wollte. Dazu kam diese Erschöpfung. Als er seine Körperhygiene beendet hatte, ging er zurück. Sobald er das Zimmer betreten hatte, ging sein Bruder an ihm vorbei, ebenfalls in Richtung Bad. Wieder ziepte es in seinem Herz. Normalerweise wäre er mit ihm zusammen ins Bad gegangen, er war wirklich sauer! Unruhig legte er sich in seine Hälfte des Bettes. Doch obwohl er durch die ungewollte Sporteinheit wirklich erschöpft war, konnte er nicht zur Ruhe kommen. Müde schloss er die Augen und versuchte seine wirren Gedanken zu sortieren. So lag er auch noch da, als die Tür aufging und sein Bruder herein kam. Kaoru blieb so liegen wie er war. Er hört Hikaru sich im Raum bewegte und alles wieder an seinen Platz brachte. Es raschelte neben dem Bett. Was machte er denn da? Dann senkte sich Matratze unter ihm. Gleich darauf spürte er die Präsenz seines Zwillings neben sich. Sofort waren alle Fragen wie weggeblasen. Er konnte einfach nicht mehr still sein. »Hikaru« sprach er ihn leise an. »Es tut mir wirklich sehr Leid. Ich wollte nicht, dass du dir Sorgen machst. Ich war so wütend, wegen dem was Vater gesagt hat…mit den Schulen. Ich hab einfach nicht nachgedacht. Bitte…« Kaoru hielt seine Augen immer noch geschlossen. Doch er hörte den Anderen seufzen. »Ich ertrag es nicht, wenn du so bist.« »Denkst du mir fällt das leicht?« sagte Hikaru rau. Immer noch klang er so distanziert. »Nein. Das habe ich nicht gesagt…« erwiderte er sofort. Vorsichtig, beinah schüchtern, suchte er die Hand seines Bruders. Dieser seufzte erneut. Den Bruchteil einer Sekunde lang hatte er die furchtbare Angst zurückgestoßen zu werden. Aber dann nahm Hikaru seine Hand und er fragte sich wie er auf diese absurde Idee gekommen war, dass der Mensch der mit ihm am stärksten verbunden war, ihn zurückstoßen würde. Sein Bruder hob seine Hand an sein Gesicht und gab ihm einen Kuss auf die Handfläche. Diese Geste war so typisch für ihn. Das hatte er schon immer gemacht, wenn sie sich versöhnten oder wenn er Kaoru trösten wollte. Alleine diese kleine Geste entfachte all die Liebe für seinen Bruder in seinem Herzen. Pure Erleichterung durchflutete ihn. »Hikaru, ich ka- « »Scht. Ich weiß schon.« Beherzt rutschte Kaoru ein Stück näher und legte seine Stirn an die Schulter seines Bruders. Die Wärme die ihn durchströmte, war unbeschreiblich. Plötzlich war er so müde. Seine Augenlider waren schwer. Noch einmal drückte er mit seiner Hand, die immer noch in der von Hikaru lag, die Finger des Anderen, die des Anderen fester. Er spürte wie der Druck sanft erwidert wurde. Dann driftete er den Schlaf entgegen. Am nächsten Morgen war wieder alles wie vorher. So als wäre nie etwas gewesen… aber so war es schon immer. Was nicht in ihre Welt passte (dazu gehörte auch Streit, vor allem zwischen ihnen) wurde gelöscht. Einfach so. Kapitel 1: Nachtwache --------------------- Es war schon sehr lange her, dass sie voneinander getrennt waren. Eigentlich kam es so gut wie nie vor. Und wenn dann nur für wenig Zeit. Wenn sie sich stritten, versöhnten sie sich auch genauso schnell wieder. Im eigentlichen Sinne hatten sie sich noch nie ernsthaft gestritten… außer dieses eine Mal, aber selbst das war nur gespielt gewesen. Also konnte er wohl behaupten, dass ihre Beziehung etwas ganz besonderes war. Es war wie eine Art magisches Band, was sie zusammenhielt und doch so einiges schwieriger machte. Hikaru und Kaoru. Eine Einheit. Man benannte sie immer zu zweit, man sah sie immer zu zweit und man redete nur in der Mehrzahl von ihnen. Und auch wenn sie sich liebten, es war nicht befriedigend nur als „die Zwillinge“ gesehen zu werden. Sie wollten als vollwertig wahrgenommen werden. Als Hikaru und als Kaoru und nicht nur als Ebenbilder, die sie aber nun einmal waren. Nicht einmal ihre Eltern oder die Hausmädchen, die bereits ihr ganzes Leben mit ihnen verbrachten, konnten sie unterscheiden. Und das schmerzte irgendwie. Sie wollten individuell sein, sie wollten Menschen sein … eigenständige Menschen. Sie wollten gesehen werden, so wie sie waren, auch einzeln. Genau diese Wünsche führten sie Jahre lang immer wieder vor den gleichen inneren Konflikt. Und da niemand außer ihnen selbst das konnte, was sie sich so wünschten, zogen sie sich immer mehr zurück. Das wiederum machte es Außenstehenden noch schwerer an sie heran zu kommen. Immer wieder stießen sie die Menschen zurück, die zu ihnen durchdringen wollten. Andere wurden lediglich zu Spielzeug, was ihnen die Laune vertrieb. Was sie daran hinderte an Langeweile zu sterben. Und doch waren sie so unzufrieden mit der Situation. Was nur dazu führte, dass sie sich noch mehr aneinander festhielten. Ihre eigene Welt blühte in dieser Zeit auf. Es war ein Paradies, was nur für sie bestimmt war. Das Tor hatte viele Schlösser. Jedes Schloss entstanden nach einer Verletzung. Wer wollte schon gerne verletzt werden? Also schlossen sie sich immer mehr ein und damit die Welt aus. Sich immer an der Hand haltend. Verdammt für die Einsamkeit in der Zweisamkeit. Das war ihr Schicksal… Auf ewig… Jedenfalls glaubte er das damals. Und dann. Dann kam Tamaki. Tamaki Suō. Jemand auf den sie in dieser Zeit nie geachtet hätten. Doch plötzlich stand er vor dem Tor zu ihrer Welt und rüttelte kräftig an den Streben. Klirrend fielen die Schlösser ab. Die Worte, die er an diesen Tag an sie Beide richtete, berührte ihr Herzen. Sanft… Diese Worte brannten sich in ihr Gedächtnis und hinterließen dort einen leichten Geschmack nach Neuem und Unbekanntem. Es machte ihnen Beiden Angst und doch liefen sie auf das offene Tor zu. Auf die Hand zu, die der Blonde ihnen entgegen hielt. Und nur wenig später, waren sie nicht mehr allein gewesen. Sie hatten sich… Und Freunde. Das begriffen sie nur sehr langsam. Und als die Erkenntnis kam, schlug sie ein wie ein Komet. Sie hatten die Tore geöffnet und das Neue herein gelassen. Man wollte die Hände hineintauchen und es festhalten, wie Wasser, in einer hohlen Hand. Es huscht durch die Träume, begleitet einen wo immer man geht, steht oder fällt. Und das war vielleicht das schönste daran. Natürlich konnten auch die Mitglieder des Host Clubs sie nicht unterscheiden. Aber sie nahmen sie als zwei eigeneständige Personen wahr, die sie waren. Und das tat gut. Es bedeutete ihnen viel, auch wenn sie es nicht von Anfang an wahrhaben wollten. Und so kam es, dass sie ihr Tor einen Spalt breit öffneten und ab und an andere Menschen zu sich ließen. Sich entfalteten. Langsam konnte sie mehr sie selbst sein. So kam es, dass man die kleinen Unterschiede immer mehr bemerkte. Die sie als Menschen ausmachten. Auch wenn sie in manchen Situationen immer noch absolut synchron waren, verstellten sie sich nicht mehr allzu oft. Und dann… Nur wenige Jahre später kam Haruhi. Und sie stieß das Tor zu ihrer Welt, das immer noch geöffnet war, ganz auf. Zum ersten Mal viel ein anderes, fremdes Licht in das Paradies der Zwillinge. Endlich hatten sie einen Menschen gefunden. Jemanden der sie unterscheiden konnte, egal wie sehr sie versuchten ihre Identitäten zu verbergen. Es war, als würde sie durch sie hindurch sehen. Dieser Mensch war Haruhi Fujioka. Und sie war auf ihre eigene Weise ein Wunder. Nicht so wie Tamaki es damals für sie gewesen war. Anders. Sie war bis heute die einzige die mit dem Finger auf sie zeigen konnte und den richtigen Namen aussprach, der bei ihr nie geraten war. Es war faszinierend und beängstigend zugleich. Doch sie mochten sie Beide sehr. Kaoru beobachtete halb belustigt und halb schockiert wie sehr sich sein Bruder immer weiter auf das Tor zu bewegte. Und damit vor allem auf Haruhi, für die er zärtliche Gefühle hegte. Hikaru war in vielerlei Hinsicht einfach weiter als er selber. Er eilte ihm voraus. Und auch wenn er wusste, dass sein Zwilling ihn nie verlassen würde, rührte sich die Angst in seiner Seele nicht mehr hinter her zu kommen. Er war schon immer stiller und zurückhaltender gewesen. Etwas worin sie sich immer ergänzt hatten. Aber er wollte nicht alleine in dieser Welt verweilen. Sie war nur für zwei Personen ausgelegt. Alleine würde er in ihr zugrunde gehen. Deswegen eilte er Hikaru hinterher und versuchte mit ihm Schritt zu halten. Er wusste, dass er es gefährdete. Alles woran er glaubte. Und doch trieb er immer näher darauf zu. Alles Gewohnte würde bald vorbei sein. Das Prinzip der verflixten Kutsche, wie er es selber immer gerne nannte. Nichts hielt für ewig. Manchmal freute man sich über Veränderungen und manchmal beweinte man sie. So oder so… Irgendwann wurde die Kutsche wieder zu einem Kürbis und dieser zu Matsch. So war es nun einmal. ________ _________ Kaoru kam aus dem Bad zurück in das Zimmer von ihm und seinem Bruder. Er hatte geglaubt Hikaru würde gleich nachkommen, doch dieser lag immer noch im Bett und schien tief und fest zu schlafen. Mit gerunzelter Stirn beugte er sich über seine Zwilling. Was war denn heute los? Sonst war er doch immer der Erste der aufstand, wenn der Wecker klingelte. »Hey, Hikaru! Wach auf!« rüttelte er in sacht an der Schulter. Diese Aktion wurde mit einem Murren beantwortet. »Nun steh schon auf, der Wecker hat vor 10 Minuten geklingelt.« Nun etwas grober schüttelte er seinen Zwilling wach. »Kaoru, nicht…« nuschelte dieser unwillig und vergrub das Gesicht in seinem Kissen. »Komm schon, du musst endlich aufstehen sonst kommen wir zu spät.« »Verdammt…« hörte er es gedämpft aus dem Kissen. Und dann setzte Hikaru sich endlich auf. Er rieb sich die Augen und sah irgendwie blasser aus als sonst. »Bist du okay?« »Ja, bin nur zu spät eingeschlafen gestern.« »Beeil dich.« »Hm mhm.« Als Hikaru seine Körperhygiene beendet hatte und frisch angezogen aus dem Bad kam, packten sie ihre Sachen, zogen sich die Schuhe an und gingen raus. Vor dem Haus wartete bereits ihre Limousine. Alles im allen waren sie nur 5 Minuten später als sonst. Der Fahrer sagte kein Wort dazu. Er fuhr lediglich etwas schneller als gewöhnlich. Und so kam es, dass sie dennoch rechtzeitig zu Unterrichtsbeginn da waren. »Guten Morgen, Haruhi« sagten sie synchron, als sie sich an ihre Pulte, unweit von ihrer Freundin setzten. »Guten Morgen« erwiderte sie den Gruß, doch dann stockte sie. »Hikaru, ist alles in Ordnung?« Aha. Er war also nicht der Einzige der das mitbekam. »Ja. Alles bestens.« Das war gelogen! Das sah Kaoru sofort und auch Haruhi schien an den Worten zu zweifeln. Jedenfalls sagte das ihr Gesicht. Aber was war mit seinem Bruder? Die Gedanken wurden erst einmal vom Unterricht verdrängt. Auch in den Pausen war nichts wirklich auffällig. Trotzdem hatte er das Gefühl etwas stimme nicht, jedes Mal wenn Hikaru in anlächelte. Also durchliefen sie ihren Schultag wie immer. ________ _________ »Konzentrier dich doch mal Hikaru!« »Ich weiß es halt nicht. Mal ehrlich, Leute, es ist Selbststudium… wieso müssen wir jetzt lernen? Ich hab keinen Bock mehr.« »Andere haben nicht das Privileg im Selbststudium zu schwänzen, weil sie sich ihre Noten hart erarbeiten müssen.« konterte Haruhi und strafte ihn mit einem bösen Blick. »Du bist heute schon den ganzen Tag völlig unkonzentriert, ist wirklich alles gut?« fragte nun auch Kaoru zum wiederholten Male besorgt und fasste seinen Bruder an die Schulter. »Alles bestens.« wehrte Hikaru ab, sah aber anscheinend in den Augen seines Bruders, das ihm diese Aussagen nicht mehr reichte. » Ich fühl mich nur ein wenig schlapp. Das ist alles. Wirklich. Es ist einfach nicht mein Tag heute. Und es scheinen gerade auch Kopfschmerzen dazu zu kommen.« Nun legte auch die Braunhaarige das Buch weg, woraus sie die Zwillinge bis eben noch abgefragt hatte. »Meinst du wirklich das es nicht ernstes ist? Wenn es dir den ganzen Tag so schlecht geht, solltest du vielleicht mal in die Krankenstation und dich da untersuchen lassen.« »Jetzt übertreibst du aber Haruhi.« »Nein, sie hat Recht. Wenn - « »Jetzt fang du nicht auch noch an. Es ist alles in Ordnung!« unterbrach er Kaoru genervt. »Los lernt weiter. Ich hör euch zu.« Die Blicke der anderen Beiden ignorierend, lehnte Hikaru sich auf seinen Stuhl zurück, schloss die Augen und schwieg. Kaoru seufzte. Es hatte ja eh keinen Sinn. Sein Bruder war einfach ein Sturkopf. Unfassbar! Er griff nach dem Buch das Haruhi vor sich hingelegt hatte und schlug das Kapitel wieder auf, was sie vorher gelernt hatten. »Du bist dran, Haruhi.« »Okay.« »1853?« »Ähm…« machte Haruhi und kaute auf ihren Bleistift herum. »Warte nicht vorsagen… ich hab´s gleich!« »Erster Tipp: Ausländer.« sagte Kaoru und blickte vom Buch auf. »Zweiter Tipp: Schiff.« ergänzte Hikaru, der seine Augen immer noch geschlossen hatte. »Ah! Ich weiß! Die Ankunft von Kommodore Perry!« »Treffer!« riefen er und sein Bruder synchron. Haruhi lächelte. »Glückwunsch, das letzte Mal hast du vier gebraucht.« »Ich weiß. Danke.« »Machen wir weiter?« »Okay.« Während er ihre Freundin weiter abfragte, saß Hikaru neben ihnen und lauschte; gab ab und zu einen Hinweis, hielt sich aber sonst komplett raus. Er hatte die Augen immer noch geschlossen und ließ sich die Sonne, die nun langsam um das Gebäude herum schlich und zu den großen Fenstern hineinfiel, auf das Gesicht scheinen. Und immer wenn Kaoru zu ihm herüber blickte, verspürte er dieses leise Gefühl. Es wand und ringelte sich wie eine Schlange im seinem Unterbewusstsein. Irgendetwas stimmte hier nicht. Das spürte er. Aber was vermochte er noch nicht zu sagen. ________ _________ Und nach der Stunde gingen sie ihren Tätigkeiten im Host Club nach. So wie sie es immer taten. Heute schien ausnahmsweise mal kein Costplay an der Tagesordnung zu sein. Das ersparte das umziehen. Also warteten sie auf ihre Kundinnen. »Willst du wirklich nicht in die Krankenstation? Du bist immer noch so blass.« »Würdest du vielleicht aufhören mich das alle zwei Minuten zu fragen?« entgegnete Hikaru gereizt. »Das würde ich, wenn du mir die Wahrheit sagen würdest!« »Aber das tu ich doch! Mir geht’s ausgezeichnet, Kaoru.« Er blickte auf seine Tasse mit dampfenden Tee und sagte nichts mehr. Eigentlich sollte der Andere wissen, dass er ihm nichts vor machen konnte. »Kaoru, nun schau nicht so. Ich - « »Hikaru, Kaoru!« Die Beiden wandten sich gleichzeitig zu ihren heutigen Kundinnen um, die nun vor ihnen standen. »Guten Tag, ihr Hübschen. Setzt euch doch!« Sie standen auf und boten den Mädchen die Sitzplätze an, während sie sich zwei Stühle näher zogen und dort Platz nahmen. Es folgte das übliche Geplänkel. Doch Kaoru konnte sich nicht wirklich darauf konzentrieren. Er versuchte immer noch herauszufinden wie Hikarus Satz weitergegangen wäre, wenn sie nicht unterbrochen wären worden. Also verfolgte er eher geistesabwesend das Gespräch und antwortete nur auf gestellte Fragen an ihn selbst. Erst als er die Finger unter seinen Kinn spürte und sein Gesicht angehoben wurde, merkte er wie abwesend er eigentlich gewesen war. Er starrte in die Augen seines Zwillings. Automatisch legte er seine Hände auf dessen Arme. »Wo bist du nur wieder in Gedanken, Kaoru?« hauchte Hikaru ihm entgegen. Er wurde rot. Er konnte nicht einmal sagen ob er sich wirklich ertappt fühlte oder ob sein Körper schon von alleine anfing seine Rolle zu spielen. »Hikaru…« flüsterte er zurück und gab seiner Stimme einen verträumten klang. »Warte mit deinen Träumereien bis wir zu Hause sind… dann erfüll ich dir alles, was du dir wünschst.« »Auch wenn ich mir unanständige Dinge wünsche?« Er sah zur Seite als wäre er beschämt. Sein Bruder kam ihm noch näher und legte seine Stirn auf seine. »Du kennst doch die Antwort darauf, oder?« »Hikaru… nicht…« Er hörte das Kreischen der Mädchen, doch er achtete gar nicht so darauf. Der Andere fühlte sich so warm an. Hatte er etwa Fieber? Sein Bruder löste sich in diesem Moment von ihm und sagte noch irgendwas, was die Kundinnen wieder hysterisch kichern ließ. Was vermochte er nicht zu sagen. Seine Gedanken drehten sich rasant im Kreis. Vor den Prinzessinnen konnte er schlecht nach Hikarus Wohlbefinden fragen und ihn zur Rede stellen. Er musste eine andere Lösung geben. »Hikaru! Komm doch mal her zu mir!« wurde er durch Tamakis Stimme aus den Gedanken gerissen. Was könnte der Chef jetzt von ihm wollen? Der Angesprochene sah auf und lächelte dann den Mädchen am Tisch dann zu. »Ihr sehr, mein Typ wird verlang. Ich bin gleich wieder da.« Damit stand er auf und stütze sich ein wenig unelegant und zu ruckartig am Tisch ab. Was? Kaoru suchte seinen Blick und sein Herz blieb für einige Sekunden stehen. In dem Moment wo sich seine Augen verdunkelten und er taumelte, wusste Kaoru, dass etwas nicht stimmte. Ungeachtet der Kundinnen um sie herum sprang er auf. »Hikaru!« Gerade noch rechtzeitig schaffte er es zu seinem Bruder zu gelangen, um ihn vor einem unsanften Sturz zu bewahren. Er schien völlig weggetreten zu sein. Außer sich vor Angst, drehte er den Bewusstlosen so, dass er sein Gesicht sehen konnte. »Hikaru? Hikaru, wach auf! Was machst du den für Mist?!« Mit sanfter Gewalt schlug er auf die Wange von Hikaru und spürte die gewaltige Hitze unter seiner Haut. Was war nur los? Hatte er schon die ganze Zeit so schlimmes Fieber gehabt? Wieso war es ihm nicht vorher aufgefallen?? »Kyoya! Schnell…ruf einen Arzt! Er ist ganz heiß! Er braucht unbedingt einen Arzt!« Er sah nur aus den Augenwinkeln, wie sich der Schwarzhaarige bewegte. Seine ganze Aufmerksamkeit galt immer noch seinem Bruder, der regungslos in seinen Armen lag. So verweilte er noch bis eine Schwester ins Zimmer geeilt kam. Immer in der Hoffnung schlecht zu träumen. ________ _________ Kaoru saß auf dem großen Bett, welches jetzt so schrecklich leer wirkte. Ihr ganzes Zimmer wirkte so leer ohne ihn. Er war sich sicher, dass er die ganze Nacht kein Auge zubekommen würde. Denn wenn Hikaru nicht bei ihm schlief, fühlte er sich, als ob ihm die Hälfte seiner Existenz genommen worden wäre. Und das schmerzte. Es tat so weh! Er lehnte sich an die Kühle Fensterscheibe und starrte in die Dunkelheit. Kaoru hatte kein Zeitgefühl mehr. Er konnte nicht mal mehr sagen ob es Abend oder Nacht war. Vielleicht schon früher morgen? Er blickte einfach weiter in die Finsternis... Doch eigentlich starrte er seine Augen an, die durch die Spiegelung aus der Dunkelheit blickten und ihn tottraurig anblickten. Hikaru… Und endlich. Endlich konnte er weinen. ________ wenige Stunden zuvor _________ Er stürmte in das Krankenhaus und hielt die nächste Schwester auf die ihm entgegen kam. »Ich muss zu meinen Bruder! Hikaru Hitachiin… wo ist er?« Das junge Mädchen blickte ihn erschrocken an. »Beruhigen sie sich doch erst einmal, dann erkundige ich mich bei dem zuständigen Arzt okay? Hitachiin heißt er?« »Ja!« Beruhigen? Sollte das ein Witz sein oder was? Wie sollte er sich in so einer Situation beruhigen? Er blickte der Schwester hinterher und konnte dann nichts weiter tun, als unruhig den Gang auf und ab zu laufen. Irgendwie wünschte er sich Haruhi könnte hier sein. Aber das ging natürlich nicht. Sie und die Anderen versuchten die Kundinnen zu beruhigen und mussten erst einmal den Host Club schließen, ehe sie nachkommen konnten. Er selbst war dem Krankenwagen sofort mit einer Limousine ins Krankenhaus gefolgt und hatte sich keine Gedanken um den Club oder sonstiges gemacht. Dafür mussten Kyoya und Tamaki nun sorgen. Trotzdem wollte er hier so ungern alleine sein. Sein Herz schrie jetzt schon und seine Augen brannten. Die Kehle schmerzte. Er wollte verdammt sein, wenn er jetzt vor all den Leuten in Tränen ausbrach! Nein… nein, nein, nein, nein! »Hitachiin?« Kaoru drehte sich zu der Schwester um. Was sollte dieser mitleidige Blick? »Haben Sie eine Mölglichkeit ihre Eltern zu verständigen?« »Ja…« »Dann tun sie das, der Arzt würde gerne mit ihnen zusammen sprechen!« »Aber ich kann nicht solange warten! Meine Eltern arbeiten auswärts!« »Dann rufen sie sie trotzdem an. der Arzt nimmt sich gleich Zeit für sie.« Ein unkontrolliertes Zittern bemächtigte sich seines Körpers. Noch nie war es ihm so schwer gefallen die Nummer seiner Eltern zu wählen. Umso so erleichterter war er, als er es geschafft hatte ihm die schreckliche Mitteilung zu machen ohne in Tränen auszubrechen. Nun saß er auf einen weißen, unbequemen Stuhl und starrte auf eine ebenso weiße Wand. Dann ging gas Arztzimmer auf und ein Mann im Kittel winkte ihn herein. Automatisch bewegte er sich auf ihn zu. Nahm die dargebotene Hand und schüttelte sie. Dann setzte er sich auf einen weicheren Stuhl und blickte in die blauen Augen des Arztes, die ihn neutral musterten. Im Nachhinein konnte er das Gespräch nicht im Einzelnen wiederholen (weshalb er auch froh war, das der Arzt extra mit seinen Eltern sprechen wollte. Er hätte all die Informationen gar nicht weitergeben können, die er ihm in diesem kurzen Gespräch gab.) Es gab nur wenige Worte die zu ihm vordrangen. Ihr Bruder ist schwer krank, waren davon die Schockierensten. Mukokutanes Lymphknotensyndrom was in der Mundart auch Kawasaki-Syndrom genannt wird. Hohes Fieber. Eine Art Wunder das er das überhaupt bekommen hat, eigentlich betrifft es nur Kleinkinder. Ähnliche Symptome wie Masern oder Scharlach, wenn Ihnen das was sagt. Noch ungeklärt ob es ansteckend ist oder nicht. Braucht absolute Ruhe, das heißt keinen Besuch. Danach waren seine Erinnerungen nur noch ziemlich verschwommen. Das einzige was er noch deutlich wusste war, dass er froh war, dass doch keiner seiner Freunde dabei war und sehen konnte wie er ausrastete. Kaoru wusste nicht mehr genau was vorgefallen war, doch dass er zusammengebrochen war und sein Gesicht vor jeglichen Personal des Otorikrankehauses verloren hatte wusste er. Doch es war ihm egal. Im Endeffekt hatten sie ihm ein Beruhigungsmittel injiziert und ihn von seinem Chauffeur abholen lassen. Er ließ sich willenlos von einen der Hausmädchen in ihr Zimmer führen und sank auf das Bett. Es fühlte sich an, als hätte man ihm das Herz herausgerissen, zerteilt und ihn nur eine der beiden Hälften wieder eingenäht. Er fühlte sich nicht komplett. Kurz um: er fühlte sich miserabel. Was war das nur für ein schrecklicher Tag? Kapitel 2: Einsamkeit --------------------- AA: Es hat ein wenig länger gedauert… doch hier ist nun das neue Kapitel. Hiermit entschuldige ich mich bei allen Lesern, die bereits das Manga besitzen.^^ Denn ich wurde vor kurzem freundlich darauf hingewiesen, dass in eben Diesen die Eltern der Zwillinge genauer beschrieben werden. Da ich bisher jedoch nur das Anime gesehen habe, musste ich mich leider damit begnügen mir selber Charakterzüge auszudenken und die Namen lediglich von den FF´s zu übernehmen, die ich bisher schon gelesen habe. Auch wenn ich das Manga jetzt sicher bald lese, werde ich diese Geschichte mit meinem jetzigen Wissen beenden. Sonst würde das die Story und meinen Plot verfälschen und alles noch einmal ändern möchte ich nicht. ^^“ Ich bitte um Verständnis… ________________ _______________ Zusammengerollte wie ein Fötus lag Kaoru in dem großen Bett und starrte an die weiße Wand. Er hatte die ganze Nacht kein Auge zugetan. So wie er es vorhergesehen hatte. Ihm war merkwürdig kalt. Nicht körperlich… nein die Kälte war innerlich, so als würde ihm eine Wärmequelle fehlen. Seine Gedanken kreisten ohne dass er überhaupt wusste worum. Er konnte nichts Klares erfassen. Es war, als würde man Papierfetzen im Wind fangen wollen. Nur gedämpft bekam er mit, wie die Hausmädchen auf ihn einredeten, um ihn dazu zu bewegen aufzustehen und zur Schule zu gehen. Doch er starrte nur weiter die Wand an. Kaoru konnte einfach nicht reagieren. Es kam ihm vor als wäre er erstarrt. Völlig regungslos. Wie sollte er ohne Hikaru auch nur eine Stunde in der Schule aushalten? Jeder würde ihn fragen… Ihn auf diese Leere in seinem Inneren aufmerksam machen. Wie sollte er das schaffen? Selbst im Host Club würde er sich nicht ablenken können. Schließlich konnte er ihre Inzest Masche nicht alleine spielen. Außerdem würde es den Kundinnen natürlich erst recht auffallen, zumal die Meisten gestern anwesend waren, als er zusammengebrochen war. Und sie würden fragen… Fragen. Die hatte er auch. Warum gerade Hikaru? Und warum zum Teufel hatte er es nicht früher bemerkt?! Er war schließlich immer bei ihm! War er so blind geworden, was die Belange seines Bruders anging? Verdammt. War es seine Schuld? Hatte er es früher erkennen müssen? Eigentlich wollte er jetzt nicht darüber nachdenken, aber die Gedanken hafteten sich an ihn und ließen ihn nicht mehr los. Irgendwann gaben die Hausmädchen es auf, auf ihn einzureden. Wenigstens was. So blieb er liegen, wie er war und hing seinen düsteren Gedanken nach. Starrte weiter die weiße Wand an. Weiß… Diese Farbe erinnerte Kaoru an das Krankenhaus. Steril und unpersönlich. Er hatte diese Farbe noch nie gemocht, doch jetzt verabscheute er sie irgendwie noch mehr. Es schien als würde sie ihn auffressen und ihn in eine andere Dimension ziehen. Eine andere Welt in der nur Resignation und Gedanken herrschten… und natürlich Weiß ! ________ _________ Der Rothaarige wusste nicht wie viel Zeit vergangen war. Er hörte nur ab und zu die Tür. Anscheinend machten die Bediensteten sich Sorgen, dass er sich umbrachte oder so. Doch ansonsten geschah nicht viel. Sein Handy hatte er schon nach der Ankunft gestern ausgestellt. Er wusste genau, dass seine Freunde ihn versuchten zu erreichen. Aber er wollte jetzt nicht reden. Nichts würde ihm jetzt schwerer fallen als das. Im Großen und Ganzen wollte er im Moment gar nichts … nur liegen. Einfach hier bleiben. Warten bis es vorbei war. Und dann…- wurde die Tür aufgerissen. Kaoru wusste sofort, dass es dieses Mal kein Hausmädchen war. So kam nur Einer zu ihrer Tür hinein gestürmt. »Kaoru! Komm mit hinunter ich will sofort mit dir reden!« Der Angesprochene seufzte auf, folgte aber der Anweisung. Träge schlich er hinaus, die Treppe hinunter und dann folgte er seinen Eltern ins Aufenthaltszimmer. Dort setzte er sich in den Sessel gegenüber der Couch auf der seine Eltern bereits Platz genommen hatten. Die Drei warteten bis das Hausmädchen den Tee ausgeschenkt hatte, bedankten sich und sahen ihr nach, als sie aus dem Raum ging. Dann galt die volle Aufmerksamkeit ihm allein. Wieder wurde sich Kaoru der Leere neben sich schmerzlich bewusst. Unwohl wand er sich leicht unter den Blicken. Er wollte nicht hier sitzen. Das fühlte sich alles so verdammt falsch an. Alles war so fremd, als hätte er einen neuen Körper bekommen. »Was genau ist da geschehen?« fragte seine Mutter ohne Umschweife. Ohne den Blick zu heben erzählte Kaoru stockend was sich am Vortrag zugetragen hatte. Es war für den Rothaarigen alles andere als einfach alles noch einmal in seiner Erinnerung zu durchleben. Manche Details ließ er aber bewusst weg. Seinen Ausraster und die Arbeit ihm Host Club zum Beispiel… seine Eltern mussten nicht alles wissen. Danach folgte Schweigen. Die Leere schmerzte ihn wie Nadeln… jetzt nach der Erzählung war es noch schlimmer als es ohnehin schon war. Das alles war erst gestern gewesen. Das war so unbegreiflich, dass sein Verstand auf diese Information gar nicht so recht reagieren konnte. Ihm war es immer noch so, als würde sein Zwilling jeden Moment zur Tür hereinkommen und sich entschuldigen weil er verschlafen hatte. »Und du hast vorher nichts bemerkt?« fragte Yuzuha. »Nein.« antwortete Kaoru und hoffte, dass sie nicht weiter bohrte. Ihm war schon wieder ganz schlecht vor Schuld. Den Blick gesenkt knetete er seine blassen Finger und sah dem Dampf zu, der aus seiner Teetasse stieg. Der Tee war sicher schon lauwarm… Wieder herrschte kurze Stille. Auch wenn er gerne trinken würde, er traute seinem Schluckreflex zurzeit nicht recht. An sich würde er jetzt lieber auf seinem Zimmer sein und einfach warten. Warten auf Hikaru. Darauf das er ihn in seine Arme schloss und er sich wieder komplett und lebendig fühlte. Konnte man eigentlich an Sehnsucht sterben? Irgendwie glaubte er das plötzlich. Jedenfalls fühlte es sich so an… wobei er wusste ja nicht wie es sich anfühlte zu sterben. Aber das Gefühl was in ihm fraß … es war schrecklich. Und was war schrecklicher als sterben? »Kaoru?« wurde er aus seinen trüben Gedanken gerissen. Er sah auf und blickte direkt in zwei besorgte Augenpaare. »Trink deinen Tee.« Der Angesprochene nickte wie mechanisch und würgte das Heißgetränk hinunter. Für ihn schmeckte es wie lauwarmes Wasser. Doch er sagte nichts. Es fühlte sich an als müsste er jeden Moment ersticken, als er auch noch die letzten Schluckte hinter quälte. Er spürte genau die Blicke seiner Eltern. Sie ruhten auf ihm, als wollen sie etwas fragen. Aber er sah nicht auf. Er konnte das nicht. »Du wirst morgen wieder in die Schule gehen.« sagte Daisuke. Es war nicht wirklich eine Aussage, eher eine Aufforderung. Kaoru biss sich auf die Unterlippe. Er hatte keine Kraft zu streiten. Warum musste sein Vater auch so… so taktlos sein? Konnte er nicht fühlen? »Hast du mich gehört?« wurde er gefragt, als er keine Antwort gab. »Ja.« »Dann antworte.« »Verzeih. Ich kann das einfach nicht…« Er wusste gar nicht warum er sich entschuldigte. Und wieder übermannte ihn das Gefühl der Schwäche und der Hilflosigkeit. »Natürlich kannst du. Ich bestreite ja gar nicht, dass es am Anfang schwer werden wird. -« »Aber -« »Nichts aber, Kaoru! Du kannst nicht vier Wochen die Schule schwänzen. Das geht einfach nicht! Wie willst du das alles nachholen?« Moment… Was? »Außerdem wäre es nicht förderlich, wenn du hier den ganzen Tag alleine rumsitzt. Da wirst du doch verrückt…« warf seine Mutter nun ein. »Du bist ja jetzt schon ganz abwesend.« Zurückspulen bitte. »Was?« fragte er einsilbig. »Wie was?« fragte seine Mutter ebenso eloquent wie er. »Wie lange?« versuchte er seine Frage zu präzisieren. Seinen Schock konnte er jedoch nicht ganz verstecken. Yuzuha seufzte. Sie schien ihn sofort zu verstehen. »Vier Wochen.« Kaoru merkte wie ihm alles aus dem Gesicht glitt. »Wir waren vorhin beim Arzt, der hat uns den Ablauf der Krankheit ein wenig erklärt.« sagte nun sein Vater und maß ihn mit Blicken. » Die ersten zehn Tage muss er auf der Intensivstation bleiben, da er hohe Fieberschwankungen haben wird. Seine jetzige Temperatur liegt bei 40°, dass kann sich aber schnell ändern. Er hatte wohl bereits zwei Fieberkrämpfe. Danach wollen sie ihn in seine normale Station verlegen und die Symptome die er zeigt weiter beobachten. Erst wenn alles geklärt ist können wir ihn wieder nach Hause holen.« Kaoru spürte das Zittern, was seinen Körper erfasst hatte. »Die Phase nach dem Fieber kann ungefähr zwei Wochen dauern, aber das kann uns wohl der Arzt erst sagen, wenn es so weit ist. Erst einmal muss er die Fieberperiode gut überstehen.« Kaoru nickte. Dieser Fluss an Informationen hatte die gleiche Wirkung auf ihn wie ein Schlag in den Magen. Ihm war, als könne er Hikarus Schmerzen deutlich fühlen. »Also ab morgen gehst du wieder zur Schule. Keine Widerrede…« Auch wenn er eine gehabt hätte, er war einfach nicht in der Lage sich jetzt rumzustreiten. Ihm fehlte die Kraft. Zittrig holte er Luft. »Ich geh dann wieder ins Zimmer, wenn alles gesagt ist.« sagte er tonlos. Sein Vater nickte. Mechanisch stand er auf und ging den Weg zurück den er gekommen war, ohne irgendetwas wahrzunehmen. Er fühlte sich wie ein Roboter. Als er an ihrem Zimmer ankam und die Tür aufstieß, empfing ihn sofort die Leere wieder. Sie breitete sich auf alles aus und schien ihn nieder zu drücken. Schmerzhaft stach es in seiner Brust. Das Bett war leer… Alles war leer… auch er selber. Stolpernd betrat er das Zimmer und ließ die Tür hinter sich zufallen. Er ging wieder zum Bett, weil er sonst einfach nichts mit sich anzufangen wusste. Wieder drehte er sich zur Wand und ließ sich von dem Weiß verschlucken. In dieser Welt, in die er sich nun zurückzog, war es trostlos. Aber dort gab es zumindest keine Schmerzen. Er zog sich vollkommen in diese Welt zurück… So bemerkte der Rothaarige noch nicht einmal, dass er weinte. ________ _________ Die Tage liefen zähflüssig dahin. Und Kaoru existierte vor sich hin. Funktionierte irgendwie. Doch von seiner Umwelt bekam er nur wenig, bis gar nichts mehr mit. Eigentlich machte es keinen Unterschied ob er im Bett lag oder zur Schule ging. Jedenfalls kam es aufs Gleiche raus. Er starrte abwesend vor sich hin und reagierte nur gelegentlich auf Ansprache. Das einzige was in der Schule anders war, war der Host Club… Kaoru war vom direkten Club „beurlaubt“, trotzdem bemühten sich die anderen Mitglieder um ihn. Sie halfen ihm wo sie konnten und versuchten ihn irgendwie aufzufangen und abzulenken. Auch wenn er wusste, dass sie es gut meinten, war er von Dankbarkeit weit entfernt – wie überhaupt von jedem Gefühl. Für ihn war die Anwesenheit andere Menschen im Moment einfach nur anstrengend, egal wie gut sie es meinten. Es war für ihn unerträglich die Nähe zu anderen zu spüren ohne zu Hikaru zu dürfen. Es war einzig seine Anwesenheit, die Kaoru so sehr brauchte. Hikarus Anwesenheit war kaum zu spüren, sanft und strahlend. Das war schon immer so gewesen. Andere Menschen waren anstrengend; dort musste man aussprechen was man dachte, weil sie es sonst nicht verstanden. Man musste Floskeln benutzen und ihnen immer Aufmerksamkeit schenken…anwesend seien. Etwas was er zurzeit einfach nicht vermochte. Er hatte überhaupt kein Fünkchen Energie mehr in sich. Nichts. Auch wenn er den Chef und Haruhi (die sich am meisten um ihn bemühten) mochte, er ertrug es nur schwer mit ihnen zu reden, als wäre alles in Ordnung. Vor allem aber die Kundinnen machten ihn zu schaffen. Immer wieder sprachen sie ihn auf Hikaru an. Und jedes Mal fühlte es sich an, wie mit Anlauf gegen eine Mauer zu laufen. Als er beim Dritten Gespräch dieser Art, dann letztendlich völlig zusammenbrach, hatte der Chef ein Einsehen und hielt von da an alle Kundinnen von ihm fern. So gut es eben ging. Das war erträglich… Fast. Immer öfter zog er sich jedoch dahin zurück wo er komplett alleine war und mied die Nähe seiner Freunde. Entweder er strich durch leere Schulgänge, versteckte sich in entlegenen Ecken im Gebäude oder zog sich in das Labyrinth hinter dem Schulgebäude zurück. Dort saß er dann einfach und dachte nach… Wartete und bemitleidete sich ein wenig selber. Immer wieder hatte er das Gefühl, dass Schmerzen über seinen Körper peitschten die nicht zu ihm gehörten. War das Hikaru? War ihre Verbindung noch da, obwohl er so weit weg zu sein schien? Konnte das sein? Er hatte ihn schon so lange nicht mehr gesehen… es kam ihm beinah vor wie Jahre, dabei waren es erst vier Tage. Seine Eltern hielten ihn vom Krankenhaus fern. Aber er wusste nicht ob er von selber die Kraft finden würde und dort hingehen konnte um ihn zu sehen. So… so verletzlich. Kaoru war sich sicher, dass würde er nicht aushalten können. Eigentlich war Hikaru der Stärkere… der Kämpfer… Jetzt war er sich da nicht mehr so sicher. Und er hatte Angst. So schreckliche Angst, seinen einzigen Lebensinhalt zu verlieren den er je gehabt hatte. Er wollte das nicht. Er konnte es auch nicht. Alles drehte sich bei ihm um seinen Bruder… ________ _________ »Hab ich dich gefunden.« hörte er die Stimme seiner besten Freundin und spürte wie diese sich dicht neben ihm fallen ließ. »Hier iss das.« Ihm wurde ein Sandwich unter die Nase gehalten, doch er reagierte nicht darauf. Wieso auch? »Komm schon Kaoru, wenigstens einen Bissen.« Weiterhin rührte er sich nicht. Er saß auf den Rand des Brunnens und starrte weiter in den Himmel. Wie konnte nur die Sonne scheinen? Wie konnten alle Menschen einfach so weitermachen wie bisher? Wie? Wie schafften das alle bloß, wenn er sich doch so tot fühlte? Haruhi seufzte und lehnte sich gegen ihn, legte den Kopf an seine Schulter. »Weißt du, damals als Mama starb ging es mir ähnlich. Ich hab mich so leer gefühlt und gedacht, dass nichts mehr einen Sinn macht. Warum soll man essen? Warum sich anziehen, aufstehen und rausgehen? Es versteht ja eh keiner… alle machen weiter wie bisher… keinen interessiert es…« begann sie leise zu reden. » Aber das stimmt nicht, Kaoru. Das ist mir auch klar geworden. Es gibt Menschen die das verstehen können. Weißt du? Mein Papa hat es damals verstanden… er hatte schließlich ebenfalls einen wichtigen Menschen verloren. Er hat mir so geholfen in der Zeit und trotzdem fühlte ich mich so alleine… Ich habe einfach nicht gewusst was ich machen sollte. Aber irgendwann ist es besser geworden. Immer mehr. Jetzt kann ich lächeln, wenn ich an sie denke. Es tut noch weh, aber ich kann mich auch an die schönen Momente erinnern und nicht nur an die letzten Stunden denken… das zählt. Ich weiß das der Vergleich hinkt, doch ich bin mir sicher das Hikaru nicht wollen würde, dass du dich so zurückziehst. Und ich will es auch nicht… genauso wenig wie Tamaki, Kyoya, Honey oder Mori. Verstehst du?« Kaoru nickte nur. Irgendwie hatte sie ja Recht. Sein Bruder würde das alles nicht wollen… weder, dass er alleine war noch, dass er das Essen verweigerte. Haruhi sah zu ihm auf. »Ich möchte das du etwas isst. Bitte… es bringt rein gar nichts, wenn Hikaru wieder wach wird und du selbst im Krankenhaus liegst, weil dein Kreislauf kollabiert ist.« Wieder hielt sie ihm das Sandwich hin. Dieses Mal nahm er es ihr ab und begann mechanisch zu essen. Er schmeckte nicht viel, doch das war egal. Die Übelkeit, die er seit dem Morgen verspürte verschwand ein wenig. Das war gut… irgendwie. »Trinkst du auch genug?« »Ja.« Haruhi schien sich über seine Antwort zu freuen, denn in ihrem Gesicht breitete sich ein umwerfendes Lächeln aus. »Das ist gut.« meinte sie nur und lehnte sich wieder an seine Schulter. »Ich weiß einfach das alles wieder gut wird… du wirst schon sehen.« »Danke…« »Wofür.« »Das du das immer wieder sagst. Und das du hier bist.« »Du weißt doch, dass es selbstverständlich ist.« Nein das wusste er nicht. ________ _________ Kaoru lag in seinem Bett und starrte die Decke an. Es war bereits dunkel, eigentlich konnte er nicht viel sehen, doch schlafen konnte er auch nicht. Wie alle Nächte davor. Er sehnte sich nach dem anderen Körper seiner Seele, der ihn mit seinem Atem – und Herzgeräuschen immer in den Schlaf gewiegt hatte. Doch jetzt war er nicht da… Einkörpermenschen konnten so etwas nicht verstehen. Sie wussten nicht wie es ist, wenn einem die Seele und die ganze Identität zerrissen wurde. Es war als würde man versuchen Yin und Yang zu lösen. Und wenn man an die alte chinesische Philosophie glaubte, würde, wenn sie getrennt wären, die Welt zugrunde gehen. So fühlte es sich an… Genau jetzt. Auch wenn seine Augenlider schwer wie Blei waren, starrte Kaoru weiter gerade aus. Nur ab und zu, fielen ihm die Augen zu. Irgendwann glitt der Rothaarige in einen leichten Schlaf mit irrwitzigen Träumen ab. Er träumte von Hikaru und Haruhi… sie saßen auf einer Bank unter ihm und lachten. Er sah wie sie sich berührten, herumalberten und gerade als er etwas sagen wollte, sah er wie sein Bruder sich langsam auflöste. Er wurde unscheinbar, durchsichtig fast wie ein Gespenst. Haruhi schien nichts zu bemerken. Irgendwann war er ganz verschwunden. Nur noch die Braunhaarige saß auf der Bank, ließ sich aber noch immer nichts anmerken. Er wollte zu ihr runter und sie anschreien, sie fragen was sie sich dabei dachte, doch er konnte sich nicht bewegen… er schrie und alles was zu hören war, war das Rauschen von Blättern und das knacken von Zweigen und Ästen. Als er aufschreckte und sich suchend umsah, wurde ihm klar, dass es keine Realität gewesen war. Seufzend legte er sich zurück in die Kissen und lugte auf den Wecker. 5 Uhr. Also noch einmal das gleiche Spiel… Kapitel 3: Heilungschancen -------------------------- So genau hatte er keine Ahnung wie er die ersten zehn Tage ohne seinen Bruder überlebte. Aber irgendwie ging das. Er hatte immer geglaubt ohne Hikaru sterben zu müssen, dass er aber weiterlebte, während ein Teil von ihm starb und wie ein Kadaver nun in seinen Eingeweiden lag, hatte er niemals wissen wollen. Er ging seinen Bruder nicht besuchen… er traute sich einfach nicht. Aber er ließ sich von seinen Eltern und den Bediensteten (die immer dann gingen, wenn seine Eltern gerade geschäftlich verhindert waren) Bericht erstatten. So war auch er immer auf den neusten Stand. Die akute Phase war laut den Ärzten nun vorbei. Hikaru hatte kein Fieber mehr, wurde auf die Besucherstation verlegt und konnte jetzt auch von Freunden und Bekannten besucht werden. Er war wieder bei Bewusstsein, auch wenn er noch viel Ruhe benötigte. Als er das seinen Freunden erzählt hatte, hatten die ihn so lange bekniet, bis er zugestimmt hatte, Hikaru mit ihnen besuchen zu gehen. Kaoru wusste, dass sie es nur gut meinten. Und auch wenn seine Sehnsucht schrie und ihn fast auffraß. Er hatte Angst Hikaru so… so verletzlich zu sehen. Sein Bruder war immer der Stärkere gewesen, irgendwie… nicht unbedingt körperlich. Aber emotional. Es war immer Hikaru gewesen an den sich Kaoru anlehnen konnte, wenn es ihm nicht gut ging. Wie sollte er es ertragen seinen Bruder nun im Krankenhaus zu sehen? Aber irgendwann hatte Haruhi ihn soweit weichgeklopft, dass er nun doch zustimmte. Er würde seinen Bruder besuchen gehen. Koste es was es wollte… und irgendwie freut er sich. Er wollte ihn unbedingt sehen und ihn wieder in die Arme schließen können. ________ ________ Kaoru konnte sich nicht entscheiden ob er sich nun freuen oder fürchten sollte, als der Tag da war. Heute würde er mit Haruhi und den Anderen seinen Bruder besuchen. Wie das schon klang… Er hoffte nur er würde es überstehen. Irgendwie… Die Anderen holten ihn ab und obwohl sie bei ihm waren, fühlte er sich schrecklich allein. Sie fuhren mit dem Wagen von Tamaki vor dem Krankenhaus vor. Sie hatten die ganze Fahrt nicht viel gesprochen. Kaoru vermutete, dass sie Rücksicht auf ihn nehmen wollten und er war ihnen sehr dankbar dafür. Viel hätte er auch nicht sagen können; seine Kehle war wie zugeschnürt und staubtrocken. Mit zittrigen Knien stieg er aus dem Wagen aus und folgte seinen Freunden zu dem riesigen Gebäude was der Otori Familie gehörte. Überall wollte der jetzt lieber sein als hier… Die Schiebetüren die die Außenwelt von der Welt hinter diesen Mauern trennte, glitt auf und der Host Club trat ins Krankenhaus ein. Der Geruch nach Desinfektionsmittel drang erbarmungslos in seine Nase und Kaoru verzog angewidert das Gesicht. Alles – von den gläsernen Schwingtüren bis hin zu dem zerkratzten Linoleumboden – wirkt beunruhigend steril und schreit von Krankheit und Tod. Er hasste das alles so. Er hatte sich im Zuge des abrupten Aufbruches nicht mal die Zeit genommen, eine Jacke anzuziehen und fröstelte ziemlich, als er durch den weiß gestrichenen Eingangsbereich hastete und mit den Anderen am Empfang stehen blieb. Diese Farbe erweckte schreckliche Erinnerungen in ihm. Deshalb versuchte er nicht zu genau hinzuschauen… es war als würde man versuchen im Wald keine Bäume zu sehen. Kyoya begrüßte die Schwester, die hinter dem gräulichen Tresen gebannt auf den PC starrte mit Namen… manchmal bewunderte ihn Kaoru dafür; er schien fast das ganze Personal hier zu kennen. Wie machte er das nur? Aber sich darüber jetzt auch noch Gedanken zu machen, war doch ziemlich sinnlos. Die Dame sagte ihm eine Zimmernummer und lächelte ihnen über den Tresen hinweg an. Der Schwarzhaarige nickte und führte die Gruppe zum Fahrstuhl, wo sie in die zweite Etage fuhren, wehe sie einen langen Gang hinuntergingen. Kaoru versuchte sich von jeglichen Gedanken und Erwartungen abzulenken indem er seine Freunde genauer betrachtete. Ob sie genauso aufgeregt waren? Kyoya war wie immer der Beherrschte, man sah ihm keinerlei Gefühlsregung an, als er sie durch den Gang führte. So als würde er überhaupt nichts fühlen. Tamaki sah aus, als würde er jeden Moment beginnen zu schreien oder einen anderen Gefühlsausbruch erleiden. Ihn schien das auch arg mitzunehmen… auch wenn er die meiste Zeit überschwänglich und manchmal mehr als theatralisch war. Er wusste genau wie es war jemanden im Krankenhaus zu besuchen. Man konnte es schnell vergessen, weil er einfach nicht der Typ für Trauriges und Nachdenkliches war… er überspielte so etwas meistens… und doch musste er besser als jeder andere wissen, wie Kaoru sich jetzt fühlte. Das Wissen tat irgendwie gut… Haruhi kaut nervös an ihren Fingernägeln und ihre Schuhe klackern dumpf auf dem mintgrünen Boden, was er wahrscheinlich nur so deutlich wahrnehmen konnte, da sie so nah bei ihm lief. Honey und Mori waren so wie immer. Normal eben… wenn man das so nennen konnte. Schließlich kamen sie vor der Zimmertür an, wo die ganze Gruppe anhielt. »Okay, da wären wir.« meinte Kyoya neutral und deutete auf die Tür. »Er hat natürlich ein Einzelzimmer, trotzdem denke ich wir sollten nacheinander hineingehen.« »Du hast natürlich recht.« stimmte der Blonde ungewohnt ernst zu. »Kaoru? Haruhi? Wollt ihr zuerst gehen?« Die Braunhaarige nickte und blickte ihn dann mit großen Augen an. »Bist du bereit.« Nein! »Ja… natürlich.« »Gut. Gehen wir.« »Wir warten hier auf euch.« »Bis dann.« Haruhi machte die Tür auf und Beide traten ins Zimmer. Kaoru war über ihre Anwesenheit froh und wünschte sich gleichzeitig sie würde wieder umdrehen und ihn und seinen Bruder alleine lassen. Das Zimmer war ziemlich groß für ein Einzelzimmer und doch war es zu unpersönlich und zu steril, als dass man sich hätte wohlfühlen können. Kaoru ließ seinen Blick schweifen. Über die Fensterfront, die mit Gardinen verhangen war, über den Tisch, der vor Blumensträußen und Geschenken überquoll und den Schränken…- Sein Blick blieb an dem Krankenbett hängen, welches an der Wand gegenüber dem Fenster stand. Auf diesem lag eine ihm so bekannte, schmale Gestalt. Hikaru war leichenblass und hat seinen Kopf leicht von der Tür abgewandt. Seine Augen starrten ohne zu blinzeln aus dem Fenster und er sah so verloren aus, als hätte sich seine Welt um ihn herum in Luft aufgelöst. Dumpf wurde Kaoru klar, dass – egal was auch immer er in den letzten Tagen gefühlt hatte – Hikaru es noch wie schlimmer ergangen war. Er hatte bestimmt Schmerzen und Fieberkrämpfe gehabt… und dazu noch die Sehnsucht nach ihm. Plötzlich wollte er nichts mehr als den Anderen nur noch in die Arme zu schließen und nie wieder loszulassen… es war so egoistisch gewesen! Er hatte nur an sich gedacht! Ob sein Bruder böse war, weil er ihn noch nicht besucht hatte? »Hikaru…« krächzte er und wankte auf seinen Zwilling zu. Der Andere fuhr heftig zusammen, als er so unvermittelt angesprochen wurde und starrte ihn an wie eine Erscheinung. »Kaoru?« Er klang so unendlich müde. »Hikaru!« wiederholte er den Namen von seinem Bruder und ließ sich auf dem Stuhl neben dem Bett fallen, ehe er seine Finger in dem Stoff seiner Hose vergrub und den Tränen freien Lauf ließ. »Hey… hör auf zu weinen. Es ist doch alles okay.« »Ist es nicht! Es… es tut mir so leid, dass ich - ich dich nicht be -… besuchen gekommen bin. Ich hatte so Angst…« »Ich weiß doch. Beruhig dich, Kaoru.« »Ich war so egoistisch!« »Es ist alles okay. Mir geht es soweit gut.« »Ehrlich?« »Ja.« lächelte Hikaru schwach. » Das Fieber ist fast weg und die Ärzte versuchen nur noch, die Begleiterscheinungen einzudämmen damit es keine Nebendiagnosen gibt.« Nebendiagnosen? Hieß das, dass da vielleicht noch etwas nachkommen konnte? War sein Zwilling durch diese kleine Unachtsamkeit wirklich so schwer krank? »Ey sieh mich an. Das alles ist nicht der Rede wert, hm?« Er hob den Kopf und musterte sein Zwilling noch einmal viel kritischer. Jetzt fielen ihm die Kleinigkeiten auf, die er eben gar nicht so beachtet hatte. Die spröden, aufgesprungenen Lippen, die roten Augen, die geschwollen Finger und die fast schuppigen Hände. Unbedacht streckte er seine Hand aus um Hikaru zu berühren. Er wollte ihn so gerne spüren, ihn in den Arm nehmen. Diese starke Sehnsucht überfiel ihn einfach wieder. »Nicht!« Seine Hand wurde zur Seite geschlagen. Dieser winzige Kontakt war sekundenschnell und tat doch mehr weh wie jede Folter. Kaoru blinzelte. Hatte sein Bruder eben wirklich…? Dieser sah ihn in unergründlich in die Augen. »Fass mich nicht an!« Diese Worte taten mehr weh als alles was Kaoru je gespürt hatte. Es hätten genauso gut Schläge sein können. Er spürte nur noch das schmerzvolle Stechen als sein Herz sich zusammenzog. Warum sagte er so etwas…?? Unverständlich schüttelte er den Kopf. Warum war er noch hier, wenn Hikaru ihn nicht sehen wollte? … er wollte ihn nicht! Diese Erkenntnis schlug bei ihm eine wie eine Bombe und veranlasste ihn dazu von seinem Stuhl aufzuspringen und die Flucht nach vorne anzutreten. Er wollte hier raus! Durch seinen überstürzten Aufbruch bekam er nicht mehr mit, wie sich sein Schmerz auf dem Gesicht seines Zwillings spiegelte. »Kaoru!« Dieser Schrei war wie ein Peitschenhieb… doch er lief weiter. Er konnte nicht mehr zurück! Sein Bruder hatte ihn zurückgestoßen, dass erste Mal seit dem er auf dieser Welt war hatte sein Zwilling ihn von sich gestoßen. Es fühlte sich an als würde er den Boden unter seinen Füßen erneut verlieren, der sich doch nach Hikarus Zusammenbruch und der Diagnose nur so mühselig wieder erneuert hatte. Er spürte die Hände von Haruhi auf seinem Arm, aber er schüttelte sie ab. Auch ihre Rufe ignorierte er geflissentlich… sie konnte ihm jetzt nicht helfen. Das konnte keiner mehr. Er rannte an seinen Freunden vorbei, den Flur entlang und aus dem Krankenhaus. Er wollte jetzt nicht denken oder fühlen. Alles in ihm tat weh. Es fühlte sich an, als würde man versuche Nadeln zu atmen oder Säure zu inhalieren. Nichts konnte ihn vor dem Schmerz bewahren. ________ _________ Er war bereits halb die Straße hinunter gelaufen, da hörte er sie: »Kaoru! Bleib stehen jetzt!« »Lass mich!« »Ganz bestimmt nicht! Was willst du denn machen? Nach Hause laufen?« Haruhi hatte ihn eingeholt und packte seinen Arm erneut. »Sei doch vernünftig.« »Verschwinde einfach! Ich will alleine sein!« »Vergiss es!« sagte sie heftig und schüttelte seinen Arm, den sie immer noch umklammerte. »Ich lasse nicht zu, dass du dich so gehen lässt. Von mir aus kannst du fahren. Aber hör mir zu!« Der Rothaarige biss sich auf die Unterlippe, ließ es aber zu, dass sie ihn weiter festhielt. Er blieb stehen und sah sie emotionslos an. Er wollte ihr nicht unbedingt zeigen, dass er hier kurz vor einen Nervenzusammenbruch stand. »Ich habe keine Ahnung warum du so ausrastet… okay, ich weiß auch nicht viel über eure… na ja. Eure Beziehung. Aber hast du dir schon Mal überlegt, dass Hikaru genauso fertig ist wie du?« Nein sie hatte wirklich keine Ahnung! Auch wenn sie es schaffte sie zu unterscheiden und es irgendwie zu spüren schien, wenn etwas nicht in Ordnung war… wissen tat sie eigentlich nichts! Und Natürlich hatte er sich das überlegt… Das alles behielt er für sich. Er starrte Haruhi einfach weiter an. »Er hat auch Angst… es ist noch immer nicht geklärt ob er ansteckend ist. Er hat einfach so gehandelt ohne nachzudenken und es tut ihm sehr Leid.« Kaoru schluckte schwer. »Er will dich doch nur beschützen Kaoru… bitte geh zurück und klär das mit ihm.« »Ich kann nicht.« »Du musst. Er kann ja schlecht zu dir kommen!« Doch der Andere schüttelte den Kopf und wand sich ab. Er wollte das alles nicht mehr hören… er wollte nur nach Hause. Im Gehen zückte er sein Handy um sich den Chauffeur hierher zu bestellen, während der seine Freundin einfach stehen ließ. »Bitte, Kaoru! Überleg es dir nochmal!« Irgendwann war er weit genug entfernt das er nicht mehr hörte, was sie rief. ________ _________ Hatte Haruhi Recht? Er wusste es nicht… Eigentlich war es ihm egal… er wollte sauer sein und traurig und enttäuscht. Es fühlte sich an wie Verrat. So falsch… Kaoru kauerte sich auf sein Bett zusammen und versuchte den Schmerz in seiner Brust zu ignorieren. Nie hatte er gedacht das Hikaru ihn jemals zurückstoßen würde. Aber er hatte es gemacht… Warum nur? War es wirklich so einfach wie Haruhi gesagt hatte? Irgendwo hatte seine Freundin ja Recht… er kannte Hikaru besser als jeder andere, wenn jemand wissen musste was in ihm vorging, dann er. Doch irgendwie war es als wäre ihr Band blockiert. Er wusste nichts mehr. Wie war es nur soweit gekommen mit ihnen? Natürlich würde sich nicht allzu viel verändern zwischen ihnen, aber Kaoru hatte das Gefühl, dass sich doch etwas veränderte. Auch wenn es nicht der Rede wert war. Hatten sie nicht eigentlich immer gesagt, dass sie nie getrennt sein wollten? Jetzt waren sie mehr als nur eine Woche getrennt. Das höchste was sie bis jetzt geschafft hatten, war ein Tag gewesen und auch das war eher eine Qual… wenn er daran zurückdachte. Wie konnte sein Bruder dann nur so zu ihm sein? Er versuchte ja sich in ihn hineinzuversetzen, doch es klappte nicht so wirklich. Er war der festen Überzeugung das, wenn ihre Rollen vertauscht gewesen wären, er nie so reagiert hätte. Niemals würde er Hikaru wegschicken; niemals seine Hand wegschlagen. Also warum tat er so was? Warum tat er ihm das an? Er musste doch wissen, dass er litt. Kaoru rollte sich zusammen und schluchzte leise auf. Er hatte sich zu einer kleinen Kugel auf dem großen Bett zusammengerollt und fühlte wieder dieses brennende Gefühl. Er wollte doch nur wieder in die Arme seines Zwillings… sich wieder komplett fühlen und diese beschreibbare Kälte aus seinem Inneren vertreiben. Ging es Hikaru nicht genauso? Es war das erste Mal, dass er keine Ahnung hatte was der andere fühlte oder dachte. Was er wollte… Und das war beängstigend. Ob es nun immer so war? Hatten sie ihre Verbindung verloren? Noch vor wenigen Tagen hatte er nicht einmal groß überlegen brauchen wie sich sein Bruder fühlte. Er hätte es sofort gewusst. Einfach weil er es spürte… Durch ihre Verbindung… Aber jetzt war da nichts. Absolut überhaupt nichts. Was würde er machen wenn er wirklich sein Zwillingsband verloren hatte? Darüber wollte er eigentlich gar nicht nachdenken… Oder wollte ihn Hikaru nur schützen?... – zuzutrauen wäre es ihm. Epilog: Vereint --------------- Heute war es soweit. Kaoru wusste beim besten Willen nicht ob er bereit dazu war seinen Bruder jetzt wiederzusehen. Auch wenn er glaubte seine Gründe nun verstanden zu haben, es hatte so wehgetan von ihm abgewiesen zu werden. Dieses Gefühl konnte man nicht beschreiben, wenn man es nicht selbst gefühlt hatte, würde es wahrscheinlich auch keiner verstehen. Er hatte solange auf diesen Moment gewartet… Trotzdem hatte er wieder diese Angst. Was wenn sich in den vielen Tagen etwas zwischen ihnen verändert hatte? Würde das nun für immer zwischen ihnen stehen? Der Rothaarige starrte aus dem Fenster auf die Einfahrt. Wie würde es weitergehen? Die Ärzte hatten gesagt es könnte durchaus zu Nebendiagnosen oder Komplikationen kommen und zwar die nächsten Monate über. Was sollte er denn machen? Er wusste ja nicht einmal wie er Hikaru helfen konnte… Was wenn er wieder die Zeichen übersah? Er wollte das nicht noch einmal alles durchmachen müssen. Als das schwarze Auto vorfahren sah, ergriff ihn regelrechte Panik und er flüchtete aus ihrem Gemeinsamen Zimmer ins Gästezimmer. Es war ein Raum, die die Familie selber sehr selten betrat. Aber er konnte Hikaru jetzt nicht so unter die Augen treten. Deprimiert hockte er sich aufs Bett und begann sich hin und her zu wiegen. Er spürte ihn… Sein Zwilling war hier. Ganz nah und doch so weit weg. Sehnsucht schrie in ihm und verlangte nach dem Anderen. Wollte ihn umarmen und anfassen und sehen, mit ihm reden. Einfach seine Anwesenheit spüren… Doch Kaoru versuchte es zu ignorieren… er konnte nicht. Und ohne es kontrollieren zu können begann er, wie so oft in den letzten Wochen, zu weinen. ________ _________ Es dauerte genau eine Viertelstunde bis Hikaru ihn fand. » Hier bist du ja, Kleiner.« sprach ihn der Andere sanft an, als er zu ihm ans Bett trat. Kaoru fuhr wie unter einem Schlag zusammen. Diese Stimme endlich wieder zu hören, war wie Wein für einen Alkoholiker auf Entzug. Er krümmte sich zusammen und schluchzte leise. »Wieso weinst du denn?« »Lass mich…- ich…« »Kaoru, es tut mir Leid. Das weißt du doch.« »Verschwinde.« »Hör schon auf zu weinen… du weißt ich ertrag es nicht, wenn du weinst.« Der Angesprochene wimmerte auf und rutschte unbeherrscht zur Seite, als Hikaru sich neben ihm setzte. Er wusste nicht wohin mit sich. »Du… du hast mir wehgetan…« wisperte er. »Ich weiß.« »Ich habe dich so vermisst.« »Ich weiß.« »Du warst ein verdammtes Arschloch!« »Ich weiß.« Der Ausbruch hatte gut getan, trotzdem wusste er nicht mehr was er sagen sollte. Er konnte nicht wütend sein… eigentlich war er das nie gewesen. »Mach das noch einmal und… und ich rede nie wieder mit dir.« schniefte er deswegen und wischte sich über die Augen. Er wollte nicht mehr heulen. »Okay…« sagte Hikaru einfach und breitete seine Arme aus. Er lächelte schief. Ohne zu zögern stürzte sich Kaoru auf seinen Bruder und fiel ihm um den Hals. Erst als sich die Arme um ihn schlossen fühlte er sich wieder komplett. Die Kälte verschwand plötzlich aus seinem Inneren. Und als Hikaru seine Hand nahm und einen sanften Kuss auf die Innenfläche drückte, wurde er von Zärtlichkeit und Liebe gerad zu überrollt. Ungestüm nahm er Hikarus Gesicht in die Hände und begann immer wieder seine Augenlieder, die Nase, die Wangen und seinen Mund zu küssen. Er hatte ihn so unglaublich vermisst. Irgendwann wurde es seinem Zwilling ein wenig zu viel und er entzog sich dieser stürmischen Liebesbekundung lachend. »Komm schon, lass uns runtergehen. Ich hab echt Hunger.« Hikaru zog ihn mit sich hoch und Kaoru folgte ihm brav zur Tür. Auch als sie das Zimmer verließen, ließ Hikaru seine Hand nicht los. »Für immer zusammen.« »Ja, für immer.<< Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)