Tage des Donners von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 3: pumped up kicks -------------------------- Der Regen prasselte hernieder, hart wie Geschosse einer Kleinkaliberpistole. Keine Regung ging durch den Körper des Mannes. Er wirkte nahezu statuenhaft, wie er da im Regen stand, und unter dem Pony hervor mit schwarzen bösen Augen seine Gegner anstarrte, die Hände in der Haltung erhoben, als griffe er gleich nach einem Colt. Doch an der Stelle des Colts, da waren Messer und seine Gegner, die den fatalen Fehler machten, Kid nicht zu kennen, grinsten, starrten höhnisch und siegessicher, waren sie doch zu dritt und er allein. Und sie hatten Pistolen und mit diesen Pistolen wollten sie ihn durchlöchern. Und warum? Weil er ihnen in die Quere gekommen war, weil er einen der ihren aufgeschlitzt und seinen Kopf den Sherifs übergeben hatte und auf den Kopf dieses Mannes hatte ein sehr hohes Preisgeld gestanden und die Bande wollte ihr Ansehen wieder herstellen, die mexikanische Drogenmafia mischte man nicht einfach ungestraft auf. Aber Kid stand einfach nur da. Und sah sie an und hatte keine Angst. Die Männer rauchten Zigarillos, die Glut geschützt vorm Regen unter ihren Sombreros. Von Kid hatten sie gehört, auch wenn sie noch nicht wussten, dass er es war, der vor ihnen stand, hätten sie es gewusst und wären sie klug gewesen, hätten sie schleunigst das Weite gesucht, aber sie waren nicht klug, und sie wussten es nicht, sie waren nur geschickt worden und sie waren Männer, die ihre Befehle ausführen, weil sie hofften, irgendwann ein ganz großes Stück Macht abzubekommen, dabei war klar, dass jeder von ihnen die einzige namenlose Bestimmung hatte, die wertlose Vorhut zu bilden, die entbehrlichen Männer, die geschickt wurden um die wahre Stärke eines Gegners zu erforschen. Die rote Glut der Zigarillos glimmte gelegentlich im Halbdunkel auf. Kid stand mit dem Rücken zu Wand. Das wusste er und die Männer wussten das auch. „Ombre“, rief einer von ihnen, „es ist aus mit dir. Wünscht du dir jetzt, dich niemals mit uns angelegt zu haben? Ergibst du dich freiwillig? Vielleicht verschon der Pate dein Leben, wenn du ihm den Ring am Finger küsst!“ Kid lächelte, doch seine Augen blieben kalt dabei, grinste schließlich, entblößte ungewöhnlich spitze Eckzähne und im selben Moment, als ein Lachen aus seiner Kehle erscholl, blitzte es und den Männern schauerte es in dem Augenblick, als die weiße Gestalt mit der abgehalfterten Kleidung in diesem fahlen hellen Licht erstrahlte, es wurde wieder dunkel, doch das Weiß und das Schwarz der Augen blieben und das Lachen, das Lachen machte ihnen Angst, denn er tat nichts, als lachen, beinahe so, als hätte er triumphiert, alleine, weil sie nun hier standen und glaubten, ihm etwas anhaben zu können. Ein weiterer Blitz erhellte die Nacht und als das geschah, sahen sie mit Schrecken, dass der Mann nicht mehr dort in der Ecke stand, in die sie ihn gedrängt hatten, sie wirbelten herum, einer von ihnen fluchte auf Spanisch, während die anderen beiden längst ihre Pistolen gezogen hatten und plötzlich standen sie vor der Wand und Kid lachte nicht mehr, sein Blick spie Tod und kaum, dass der Finger des ersten Mannes am Abzug zuckte, hatte er ihm mit dem schärfsten Messer der Welt den Schädel gespalten – die Augen verdrehten sich, der Schuss ging in den Himmel und er kippte hintenüber, die Augen nach oben verdreht, wie als wollte er das erkennen, was ihm den Tod gebracht hatte, der zweite fluchte „Bastardo!“ und wollte schießen, doch schneller, als die Kugel die Mündung verließ, fraß sich mit unmenschlicher und grausamer Wucht die lange Klinge eines Messers hinein, spaltete den Lauf und die Pistole explodierte in seiner Hand, Eisensplitter bohrten sich in seine Augen und einer ging so tief, dass er ihm augenblicklich das Augenlicht auslöschte. Mit gellenden, ohnmächtigen Schreien ging er zu Boden, und der letzte von ihnen, der sah sich, an die Wand zurückgewichen, plötzlich einem Dämonen gegenüber, welcher ihm ein Messer ein die Kehle hielt, so knapp, dass die Spitze gerade so nicht die Haut durchritzte. Und der Dämon, der Dämon mit dem Menschenkörper, er sah aus, als würde er ihn fressen wollen. Kid verzog angewidert das Gesicht. „Kaum sind deine Kumpel weg, pisst du dich ein.“ Spuckte ihm dann ins Gesicht, der Mann zuckte wimmernd zusammen. „Widerlich. Du hast es nicht verdient, zu leben.“ Ein gurgelnder Laut, als das Messer direkt durch die Kehle ging und hinten am Nacken wieder austrat. Emotionslos riss er es wieder heraus. Dann spuckte er nochmal aus, wütend darüber, seine Zeit verschwendet zu haben. Das Haar klebte ihm im Gesicht und die Kleidung am Körper. Kid ging zu dem Mann mit dem Messer im Schädel. Inzwischen lag er in einer Lache Blut, die vom Regen bereits fortgespült wurde. Blut hatte eine schöne Farbe, aber es war so ekelhaft menschlich. Er stellte einen schwer bestiefelten Fuß auf die Kehle des Toten und beugte sich dann herab um das Messer heraus zu ziehen. In Seelenruhe zog er ein Tuch aus dem Inneren seiner Manteltasche und reinigte die Messer. Das Blut dieser Männer war es nicht wert, an ihnen zu kleben. Die Hand des zweiten Mannes, der auf ihn hatte schießen wollen bestand nur mehr aus einem Gemisch von Fleischfetzen und Knochensplittern, er wimmerte noch leise, dort am Boden liegend. Kid brach ihm mit einem gezielten Fußtritt das Genick. ~*~ „Disco“, murmelte Malik, während er den Einsatzwagen startete, der in dieser Dreckshitze Schwierigkeiten hatte, anzuspringen. Die Stadt hatte ja kein Geld für eine vernünftige Ausstattung ihrer Polizei, das einzige, wofür sie, wenn überhaupt Geld aufbrachte, waren sinnlose Werbekampanien um Touristen herzulocken, oder Veranstaltungen, zu denen kaum ein Schwein mehr hinging, weil es doch immer derselbe Scheiß war. Malik war ja froh, dass drei von fünf Zellen auf dem Revier noch richtig schlossen. In Labours Lost gab es immerhin kein Übermaß an Verbrechen, nicht so, dass es bedenklich geworden wäre und so waren die einigen Zelleninsassen gelegentlich Betrunkene, die dort zur Ausnüchterung, mangels einer besseren Alternative hinein gesteckt wurden und das geschah meistens ohnehin nur am Wochenende, vor allem dann, wenn Mai Happy Hour in ihrer Bar hatte. Vorhin war ein Notruf eingegangen, Nachbarn hatten einen handfesten Streit gemeldet und Malik war die undankbare Aufgabe zugefallen, nach dem Rechten zu sehen. Wahrscheinlich war die Sache ohnehin harmlos, er würde ein paar mahnende Worte sprechen, die aufgebrachte alte Dame, die den Notruf gewählt hatte, beruhigen müssen und dann in dem Gewissen wieder fahren, dass die Worte, die er an den vermutlich prügelnden Freund oder Ehemann richtete, nicht fruchteten, wie es meistens der Fall war und dann würde er in Mais Saloon fahren und sich ein kühles Bier genehmigen, und hoffen, dass er den Rest des Tages seine Ruhe hatte. Er durfte nämlich in der letzten Zeit vermehrt Doppelschichten schieben, da ihnen das Personal ausging, denn die Leute zog es aus Labours Lost fort und somit Aufgaben verrichten, die unter seinem Rang als Chief Officer lagen – über ihm stand nur noch Henry Kelso, der Sheriff und wie der zu dem Posten gekommen war, war Malik bis heute ein Rätsel, denn der Kerl war genauso fett, wie er gutmütig und faul war und ohnehin viel zu alt. In wenigen Jahren würde er in Rente gehen und Malik wohl seinen Posten übernehmen, was hoffentlich mal eine Gehaltserhöhung bedeutete. Wenn er es den anderen Pilgern nicht gleich tat und dieses Loch verließ, aber irgendwas hielt ihn hier, oder besser gesagt irgendjemand und dieser Jemand war Ryou. Er würde es niemals über sich bringen, ihn alleine zu lassen, denn wenn ein Mensch es verdient hatte, beschützt zu werden, dann war er es. Auch, wenn er immer wieder betonte, er brauchte das nicht, aber Malik wusste nach den Jahren, die sie miteinander verbracht hatten, mittlerweile hinter die Fassade zu blicken. Er hielt bei der Adresse, die ihm die Anruferin genannt hatte – ein Holzhaus, ziemlich heruntergekommen, aber heruntergekommen war fast die ganze Stadt, das Elend war nicht allzu offensichtlich, da es einfach normal war, wie man hier lebte. Das ganze Viertel bestand aus Häusern dieser Art, die meistens nur über einen großen Wohnraum und ein Badezimmer verfügten, vorne eine Holzveranda, auf der nur mehr der Schaukelstuhl und der Banjo spielende barfüßige ausgediente Cowboy fehlten, um die Illusion eines typischen Wildweststreifen aufrecht zu erhalten. Malik stieg aus dem Wagen, eine ältliche Frau kam aufgeregt ihre Veranda herab gehastet, als sie den Polizeiwagen erblickte und Malik liftete den Hut mit rangauszeichnenden Stern. „Sie haben angerufen, Ma’m?“ „Jaja, Riesengeschrei, ich hab grad rote Beete eingelegt und mein Küchenfenster ist direkt vor dere ihrem Wohnzimmer, da wohnen zwei junge Leute und die streiten ja oft, aber vorhin da hats richtig gekracht, würd mich nicht wundern, wenn der das Mädel totgeprügelt hätte.“ Die Frau war ganz außer sich. Wohl weniger, weil so etwas Schreckliches direkt in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft geschah, sondern, weil sie ihren Freundinnen beim sonntagnachmittäglichen Kaffeekränzchen mal zur Abwechslung etwas mehr erzählen konnte, als den neusten Trick beim Rote Beete einlegen. „Ich seh mir das mal an, Ma’m“, sagte Malik und ging langsam zum Nachbarhaus hinüber, in dem die Dame den Streit mitbekommen haben wollte. Er setzte die Fliegersonnenbrille ab, während die andere Hand gegen die Tür hämmerte – hier in dieser Gegend hatten die wenigsten Wohnungen und Häuser Strom, was nicht nur an der schlechten Versorgung lag, sondern auch daran, dass die Menschen hier so arm waren, ihre Rechnungen nicht hatten zahlen können, dass man ihnen einfach den Strom angedreht hatte. Innerhalb des Hauses war es erst still, dann hörte er Schritte, ein Schloss wurde entriegelt, die Tür öffnete sich und in dem Spalt erschien das blasse Gesicht einer jungen Frau mit braunem Haar. Malik brauchte keine zwei Sekunden um zu schnallen, dass er die Frau erstens kannte – denn es handelte sich um Anzu, die eine Arbeitskollegin von Ryou war – und dass diese Frau vor nicht allzu langer Zeit ein paar Schläge ins Gesicht abbekommen hatte, denn ihre Lippe blutete und das Auge, das nicht im Schatten der Tür lag, war dabei zu zu schwellen. Sie wirkte überrascht und gleichzeitig ein wenig ängstlich, als sie ihn erblickte. Öffnete den Mund, um etwas zu sagen, als jemand vom Inneren des Hauses erbost rief: „Wer zum Teufel ist da?“ „Liebling, es ist ein Officer“, antwortete sie und es war nicht zu deuten, ob sie selbst über diese Tatsache erleichtert war, oder ob sie Angst hatte. Malik war auf der Hut. Kurz darauf wurde die Tür zugeknallt, die Kette entriegelt und dann ganz aufgerissen. Ein Mann stand vor Malik, Mitte 30, mit offenem Hemd, welches den Blick auf einen Urwald an Brustbehaarung freigab und so an den Mann in seiner Urform erinnerte, das kantige Gesicht abgerundet von Koteletten und Dreitagebart und sein Blick ließ keinen Zweifel daran, dass er zu der Sorte Mann gehörte, an denen die Emanzipationsbewegung der letzten paar Jahre gehörig vorübergegangen waren. Das verkniffene Gesicht nahm gleich einen weniger angriffslustigen Ausdruck an, wurde beinahe auf eine irritierende Weise weich. Er schlang einen Arm um Anzus Schultern. „Kann ich Ihnen behilflich sein, Officer?“ Malik ließ sich von dem geheuchelt harmlosen Auftreten nicht irritieren. „Es ging ein Notruf ein, einer Ihrer Nachbarn meint, besorgniserregende Geräusche gehört zu haben.“ Eine Sekunde wallte Zorn über das Gesicht des Mannes. Zu schnell, als dass es ein ungeübtes Auge bemerkt hätte, doch Malik entging es nicht. „Na sowas! Das war bestimmt die Alte Tilly – wir habens nur ein bisschen zu wild getrieben – wenn Sie verstehen.“ „Sir, mir ist nicht entgangen, dass Sie alkoholisiert sind und die reizende junge Dame an ihrer Seite ein wenig Angst hat. Ich bitte Sie daher höflich, mich freiwillig aufs Revier zu begleiten, nur solange, bis Sie Ihren Rausch los sind.“ Wie er es verabscheute, zu diesen Arschlöchern auch noch höflich sein zu müssen, damit sie brav mitkamen und keinen Ausraster erlitten. Der Griff um die Schultern des Mädchens verstärkte sich einen Moment drohend. „Anzu, Honey Bunny, sag dem Officer, dass du keine Angst hast. Du schämst dich doch nur, weil jemand mitbekommen hat, wie wild du im Bett abgehst.“ Er lachte dröhnend und wie er meinte, auflockernd, aber weder Anzu, die gezwungen lächelte, noch Malik war zum Lachen zumute. Maliks Blick würde härter. Warum konnte der Kerl nicht einfach die Klappe halten und mitkommen, dann kam Malik schneller zu seinem kühlen Bier und musste keine schlechte Laune haben, weil er sich an einem so widerlich heißen Tag, solchen nervenzehrenden Diskussionen aussetzen musste. Und Malik war leider, im Vergleich zu vielen seinen Kollegen in den ländlicheren Gegenden viel zu korrekt um ein Auge zuzudrücken – er hatte sich nicht umsonst für diesen Beruf entschieden. Er würde tun, was getan werden musste, dabei streng auf die Vorschriften achtend und aus diesem Scheißgrund hatte er dem Kerl nicht längst einen Boxhieb in den Magen verpasst, sondern sprach diplomatisch und als hätte er nicht bemerkt, dass dieser Typ sein Mädchen verprügelt hatte, auf ihn ein. Er konnte beinahe sehen, wie es an der Schläfe des Mannes pulsierte. „Hör Mal, Alter“, begann er schließlich und stellte damit einen neuen Rekord im freundlich zu unfreundlich Umschwung auf, „Ich hab eine Scheißahnung, warum du ausgerechnet uns auf die Nerven gehst – bei uns gibt’s keine Probleme, oder geht ihr jedem auf die Nüsse, der mit seinem Mädchen vögelt, habt ihr nichts Besseres zu tun, als unbescholtene Bürger zu nerven. Übrigens solltest du Würstchen vielleicht wissen, dass mein Cousin der Bürgermeister dieser Stadt ist.“ Ein gehässiges Grinsen, weil er meinte, dass Malik, dem man seine Jugend anmerkte und sie fatalerweise mit Einfältigkeit oder Unsicherheit verwechselte, nun sicherlich etwas eingeschüchtert sein musste. Dieser jedoch blieb gelassen. „Selbst, wenn du John Lennon höchstpersönlich wärst, Mann, wäre mir das so ziemlich egal. Ich sorge hier für Recht und Ordnung und wenn ich sage, dass du mich auf das Scheißrevier begleiten sollst, begleitest du mich auch auf das Scheißrevier.“ Er machte nicht den Fehler auszurasten, denn das war immer ein Zeichen von Schwäche, er hatte lediglich die Stimme drohend gehoben und fixierte den Mann mit lauerndem Blick. Der Kerl wirkte einen Moment irritiert. „Geh ins Haus“, blaffte er dann Anzu an, welche zusammen zuckte und sich seiner Order fügte. Dann knackte er mit den Fingerknöcheln und trat einen Schritt hinaus, Malik wich bewusst zurück, die Veranda herunter, weil dort oben nicht genug Platz war für einen eventuellen Kampf und wie es aussah, wollte sich der Typ gleich auf ihn stürzen und dafür, dass er so stark nach Alkohol roch, ging er noch erstaunlich gerade. Wahrscheinlich einer von der Sorte, die so viel soffen, dass der Alkohol schon längst das Blut ersetzt hatte. Wieso waren nur immer die schönsten Frauen mit den schrecklichsten Kerlen zusammen, das war etwas, was einfach nicht in seinen Kopf hinein wollte. Warum hatte es ein Mädchen wie Anzu nötig, sich von so einem Widerling ficken, schlagen und herumkommandieren zu lassen? Wahrscheinlich die verzweifelte Hoffnung an das Aufflackern der Liebe, die einmal gewesen war, das Bisschen Liebe, das dieser Mann ihnen einmal geschenkt hatte. Oh, ihr Frauen dieser Welt, ihr Masochistinnen. So standen sie sich nun gegenüber, der andere hatte in seiner Drohgebärde innegehalten. „Ich will sicher keinen Ärger mit dem Gesetz“, sagte er grinsend, alles in seiner Haltung sprühte Spott. Malik war nicht mehr nach lachen. „Also, warum verschwindest du nicht einfach und wir vergessen die ganze Sache, hm?“ „Ich lasse mich nicht auf Diskussionen mit dir ein. Du hast zwei Optionen. Die erste und wesentlich schmerzlosere für dich ist, brav die Hände auszustrecken, damit ich dir meine Handschellen umlegen kann oder die zweite und hässlichere ist, dass du dich innerhalb von 3 Sekunden mit deiner Fresse im Staub wieder findest und heulst.“ Ein dröhnendes Lachen, das schnell erstarb und der Mann holte aus, „Schluss mit lustig, du Penner“, zielte darauf ab, Malik einen Boxhieb in den Magen zu verpassen, diesem Früchtchen, das sich in seine Angelegenheiten mischte und zufällig eine Polizeiuniform trug, und meinte, die Fresse aufreißen zu müssen. Maliks Miene blieb eingefroren, er packte den Kerl am Arm, riss ihn mit seinem eigenen Schwung in seine Richtung, grätschte mit einem Bein in seinen Lauf, sodass er zu Boden fiel und keine zwei Sekunden später ertönte das Klicken von Maliks Handschellen, die sich um die Handgelenke des Kerls schlossen, welcher nun fluchend, aber ziemlich bewegungsunfähig auf dem Bauch lag, eine Wange gegen den sandigen, heißen Asphalt gedrückt. „Ich hab heute bei dieser Scheißhitze echt keine tolle Laune“, knurrte Malik nun. „Und du bist vorläufig festgenommen, mein Freund, wegen Widerstand gegen die Staatsgewalt. Es hätte für uns beide so einfach ausgehen können, aber du musstest ja unbedingt beweisen, was für ein Mordskerl du bist.“ Malik würde lügen, wenn er behauptete, dass es ihm keine Genugtuung verschaffte, den Kerl vor den Augen dieser armen Frau zur Strecke gebracht zu haben. Er sah auf – sie stand in der offenen Tür mit vor den Mund geschlagenen Händen, er wandte seinen Blick wieder ab. „Du stehst jetzt ganz langsam auf. Ich habe nämlich keine Lust, meine Knarre wegen einem störrischen Esel wie dir zum Einsatz bringen zu müssen.“ Der Mann knurrte, stolperte dann in die Höhe, ahnend, was für einen Fehler er gemacht hatte. „Wow, ganz ruhig Mann, lass uns nochmal über alles reden.“ Malik gab ihm einen Stoß, drückte ihn wenig später energisch auf den Rücksitz des Polizeiwagens. Dann setzte er in aller Ruhe seine Sonnenbrille wieder auf. „Der tut dir erstmal nichts mehr, Kleines“, wandte er sich an die junge Frau, welche mit der Situation überfordert schien. „Was passiert mit ihm?“, fragte sie leise. Täuschte Malik sich, oder hörte er Sorge da aus ihrer Stimme? Sorge, dass dem Mann, der sie verprügelte und unterdrückte, vielleicht etwas geschehen könnte? Er würde sie nie verstehen. Nachdem er den Kerl zur Ausnüchterung vorerst in eine Zelle verfrachtet hatte, welcher tobte und fluchte, nachdem man ihm die Handschellen abgenommen hatte, sah Malik auf die Uhr. Er hatte jetzt sage und schreibe mit diesem Typen zwei Stunden verschwendet. Jetzt hatte er ohnehin bald Feierabend. Er beschloss, in Mais Saloon vorbeizuschauen, sich das Bier zu genehmigen, nachdem er sich schon die ganze Zeit sehnte – wie wahrscheinlich war es, dass in einer halben Stunde, die er Streife zu fahren hatte, noch etwas passierte? Wenig später stieß er die Flügeltüren des Saloons auf – wirklich kühl war es hier drin nicht, denn Mai hatte keine Klimaanlage, nur Ventilatoren, die die warme Luft von der einen Seite des Raumes in die andere bliesen, aber dennoch tat der Luftzug auf der erhitzten Haut gut. Er zog sich den Hut vom Kopf und ging langsam an die Theke, um sich dort nieder zu lassen. „Kannst du mir mal sagen, wo Ryou steckt?“ Mit diesem Satz wurde ihm ein Glas Bier zugeschoben, welches er dankend entgegennahm. „Dir auch einen guten Tag, Mai“, witzelte er und schob die Sonnenbrille hoch. „Hat er heute keinen Dienst?“ Das wunderte ihn. Ryou war, soviel er wusste, für heute eingeteilt – er erinnerte sich so gut daran, weil Ryou geklagt hatte, dass die Früh- bzw. Mittagsschichten bei diesem Wetter die reinste Tortur waren. „Doch, den hat er“, erwiderte Mai schlecht gelaunt. Was nachvollziehbar war, da nach Anzu allem Anschein nach auch noch ihr zuverlässigster Mitarbeiter unentschuldigt fehlte. „Aber er ist heute einfach nicht zur Arbeit aufgetaucht. Hast du ihn zwischenzeitlich gesehen?“ „Ich hatte `ne Doppelschicht und war nur kurz zuhause, da hab ich nicht drauf geachtet, ob er da ist. Aber ich kann ihm `nen Tritt in den Hintern von dir geben, falls ich ihn sehe, wenn dir das hilft.“ „Malik, ich finde das überhaupt nicht witzig, wie bitte soll ich einen Saloon führen, wenn mir dauernd die Leute ausfallen!?“ Malik trank ein paar Schlucke von dem kalten Bier. Eine echte Wohltat, nach so einem strapaziösen Tag. Dann meinte er: „Dieses Mädchen … Anzu, die arbeitet doch bei dir, oder?“ „Ja“, erwiderte Mai zögerlich, irritiert über den plötzlichen Themawechsel. „Sag ihr, sie soll sich von ihrem Kerl trennen. Ich musste ihn heute festnehmen, das war wirklich kein Spaß.“ „Mein lieber Junge, das sage ich ihr schon seit bestimmt einem Jahr.“ Sie unterhielten sich eine Weile. Dann zahlte Malik, nicht ohne ein Trinkgeld zu geben und machte sich auf den Weg nachhause. Das Funkgerät hatte nicht geknackt, während er hier gewesen war, was bedeutete, dass er jetzt ganz ruhig und entspannt seinen Feierabend genießen konnte. Das hieß, beinahe zumindest, denn da hatte sich eine gewisse Sorge in seine Gedanken geschlichen. Ryou war unentschuldigt der Arbeit ferngeblieben. Das passte gar nicht zu ihm. Er wusste, wie dankbar Ryou Mai war, dass diese ihn damals bei sich aufgenommen hatte, in den Jahren, in denen er hier war, hatte er niemals etwas getan, das diese Frau in irgendeiner Weise erzürnt hätte und das schloss auch das einfach mal nicht zur Arbeit kommen ein. Ob ihm etwas zugestoßen war? Eigentlich deutete nichts darauf hin, vielleicht hatte er tatsächlich verschlafen, oder sein Kreislauf war ihm in den Keller gerauscht, was leider häufiger passierte. Tatsächlich, als Malik später nachhause kam, bemerkte er, dass irgendetwas seltsam war. Es war ruhig, alles deutete darauf hin, dass Ryou nicht zuhause war, es war still in der Wohnung, still und dunkel. Malik wurde misstrauisch. Malik wurde nie ohne Grund misstrauisch und er litt auch nicht unter Verfolgungswahn. Er widerstand dem Drang, nach Ryou zu rufen und anders, als es seine Gewohnheit war, entledigte er sich nicht sofort, nachdem die Wohnungstür hinter ihm zugeschlagen war, seiner Uniform und dem Waffenhalfter, sondern zog die Tür ganz leise hinter sich zu – so leise, wie es zumindest möglich war und ging gemäßigten Schrittes den kurzen Gang entlang in Richtung Ryous Zimmer, wobei ihm nicht entging, dass hier eine außerordentliche Unordnung herrschte – mit einem Blick in die Küche stellte er fest, dass es da offenbar nicht anders aussah; Unordentlichkeit war nun in einem Männerhaushalt keine Seltenheit und erst Recht kein Grund, misstrauisch zu werden, wenn es nicht diese eine Art von Unordentlichkeit gewesen wäre, die man nur in Filmen sah, in welchen jemand ermordet oder überfallen worden war. Er zog langsam die Waffe aus dem Hüftthalfter, mit geübtem Griff umfassend. Ryous Zimmertür war angelehnt – er schob sie, die Waffe angewinkelt, mit der anderen, freien Hand auf, stieß sie dann zur Gänze auf und sein Blick erfasste in Sekundenschnelle das Innere des Zimmers und in diesem Inneren befand sich glücklicherweise kein Eindringling, soweit er das bei dem heruntergelassenen Rollo, das nur schmale Streifen grellen Lichtes herein ließ, erkennen konnte, und er ließ die Waffe sinken. Was ihm allerdings als zweites auffiel, war, dass der winzige Schwarzweiß-Fernseher, den Ryou in seinem Zimmer hatte, flimmerte, ganz leise gedreht, sodass der Ton nur mehr als unverständliches Murmeln zu vernehmen war, zusätzlich zu jenem Knistern, das dem Gerät aufgrund seines Alters schon zu Eigen geworden war. Mehr zufällig wandte er den Blick zur Seite, dorthin wo er den Blick längst hatte schweifen lassen – und erschrak plötzlich, einen Satz machend und den Revolver hochreißend in Richtung der Gestalt, die dort zusammengesunken in unmittelbarer Nähe zur Tür saß. „Scheiße, Ryou!“, rief er verärgert aus und schob den Revolver zurück ins Halfter. „Du hättest dich ruhig mal bemerkbar machen können – kannst du mir mal sagen, warum es hier aussieht, als hätte eine Bombe eingeschlagen? Mai ist fuchsteufelswild, weil du heute nicht zur Arbeit aufgetaucht bist!“ Da Ryou im ersten Moment nicht antwortete, ging Malik in die Hocke, um ihm auf Augenhöhe zu sein und da schlug ihm der unverkennbare Geruch von Alkohol entgegen. Auch das noch. „Ryou, hey, ich bins, Malik, hörst du mich?“ Die leere Flasche Whisky, die halb zwischen Ryous angewinkelten Beinen lag, sprach Bände. Die war nämlich vor zwei Tagen noch zu drei Vierteln voll gewesen, soweit er sich richtig erinnerte. Verdammt, bei diesen Lichtverhältnissen sah man aber auch nichts. Ryou war bei Bewusstsein, er hatte ihn deutlich angesehen und nun lächelte er entrückt, aber wirklich weiter brachte Malik das nicht, also stand er wieder auf, ging zum Fenster und zog das Rollo hoch. Die gleißende, untergehende Abendsonne drang in den Raum und blendete, sodass Malik das Rollo nur zu Dreivierteln hochzog. Dann ging er zurück zu Ryou. Und erbleichte. Das Haar hing ihm strähnig ins Gesicht, war verklebt mit Blut und etwas anderem, das verdächtig nach Sperma aussah, ein Auge zugeschwollen, die Wange auf derselben Seite wurde von tiefen Kratzern geziert, die Lippe aufgeplatzt, Mundwinkel blutverkrustet, ein Gemisch aus Speichel und Alkohol war ihm seitlich aus dem Mund gelaufen – Ryou hatte sich nicht die Mühe gemacht, das zu entfernen – der ganze Körper übersäht mit blauen Flecken, und zwar der Art von blauen Flecken, die sicherlich nicht daher rührten, dass man sich versehentlich das Schienbein an einer Ecke anschlug. Um den Hals herum ein schwarzblaues Halsband, verursacht durch stetes Würgen, wie Malik im ersten Augenblick erkannte und da Ryou nur ein abgenutztes schmutzig weißes offenes Hemd trug und sonst nichts am Leib, blieb ihm natürlich auch die getrocknete Blutspermaspur nicht verborgen, die seine Beine verschmierte. Nur ein absoluter Idiot hätte länger als zwei Sekunden gebraucht um zu erkennen, dass dieser arme Junge vergewaltigt worden war und in Malik schrillten nicht zum ersten Mal an diesem Tag die Alarmglocken. „Ryou! Hey, scheiße, wer war das? Sag was, komm“, dabei schnipste er vor Ryous Gesicht herum, um zu erkennen, ob dieser irgendeine Reaktion zeigte. Ryou musste ins Krankenhaus, beschloss Malik, auch wenn das, was hier in der Stadt den Titel Krankenhaus trug, fast ein Witz war, aber die gröbste medizinische Versorgung bekam man hier und schon allein zur Spurensicherung musste Ryou umgehend von einem Arzt … „Vorhin kams in den Nachricht’n …“ Die wirre und nur unterschwellig lallende Stimme ließ Malik inne halten, „Auf ihn steht’n Kopfgeld …“ Dann grinste Ryou entrückt. „Malik, wir hab‘n die ganze Nacht gebumst und oh Gott, war das gut … so gut … so gut …“ Ryous Blick ging wieder ins Leere, Malik schlug ihm leicht aber bestimmt auf die Wange. „Ryou, wer ist er?!“ Etwa gar kein Überfall, war dieses Chaos hier in der Wohnung und die Zerstörung an Ryou etwa nur die Spur eines heftigen, kranken Liebesspieles, das über die Stränge geschlagen war, war nur Ryous selbstzerstörerische Seite hier wieder zum Vorschein gekommen? Oh, wie er das hasste, dieser Zustand in dem Ryou sich befand, zumindest der seelische war nichts Neues für ihn und wenn er sich auf einen ruhigen Feierabend gefreut hatte, wurde diese Freude allerspätestens jetzt zerschlagen. „Sie nennen ihn Sundance …“ Sundance? Malik wurde kalt. „Ryou …?“ Unwillkürlich krallten sich Maliks Hände in Ryous Schultern. Malik kannte die Fahndungsbilder, die Steckbriefe und er wusste, dass der Mann, von dem Ryou sprach, wenn er es denn war, zu der Sorte gehörte, die einst im Namen der Exekutive einen Freibrief erhalten hatten, weil sie so gefährlich waren, dass man ihnen lieber die Erlaubnis gab, ihresgleichen zu ermorden, als sich ihnen entgegen zu stellen und das in einem Staat, in dem die Todesstrafe als effektives Mittel zur Abschreckung hochgepriesen wurde. Malik schauerte es, er hatte plötzlich einen galligen Geschmack im Mund. Fragte sich im Bruchteil dieses Momentes nicht zum ersten Mal, für was für eine Regierung er sich der Exekutive verpflichtet hatte. Schluckte dann schwer, diesen Gedanken beiseite schiebend, denn Ryous Zustand war immer noch bedenklich, und sagte dann: „Ryou, jemand muss sich deine Verletzungen ansehen. Komm…“ Wenn es keine Vergewaltigung war, würde er ihn auch hier versorgen können. Malik zog ihn auf die Beine, Ryou schwankte erstaunlich wenig, bedachte man die Menge an Alkohol, die er intus haben musste. Es war Malik schon immer ein Rätsel gewesen, wie solch ein schmächtiger Körper so viel vertragen konnte, vor allem nach dem, was er schon alles mitgemacht hatte in seinem jungen Leben. Ryou allerdings mochte jetzt nicht angefasst werden. Er brauchte keine Hilfe, keine Bemutterung, die Verletzungen störten ihn nicht, sie fühlten sich erfrischend an und er wollte jetzt rauchen. Sich das zerknautschte Soft-Päckchen Lucky Strike und ein Feuerzeug greifend, schlurfte er zum Fenster, riss es auf. Dann steckte er sich eine Zigarette an, registrierte Maliks scharfes Aufkeuchen nicht, als er ihm die Kehrseite zuwandte, denn das Hemd, das er trug, war viel zu durchsichtig als dass man die tiefroten Schnitte auf Ryous Rücken nicht hätte durchschimmern sehen können. „Was zum Teufel…?“, zischte Malik, war mit schnellen Schritten bei seinem Freund und nötigte ihn, das Hemd auszuziehen, was Ryou widerstandslos über sich ergehen ließ, stand nun nackt und rauchend und den Blick aus dem Fenster gerichtet da, während Malik sich fragte, welches kranke Schwein auf die Idee kam, seinen Namen in jemandes Rücken zu schneiden und ja, er hatte ihn hinein geschnitten, nicht nur geritzt, sodass, selbst wenn die Schnitte verheilt waren, Narben bleiben würden. Sundance D.E.A.T.H. Zu seinem Erstaunen lächelte Ryou, als Malik es ihm sagte. „Ich gehöre jetzt wohl ihm.“ Das klang auf verstörende Weise unbeschwert und Malik zweifelte langsam an Ryous Geisteszustand. Malik fuhr sich durchs Haar und machte einen tiefen Atemzug. „Malik, ich glaube, ich muss hier weg…“ „Wie meinst du das?“ „Ich liebe ihn …“ Korrektur. JETZT zweifelte er an Ryous Geisteszustand. Mit Psychologie kannte er sich nicht aus, aber man musste kein Psychiater sein, um zu erkennen, dass dieser Junge nicht mehr alle Tassen im Schrank hatte. „Du hast eine Nacht mit ihm verbracht, Ryou“, sagte er schließlich langsam und eindringlich, wie als könnte Ryou das mal eben vergessen haben. „Ich bin kein Vollidiot, Malik.“ „Ich glaube schon.“ Ryou sah ihn jetzt doch an und sein Blick ließ ihn schauern, denn er war so melancholisch, wie damals, als er ihm endlich hatte erzählen können, was er in seinem Leben schon alles hätte ertragen müssen. „Du weißt nicht, wie das ist, Malik. Du weißt nicht, wie es ist, jemand wie ich zu sein. Ich bin allein, trotz dass ich euch alle hier habe. Er … er konnte als erster die Sehnsucht in mir stillen, den Hunger in meinem Herzen, die Leere in meinem Kopf. Er und ich sind in der Seele gleich …“ Nun traten Ryou doch Tränen in die Augen und darüber war Malik erleichtert, jeder normale Mensch würde nach so einem Erlebnis weinen, ob Mann oder Frau. Ryou musste die ganze Sache emotional mehr mitgenommen haben, als er zuerst angenommen hatte. „Hey“, sagte er schließlich zögerlich, leicht überfordert mit der Situation, „Du solltest erstmal duschen und danach werd ich mit deine Verletzungen mal ansehen. Und dann bestellen wir eine schöne fettige Pizza und reden ein bisschen, hm?“ Ryou sah ihn dankbar an. Froh darüber, dass Malik ihn nicht ausquetschte, ihm Vorwürfe machte, wie leichtsinnig er doch gewesen war (gut, indirekt hatte er das wohl schon) und ihm erstmal Zeit ließ, wieder zu sich selbst zu finden, denn das letzte Mal, als er emotional so aufgewühlt gewesen war, war zu der Zeit als er sein Herz an Akefia verloren hatte. Akefia, der nur mehr eine blasse Erinnerung war, umnebelt von Qual. Und er wusste auch, dass Mariku wohl die alten Narben in seinem Herzen unangetastet ließ, schlimmer noch, wahrscheinlich würde er ihn vollends in den Abgrund reißen. Aber Ryou war es das wert. Vielleicht war es an der Zeit, weiter zu ziehen. Malik ging in dieser Nacht mit rasenden Kopfschmerzen ins Bett. Wenig später stand er wieder auf und nahm drei Aspirin. Doch die Kopfschmerzen wichen nicht – die hatte er auch ziemlich oft in der letzten Zeit und Malik schrieb es der Hitze zu. War die jemals so drückend gewesen? Er war hier aufgewachsen und so extrem hatte er es nicht in Erinnerung. Er dachte neuerdings sehr viel nach beim Einschlafen und das nahm ihm oft den Schlaf. Er dachte an Anzu Mazaki, das japanische Mädchen, heiß begehrt bei den Männern weil sie so exotisch war, das Mädchen, das jeden hätte haben können, aber sich mit einem prügelnden Wichser wie Zeus abgab. Zeus Byrnes, der abgehalfterte Elvis Verschnitt. Sein Kopfschmerz zerschmolz zu Dunkelheit und am Ende dieser Dunkelheit stand etwas Anderes, etwas Helles, Grelles, das er immer verdrängt, aber nie vergessen hatte. Schon eigenartig, was geschehen konnte, was einen nicht direkt betraf, aber etwas in einem auslöste, dass einen der eigenen Vergangenheit schmerzhaft gedenken ließ. Und plötzlich war Malik wieder ein elfjähriger Junge in jenem Sommer, der sein Leben maßgeblich geprägt hatte. Denn irgendetwas war in diesem Sommer geschehen. ~*~ Es war heiß, so heiß, dass die unbefestigten Straßen Staub aufwirbelten, wenn man sie nur schief ansah und Malik saß auf der Veranda des winzigen Hauses, in dem er mit seinen Eltern lebte. Malik hatte keine Freunde, denn die Fremdenfeindlichkeit war auch mit dem Gleichheitsgesetz, dass erst vor wenigen Jahren verabschiedet worden war, nicht gewichen. Malik wusste das nur zu gut, denn als sie vor zwei Jahren noch in der Großstadt gelebt hatten, war sein großer Bruder Rishid von Weißen erschossen worden. Die waren zwar geschnappt worden, doch in der Rechtsprechung, in der natürlich auch nur Republikaner saßen, hatte die Aussage von zwei Weißen gereicht, um glaubhaft zu machen, dass dieser Mord Totschlag war, sie erhielten Milde und kamen je mit zwei Jahren Zuchthaus davon. Maliks Eltern hatte es so schwer getroffen, dass sie diese Stadt nicht mehr ertragen hatten und in ein vergessenes Nest namens Labours Lost irgendwo in Texas gezogen waren. Für Malik hatte es keine Rolle gespielt. Der Wohnortwechsel war ihm erstaunlich leicht gefallen, er hatte einen Schutzmechanismus entwickelt, der ihn daran hinderte, an Rishid zu denken, der ihn alles ausblenden ließ, was ihm zu schaffen machte, und so konnte man leben und ganz so schlecht hatten sie es hier nicht. Sie wurden ja auch nicht von der ganzen Stadt gemieden. Meist waren es die Älteren, von denen ihnen Ablehnung entgegenschlug, denn die waren in der Zeit der Rassentrennung aufgewachsen, doch auch sie vermochten es diese Einstellung auf ihre Kinder und Enkel zu übertragen und so kam es, dass Malik hier keinen einzigen Freund hatte. Das lag aber nicht ausschließlich an seiner arabischen Herkunft, sondern auch an der kühlen Distanz, auf der er die Menschen, die ihm drohten, zu nahe zu kommen, hielt. Und das war trotz seines jungen Alters schon erstaunlich ausgeprägt, sodass ihn jeder, der ihn kennenlernte für älter hielt, als er tatsächlich war. Sie hatten Sommerferien und das war gut so, denn Malik mochte die Schule nicht, aber auch schlecht, weil er klug war und wusste, denn das hatte ihm sein Vater beigebracht, wenn man nicht zur Schule ging, konnte man nichts werden und diesen ganzen weißen Arschlöchern, die glaubten, sie seien etwas Besseres, nur das bestätigen, wofür sie sie hassten. Maliks Vater selbst hatte Archäologie studiert, aber das war hier unten nichts wert und so hatte er eine Anstellung bei einem Farmer gefunden, der vorurteilsfrei war, und er verdiente genug, um die Familie zu ernähren. Malik war es unbegreiflich, warum sein Vater soweit unter seinem Wert arbeitete, aber seltsamerweise schien ihm genau die harte körperliche Ertüchtigung zu helfen, mit seiner Trauer fertig zu werden. Seiner Mutter nicht. Sie machte den Haushalt, doch zu ihr vermochte nichts mehr durchzudringen, sie lebte, doch sie lebte nicht bei ihnen. Malik wiederum verarbeitete den Schmerz des Nichtbeachtetwerdens und der Liebe, die ihm fehlte, indem er Unsinn anstellte, aber meistens, ohne andere mit hinein zu ziehen, denn wie bereits erwähnt hatte er niemanden, der sich mit ihm abgeben wollten. Und wenn dann nur die Schläger, die genauso arm waren, um wegzufahren und sich ihre Langeweile damit vertrieben, auf Kinder wie Malik loszugehen. Malik war ihnen bisher immer entwischt und einen Feigling hatten sie ihn deshalb genannt, aber es war ihm egal, er mochte die Genugtuung, wenn er ihnen immer und immer wieder entkam, das gab ihm ein Gefühl von Überlegenheit. Und das mochte er. Heute hatte er einen Umzugswagen gesehen. Zu dem Haus hin, das nur zwei weitere von dem ihren entfernt war und Malik war das aufgefallen, denn sonst gab es in Labours Lost nichts zu sehen. Während er, auf der Veranda sitzend, einen Ball auf- und ab werfend, beobachtete, wie der Umzugswagen verschwand und wenig später ein Buick in die Richtung des, nun nicht mehr leerstehenden Hauses, einbog, fiel sein Blick auf eine Gestalt, die da auf der Ladefläche saß und trübselig in die Ferne starrte. Er stand auf, um dem Wagen hinterher zu sehen und für einen Moment trafen sich ihre Blicke. Der Junge war kein Amerikaner, das sah man sofort. Ein Asiate? Er hatte noch nie einen Asiaten gesehen, also zumindest nicht in echt, sondern höchstens in den Nachrichten über die Vietcongs, deshalb war er neugierig. Die fast weiße Haut würde wohl schon bald von einem Sonnenbrand geziert werden, das stand fest. Das schwarze Haar stand ihm etwas wuschelig, wohl vom Fahrtwind, vom Kopf ab und wirkte gleichzeitig irgendwie seidig. Mehr konnte Malik nicht mehr erkennen, weil das Auto nun um die Ecke bog – der Junge hatte ihn wohl eben genauso neugierig angesehen, wie er ihn. Dann rief seine Mutter zum Essen und eine Weile dachte er nicht mehr an den Jungen. Etwa zwei Wochen später sollten sich ihre Wege wieder kreuzen. Und die Umstände waren sonderbar. Malik hatte von seiner Mutter etwas Geld bekommen, weil die ihn nicht im Haus haben wollte, damit er los ging und sich irgendetwas kaufte. Er beschwerte sich nicht darüber einfach so vor die Tür gekehrt worden zu sein – immerhin, wann bekam man schon mal fünf Dollar geschenkt, mit denen man machen konnte, wozu man Lust hatte. Also lief er gemächlich zum Supermarkt, um sich eine Cola und Süßigkeiten zu kaufen. Den Rest würde er sich dann aufheben. Wobei Supermarkt ein wenig beschönigend war – der Laden erinnerte mehr an einen etwas größeren Kiosk, wo man gerade das Nötigste bekam, was man brauchte – für extravagantere Sachen fuhr man einmal im Monat in die nächst größere Stadt und kaufte auf Vorrat – zumindest hielten es die meisten Erwachsenen so, die ein Auto hatten. Die armen Schweine, die über keinen fahrbaren Untersatz verfügten, ließen sich entweder mitnehmen oder mussten die Strecke mit dem Bus zurücklegen. Malik war erst einmal dort gewesen – ein Kinobesuch mit seinem Vater – einer der seltenen Augenblicke, in denen der Mann Zeit für seinen Sohn aufgebracht hatte. Malik versuchte, ihm keinen Vorwurf zu machen, immerhin arbeitete er sehr hart, um ihn und seine Mutter durchzubringen. Der einzige Vorwurf, den er seinen Eltern machte, war der, überhaupt hier her gezogen zu sein. Malik lief durch die Straßen in Richtung des alten Spielplatzes, wessen Bezeichnung ebenso unverdient war, denn das einzige, woraus dieser Spielplatz noch bestand, waren ein paar alte Reifen, welche wohl einmal zum Schaukeln gedacht, aber mittlerweile ziemlich zerlöchert waren, ein kaputtes Klettergerüst, zwei rostige Schaukeln, eine ebenso rostige Rutsche und ein Holzturm, in welchem die Halbstarken der Stadt sich manchmal versteckten um Haschisch zu rauchen. Da hatte sich Malik noch nicht so recht hin getraut, nicht weil er nicht neugierig auf das Hasch gewesen wäre, sondern weil dieses Türmchen immer von denselben Jungs besetzt war und die waren für ihre Gewaltbereitschaft berühmt und berüchtigt. Bei den anderen Jungs gefürchtet und von den Mädchen umschwärmt und irgendwie reizte es Malik doch, einmal mit ihnen zu ziehen, auch wenn er das natürlich nie zugegeben hätte. Da hätte ihn sein Vater wohl verdroschen und Malik hätte es ihm noch nichtmal verübeln können. An den Spielplatz schloss gleich im Abstand von wenigen Metern ein inoffizieller Schrottplatz an. Mit ziemlicher Sicherheit konnte sich kein einziger Bewohner der Stadt daran erinnern, wann er entstanden war, er war einfach immer schon da gewesen. Kinder wie Malik trieben sich gerne hier herum, denn es war groß, es war unübersichtlich und man hatte gute Versteckmöglichkeiten und darüber hinaus hatte Malik hier schon das ein oder andere interessante Ding gefunden, wie beispielsweise ein kaputtes Saxophon, ein angesengtes Fotoalbum, das deutsche Soldaten aus dem zweiten Weltkrieg beim Exerzieren zeigte und einmal sogar irgendeinen Orden (warum jemand so etwas wegwarf, war dem Elfjähigen schleierhaft) und in den Autos die hier ebenso standen, konnte man herrlich spielen und sich verstecken. Malik wollte später mal genug verdienen um sich ein Auto kaufen zu können. Ja, das wäre schön. Als Malik den Spielplatz hinter sich gelassen hatte und immer mal wieder an seiner Cola nippend über den Schrottplatz spazierte, hörte er irgendwann ein Geräusch. Er blieb stehen und lauschte. Johlen und hämisches Gelächter. Nun auf der Hut schlich er sich näher. Das war der Vorteil hier – man wurde nicht unbedingt sofort gesehen, wenn man nicht gesehen werden wollte. Schließlich versteckte er sich hinter einem Auto und schon allein von den Stimmen her, konnte er einen der Jungen zweifelsohne erkennen. Keith Bandit, eine Klasse über ihm, ein Junge der mit 14 schon fast 1,80 m groß war und deshalb von allen immer für älter gehalten wurde, als er tatsächlich war. Als er vorsichtig um die Ecke spähte, erkannte er, dass er mit seiner Vermutung bezüglich Keith recht behalten hatte – einer der anderen Jungs war Zeus Byrnes, 17 Jahre alt und bestimmt schon dreimal in der Schule sitzen geblieben, ein Junge vor dem alle anderen Kinder Angst hatten, denn er hatte dieses Etwas. Dieses eine Etwas, das nur Typen wie er hatten und von dem niemand genau sagen konnte, was es war, ob es die Augen waren, in denen das Böse lag und der Hass und die unausgesprochene Drohung alles zu vernichten, was sich ihm in den Weg stellte oder die für sein alter stämmige, kleine Statur, oder dass er sich von keinem Erwachsenen etwas sagen ließ und schon mit 14 sein erstes Mädchen gehabt hatte. Dieses Etwas, von dem andere Halbstarke seines Schlages angezogen und verleitet wurden, ihm hörig zu sein, egal, ob das, was er verlangte gut war, oder schlecht. Natürlich war auch Malik nicht von einem Zusammentreffen verschont geblieben – zwar war dieses glücklicherweise nur verbal erfolgt, aber das hatte Malik schon gereicht. Er hatte ihn als Neger beschimpft und die anderen Kinder dazu gebracht, über ihn zu lachen. Malik hatte das nicht ganz so sehr zugesetzt, wie Zeus Byrnes wohl gehofft hatte, denn er wusste, dass sie nur lachten, weil sie Angst vor ihm hatten. Es hieß, er habe sogar mal einer Lehrerin eine reingehauen – und dafür einen ganzen Sommer Nachsitzen kassiert. Er war nicht sonderlich scharf auf eine Begegnung mit Byrnes außerhalb der Schule und schutzverheißenden Autoritäten, aber was er in dem Moment sah, dort aus seinem sicheren Versteck, trieb ihm augenblicklich die Wut hoch. Sie hatten ein Kind umringt, einen ziemlich schmächtigen Jungen, der in ihrer Mitte stand, zu Boden blickte, offenbar starr vor Angst und nur noch eine Unterhose anhatte, und zitterte – vielleicht weinte er sogar, das konnte Malik auf die Distanz nicht erkennen. Seine Hände klammerten sich um die Colaflasche. Kurz darauf stellte er sie ab. Er musste irgendwas tun. Malik machte sich keine Illusionen, dass er körperlich nicht gegen diese drei Jungs ankam – selbst wenn er ihre Größe oder Statur gehabt hätte, waren sie immer noch in der Überzahl. Warum verdammt nochmal war nie ein Erwachsener in der Nähe, wenn es wirklich mal darauf ankam? Aber auf Erwachsene konnte man sich nicht verlassen, das war ja keine Neuheit. Jedes andere Kind hätte sich jetzt, noch unentdeckt, klammheimlich auf den Rückweg gemacht und dieses andere Kind sich selbst überlassen ohne ein schlechtes Gewissen zu haben, denn Furcht vor den berüchtigtsten Jungs der Stadt zu haben, war keine Schande, die hatte jeder. Aber Malik reichte es in dem Moment, in dem Zeus den Jungen gegen den schmächtigen Oberkörper schubste, sodass dieser hintenüber hinfiel und in einer halb ausgetrockneten Matschpfütze landete. Es war eine Sache, wenn zwei sich prügelten, aber so etwas? Welcher Mensch nahm sich das Recht, sich derart über einen anderen hinaus zu schwingen? Er ballte die Fäuste unwillkürlich. Oh, wie sehr wünschte er sich in diesem Moment die Waffe seines Dads, die dieser zuhause in seinem Schrank aufbewahrte. Einfach nur um ihnen Angst zu machen. Aber die hatte er nun nicht. Suchend blickte er sich um - zwischen dem ganzen Schrott, der hier lag, musste sich doch etwas Nützliches befinden. Und er würde fündig – hob schließlich ein ziemlich rostiges und scharfkantiges Eisenrohr auf – das lag gut und schwer in der Hand. Dann atmete er einmal tief durch und trat vor, konnte damit gerade noch verhindern, dass der Junge gezwungen wurde, Schlamm zu fressen. „Hey, ihr Arschlöcher, Drei gegen Einen, ist das nicht ein Bisschen feige?“ Seine Stimme klang mutiger, als er sich fühlte, denn tatsächlich rutschte ihm das Herz ziemlich in die Hose, als sich nun vier Augenpaare auf ihn richteten und er wünschte sich, dass seine Stimme nicht mehr so knabenhaft klang. Ihm entging nicht, wie Zeus‘ Augen gefährlich flackerten und ahnte schon, was in diesem vorgehen musste. Er dachte wohl in einer unglaublich schnellen Abfolge darüber nach, woher er Malik kannte, als es ihm dann einfiel, ob dieser dreiste Pimpf wohl alleine war und schließlich, ob er mit der Eisenstange eine ernsthafte Bedrohung darstellte. Zu Maliks Bedauern schien er zu dem Schluss zu kommen, dass Malik keine ernsthafte Bedrohung war, das sagte ihm das Grinsen, das diesem über das Gesicht zuckte. „Na, sieh mal an, wen haben wir denn hier…“, dann setzte er sich langsam in Bewegung, unter den Cowboystiefeln ein rhythmisches Knirschen und Malik schwante, in was für eine unüberlegte Situation er sich begeben hatte. Er durfte keine Angst zeigen. Bloß keine Angst zeigen. Da unten lag ein Junge auf dem Boden, der ihn jetzt sicherlich als seinen Retter ansah, alleine wegen ihm. Er schluckte rau und reckte das Kinn, als Zeus vor ihn trat, während Keith und der andere weiter unten ein Auge auf ihr Opfer hatten. Zeus war nur minimal größer als er selbst, aber vielleicht war es gerade die Augenhöhe, die Malik unwohl war. Diese Augen waren gefährlich. „Wenn das nicht der kleine Nigger aus der Schule ist“, zischte er leise, doch mehr amüsiert als erbost. „Ich dachte, ich hätte dir schonmal gesagt, was ich von dir halte.“ Malik ging nicht auf die Beleidigung ein, er wandte auch den Blick nicht ab, wich nicht zurück, obwohl Zeus nichtmal einen ganzen Schritt von ihm entfernt war. „Und was willst du mit dem Ding da?“ Der Kopf des jungen Mannes vor ihm ruckte in Richtung der Eisenstange, die Malik inzwischen so fest umklammert hielt, dass seine Hand wehtat. „Damit wolltest du doch nicht etwa auf uns losgehen?“ Die fliederfarbenen Augen verengten sich. Doch, genau das hatte er gewollt. „Was hat dieser Junge euch überhaupt getan, Byrnes?“, erwiderte Malik ohne auf die Provokation einzugehen. Ein Schubs gegen die Brust, Malik taumelte zwei Schritte zurück, dann spuckte Zeus aus, ehe er knurrte: „Ich weiß ja nicht, was mit dir los ist, Mann, aber ich habe noch sowas wie Vaterlandsstolz – mein Dad ist da drüben im Vietcong und hält uns die Schlitzies vom Leib – wer sind wir denn, dass wir dieses Gesocks schon hier rein marschieren lassen – die haben hier nichts verloren, das solltest du eigentlich wissen, wenn du dich schon als Amerikaner bezeichnest!“ Da tat Malik etwas, was ihn sogar selbst später noch verblüffen sollte, und wahrscheinlich war es die Tatsache, dass weder Zeus noch er selbst damit gerechnet hatten, dass dieser nicht mehr ausweichen konnte, doch in den Arm mit der Waffe kam plötzlich Leben und mit einem Schrei holte Malik aus. Und er traf. Auf der vollen Breitseite – einzig und allein Maliks schwachen Armen war es zu verdanken, dass Zeus lediglich taumelte und benommen zu Boden ging, dabei eine hässliche Platzwunde davon trug, jedoch nicht schlimmer zu Schaden kam, denn das hätte Malik, so wenig er diesen Jungen leiden konnte, sich wohl niemals verziehen. „IM KRIEG STERBEN MENSCHEN!“, schrie er dabei und ein kurzer Schmerz erinnerte ihn an Rishid, der auch unschuldig gestorben war. Im selben Moment jedoch, da er diesen Schlag gegen Zeus ausgeführt hatte, war er losgelaufen und er sah, wie Keith und der junge Mann, dessen Namen er nicht kannte, eiligst auf ihn zu kamen, um ihm die Hölle heiß zu machen und Malik sah es kommen, er sah die Schmerzen kommen, die ihm nun gewiss waren und er versuchte noch auszuweichen, doch Keith war schneller, er packte ihn, hielt ihn mit beiden Armen um den Oberkörper im Schraubstock und Malik brüllte dem Jungen zu, der noch immer erstarrt auf dem Boden saß: „LAUF ENDLICH WEG!!!“, da wurde er auch schon durch einen Boxhieb in den Magen zum Schweigen gebracht und er konnte nicht mehr sehen, ob der Junge auch wirklich weglief, da er zu sehr damit beschäftigt war, wieder zu Atem zu kommen. Und dann wie aus dem Nichts stand Zeus vor ihm, das Gesicht blutverschmiert und darin las man reine Mordlust. „Du verdammter kleiner Pisser“, grollte er, „Ich hätte dich verschont.“ Er knackte mit den Fingerknöcheln. Dann sah er etwas Silbernes auf sich zu rasen. Dann wurde es schwarz. Als Malik wieder zu sich kam, glühte die Sonne bereits feuerrot am Himmel. Ihm taten seine Rippen weh und seine linke Gesichtshälfte fühlte sich irgendwie taub an. Ihm war schwindlig und mit einem Stöhnen legte er sich den Arm über die Augen, um sie vor dem Sonnenlicht zu schützen. „Sie sind weg“, ertönte plötzlich eine Stimme rechts neben ihm und Malik öffnete die Augen überrascht wieder – es war der schwarzhaarige Junge. Mit einem Stöhnen und den Schwindel unterdrückend richtete Malik sich auf. „Warum bist du nicht abgehauen?“, wollte er wissen. „Bin ich“, sagte der Junge zögerlich, „Aber jemanden, der einem geholfen hat, im Stich zu lassen, ist unehrenhaft, sagt mein Vater.“ Der Junge saß mit angewinkelten Beinen und nur mit T-Shirt und Unterhose bekleidet auf dem Boden und malte mit einem Stöckchen kleine Kreise in den staubtrockenen Sand. Er hatte aus der Nase geblutet und kurz über der Augenbraue war ein feiner Riss. „Wie heißt du eigentlich?“, wollte Malik wissen, während er vorsichtig seine linke Gesichtshälfte betastete. Beim Sprechen tat es etwas weh. „Ryuji. Und du?“ „Malik. Bist du wirklich aus Vietnam?“, wollte er dann neugierig wissen. Ryuji schüttelte den Kopf. „Der Typ ist ein Idiot“, antwortete er finster, „Ich bin Japaner und in Amerika geboren.“ „Uncle Sam wird überbewertet“, meinte Malik und brachte ein Grinsen zustande, „Ich bin Ägypter und werd als ‚Nigger‘ beschimpft – was erwartet man von diesen Gorillas?!“ Ryuji brachte ein Lächeln zustande. Und an diesem Tag fand Malik den ersten Freund, seit er damals von zuhause weggegangen war und das fühlte sich gut an. ~*~ Der Kopfschmerz war zu einem dumpfen Pochen abgeschwächt. Die Nacht zu heiß zum Schlafen. Das Fenster offen, die Zikaden zirpten laut. Malik starrte ins Dunkel seines Zimmers. Irgendwas war damals passiert in diesem Sommer. Aber Malik erinnerte sich nicht. Er erinnerte sich daran, dass er mit Ryuji Otogi Freundschaft geschlossen hatte. Er erinnerte sich daran, dass er im selben Sommer auch Mai Valentine kennengelernt hatte. Daran, dass sie zusammen herum gehangen hatten, sehr oft sogar und er erinnerte sich daran, dass sie beide auf Mai abgefahren waren. Ganze zwei Jahre hatte dieses Trio eine wundervolle Zeit gehabt. Doch mit Ablauf dieser zwei Jahre und das beinahe auf den Tag genau, da waren sie plötzlich nur noch zu zweit gewesen. Er erinnerte sich nicht daran, wie Ryuji Otogi gestorben war. He's got a rolled cigarette, hanging out his mouth, he's a cowboy kid Yeah, he found a six shooter gun In his dad's closet, it was box of fun things, and I don't even know what But he's coming for you, yeah, he's coming for you, wait 'Pumped up kicks', Foster the People Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)