Twisted Paradise von Jani-chan (Turn the Page) ================================================================================ Kapitel 11: 11. Earth Song -------------------------- 11. Earth Song Da kein Training anstand, tat Jeremy das, was er seit einer gefühlten Ewigkeit nicht mehr bewusst getan hatte: Er schlief aus. Die Sonne stand bereits hoch über dem Tal, als er die Augen öffnete, sich streckte und sich noch einmal in die Kissen kuschelte. Doch leises Kichern drang an sein Ohr und als er den Kopf hob, entdeckte er Elen, die am Fenster saß und ihn grinsend beobachtete. „Na du Schlafmütze!“, begrüßte sie ihn und lachte wieder. Jeremy zog einen Flunsch. Sicher, er verbrachte viel Zeit hier im Bett, doch das war ja mal hauptsächlich verletzungsbedingt. „Deine Schwester ist schon seit Stunden auf und lässt sich gerade von Bilbo die Drachengeschichte erzählen“, erklärte sie weiter, da Jeremy keine Anstalten machte, zu antworten. Er nickte und ließ sich wieder in nach hinten fallen, doch Elen schien davon alles andere als begeistert zu sein. Sie klaute ihm dreist die Decke und Jeremy war froh, dass er ein langes Schlafgewand trug und seine kalten Füße darunter verstecken konnte. So hatte er eigentlich kein Problem, noch eine Runde zu schlafen. Elen schüttelte grinsend den Kopf. „Nichts da. Lord Elrond möchte dich sehen und da Glorfindel dich nicht terrorisieren darf, wirst du dich hinterher zu mir und meinen Freundinnen gesellen und uns von deiner Heimat berichten.“ Jeremy sah sie erstaunt an. „Ich dachte, Elben fänden andere Wesen langweilig und würden sich, wenn vermeidbar, nicht mit ihnen abgeben“, versuchte sich der Junge herauszuwinden, doch Elen durchschaute seinen Plan. „Nun, die meisten haben nichts zu erzählen, was wir nicht schon gesehen hätten. Aber da du nicht von hier bist…“ Sie machte eine kurze Pause und grinste. „Woher willst du wissen, dass es dort nicht genauso wie hier?“ Elen blickte ihn aus leuchtenden Augen an. „Ich habe dich beobachtet, Jeremy. Auch wenn es vielen vielleicht nicht aufgefallen sein mag, du bist aufgeblüht, seit du hier bist. Wo du auch immer herkommst, muss anders, und nicht unbedingt besser sein.“ „Besser als Bruchtal ist wohl auch wirklich schwer“, murmelte Jeremy und Elen lächelte. *** Elrond hatte sich nach seinem Befinden erkundigt und ihm noch einmal Mut gemacht, dass sich mit Glorfindel schon alles fügen würde. Außerdem hatte er nach Jeremys Plänen gefragt und als er hörte, dass die Elben sich für seine Herkunft interessierten, nickte er nachdenklich, ließ jedoch nichts darüber verlauten, was er von der Sache hielt. Während Jeremy durch die Gänge lief, fragte er sich, ob er wohl jemals wieder zurückkehren würde. Nicht, dass er es unbedingt wollte, doch es nagte an ihm, denn wenn er ohne ersichtlichen Grund hierher gekommen war, so wäre es nicht weiter verwunderlich, wenn er genauso auch wieder verschwinden würde. Und er überlegte, ob er den Elben darauf hätte ansprechen sollen. Aber dann dachte er, dass selbst Elrond sich wohl keinen großen Reim darauf machen konnte und er sich wenn, dann doch eher an Gandalf würde wenden müssen. Er seufzte und blickte hinunter auf eine Lichtung, wo einige Elben saßen. Einige sangen, andere spielten Instrumente und über allem lag ein Hauch von Leichtigkeit. Jeremy entdeckte Elen und die Zwillinge, die zwischen den Elbinnen standen und sich sehr wohl zu fühlen schienen. Sie lachten und eine der Frauen fiel Elladan um den Hals und küsste ihn leidenschaftlich auf den Mund. Lautes Gelächter drang hinauf zu dem Jungen und er spürte einen Stich in seinem Herzen, den er nicht wirklich zuordnen konnte. Doch es widerstrebte ihn, hinunterzugehen und sich der Gesellschaft anzuschließen und eine leichte Depression schwebte wie eine graue Wolke über ihm. Doch er hatte zugesagt und er fand es falsch, sich zu drücken, weswegen er letztendlich die Treppe hinabstieg und nicht die dunkelhaarige Elbin bemerkte, die ihn aus dem Schatten heraus beobachtet hatte. Zögernd trat er zwischen den Bäumen hervor und fand sich im nächsten Moment in der Mitte der Anwesenden wieder, die ihn alle neugierig musterten und über seine Schlafgewohnheiten scherzten. Jeremy ließ es über sich ergehen und schwieg. Er wusste nicht, was die Elben hören wollten und so wartete er erst einmal, bis sich der Spott gelegt hatte. „Erzähl schon!“, forderte ihn eine der Elbinnen schließlich auf und Jeremy nickte leicht. „Was genau wollt ihr denn wissen?“ „Alles!“ Er seufzte leise und nickte ein weiteres Mal. „Ich bin kein guter Erzähler, aber ich will es versuchen. Wo fange ich an? Hm…die Welt, aus der ich komme, ist dieser oberflächlich gar nicht so unähnlich: Es gibt große Wälder, Flüsse, Seen, Meere, Bergketten und Ebenen dazwischen, Sonnenauf- und -untergänge und Mond und zahllose Sterne am nächtlichen Himmel. Auch gibt es viele große Städte und Dörfer und darin viele, viele Menschen. Sie halten sich Hunde, Katzen, Vögel, Fische und verschiedene Nagetiere, manche aber auch Echsen, Schlangen und Spinnen. Bis auf diese Tiere leben die Menschen unter sich. Ich habe noch nie von jemandem gehört, der in meiner Welt Elben, Zwergen, Hobbits, Orks oder anderen Bewohnern Mittelerdes begegnet wäre. Was natürlich nicht heißen muss, dass es sie nicht gibt, sondern vielleicht nur, dass sie keinen Kontakt suchen. Es wäre durchaus nachvollziehen, denn die Städte sind groß und kalt und je größer die Städte werden, desto kälter ist auch der Umgang zwischen den Menschen. Die Bewohner der Städte, wo ich herkomme, sind laut, selbstsüchtig und ignorant, und sehr unglücklich mit sich selbst und ihrem Leben, jedoch oft aufgrund falscher Vorsätze und fehlender Motivation nicht in der Lage, etwas zu ändern. Auch sind die meisten träge, faul, desinteressiert und oberflächlich in ihren Freuden. Sie nehmen, was sie bekommen können, unabhängig davon, ob sie es brauchen, oder nicht, solange es preiswert oder von der Mehrheit als besitzenswert empfunden wird. Es fällt ihnen schwer, loszulassen, oder zu geben und viele verschließen sich voreinander, um ja nicht teilen zu müssen. Nach immer mehr und mehr Besitz streben sie und kennen keine Grenzen. Sie sind sehr misstrauisch gegenüber anderen. Es ist schwierig, ein gesundes Maß in dieser Gesellschaft zu finden. Teilzunehmen, ohne sich gehen zu lassen, und Abstand wahren, ohne sich auszuschließen. Mel gelingt letzteres wohl besser als mir.“ Jeremy lächelte verlegen, doch sein Lächeln verblasste, als er an sein Zuhause und seinen Vater dachte, der ein vorbildliches Exemplar des Bildes war, welches er soeben gezeichnet hatte. Natürlich war es ungerechtfertigt, es zu verallgemeinern. Es gab viele Leute, die ein geordnetes, aufgeschlossenes Leben führten. Aber mit solchen Leuten hatte er nicht viel zu tun gehabt und irgendwann hatte er aufgegeben, nach ihnen zu suchen. „Eure Welt klingt ja furchtbar. Gibt es nichts Schönes in dieser Welt? Keine Musik und Poesie?“ Eine der Elbinnen blickte ihn fragend an und auch die anderen wirkten alles andere als begeistert. Jeremy schüttelte den Kopf, um seine Gedanken zu vertreiben. „Doch, doch, es gibt viele schöne Dinge und nicht alle Menschen sind so, wie ich sie soeben beschrieben habe, viele ja, aber es gibt auch Ausnahmen und nicht alle Eigenschaften treffen auf alle gleichermaßen zu. Wir haben eine sehr ausgeprägte Literaturlandschaft mit einer sehr weitflächigen Verbreitung. So habe ich auch von Mittelerde erfahren. Für mich ist Lesen auf jeden Fall eine Bereicherung. Und fremde Sprachen, wobei das mein persönlicher Zeitvertreib ist. Würdet Ihr Mel fragen, würde sie Euch diese Antwort vermutlich nicht geben. Was Musik und Poesie betrifft, so gibt es da eine sehr breite Fächerung und ich bin mir nicht sicher, ob Ihr das als Musik, oder eben als Poesie bezeichnen würdet, was da zum Teil fabriziert wird.“ „Fabriziert?“ „Nun ja, es ist nicht alles schön, nicht alles harmonisch, und vieles nicht einmal künstlerisch wertvoll, zumindest, was die neueren Sachen betrifft. Bei den älteren Werken gibt es großartige Instrumentalmusik. Bei den Neueren sind einige angenehm zu hören, jedoch entstanden die meisten unter zu viel Alkohol, oder aber aus Wut oder Trauer heraus. Und natürlich gibt es endlos viele Liebeslieder.“ „Warum singst du uns nicht etwas vor, damit wir uns eine Vorstellung davon haben“, schlug Elen vor und die Anwesenden sahen Jeremy fragend an, der leise seufzte. „Ich glaube, dass das keine gute Idee ist.“ „Du wirst doch wohl nicht kneifen? Und tu nicht so, als ob du nicht singen könntest. Ich weiß, dass du es kannst.“ Melanie trat aus dem Schatten eines Baumes und grinste ihren Bruder breit an. „Hast du irgendeinen Liedvorschlag?“ Mel überlegte einen Moment, dann feixte sie. „’Dude looks like a lady’ oder den ‘Coconut Song’? “ “Willst du mich rollen? Da kann ich gleich ‘I’m too sexy’ singen”, kommentierte Jeremy augenverdrehend, musste jedoch auch grinsen. „Au ja, mach!“ „Vergiss es!“ „Warum singst du nicht etwas?“, wandte sich eine der Elbinnen an Melanie, die geschockt aufblickte und abwehrend die Hände hob. „Ich fürchte, dass ist keine gute Idee. Ich kann nur unbeabsichtigt die Zwölftontechnik anwenden.“ „Was ist die Zwölftontechnik?“ Jeremy grinste breit und kam seiner Schwester zur Hilfe. „Das Tonsystem, das wir in unserer Heimat verwenden, besteht aus zwölf Tönen, und Zwölftontechnik oder Dodekaphonie besagt, dass man keinen der Töne ein zweites Mal hören darf, bevor nicht alle anderen auch gespielt wurden. Und zwar durcheinander, was das ganze zuweilen sehr befremdlich klingen lässt.“ „Ah ja.“ Jeremy strich sich eine Strähne aus dem Gesicht. „Mir ist ein Lied eingefallen, es ist nichts besonderes, aber ich mag es ganz gern.“ Fragend blickte Melanie ihn an. „Welches denn?“ „Fireflies?“ „Von Owl City? Klingt gut. Mach!” Der Junge streckte seiner Schwester die Zunge raus und atmete einmal tief ein, bevor er zu singen begann. Seine Stimme vertrug sich mit dem Lied, auch wenn er kein sonderlich begnadeter Sänger war. Er traf die Töne und konnte ein wenig interpretieren, doch fühlte er sich nicht nur furchtbar beobachtet, sondern wusste auch nicht wohin mit seinen Händen, denn normalerweise sang er nur zu seiner Gitarre in seinem Zimmer. Er bemerkte gar nicht, wie er seine Hände im Schoß verknotete und als mit den letzten Worten des Liedes eine unangenehme Stille eintrat, wünschte er sich, im Boden zu versinken. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)