Twisted Paradise von Jani-chan (Turn the Page) ================================================================================ Kapitel 5: 5. What about everything ----------------------------------- 5. What about everything Es regnete, als er das nächste Mal erwachte. Laut klatschte das Wasser gegen die Mauern und auf die Steine. Es musste so gegen Mittag sein, doch sicher konnte er das nicht sagen. Er fühlte sich schwach und der Drang, die Augen wieder zu schließen und sich von dem gleichmäßigen Prasseln einlullen zu lassen, war geradezu übermächtig. Doch er spürte, dass da etwas war, das getan werden musste, etwas, dass keinen Aufschub duldete. Was war es noch gewesen? Er konnte sich nicht daran erinnern, was es war. Eine Zeit lang lag er regungslos da und suchte nach einer Antwort. Als er sie schließlich fand, hätte er am liebsten geweint, und nicht vor Freude. Unbeholfen setzte er sich auf und schwang seine Beine aus dem Bett, wobei sie gegen einen Stapel dicker, alt aussehender Bücher stießen. Verwundert hob er das oberste an und er bedauerte, dass er dafür nur eine Hand zur Verfügung hatte, denn es war schwer. Unter großer Anstrengung gelang es ihm, den Wälzer auf dem Bett abzulegen und neugierig schlug er ihn auf, woraufhin er seine Vermutungen bestätigt fand. Es handelte sich dabei um eine Chronik der Geschichte von Mittelerde. Ein wenig wunderte es ihn, denn da die Elben ja ewig lebten, war eine Niederschrift für sie wohl nicht wirklich von Nöten. Andererseits kamen ja auch vermutlich Nichtelben auf der Suche nach Wissen hierher und wenn man soviel Zeit hatte, konnte man sie sicher auch in ein so umfangreiches Werk stecken. Doch die Recherche würde er auf später verschieben, denn er wollte mit Elrond sprechen. Allerdings würde er zunächst das Badezimmer aufsuchen. Elen war nicht da, doch sie hatte ihm gezeigt, wie er sich selbst von seinem Verband befreien konnte und er erlaubte sich, auch den anderen Arm auszuwickeln, denn mit einer Hand konnte man sich nur ganz unzureichend waschen. Seine Schulter pochte noch immer, doch als er probeweise den Arm hob, war der Schmerz erträglich. Einen Moment überlegte er auch, den Kopfverband abzunehmen, da seine Haare mittlerweile fettig wurden und etwas Pflege bedurften, doch er entschied sich dagegen. Mit Kopfwunden war nicht zu spaßen und so ignorierte er roten Strähnen und stieg in die gefüllte Wanne. Das Bad war entspannend und gerade, als er dabei war, sich mit einem weichen Schwamm abzubürsten, öffnete sich die Tür und ein hochgewachsener Elb mit langen, goldblonden Haaren trat ein. Jeremy hatte ihn noch nie gesehen, doch er spürte instinktiv, dass der Andere ihn nicht leiden konnte, so wie er ihn anstarrte. Oder vielleicht hatte es mit dem Bad zu tun? Nun, da er darüber nachdachte, war es durchaus wahrscheinlich, dass auch andere dieses Bad benutzten und diese vorbereitete Wanne gar nicht für ihn bestimmt gewesen war, wie er angenommen hatte. Verlegen suchte er nach Worten, doch der Elb hatte sich schon wieder von seinem Schrecken erholt, auf dem Absatz kehrt gemacht und die Tür hinter sich geschlossen. Und dies war Jeremys erste Begegnung mit Glorfindel von Rivendell gewesen. In Eile hatte er sich fertig gewaschen und umgezogen. Elen hatte ihm ein paar mittelalterlich aussehender Stoffhosen besorgt, nachdem er ihr vorgestern von seinen Gedankengängen erzählt hatte. Sie waren bequemer, als sie aussahen, was jedoch keine wirkliche Überraschung war, wenn man bedachte, dass sie vermutlich aus elbischer Hand stammten. Den Verband ließ er ab, da er ihn eh nicht selbst hätte wieder anlegen können. Einen Moment überlegte er, in welchem Zustand er das Badezimmer hinterlassen sollte, doch da er keine Ahnung hatte, was er wie tun musste, rollte er nur die Verbände auf, legte diese ordentlich auf die kleine Anrichte vor den Spiegel und machte sich dann auf die Suche nach dem Herrn des Hauses. Die Elben, an denen er vorbeikam, warfen ihm aufmerksame Blicke zu, doch er wagte nicht, sie anzusprechen. So lief er durch die Gänge und fand sich schließlich in einer Halle wieder, deren Wände verschiedene Gemälde mit historischen Szenen schmückten. Unter anderem befand sich an der Westseite eines, in welchem Jeremy den Fall Saurons erkannte. Der Anblick verschlug ihm glatt die Sprache. Langsam rückwärts gehend betrachtete er das düstere Gemälde. Unter einem mit schwarzen Wolken verhangenen, unheilverkündenden Himmel waren im Hintergrund Abertausende von detaillierten, kämpfenden Gestalten abgebildet. Jeremy erkannte Elben, Menschen und Orks, dazwischen auch Trolle und Warge und Nazgûl auf ihren drachenähnlichen Flugtieren. Zwischen den Kämpfenden lagen die Gefallenen, unzählige auf beiden Seiten. Ein Schauder lief dem Jungen über den Rücken. Was brachte wohl die Elben dazu, so etwas an die Wand zu bringen? Musste nicht Depression jeden befallen, der dieses Bild betrachtete und besonders jene, die damals dabei gewesen waren? Nur die Rüstung des Menschen, der im Vordergrund stand und das geborstene Schwert in seiner Hand und die Bruchstücke auf der Erde schimmerten weiß gegen die Dunkelheit. Nichtsdestotrotz wirkte er geradezu winzig im Gegensatz zu der dunklen Gestalt, die ihm riesig und übermächtig gegenüberstand und von der eine düstere Ausstrahlung ausging. Jedes kleinste Element dieser Erscheinung war so realistisch dargestellt, dass Jeremy fürchtete, jeden Moment könnte sich das Gesicht unter der Maske von dem am Boden knienden Isildur abwenden und ihn anblicken. Sein Herz schlug laut in seiner Brust, als er unvermittelt mit dem Rücken gegen eine Statue stieß, die ein steinernes Tablett hielt. Erschrocken wandte er sich zu ihr um. Die Steinplatte war leer und einen Moment fragte er sich, wo die Stücke von Narsil waren, bis ihm einfiel, dass Aragorn ja nach Tolkien das zerbrochene Schwert bei sich getragen hatte, während er als Waldläufer in Mittelerde unterwegs war. Jeremy blickte in das Gesicht der Statue. Schon im Film hatte er sie als gruselig empfunden, doch auch diese steinerne, alte Menschenfrau war beunruhigend realistisch, wie sie ihn aus ihren leeren Augen musterte. Hoffentlich war sie kein Weeping Angel. Bei Elben wäre das ja auch absolut unsinnig, da diese ja ewig lebten. Sicher wäre sie in diesen Hallen verhungert. Er schüttelte leicht den Kopf, um diese Doctor Who Referenzen aus seinem Gedanken zu vertreiben, doch es gelang ihm nicht, den Blick abzuwenden. Sie wirkte so echt, und Jeremy dachte für sich, dass man es auch mit dem Perfektionismus übertreiben konnte. „Wie ich sehe, seid Ihr wieder auf den Beinen.“ Jeremy blickte sich um und entdeckte Elrond, der einige Meter entfernt aus dem Schatten einer Säule trat und ihn freundlich musterte. Der Junge nickte und kam die flachen Stufen herunter, von denen er gar nicht bemerkt hatte, dass er sie hinaufgegangen war. Als er vor dem Elb stand, fiel ihm auf, wie klein er eigentlich im Gegensatz zu diesem war, denn Elrond überragte ihn um mehr als einen ganzen Kopf. „Es geht mir schon wieder besser, danke. Ich war auf der Suche nach Euch“, sagte Jeremy. Elrond nickte und wies den Gang entlang. „Folgt mir.“ Er führte den Rothaarigen einige Gänge entlang und Treppen hinauf in ein Zimmer, das Jeremy an ein Arbeitszimmer erinnerte und vermutlich war es das auch. Auf einem großen Tisch stapelten sich Bücher und Papiere, dazwischen lagen und standen Federn in kleinen Tintenfässern. Elrond bot Jeremy einen Stuhl an und der Junge setzte sich gehorsam. „Was kann ich für Euch tun?“ Jeremy legte den Kopf zur Seite und überlegte, wo er anfangen sollte. Schon vorher hätte er sich darüber Gedanken machen sollen, doch er war zuversichtlich gewesen, dass die Worte schon irgendwie kämen, wenn er Elrond gegenüberstände. Ein Irrtum, wie er nun feststellte. Doch hier schweigend zu sitzen und die Zeit des Elben zu verschwenden, empfand er als unhöflich und so begann er schließlich zögernd: „Ich weiß nicht, wie viel Euch Lady Elen bereits erzählt hat…“ Elrond, der stehen geblieben war und ihn aufmerksam beobachtete, schmunzelte. „Elen hat mir nicht viel erzählt, auch wenn ich hoffte, durch sie einiges über Euch In Erfahrung zu bringen. Sie sagte, dass Ihr ein sehr nachdenklicher, ehrlicher und neugieriger Mensch seid, der von dieser Welt einiges weiß, auch wenn er nicht von hier stammt, und der sich augenscheinlich für Geschichte interessiert, denn sie bat mich, Euch die Chroniken Mittelerdes zur Verfügung zu stellen.“ Jeremy nickte verstehend und zupfte an einer Strähne, die ihn kitzelte. „Ich gehe davon aus, dass Euch meine Überraschung nicht entgangen ist, als Ihr mir sagtet, wo ich war und wer Ihr ward. Das hängt damit zusammen, dass es an dem Ort, wo Mel und ich herkommen, einen Schriftsteller gab, der viel über Arda geschrieben hat, über die Geschichte, die Kulturen, die Sprachen und die Geographie Mittelerdes und der Welt jenseits des Meeres. Ich weiß nicht, wie vieles davon der Wahrheit entspricht, denn eigentlich dachte ich bis zu meiner Ankunft hier, dass diese ganze Welt von ihm erfunden worden sei. Doch da ich nun hier bin, bleibt mir nichts anderes übrig, als es zu glauben.“ Er machte eine Pause und musterte Elrond, der ihn ernst anblickte und schwieg. So fuhr er fort: „Bei den Schriften, die er zur Geschichte veröffentlichte, waren viele dabei, die in der Vergangenheit spielten. Aber…nicht nur. Elen sagte mir gestern, dass dies das Jahr 3018 des dritten Zeitalters sei und die mit diesem und den folgenden Jahren zusammenhängenden Texte sind äußerst beunruhigend und ich hoffe sehr, dass sie nicht der Wahrheit entsprechen. Zwar gab es darin ein glückliches Ende, doch so viele kleinere Faktoren spielten dafür eine Rolle, und ich vermag mir nicht auszumalen, was geschieht, wenn sich nicht alles fügen sollte. Ich fürchte, dass allein unsere Anwesenheit hier schon alles verändern könnte. Momentan wage ich das jedoch nicht zu beurteilen, weswegen ich für die Bücher sehr dankbar bin.“ „Sie werden Euch jedoch vermutlich wenig nützen, da sie überwiegend in Quenya Tengwar geschrieben sind. Oder verwendet man diese auch bei Euch?“ Jeremy grinste verlegen. Er hatte in der fünften Klasse einmal einen Geschichtstest ganz in Tengwar abgegeben. Er war selbstverständlich durchgefallen, auch wenn seine Antworten fast alle richtig gewesen waren. „Nein, bei uns werden hauptsächlich andere Zeichen benutzt. Doch dank Professor J.R.R. Tolkien, dem Autor der Schriften über die Welt von Arda, hatte ich die Möglichkeit, einige Erfahrung mit den Schriftzeichen zu sammeln und bei meinem Bibliotheksausflug durfte ich feststellen, dass ich nicht alles, aber manches verstehe.“ „Ich hatte mich schon gefragt, wie Ihr Euch sonst die ganze Nacht festgelesen haben wolltet.“ Elrond lächelte zufrieden. Er glaubte dem Jungen seine Worte und er begann, eine Vorstellung davon zu bekommen, was es für den Rothaarige bedeuten musste, hier zu sein. Denn dessen Befürchtungen waren keinesfalls unbegründet. Auch wenn Elrond die Schriften nicht kannte, so war er doch mit den momentanen Geschehnissen vertraut und hatte, was die Zukunft betraf, selbst vieles gesehen, was ihn bedrückte. Der Elb trat an den Tisch und schob einige Notizen zur Seite. Als er fand, wonach er gesucht hatte, nahm er es in die Hand und betrachtete es einen Moment. Es war ein dünnes, ledergebundenes Buch ohne sichtbaren Titel und als er es Jeremy reichte, nahm dieser es zögernd und blickte den Elben fragend an. „Ihr werdet es möglicherweise für einige der Texte brauchen“, erklärte Elrond. Der Junge öffnete es vorsichtig, warf einen Blick auf die erste Seite und nickte dann zustimmend. „Dies ist sehr wahrscheinlich. Ich danke Euch vielmals.“ Elrond nickte und geleitete Jeremy zur Tür. „Wenn Ihr irgendwelche Sorgen habt, zögert nicht, zu fragen. Die meiste Zeit des Tages werdet Ihr mich hier finden. Auch von meinen Söhnen weiß ich, dass sie gerne bereit sind, Euch weiterzuhelfen.“ Jeremy bedankte sich, gestand dem Elben jedoch, dass er einige Scheu davor empfand, jemanden anzusprechen, von dem er zwar den Namen wusste, jedoch nicht, ob er die richtige Person dazu vor sich hatte. Elrond schmunzelte über diese Worte und erwiderte, dieses Problem werde sich sicher bald gelöst haben, wenn er sie erst einmal kenne. Der Junge wunderte sich. Was glaubte er, wie lange sie hier bleiben würden? Doch wenn Elrond es so sagte, wollte er nichts einwenden und so bedankte er sich noch einmal und ließ den Elben dann allein zurück. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)